Auf die Veränderungen der Rohstoffmärkte reagieren deutsche Unternehmen und die Politik mit einer neuen Strategie. Ihre Kernelemente sind: Marktöffnung im Ausland in Verbindung mit erweiterten staatlichen Hilfen für deutsche Unternehmen, Diversifizierung der Lieferanten und Transportwege sowie die Neujustierung der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik.
Steigende Rohstoffpreise und wachsende Abhängigkeit
Der Rohstoffindex des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA 2006) weist aus, dass die Preise von Anfang 2003 bis Ende 2006 insgesamt um über 80 Prozent gestiegen sind. Kletterte der Preis von Rohöl zwischen Anfang 2003 und Ende 2006 um 100 Prozent, so verdoppelte sich auch derjenige für Eisenerz und Stahlschrott und der für NE-Metalle stieg um über 128 Prozent. Der Preis einzelner Metalle verfünffachte sich sogar. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) beklagt in einer Studie zur Rohstoffsicherheit, dass die Preisanstiege auf den internationalen Rohstoffmärkten zu teilweise massiven Steigerungen der Produktionskosten geführt und die Gewinne der Unternehmen unter Druck gesetzt hätten. Dies beeinträchtige ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig (BDI 2007a).
Die deutschen, aber auch die europäischen Industrien sind im Rohstoffbereich hochgradig importabhängig und verfügen nur über sehr begrenzte einheimische Fördermöglichkeiten. Die Abhängigkeit von Importen fossiler Brennstoffe wird perspektivisch noch zunehmen, da ein Umstieg auf alternative Energien mittelfristig keinen Ersatz bietet und die bekannten europäischen Öl- und Gasreserven sich dem Ende zuneigen und nicht ausreichen, um den wachsenden Bedarf zu befriedigen (EK 2002). Die Importabhängigkeit betrifft aber neben den energetischen auch die mineralischen Rohstoffe wie Eisenerze und Metalle, die in der Wertschöpfungskette gerade der führenden deutschen Exportindustrien (von der Luft- und Raumfahrttechnik über den Maschinenbau, die Elektrotechnik- und Elektronikindustrie bis hin zur Automobilindustrie) von grundlegender Bedeutung sind (BDI 2006).
„Arbeitsteilung für Rohstoffsicherheit“
Die Preissprünge auf den internationalen Rohstoffmärkten seit Anfang des Jahrtausends gaben dem BDI schon 2005 Anlass, eine hochkarätig besetzte Rohstoffkonferenz in Berlin auszurichten. „Was uns alle verbindet“, eröffnete BDI-Präsident Jürgen Thumann die Veranstaltung, „ist die Sorge um unsere Rohstoffsicherheit [...] Die angespannte Lage auf den Rohstoff-Weltmärkten betrifft fast die gesamte Industrie. Viele Unternehmen haben mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen.“ Thumanns Publikum setzte sich zusammen aus Vertretern vieler Industriebranchen, Bundestagsabgeordneten, Ministerialbeamten auch der Europäischen Union, Mitarbeitern der Stiftung Wissenschaft und Politik sowie dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Dieser machte in seiner anschließenden Rede auf die Verbindung des Erfolgs deutscher Unternehmen auf den internationalen Märkten mit den „Verteilungsspielräumen“ in der deutsche Innenpolitik aufmerksam. Schröder wollte die von seinem Vorredner angemahnte staatliche Unterstützung der Wirtschaft nicht auf Fragen der unmittelbaren Handels- und Wirtschaftspolitik beschränken: „Für eine verlässliche und bezahlbare Rohstoffversorgung brauchen wir sichere und politisch stabile Lieferländer. Es geht dabei vor allem um die Stabilisierung fragiler Regionen und vom Zerfall bedrohter Staaten. Das betrifft die Region des Nahen und Mittleren Ostens, wo wir erste positive Entwicklungen sehen. Es betrifft den afrikanischen Kontinent [...] Wir sind dabei, die Möglichkeiten, die wir im Rahmen der Europäischen Union zur Herstellung von mehr Stabilität haben, auch zu nutzen.“ (BDI 2005)
