Stadtteilbibliotheken werden geschlossen, Theatertüren und Bürgerhäuser verrammelt oder Kapazitäten in Jugendeinrichtungen gestrichen. Die Meldungen über klamme Kassen vieler Städte, Landkreise und Gemeinden reißen nicht ab. So ließ die Stadt Wuppertal wissen, dass sie aufgrund der drohenden Überschuldung in der nächsten Zeit nicht mehr ausbilden wird. Rund 50 Ausbildungsstellen, die die Kommune im Schnitt pro Jahrgang hatte, brechen damit weg.[1] Und in der Gemeinde wird es künftig an Fachkräften fehlen, sei es in der Verwaltung, in der Altenpflege oder in den Kindergärten. Als „Sturz in den Abgrund“ haben 19 Ruhrgebietsstädte diese für sie untragbare Situation beschrieben und sich zum „Essener Signal“ zusammengeschlossen, um dagegen zu protestieren.[2] Die Zeichen stehen auf Zerfall, nicht nur im Ruhrgebiet, sondern im ganzen Land reicht den Städten das Wasser bis zum Hals. Was den Ernst der Lage angeht befinden sich die Kommunen gegenwärtig in der schwersten Finanzkrise seit Gründung der Bundesrepublik. Der Deutsche Städtetag ging in seinem Anfang des Jahres vorgelegten Bericht von 12 Milliarden Euro aus, die den Gemeindekassen allein für das laufende Jahr fehlen dürften. Mittlerweile ist dieser Wert auf das Rekorddefizit von 15 Milliarden Euro nach oben korrigiert worden.[3]
Fest steht, es kann nicht so bleiben wie bisher. PolitikerInnen aus Bund, Ländern und Gemeinden, VertreterInnen der Bundesregierung und Opposition, kommunale Spitzenverbände, Gewerkschaften und Lobbygruppen aus Wirtschaft und Industrie – sie ringen um Deutungs- und Lösungsansätze im Umgang mit der Krise. Kommunalfinanzen und Kommunalpolitik sind wieder ein brisantes Thema. In Plenardebatten des Bundestages, auf verwaltungswissenschaftlichen Konferenzen oder bei lokalen Veranstaltungen vor Ort werden die Finanzausstattung der Kommunen sowie deren Aufgabenfelder diskutiert. Häufig ist da schnell von effizienter Haushaltsführung und weiteren Einsparzwängen die Rede. Von Seiten der Bundesregierung wurde eine Gemeindefinanzkommission errichtet, mit der sie beansprucht, Lösungsmodelle zur Stabilisierung der Finanzlage der Kommunen zu prüfen. Kernanliegen der schwarz-gelben Koalition ist die Abschaffung der Gewerbesteuer, der wichtigsten Einnahmequelle der Kommunen.
Im Folgenden wird die Finanzkrise der Kommunen genauer unter die Lupe genommen. Wo liegen die eigentlichen Ursachen der kommunalen Finanzmisere und welche Folgen sind hiermit verbunden? Welche Einschätzungen der Lage werden im Ringen um Deutungsmacht vorgenommen und welche Interessen stehen dahinter? Entlang der kritischen Auseinandersetzung mit den Regierungsplänen sollen weiter Spielräume linker Politik ausgelotet und Alternativkonzepte für eine tragfähige Neuordnung der Kommunalfinanzen vorgestellt werden.
Kommunale Selbstverwaltung oder Verwaltung des Mangels?
„Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln“, lautet Artikel 28, Absatz 2 des Grundgesetzes, der den Gemeinden das Recht auf kommunale Selbstverwaltung garantiert. Soweit zur Theorie, denn die Realität sieht wahrlich anders aus. Dabei sind es verschiedene Prozesse, die in den Kommunen für veränderte Rahmenbedingungen sorgen und die Grundlagen ihrer Selbstverwaltung zerstören. Neben weg brechenden Einnahmen ist es insbesondere der explodierende Anstieg bei den Sozialausgaben, der kommunale Zusammenschlüsse, wie den Deutschen Städtetag, Alarm schlagen lässt. Der mit rund 4.300 Städten und Gemeinden größte Kommunalverband hat in einer Broschüre die größten Ausgabenblöcke dargestellt. Demnach sind in den vergangenen Jahren die kommunalen Ausgaben insbesondere bei den Kosten der Unterkunft von ALG-II-BezieherInnen, der Grundsicherung im Alter, der Pflege älterer Menschen und der Eingliederung von Menschen mit Behinderungen rasant gestiegen.[4] Hinzu kommen Erziehungshilfen für Kinder und Jugendliche sowie der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen, der wie bei den Unter-Dreijährigen den Kommunen von Bund und Ländern übertragen wurde. Die Kommunen beklagen, dass es immer schwieriger wird, diesen Anforderungen gerecht zu werden und sehen ihre Handlungsfähigkeit in Frage gestellt.[5] Städte mit hoher Arbeitslosigkeit, verstärkter Altersarmut und großen sozialen Problemlagen stehen dabei vor den größten Finanzierungsproblemen.
Noch handelt es sich bei diesen Aufgaben um Pflichtaufgaben, die gesetzlich vorgeschrieben sind und wahrgenommen werden müssen. Einen bitteren Vorgeschmack darauf, wie die finanziellen Engpässe die politischen Entscheidungen vor Ort prägen, zeigen Kürzungen bei den freiwilligen Aufgaben, die nun verstärkt erwogen werden. Nach einer im Auftrag der Unternehmensberatung Ernst & Young durchgeführten Umfrage unter 300 Kommunen planen 60 Prozent, d.h. 180 Städte und Gemeinden, die Streichung von Leistungen. Unter anderem wollen sie das Angebot bei der Jugendarbeit sowie der Seniorenbetreuung einschränken, Schwimmbäder nicht mehr heizen oder schließen sowie den öffentlichen Nahverkehr ausdünnen.[6] Besonders beunruhigend auch in Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ist der wachsende Investitionsstau der Kommunen. Bei Befragungen der Zeitung „Der Neue Kämmerer“ gaben rund die Hälfte (48 Prozent) der befragten Kämmerer aus insgesamt 419 Städten und Gemeinden an, die Investitionstätigkeit zurückfahren zu wollen.[7] Im Klartext bedeutet dies, Straßenreparaturen und Gebäudesanierungen z.B. von Schulen oder Sportstätten werden weiter verschoben, obwohl in diesen Bereichen bereits 2009 ein deutlicher Investitionsrückstand vorlag.[8]
„Wer wenig Geld zur freien Verfügung hat, kann auch nur wenig gestalten“, so die Maxime, die in vielen Rathäusern vermehrt AnhängerInnen zu finden scheint. Manche Bürgermeisterinnen und -meister wollen als Reaktion auf das Einsparen gar eine „Reaktivierung von Gemeinsinn und Engagement“ und ein „anderes Verhältnis zwischen Staat und Menschen“ beobachten.[9] Aktionen wie der Verkauf von Schlaglöchern im thüringischen Niederzimmern zeugen allerdings von eher plakativem Charakter. Auch bei der wachsenden Anzahl von Bürgerhaushalten, die bundesweit auf über 140 Kommunen beziffert werden, ist die ursprüngliche, an das Modell Porto Alegre angelehnte Idee der direkten Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an kommunaler Haushaltspolitik[10] entschieden verkürzt, mitunter sogar ins Konträre verkehrt. In Solingen etwa konnten BürgerInnen auf einer Internetplattform über eine Negativliste des Oberbürgermeisters befinden und ankreuzen, in welchen Bereichen die Stadt sparen soll.[11] Derartige „Bürgerhaushalte“, die keine sind, gefährden darüber hinaus den sozialen Frieden, weil spezifische Bedarfsinteressen gegeneinander ausgespielt werden, wenn beispielsweise gegen die Seniorenbetreuung gestimmt wird, um Spielplätze zu erhalten. Treffen werden die Einsparungen und Streichlisten sozial Schwächere, insbesondere Jugendliche, Alte und Mittellose, die auf öffentliche Leistungen angewiesen sind. Die gravierende Finanzlage der Kommunen geht somit zu Lasten ihrer sozialen Teilhabe am Gemeinwesen, da sich ihre Möglichkeiten verringern, am kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Leben gleichberechtigt und aktiv teilzunehmen.
Richtung Rekommunalisierung
Man mag argumentieren, dass der Gestaltungsspielraum der Kommunen bei öffentlichen Leistungen ohnehin stark eingeschränkt und zurückgefahren wurde, so dass die gegenwärtig erwogenen Streich- und Einsparlisten an sich nicht unbedingt eine neue Entwicklung einläuten. Denn viele Kommunen und städtische Verwaltungen sind unter dem Leitbild des Neoliberalismus den Modernisierungsversprechen eines schlanken, effektiven Staates gefolgt und seit der zweiten Hälfte der 90er Jahren verstärkt dazu übergegangen, Güter und Dienstleistungen der Daseinsvorsorge als „Tafelsilber“ zu verkaufen. Im Jahr 2005 veräußerten Städte und Gemeinden Vermögen im Wert von 5,7 Mrd. Euro, wobei zehntausende Arbeitsverhältnisse in den privatwirtschaftlichen Sektor transferiert und damit nicht selten prekarisiert wurden.[12] In den letzten Jahren allerdings zeichnet sich eine „Emanzipationsbewegung“ der Rückübertragung von vormals privatisierten Gütern und Dienstleistungen in die öffentliche Hand ab. Einige Kommunen starten ihr „Comeback“ und drehen das Rad der Zeit zurück, etwa im nordhessischen Wolfshagen, wo die örtlichen Stadtwerke im Frühjahr 2006 das Stromnetz vom Energie-Riesen EON zurückgekauft haben.[13] Weitere Beispiele für die Renaissance kommunaler Wirtschaftstätigkeit im Energiesektor ließen sich anführen aus Hamburg, Ahrensburg, Bad Vilbel, Nümbrecht, Rüsselsheim und nicht zuletzt Bergkamen. Dort versorgen die Gemeinschaftsstadtwerke der drei beteiligten Kommunen 120.000 Einwohner mit Strom und Wärme und erwirtschaften knapp 400.000 Euro Gewinn pro Jahr, die in den Bergkamener Haushalt fließen. Neben dem Energiesektor ist es vor allem der Bereich der Müllentsorgung, aber auch die Grundwasserversorgung, wo Rekommunalisierungen beschritten werden. Gute Rahmenbedingungen bieten sich, wenn etwa Konzessionsverträge auslaufen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die öffentliche Trägerschaft bietet wichtige Voraussetzungen für demokratische Kontrolle und Mitbestimmung, weil sich Möglichkeiten eröffnen, auf die Ausgestaltung der Leistungen Einfluss zu nehmen. Ein Beispiel ist die Preisgestaltung, etwa bei Energieleistungen oder bei der Abfallentsorgung, wo Rückverstaatlichungen die Senkung von Gebühren bewirken und hierdurch untere und mittlere Einkommensgruppen erheblich entlasten können.[14] Potentiell bieten sich für Kommunen auch breitere Gestaltungsspielräume einer aktiveren Klimaschutzpolitik, beispielsweise indem sie bei kommunalen Energieversorgern auf dahingehende Entscheidungen einwirken. Neben dem mitunter unerwartet eingetretenen finanziellen Erfolg bietet die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen zudem arbeitsmarktpolitische Vorzüge, insofern die neu geschaffenen Beschäftigungsstellen ein passables Einkommen auf Grundlage tariflicher Bezahlung sichern.
Neue Leitbilder setzen sich bekanntlich häufig erst in Krisenzeiten durch, wenn etablierte Ideen an Attraktivität verlieren. Doch ist es im Schatten der Wirtschafts- und Finanzkrise unwahrscheinlicher geworden, dass sich diese Bewegungen zu einem Trend fortentwickeln, wenn nicht wirksam entgegen gesteuert wird. Auch vor diesem Hintergrund brauchen die Kommunen dringend mehr und vor allem eigene Einnahmequellen, um wirtschaftlich und politisch gestalten zu können. Denn es ist klar, dass die Kommunen zur Rückübertragung von Gütern und Leistungen in die öffentliche Hand zunächst Finanzmittel benötigen.
Milliardenausfälle durch die Steuerpolitik
Oft herrscht der Eindruck vor, die Krise der Kommunalfinanzen sei eine traurige Folge der Wirtschaftskrise. Doch ist dies nur ein Teil der Wahrheit.
Die eigentlichen Ursachen der kommunalen Finanznotlage liegen tiefer und sind Ausdruck eines strukturellen Problems, das sich nun mit der Wirtschafts- und Finanzkrise weiter zuspitzt. Als Hauptursache wirkt eine Politik massiver Steuersenkungen, die beginnend unter Rot-Grün, seit nunmehr 10 Jahren die Einnahmen der öffentlichen Hand erheblich beschneiden und eine gigantische Umverteilung von unten nach oben zur Folge haben. Besonders anschaulich haben Truger und Wolff die steuerreformbedingten Ausfälle herausgearbeitet, die durch die Steuerpolitik seit Antritt der Regierung Schröder verursacht worden sind. Insgesamt belaufen sich die steuerreformbedingten Ausfälle auf rund 50 Mrd. Euro jährlich.[15]Von den einzelnen Gesetzen haben die Steuerrechtsänderungen der rot-grünen Bundesregierung, insbesondere die Steuerreform 2000, sehr hohe Ausfälle bewirkt. Diese wurde als zentrales wachstums- und beschäftigungspolitisches Instrument gepriesen, hat aber tatsächlich keine erkennbar positiven Konjunkturwirkungen entfaltet. Besonders profitiert haben reiche Haushalte, aufgrund des von 53 Prozent auf 42 Prozent abgesenkten Einkommensteuerspitzensatzes. Und auch der Unternehmenssektor ist sowohl durch die Einkommensteuersenkung als auch durch die Reform der Körperschaftsteuer kräftig entlastet worden: um 11 Mrd. Euro jährlich. Weitere steuerliche Entlastungen für den Unternehmenssektor um rund 5 Mrd. Euro hat die unter der Großen Koalition im Jahr 2007 verabschiedete und im Folgejahr in Kraft getretene Unternehmensteuerreform ergeben. Der Anfang von Schwarz-Gelb, das so genannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz, schlägt mit signifikanten Mindereinnahmen von 6,1 Mrd. Euro allein 2010 zu Buche, wobei die 2012 zu erwartende Spitze von 9 Mrd. Euro Steuerausfällen noch bevorsteht.[16]
Abb. 1: Steuerreformbedingte Ausfälle aufgrund von Steuergesetzesänderungen seit 1998*
Grafik siehe Downloads/Dokumente unten.
*Die Säulen repräsentieren jeweils die Maßnahmen
der rot-grünen (SPD, Bündnis 90/Die Grünen), der
schwarz-roten (SPD und CDU/CSU) und der schwarz-gelben (CDU/CSU und
FDP) Regierungen. Die graue Säule stellt den Saldo für
das jeweilige Jahr dar.
(Quelle: Truger, Wolf / ver.di)
Die folgende Darstellung (Abb. 2) zeigt die Ergebnisse der diesjährigen Frühjahrssteuerschätzung (jeweils die beiden oberen Reihen, absolut und in Prozent zum Vorjahr) im Vergleich zu der vorangegangen von Mai 2009 (jeweils die beiden unteren Reihen). Besonders von Seiten des schwarz-gelben Regierungsbündnisses war hinsichtlich weiterer in Aussicht gestellter Steuersenkungen stets auf die noch abzuwartende Prognose verwiesen worden.[17] Obwohl die Rahmendaten längst bekannt gewesen sein dürften, sorgten sie doch für breite Ernüchterung.
Alle staatlichen Ebenen haben Steuermindereinnahmen zu verkraften, wobei ein Großteil auf beschlossene Steuerentlastungen zurückzuführen sind (-10,6 Mrd. Euro in 2011 / -8,1 Mrd. Euro in 2012 und 2013), so auch die Einschätzung des Arbeitskreises Steuerschätzung.[18] Erheblich ist der Einbruch bei den Kommunen, die mit rund 8,6 Mrd. Euro (-11,2 Prozent) im Jahre 2009 im Vergleich zu 2008 den größten Rückgang zu verzeichnen haben. Besorgniserregend ist zudem, dass die Steuereinnahmen der Gemeinden, der Länder sowie des Bundes voraussichtlich erst wieder im Jahre 2013/14 das Niveau von 2008 erreichen werden.
Abb. 2: Frühjahrssteuerschätzung 2010 und 2009
Grafik siehe Downloads/Dokumente unten.
Quelle: Bundesministerium der Finanzen, Ergebnis der Steuerschätzung Mai 2010
Hände weg von der Gewerbesteuer
Bei den Gemeindefinanzen wiegt das Einbrechen der Gewerbesteuereinnahmen um rund 17 Prozent (21,2 Prozent laut letzter Steuerschätzung) besonders schwer.[19] Denn in vielen Gemeinden erbringt die Gewerbesteuer den Löwenanteil an den kommunalen Einnahmen, mit einem Anteil von über 70 Prozent am Realsteueraufkommen. Da die Gewerbesteuer allerdings sehr von der Ertragslage der Gewerbebetriebe abhängt, d.h. sich auf Gewinne von (größeren) Unternehmen stützt, fallen die Einnahmen in der Rezession deutlich geringer aus.
Doch die Gewerbesteuer mit dem Argument ihrer Konjunkturabhängigkeit und dadurch bedingten Unsicherheiten für die Kommunen deshalb gleich abschaffen zu wollen, ist völlig fehl gegriffen und auch mit Blick in die Vergangenheit blanker Zynismus. Zum einen lässt die Entwicklung des Aufkommens aus der Gewerbesteuer bis zum Krisenjahr 2009 deutliche Zuwächse erkennen, die trotz gewisser wachtumsdynamischer Schwankungen die Gemeindesäckel nicht allzu schlecht gefüllt haben. Den vom Bundesministerium für Finanzen herausgegebenen Eckdaten zur Entwicklung der Kommunalfinanzen ist zu entnehmen, dass sich 2008 Spitzenwerte von 70,8 Mrd. Euro aus dieser Steuer haben erzielen lassen, während das Aufkommen 1999 noch bei 51 Mrd. Euro lag.[20] Zum anderen sind diejenigen, die nun lautstark die Gewerbesteuer aufgrund ihrer Konjunkturabhängigkeit in Frage stellen, genau die gleichen Kräfte, die unter der christlich-liberalen Koalition unter Helmut Kohl die Gewerbesteuer direkt an den Unternehmensertrag und damit den wirtschaftlichen Erfolg koppelten. Exemplarisch hierfür steht die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer, die bis Januar 1998 als Bestandssteuer neben der komplett gewinnabhängigen Gewerbesteuer auch konjunkturunabhängig Einnahmen erbrachte. Des Weiteren ist die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer heruntergesetzt worden.
Die Bundesregierung ist auf beiden Augen blind, wenn sie plant, die Gewerbesteuer „durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer und einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer mit eigenem Hebesatz zu ersetzen“[21] Denn gerade die Körperschaftsteuer ist konjunkturellen Schwankungen noch weit stärker ausgesetzt als die Gewerbesteuer: Ihr Aufkommen sackte 2009 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 50 Prozent ab. Von einer konjunkturunabhängigeren Lösung, wie von der Regierung beansprucht, kann also nicht die Rede sein.
Zudem stellt sich die Frage, wo die wegbrechenden Einnahmen aus der Gewerbesteuer denn herkommen sollen? Um den Wegfall der Gewerbesteuer zu kompensieren, müssten die Einkommensteuerhebesätze besonders stark erhöht werden. Dies dürfte insbesondere große Städte hart treffen, die eine teurere Infrastruktur und höhere Sozialkosten zu schultern haben. Viele Kommunen fürchten daher als Konsequenz die Stadtflucht ihrer Bürgerinnen und Bürger. Im Umkehrschluss sendet ein solches Konzept völlig falsche Signale und fördert den Steuerniedrigwettbewerb zwischen den Kommunen.
Von der seit März tagenden Gemeindefinanzkommission, bestehend aus drei Vertretern des Bundes, sieben der Länder und drei VetreterInnen der kommunalen Spitzenverbände, liegt inzwischen ein Zwischenbericht vor. Berechnet wurde bislang nur das so bezeichnete „Prüfmodell“ der FDP mit den eben dargelegten Komponenten. Nach Aussagen des Bundesfinanzministeriums sei dieses weitestgehend mit dem BDI/VCI-Modell identisch, das bereits bei der letzen Reformkommission 2003 „als untauglich beurteilt“ worden sei.[22] Berechnungen der gegenwärtigen Kommissions-AG Kommunalsteuern kommen zu dem Ergebnis, dass das Modell zu jährlichen Steuerausfällen zwischen rund 5,35 und 6,1 Mrd. Euro für Bund und Länder führt.[23] Eine Umsetzung des Modells wäre frühestens 2016 denkbar, so dass die Frage aufzuwerfen ist, was passiert bis dahin?
Ferner findet eine Aufkommensverschiebung von einkommensteuerschwachen in einkommensteuerstarke Kommunen statt. Vor allem „Wohnort-Gemeinden reicher Bürger“ würden zu Lasten von Betriebsstandorten und ärmeren Kommunen profitieren, heißt es in dem Bericht.[24] Berechnungen ergaben zudem, dass die Beteiligung von Kapitalgesellschaften am Gesamtsteueraufkommen zwar nur geringfügig sinken, dafür aber am Steueraufkommen der Kommunen um 60 Prozent zurückgehen würde. Bei Personengesellschaften und ihren Gesellschaftern sinkt deren Beitrag zur Kommunalfinanzierung mit ca. 50 Prozent deutlich.[25]
Das „Prüfmodell“ schafft somit mehr Probleme als es löst: Sollte es in Kraft treten, würden sich die Finanzprobleme der Kommunen erheblich verschärfen. Aufgrund schwer wiegender Fehlanreize schafft es eine Lockerung des Bandes zwischen Kommune und lokaler Wirtschaft. Zudem sind es die Bürgerinnen und Bürger, die einseitig zur Kommunalfinanzierung herangezogen werden und für die Entlastung der Unternehmen zahlen müssen.
Bis zum Herbst soll die Gemeindefinanzkommission weitere Modelle wie das der Stiftung Marktwirtschaft prüfen, wovon sie einige Module zu übernehmen hofft. Dieses Konzept sieht als Ersatz für die Gewerbesteuer eine Beteiligung der Kommunen am Lohnsteueraufkommen vor sowie eine neue kommunale Unternehmenssteuer mit Hebesatzrecht.[26] Auch hiervon ist für den weiteren Prozess nicht viel zu erwarten, da eigentlich schon klar sein dürfte, dass die Kommission in der Hauptsache scheitern wird. Der Plan, die Gewerbesteuer abzuschaffen bzw. diese nach eigenem Anspruch durch „eine weniger schwankungsanfälligere Einnahmequelle“ zu ersetzen, wird nicht aufgehen. Denn obgleich die Regierungsfraktionen dieses als Vorhaben im Koalitionsvertrag festgelegt haben, ist sich das Regierungslager in der Sache keineswegs einig. Die Reformkommission ist daher eher als Bühne oder eine Art Alibiveranstaltung zu betrachten. Sie dient der CDU/CSU dazu, insbesondere die unionsgeführten Kommunen zu beruhigen, gemäß der Maxime „wir tun was“.
Offenkundige Konfliktlinien treten innerhalb der Union zu Tage, weil sich einzelne, in den Kommunen stärker verankerte Unions-Politiker mit der Forderung, die Gewerbesteuer abzuschaffen, schwer tun. Hans Schaidinger, CSU-Oberbürgermeister von Regensburg und Präsident des Bayrischen Städtetages, hat seinen Parteikollegen im Bundestag eigene Berechnungen über die kompensatorisch zu erhöhenden Einkommen- und Umsatzsteuer für Regensburg präsentiert.[27] Eine in dieser Hinsicht besondere Konstellation bietet auch die Frankfurter CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth, die als Präsidentin des Deutschen Städtetages in der Reformkommission sitzt. Sie verteidigt die Gewerbesteuer „als wichtigste Steuer der Städte“ und sieht hierzu „keine tragfähige Alternative“[28] Die Kommunalverbände treten ähnlich wie die Linke für eine Verbreiterung der gewerbesteuerlichen Bemessungsgrundlage ein und haben hierzu ein Konzept, das sogenannte Kommunalmodell eingereicht, dessen Prüfung noch bevorsteht.
Gegenwind kommt auch aus den Ländern, wo das FDP-Modell auf Widerspruch stößt. „Einer Reform gegen den Willen der Kommunen wird Bayern nicht zustimmen“, tönt es aus dem bayrischen Finanzministerium.[29] Der Widerstand aus den Ländern macht höchst unwahrscheinlich, dass dieses Steuermodell je Wirklichkeit wird. Noch dazu müsste hierfür das Grundgesetz geändert werden, was ohne eine Zustimmung der SPD schon im Bundestag nicht möglich ist.
Kommunalfinanzen verstetigen: Gewerbesteuer zur
Gemeindewirtschaftsteuer weiterentwickeln
Zweifelsohne bedarf es einer tragfähigen Neuausgestaltung der Gemeindefinanzen, die eingebettet in einer umfassenden staatlichen Steuer- und Finanzreform zu erfolgen hat. Denn es hilft nichts, wenn Kosten und Verantwortung für die gegenwärtige Finanzmisere einfach zwischen den Ebenen hin- und her geschoben oder weiter abgewälzt werden, vom Bund auf die Länder und von den Ländern weiter auf die Kommunen.
Die Lösung dieses Problems kann nur sein, die Kommunen stärker am Gesamtsteueraufkommen zu beteiligen. Zum anderen benötigen die Kommunen zugleich dringend mehr eigene Einnahmen, ohne welche die kommunale Handlungsfähigkeit einschließlich wichtiger Zukunftsinvestitionen in Bildung und ökologische Infrastruktur kaum zu finanzieren sein wird. Zu diesem zuletzt genannten Punkt der Generierung eigener Einnahmen werden gegenwärtig alternative Konzepte in die Diskussion gebracht, die den Ausbau der Gewerbesteuer zu einer lokalen Wertschöpfungsteuer vorsehen. Das Kommunalmodell der Spitzenverbände lehnt hier an, ver.di hat einen solchen Vorschlag vorgelegt und nicht zuletzt die Bundestagsfraktion DIE LINKE. mit der Forderung nach einer Gemeindewirtschaftsteuer.[30]
Im Vordergrund steht das Ziel, die Einnahmen aus der Gewerbesteuer nicht nur zu erhöhen, sondern zu stabilisieren und dadurch verlässlicher zu gestalten. Hierzu ist zum einen die Bemessungsgrundlage auszuweiten, indem alle Schuldzinsen und Finanzierungsanteile von Mieten, Pachten und Leasingraten mit einzubeziehen sind. Zum anderen ist der Kreis der Steuerzahler auszuweiten, indem auch freiberuflich Tätige – bei hinreichenden Freibeträgen – sowie selbständig niedergelassene freie Berufe die Gewerbesteuer zahlen sollen.
Der Historiker Götz Aly hat aufgezeigt, welch verkrustete Ideen hinter den begünstigenden Ausnahmeregelungen für freie Berufe, aber auch für Agrar- und Forstbetriebe stehen: Jene Gruppen galten in Nazideutschland als wichtig für den Systemerhalt. Seit 1937 wurden Architekten oder Sippenforscher, Jäger oder Steuerberater von der Gewerbesteuer ausgenommen. Begründet wurde dies mit dem ihnen zugeschriebenen „besonderen Vertrauen“ und einer „nicht vorherrschend“ dem Gewinnstreben folgenden „Berufsgesinnung“. Schlimmer noch ist, dass diese Maxime de facto bis heute die steuerrechtliche Unterscheidung zwischen Elektromeistern und Röntgenärzten, zwischen Kartoffelbauern und Pommesbudenbesitzern begründet.[31]
Diese völlig überkommenen Strukturen gilt es nun zu reformieren. Vom Grundsatz her ist es neben der Leistungsfähigkeit auch das Prinzip der Äquivalenz, welches hier wieder geltend gemacht werden muss: Unternehmen nutzen öffentliche Leistungen, zum Beispiel Straßen, und dafür müssen sie als Äquivalent einen steuerlichen Beitrag leisten. Warum sollten etwa Ärzte und Rechtsanwälte von der Gewerbesteuer ausgenommen sein, obwohl sie die Infrastruktur der Kommunen nutzen und von gepflegten Straßen, erschlossenen Baugeländen oder dem Feuerschutz ebenso profitieren?
Mit den Gemeindefinanzen werden zentrale Weichen für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung vor Ort gestellt. Auch ist die Gemeinde das Herzstück der Demokratie und das ursprüngliche Feld für die politische Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Beides geht Hand in Hand und das eine geht nicht ohne das andere.
[1] Der Westen / WAZ, „Einstellungsstopp für Azubis“, 25.6.2010.
[2] URL http://www.essen.de/deutsch/rathaus/Aemter/Ordner_20/Haushalt/Essener_Signal__2010.pdf
[3] Deutscher Städtetag, Mitteilungen 1/10; Deutschlandradio 14.5.2010, „Deutscher Städtetag rechnet mit 15 Milliarden Euro Defizit im laufenden Jahr“, URL http://www.dradio.de/nachrichten/201005140800/2.
[4] Deutscher Städtetag, Sozialleistungen der Städte in Not. Zahlen und Fakten zur Entwicklung kommunaler Sozialausgaben, Berlin und Köln 2010.
[5] Landsberg, Gerd, Städte und Gemeinden im Sog der Rezession, Zeitgespräch, Kommunen in der Krise, in: Wirtschaftsdienst 2010/5, S. 283-285.
[6] Ernst & Young, Kommunen in der Finanzkrise: Status Quo und Handlungsoptionen, Juli 2010.
[7] „Sparen bis der Arzt kommt“, Der Neue Kämmerer, 3. Juli 2010.
[8] KfW Bankengruppe, KfW-Kommunalbefragung, Frankfurt 2010.
[9] „Aus der Not in die Tugend“, Die Zeit 1.7.2010.
[10] Erdacht in Porto Alegre (Brasilien) wurde der Beteiligungshaushalt (Orçamento participativo) dort erstmals 1989 mit breiter Bürgerbeteiligung aufgestellt. Inzwischen wurde die Idee in viele Teile der Welt exportiert. Gleichwohl ist zu beobachten, dass hierunter sehr unterschiedliche Ziele und Herangehensweisen subsumiert werden. Insbesondere zwei Gesichtspunkte sind es, unter denen der Bürgerhaushalt als Beispiel direkter Beteiligung betrachtet werden muss: Als Verfahren, in dem BürgerInnen Haushaltspolitik beeinflussen, und als besondere Qualität von Haushaltspolitik, die durch Öffentlichkeit und Transparenz gekennzeichnet ist. Im Vordergrund steht immer die Art und Weise, wie ein Haushalt entsteht und wie die Menschen der Kommune an diesen Entscheidungen beteiligt werden. Vgl. hierzu und zu Beispielen einer Demokratisierung der Haushaltspolitik Weck, Felicitas, Linke Kommunalpolitik – Eine Einführung, Hamburg 2009.
[11] „Solingen. Sag mir, wo Du sparen willst“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.3.2010.
[12] Engartner, Tim, Privatisierung und Liberalisierung – Strategien zur Selbstentmachtung des öffentlichen Sektors, in: Butterwegge, Christoph et al., Kritik des Neoliberalismus, Wiesbaden 2007, S. 87-133, hier S. 109.
[13] Engartner, Tim, Das Comeback der Kommunen, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 2/2010, S. 13-16.
[14] An dieser Stelle sei auf das Beispiel der „kommunalen UDG-Uckermärkischen Dienstleistungsgesellschaft“ verwiesen, die im gleichnamigen brandenburgischen Landkreis seit 2005 den Müll entsorgt. Klemens Schmitz (SPD) hatte Verträge mit westdeutschen Müllentsorgungsfirmen gekündigt, weil man nicht länger zusehen wollte, wie ein privater Investor mit einer öffentlichen Aufgabe zweistellige Renditen erzielt. Trotz neu eingestellter, tariflich bezahlter Mitarbeiter liegen die dem Kreis entstehenden Kosten signifikant unterhalb derer, die zu Zeiten anfielen, als die Müllabfuhr in privaten Händen lag. Die Gebühren konnten 2007 um 6,5 Prozent gesenkt werden – eine spürbare Entlastung für Menschen in einer Gegend, die nicht nur zu den am dünnsten besiedelten, sondern auch zu den ärmsten der Republik zählt.
[15] Truger, Achim, Kai Eicker-Wolf, Entwicklung und Perspektiven der Kommunalfinanzen in Hessen, Studie im Auftrag von ver.di Hessen, Frankfurt, Februar 2010, S. 51. Vgl. den Beitrag von Kai Eicker-Wolf in diesem Heft.
[16] IMK Steuerschätzung 2010-2014, Kein Spielraum für Steuersenkungen, IMK Report, Nr. 49, Mai 2010, S. 3.
[17] „Ausrede Steuerschätzung“, Financial Times Deutschland, 4.3.2010.
[18] Bericht über die Ergebnisse der Steuerschätzung, Ausschussdrucksache 17(7)52.
[19] Zahlenwert laut jüngster Steuerschätzung von Anfang Mai 2010, a. a. O. Die in den Medien viel zitierten 17,4 Prozent beruhen auf Schätzungen des Deutschen Städtetages vom Februar 2010. Diesen geringeren Satz zugrunde legend betragen die kommunalen Einnahmeverluste alleine aus der Gewerbesteuer 5,5, Milliarden Euro. Vgl. Deutscher Städtetag, Aktuelle Finanzlage der Städte, Rückblick auf 2009 und Prognose 2010, 2. Februar 2010, S. 2.
[20] Bundesministerium der Finanzen, Eckdaten zur Entwicklung der Kommunalfinanzen, Januar 2010.
[21] Bundesministerium der Finanzen, Pressemitteilung 24.2.2010, „Kabinett beschließt Einrichtung einer Gemeindefinanzkommission“.
[22] „Alle Jahre wieder. Die neue Gemeindefinanzkommission soll erfolgreicher sein als ihre Vorgängerin“, Der Neue Kämmerer 2.5.2010.
[23] Zwischenbericht der Arbeitsgruppe Kommunalsteuern an die Gemeindefinanzkommission, 1. Juli 2010, S. 4.
[24] Vgl. ebd., S. 5.
[25] Positionspapier des Arbeitskreises Strukturanalyse zum Zwischenbericht der Arbeitsgruppe Kommunalsteuern, S. 22.
[26] Zwischenbericht des Arbeitskreises „Administrierbarkeit“ für die Sitzung der Arbeitsgruppe „Kommunalsteuern“ am 17.6.2010, S. 5.
[27] Bayrischer Städtetag, Pressemitteilung 29.4.2010, „Schaidinger: „Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben klafft auseinander“, URL http://www.bay-staedtetag.de/index.php?id=4349,104
[28] „Keine tragfähige Alternative“, Financial Times Deutschland, 4.3.2010.
[29] „Städte gegen Abschaffung der Gewerbesteuer“, die-korrespondenten.de 5.7.2010, URL http://www.die-korrespondenten.de/beitrag/staedte-gegen-abschaffung-der-gewerbesteuer/
[30] Deutscher Bundestag, Antrag der Fraktion DIE LINKE., Die Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirtschaftsteuer weiterentwickeln, Drucksache 17/783; ver.di, Eckpunkte für eine Reform der Gemeindefinanzen.
[31] „Lob der Gewerbesteuer“, in: Berliner Zeitung 13.7.2010