Mit der Gründung der Fraktion „Identität/Tradition/Souveränität“ (ITS) ist es der extremen Rechten im Europäischen Parlament nach vielen Jahren wieder gelungen, eine eigenständige Fraktion auf die Beine zu stellen und ihre Arbeit organisatorisch und finanziell aufzuwerten. Die hier vertretenen Parteien aus Frankreich, Belgien, Italien, Österreich, Großbritannien bis hin zu Rumänien und Bulgarien vereint vor allem der allgegenwärtige Rassismus und die Abwehr gegen Migrantinnen und Migranten – ansonsten ist die ITS ein äußerst heterogenes Gebilde, dass die ganze Spannbreite der extremen Rechten abbildet. Hatte diese in den letzten Jahren, wie Meinhard Meuche-Mäker für die veranstaltende RLS-Hamburg eingangs betonte, vor allem durch die Aufnahme neoliberaler Ideologiemomente einen neuen Aufschwung erlebt, so lassen sich heute vermehrt Rückgriffe auf soziale Themen feststellen. Inhaltlich knüpfte die Tagung an eine ähnliche Veranstaltung der RLS 2005 in Köln an, die diese neue Entwicklung auf der Rechten unter europäischen Gesichtspunkten in den Blick nahm. Der internationale Blick, gewährt durch ReferentInnen aus Frankreich, Dänemark, Italien, Österreich, Polen und Großbritannien, ermöglichte auch in Hamburg eine Sicht über den deutschen Tellerrand hinaus. Allerdings verschob sich der Fokus dieser Tagung von den Parteien der extremen Rechten auf die bürgerliche Rechte, etwa auf den Wahlsieg Sarkozys und die Frage, welche Fehler der Linken den rechten Aufstieg erst möglich gemacht haben.
Da das Stichwort Rechtspopulismus den Aufstieg von Parteien wie der FPÖ oder auch des Vlaams Belang begleitet, stand dieser im Zentrum des Referats von Tanja Binder vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Ein Dilemma, so ihre Einleitung, sei dieser Rechtspopulismus vor allem auch für linke Parteien. Mittels der starken populistischen Ausrichtung gelinge der Rechten erstens eine deutliche Wählermobilisierung, zweitens die verstärkte Setzung politischer Themen und werde drittens die Bildung von Mitte-Links-Mehrheiten verhindert. Rechtspopulistischen Parteien können Einbrüche in die traditionelle Klientel der Linken verzeichnen, zeitweise (so in Österreich 1999) konnten sie die größten Teile der Arbeiterschaft an sich binden. Mit den Themen Zuwanderungspolitik, Europa- und Globalisierungskritik sowie nationale Identität besetze die extreme Rechte Themen, denen von links bzw. der bürgerlichen Mitte wenig entgegengesetzt würde. Schlimmer noch, beim Thema Zuwanderung sei die sozialdemokratische Linke völlig von ihrer früheren Linie abgewichen.
Die Fehler der Linken standen auch im Zentrum des Abendpanels, das sich unter dem Titel „Der Fall Frankreich – Rechtes Modell für Europa?“ dem Wahlsieg der französischen bürgerlichen Rechten widmete. Gilbert Casasus, Politikwissenschaftler aus Frankreich und Francoise Diehlmann, wiesen vor allem auf die Versäumnisse der gemäßigten und radikalen Linken in Frankreich hin, die erst den Wahlsieg Sarkozys ermöglicht hätten. So habe die gesamte Linke im ersten Wahlgang 35 Prozent der Stimmen erreicht, während Mitterand 1988 allein 34 Prozent erringen konnte. Und während Mitterand 73 Prozent der Unterschichtenstimmen an sich binden konnte, gewann Jospin (bei seiner Niederlage gegen Le Pen) hier nur noch 14 Prozent. Dieser Attraktivitätsverlust der Linken habe seinen Grund in der fehlenden Verarbeitung der sozioökonomischen Entwicklungen seit Beginn der 1990er Jahre, dem Niedergang der linken intellektuellen Debatte in Frankreich und den daraus resultierenden fehlenden politischen Konzepten. Der Rechten unter Sarkozy sei es hingegen gelungen, auch größere Teile der Arbeiterschaft an sich zu binden und deren Abgrenzungsbedürfnisse gegenüber Ausländern und Arbeitslosen so zu bedienen, dass der extremen Rechten unter Le Pen kein Raum mehr blieb. Die sozialdemokratische Linke habe den Identitätsdiskurs der Rechten aufgegriffen und ihm nichts entgegengesetzt. In der Debatte gab es eine Kontroverse, ob die linke Niederlage nicht vor allem mit der Zersplitterung und der Aufgabe des klaren Kurses der Nein-Kampagne beim EU-Verfassungsvertrag zusammenhinge. Casasus vertrat die Ansicht, es habe sich nicht nur um ein linkes Nein gehandelt. Auch sei zu berücksichtigen, dass es sich bei Sarkozy nicht um einen lupenreinen Neoliberalen handele und er in diesem Sinne von Angela Merkel und der Wahl in Deutschland gelernt habe.