In diesem Sinne haben sowohl die rot-grüne als auch die schwarz-rote Bundesregierung die Arbeit am Ausbau der Europäischen Union (EU) zu einem global player, der auch militärisch international ordnend eingreifen kann, konsequent weiterbetrieben. Da bis zur Gründung einer schlagkräftigen „Euro-Armee“ aber noch Jahre vergehen können (Varwick 2007: 46), setzt die EU bis auf weiteres eher auf ihr wirtschaftliches Gewicht: „Was läge unter diesen Umständen näher, als mit der geballten Macht der EU-27, einem der größten Energieverbraucher, die Beziehungen zu den Liefer- wie aber auch zu den Transitländern neu auszuhandeln?“, fragt die Bertelsmann-Stiftung, eine der wichtigsten neoliberalen Denkfabriken (Bertelsmann 2007). Die unter der deutschen Ratspräsidentschaft verabschiedete EU-Marktöffnungsstrategie, die dem Abbau aller Arten von Handelshindernissen für transnational aktive EU-Unternehmen vorantreiben soll, zielt vor allem auch auf die Rückdrängung staatlicher Interventionen im Bereich des Rohstoffhandels. EU-Kommissar Mandelson stellte sie mit den Worten vor, die EU werde „eigenmächtige Handelsbeschränkungen in Ländern außerhalb Europas nicht mehr hinnehmen“, und er fügte hinzu, „Ich bin sehr für Dialog, aber er muss auch zu etwas führen, sonst sehen wir uns gezwungen, andere Schritte einzuleiten.“ (EK 2007: 9). Im März 2006 stellte die EU-Kommission ein Grünbuch für eine europäische Strategie zur Energiesicherheit vor. „Geostrategische Fragen“, bemerkte der Berichterstatter der CDU-CSU-Fraktion, Kurt-Dieter Grill, seien „allein in Deutschland nicht lösbar. Hier muss auf die enge Zusammenarbeit mit der Europäischen Union hingewiesen werden.“ (Grill 2007)
Im Ergebnis des Rohstoffkongresses von 2005 richtete der BDI eine bei seinem Präsidium angesiedelte Arbeitsgruppe „Internationale Rohstofffragen“ ein. Deren Vorsitz führt Ulrich Grillo, ein ehemaliger Spitzenmanager der Rheinmetall AG. Die Präsidialgruppe Rohstofffragen war seither an der Erarbeitung einer Reihe von Papieren beteiligt, die sich mit unternehmerischen und staatlichen Strategien zur Rohstoffsicherung auseinandersetzen und inhaltlich den zweiten Rohstoffgipfel des BDI Ende März 2007 vorbereiteten.
Unter dem Titel „Rohstoffsicherheit – Anforderungen an Industrie und Politik“ präsentierte die Präsidialgruppe ihren Ergebnisbericht, der einleitend auf die „strategische Bedeutung“ der Rohstoffversorgung „für den Wirtschaftsstandort Deutschland“ verweist. Der Bericht macht den „Rohstoffhunger der Schwellenländer“ als einen der zentralen Katalysatoren der kritischen Entwicklung auf den Weltrohstoffmärkten aus und schlägt zum Umgang mit den Problemen der deutschen Rohstoffimporteure die Einrichtung eines Interministeriellen Ausschusses Rohstoffpolitik vor, „der die politischen Kräfte bündelt und sich der Anliegen der Industrie annimmt“ und in dem Vertreter aller mit außenpolitischen Themen befassten Ministerien sowie des BDI zusammenarbeiten sollen. Handlungsbedarf bestehe auf staatlicher Seite vor allem in der Außen-, Handels- und Entwicklungspolitik. „Die Politik muss sich dort kümmern, wo die unternehmerischen Möglichkeiten erschöpft, wo jedoch politische Gestaltungsmöglichkeiten vorhanden sind“, fordert der Bericht (BDI 2007a).
