In der letzten Dekade wurden hunderttausende vormals öffentliche Wohnungen an meist international agierende Investmentfonds verkauft. Diese Privatisierungen habe eine breite öffentliche und wissenschaftliche Debatte ausgelöst. Mit den Verkäufen wurden nicht nur die wohnungspolitischen Handlungsspielräume vieler Kommunen verringert, sondern der Wohnungsmarkt für neue Verwertungsstrategien geöffnet. In diesem Beitrag werden die politischen und ökonomischen Logiken der Privatisierung ebenso nachgezeichnet wie die bisher beobachtbaren sozialen und stadträumlichen Konsequenzen dieser Umverteilung. Die Privatisierungsdynamiken der letzten Dekade werden als Teil einer globalen Enteignungsökonomie angesehen, da bisher sozialisierte Wohnungsversorgungssysteme in finanzmarktbezogenen Verwertungszyklen absorbiert werden.
1. Umfang und Verlauf der Wohnungsprivatisierungen in Deutschland
Seit den Debatten um den Totalverkauf der Dresdner Wohnungsbaugesellschaft und dem erfolgreichen Bürgerentscheid gegen die Privatisierung in Freiburg im Jahre 2006 sind Wohnungsprivatisierungen ein Thema der öffentlichen Diskussion. Der Verkauf von kommunalen Wohnungen an den internationalen Finanzinvestor Fortress polarisierte die politische Debatte. Die Prominenz der Linkspartei kritisierte den Verkauf – der erst durch die Stimmen der Linkspartei in der Dresdner Stadtversammlung möglich wurde – als linken Tabubruch und löste so heftige Debatten aus. Der neoliberale Mainstream entledigte sich aller Sachlichkeit und konnte seine Freude kaum verhehlen. In der ZEIT wurde der „Dresdner Coup“ bejubelt: „Ein Milliardengeschäft macht Dresdens Stadträte zur Avantgarde der deutschen Kommunalpolitik.“ (Polke-Majewski 2006)
Diese Übertreibung relativiert sich durch die Untersuchungen des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR) zum Handel mit Mietwohnungsportfolios. Die Dresdner Privatisierung ist alles andere als ein Einzelfall. Im letzten Jahrzehnt (1999 bis 2009) wurden über 900.000 Wohnungen aus öffentlichen Beständen verkauft (Claßen/Zander 2010: 380) – das entspricht etwa der Hälfte aller festgestellten Verkaufsfälle mit einem Umfang von mehr als 800 Wohnungen im Untersuchungszeitraum. Nicht berücksichtigt bleiben dabei kleinere Verkäufe. Als Privatisierungen zählen sowohl Bestandsverkäufe von Wohnungen, die aus den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften zum Verkauf herausgelöst werden als auch Anteilsverkäufe, wenn öffentliche Unternehmen Teile ihrer Gesellschaftsanteile verkaufen.
Anders als in anderen europäischen Ländern wurden die Wohnungsprivatisierung als En-Bloc-Verkäufe organisiert. Während beispielsweise in Großbritannien, den Niederlanden und in den meisten osteuropäischen Staaten die Privatisierung in Form der Eigentumsübertragung einzelner Wohnungen an die Bewohner/innen erfolgte (Aalbers 2004; Boelhouwer 2005; Mallpass 1999) wurden hierzulande überwiegend größere Paket-Verkäufe organisiert. Die größten Privatisierungsfälle umfassten mehrere zehntausend Wohnungen. Das größte Verkaufspaket wurde mit 93.000 Wohnungen der LEG in Nordrhein-Westfalen geschnürt.
Tabelle 1: Ausgewählte Wohnungsprivatisierungen von Bund, Ländern und Kommunen (1998-2008)
Grafik siehe Downloads/Dokumente unten.
Quelle: Schendel 2005; eigene Medienauswertung
Studien zur zeitlichen Struktur der Verkaufsaktivitäten der letzten Dekade zeigen einen wellenartigen Verlauf. Das Transaktionsgeschehen gewann ab 2004 deutlich an Dynamik und der jährliche Gesamtumfang von etwa 100.000 verkauften Wohnungen (1998 bis 2003) steigerte sich auf über 280.000 (2004 bis 2007). In den letzten Jahren verringerte sich die Zahl der verkauften Wohnungen auf knapp 120.000 (2008) bzw. 28.000 (2009). Die hohen Verkaufszahlen in den Jahren 2004 bis 2008 gehen wesentlich auf große Transaktionen mit einem Umfang von mehr als 25.000 Wohnungen zurück (Claßen/Zander 2010: 379). Als Erklärung für den deutlichen Rückgang der Verkaufsaktivitäten werden in verschiedenen Studien die Auswirkungen der Finanzkrise angeführt (BBSR 2010).
Nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich ist das Privatisierungsgeschehen von Unterschieden geprägt. Auswertungen des Instituts für Stadtforschung (IfS) weisen Berlin und Nordrhein-Westfalen als die Zentren des Wohnungshandels aus (Vesser 2006). Für Berlin werden für den Zeitraum 1999 bis 2005 über 230.000 verkaufte Wohnungen angegeben und für das Ruhrgebiet 190.000 (hinzu gerechnet werden müssen noch die 91.000 Wohnungen der 2008 verkauften LEG). Andere Regionen, insbesondere in den südwestlichen Bundesländern sind in deutlich geringerem Maße von den Privatisierungen betroffen. Bezogen auf den regionalen Wohnungsbestand weisen die bisher vorliegenden Untersuchungen Berlin und Nordrhein-Westfalen, das Rhein-Main-Gebiet und Kiel als Gebiete bzw. Stadt aus, in denen ein überdurchschnittlicher Anteil von Verkaufsaktivitäten festgestellt werden konnte. Bezogen auf den Gesamtwohnungsbestand wechselten etwa in Kiel zwischen 1999 und 2005 fast 16 Prozent aller Wohnungen im Rahmen größerer Verkäufe ihren Besitzer. Vergleichbare Verkaufsquoten erreichten auch Berlin (12,4 Prozent) und das Rhein-Main-Gebiet (10 Prozent) – der bundesweite Durchschnittswert des Anteils von verkauften Wohnungen lag in diesem Zeitraum bei 2,5 Prozent. Wohnungsprivatisierungen und sonstige Transaktionen größerer Wohnungsbestände weisen also eine räumlich sehr ungleiche Struktur auf (Vesser 2006: 21f.).
Die Verkaufsaktivitäten konzentrieren sich in den Regionen, die in der Vergangenheit einen hohen Grad an öffentlichen und geförderten Wohnungsbeständen aufwiesen und verweisen auf einen engen Zusammenhang von Wohnungsbestandsstrukturen und Verkaufsaktivitäten. Insbesondere der deutsche Sonderweg der En-Bloc-Verkäufe setzt Strukturen größerer zusammenhängender Siedlungen voraus, denn dort sind Skaleneffekte der Bewirtschaftung und Rabattierung der Verkaufspreise zu erwarten. Die regionalen Wohnungsmarktsituationen scheinen nur einen nachrangigen Einfluss auf die Verkaufsaktivitäten zu haben. Große Wohnungsbestände wurden sowohl in Regionen mit angespannten Wohnungsmärkten (Frankfurt/Main) als auch in Städten mit Angebotsüberhängen und hohen Leerstandszahlen (Berlin, Nordrhein-Westfalen) abgewickelt.
2. Privatisierung als Finanzialisierung der
Wohnungsversorgung
Auch wenn in den politischen Debatten rund um die Entscheidungen für Wohnungsprivatisierungen immer wieder finanzpolitische Motive zur Stabilsierung öffentlicher Haushalte angeführt werden, sind die Verkaufsdynamiken nicht ursächlich auf fiskalpolitische Strategien der Länder und Kommunen zurückzuführen. Ein Blick auf die Erwerberstrukturen zeigt, dass Wohnungsprivatisierungen vor allem mit der Internationalisierung der Anbieterstrukturen auf deutschen Wohnungsmärkten verbunden sind. Die BBSR-Datenbank zu Wohnungstransaktionen weist allein für Wohnungsunternehmen aus dem angelsächsischen Ausland (686.000 Wohnungen) und anderen europäischen Ländern (140.000 Wohnungen) ein positives Transaktionssaldo für den Zeitraum 1999 bis 2009 aus (Claßen/Zander 2010: 382). Zusammen mit kleineren Ergänzungsverkäufen wird das Volumen internationaler institutioneller Anbieter in Deutschland auf etwa 850.000 Wohnungen geschätzt (Vesser 2006). Das entspricht einem Anteil von fast vier Prozent am gesamten Mietwohnungsbestand (GdW 2004: 11 und eigene Berechnungen). In den Städten mit hohen Privatisierungsquoten ist der Anteil entsprechend höher.
Neben den verkaufswilligen Kommunen mit großen Beständen werden anlagesuchendes Finanzkapital und günstige Zinsen als die zentralen Gründe für den aktuellen Privatisierungsboom beschrieben (Just 2006). Das Thema Wohnungsprivatisierung zeigt exemplarisch, wie globale und lokale Märkte aufs engste verzahnt sind. So wie lokalpolitische Entscheidungen den Auftritt der internationalen Finanzinvestoren ermöglichen, wirken deren Verwertungsstrategien auf die lokalen Wohnungsmärkte zurück.
Das Geschäft mit den Immobilien steht seit Beginn der kapitalistischen Urbanisierung auf der Tagesordnung der Stadtentwicklung. Bereits im Zeitalter der Industrialisierung und des schnellen Städtewachstums wurden die Stadterweiterungen von Bodenspekulation und profitorientierten Entwicklungsgesellschaften bestimmt. Unter kapitalistischen Bedingungen verwandelt sich der Boden selbst zur Ware und unterliegt den Verwertungslogiken. Neu ist jedoch die Struktur der aktuellen Akteure. Statt der traditionellen Immobilienentwickler und Wohnungsbauunternehmen waren es in den letzten Jahren zunehmend Finanzmarktakteure, die auf die Wohnungs- und Immobilienmärkte drängten.