Am zweiten Tag der Konferenz standen zunächst die „Programmatischen Veränderungen der Rechten in Europa“ im Zentrum, wobei wiederum mit Frankreich begonnen wurde. Gilbert Casasus und Bernhard Schmid, Journalist aus Paris, vertraten die These, dass die Debatten um Zuwanderung und nationale Identität als zentrale Themen der extremen Rechten Einzug in den Mehrheitsdiskurs in Frankreich gefunden haben. Was die Zukunft des FN betreffe, so sei dies im Moment nicht absehbar und hinge von der weiteren Entwicklung der bürgerlichen Rechten unter Sarkozy ab. Das Angebot an den FN laute: Anpassung und Beteiligung oder weitere Ausgrenzung. Die Krise der Linken führe jedoch dazu, dass der FN seinen Platz im Moment eher in der radikalen Opposition als Ersatz für die Linke sehe.
Holger Politt, Leiter des RLS-Büros in Warschau, nahm in seinem Beitrag die bürgerliche Rechtsregierung in den Blick, deren drei Parteien allesamt kritisch gegen die geltende Verfassung des Landes ständen. Diese Rechte habe bei den letzten Wahlen ca. 60 Prozent der Stimmen gewonnen und Politts Prognose zufolge werden sie diesen Anteil – neu zusammengesetzt – auch bei den kommenden Wahlen verteidigen können. Drei Schlagwörter einten die polnische Rechte: Das „moralische Polen“, das gegen die Korruption im Land und gegen den politischen Kompromiss nach 1989 stehe, das „solidarische Polen“ mit dem Versprechen der sozialen Partizipation für die unteren Schichten und schließlich die historische Politik, die mit seiner Wendung gegen Deutschland und dem Verweis auf die Geschichte eine selbstbewusste europäische Politik vertrete. Während es in Polen bis heute keine Stabilität der Parteien gebe, sei diese bei den politischen Lagern sehr wohl vorhanden, sodass die konservative Rechte ein stabiler Faktor bleibe.
Dass die Krise der Linken den Aufstieg der Rechten befördert, konnte René Karpantschoff, Sozialwissenschaftler aus Kopenhagen, noch einmal am dänischen Beispiel verdeutlichen. Die Dänische Volkspartei versuche, die zunehmenden sozialen Konflikte als nationale Konflikte zwischen Dänen und MigrantInnen zu deuten.
Das italienische Beispiel zeigt vielleicht am eindrücklichsten, welche Richtung die politische Rechte nehmen kann, wenn neoliberale und traditionelle Rechte eine Verbindung eingehen. So berichtete Saverio Ferrari,Rifiondazione Comunista, dass das Mitte-Rechts Lager vor der letzten Wahl Abkommen mit allen Gruppierungen der extremen Rechte getroffen, also auch den harten Kern der Neofaschisten einbezogen habe. Völlig anachronistisch, aber in Italien offenbar immer noch einsetzbar, musste die von Berlusconi beschworene kommunistische Gefahr als Begründung für dieses Bündnis herhalten. Ziel der Rechten, so Ferrari, sei letztendlich der Bruch des antifaschistischen Konsenses nach 1945. Trotz der Heterogenität der rechten Bündnispartner entfaltet die italienische Rechte bis heute eine Massenwirkung, der die Linke kein eigenes stabiles Projekt gegenüberstellen konnte.
