Medien: Hegemonie und Gegenhegemonie

Bertelsmann Ein Konzern macht Politik

Dezember 2007

Bertelsmann ist in der Bundesrepublik der größte und weltweit am stärksten verflochtene Medienriese, global weiter ausgreifend als seine nächsten Konkurrenten AOL Time Warner und Vivendi Universal. Über seine Stiftung wirkt der Konzern als Denk- und Servicezentrale für den aktuellen Feldzug einer „Reform“ der deutschen Sozialverfassung.

Stiftungsgründer Reinhard Mohn pflastert dabei eine Art deutschen Sonderweg in die wirtschaftsliberal globalisierte Welt mit einer korporatistischen Unternehmenskultur. An die Stelle des Sozialstaates, den der Konzernpatriarch als überdehnt und überholt betrachtet, soll eine über Wettbewerb hergestellte Effizienz als Steuerungsinstrument treten. Mitbestimmung und demokratische Gestaltung sind obsolet. Und immer geht es um ein Zurückdrängen des Staates, eine Verringerung der Staatsquote und um die Senkung der „Steuerlast“ für unternehmerische Tätigkeit.

Jeder Bundesbürger über 14 Jahre verbringt durchschnittlich pro Tag eine Stunde mit der Nutzung von Bertelsmann-Produkten; dazu zählen vor allem von der Bertelsmann AG maßgeblich kontrollierte oder beeinflusste Fernsehsendungen, Zeitschriften – vom Boulevardblatt bis zum Nachrichtenmagazin Spiegel – und Buchpublikationen.

Der Konzern

Gegenwärtig erwirtschaftet das Familienunternehmen (die Aktien befinden sich mehrheitlich in Familienbesitz; das Unternehmen ist nicht an der Börse gelistet) mit mehr als 90.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Umsatz von über 20 Milliarden Euro, davon mehr als zwei Drittel im Ausland. Wie dieser Konzern gegliedert ist und welche Tätigkeiten er umfasst, sei anhand der wichtigsten Linien skizziert.

Die auf Bücher bezogene Linie erstreckt sich auf Buch-Clubs und mehr als 20 Verlage. In den Clubs sind weltweit über 25 Millionen Menschen auf allen Kontinenten organisiert – von Nord- und Südamerika über die meisten Staaten Europas bis hin zur Volksrepublik China. Der Verlagsbereich konzentriert sich auf den deutschsprachigen Raum, expandiert hier bis in die neueste Zeit und dehnt sich zunehmend auch auf Spanien und die USA aus. In den USA wurde Bertelsmann durch Vereinnahmung von Random House zum größten Buchverleger der gesamten englischsprachigen Welt.

Der Entertainment-Bereich umfaßt die weltweiten Tonträger- und TV/Film-Aktivitäten des Konzerns. Zu den Bertelsmann-Labels im Schallplattenbereich gehören z.B. so mächtige wie RCA, Ariola, Arista sowie 200 weitere kleine Labels in über 50 Ländern der Erde. Im TV-Bereich des Konzerns ist CLT-UFA mit 22 Fernsehsendern und 18 Radiostationen in elf Ländern führend in Europa. Inzwischen ergänzt um die britische Pearson TV und in RTL Group umbenannt, kontrolliert diese TV-Holding RTL, RTL 2, Super-RTL und Vox. An ihr ist Bertelsmann seit Februar 2001 mit 67 Prozent (bisher 37 Prozent) beteiligt (Financial Times Deutschland vom 7.2. 2001). In Frankreich beherrscht der Konzern M6, Serie Club, Multivision, TMC und RTL 9. Ihm gehören überdies weitere Sender in Großbritannien und allen drei Benelux-Staaten. Mit der RTL Group ist Bertelsmann klarer Marktführer des werbefinanzierten Fernsehens in Europa und damit, weil eben dessen Profiteur, organisatorischer Hauptträger der fortschreitenden Niveau-Senkung in diesem Bereich. Ein gewaltiges Geschäft und ebenfalls der Niveau-Senkung dienlich ist der Handel mit Aufführungsrechten – sie werden in über 140 Länder verkauft.

Der dritte Hauptbereich heißt aus historischen Gründen „Produktlinie Gruner Jahr“ und umfaßt 75 Zeitschriften (davon 34 in Deutschland) sowie zehn Zeitungen. Der Konzern beherrscht so bekannte Zeitschriften wie Stern, Brigitte, Frau im Spiegel, Eltern, Geo, Capital, Art, Marie Claire, Essen & Trinken und Schöner Wohnen. 1990 ist er in den Aufkauf und die Übernahme ostdeutscher Tageszeitungen eingestiegen (z.B. Berliner Zeitung, Chemnitzer Morgenpost, Dresdner Morgenpost, Sächsische Zeitung). Darüber hinaus beherrscht er heute bedeutende Zeitungen in Ungarn und der Slowakei.

Im Multimedia-Bereich ist der Konzern auch nach dem Verlust von AOL weiterhin aktiv und bemüht, seine zurzeit beschränkten Positionen auszubauen.