Kritik äußern die Beteiligten vor allem an China, dem wichtigsten der „rohstoffhungrigen Schwellenländer“. Das Land setze bei der Rohstoffakquisition auf eine „Gesamtstrategie“, als Teil derer sich die Regierung als Mittler und Makler chinesischer Unternehmen im Ausland verdinge. Demgegenüber müssten deutsche Unternehmen oft das Nachsehen haben, da sie sich allein auf die Kräfte des Marktes verließen. Der Anstieg der Rohstoffpreise, der auf die deutlich gesteigerte Nachfrage folgt, wird so zu einem Ergebnis unfairer staatlicher Intervention und also zur Marktverzerrung uminterpretiert (Tull 2005).
Kanzlerin Angela Merkel, zum zweiten Rohstoffkongress als Rednerin geladen, bestätigte das Problem der staatlichen Intervention zugunsten der Konkurrenten deutscher Unternehmen: „[W]o immer in der Welt wir hinkommen, waren oft schon Politiker da, die sich für (ihre) Staaten bestimmte Rohstoffreserven gesichert haben, und das auf ziemlich lange Zeit.“ (Merkel 2007b) Die Politik habe „die Zeichen der Zeit erkannt“: In Bezug auf die Rohstoffversorgung werde die Annahme, „dass sich die Wirtschaft schon ganz allein darum kümmern kann, nicht mehr den aktuellen Gegebenheiten gerecht.“ Als einen ersten Schritt werde die Regierung den Interministeriellen Ausschuss Rohstoffpolitik einrichten: „Sie erhalten das, was Sie sich gewünscht haben, nämlich ein Forum, in dem Sie Ihre Sorgen und Initiativen mit den politischen Akteuren vernetzen können.“
Strategie der Öffnung
Um auf die „chinesische Herausforderung“ zu reagieren, plädiert der Spiegel-Redakteur Gabor Steingart in einem viel diskutierten Buch dafür, dass die Europäische Union ihrerseits mit der Androhung protektionistischer Mittel reagieren solle (Steingart 2006). Diese Forderung wird von der deutschen Industrie mehrheitlich abgelehnt. Deutschland profitiere als „Exportweltmeister“ von einer liberalisierten Weltwirtschaft und müsse in internationalen Organisationen wie der WTO konsequent für Freihandel und gegen Wettbewerbsbeschränkungen eintreten. Die Androhung protektionistischer Maßnahmen wäre ein völlig falsches Signal. Und auch die Bundesregierung betont, dass Deutschland „das Ziel einer möglichst weit reichenden Liberalisierung der Weltmärkte gerade auch bei Rohstoffen weiter mit Nachdruck“ verfolgen wird (Bundesregierung 2007: 2). Angesichts der ungleichen Kaufkraft der globalen Konsumenten vertraut die deutsche Industrie noch weitgehend auf die eigene Stärke.
Die Strategie der Öffnung verfolgt einerseits das Ziel, durch eine weitere Liberalisierung des Binnenmarktes eine Steigerung der Produktivität und eine Senkung der (Lohn-)Kosten zu erreichen. Andererseits soll die Liberalisierung der weltweiten Investitions- und Handelsregime deutschen Unternehmen freien Zugriff auf weltweite Rohstoffquellen und Rohstoffindustrien im Ausland sichern (Scheer 2005: 146ff). Der Ausgangspunkt war nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten die Energie-Charta von 1994. Sie verpflichtet die Unterzeichner auf die Privatisierung der Ressourcenvorräte und Transitwege (Pipelines etc.), sowie auf den freien Gewinntransfer (Grätz 2006).
Im Bereich Rohstoffförderung und -export existiert aber aufgrund der geringen Zahl der Anbieter und der Langfristigkeit der Investitionsvorhaben kein freier Markt. Seit den 1970er Jahren gibt es eine Tendenz zur staatlichen Kontrolle der Erdölproduktion im Nahen Osten (Bromley 2005). Lateinamerikanische Regierungen verstaatlichen ihre Rohstoffindustrien (vgl. den Beitrag von Bea Müller in diesem Heft), der russische Staat sichert sich (vgl. Heinrich 2006) den eigenen Einfluss über Rohstoffförderung und -export und ist nicht bereit, die Energie-Charta zu ratifizieren. China betreibt eine staatlich gelenkte Wirtschaftspolitik und benutzt gerade auch im Bereich Rohstoffhandel protektionistische Mittel. Ein Beispiel, das von der deutschen Industrie in letzter Zeit kritisiert und von der Bundesregierung auf die Agenda der WTO-Verhandlungen gesetzt wurde, ist das „Double Pricing“, d.h. die Erhebung von Ausfuhrzöllen auf Rohstoffe, die mit den Inlandspreisen verrechnet werden und so den einheimischen Akteuren einen Konkurrenzvorteil verschaffen.