Mit der Frage nach den nationalen und transnationalen Umgruppierungen der Rechten wurde in der dritten Runde des Tages die internationale Zusammenarbeit der extremen Rechten beleuchtet. Hermann Dworczak, Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, vertrat die Thesen, dass die gegenwärtige Zusammenarbeit in der IST-Fraktion eine neue Qualität darstelle. Diese Fraktion sei zwar durch zahlreiche Widersprüche gekennzeichnet, gleichwohl sei sie aber zu gemeinsamen Aktionen und Tagungen fähig. Allein aus organisatorischen Gründen werde die Fraktion bis zur nächsten EU-Wahl zusammen bleiben und wohl auch mit einer gemeinsamen Liste antreten. Erst unmittelbar vor der Tagung hatte es eine gemeinsame Erklärung von NPD, DVU und Reps gegeben, die sich positiv auf die ITS-Fraktion bezog.
Ein Europa der Vaterländer im gemeinsamen Kampf gegen die US-geführte Globalisierung, so beschrieb Horst Helas, Verantwortlicher für den Arbeitsschwerpunkt Rechtsextremismus bei der RLS, eine ideologische Brücke der extremen Rechten in Europa. Holocaustleugnung, internationale Musikevents und revisionistische Demonstrationen seien weitere verbindende Punkte. Eine (ideologische) Verbindung ganz anderer Art benannte Volker Weiß, Historiker und Literaturwissenschaftler aus Hamburg. So gebe es strukturelle Ähnlichkeiten zwischen dem radikalen politischen Islamismus und der extremen Rechten. Vor allem ein radikaler Antisemitismus und die antiwestliche Ausrichtung seien Punkte der Gemeinsamkeit und die angeführten Äußerungen des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad seien eindeutig. Insbesondere von Seiten der französischen TeilnehmerInnen wurde diese Verbindung als zu pauschal zurückgewiesen. Unbeantwortet blieb die Frage nach konkreten Formen der Zusammenarbeit.
Gegenstrategien und Projekte gegen Rechts waren das Thema des Abschlussplenums. Paul Meszaros, Gewerkschafter aus Großbritannien, erläuterte an zahlreichen Beispielen die Initiativen gewerkschaftlicher Kräfte zur Auseinandersetzung mit der British National Party (BNP). Unter dem Motto „Hope not hate. Stop the BNP“ gibt es in England zahlreiche konkrete Initiativen, die sich vor allem um die überparteiliche Zeitung „Searchlight“ gruppieren. Petra Pau, Mitglied der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag, sprach über die immer noch zu verzeichnende Unterschätzung des Problems der extremen Rechten durch große Teile der Politik, wie sie sich an der reflexhaften Reaktion auf die rassistische Hetzjagd im sächsischen Dorf Mügeln gezeigt habe. Die Verbreitung rechtsextremer Ideologieelemente in der Mitte der Gesellschaft beweise, dass es kein Problem des Randes oder des Ostens sei. Deshalb sei es eine zentrale Aufgabe der Politik, vorhandenes gesellschaftliches Engagement gegen rechts auch finanziell zu unterstützen. Schließlich unterstrich Elisabeth Gauthier, Espace Marx aus Paris, dass trotz der Wahl von Sarkozy zum Staatspräsidenten nicht von einer globalen Rechtsentwicklung in Frankreich gesprochen werden könne. Zugleich sprach sie von der größten Krise der kommunistischen Bewegung in Frankreich, aus der gründliche strategische Schlussfolgerungen gezogen werden müssten.
Durch den internationalen Austausch war die Tagung eine eindeutige Bereicherung der deutschen Debatte zum Thema. Allerdings mangelte es an einer durchgehenden Fragestellung für die verschiedenen Referate. So geriet die Frage, warum der Neoliberalismus, der noch 2005 in Köln als zentrales Element der Erneuerung der modernen und populistischen extremen Rechten beschrieben wurde, heute keine zentrale Rolle mehr spielt, weitgehend aus dem Blick.