Das Tochterunternehmen Arvato ist auf IT-Dienste und Logistik spezialisiert; es ist mittlerweile der ertragsstärkste Bereich des Konzerns geworden. Neuerdings konzentriert sich das Unternehmen auf kommunales Management, wie Gebührenerhebung und Steuereinziehung. Ein erstes Projekt dieser Art wird im englischen East Riding betrieben, in der Bundesrepublik ist ein ähnliches mit der Stadt Würzburg vereinbart.

Die sonstigen Aktivitäten reichen vom Immobilienhandel im In- und Ausland bis zu Finanzverschiebungen über eine Bertelsmann International Finance Limited NV, die auf der Antillen-Insel Curaçao ansässig ist.

Die Stiftung

Der Einfluss des Bertelsmann-Konzerns reicht noch viel weiter. Im Jahr 1977 gründete der Unternehmenschef Reinhard Mohn die Bertelsmann-Stiftung. 1993 übertrug er der Stiftung die Majorität des Grundkapitals der Bertelsmann AG. Das war ein strategischer Geniestrich. Mohn sparte Steuern und entmachtete zugleich seine Nachkommen. Die hätten nach seinem Tod vielleicht große Teile des Konzerns verkauft oder an die Börse gebracht. Heute hält die Stiftung 76,9 Prozent der Aktien; das restliche Aktienpaket ist im Besitz der Familie Mohn. Aber sie hat kein Stimmrecht. Das wird von der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft ausgeübt. In diesem achtköpfigen Gremium ist die Familie Mohn mit vier Personen vertreten, und die übrigen Vertreter von Aufsichtsrat, Vorstand und Betriebsrat werden sich hüten, gegen die Familie Mohn aufzubegehren. Die Familie hat sich die Macht gesichert und zugleich den Ruf der Uneigennützigkeit erworben.

Tatsächlich wirtschaftet diese Nebenregierung in Gütersloh mit öffentlichem Geld. Immerhin sparte Konzernpatriarch Mohn durch die Übertragung von drei Vierteln des Aktienkapitals auf die Stiftung mehrere Milliarden Euro an Erbschafts- oder Schenkungssteuer. Zudem ist die jährliche Dividenden-Zahlung an die Stiftung steuerfrei. Insofern gibt diese mit ihrem Jahresetat von rund 60 Millionen Euro nicht mal annähernd das aus, was sie den Fiskus kostet.

In der öffentlichen Wahrnehmung repräsentiert die Aktiengesellschaft die Sphäre von Profit, Macht und Einfluss, von der sich die Stiftung als unabhängige und gemeinnützige Denkfabrik vorteilhaft abhebt, da sie sich offiziell gemeinnütziger Arbeit widmet.

(1) Anspruch: „Unsere Arbeit wird von der Erkenntnis Reinhard Mohns geprägt, dass unternehmerisches Denken und Handeln entscheidend dazu beitragen, Problemlösungen für die verschiedenen Bereiche unserer Gesellschaft zu entwickeln und erstarrte Strukturen aufzulösen. Auf diese Weise leisten wir – auch international – einen Beitrag zur kontinuierlichen Fortschreibung einer zukunftsfähigen Gesellschaft“. (Leitbild der Bertelsmann-Stiftung, S. 3)

(2) Ziel: „Unser vorrangiges Ziel als operative Stiftung ist eine möglichst große und nachhaltige gesellschaftliche Wirkung unserer Arbeit. Unseren gesellschaftlichen Reformbeitrag wollen wir weiter erhöhen: Wir werden unsere Aktivitäten zukünftig stärker auf Projekte fokussieren, die eine deutliche Hebelwirkung an entscheidenden Punkten der gesellschaftlichen Entwicklung bieten. Darüber hinaus werden wir uns noch stärker dafür engagieren, unsere Modellprojekte in die gesellschaftliche Wirklichkeit zu implementieren“. (ebenda, S. 10f)

(3) Methode: „Erfolgreiche Reformarbeit ist immer Teil eines projekt- und themenfeldübergreifenden Netzwerkes“ (ebenda, S. 8).

(4) Politischer Horizont: Eine „Kultur des strategischen Denkens“: Darunter versteht die Stiftung, „Prozesse von Integration und Erweiterung auf europäischer Ebene zielorientiert miteinander zu verknüpfen und die internationale Rolle Europas, das längst zu einem magnetischen Kraftfeld für eine sehr große Weltregion geworden ist, klar zu definieren.“ (Pressemiteilung vom 12.01.2004) In einer Dokumentation („Europas Alternativen“, Bertelsmann Vorlage zum IBF 09.-10. Januar 2004) wird der umfassende europäische Anspruch skizziert. Europa soll in strategischer Partnerschaft mit den USA die globale Position einer der „wenigen Produzenten von Ordnung“ einnehmen, und zwar in allen Bereichen: Wirtschaft, Energie, Transport, Infrastrukturentwicklung, Telekommunikation und Bildung, abgesichert durch ein gesamteuropäisches Verständnis einer „Strategiegemeinschaft“ nicht nur in den Bereichen „ziviler Macht“, sondern auch auf dem Gebiet militärischer Sicherheit, mit Hilfe der Aufrüstung einer „gemeinsamen europäischen Armee“. Es geht um die komplexe Ausstattung Europas zum „Kern einer neuen Weltordnung in allen geostrategischen Perspektiven“.