Diesen Entwicklungen hat die deutsche Regierung bislang nur pauschale Senkungen der Abgabenlast einheimischer Unternehmen entgegengesetzt. Ulrich Grillo formuliert den Bedarf nach „politischer Flankierung“ der „Rohstoffsicherheit“ so: „Was sollen wir tun, wenn unsere liberalen Vorstellungen und Politikansätze komplett ins Leere laufen? In Schönheit sterben? Oder brauchen wir hier vielleicht doch ein Stück weit einen politischen Ansatz?“ (Grillo 2007)
Neuorientierung der Entwicklungs- und Sicherheitspolitik
Der neue „politische Ansatz“ wird durch eine Reihe von Gesetzanträgen der Regierungsfraktionen formuliert. Diese zielen auf eine Umorientierung der deutschen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Während der BDI betont, die Entwicklungspolitik müsse zukünftig dazu beitragen, den Zugang zu Rohstoffen sicherer zu machen, indem sie in Entwicklungsländern auf Rechtssicherheit, Investitionsschutz, Abbau von Exportbeschränkungen und die Unterbindung illegaler Exporte von Rohstoffen hinwirke (BDI 2007a: 1), stellen die Fraktionen von CDU/CSU und SPD in einem aktuellen Gesetzantrag zur „stärkeren Verzahnung von Energie- und Entwicklungspolitik“ fest: „Deutschland steht vor der Herausforderung, seine Position und Kooperation gegenüber konkurrierenden Schwellenländern zu überdenken, den neuen politischen Gegebenheiten anzupassen, die eigenen Interessen stärker zu betonen und den internationalen Interessenausgleich im Energiesektor zu fördern. [...] Bei der Auswahl der Schwerpunkte [der Entwicklungspolitik] insbesondere in Zentralasien und in Nord- und Subsahara-Afrika sollte der Aspekt Energieversorgung Deutschlands mit berücksichtigt werden.“ (Ruck et al. 2007) Und die Arbeitsgruppe Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der CDU/CSU-Fraktion erklärt in einem Positionspapier, die Entwicklungspolitik müsse „als ein eigenständiges und nachhaltiges Element in eine umfassende und langfristig angelegte Energieversorgungspolitik im eigenen Interesse einbezogen werden. [...] Rohstoffproduzierende Länder und Transitländer müssen für eine nachhaltige Energieversorgung [...] in Betracht gezogen werden. [...] Bei den rohstofffördernden, aber schlecht regierten Staaten muss mit geeigneten Konzepten zur Transformation von bad zu good governance beigetragen werden.“ (CDU/CSU 2006) Der Autor dieses Papiers, der CSU-Abgeordnete Christian Ruck, plädierte Anfang diesen Jahres bereits für eine „strategische Neuorientierung und bessere Verzahnung der Entwicklungs- und Sicherheitspolitik“. Die Akteure der deutschen Außen-, Sicherheits-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik sollten ihr Vorgehen besser aufeinander abstimmen, ihre Interessen klar artikulieren und ihre Aktivitäten auf solche Länder konzentrieren, „die für die Steigerung von Deutschlands politischem und wirtschaftlichem Stellenwert in der Welt von besonderer Bedeutung“ oder „für den Zugang zu den für unsere Wirtschaft unverzichtbaren Auslandsmärkten und Rohstoffen besonders wichtig sind.“ (Ruck 2007:75)
Derweil beschreitet die Bundeswehr „seit Jahren den Weg des Wandels zu einer Armee im Einsatz und verändert sich dabei tiefgreifend“, wie es im Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr heißt. Unter die „Grundlagen der deutschen Sicherheitspolitik“ zählt das Weißbuch die „Energiesicherheit“, denn „Energiefragen werden künftig für die globale Sicherheit eine immer wichtigere Rolle spielen.“ Die deutsche Sicherheitspolitik werde „sich wandelnde Interessen“ berücksichtigen (BmV 2006: 27f).