Insbesondere durch den Verkauf von Wohnungen aus der öffentlichen Hand an überwiegend internationale institutionelle Anleger und die damit verbundene Privatisierungen von Wohnungsbaugesellschaften hat eine öffentliche Debatte um die Verwertungsstrategien und Investitionsmotive der neuen Eigentümer/innen begonnen. Kritiker/innen der massiven Privatisierungsprozesse in der letzten Dekade haben sich dabei nicht mit der Legitimationsrhetorik der ‚leeren Haushaltskassen‘ zufrieden gegeben, sondern die Verkäufe in den Kontext internationaler Kapitalkreisläufe gestellt: Angeregt von Debatten kritischer Geographen (Harvey 2009) und Ökonomen (Chesnais 2004) lassen sich die verstärkten Investitionen in deutsche und internationale Immobilien- und Wohnungsmärkte als Ausdruck eines ‚finanzdominierten Akkumulationsregimes‘ verstehen. Dahinter verbirgt sich die Beobachtung der zunehmenden Disparität zwischen der globalen Wertschöpfung und den, um ein vielfaches höheren Umsätzen der Finanzmärkte. Das Volumen der Devisentransaktionen entspricht dem 70fachen des weltweiten Handels mit Gütern und Dienstleistungen, der Handel mit Zinsderivaten ist sogar 100mal höher (Klein 2008: 94). Die nun in die Krise geratene Finanzwirtschaft der vergangenen 20 Jahre kann als eine Ökonomie der ungedeckten Schecks bezeichnet werden. Auf der einen Seite wurden immer neue Anlagemodelle in Fonds, Versicherungen und Derivatenhandel aufgelegt, auf der anderen Seite gab es immer weniger gewinnträchtige Produktionssphären, die diesen Handel tatsächlich hätten decken können. Die den Anleger/innen versprochenen Gewinne gerieten so in Gefahr. Als Ausweg solcher Verwertungskrisen wurden in der Geschichte der kapitalistischen Ökonomie regelmäßig Investitionen in den sogenannten ‚zweiten Kapitalkreislauf‘, also in große Bauprojekte, Immobilienmärkte und Infrastrukturen getätigt. David Harvey beschreibt diesen Vorgang als Absorption der Gewinne, um deren Reinvestition in Bereichen der Warenproduktion (‚erster Kapitalkreislauf‘) einzuschränken (Harvey 2004). Auch der Einstieg in vormals öffentliche Unternehmen oder der Erwerb von Patentrechten ist Teil einer Strategie, die Verwertungslogik auch auf die bisher marktfernen Gesellschaftsbereiche auszuweiten. Das überschüssige und damit nicht mehr renditefähige Kapital soll so von den Kapitalmärkten abgezogen werden, um die Verwertungsaussichten in den gewerblichen und produzierenden Sektoren der Wirtschaft zu stabilisieren. Auch der Einstieg in vormals öffentliche Unternehmen oder der Erwerb von Patentrechten ist Teil dieser Strategie. Sie hat jedoch zumindest im Bereich des Immobilienmarktes einen kleinen Haken: Auch die kurzfristig in den Immobilienmarkt abgeführten Investitionssummen müssen sich langfristig amortisieren und Gewinne erwirtschaften. Die längeren Umschlagszeiten des Kapitalkreislaufes im Immobilienbereich stellen somit nur eine kurzfristige Entlastung für die Verwertungskrisen dar. So wundert es nicht, dass die aktuelle Krise der Finanzmärkte ihren Ausgangspunkt in den Hauskauf-Krediten der amerikanischen Arbeiterklasse genommen hat. Die aktuelle Krise ist daher nicht nur die Krise des Finanzmarktes, sondern vielmehr die Krise der Krisenbewältigungsstrategien des Kapitals. Wenn man so will, ist der ‚zweite Kapitalkreislauf’ so etwas wie ein Rettungsring fürs Kapital, weil es als räumliche Fixierung von fixem Kapital insbesondere in seiner selbständigen Form (Marx 1858: 587) angesehen werden kann.
Nun wäre es ein Einfaches zu argumentieren, die Verwertungskrise der internationalen Finanzmarktökonomie sei nicht unsere Angelegenheit. Doch wie dargestellt hat sich die weltweite Finanzökonomie auf engste mit der Stadtentwicklung verknüpft, und die aktuelle Krise ist eben auch eine Krise der kapitalistischen Urbanisierung (Harvey 2008). Während traditionelle Wohnungsmarktprofite in der Regel über eine langfristige und substanzorientierte Strategie der Wertsteigerung realisiert wurden, orientieren sich die institutionellen Anleger an einer kurzfristigen bilanzorientierten Inwertsetzung. Praktisch äußert sich dieser Übergang von der Wohnungsverwaltung zur Wohnungsverwertung in einer Beschleunigung des Wohnungshandels und einer Differenzierung der Wohnungsbewirtschaftung. Die neuen Eigentümer/innen – ohne das Interesse an einer langfristigen Bestandsverbesserung ihrer Immobilien – setzen für große Teile ihrer Wohnungsbestände neue Methoden des effizienten Managements durch. In der Konsequenz werden dabei vor allem Instandsetzungsleistungen, Vermietungsservice und Personalkosten reduziert. Insbesondere in den einfachen Wohnlagen vieler privatisierter Siedlungen droht so eine schrittweise Verschlechterung der Wohnverhältnisse. Reduziert auf das schlichte Kerngeschäft der Wohnflächenvermietung bleiben für alle jene, die auf preiswerten Wohnraum angewiesen sind, letztlich Formen des Discount-Wohnens. Für einen (meist) kleineren Teil der erworbenen Immobilien orientieren sich die Finanzinvestor/innen an Verkäufen und der Umwandlung in Eigentumswohnungen. Insbesondere in nachgefragten Aufwertungsgebieten tragen solche Investitionsstrategien zur Aufwertung und beschleunigten Verdrängung teil. Während die Umwandlung in Eigentumswohnungen meist direkt auf den Austausch der Bewohner/innen zielt, werden beim Verkauf von Wohnhäusern die Modernisierungspotenziale mit auf den Preis aufgeschlagen und verstärken so indirekt den Aufwertungsdruck. Insbesondere auf das Umwandlungsgeschehen in den Städten wirkt sich die Finanzkrise sogar belebend aus. Analysten und Immobilienvermarkter haben in den vergangenen Monaten einen Anstieg von Kaufinteressent/innen festgestellt. Während die institutionellen Anleger sich auf den Wohn- und Immobilienmärkten zurzeit zurückhalten, investieren kleine und mittlere Privatanleger, die noch nicht alles Vermögen verloren haben, nun lieber „in Betongold“ als an den unsicheren Aktienmärkten. Für viele Privatisierungserwerber eröffnet sich damit eine willkommene Exitstrategie für die erworbenen Wohnungsbestände.