Bei der Bertelsmann-Stiftung handelt es sich mittlerweile um die größte operative Unternehmensstiftung in Deutschland, wobei „operativ“ bedeutet, dass man nur eigene Projekte finanziert. Anträge von unabhängigen Forschern auf Fördergelder sind prinzipiell zwecklos. Die Stiftung verfügt über einen Jahresetat von rund 60 Millionen Euro sowie über etwa 300 Mitarbeiter, die mehr als 100 Projekte betreuen. Dabei orientiert sie sich explizit an den US-amerikanischen Think Tanks; ihre Tätigkeitsfelder erstrecken sich über Wirtschaft, Medien, Kultur, Politik und Bildung. Wenn man zur Kenntnis nimmt, dass in allen bedeutsamen sozial-, bildungs- und sicherheitspolitischen Gremien Europas Gutachter der Bertelsmann-Stiftung sitzen und die meisten einschlägigen Entscheidungen ihre Handschrift erkennen lassen, gelangt man zu dem Schluss, dass Bertelsmann eine deutsche und europäische Großmacht ist.

Die Stiftung finanziert sich durch einen Medienkonzern. Deshalb ist Bertelsmann – als größte europäische Stiftung – ein brisanter Sonderfall. Die Politiker, die hier eingebunden werden, haben der Bertelsmann-Stiftung viel zu verdanken, nicht nur die Gelegenheit zum Informationsaustausch und zur Vorabsprache. Auftritte in den Bertelsmann-Foren, Berichte in Bertelsmann-Medien und TV-Präsenz in den Bertelsmann-Fernsehkanälen verbessern auch das persönliche Image. Und die Projekte der Stiftung liefern politische Legitimation. Die Macht der Bertelsmann-Stiftung resultiert also aus den Möglichkeiten, Beziehungen zwischen wichtigen gesellschaftlichen Akteuren herzustellen und öffentliche Aufmerksamkeit auf diese Personen zu lenken. Kein Politiker braucht ausdrücklich Propaganda für den Konzern zu machen. Die Unterstützung erfolgt indirekt und subtil. In Berlin und Brüssel legt man Bertelsmann keine Steine in den Weg, räumt sie vielmehr diskret beiseite.

Die Stiftung kommt mit Sendungsbewusstsein daher. Worauf gründet es sich?

- Keiner hat die Bertelsmann-Stiftung dazu beauftragt

- Die Stiftung hat keinerlei demokratisches Mandat, ein solches Leitbild für die Gesellschaft zu entwickeln

- Die Stiftung folgt einzig der – offensichtlich an US-amerikanischen Vorbildern angelehnten – Mission ihres Stifters Reinhard Mohn: „Was gut ist für Bertelsmann, ist gut für die gesamte Republik.“ (F. Böckelmann, H. Fischler, Bertelsmann, Frankfurt 2004, S. 225)

Weil aber die Republik eine solche Systemänderung nicht ohne weiteres mitmachen will, gilt es eben, die „Reformblockaden abzubauen“ und die (angeblich) „grundsätzlich vorhandene Reformbereitschaft der Bürger zu stärken“.

Reinhard Mohn verkündet seit längerem, dass das sozialpolitische Monopol des Staates aufgelöst werden müsse. Wo die sozialen Netze noch dominieren, soll Wettbewerb einkehren. Rationalisierungsmaßnahmen sollen Kosten senken. Gut verpackt im Design einer scheinbar dem Gemeinwohl verpflichteten Stiftung, die – ungefragt – gute Ratschläge verteilt, verfolgt das ostwestfälische Familienunternehmen eine kapitalistische Strategie neuen Typs. Ziel ist es, langfristig Gesellschaft, Staat und Geistesleben auf die Absatzinteressen der Unternehmen hin zu konditionieren, Arbeitnehmer in diesem Sinne in „Mitarbeiter“ zu verwandeln. Die politischen Formeln erinnern an den Ständestaat: „Philosophie der Partnerschaft“, „Stakeholder“, „Sicherheit und Freiraum“, „Verantwortung“, „regelmäßige Mitarbeiterbefragungen“, „freiwillige Sozialleistungen“, „Gewinnbeteiligung“, aber auch „Verzicht“, „Mehrarbeit“, „Lohnkürzungen“, „Flexibilisierung eines Lohnanteils“.

Die Besonderheit der Bertelsmann-Stiftung besteht nicht in ihrer wirtschaftsliberalen Programmatik, worin sich schlicht das Interesse einer Unternehmensstiftung ausdrückt. Vielmehr resultiert ihr spezifischer Charakter aus der erfolgreich praktizierten korporatistischen Strategie. Die Stiftung erlangt ihre gesellschaftliche Wirkungsmacht vor allem durch die aktiv betriebene Integration unterschiedlichster sozialer Akteure in die von ihr initiierten gesellschaftlichen Reformprojekte. Dies wiederum gelingt ihr, indem sie offenbar überzeugend vermitteln kann, dass die von ihr aus angeblichen ökonomischen Notwendigkeiten abgeleiteten Reformvorhaben nicht etwa wirtschaftliche Partikularbedürfnisse, sondern allgemeine Gesellschaftsinteressen verfolgen. Die hier verkündete Unternehmenskultur weist auf verblüffende Weise eine Nähe zur faschistischen Idee der „Betriebsgemeinschaft“ auf, der ebenfalls die Vorstellung gemeinsamer Ziele von „Betriebsführer“ und „Gefolgschaft“ zugrunde lag. Durch eine staatlich vermittelte korporatistische Strategie sollte der soziale Widerspruch von Kapital und Arbeit im Sinne der Volksgemeinschaft aufgelöst werden. Wie damals wird heute im Sinne eines sogenannten Wettbewerbskorporatismus auf die sozialen Verwerfungen im Innern und den zunehmenden Standortwettbewerb nach außen mit einer Formierung der Gesellschaft reagiert, die alle Kräfte bündeln will, um für den globalen Konkurrenzkampf gerüstet zu sein.