Merkels „Neue Ostpolitik“
Seit dem Amtsantritt der Großen Koalition hat sich das deutsch-russische Verhältnis verschlechtert. Der „atlantische“ Flügel in der Außenpolitik, der eine Wiederannäherung und Zusammenarbeit mit den USA anstrebt und einer Einbindung Russlands skeptisch gegenübersteht, hat gegenüber dem „eurasischen“ Flügel an Bedeutung gewonnen (Hellmann 2007). Der „atlantische Flügel“ setzt in der Energie-Außenpolitik auf eine Diversifizierung der Transportwege, die das Ziel hat, das russische Energiemonopol über Europa zu brechen.[1] Während die Präferenz der Regierung Schröder eindeutig auf der Ostseepipeline und dem Ausbau der deutsch-russischen Beziehungen lag, unterstützt die neue Regierung öffentlich die Projekte zur Diversifizierung (vgl. Wagner 2007). Zu diesen zählen neben der Ceyhan-Linie zwei weitere Pipelineprojekte: der EANTK (Euro-Asiatischer Erdöl-Transportkorridor) über die Ukraine und die Nabucco-Pipeline über die Türkei und den Balkan. Die Realisierung dieser Projekte soll ermöglichen, irakische, iranische und kaspische Energiestoffe unter Umgehung der Russischen Föderation nach Europa zu transportieren. Daran schließt auch die neue Zentralasienstrategie der EU an, die unter der deutschen Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte 2007 entwickelt wurde. Sie zielt eindeutig auf eine Diversifizierung der Liefer- und Transitstaaten und also konkret auf die Aufweichung des Russischen Liefermonopols: „Die EU und Zentralasien haben ein starkes gemeinsames Interesse an einer Verbesserung der Energiesicherheit als wichtigem Aspekt der globalen Sicherheit. Das gemeinsame Interesse betrifft die Diversifizierung der Exportwege, der Strukturen von Nachfrage und Angebot und der Energiequellen … Um die Sicherheit der Energieversorgung zu erhöhen wird die EU die Errichtung zusätzlicher Pipelines und Transportnetzwerke für Energie unterstützen.“ (ER 2007: 12f)
Der Schwenk von Schröders Russlands-Präferenz zu Merkels Diversifizierungsstrategie ist vor allem deswegen interessant, weil sich hier geopolitische Interessen mit denen führender deutscher Unternehmen schneiden. So setzt der Chemiekonzern BASF/Wintershall z.B. auf eine „Partnerschaft“ und enge Verflechtung mit dem russischen Rohstoffproduzenten. Er gewährte Gazprom Zugang zu seinem Unternehmen und vor allem zum europäischen Verteilernetz. Im Gegenzug erhält es günstige und sichere Lieferbedingungen und auch Zugang zur russischen Gasausbeute in Sibirien (Wintershall 2007). Auch für den Konkurrenten und Marktführer E.On ist die russische Kooperation interessant, weil sie seine strategische Stellung als Energieanbieter innerhalb der Europäischen Union stärkt. Er erhält durch den direkten Zugriff auf russische Energiestoffe eine Kontrolle über die Verteilung und den Verkauf der Rohstoffe gegenüber West- und Osteuropa (Bimboes 2006). Die Globalstrategie der Merkelregierung ist dahingegen eine eindeutig atlantizistische, die das Bündnis mit der Weltmacht USA auch um den Preis kleinerer Unstimmigkeiten mit Russland erhalten will. Nehmen die Auseinandersetzungen wie in der Frage des Raketenabwehrschildes zu, zeigt sich die Schaukelpolitik der Merkelregierung deutlich.
Rückwärtsintegration
Als ein weiteres neues Instrument zur Steigerung der Rohstoffsicherheit fördert die Bundesregierung die „Rückwärtsintegration“. Deutsche Unternehmen sollen sich stärker an der Rohstoffexploration im Ausland beteiligen (Bundesregierung 2007: 8). Dies widerspricht jedoch den Strategien deutscher Unternehmen, die seit Mitte der 1980er Jahre aus wirtschaftlichen Gründen auf Desintegration setzten und zum Beispiel die deutsche Steinkohleförderung einstellten. Aus dem Auslandsbergbau haben sich deutsche Unternehmen fast vollständig zurückgezogen (BGR 2006). Die Bundesregierung will nun deutsche Investitionen in die weltweite Rohstoffproduktion mit sogenannten „ungebundenen Finanzkrediten“ (UFK) unterstützen, wobei die UFK nicht mehr nur gegen politische, sondern künftig auch gegen wirtschaftliche Risiken absichern sollen (Bundesregierung 2007: 5ff). Der BDI ist skeptisch, da Rückwärtsintegration sich für die meisten deutschen Unternehmen selbst mit den erweiterten UFKs nicht lohnen würde und empfiehlt als Alternative „Partnerschaften [...] mit ausländischen Unternehmen, die in der Rohstoffförderung tätig sind.“ (BDI 2007a: 14) Die Bundesregierung bewertet diese Partnerschaften kritisch, da sie ausländischen Konkurrenzunternehmen aus Russland und China Zugang zu strategischen Wirtschaftssektoren in der BRD und der EU einräumen. Sie diskutiert sogar eine staatliche Aufsichtsbehörde für ausländische Direktinvestitionen, ähnlich wie in den USA. Eine solche Maßnahme wäre ein Schlag gegen Unternehmen wie Gazprom, die eine Beteiligung an den europäischen Geschäften anstreben. Diese Form der Marktbegrenzung stößt aber auf Widerspruch beim BDI und den Handelskammern (BDI 2007c).
Strategie der Unabhängigkeit
Ein weiteres Element der deutschen Rohstoffstrategie bilden die Bemühungen um eine Reduzierung der quantitativen Rohstoffabhängigkeit. Regierung und BDI setzen dazu auf Steigerung der Material- und Energieeffizienz, Materialsubstitution, Recycling und die bessere Nutzung heimischer Rohstoffpotentiale. Die Gesetze zur Kraft-Wärme-Kopplung und zur Förderung regenerativer Energien sind Teil langfristiger Strategien, die die Importabhängigkeit von Rohstoffen senken, den „heimischen“ Energie- und Rohstoffanteil steigern und die Versorgungssicherheit erhöhen sollen (Wiegand 2006: 169).
Ein Beispiel ist die Subvention der Produktion von Diesel-Ersatzstoffen aus Ölpflanzen. Sie dient primär dem Ziel, die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu verringern.[2] Die deutsche Industrie hat den Wachstumsmarkt erkannt und investiert. Allerdings steht in Deutschland zu wenig Anbaufläche zur Verfügung. Der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft plädiert daher für eine Einbeziehung der agrarisch ausgerichteten Länder Osteuropas, um dort erneuerbare Energien und Biomasse anzubauen. (OA 2007b). Der Deutsch-Russische Kooperationsrat unter der Federführung des Wirtschaftsministeriums plädiert unter Verweis auf die Größe des Landes für eine Bio-Kooperation mit Russland (OA 2007a).
Auch in dieser Frage ergeben sich Konflikte zwischen dem privatwirtschaftlichen Kalkül der BDI-Unternehmen und den langfristigen Strategien der Regierung, wie der Energiegipfel zeigte (BDI 2007b). Der BDI betont: „Öffentliche finanzielle Förderung für neue Technologien im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe sollte grundsätzlich den Charakter einer Anschubfinanzierung haben [...] Die Perspektive muss immer der freie Markt sein, auf dem die Technologie sich letztlich zu bewähren hat.“ (BDI 2007a: 21) Der Bundestag verabschiedete im Juni 2006 nach langem Streit in der Koalition das Energiesteuergesetz, das die schrittweise Besteuerung von Biodiesel und damit die Beendigung seiner Subventionierung vorsieht. Auch wenn sich momentan der weltwirtschaftliche Hintergrund gerade im Bereich Rohstoffproduktion ändert, setzt die heutige Strategie, im Gegensatz zur Autarkie-Politik der Jahre 1936-45,[3] auf eine Materialsubstitutions- und Nachhaltigkeitsstrategie in Übereinstimmung mit der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit. Die Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Staat um die „Strategie der Unabhängigkeit“ drehen sich um das Ausmaß ihrer nicht-markförmigen Elemente.
Fazit
„Während der Blüte der Globalisierung sagte man uns, dass staatliche Politik keine Bedeutung mehr hätte und dass die Großunternehmen bald Staaten zu Zwergen machen würden. In Wirklichkeit sind Staaten immer noch bedeutsam. Die EU, die US-, und die chinesische Regierung sind heute stärkere Akteure als vor 10 Jahren“, schrieb Walden Bello (2007) vor kurzem in einem Kommentar für das attac-Magazin ‚Sand im Getriebe’. Einen der Gründe für das Scheitern jener Globalisierung, die eine Welt des reinen Wettbewerbs, ein level playing field, schaffen sollte, macht Bello in der Unfähigkeit der globalen Eliten aus, „kooperative Antworten“ auf die Herausforderungen der Weltwirtschaft zu finden.
Vorherrschend scheint heute der Trend zur Blockbildung, aber eben auch zur stärkeren staatlichen Intervention angesichts der Risiken und Verwerfungen, die eine krisenanfällige und von Überproduktionstendenzen geplagte Weltwirtschaft hervorbringt. Angela Merkel (2007a) erklärt offen, dass die Globalisierung „politisch gestaltet“ werden müsse, und die weltmarktorientierten deutschen wie europäischen Kapitalfraktionen rufen nach staatlicher Hilfe. Denn in der multipolaren Welt stellen die kapitalistischen Zentren füreinander nicht nur Handelspartner dar, deren Werte man teilt. Der internationale Wettbewerb wird auch mit harten Bandagen ausgefochten. Die Beschaffung von Rohstoffen ist ein Aspekt, der sehr deutlich zeigt, wie bedeutend staatliche Einflussnahme gerade in einem strategisch wichtigen Industriebereich ist. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Monaten außenpolitische Weichen gestellt. Wohin die Reise führt, wird nicht allein von ihren erklärten Zielsetzungen abhängen. Aber es ist zu erwarten, dass der Trend zu einer entschlosseneren und aggressiveren Rolle Deutschlands in der Welt sich fortsetzen wird. Die Regierung strebt auch im Interesse der deutschen Industrie eine „gewichtigere Rolle für sich in der Welt“ an – „zumindest auf Augenhöhe mit Frankreich und Großbritannien“ (Mair 2006: 36f).[4]
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[1] Diese geopolitische Strategie bezweckt vor allem, die Verhandlungsposition gegenüber Russland zu erhöhen und die deutsche/europäische Abhängigkeit zu reduzieren. Sie erhält aber auch Unterstützung von europäischen und angelsächsischen Finanz- und Kapitalfraktionen. Vgl. auch Bertelsmann 2007.
[2] Greenpeace (2006) weist darauf hin, dass der Begriff „Bio-Diesel“ irreführt, da der Anbau (Monokulturen, Pestizide etc.) umweltschädlich ist und der Schadstoffausstoß von Fahrzeugen mit Bio-Diesel nicht unter dem herkömmlicher Fahrzeuge liegt.
[3] Mit dem Vierjahresplan trat die staatlich gelenkte Autarkiepolitik 1936 endgültig an die Stelle der privatwirtschaftlichen Steuerung. Der staatlich gelenkte Aufbau von Substitutionsindustrien (Kohleverflüssigung, synthetischer Kautschuk, Ausbau der deutschen Eisenerzförderung usw.), der vom Unternehmerlager und auch von Wirtschaftsminister Hjalmar Schacht wegen fehlender Wirtschaftlichkeit abgelehnt wurde, wurde zu Gunsten der Aufrüstung und in Vorbereitung des Krieges durchgesetzt. Vgl. Petzina 1968: 16ff.
[4] Dr. Stefan Mair ist Berater der Afrika-Initiative des Bundespräsidenten Horst Köhler.