3. Neue Anbietertypen und neue Bewirtschaftungsstrategien
Privatisierung ist nicht nur als Entstaatlichung zu verstehen, sondern vor allem als der Ein- und Aufstieg eines neuen Investorentyps auf den Wohnungsmärkten. Insbesondere der deutsche Sonderweg von großen Transaktionen durch En-Bloc-Privatisierungen erwies sich für institutionelle Anleger als besonders attraktiv. Infolge von Privatisierungen und anderen Wohnungskäufen wird der Bestand dieser neuen Eigentümertypen auf etwa 850.000 Wohnungen geschätzt. Namen wie Cerberus, Apellas, Deutsche Annington und Fortress als neue Akteure auf dem deutschen Wohnungsmarkt stehen für diesen Trend. Mit der zunehmenden Relevanz von institutionellen (und oft internationalen) Investoren auf den Wohnungsmärkten in Deutschland haben sich auch neue Bewirtschaftungsstrategien durchgesetzt. Typisch für die neuen Anbieter ist die verhältnismäßig geringe Eigenkapitalquote von maximal 15 Prozent bezogen auf die Wertsubstanz der von ihnen bewirtschafteten Wohnungsbestände.
Ein zentrales Prinzip des neuen Eigentümertypus besteht in der Trennung von Eigentum und Wohnungsverwaltung. Im Gegensatz zu klassischen Wohnungsbauunternehmen geht es nicht mehr um Substanzsicherung und effektive Bewirtschaftung, sondern um Portfoliohandel. Modernisierung und Aufwertung dienen weniger der Wertsteigerung für langfristig höhere Mieteinnahmen, sondern sind meist ein Zwischenschritt zu Verkauf und Umwandlung in Eigentumswohnungen. Durch die günstigen Finanzierungskredite hoffen die Investoren bei Verkäufen auf sogenannte Leverage-Effekte, also Gewinnen aus der Differenz von Rendite und Zinsaufwand.
Typisch für die Bewirtschaftungspraxis von Finanzinvestoren ist die weitgehende Zurückhaltung bestandsbezogener Aktivitäten. Im Fall der Berliner GSW wurden seit dem Verkauf 2004 nur in knapp sieben Prozent der Wohnungen Modernisierungsarbeiten begonnen, während mehr als die Hälfte des Unternehmensbestandes in Transferaktivitäten einbezogen wurde (Holm 2006a). Eine Übersicht der Geschäftsaktivitäten zeigt den Übergang von der Substanz- zur Bilanzorientierung der Wohnungsbewirtschaftung. Wohnungshandel und eine Neuordnung der Kreditlinien haben nur einen geringen Einfluss auf den Vermietungsstand und die Wohnqualitäten in den erworbenen Wohnungen – wirken sich aber zentral auf das Geschäftsergebnis des Unternehmens aus und stehen für die zunehmende Verschmelzung von Wohnungswirtschaft und internationalen Finanzmärkten (Krätke 1995: 222).
Der Wohnungshandel ist oft die sichtbarste Aktivität der neuen Eigentümer. Der Immobilienbestand von Cerberus in Deutschland beispielsweise umfasst etwa 110.000 Wohnungen. Seit dem Kauf der Berliner GSW (66.000 Wohnungen) war Cerberus an mindestens neun weiteren Transaktionen beteiligt. Insgesamt wurden mehr als 12.000 Wohnungen erworben und etwa 27.000 Wohnungen verkauft. Die Transaktionen betrafen insgesamt 54 Prozent des privatisierten Wohnungsbestandes. Durch diese Transaktionen und den Verkauf des Geschäftsstellenhauses der GSW konnte Cerberus innerhalb von zwei Jahren etwa ein Viertel des Kaufpreises der GSW rekapitalisieren.