Die Stiftung versteht sich als Institution, die eine Integration unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen übernehmen und dafür sorgen will, dass gesellschaftliche Reformprozesse mit Kapitalinteressen übereinstimmen. Durch ihre Definitionsmacht in so zentralen gesellschaftlichen Feldern wie Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Medien trägt die Unternehmensstiftung zur gesellschaftlichen Akzeptanz des neoliberalen Umbaus bei.

Reinhard Mohn und seine Helfer glauben, sie hätten mit ihrer „Führungsphilosophie“ das Patentrezept zur „Reform“ von Politik, Verwaltung und Gesellschaft. Offiziell heißt es, der Konzern erbringe mit der Finanzierung der Stiftung einen „Leistungsbeitrag für die Gesellschaft“. Das ist die Standardaussage. Die Stiftung führt Projekte in den Bereichen Bildungs- und Hochschulpolitik, Sozialpolitik, Gesundheits- und Familienpolitik, Wirtschafts- und Sicherheitspolitik durch und ist, wie gesagt, mit ihren Experten in allen maßgeblichen Gremien auf deutscher und europäischer Ebene präsent. Ohne Bertelsmann oder gar gegen Bertelsmann geht hier nichts mehr. Man kann dennoch nicht sagen, dass Deutschland von Bertelsmann regiert werde. Schon deswegen nicht, weil es ja die Politiker sind, die zu Bertelsmann kommen: Das Regieren als operative Tätigkeit und Vollzug der „Agenda Bertelsmann“ überlässt man gerne dem dafür als tauglich befundenen Personal.

Die Netzwerkarbeit und Projektentwicklung der Bertelsmann-Stiftung ist so angelegt, dass sich die Akteure gar nicht mit Gegenmeinungen und Kritik auseinandersetzen müssen, dass sie Kritik in einer Haltung der Selbstgewissheit an sich abprallen lassen und so auftreten können, als sei die Richtigkeit ihrer Konzepte zweifelsfrei gegeben.

Das Spektrum der öffentlichen Meinung und der Politik wurde so nicht etwa erweitert, sondern im Gegenteil verengt und in einer Weise geformt, wie es offen ausgewiesene Interessengruppen kaum zu erreichen vermögen.

Unter dem Hinweis auf Entlastung der öffentlichen Haushalte und unter dem beschönigenden Etikett eines „zivilgesellschaftlichen Engagements“ greift der Staat die „gemeinnützigen“ Dienstleistungen privater Denkfabriken nur allzu gerne auf. Er zieht sich aus seiner Verantwortung zurück und überläßt wichtige gesellschaftliche Bereiche, wie etwa Bildung oder die Hochschulen, gleich ganz den „Selbsthilfekräften“ der Marktgesellschaft. Aus dieser Staats- und Gesellschaftsvorstellung speist sich die Idee von der „selbständigen Schule“ oder der „Entlassung“ der Hochschule aus der staatlichen Verantwortung, wie das etwa mit dem „Hochschulfreiheitsgesetz“ in Nordrhein-Westfalen mit seiner Übertragung der Fachaufsicht auf einen externen Hochschulrat geschehen ist.

„Der anonyme Wohlfahrtsstaat hat ausgedient, an seine Stelle tritt der soziale Staat, der vom bürgerschaftlichen Engagement und vom solidarischen Verhalten aller lebt. Dass möglichst viele verantwortungsvoll ihr Können in den Dienst der Gemeinschaft stellen, das macht diesen Staat auf Dauer lebensfähig“, das schrieb die Ehefrau des Stiftungsgründers Liz Mohn in einem Gastkommentar zum Tag des Ehrenamtes in der Financial Times Deutschland (5. Dezember 2006).

Aufstellung

Die Bertelsmann-Stiftung ist keine frei schwebende Forschungsgemeinschaft für kluge Köpfe. Ihre ganze Bedeutung zeigt sich erst vor dem Hintergrund des Strukturwandels der parlamentarischen Demokratie. Die Ausrichtung der bundesdeutschen Gesellschaft hin zur offenen Hegemonie des Kapitals reibt sich an den parlamentarischen Regeln. Den Wählern sind die Segnungen der vorgeblichen Reformen häufig schwer zu vermitteln, es besteht das Risiko, dass die politischen Parteien an den Wahlurnen für derlei Ansinnen abgestraft werden, das verantwortliche Personal also Macht, Posten und Pfründe einbüßt. Da bietet es sich an, angeblich neutrale, über den Parteien stehende Institutionen anzurufen, ihre über jeden Zweifel erhabene Expertenmeinung einzuholen, die jeweiligen Ergebnisse medial als Sachzwänge darzustellen, also den Eindruck des faktisch Unausweichlichen zu konstruieren.

