Nun, wo von Hans Heinz Holz ein systematischer „Versuch einer Grundlegung der Dialektik“ vorliegt, erscheinen für mich manche Aspekte meiner 1999er Kritik an Einheit und Widerspruch und unseres Versuches einer Diskussion darüber[1] in neuem Licht; manche Fragen wurden implizit beantwortet, andere müssen neu gestellt werden. Ich möchte betonen, dass ich mir damals lediglich die Aufgabe gestellt habe, die implizite Dialektik-Konzeption, wie sie in Einheit und Widerspruch durchschimmerte, kritisch zu analysieren – nicht aber, das riesige Gesamtwerk von Hans Heinz Holz einzubeziehen. Seine Leistungen nötigen selbstverständlich jedem Kritiker hohen Respekt ab. Auch der 1999er Aufsatz war mit Respekt geschrieben, obwohl Holz es offenbar nicht so empfunden hat. Wahrscheinlich habe ich wirklich etwas zu heftig formuliert. Zwar lasse ich mir „Leidenschaft“ nicht nehmen, wenn es um Konzeption & Theorie der Dialektik geht. Aber ich werde diesmal auf jegliche Polemik verzichten. Das fällt mir allerdings leicht: Ich halte Weltentwurf und Reflexion für ein hervorragendes, streckenweise großartiges Buch. Jeder, der über Konzeption/Theorie der Dialektik arbeitet, muss sich sorgfältig damit auseinandersetzen, und niemand wird daran vorbeikommen, die Widerspiegelungstheorie in dieser Form wieder ernst zu nehmen, wie immer er im Einzelnen auch dazu steht. Ich habe im Folgenden thesenhaft einige Gedanken zu Weltentwurf und Reflexion notiert, um, wie fragmentarisch auch immer, zur Diskussion über dieses Buch beizutragen, die nicht nur unter Marxisten von Wichtigkeit ist. Erneut ist zu betonen, dass ich mich nur zu diesem Buch äußere; ich habe keinen zureichenden Überblick über Holz’ Gesamtwerk, das in den Fußnoten des Buches reichhaltig aufblitzt, und habe auch nicht den Ehrgeiz, zum Holz-Spezialisten zu werden. Da meine eigenen Positionen auf so knappem Raum natürlich nicht wirklich deutlich werden können, verweise ich auf meine beiden Hegel-Bücher[2].
Systembegriff. – 1986 hatten Holz und seine Mitautoren im Vorwort von Dialektik als offenes System geschrieben: „Dialektisches Denken ist immer kritisch und selbstkritisch, das Prinzip der Kritik ist ihm inhärent. (...) Dabei ist die Intention auf systematische Kohärenz verpflichtend. Denn philosophische Wahrheit bekundet sich in der Stimmigkeit des Systems. (...) Allerdings unterscheiden wir uns von Hegel in der Auffassung vom Charakter eines dialektischen Systems. Dieses kann sich nicht zu einer endgültigen Gestalt der Wahrheit abschließen, in der Art des Hegelschen Kreises aus Kreisen, sondern muß in seinem Selbstverständnis und in seiner Methode die prinzipielle Unendlichkeit und Fortentwicklung seiner Gegenstände reflektieren. Totalität und Zeitlichkeit der Welt lassen sich in einem theoretischen System nicht unmittelbar abbilden, sondern nur durch die Methode der Systemkonstruktion darstellen. Das System muß, indem es seine Perspektive, seinen eigenen Widerspiegelungsmodus spiegelt (also in der Reflexion der Reflexion) für Entwicklung und Veränderung sich offenhalten. In diesem Sinne sprechen wir von Dialektik als einem offenen System.“[3] An dieses Selbstverständnis schließt Weltentwurf und Reflexion an, wobei es im Vorwort vorsichtig heißt: „Ein solcher Gang der Entfaltung dialektischen Denkens ist in einem systematischen Entwurf nicht abzuschließen, weil die Systematik durch die Iteration der Probleme immer neu gesprengt wird. Die Anforderung, die traditionelle Systematik in ein ‘offenes System’ zu überführen, bleibt jedoch ein begriffsloses Postulat, weil am Anbeginn nicht gesagt werden kann, was eigentlich ein ‘offenes System’ sei und was seine ‘Offenheit’ ausmache; wenn überhaupt, kann sich das erst in der Durchführung des Gedankengangs zeigen, den eine Grundlegung der Dialektik unternimmt“ (XIV).[4] In der Tat wird der zugrunde gelegte Systembegriff aus diesem Buch noch nicht recht klar; die geplanten nachfolgenden Bände werden hier Aufschluss geben. Wenn kategorisch gesagt wird: „Wissenschaftliches Wissen aber hat Systemform“ (106) und „Dialektik gibt es überhaupt nur als Moment eines Systems“ (113), so wird offenbar ein eher unspezifischer Systembegriff zugrunde gelegt, der durch Kriterien wie (umgangssprachlich:) ‘systematische’ Arbeits- und Darstellungsweise (vgl.: „Arbeit“ als „systematischer Zusammenhang von Tätigkeitsabläufen“, 590), Begründungs- und Rechtfertigungszusammenhang, Kohärenz, Schlüssigkeit gekennzeichnet ist. Manchmal erscheint mir dabei die Verwendung reichlich weit, vgl. insbesondere den Satz: „Spiele, die