Die Umschuldungen und Eröffnung neuer Kreditlinien gehören regelmäßig zu den ersten Aktivitäten nach dem Erwerb von vormals öffentlichen Wohnungsbeständen. Sie sicherten zumindest in den vergangen Jahren positive Geschäftsbilanzen der Unternehmen und reduzierten die Ausgaben im Finanzbereich deutlich. Institutionelle Anleger versuchten zudem oft, über eine Neubewertung der Bestände die Bilanzen zu verbessern. Da die Umsätze aus dem sogenannten Leistungsbereich, also vor allem der Vermietung von Wohnungen, als relativ stabil angesehen werden kann, können die Finanzierungskosten für Kapitaltilgung und Zinsen aus dem laufenden Betrieb getragen werden. Der zuständige Fachbereichsleiter der Gewerkschaft ver.di schätzt etwa für Cerberus ein, dass der Kaufpreis der GSW bereits nach acht Monaten aus der Gesellschaft gezogen und refinanziert war. Die fortlaufend fälligen Kapitalmarktkosten kann Cerberus aus den jährlich über 300 Mio. Euro Umsatzeinnahmen des Mietgeschäfts finanzieren. Nicht umsonst gelten „Anlagen im Wohnungs- und Immobiliensektor unter den Finanzinvestoren als relativ risikoarmes Geschäft. Der Total Return ist mit 4,7 % im Jahresdurchschnitt nicht sonderlich hoch, aber hinsichtlich der Ertragsstabilität sind deutsche Wohnimmobilien jedoch unübertroffen sicher...“ (Gondring 2006: 6). Wird diese Anlage mit einem relativ geringen Eigenkapitalanteil auf der Basis von günstigen Kreditlinien finanziert und aus der laufenden Bewirtschaftung refinanziert, dann versprechen selbst scheinbar kleine Zusatzgeschäfte wie die Verkäufe des Geschäftsstellenhauses und kleiner Wohnungsbestände eine deutliche Rendite.
Modernisierungsarbeiten im Wohnungsbestand ergänzten die Aktivitäten von institutionellen Wohnungserwerbern. In ausgewählten Siedlungen werden die Modernisierungsarbeiten forciert. In Berlin wurden dabei Mietsteigerungen von bis zu 3,00 Euro/qm angekündigt – für viele Mietparteien würde dies eine Verdoppelung der Grundmiete bedeuten. Die modernisierten Wohnungen werden für durchschnittlich 1.400 Euro/qm zum Kauf angeboten. Insgesamt wurde jedoch nur in knapp 5.000 Wohnungen der GSW mit Modernisierungsarbeiten begonnen – das sind etwa sieben Prozent des Gesamtbestandes. Wie bereits bei den Verkäufen scheint es sich bei den Modernisierungen nicht um eine umfassende Strategie, sondern eher um zielgerichtete und ausgewählte Aktivitäten zu handeln. Insbesondere die Umwandlungsperspektive dürfte dabei für die Eigenkapitalrendite an Bedeutung gewinnen.
Als aktives Management bezeichnet, wurden auch im klassischen Vermietungsgeschäft Optimierungsspielräume gefunden. Nicht bei den Mieteinnahmen – die wurden bereits vor der Privatisierung weitgehend ausgeschöpft, sondern bei der Bewirtschaftung. Neue Tarifverträge, die konzerninterne Konkurrenz um die günstigste Wohnungsverwaltung und eine neue Verwaltungssoftware bilden die Grundlage für das neue Geschäftsverhalten. Bei der GSW in Berlin wurde kurze Zeit nach der Privatisierung ein neuer Tarifvertrag abgeschlossen, mit dem ein leistungsorientiertes flexibles Arbeitszeit- und Entlohnungsmodell eingeführt wurde. Auch die Struktur der Serviceleistungen wurde umgestellt. Statt der bisherigen Hauswarte (die mit vielen Aufgaben in übersichtlichen Beständen betraut waren) gibt es nun eine striktere Trennung der Aufgaben. Spezialisierte Facharbeiten sollen in Zukunft von Hausmeistern übernommen werden, während beispielsweise die Reinigungsarbeiten in Häusern und Wohnumfeld künftig von schlechter entlohnten Reiniger/innen übernommen werden sollen. Die Differenzierung der hausnahen Verwaltungsfunktionen bringt ein Zwei-Klassen-System der GSW-Belegschaft hervor und drückt die Personalausgaben. Zugleich erhöht die Rationalisierung der Bewirtschaftung in übersichtliche Teilaufgaben den Druck, mit anderen, preiswerteren Anbietern zu konkurrieren.
Mieterprivatisierungen, also der direkte Weiterverkauf der erworbenen Wohnungen an die Mieter/innen stellt eine weitere Strategie der institutionellen Anleger dar. In Berlin sind die Versuche solcher Mieterprivatisierungen bisher nur wenig erfolgreich, da sich die Mietpreise noch deutlich unter dem Niveau von Finanzierungskosten einer Eigentumswohnung bewegen. In Städten mit angespannten Wohnungsmärkten ist der Anteil der Mieterprivatisierungen deutlich höher. Untersuchungen zu den Wohnungsbeständen der Deutschen Annington (v.a. in NRW und dem Rhein-Main-Gebiet) bestätigen die Bedeutung von Mieterprivatisierungen. Im Zeitraum von 2003 bis 2007 wurden fast 40.000 Wohnungen an vormalige Mieter/innen verkauft – das entspricht etwa 22 Prozent der insgesamt erworbenen Bestände. Insbesondere in innerstädtischen Vorzugslagen wurden erhebliche Anteile der privatisierten Wohnungen direkt an die Mieter/innen verkauft (Holm 2009: 49f.)
Discountwohnen kann als eine Vermietungsstrategie von nicht oder nur schwer verkauf- und modernisierbaren Beständen beschrieben werden. In vielen Städten orientieren sich die Finanzinvestoren ganz bewusst an den sozialpolitischen Vorgaben und Richtlinien im Zusammenhang mit Hartz IV. In Berlin liegen etwa 85 Prozent der privatisierten Bestände in Wohngegenden, die dem Baualter und der Lage nach überwiegend im Rahmen der Bemessungsgrenzen liegen. Untersuchungen des Wohnungsangebotes zeigten, dass sich etwa 20 Prozent der von Finanzinvestoren angebotenen Wohnungen mit ihren Mietpreisen direkt an den Bemessungsgrenzen orientieren (Holm 2006b). Die Etablierung eines Billigmarktsegments steht dabei nicht im Widerspruch zu den Renditeinteressen der Anleger. Im Gegenteil: Eine über die Sozialkassen des Landes finanzierte Garantiemiete ist die Voraussetzung für gewinnbringende Extra-Aktivitäten. Ein hoher Vermietungsstand und regelmäßige Mieteinnahmen reichen in der Regel aus, um die laufenden Kreditkosten der mit viel Fremdkapital erworbenen Wohnungsunternehmen zu refinanzieren. Modernisierungen und Einzelverkäufe hingegen sichern die hohe Verzinsung des (geringeren) Eigenkapitalanteils. In Dresden (wo mit der Wohnungsbaugesellschaft WOBA alle kommunalen Wohnungen an Fortress verkauft wurden) befürchten die Wohnungsgenossenschaften sogar steigende Leerstandszahlen in ihren Beständen, weil sie davon ausgehen, dass Fortress sich mit Dumpingpreisen am lokalen Wohnungsmarkt durchsetzen will (Glatter 2007). In Berlin stehen die Finanzinvestoren eher in Konkurrenz zu den verbliebenen kommunalen Wohnungsbaugesellschaften.
Die bisherigen Beobachtungen weisen auf einen Mix ausdifferenzierter Bewirtschaftungs- und Investitionsstrategien, die ein pauschales Szenario der sozialräumlichen Folgen nicht zulassen. Die Modernisierungsaktivitäten in Teilsektoren der erworbenen Bestände sind Aufwertungsstrategien, die letztlich auf eine Umwandlung in Eigentumswohnungen zielen. Betroffen davon sind Bestände in besonders attraktiven Lagen oder mit speziellen förderpolitischen Voraussetzungen. Andere Modernisierungsmaßnahmen konzentrieren sich auf denkmalgeschützte Beständen, da dort beim Kauf der Wohnung besonders günstige Abschreibungsmodelle offeriert werden können.
4. Auswirkungen für die Wohnungsversorgung und die Stadtentwicklung
Insbesondere die Anlageorientierung der neuen Eigentümer unterscheidet sich von den bisherigen überwiegend substanzorientierten Eigentümerstrategien traditioneller Wohnungsunternehmen. Eine Privatisierungsfolgenabschätzung steht vor der Aufgabe, ausgehend von den wirtschaftlichen Eigenlogiken der institutionellen Anleger, die tatsächlichen Effekte der Privatisierung auf die Strukturen der Wohnungsversorgung und die Stadtentwicklung zu untersuchen.
4.1. Auswirkungen der Privatisierung auf die Wohnverhältnisse
Ausgehend von der Analyse von differenzierten Bewirtschaftungsstrategien in den privatisierten Wohnungsbeständen können keine pauschalen Aussagen über die unmittelbaren Auswirkungen der Wohnungsverkäufe auf die Wohnqualität und das Mieter-Vermieter-Verhältnis getroffen werden. Erste vorliegende Studien verweisen auf eine zumindest im Durchschnitt vergleichsweise moderate Mietpreisentwicklung in den privatisierten Wohnungen. Eine vergleichende Untersuchung der Neuvermietungsangebote von kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und ,Neuen Investoren‘ in mehreren deutschen Großstädten gelangte 2006 zu dem Ergebnis, dass die Angebotsmieten der privatisierten Wohnungsbestände unter denen der kommunalen Wohnungsangebote lagen; fast die Hälfte aller annoncierten Wohnungen wurden zu Nettomietpreisen unter 5,00 Euro/qm angeboten (Hallenberg 2006: 342). Die unterschiedliche Mietpreisbildung kann auch auf die baustrukturelle Zusammensetzung der Wohnungsbestände zurückgeführt werden – der Anteil von einfach ausgestatteten Zeilenbauten der 1920/30er Jahre und der Nachkriegszeit ist bei den ,Neuen Investoren‘ höher. Dennoch verweisen die Daten auf die wachsende Versorgungsfunktion der institutionellen Anbieter für Haushalte mit niedrigen Einkommen.
Neben der Mietpreisgestaltung verweist eine Studie von Sebastian Müller zu den „Risiken für Mieter in privatisierten Beständen“ (Müller 2008) auf eine deutliche Verschlechterung der Wohnqualität. Auf der Basis von Mieterinterviews wurden die Auswirkungen der Umstellung des Facilitymanagments auf ortsferne Hausverwaltungen und die Standardabsenkungen der Bau- und Grünflächenunterhaltung untersucht. Neben den faktischen Verschlechterungen von Instandhaltung und der Erreichbarkeit von Serviceleistungen verwies die Studie auch auf eine allgemeine Verunsicherung der Mieter/innen, die auf den Wechsel von einer vermeintlich sozialorientierten öffentlichen an eine profitorientierte private Eigentümergesellschaft zurückgeführt wurde.
4.2. Auswirkungen der Privatisierung auf die Stadtentwicklung
Neben den unmittelbaren Auswirkungen auf die Wohnungsversorgungsqualität wurden mit der Privatisierung auch die möglichen stadträumlichen Folgen diskutiert. Private Equity Fonds (PEF) und andere institutionelle Anbieter sind dabei in Deutschland ein relativ neues Phänomen und empirische Erkenntnisse zu den wohnungspolitischen und stadtentwicklungspolitischen Folgen liegen noch nicht vor. Befürchtet werden jedoch bestandsbezogene Investitions- bzw. Desinvestitionsstrategien, die die Gefahr der sozialräumlichen Spaltung in den Städten verstärken. Die Struktur der privatisierten Wohnungsbestände bestärkt diese skeptischen Prognosen, denn verkauft werden häufig Bestände in bisher preiswerten Wohnungsmarktsegmenten. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund schätzt ein, dass überdurchschnittlich oft Wohnungen verkauft werden, die wegen „ihrer Lage in unbeliebten Wohngegenden, ihrer 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahre-Architektur und ihrer Sanierungsbedürftigkeit (…) von einheimischen Immobilienfirmen ‚verschmäht’ werden“ (Deutscher Städte- und Gemeindebund 2007). Verschiedene Studien zeigen, dass die Privatisierungsquoten in Großstädten höher ausfallen als in Klein- und Mittelstädten. Damit sind also überdurchschnittlich jene öffentlichen Wohnungsbestände betroffen, die bei der Versorgung von ökonomisch benachteiligten Haushalten mit preiswerten Wohnungen eine zentrale Rolle spielten und in vielen Städten als wichtiges Instrument einer sozialräumlichen Integration angesehen wurden.
Das zentrale Element vieler Befürchtungen vor unsozialen Effekten der Privatisierung bezieht sich auf den Verlust der öffentlichen und kommunalen Handlungsspielräume. Unterstellt wird dabei regelmäßig eine ausgeprägte Versorgungsfunktion kommunaler Wohnungsbestände für ärmere Haushalte und eine mietpreisdämpfende Wirkung auf die städtischen Wohnungsmärkte. Diese Wirkungszusammenhänge müssen angesichts der zunehmend betriebswirtschaftlich orientierten Bewirtschaftungspraxis kommunaler Wohnungsunternehmen in Frage gestellt werden. In Hamburg und Berlin beispielsweise sind die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften angehalten, die mietrechtlich möglichen Mieterhöhungsspielräume auszunutzen, um jährliche Dividendenzahlungen von jeweils 100 Mio. Euro an die Haushaltsklassen zu gewährleisten. Sozialpolitische Versorgungsfunktionen und stadtentwicklungspolitische Steuerungspotenziale werden so dem fiskalpolitischen Spardiktat geopfert.
Die Verringerung kommunaler Steuerungsfähigkeit in Stadtentwicklungsprozessen ist nicht allein auf die Privatisierungen zurückzuführen, sondern ist Ausdruck eines größeren Trends der Liberalisierung und Deregulierung der Wohnungsversorgung. Die Wohnungsverkäufe fallen in eine Zeit des allgemeinen Rückzugs des Staates aus der Wohnungspolitik. Der soziale Wohnungsbau reduziert sich durch geringere Fördervolumen jährlich um 100.000 Wohnungen. Lag der Anteil in den 1980er Jahren noch bei etwa 20 Prozent aller Wohnungen, so liegt er inzwischen bei lediglich sechs Prozent. Grund dafür ist die marktorientierte Fördersystematik: Soziale Bindungen für geförderte Wohnungen gelten nur solange, bis die Förderkredite zurückgezahlt sind. Der österreichische Wohnungspolitikexperte Christian Donner bezeichnete diese Förderstruktur treffend als „soziale Zwischennutzung“ (Donner 2000).
Die befürchtete Verschärfung von Segregationsdynamiken in deutschen Städten ist nicht allein auf die Privatisierungsdynamiken zurückzuführen, sondern auf den übergreifenden Trend der (Re)Kommodifizierung der Wohnungsversorgungssysteme. Wohnungsprivatisierungen und insbesondere der damit verbundene Aufstieg der institutionellen Anleger sind eine zugespitzter Ausdruck dieser Entwicklung.
5. Wohnungsprivatisierung: Tendenz Raub
Die Beurteilung von Wohnungsprivatisierungen muss auf zwei Ebenen erfolgen. Unabhängig von den unmittelbaren Auswirkungen auf den Zugang und die Qualität der Wohnungsversorgung in den privatisierten Beständen sollten die Privatisierungen auch in ihren politischen und ökonomischen Dimensionen untersucht werden.
Einen Ansatz für die politökonomische Einordnung von Privatisierungsprozessen bietet die Frage nach den gesellschaftlichen Funktionen einer öffentlich organisierten Wohnungsversorgung im Zeitraum vor der Privatisierung. In der klassischen Kritik der Politischen Ökonomie werden öffentliche Güter als „allgemeine Produktionsbedingungen“ (Marx 1858: 422ff.) verstanden. Elmar Altvater verweist in diesem Zusammenhang auf notwendige Aufgaben für einen reibungslosen Reproduktionsprozess, „die für das individuelle Kapital nicht vorteilhaft sind und daher nicht erfüllt würden, würde man sie individuellen Kapitalisten überantworten. Sie müssen folglich von der öffentlichen Hand finanziert und bereit gestellt werden.“ (Altvater 2003: 181) Der öffentliche Wohnungsbau übernimmt in dieser Perspektive die klassische Position des „ideellen Gesamtkapitalisten“, der allgemeine Produktionsbedingungen sichert, ohne jedoch einen einzelkapitalistischen Mehrwert zu erzeugen.
Eine ganz ähnliche Argumentation ist auch bei Michael Harloe zu finden, der sich bereits in den 1980er Jahren mit der Politik der Wohnungsprivatisierung in Großbritannien auseinandersetzte. Auf der einen Seite ordnet er die öffentlichen Wohnungsversorgungssysteme in den Trend einer Sozialisierung der Konsumtion ein, die als wesentliche Voraussetzung der kollektiven Reproduktion der Arbeiterklassen in Industriegesellschaften angesehen wird (Harloe 1985: 256f.). Der sozialisierte und öffentliche Wohnungsbau der Nachkriegszeit sei dabei hauptsächlich – so Harloe – auf die unmittelbar in den Produktionsprozess eingebundenen Teile der Arbeiterschaft beschränkt geblieben. Insbesondere Teile des Industriekapitals unterstützen diese Sozialisierung der Wohnungsversorgung, weil sie ein Interesse an einer „ausreichend ausgebildeten, ausreichend wohnenden und gesunden Arbeiterschaft“ (Harloe 1985: 258) hatten. Die Versorgung von marginalisierten Teile der Arbeiterklasse hingegen hatte keinen zentralen Stellenwert und war „bemerkenswert beschränkt, minderwertig und vielleicht sogar von strafendem Charakter“ (Harloe 1985: 259).
Auf der anderen Seite leuchtet Harloe die Funktionen des öffentlichen Wohnungsbaus für die Immobilienwirtschaft aus. Beispiele von Wohnungspolitiken der Zwischen- und Nachkriegszeit in verschiedenen Ländern zeigen, dass öffentlicher und sozialer Wohnungsbau immer nur die Lücken in unrentablen Segmenten der privaten Wohnungswirtschaft füllte. Während weite Teile der Arbeiterklassen aufgrund der hohen Kosten vom Erwerb eines Eigenheims ausgeschlossen blieben, konnten private Mietwohnungsmärkte angemessene Wohnungen zu einem vertretbaren Preis nicht in ausreichender Anzahl bereitstellen. Diese Versorgungslücke füllten u.a. öffentliche Wohnungsunternehmen. Der öffentliche Wohnungsbau wies dabei Tendenzen der Dekommodifizierung auf: „Wenn die Wohnungen von öffentlichen nicht profitorientierten Unternehmen gebaut werden, mit Geld aus dem allgemeinen Steueraufkommen und nicht mit kommerziellen Krediten, auf Grundstücken, die zum Wert unterhalb des Marktwertes enteignet wurden – dann bedeutet das eine fast vollständige ,Entwertung des Prozesses‘.“ (Harloe 1985: 264)
Genau wegen dieser Tendenz der Entwertung blieb der öffentliche Wohnungsbau in den meisten Gesellschaften ein temporäres und vorübergehendes Instrument, dass so lange genutzt werden sollte, bis der Markt selber wieder zur angemessenen Versorgung mit Wohnungen in der Lage sei. „Das Ausmaß und die Art der sozialisierten Wohnungsversorgung (blieb) tendenziell begrenzt und von den kapitalistischen Interessen geprägt.“ (Harloe 1985: 257)
Der Prozess der Reprivatisierung der Wohnungsversorgung setzte dann folgerichtig ein, als steigende Einkommen und Vermögen für breitere Schichten der Bevölkerung den Zugang zu Eigenheimen und teureren Mietwohnungen ermöglichten. Sowohl Suburbanisierungsprozesse als auch die Modernisierung von weiten Teilen der Innenstädte stehen für solche privaten und marktwirtschaftlichen Investitionsstrategien.
Die Privatisierungsexzesse der vergangenen Dekade stehen jenseits der unmittelbaren wohnungswirtschaftlichen Verwertung also v.a. für die Möglichkeit, die Wohnungsversorgung in eine finanzmarktbezogene Verwertungsanlage zu verwandeln. Erst mit der zunehmenden Verknüpfung von Wohnungswirtschaft und Finanzmärkten wurde eine Rekapitalisierung öffentlicher Wohnungsbestände möglich. Der Einstieg von institutionellen Anlegern in den Wohnungsmarkt kann als Teil einer „globalen Enteignungsökonomie“ (Zeller 2004) beschrieben werden, geht es doch auch hier um nichts anderes als die Inkorporation bisher marktferner gesellschaftlicher Bereiche in die finanzwirtschaftlichen Verwertungszyklen.
Literatur
Aalbers, Manuel 2004: Promoting home ownership in a social-rented city: policies, practices and pitfalls. Housing Studies, 19/3, pp. 483-495
Altvater, Elmar 2003: Was passiert, wenn öffentliche Güter privatisiert werden? In: Peripherie Nr. 90/91, 23. Jg., Münster, 171-201
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