Bertelsmann eignet sich hervorragend als „ehrbarer Makler“ für solche Arrangements. Die Stiftung hält entsprechend geschultes Personal vor; die Finanzierung ist gesichert, und der Konzern hält seine Medienmacht bereit. Was dabei aber gern übersehen wird, ist, dass der „Makler“ seine eigene Reformpolitik betreibt. Die Bertelsmann-Stiftung verfolgt ganz im Sinne von Reinhard Mohn das ehrgeizige Ziel, Staat und Gesellschaft zu perfektionieren, und zwar nach Grundsätzen der Effektivitätssteigerung, die sich angeblich in den Bertelsmann-Stammbetrieben bewährt haben. Mohn hat sich schon in den achtziger Jahren darüber beklagt, dass Politik und Verwaltung „unfähig zu wirtschaftlichem Denken“ seien. Er möchte allen Ernstes die Unterschiede zwischen Wirtschaft und Politik einebnen. Und er spricht den Politikern die Fähigkeit zur energischen Rationalisierung und Kosteneinsparung ab; deshalb bedürfen sie der Bertelsmann-Hilfe.

Gleich, ob es um die Reform von Schulen und Hochschulen geht oder den Umbau der Sozialsysteme, ob die steigende Alterung der Bevölkerung bewältigt werden muss oder der Aufbau einer europäischen Armee organisiert wird, eines ist fast immer sicher: Experten der Bertelsmann-Stiftung sind auf höchster Ebene beteiligt, als Berater, als Moderatoren – und als Antreiber. Von den Kultusministerien bis zum Kanzleramt, von den Kommunalverwaltungen bis zum Amt des Bundespräsidenten gibt es kaum eine politische Behörde, die nicht mit der Stiftung kooperiert. Diese, so heißt es im Leitbild der Organisation, verstehe sich „als Förderin des gesellschaftlichen Wandels“ und nehme „aktiven Einfluß“ zugunsten einer „zukunftsfähigen Gesellschaft“.

Vorrang hat die direkte Beeinflussung politischer Entscheidungen, und dies vor allem im Sinne des Stifters Reinhard Mohn. Indem „die Grundsätze unternehmerischer, leistungsgerechter Gestaltung in allen Lebensbereichen zur Anwendung gebracht werden“, soll das Regieren besser werden, stets nach dem Prinzip „so wenig Staat wie möglich“.

Dem dient es auch, daß die Experten der Stiftung alle Akteure der Gesellschaft vornehmlich nach Leistungsrängen einteilen. Gleich ob Arbeitsvermittlung, Gesundheitsversorgung, Kommunalverwaltung, Hochschulen oder ganze Bundesländer und Staaten, die Reformer aus Gütersloh finden für deren Tätigkeiten scheinbar objektiv messbare Leistungskennziffern, um Wettbewerb für die Bertelsmann-Vorgaben und politischen Druck zu erzeugen. Die Verklärung betriebswirtschaftlicher Methoden zum gesellschaftspolitischen Leitbild („Leistungen vergleichbar machen“) hat zwangsläufig eine ideologische Schlagseite.

Diese ideologische Ausrichtung war auch für die Vorbereitung der Arbeitsmarktreformen maßgeblich. An diesem Großprojekt der Schröder-Fischer-Regierung waren die Bertelsmänner gleich an mehreren Schlüsselstellen beteiligt. Einflussreich war etwa das von der Stiftung mitfinanzierte „Projektbüro Benchmarking“, das im Jahr 1999 im Auftrag des Kanzleramts die dänische, niederländische und britische Arbeitsmarktpolitik als „Benchmark“, als Maßstab pries. Die beauftragten Experten forderten schon damals die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und mehr Druck zur Aufnahme einer beliebigen Arbeit.

Zuvor hatten die Stiftungsexperten beim damals noch amtierenden Bundespräsidenten Roman Herzog und den Vertretern von 250 Kommunen ihre Eindrücke über die „Vergeudung der Ressourcen“ bei der Betreuung von Langzeitarbeitslosen vorgetragen. In der Folge wurde eine mit Vertretern der Kommunalen und Sozialeinrichtungen besetzte Arbeitsgruppe gebildet. An deren Vorlagen schließlich orientierte sich die Hartz-Kommission bei der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe.

Die Hartz-Vorbereitung verdeutlicht die Arbeitsweise der Stiftung, relevante gesellschaftliche Gruppierungen einzubinden, sie mit wissenschaftlich daherkommenden Informationen zu versorgen, dabei immer das eigentliche Ziel vor Augen. Billigend wird hingenommen, dass die Wissenschaftlichkeit der Stiftungsexpertisen eher fragwürdig ist: So vergaßen die Gütersloher Experten darauf hinzuweisen, dass die Erfolge anderer Länder bei der Arbeitsmarktreform auf völlig anderen Bedingungen aufbauen. Von der massiven Ausweitung des öffentlichen Beschäftigungssektors in Großbritannien oder den hohen Ausgaben in Dänemark für die Fortbildung ihrer Arbeitslosen war nicht die Rede. Ausgeblendet blieben auch die absehbaren sozialen Folgen. Das ist zwar unseriös, aber offenbar erfolgreich – die Medienmacht der Bertelsmann-Family reicht allemal aus, Kritiker gar nicht erst zu Wort kommen zu lassen.

Am Rande: Zwar ist in den Stiftungsleitsätzen viel von „Menschlichkeit“ und „Solidarität“ die Rede. Gleichwohl hat die Denkfabrik unter Hunderten von Expertisen bis heute nicht eine einzige hervorgebracht, die sich mit den weit mehr als eine Million Kindern befaßt, deren Familien mit den „Reformen“ in eine Armutsexistenz gezwungen wurden.

Die „fokussierte Partnerschaft“ mit Ministerien und Parlamenten, wie die Stiftung es nennt, folgt dem Prinzip der gegenseitigen Instrumentalisierung. Beamte und Politiker erhalten einen privilegierten Raum, wo sie kostenlos und exklusiv informiert werden und diskutieren können. Die Vordenker bei Bertelsmann sichern sich dafür den Zugang zu allen Projekten, die sie beeinflussen wollen. Im Ergebnis ist es gleich, wer durch Wahlen in die Regierung kommt. Irgendwie regiert die Bertelsmann-Stiftung immer mit.

Umso schwerer wiegt deshalb, dass der Bertelsmann-Stiftung ausgerechnet das fehlt, was ihre Experten allen anderen verordnen: Wettbewerb und Kontrolle durch externe Prüfer. Nicht nur mangelt es an Einrichtungen, die ähnlich gut ausgestattet, aber mit anderen politischen Ideen Politikberatung betreiben. Zudem muss sich die Stiftung vor keinem Parlament und Rechnungshof für den Einsatz ihrer Gelder rechtfertigen. Anderswo, etwa in den Vereinigten Staaten, unterliegen Stiftungen einer strengen Aufsicht. Man sollte meinen, die Stiftung würde selbst dafür sorgen, denn die Förderung „demokratischer Öffentlichkeit“ ist eines der Stiftungsziele.

Eine Änderung des deutschen Stiftungsrechts nach US-amerikanischem Vorbild könnte Nachdenklichkeit in Gütersloh beschleunigen. In den USA ist der Kapitalbesitz einer Stiftung am Unternehmen des Stifters nur bis 20 Prozent erlaubt (bei Bertelsmann sind es 76,9 Prozent), und die Arbeit der Stiftung im Geschäftsfeld des Unternehmers ist tabu. Die Idee dahinter ist, dass ein Stifter massiven Einfluß mit seiner Stiftung ausübt und diesen nicht zum ökonomischen Nutzen seines Konzerns einsetzen soll.

Zugespitzt formuliert: Wäre die Bertelsmann-Stiftung in den USA beheimatet, würde sie strafrechtlich belangt: Stiftungsgelder sind steuerlich begünstigt und ihre klammheimliche Nutzung für den Konzern, etwa über erbrachte Dienstleistungen strategischer Art, erfüllt den Straftatbestand der Steuerhinterziehung.

Einsatzfelder

Die Bertelsmann-Stiftung ist ein politischer Akteur, der sich selbst durch professionelle PR-Arbeit mit einem salbungsvollen Image ausgestattet hat. Sie übt immensen politischen Einfluß auch über die mit ihr verbundenen halbprivaten Institutionen wie das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) oder das Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP) aus.

Die Bertelsmann-Stiftung arbeitet daneben mit anderen Einrichtungen zusammen, angefangen bei den beiden ihr weltanschaulich nahestehenden Stiftungen Heinz-Nixdorf und Ludwig-Erhard über die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler- bis hin zur Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen. In der „Stiftungsallianz bürgernaher Bundesstaat“ nahmen die Gütersloher sogar Einfluss auf die deutsche Verfassungspolitik und sorgten für die neoliberale Ausrichtung der jetzigen Föderalismusreform. Ferner unterhält die Bertelsmann-Stiftung Verbindungen zu einer Vielzahl öffentlicher und halböffentlicher Einrichtungen. Durch Kontakte zu Universitäten, z.B. über CHE und CAP, hat sie prominenten Zugang zum Wissenschaftsfeld. So kann die Stiftung auf ein breit ausgelegtes personelles und organisatorisches Netzwerk zurückgreifen, um gesellschaftlichen Einfluss auszuüben.

Profitabler Bildungsbereich

Die Bildungspolitik ist für Bertelsmann ein zentrales Betätigungsfeld; der Konzern strebt seit langem auf den Bildungsmarkt, um dort seine Publikationen und privaten Dienstleistungen anzubieten. Gleichzeitig will die Stiftung über die von ihr maßgeblich vorangetriebene Hochschulreform das Ziel verwirklichen, Bildung und Wissenschaft der Wirtschaftspolitik unterzuordnen. Dieser Ansatz geht auf den European Round Table of Industrialists (ERT) zurück, einen Zusammenschluß von Großkonzernen innerhalb der EU. Der Webseite dieser Vereinigung ist zu entnehmen, dass die hieran beteiligten Konzerne einen Gesamtumsatz von etwa 1,5 Billionen Euro repräsentieren. Eine Kommerzialisierung des Bildungswesens käme Bertelsmann als führendem europäischen Medienkonzern mit traditionell großen Ambitionen im „Geschäftsfeld Bildung“ sehr entgegen. In den Entwurf für die EU-Verfassung wurde auf Betreiben des Senior Vice President Media der Bertelsmann AG die Passage aufgenommen, dass Regierungen die Möglichkeit haben sollten, Studiengebühren zu erheben. Dieser Konzernmitarbeiter, Elmar Brok (CDU), ist im Nebenamt EU-Parlamentarier.

In der Hochschul-„Reform“ ist insbesondere die Einführung von Studiengebühren interessant, weil eine solche Monetarisierung diesen Bereich für private Investoren lukrativ machen kann.

Doch auch die einfache Schulbildung liegt im Blickfeld des Konzerns und seiner Stiftung. Nach dem Public-Private-Partnership-Modell sollen sich dabei private Unternehmen durch Kooperation mit öffentlichen Gremien Renommee und Einfluß sichern. Einen Anstoß dazu gab u. a. 1992 die Bildungskommission NRW, die ihren Bericht 1995 präsentierte. Als Leitbild entwickelte sie das „Haus des Lernens“, um eine „offene“ Bildungsorganisation einzuführen. Zwecks Steigerung der Selbstverantwortung der Einzelschule befürwortet man die Umstellung auf ein Pauschalfinanzierungskonzept, welches es der Schule erlaubt, individuelle Akzente der Finanzierung und Bewirtschaftung zu setzen. Wettbewerb zwischen Schulen soll Kostenbewußtsein etablieren, auch durch die Einführung eines Controlling- und Berichtswesens. Das Ziel besteht darin, das derzeitige System auf eine Kosten-Leistungsrechnung umzustellen.

Bedenklich stimmt, daß diese Perspektive auf ein Zweiklassen-Bildungssystem hinführt, in dem reiche Eltern ihren Nachwuchs auf „erstrangige“ Schulen schicken, die im Wettbewerb besser abschneiden und mehr Mittel erhalten. Aus benachteiligten Schulen ziehen sich dann noch mehr wohlhabende Schüler zurück, da dort die Qualität der Ausbildung gesunken ist.

Ferner ist zweifelhaft, ob sich menschliche Lernprozesse wie Stückgutkosten im Sinne betriebswirtschaftlichen Controllings messen lassen. In dem angestrebten System werden Bildung und Wissenschaft auf eine Ideologie von Effizienz und Konkurrenz zurückgeführt.

Im bislang kostenlosen deutschen Bildungssektor ist viel Geld zu holen. Das weiß auch Medienmogul Reinhard Mohn, dessen Konzern übrigens wegen der jüngsten Auszahlung von 4,5 Milliarden Euro an die Group Bruxelles Lambert, die bis dahin 25,1 Prozent der Aktien der Bertelsmann AG gehalten hatte, dringend Cash benötigt, ein Umstand, der den geschäftlichen Eifer der „Reformer“ bestärken dürfte .

Geopolitische Ambitionen

Mit ihrem „Bertelsmann Transformation Index“ (BTI) konnte sich die Bertelsmann-Stiftung als geopolitische Denkfabrik auf der internationalen Politikbühne positionieren. Sie propagiert dort als Teil einer Armada von Think Tanks das globale Leitbild einer neoliberal geprägten „marktwirtschaftlichen Demokratie“. In diesem Szenario spielt der BTI eine wichtige Rolle: Der Index wird regelmäßig erstellt und misst die „Reformbereitschaft“ von 119 Entwicklungs- und Schwellenländern. Er wird vom CAP im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung ausgearbeitet, überprüft den Veränderungswillen der Regierungen und gibt Ratschläge für die zukünftige Politik.

Ziel ist die Suche nach den wirksamsten strategischen Verfahren, mit denen weltweit das System einer „marktwirtschaftlichen Demokratie“ installiert werden kann. Die Einflußnahme Dritter ist für ärmere Länder nichts Neues. Aufgrund ihrer schwachen Stellung sind sie in wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Fragen oft auf reiche Investoren und auf Kredite angewiesen. Dabei werden ihnen nicht selten Maßnahmen zur „Strukturanpassung“ diktiert, die einer Plünderung gleichkommen: Privatisierung staatlicher Wirtschaftszweige, Einsparungen im Gesundheitswesen, Senkung von Umweltstandards etc.

Nahe liegt im Themenfeld der Geopolitik auch die Beschäftigung mit militärischen Fragen. Die Bertelsmann-Stiftung prognostiziert das baldige Ende der globalen US-Dominanz und verlangte über das Münchner CAP eine dramatische Aufrüstung der Europäischen Union. Im EU-Parlament wurde Militärforschung im Haushaltsplan jüngst mit jährlich 500 Millionen Euro veranschlagt. Hilfreich war dabei sicherlich die Lobbyarbeit des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, des bereits erwähnten Media-Vizepräsidenten der Bertelsmann AG.

Übernahme öffentlicher Aufgaben

Die Firma Arvato AG ist eine der bedeutendsten Töchter von Bertelsmann und fährt nach RTL mit 310 Mio. Euro den höchsten Gewinn ein. Umsatz: 3,756 Mrd. Euro. Man möchte gern die Aktivitäten ausweiten und Profit aus der Übernahme bisher öffentlicher Aufgaben schlagen. Mit der britischen Stadt East Riding (Yorkshire) hat das bereits funktioniert. Dort wird von Arvato fast die gesamte Stadtverwaltung erledigt. So werden von Arvato auch Sozialleistungen ausgezahlt und Steuern und öffentliche Gebühren erhoben. (German Foreign Policy, „Unter deutscher Verwaltung“, 5. April 2005)

Damit wird ein wichtiges Ziel von Bertelsmann klar: „Bürokratieabbau“ wird den Menschen mundgerecht als notwendig verkauft, um später die Gewinne einzufahren, die man sich von solchen Public-Private-Deals erwartet. Dass aber künftige Gewinne bei steigender Anzahl von Arbeitsplätzen zu erhalten sind, ist mehr als unwahrscheinlich. Bisher jedenfalls sind bei den Aktiengesellschaften die Kurse meist nach Entlassungen gestiegen. Ganz zu schweigen von den schlechten Erfahrungen mit so genannten Privatisierungen in Deutschland. Bürokratieabbau ist daher eben auch Abbau von Arbeitsplätzen und von Service.

Das globale Engagement der Bertelsmann-Stiftung

Die Stiftung hat internationale Ableger in Spanien und den USA: 1994 wurde die Bertelsmann Foundation in New York gegründet, 1995 die Fundación Bertelsmann in Barcelona. Bei den Feierlichkeiten zum zehnjährigen Bestehen erklärte die Fundación, in Spanien ein Kompetenzzentrum für private Stiftungen einrichten und die Stiftungstätigkeit auf das wirtschafts- und gesellschaftspolitische Leben ausdehnen zu wollen.

Spanien spielt in den strategischen Überlegungen der Stiftung eine wichtige Rolle. Von Spanien aus gelangte die Bertelsmann AG auf den lateinamerikanischen Markt. Im November 2002 wurde ein deutsch-spanisches Europa-Forum ins Leben gerufen mit dem Ziel, dass beide Länder eine strategische Allianz bilden. In einem 2003 veröffentlichten Papier heißt es: „Sowohl Spanien als auch Deutschland fällt eine Schlüsselrolle als Mittler zu großen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Räumen zu.“ Deutschland habe diese Funktion „vor allem im Hinblick auf den mittel- und osteuropäischen Raum, die GUS und den Nahen Osten“ Spanien „im Hinblick auf den Mittelmeerraum, die arabische Welt und Lateinamerika“„Die strategische und miteinander abgestimmte Gestaltung der Beziehungen zu diesen Großräumen“, wurde im Papier ausgeführt, sei „von entscheidender Bedeutung für die zukünftige Rolle Europas als weltpolitischer Akteur...“

Die Stiftung aus Gütersloh ist auch in Asien, Afrika sowie auf dem indischen Subkontinent vertreten. Mit einem Internationalen Kulturforum in Delhi baute sie 2005 ihr Netzwerk in Indien aus. Im Vorfeld der Veranstaltung hieß es, das Kulturforum sei anberaumt worden, um die Kräfte Europas und Indiens „in einer strategischen Partnerschaft zu vereinen“. Die Stiftung prüfe die künftigen Chancen für die Errichtung von Bürgerstiftungen im südasiatischen Land.

Für Kongo verfaßte die Stiftung im Jahr 2003 einen Länderbericht, in dem die Ausarbeitung von Privatisierungsstrategien in den Sektoren Bergbau, Transport und Energie empfohlen wird. „Fortgeführt werden müssen erfolgversprechende Ansätze bei der Etablierung eines gesunden Bankensystems und Kapitalmarkts, eines funktionierenden Steuersystems“ wird dort erklärt. Die Stiftung formulierte die Empfehlung, weltweit eine größere Zahl von einsatzfähigen Kräften für Krisengebiete bereitzustellen.

Zu China knüpft Gütersloh seit Mitte der 1990er Jahre Kontakte. 1995 wurde die Shanghai Bertelsmann Culture Industry Company gegründet. 2004 engagierte sich der Fernsehsender RTL beim Staatssender China Central Television. Im gleichen Jahr fand in Peking ein Kulturforum statt. Seitens der Stiftung wurde die Notwendigkeit eines gemeinsamen europäischen Vorgehens bei der Intensivierung der Kulturbeziehungen mit China unterstrichen. Im Gegenzug versprach der chinesische Kulturminister die „Öffnung des Kulturmarkts für ausländische Unternehmen“. Über zehn Milliarden Euro sei der chinesische Kulturmarkt wert, Reise-, Unterhaltungs- und Mediengeschäft eingeschlossen. China werde diesen Kulturmarkt für die „intensive kommerzielle Nutzung vorbereiten“, warb der Minister...

Wie dieses und andere Beispiele zeigen, gehen die weltweiten Aktivitäten der Bertelsmann-Stiftung einher mit den globalen Tätigkeiten des Medienkonzerns sowie mit einer gezielten Ausweitung seiner Produktpalette.“ (Alle Zitate aus Rudolph Bauer, ‚Gemeinwohl und Eigeninteresse. Das globale Engagement der Bertelsmann-Stiftung’, Neue Zürcher Zeitung vom 30. März 2007.)