von Spielenden gespielt werden, haben natürlich auch eine Systematik, sonst wären sie nicht spielbar“ (117: Anm. 50). Nun, traditionell wird zwischen ‘freiem Spiel’ (englisch: play) und ‘geregeltem Spiel’ (game) unterschieden; Holz meint hier letzteres. Wissenschaftliches Wissen unterwirft sich Regeln (z.B. der Kommunizierbarkeit, intersubjektiven Ausweisbarkeit und Reproduzierbarkeit), insofern hat es „Systemform“ (106). „Folglich“ – hier möchte ich ein Fragezeichen setzen – „nimmt jede wissenschaftliche Weltanschauung (zum mindesten in ihrem bestimmenden Kern) die Gestalt eines metaphysischen Systems an. Um in der Praxis anwendbar, das heißt handlungsleitend sein zu können, muß für operationale Entscheidungen das System als“ – hinreichend – „geschlossener Begründungszusammenhang identifizierbarer Glieder gedacht werden“ (ebd.). Das ist nachvollziehbar und kollidiert nicht mit der schon referierten Kennzeichnung ‘offenes System’: „Der dialektische Materialismus ist ein ‘offenes System’, dessen philosophisches Kernstück die Widerspiegelungstheorie als Theorie der Welt-Konstitution in der Praxis bildet“ (101). Die Aussage, eine Struktur sei „nur eine Struktur, insofern sie ein geordnetes Beziehungssystem von Elementen ist“ (565), scheint wieder einen extrem weiten Begriff von ‘System’ zugrundezulegen. Ist jede Struktur ein System? Kurz, in Sachen ‘System’ bleibt Klärungsbedarf. Wenn von der „Anerkennung der Objektivität des Systemcharakters der Wirklichkeit“ die Rede ist (111), wird deutlich, dass auch an naturwissenschaftliche Redeweisen von Natur als einem suisuffizienten System mit Autopoiesis-Charakter angeknüpft wird (vgl. 56). „Die Welt im ganzen ist ein selbstregulatives, sich selbst bestimmendes System“ (407). Vielleicht würde ja eine vermehrte Auseinandersetzung mit modernen Theorien selbstreferenzieller Systeme dem Dialektikentwurf insgesamt durchaus gut tun? Bezüglich der Anknüpfung an den Hegelschen Systembegriff wäre zu fragen nach der Wohlbestimmtheit der angezielten Ordnung – soll die Abfolge der einzelnen Begriffsbestimmungen, Kategorien, Theoriesequenzen notwendig sein, wie dies von Hegel beansprucht wurde? Was verschiebt sich hier bei einem ‘offenen’ System?
Lebendiger Spiegel. – In meinem Diskussionsbeitrag von 1999 zu Einheit und Widerspruch hatte ich kritisiert, das Bild vom Spiegel sei viel zu starr, um grundlegende dialektische Strukturen auszudrücken. Nach der Lektüre von Weltentwurf und Reflexion muss ich diese Kritik zumindest teilweise zurücknehmen: So wie Holz es gebraucht, ist das Bild doch viel flexibler, als ich gedacht hatte. Ein wichtiger Punkt dabei: Leibniz versucht, „im System der Wechselwirkungen jede substantielle Einheit als zugleich aktiv und passiv zu begreifen“ (69), und Holz folgt ihm darin. Es liegt nur „scheinbar“ eine „Paradoxie“ darin, dass „Tätigkeit selbst“ als „Widerspiegelungsverhältnis“ begriffen werden soll: „Die Erzeugung des Spiegelbildes gilt, in mechanistischer Interpretation der Metapher, als ein Vorgang, bei dem der Spiegel rein passiv bleibt und selbst auch nicht auf seine Gegenstände einwirkt. Leibniz hat gegen diese Auslegung Widerspruch erhoben und zur Verdeutlichung von einem mirror vivant, einem lebendigen Spiegel, gesprochen. Es kommt darauf an, die Spiegelmetapher als Schema-Bild der Widerspiegelungstheorie nicht an der Beziehung zweier voneinander isolierter Glieder, des bespiegelten Gegenstands und des spiegelnden Spiegels, zu verstehen, wobei im letzteren ein gespiegeltes Bild hervorgerufen wird, sondern als ein Verhältnis, in dem Bespiegeltes und Gespiegeltes als Momente aufgehoben sind. Gegenständliche Tätigkeit, Arbeit, Praxis – und damit auf einer Seite der Beziehung: Subjektivität, Zwecksetzung – sind ein Verhältnis, in dem der Gegenstand als Bedingung der Subjektivität wirkt, Objektivität ins Subjekt eindringt und dort als Bedürfnis, Zweck, Interesse usw. zum Antriebsfaktor der Subjektivität wird. (...) Subjektivität ist das Resultat des Widerspiegelungsprozesses“ (594). Dabei ist der „Doppelaspekt von Perzeptivität und Spontaneität“ (247) berücksichtigt und aufzubewahren. – Zweitens ist von Wichtigkeit die Rede (bzw. Struktur) vom „Spiegel, der einen Spiegel spiegelt“: „Die Spiegelung des Spiegelbilds zeigt dieses als Spiegelbild; der Begriff des Begriffs begreift diesen als Begriff. Der Spiegel, der einen Spiegel spiegelt, muß ihn in seinem Verhältnis zu der sich spiegelnden wirklichen Sache auffassen, damit er als Spiegel erkennbar wird. Das spekulative Verfahren des Spiegelns des Spiegels, die Reflexion der Reflexion, ist darum ebenso kritisch, den transzendentalen Schein auflösend, wie positiv setzend, nämlich die Negativität des Scheins negierend. Als Negation der Negation ist spekulatives Denken die vermittelnde Position – und genau das besagt in der Terminologie der spekulativen Philosophie das Wort setzen“ (241). Das Spiegeln eines „anderen Spiegel(s) samt dessen Spiegelbild(es)“ (436) kann nun durchaus als konstitutiv oder mitkonstitutiv (mitbestimmend) für den Spiegel selbst betrachtet werden. „Der bespiegelte Gegenstand ist Anlaß des Spiegelbildes, in einem gewissen Sinne Ursache, keinesfalls aber Erzeuger“ (265). Es findet Wechselwirkung, geradezu gegenseitige Durchdringung statt; Holz spricht von „Doppelspiegelung“: „Wer Widerspiegelung nur als Erzeugung eines Bildes in einem anderen versteht, hat die Struktur des Reflexionsverhältnisses nicht begriffen: Er versteht es linear-kausal – ein nicht-spiegelndes, opakes Bespiegeltes läßt im Spiegel durch das Medium des Lichts ein Bild, das Gespiegelte, entstehen. Das wäre der einfache Gehalt der Metapher. Ist jedoch das Bespiegelte selbst auch ein Spiegelndes, so entsteht eine Doppelspiegelung, in der Bespiegeltes und Gespiegeltes in jedem Augenblick ihre Funktionen im Spiegelverhältnis tauschen. Erst in diesem Umschlag erhält die Reflexion ontologische Relevanz“ (534). Insofern muss ich meine Kritik an der angeblichen Starrheit der Spiegelmetapher revidieren. Der verbleibende Kritikpunkt betrifft die Frage, ob damit eine schlechthin basale Selbstreferenz (die sich als dynamisches Sich-von-sich-Unterscheiden z.B. als progressive Selbstkritik von Verzerrungen etc. äußert) ausgedrückt werden kann. Meines Erachtens besteht nämlich das Spezifische des Hegelschen Dialektikmodells nicht zuletzt darin, dass hier Selbstreferenz grundlegender als Identität ist (es wird also nicht zuerst ein Selbiges fixiert, das sich dann auch noch auf sich selbst bezieht, sondern das Werden-zu-sich und dabei Sich-von-sich-zu-sich-abstoßen ist grundlegend auch für jede Art von Ansetzen und Auffassen eines ‘Sich’, das im Werden, Sein, Selbstunterschied usw. ‘Dasselbe’ bleibt. Hegel hat diese grundlegende Funktion von ‘Negativität’ in seiner Logik und seiner Systemfigur meines Erachtens verletzt, indem er für beide ein Übergewicht der Identität zulässt und festschreibt.[5] (Vielleicht differieren wir hier in unserer jeweiligen Hegel-Interpretation; Holz scheint mir Identität grundlegender anzusetzen als ich.) Meine Frage lautet also, ob die Spiegelmetapher einen solchen basalen Selbstbezug ausdrücken und rekonstruieren kann.
Aspekte des Selbstverständnisses. – Marxismus nach dem Holzschen Muster tritt „im Programm einer wissenschaftlichen Weltanschauung das Erbe der Metaphysik“ an (58). Es ist natürlich ein Unterschied, den Sinn von Metaphysik zu bejahen und daran festzuhalten – was ich für ziemlich unproblematisch halte[6] – oder zu beanspruchen, sie „als strenge Wissenschaft“ (122) durchzuführen. Holz’ Erneuerung der Metaphysik tritt mit dem Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit auf: „Der Verfall der klassischen Metaphysik in der Philosophie nach Hegel erweist sich als ein Verzicht auf die weltanschaulich organisierende Kraft der Philosophie, als ein Verzicht auf eine mit dem Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit auftretende Orientierung des Menschen in der Welt und damit auf den Entwurf von gesellschaftlichen Zielen und Perspektiven“ (46). Hier scheint mir ein starkes Sicherheitsbedürfnis mitzuspielen, wie es sich etwa in W.Seppmanns Redeweise vom „weltanschaulichen Schutzwall“ äußert.[7] Pluralismus scheint für Holz eo ipso ein Übel zu sein: „(...) die Varianten positivistischer Denkweise in ihrer Beschränkung auf wissenschaftstheoretische und erkenntnistheoretische Probleme münden in einen Pluralismus, dessen konsequente Zuspitzung im ‘erkenntnistheoretischen Anarchismus’ Paul Feyerabends zur Konkurserklärung jeder auf Wahrheit gerichteten philosophischen Theoriebildung führt“ (ebd.). Nun scheint mir aber ein Konzept wie das der Zeitschrift Z., das auf einen pluralen Marxismus setzt (mit einem Wittgensteinschen Ausdruck könnte man sagen: auf ein Geflecht von Familienähnlichkeiten), noch lange keine Begünstigung von Anarchismus und Irrationalismus zu beinhalten, sondern einfach eine realistische Einbekennung dessen, dass es ‘den’ Weg der fertigen Antworten in unserer geschichtlichen Situation nicht gibt. Kurz: Holz muss sich fragen lassen, wie sehr er wirklich auf ‘Einheit’ setzen will.
Bestimmte Negation. – Kann in einem ‘offenen System’ jede Begriffsbestimmung via bestimmte Negation mit dem Anspruch auf Notwendigkeit, Wohlbestimmtheit und Allgemeingültigkeit in eine nächste übergehen, so wie es die Hegelsche ‘Fortbestimmung des Begriffs’ (vgl. 106) vorsieht? Also mit hinreichender Gerechtfertigtheit der Selektion, die bei Hegel auf einer Selbstselektivität des Begriffs beruhen sollte, welcher der konstruierende Theoretiker nur ‘zuzusehen’ hatte? Diese Frage betrifft „das Prinzip der bestimmten Negation als Medium der Entwicklung“ (495). Es reicht nicht aus, hierbei nur zwischen dem bloß (gleichgültig) Verschiedenen und dem (bestimmten) Unterschied zu unterscheiden. Man kann sich leicht klar machen, dass es zu Grundbegriffen nicht immer genau einen Gegenbegriff gibt. ‘Sein’ wird zum Beispiel in bestimmtem Gegensatz zu ‘Nichtsein’, ‘Nichts’, ‘Werden’ und ‘Denken’ (gar auch noch zu ‘Haben’) gebraucht – was jeweils die relevante ‘bestimmte Negation’ ist, hängt bis zu einem gewissen Grade von der jeweiligen Konstellation, dem Kontext, der spezifischen Verwendung ab.[8] Was macht z.B. ein Theoretiker, der die sogenannten Grundfarben Gelb, Rot und Blau (die sich nicht durch Mischen herstellen lassen) ‘ineinander übergehen’ lassen will? Hier gibt es genau zwei bestimmte Negationen, nicht eine. Es ist offensichtlich keine alternativlose Entscheidung, mit welcher Farbe man beginnt und welche man dann folgen lässt. Oder nehmen wir ein Beispiel aus der Hegelschen Logik: Dem ‘Allgemeinen’ ist nicht nur das ‘Besondere’ entgegengesetzt, sondern auch das ‘Einzelne’ – also womit beginnen und wie dann fortfahren? Ich will damit nicht sagen, dass es nicht in vielen Fällen eine Anschlussmöglichkeit gibt, die mehr überzeugt als andere. Aber es ergeben sich in vielen Fällen Kontingenzspielräume, die einen Gesamtanspruch auf Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit fragwürdig erscheinen lassen. Will sagen: Bei einem ‘offenen System’ entstehen Probleme der Unabgeschlossenheit nicht erst auf der Makroebene, sondern schon ständig in den einzelnen Segmenten.[9] Holz spricht vom Übergehen eines Gedankens „in einen folgenden bestimmten Gedanken“ (161), da stellen sich solche Probleme (vgl. auch 491: „(...) und die Begründung eines anderen (seine ‘bestimmte Negation’) herbeiführen“, eben ‘seines’ Anderen, das mehr oder weniger ‘an der Reihe ist’ bzw. sein soll). Das ‘übergreifende Allgemeine’ greift über sein Gegenteil, seinen Selbstunterschied, über. Am Beispiel des Verhältnisses von Produktion, Reproduktion, produktiver Konsumtion und individueller Konsumtion zeigt Holz selbst, dass hier die Figur des Übergreifens „Stufen“ gewinnt: „Zumindest läßt sich hier nicht mehr sagen, daß die Gattung (Produktion) nur zwei Arten habe, nämlich sich selbst und ihr Gegenteil; sondern sie übergreift außer sich selbst die Arten der Reproduktion, der produktiven und der individuellen Konsumtion, die allesamt Arten der Produktion und ihr Gegenteil in bestimmten Verhältnissen sind. Eine materiale Spezifikation der Figur des übergreifenden Allgemeinen führt also über deren Zweigliedrigkeit hinaus, nicht aber zurück zur ununterschiedenen Verschiedenheit bloß klassifikationslogischer Ordnungen. Hier öffnet sich ein weites Feld weiterer Forschungen, auch was die Verfassung der Umkehrbarkeit angeht“ (429). Das ist sicher richtig. Holz schreibt, auf geschichtliche Strukturen bezogen: „Bruch und Vermittlung sind die Bewegungsformen, in denen sich die logische Form der bestimmten Negation im Prozeß realisiert“ (500). Das ist freilich zu allgemein, um daraus die Notwendigkeit einer bestimmten sequenziellen Abfolge zu ersehen.
Identität. – Der Identitätssatz ist für Holz ein grundlegendes, sogar das erste logische Prinzip, mit „absolute(r) Geltung“ (57). „Leibniz hat das Seiende, so wie es ist, formallogisch durch das Identitätsaxiom bestimmt: A = A, etwas ist es selbst und kein anderes, ‘identica sunt vera’ (d.h. identische Sätze sind wahr, aber auch, was identisch ein Seiendes ist, nur das ist wahrhaft ein Seiendes)“ (125). Es ist damit nicht nur gesagt, dass die Wahrheit analytischer Sätze Vorbild für Wahrheit überhaupt sein soll, sondern es ist damit ein ontologisches Prinzip ausgedrückt. Widerspiegelung im Anschluss an Leibniz bringt einen Vorrang der Identität mit sich, die den Unterschied als Selbstunterschied übergreift: „Wenn zwei dasselbe sind, aber unterschieden, dann verhalten sie sich zueinander wie Bespiegeltes und Gespiegeltes, so daß jede Monade ‘ein dauernder Spiegel des Universums ist’ (Leibniz)“ (82f.). Soll somit das ‘A = A’, als Sich-von-sich-zu-sich-Unterscheiden des Selbigen (vgl. Hegel, dem zufolge Identität ‘wesentlich’ Negativität ist), als Selbstverhältnis von Bespiegeltem und Gespiegeltem aufgefasst werden? So verstehe ich Holz. „Insofern ist die Monade ebenso absolut wie das All, denn sie ist das All auf eine ganz andere Weise (nämlich als Spiegelung), und ihre Identität, als die Identität zweier Unterschiedener, ist die Identität einer unendlichen Differenz, die als Identität durch die Zentralmonade ausgedrückt wird“ (83). Holz schreibt: „Identität und Anderssein, Affirmation und Negation, Bedingung und Bedingtes besagen zu allen Zeiten dasselbe“ (148).[10] Ich verstehe zwar, dass er damit z.B. sagen will: Um etwas überhaupt als (ein) ‘Etwas’, das Einzelne also im Medium des Allgemeinen aufzufassen, muss man es im Sinne einer gewissen konstitutiven Stabilität auffassen, ohne die es nicht möglich wäre, überhaupt zu bestimmen. Etwas als ‘Dasselbe’ (z.B. als Bleibendes in der Veränderung) auszusagen, ist grundlegend für Aussagen überhaupt und bedeutet z.B., dass man Bedeutungen nicht ohne Sinn und Grund wechseln lassen darf, um überhaupt etwas zu sagen (nun, auch Hegel nimmt ja Bedeutungsveränderungen der Begriffsbestimmungen keineswegs unmotiviert und regellos vor, würde dem also zustimmen). Man kann wohl sagen, dass das für alle Zeiten gilt, wenn Verständlichkeit gewährleistet sein soll und Verständigung möglich sein soll. Dennoch hat sich (und dem würde Holz sicherlich zustimmen) die theoretische Auffassung des ‘Satzes der Identität’ historisch gewandelt, z.B. von Leibniz zu Hegel (bei dem der Satz seine eigene Selbstkritik impliziert, als dialektisch-spekulative Selbstkritik des ‘abstrakten Verstandes’). Holz selber hat z.B. darauf hingewiesen, dass bei Bloch an die Stelle des formal-logischen Satzes der Identität ein anderer Satz tritt: ‘A ist noch nicht A’[11]; dieser lässt sich m.E. als abgeleitet von der Auffassung des ‘A = A’ (d.h. ‘A soll gleich A, sich selbst gleich, gelten’) bei Hegel auffassen, wo ja der persistierende Unterschied weitertreibt, bis am Ende eine ‘absolute’ Identität erreicht ist, die mit ihrer statischen Ruhe durchaus Züge der abstrakten trägt. Also: Im Medium der Reflexion der Reflexion hat sich der Satz – nämlich sein Sinn – durchaus verändert. Nun ist aber der Sinn eines Satzes, durch den ‘Extension selbst’ (der Sinn von ‘Extension’, die Möglichkeit des Gebrauchs dieses Konzeptes) erst festgelegt wird, sicherlich intensional. Holz: „Nicht nur die Identität gegenüber dem Zeitfluß ist eine Konstante. Alle konstitutiven Funktionen der Extensionalität – wohlgemerkt: nicht der Extension! – sind ontologische Konstanten, obschon sie doch die logischen Korollare der Nicht-Identität sind. (...) Einheit, Vielheit, Zahl sind konstante Kategorien, die unter keinen historischen Umständen ihren Sinn verändern“ (169). ‘Sinn’ wird oft synonym mit ‘Intension’ gebraucht. Was gehört zum ‘Sinn’ der Identität? Ganz sicherlich die Verwendung dieses Begriffs. Und die veränderte sich historisch zweifellos. Insofern würde ich gegenüber der Aussage, Identität besage zu allen Zeiten dasselbe, doch Vorbehalte anmelden. Ist ‘Identität’ erst einmal durch eine ‘Reflexion der Reflexion’ wie die Hegelsche zur Reflexionsbestimmung geworden, so sind damit Maßstäbe gesetzt, an denen sich künftige Gebrauchsweisen messen lassen müssen. (Besteht diesbezüglich Dissens zwischen uns? Vielleicht nicht.)
Identität der Identität und der Nichtidentität. – Die ‘spekulative Wahrheit’ der Identität ist bei Hegel ihre Auffassung als Identität der Identität und der Nichtidentität, was freilich noch immer ein Übergewicht der Identität ausdrückt. Nun wird bei Hegel ja jede einzelne Begriffsbestimmung im Schema ‘Moment der Identität – Moment der Nichtidentität – Identität der Identität und der Nichtidentität’ thematisiert, so auch die Identität selbst und der Unterschied selbst. Holz zitiert Hegel: „Der Unterschied ist das Ganze und sein eigenes Moment, wie die Identität ebensosehr ihr Ganzes und ihr Moment ist“ (427). Holz hebt an der ‘Identität der Identität und der Nichtidentität’ die Figur des ‘übergreifenden Allgemeinen’ hervor und schreibt: „Einmal also übergreift die Identität, den Unterschied als ihre Art, weil sie als Moment des Ganzen Gegenteil ihrer selbst als des Ganzen ist; zum anderen übergreift der Unterschied die Identität als seine Art, weil er als Moment des Ganzen Gegenteil seiner selbst als des Ganzen ist. An dieser Konstruktion zeigt sich, daß die Beziehung des Übergreifens in zweifacher Richtung ‘gelesen’ werden kann: Was in dem einen Falle als übergreifende Gattung erscheint, ist in der entgegengesetzten Version übergriffene Art – und umgekehrt“ (ebd.). Ich möchte darauf hinweisen, dass die beiden Figuren aber nicht gleichgewichtig sind, denn auch auf den Unterschied wird ja die Figur ‘Identität der Identität und der Nichtidentität’ angewendet, die sich bei der Identität ergibt. Also bei der Identität wird ihre spekulative Version zugleich produziert und per Selbstanwendung angewendet, und beim Unterschied wird sie dann noch einmal angewendet. Federführend ist eben die ‘Identität der Identität und der Nichtidentität’ und nicht die ‘Nichtidentität der Identität und der Nichtidentität’. Die Identität beherrscht den Unterschied, so sehr auch der sich im abstrakten Auseinanderhalten zweier A zum ‘A = A’ zeigende Selbstunterschied der Identität selber wesentlich sein soll.[12]
Ding an sich. – Ich denke nicht, dass man der Kantischen Lehre einen völligen Agnostizismus entnehmen sollte – sofern sie auf einen solchen führt, ist sie inakzeptabel – wohl aber zweierlei: die Selbständigkeit der Natur gegenüber dem Erkenntnissubjekt, die im ‘Ding an sich’ ausgedrückt ist (das m.E. eine eminent materialistische Komponente hat[13]) und die Insistenz darauf, dass für die Erkenntnis immer etwas offen bleibt, dass es eben nicht gelingt, die Objektivität, wie Hegel wollte, durch das Denken des Absoluten völlig und ohne Rest in den Erkenntnisprozess einzubeziehen; also auch die Insistenz auf Unterscheidung von Denken und Erkennen (die der ontologische Gottesbeweis z.B. nicht beachtet hatte). Dass immer etwas offen bleibt, ist gerade die Bedingung der Möglichkeit sowohl von Erkenntnisfortschritten als auch von Paradigmen- und Perspektivenwechseln. Kant muss ein relatives Recht gegenüber Hegel zugebilligt werden (und umgekehrt). Wenn also der Spiegel sich und den bespiegelten Erfahrungsgegenstand „übergreift“ (348), ist dieser niemals vollständig in ihm bzw. dem Gespiegelten ‘enthalten’. Ich meine nicht, dass Kant völlig „außer acht“ lässt, „daß die Phänomene doch eben nur aus Anlaß der Existenz der Dinge an sich ‘in Erscheinung treten’“ (363), aber er kann darüber nur in einer informellen Sprache reden, die auf das Verhältnis von Ding an sich und Subjekt die angeblich rein subjektive Kategorie der Kausalität anwendet und doch nicht anwenden darf. Er hat, wie Hegel richtig sah, keine andere Wahl als die von ihm selbst gezogene Grenze zu überschreiten, um sich vor ihr halten zu können. (Für Hegel ist konsequenterweise die erste Negation – Grenze, Schranke Mangel – im Kern immer schon Negation der Negation.)
Isomorphie. – Ich würde auf jeden Fall vermeiden, von einer ‘Isomorphie’ zwischen den Ordnungen des Denkens bzw. Aussagens von Sachverhalten und dem potentiellen oder wirklichen Bestehen von Sachverhalten in der Realität zu sprechen. Das wäre ein bloßes Postulat, welches das zu Hinterfragende schon als gegeben unterstellt. „Theorie ist zu verstehen als Theorie über ein Modell, dergestalt, daß der deskriptive Akt der Modellbildung in den bedeutungsstiftenden Akt der Theoriebildung aufgenommen und überführt werden kann. Der umgangssprachliche Modell-Begriff (...) muß darum durch das Merkmal der Isomorphie ergänzt werden, um sich als Begriff einer adäquaten Darstellung von Sachverhalten bestimmen zu lassen“ (136). Ich glaube, man muss hier deskriptiven und normativen Diskurs auseinanderhalten. „Das Modell setzt das Bewußtsein als eine Art Spiegel, der die Wirklichkeit abbildet, und zwar so, daß die Gegenstände in ihm virtuell, aber isomorph enthalten sind wie das Spiegelbild im Spiegel“ (258). „Das Widerspiegelungsmodell erlaubt, die allgemeinen Formbestimmtheiten der Sache selbst und des Begriffs von ihr als isomorph zu setzen, ohne die Sache hegelisch im objektiv gewordenen Begriff (= der Idee) aufgehen zu lassen; ja sogar der Irrtum, also die Inadäquanz des Begriffs, ist dann noch als Korrespondenz einer ‘schiefen’ Stellung des Spiegels zum Bespiegelten, einer Deformation oder Trübung des Spiegels zu begreifen; das Falsche ist nicht beliebig, sondern selbst Ausdruck der dinglichen Beschaffenheit und Lage des Spiegels“ (264). Was Holz hier ‘isomorph setzen’ nennt, ist m.E. ein Voraussetzen, das nicht dogmatisch verfahren darf. Betrachten wir folgende Definition: „Isomorphie zweier Mengen M, M’ in bezug auf ein System S von Beziehungen zwischen den Elementen von M bzw. M’ liegt dann vor (...), wenn es eine umkehrbar eindeutige Zuordnung (siehe: Abbildung) zwischen den Elementen von M und M’ derart gibt, daß die Beziehungen aus S erhalten bleiben, z.B. wenn von M zu M’ übergegangen wird.“[14] Ich denke, es ist klar, dass ein solcher Begriff von Isomorphie nicht ohne Weiteres ontologisch und erkenntnistheoretisch aufgegriffen bzw. zugrunde gelegt werden kann. Welcher dann? Auch von einem „Prinzip der Äquivalenz von Realdialektik und Begriffsdialektik“ (176) zu sprechen, bereitet Schwierigkeiten. „Der gesamte Prozeß ist die Reflexion-in-sich des Denkens, in deren Verlauf das Denken am Gegenstand und vermittelt durch diesen seiner selbst bewußt wird – und nur bewußt werden kann, weil es sich in der Reflexion des Gegenstandes einen bestimmten Inhalt gibt und dann nichts anderes als die gedachte Form dieses bestimmten Inhalts ist. Die Logizität des Denkens ist darum (!) das genaue (!) Äquivalent der Logizität der Relationen der Sachen selbst in der Welt außer dem Denken“ (516; die beiden Ausrufungszeichen von mir hinzugefügt). Was ermöglicht es, hier von ‘genauer Äquivalenz’ zu sprechen? Hier scheint mir eindeutig ein Restdogmatismus vorzuliegen. Und das nur bedingt tragfähige Modell ‘Abbildung’ führt zu den bekannten Fragen, was denn ein negativer Aussagesatz ‘abbildet’ (das Nichtbestehen eines Sachverhaltes? Ein mögliches, aber nicht realisiertes Bestehen von Sachverhalten?) oder ein Konditionalsatz. Ich habe darauf in diesem Buch keine Antwort gefunden.
Sinn und Bedeutung. – Die Rede von „reinen“, zeitunabhängigen Bedeutungen (171) halte ich für irreführend. Sprache ist historisch gewachsen, Vernunft (als unhintergehbar sprachlich vermittelt) daher immer ‘unreine’ Vernunft – ein idealsprachliches Modell wie das Leibnizsche ist meines Erachtens nicht sinnvoll durchführbar. Dabei scheint Holz durchaus zu sehen, dass eine rein extensionale Fassung der Bedeutung nicht sinnvoll ist. Nehmen wir folgende Passage: „Mit der Abtrennung der Wortbedeutung von der sinnlichen Gegebenheit ihres Gegenstandes vollzieht sich zugleich die logische Trennung von Inhalt und Gegenstand eines Wortes bzw. einer Aussage. Der Inhalt ist die Bedeutung, die sich beim Sprechen und Denken in meinem Bewußtsein – im cogito des Descartes – mit dem Sprachzeichen verbindet; der Gegenstand ist die außer mir seiende Sache, die im Sprachzeichen gemeint ist – sei es ein Ding, sei es ein anderer Bewußtseinsinhalt, sei es ein Sachverhalt“ (308). Die Art und Weise, wie ich auf etwas Bezug nehme, mit anderen Worten die Verwendung, gehört unzweifelhaft zur Bedeutung.[15] Wittgenstein hat mit seiner Entwicklung vom Tractatus (auf dessen Abbildtheorie sich Holz mehrmals positiv bezieht, vgl. 264f. und 450‑453) zu den Philosophischen Untersuchungen (die bei Holz keinerlei Berücksichtigung finden[16]) von einer extensionalen zu einer intensionalen Bedeutungstheorie gewechselt; gut wäre, wenn man beide Ansätze miteinander verbinden könnte. Holz fasst „Reflexion“ als „Akt des Setzens von Sinn (...) (Sinn ist die funktionale Einheit einer geordneten Beziehung, deren Glieder sich ‘zueinander’ verhalten, also ‘für einander’ sind)“ (392f.). „Mit Setzen von Sinn ist ein materieller gegenständlicher Akt gemeint, durch den der von einem apperzipierenden Wesen zu verstehende Ausdruck einer materiell wirklichen Beziehung erzeugt wird. (...) Nun ist das Setzen von Sinn selbst auch eine Sinn-Beziehung, und es ist also möglich, das Setzen von Sinn (Reflexion) seinerseits zum Inhalt eines Setzungsaktes zu machen; der Sinn der Reflexion zeigt sich in der Reflexion der Reflexion. Dies bedeutet, daß das reflektierende Wesen in Beziehung zu sich selbst tritt, (...) das heißt den Sinn seines Seins sich gegenständlich macht. (...) Im Setzen seiner Sinn-Beziehung, also meines sinnvollen Verhältnisses zum Gegenstand, dann weiter im Setzen des Sinns von Sinn entspringt das Zweckverhältnis“ (395f.). Es ist sicherlich notwendig, zwischen mehreren Verwendungsweisen von ‘Sinn’ zu unterscheiden: Von ‘Sinn’ wird zumindest in deskriptivem (oder vermeintlich rein deskriptivem, vgl. Husserl), normativem (d.h. präskriptivem und evaluativem, ‘sinnvoll’ versus ‘sinnlos’) explikativem (‘Der Sinn des Satzes ist: ...’) und existenziellem (‘Sinn des Lebens’ usw.) Sinne (!) gesprochen. Holz scheint den Sinn, in dem er von ‘Sinn’ und ‘Bedeutung’ spricht, nicht völlig geklärt zu haben: „Unter der Kategorie Totalität verfährt die Dialektik als eine Strategie, die die Einheit der empirisch gegebenen Mannigfaltigkeit herstellt. Die dabei sich herausbildende Systemform hat die Gestalt eines universellen Reflexions- und Wechselwirkungszusammenhangs, in dem durch Iteration – Reflexion der Reflexion – ein Reflexionsintegral entsteht, das wir als Sinn bezeichnet haben (während die einfache Reflexion Bedeutungen produziert). Die Konstitution von Sinn erweist sich als Ausdruck eines Verhältnisses, das seinem Ursprung nach ein materielles Verhältnis ist, insofern es auf Beziehungen zwischen materiellen Seienden beruht“ (399f.). Ich muss sagen, dass ich diese Unterscheidung zwischen ‘Sinn’ und ‘Bedeutung’ um so weniger verstehe, als es auf S.392 und 395 doch hieß, Reflexion sei ein Setzen von Sinn. Eine konsistente Möglichkeit, zwischen Sinn und Bedeutung zu unterscheiden, wäre vielleicht, ‘Sinn’ intensional (für die jeweilige Verwendung) und ‘Bedeutung’ extensional (für den jeweils gemeinten Gegenstand bzw. Komplex von Gegenständen) zu gebrauchen und dabei beides gleichermaßen grundlegend (in einem theoretischen und praktischen Verhältnis wechselseitiger Vermittlung bzw. Wechselwirkung stehend) anzusetzen. (Das soll nur ein vielleicht konstruktiver Vorschlag sein.)
‘Schlechte’ und ‘wahrhafte’ Unendlichkeit. Reflexion der Reflexion. – Verschiedentlich wird von Holz erwähnt, was Hegel die ‘schlechte Unendlichkeit’ (die des Verstandes) nennt. Sie impliziert ein eigenes Über-sich-Hinausgehen, eine vernünftige (dialektisch-spekulative) Selbstkritik. Extensionales Denken, konventionelle Verstandeslogik und empirische Wissenschaft verwickeln sich „in die Paradoxien des Unendlichen“ (240): „Die empirischen Einzelwissenschaften sind (...) immer auf die ‘schlechte Unendlichkeit’ des Kausalnexus angewiesen. Aber auch die ‘schlechte Unendlichkeit’ des Kausalnexus impliziert die Annahme eines unendlichen Zusammenhangs, einer unendlichen Totalität“ (138). ‘Weltbegriffe’ sind Verhältnisbegriffe, die auf ‘materielle Verhältnisse’ verweisen (das ist ein wichtiger Begriff in diesem Buch, vgl. 69f., 93f., 432, 434, 442), und „Relationen sind nur metaphorisch sinnlich darstellbar“ (434). Das menschliche Subjekt befindet sich ‘in’ der Welt und zugleich der Welt ‘gegenüber’, die es ‘um sich’ hat. Dass der Verstand zu Weltbegriffen, Totalitätsbegriffen und zu (totalisierenden, den Atomismus der Extensionalität(en) übergreifenden) Metaphern übergehen muss, ist ein Zusammenhang. „Der Ausdruck muß so beschaffen sein, daß er der Endlichkeit des Subjekts und der Endlichkeit jeder erfahrbaren Relation Rechnung trägt und doch auch die Unendlichkeit des Beziehungshorizonts und der nie abzuschließenden Iterierbarkeit der Relationen und Bedeutungen einholt“ (304). Gegenbegriff zur ‘schlechten Unendlichkeit’ ist ‘intensive Unendlichkeit’, die gleichwohl mit der ‘schlechten’ vermittelt bleibt: „Die Begründung der materialistischen Antwort muß von der iterativen Unabschließbarkeit der Beziehungskonstitutionen in einem System bewegter Materien ausgehen, also von der intensiven Unendlichkeit materieller Verhältnisse, deren Ausdruck der spekulative Begriff ist. (...) Der spekulative Begriff ist das Zeichen für das Integral dieser im Endlichen nicht abzuschließenden Vermittlungsprozesse zwischen Mensch und Welt“ (71).
Die Rede vom „Spiegeln des Spiegels“ („Spiegel, der einen Spiegel spiegelt“) und von der „Reflexion der Reflexion“ (241) sieht offenbar eine Art Metastufenmodell vor. „Im Rahmen der Widerspiegelungstheorie sind mithin Iterationen von Widerspiegelungen zu konstatieren, wobei jede einmal konstituierte Spiegel-Ebene Bestandteil der materiellen Verhältnisse wird und auf einer neuen Ebene ihrerseits widergespiegelt werden kann“ (435). Methodologisch ausgezeichnet sind die Ebene der ‘Reflexion der Reflexion’ und die Ebene, auf der sie thematisiert wird, das wäre also die ‘Reflexion der Reflexion der Reflexion’ (von Holz zwar nicht so bezeichnet, aber ich denke, die Charakterisierung ist sachlich korrekt). Insofern wäre der Einwand, dass ein solches Stufenmodell aus sich selbst heraus eine ‘schlechte Unendlichkeit’ generiert (wie das Sprachstufenmodell Metametaebenen usw.), bloß formell – dennoch wäre er in gewisser Weise berechtigt. Hier springt nun, als Platzhalter ‘wahrhafter Unendlichkeit’, die Metapher ein. Und zwar nicht irgendeine Metapher, sondern eine treffende, sachadäquate, ‘exakte’ Metapher. Sie hat insofern ebenso ‘öffnende’ wie (eine diskursive Reihe) ‘abschließende’ Funktion. Realistisch ist aber, dass das ‘offene System’ und das von ihm repräsentierte Wissen unabdingbar ein Moment der ‘schlechten’ Unendlichkeit behalten, auch bei zunehmender Vervollkommnung. Hegelsche Strukturmittel wie ‘Insichgehen’, ‘Sich-mit-sich-Zusammenschließen durch und über den Selbstunterschied’ und ‘Knotenlinie’ kann man zwar mit Gewinn aufgreifen, doch lässt sich auf diese Weise eben, anders als Hegel wollte, keine ‘absolute Wahrheit’, kein ‘absolutes Wissen’ produzieren (Engels wies zu Recht darauf hin, dass die Hegelsche Methode, ihre lebendige ‘Negativität’, einen absoluten Ruhezustand = Endzustand und einen Selbstabschluss des ‘fertigen’ Systems ausschließt). Auch „Intensitätssteigerung“ (495) pflegt Grenzen zu haben, daher wäre es ganz sicher falsch, sie als undialektisches Zaubermittel gegen die Aporien ‘extensionaler Erweiterung’ anzusehen (realistisch ist indes, dass sie zur Implosion, zum Zusammenbruch z.B. aufgrund scheiternden Versuchs der Internalisierung von Überkomplexität führen kann). Völlig berechtigt schreibt Holz, „Vermittlung“ werde bei Hegel „als Schlüsselkategorie für das Verständnis des dialektischen Prozesses ausgewiesen, ohne die auch der Bruch oder Sprung nicht bestimmt werden könnte“ (481); ‘Vermittlung’ wird bei Hegel, was ein produktiver Widerspruch ist, basal-selbstreferenziell konzipiert (jede vermeintlich einfache Unmittelbarkeit ist in Wahrheit vermittelte und aufgehobene Unmittelbarkeit, und die Figur des ‘übergreifenden Allgemeinen’ ist letztlich eine Form der Selbst-Vermittlung[17]), doch auch wenn sie als „die Reflexion in sich selbst“ expliziert wird (vgl. 544), ist klar, dass ‘Selbst-Vermittlung’ immer schon auch ‘Vermittlung der Vermittlung’ (usw.) ist, der ‘wahrhaften Unendlichkeit’ also auch in dieser Hinsicht die ‘schlechte’ als bleibendes Moment anhaftet (so wie Vernunft immer auf den abstrakten Verstand angewiesen bleibt). Ein Engels-Zitat kommentiert Holz mit den Worten: „Hier wird der ‘schlechten Unendlichkeit’ bloßer Ausdehnung die intensive Unendlichkeit der Qualitäten und Verhältnisse entgegengesetzt, deren Charakter die Unausschöpfbarkeit ist“ (574); Holz ist sich darüber klar, dass diese ‘Unausschöpfbarkeit’ ihre eigene ‘schlechte Unendlichkeit’ hat. