Was waren das für Frauen, die als KZ-Aufseherinnen Dienst taten? Wie stand es um die Mitarbeiterinnen der Gestapo, die an Deportationen teilnahmen, um Krankenschwestern in Heil- und Pflegeanstalten angesichts des Euthanasie-Programms? Waren sie „Bestien“, wie Zeitungen im Prozess gegen Ilse Koch, Frau eines KZ-Kommandanten schrieben – oder ganz normale Frauen; so wie männliche NS-Verbrecher „ganz normale Männer“ waren? Unter dem Thema „Sie waren dabei. Mitläuferinnen, Nutznießerinnen, Täterinnen im Nationalsozialismus“ thematisierte das Symposium die Rolle der Frauen für den Erfolg des nationalsozialistischen Regimes. Diese Frage beschäftigt die Forschung seit den 1970er-Jahren und steht mit einem erweiterten Ansatz wieder im Mittelpunkt wissenschaftlichen Interesses, bei dem es nicht mehr nur um Frauen allein geht. Die Untersuchungen machen deutlich, wie der Blick auf den NS und die Nachkriegsprozesse von Vorannahmen über die Geschlechterrollen im NS bestimmt war. Zumeist wurde weibliche Schuld nicht thematisiert. Wenn doch, erschien die Teilnahme von Frauen an Mord und Vernichtung als Verwerflicher als die von Männern.
Die Referentinnen waren, nach der Einführung durch Prof. Marita Kraus von der LMU München, Gudrun Brockhaus zum Thema „Mutter und Frau in Johanna Haarers Erziehungsratgebern“; Katrin Himmler sprach über „Herrenmenschenpaare“, Wiebke Lisner über „Hebammen im Nationalsozialismus“, Elizabeth Harvey über junge Frauen im „Osteinsatz“; Christiane Berger referierte über das Wirken der „Reichsfrauenführerin“ Gertrud Scholtz-Klink; Elisabeth Kohlhaas berichtete über Frauen bei der Gestapo, Christoph Thonfeld über Denunziation, Simone Erpel über KZ-Aufseherinnen, Claudia Kuretsidis-Haider über Täterinnen vor Gericht und Lavern Wolfram zu einer KZ-Aufseherin und der juristischen Verarbeitung von deren Rolle in der DDR und der Bundesrepublik nach 1990. Es wird etwas dauern, bis die erweiterten Beiträge im Wallstein-Verlag veröffentlicht werden, um auf die lesenswerte Publikation hinzuweisen, hier zwei Beiträge etwas ausführlicher:
Gudrun Brockhaus (München) berichtete aus ihrer Sicht als Soziologin und Psychoanalytikerin über den bis in unsere Zeit vorhandenen Einfluss faschistischer Erziehungsratgeber. Sie hat sich gründlich mit Johanna Haarer und deren Büchern, v.a. ,,Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ (1934) befasst. Haarer sieht in ,,Mutterschaft und Aufzucht der Kinder“ den Sinn im Leben der Frauen, ihren Beitrag zur Volksgemeinschaft. Mutterschaft erhält durch den Rassenwahn eine Aufwertung und politische Bedeutung. Dieses Standardwerk der Nazierziehung wurde, nur leicht modifiziert, bis 1987 neu aufgelegt, millionenfach gelesen – viele Nachkriegskinder wurden danach erzogen. Womöglich eine Ursache dafür, dass die Idee von der angeblich guten Familie und Erziehung in der Nazizeit bis heute in unserer Gesellschaft tief verankert ist und wirkt.
In ihrer Funktion als Gausachbearbeiterin kämpfte Johanna Haarer gegen den vermeintlichen Verfall von Mutterschaft und Familie. In einem Vortrag 1937 äußerte sie sich so: „Sie wissen alle, wie gekämpft wurde und noch gekämpft wird um die restlose Säuberung unseres gesamten kulturellen und öffentlichen Lebens von allen zersetzenden, bolschewistischen und jüdischen Tendenzen. Seinen sichtbarsten Ausdruck findet dieser Kampf in den Nürnberger Gesetzen zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre... Es versteht sich von selbst, dass diese Reinigung und Wandlung unseres gesamten völkischen Lebens mit sich brachte ein Wiederaufleben der richtigen Einstellung zu Mutterschaft und Familie. Es handelt sich hier ja nur darum, gewissermaßen Schutt wegzuräumen und richtigen Instinkten, gesundem Gefühl wieder an den Tag zu verhelfen“ (Haarer 1937, S. 16). Die Erziehungsratgeber waren eng an die NS-Ideologie angelehnt und richtungweisend für die Erziehung im NS. Grundzüge ihres Erziehungsideals waren Zucht, Reinlichkeit und Unterwerfung – eine panische Angst und deshalb Feindschaft gegenüber dem Kind. Die Rolle der Frau reduzierte sie auf ihre Funktion als Gebärende und Aufziehende bzw. Erziehende. Die Erziehung wird bei ihr zu einer Technik, die durch die Ablehnung von Freude, Zuneigung oder Trösten gekennzeichnet ist: wenn das Kind schreit, „dann, liebe Mutter, werde hart! Fange nur ja nicht an, das Kind aus dem Bett herauszunehmen, es zu tragen, zu wiegen, zu fahren oder es auf dem Schoß zu halten, es gar zu stillen.“ Dies war nicht der einzige Hinweis von Gudrun Brockhaus auf die sadistische Seite der „Aufzuchts-Empfehlungen“ von Haarer. Das Schlagen von Kindern in Schulen der BRD wurde erst 1973 verboten (in der DDR 1949), im Jahr 2000 wurde das elterliche Züchtigungsrecht abgeschafft.
Christiane Berger (Hamburg) hat zur Person der „Reichsfrauenführerin“ Gertrud Scholtz-Klink, der ranghöchsten Nazifrau, geforscht und geschrieben (Vdm Verlag Dr. Müller). Aus kleinbürgerlichen Verhältnissen kommend, ohne berufliche Ausbildung, heiratete sie 1921 im Alter von 19 Jahren den Hauptschullehrer Eugen Klink, ehemaliger Offizier und Weltkriegsteilnehmer. Er wurde Mitglied der SA und Kreisleiter der NSDAP, 1930 verstarb er, hinterließ die Witwe mit fünf Kindern. Alte Kameraden, so der badische Gauleiter Wagner, protegierten die Witwe, sie wurde Gauleiterin des Deutschen Frauenordens. Im Machtgerangel um die Spitze der Frauenführung wurde sie von verschiedenen Nazi-Größen protegiert, weil sie keinen theoretischen Anspruch hatte und reibungslose Unterordnung akzeptierte, Hitler ernannte sie im November 1934 zur Reichsfrauenführerin. Nach ihrer zweiten Heirat behielt sie den Doppelnamen Scholtz-Klink. 1940 heiratete sie ein drittes Mal, den SS-Obergruppenführer August Heißmeyer, der 6 Kinder in die Ehe einbrachte und mit dem sie 1944 noch einen Sohn bekam.
Scholtz-Klinks Gesellinnenstück und erste Aufgabe war die Gleichschaltung der Frauenverbände. Mit diplomatischem Geschick bemühte sie sich, den repressiven Charakter dieser Maßnahme zu verschleiern. Sie schaffte eine weit vernetzte Struktur der Indoktrination und rühmte sich, „die größte Frauenorganisation der Welt“ anzuführen; natürlich kein Wort über die aufgelösten Frauenverbände und die rassistisch, politisch oder sozial verfolgten und ausgeschlossenen Frauen.
Die Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit war eine Existenzbedingung für das Nazi-Regime. Scholtz-Klink hatte diese Unterstützung an der „Frauenfront“ zu sichern. Das „Dienen“ der Frauen wurde von ihr zu einer heroischen Funktion für das Volk verklärt, durch welche sie zu den „heimlichen Königinnen des Volkes“ würden. Der mühevolle Alltag der Frauen wurde auf diese Weise von den Nazis gewürdigt.
Für die „Reichsfrauenführung“ galt es, gegen drei ideologische Gefährdungen zu agieren: gegen die sozialistischen Ideen proletarischer Frauen, gegen die Emanzipationsansprüche bürgerlicher Frauen und gegen die christliche Religionsbindung des Gros der Frauen. Der jeweilige Gegner äußerte sich bei ihr nicht nur in verbalen Attacken oder Angeboten, sondern auch in praktischen Maßnahmen. So wurden im Berliner „roten“ Wedding und in „schwarzen“ Gegenden mit starkem kirchlichem Einfluss die ersten „Reichsmütterschulen“ eröffnet.
Nach 1945 tauchte sie mit ihrem Mann unter falschem Namen in Bebenhausen in der Nähe von Tübingen unter, von einem französischen Militärgericht wurde sie „wegen Führens falscher Pässe“ zu 18 Monaten Haft verurteilt, von der Tübinger Spruchkammer als „Hauptschuldige“ eingestuft, wurden die 18 Monate Haft, zu denen sie auch in diesem Verfahren verurteilt wurde, aus der Vorstrafe als verbüßt anerkannt. Eine Welle der Empörung führte zu einer Revision dieses Urteils, allerdings fand die Spruchammer nun „strafmildernde“ Aspekte wie z.B. ihre „einwandfreie charakterliche Haltung“. Durch ein positiv beschiedenes Gnadengesuch an den Staatspräsidenten von Württemberg-Hohenzollern blieben ihr die zweieinhalb Jahre Haft, zu denen sie nun verurteilt wurde, erspart. In den folgenden Jahren hat sie sich mehrfach antisemitisch und den NS verteidigend geäußert, 97-jährig starb sie 1999 in Bebenhausen.
An Scholtz-Klink wie an Haarer zeigt sich, dass Frauen an Exklusivität und Gewalt der NS-Herrschaft partizipierten, die sichtbar und absichtlich so genannte „Fremdrassige“, sozial und politisch unangepasste ausschloss. Die Partizipation an Gewalt diente der Einbindung von Frauen ebenso wie der Verschleierung der Gewalt. Scholtz-Klinks Aufstieg von der kleinbürgerlichen Hausfrau und Mutter zur ranghöchsten Frau des Regimes war eine Ausnahmekarriere. Sie personifiziert – in Anlehnung an Hannah Arendts Begriff der „Banalität des Bösen“ – die Banalität der Mitverantwortung am Bösen. Aktuell bedeutet dies, das Augenmerk nicht allein auf militante neonazistische Frauen zu legen, sondern die Versatzstücke rechtsextremer Ideologie wie die angeblich „guten Seiten“ des Nationalsozialismus und deren TrägerInnen wahrzunehmen. Die wieder aktuelle Debatte um NS-Familienpolitik und „die Autobahnen“ macht das ebenso anschaulich wie eine in der niedersächsischen Provinz gegründete „Elternschule“ selbständiger Hebammen, die den „verlorenen Instinkt, Eltern zu sein“, wieder erwecken will.
Die geplante Veröffentlichung wird viel Material, neue Quellenhinweise und Anregungen enthalten, um sich mit spezifischen Bedingungen gesellschaftlicher Verhältnisse während des NS und den Nachwirkungen bis in die heutigen Tage auseinander zu setzen.