Berichte

Gewerkschaftliche Kämpfe gegen Betriebsschließungen: Strategien – Erfahrungen - Alternativen

Frankfurt/M., 12. Juni 2007

September 2007

Heidelberger Druck und AEG stehen beispielhaft für jüngere gewerkschaftliche Kämpfe gegen Betriebsschließungen. In diesen Unternehmen haben sich die Belegschaften offensiv gegen den vom Management angekündigten Arbeitsplatzabbau bzw. die Standortverlagerung, oftmals mit großer Sympathie der (regionalen) Öffentlichkeit, zur Wehr gesetzt. Waren diese Auseinandersetzungen überhaupt erfolgreich? Lässt sich hieraus über den Einzelfall hinaus eine Strategie für künftige gewerkschaftliche Kämpfe ableiten? Auf Einladung der IG Metall (Funktionsbereiche „Gesellschaftspolitik/Grundsatzfragen/Strategische Planung“ sowie „Tarifpolitik“) und Wissentransfer trafen sich ca. hundert ehren- und hauptamtliche Gewerkschafter, um die zuletzt häufiger zu beobachtenden Auseinandersetzungen einzuordnen und auch um künftige strategische Potentiale, Chancen und Risiken abschätzen zu können.

Die Schließung von Standorten und entsprechende Kämpfe dagegen sind alles andere als neu. In der 1980er Jahren gab es im Ruhrgebiet zahlreiche symbolträchtige Auseinandersetzungen um die Schließung der seinerseits krisengeschüttelten Stahlindustrie, ähnlich prägend waren Auseinandersetzungen um den Niedergang der Werftindustrie im Norden.[1] In den 1990er Jahren waren es schließlich die Belegschaften der ostdeutschen Industrie, die schmerzliche Einschnitte hinnehmen mussten. Im Unterschied zu den vor allem auf Branchen- bzw. Rentabilitätsprobleme zurückgehenden Schließungen der 1980er und 1990er Jahren gehen die jüngeren Auseinandersetzungen auf andere Ursachen zurück:

So führten im Panel „Wir haben uns für Kampf entschieden“ Kollegen von AEG, Alstom, Heidelberger Druck, Otis und Opel/General Motors aus, dass die Ankündigung zur Standortschließung durchgehend profitable Werke getroffen hat und allein auf das Konzernziel „Steigerung der Rendite“ zurückzuführen war. Anders formuliert, die Unternehmen waren keine Insolvenzfälle, es wurden im Gegenteil schwarze Zahlen geschrieben. Was gesamtwirtschaftlich mit den sperrigen Begriffen Finanzmarktkapitalismus und Shareholder-Value-Orientierung beschrieben wird, zeigt sich in der betrieblichen Realität in nahezu permanenten Restrukturierungsprozessen.

Gemeinsam ist allen Beispielen, dass sie sich nicht dem Sachzwang des Standortwettbewerb untergeordnet haben. Im Gegenteil, es wurde gekämpft. Darüber hinaus hat jede einzelne Auseinandersetzung eigene Aspekte und dies verweist auf die unterschiedlichen Facetten des Widerstands. Über ein drei Jahre zurückliegendes Beispiel berichtete eindrücklich Hans-Detlev Scharbeutz (Betriebsrat, Heidelberger Druck). Nach einer Reihe vorangegangener Rationalisierungsprogramme kündigte die Unternehmensleitung des Druckmaschinenherstellers die Verlagerung einer Produktionslinie in die USA und den Abbau mehrerer hundert Arbeitsplätze an. Üblicherweise sind solche Betriebsänderungen Gegenstand von über das Betriebsverfassungsgesetz geregelten Sozialplanverhandlungen und damit Sache von Geschäftsführung und Betriebsrat. In solchen Fällen sind Gewerkschaften in rechtlicher Hinsicht außen vor und auch das Druckmittel des Arbeitskampfes steht damit nicht zur Verfügung. Bei der örtlichen Gewerkschaft, den Betriebsräten und der Belegschaft des Kieler Betriebs entwickelte sich mehr und mehr die Auffassung, dass der Arbeitsplatzabbau nicht einfach hingenommen bzw. sozialpartnerschaftlich begleitet werden dürfte. Der Protest wurde nicht nur kreativ innerhalb des Betriebs über ausgiebige Informationsveranstaltungen organisiert, auch die lokale Öffentlichkeit wurde eingebunden. Mehrere tausend Menschen demonstrierten schließlich für den Erhalt der Arbeitsplätze in Kiel.

Es entstand zudem die Idee, einen Sozialtarifvertrag zu fordern, in dem die IG Metall vom Arbeitgeber verlängerte Kündigungsfristen, hohe Abfindungen und zweijährige Qualifizierungsmaßnahmen bei Lohnfortzahlung verlangen sollte. In dem zunächst nur zu einem Viertel organisierten Betrieb stieg der gewerkschaftliche Organisationsgrad rasch an und die Kolleginnen und Kollegen streikten insgesamt sechs Wochen für einen entsprechenden Sozialtarifvertrag. Im Ergebnis wurde zwar kein Tarifvertrag erreicht, doch konnte durch den Streik, den weiteren Protestformen der Belegschaft und durch die Einbindung der lokalen Öffentlichkeit genug Druck für einen materiell guten Sozialplan aufgebaut werden. Das Kieler Beispiel sollte weiter Schule machen. Unter anderem berichtete Jürgen Wechsler (2. Bevollmächtigter der IGM Nürnberg) von der mehrmonatigen und bundesweit beachteten Auseinandersetzung um den Erhalt des AEG-Haushaltsgerätewerks in den Jahren 2005 und 2006. Auch hier wurde für einen Sozialtarifvertrag mehrere Wochen gestreikt. An Electrolux/AEG ist diese Auseinandersetzung nicht spurlos vorüber gegangen, über Wochen stand der Konzern als Arbeitsplatzvernichter in der Kritik, die Verkaufszahlen sind zurückgegangen und das Markenimage hat spürbare Kratzer erhalten.

In den vorgestellten Fallbespielen ist als verbindendes Element der aktive Widerstand gegen den im Sinne der bloßen Renditesteigerung betriebenen Arbeitsplatzabbau zu erkennen. Die Erfahrung, sich nicht ohne Gegenwehr einfach ergeben zu haben, sondern über mehrere Monate gemeinsam mit anderen gehandelt zu haben, wird von vielen direkt betroffenen Kolleginnen und Kollegen nicht nur aus der Perspektive des Arbeitsplatzinteresses, sondern auch als eine Frage der eigenen Würde und Selbstachtung gewertet. Die Beurteilung von Erfolg und Misserfolg solcher Auseinandersetzungen hat mehrere Dimensionen und nahm auf der Tagung großen Platz ein. Neben der Widerstandserfahrung ist festzustellen, dass beispielsweise bei AEG-Werk seit März 2007 die Produktion von Hausgeräten eingestellt ist und der Erhalt des Werks nicht erreicht werden konnte. Allerdings konnte der Arbeitsplatzverlust durch sehr gute Abfindungsregelungen sowie eine Qualifizierungsgesellschaft abgemildert werden.

Als häufig auftretendes Spannungsverhältnis hat sich die politische Forderung nach Erhalt des Standorts bzw. Arbeitsplatzes und die tarifvertragliche Forderung nach einer materiell guten Kompensation erwiesen. Auf diesen Aspekt ging Detlev Kunkel (1. Bevollmächtigter IGM Braunschweig) am Beispiel Otis ausführlich ein. Auch wenn zu Beginn von vielen betrieblichen Auseinandersetzungen klar war, dass es nur um das wie und nicht um das ob der Schließung geht, entwickelte sich in der Dynamik des Streiks in der Belegschaft und der Region doch öfters die im Ergebnis enttäuschte Hoffnung auf ein Happy End. Unterschiedlich hohe Zustimmungen zu den schließlich ausgehandelten Tarifergebnissen verweisen auf diesen Aspekt.

Über mehrjährige betriebliche Auseinandersetzungen über den Arbeitsplatzerhalt und die Folgen für die verschiedenen Beschäftigtengruppen innerhalb eines Konzerns berichtete Wolfgang Alles (Mitglied des BR Alstom).[2] Auf die zunehmende Bedeutung der standort- und länderübergreifenden Zusammenarbeit von Belegschaften innerhalb von Konzernen machte Wolfgang Schäfer-Klug (Referent beim Betriebsrat Opel Rüsselheim) aufmerksam. Am Beispiel Opel/General Motors erläuterte er, dass durch die radikalisierte Unternehmenspolitik Belegschaften der Automobilindustrie heute systematisch gegeneinander ausgespielt werden sollen. Das diese Konkurrenzsituation nur durch internationale Kooperation aufgefangen werden kann, ist natürlich kein neuer Gedanke. Das Beispiel des Arbeitnehmerforums bei Opel zeigt allerdings praktische Schritte auf diesem Weg auf. Deutlich wurde dabei, dass entsprechende Kooperationen sich nahezu tagtäglich gegen immer wieder auftretende Egoismen beweisen müssen. Schäfer-Klugs Botschaft zielte auf die deutliche Stärkung der internationalen bzw. europäischen Zusammenarbeit einschließlich einer Stärkung des Europäischen Metallgewerkschaftsbundes.

Auf dem Panel „Widerstandsperspektiven im Finanzmarktkapitalismus“ wurde über Bedingungen und Kriterien für künftige Auseinandersetzungen diskutiert. Dabei spielte neben industriepolitischen Überlegungen auch das Instrument des Sozialtarifvertrags eine Rolle. Die Relevanz zeigt ein Blick auf die Gegenseite: In der Zeitung „Der Betrieb“ wird in dem Beitrag „Erste Gedanken zu Gegenmaßnahmen der Arbeitgeberseite“[3] von einem schwarzen Tag für Unternehmen gesprochen und eine Kommentatorin der FAZ glaubt ein Geschenk für Gewerkschaften erkennen zu können. Gemeint ist die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24. April 2007, wonach Gewerkschaften auch zu Streiks für einen Sozial-Tarifvertrag aufrufen dürfen, in dem wirtschaftliche Nachteile aus einer Betriebsänderung ausgeglichen oder gemildert werden sollen. Auch wenn juristisch die IG Metall gestärkt worden ist, so waren sich alle Referenten einig, dass der Sozialtarifvertrag nicht als neue Allzweckwaffe zu betrachten ist.

Oliver Burkhard (Bereichsleiter Tarifpolitik der IGM) und Hartmut Meine (IGM-Bezirksleiter Niedersachsen/Sachsen-Anhalt) betonten, dass der Weg des Erzwingungsstreiks längst nicht bei jeder Auseinandersetzung begehbar ist. Ausschlusskriterien sind hier u.a. ein geringer Organisationsgrad oder aber das nicht vorhandene Druckpotential des Streiks. Deutlich wurde in der anschließenden Diskussion, dass Erfolg und Misserfolg entsprechend gelagerter betrieblicher Auseinandersetzungen von der aktiven Einbindung der Belegschaft abhängen. Hierzu braucht es einen langen zeitlichen Vorlauf im Betrieb. Auch wurde herausgearbeitet, dass es ergänzend zum Nein zum Arbeitsplatzabbau ein überzeugendes wirtschaftliches Alternativkonzept zu den Managementüberlegungen braucht.

Was bleibt? Die Tagung hat mehre Einzelbeispiele zusammengeführt, in denen sich Belegschaften nicht einfach der Shareholderorientierung untergeordnet haben. Die europäische Vernetzung von Belegschaften wie bei General Motors und die dargestellten Auseinandersetzungen um Sozialtarifverträge sind dabei als unterschiedliche Facetten des Widerstands zu betrachten. Die Beurteilung des Erfolgs fällt dabei alles andere als leicht. Die materielle Bewertung ist relativ leicht vorzunehmen und ist in der Mehrzahl positiv. Als schwieriger erweisen sich andere Aspekte. Dies gilt für den Symbolgehalt der bisherigen betrieblichen Streiks. Wie viele Arbeitgeber haben zudem aus Angst vor schlechter Presse oder den in die Höhe geschnellten Kosten auf eine Schließung verzichtet? In einem abschließenden Statement betonte Hans-Jürgen Urban (Bereichsleiter Gesellschaftspolitik/Grundsatzfragen/Strate­gische Fragen der IGM ), die Debatte wird weitergehen. Angesichts der Defensivposition der Gewerkschaften bieten die verschiedenen Betriebskämpfe zu beachtende Anknüpfungspunkte für die gewerkschaftliche Revitalisierungsdiskussion.

Wahrscheinlich werden später oder früher weitere Belegschaften mit Standortschließungen konfrontiert. Die IG Metall verfügt mittlerweile über ein großes Reservoir an Wissen über viele Widerstandsmöglichkeiten. Dieses Wissen im Einzelfall weiterzugeben und die Fortsetzung der politisch-strategischen Debatte innerhalb der Gewerkschaften stellen die nächsten Etappen nach dieser gelungenen Tagung dar.

[1] Vgl. H. v. Bargen u.a., Vom Widerstand zur Reformbewegung? Arbeitsmaterialien des IMSF 30, Frankfurt 1988.

[2] Vgl. hierzu ausführlich W. Alles/U. Belz, Alstom Mannheim: Widerstand gegen Arbeitsplatzabbau und Engagement für gute Arbeit, in: R. Detje/K. Pickshaus/H.-J. Urban (Hrsg.), Arbeitspolitik kontrovers, Hamburg 2005, S. 147 ff.

[3] Vgl: W. Lipinski/M. Ferme, Erstreikbarkeit von Tarifsozialplänen zulässig – Erste Gedanken zu Gegenmaßnahmen der Arbeitgeberseite in: Der Betrieb, Heft 22/2007.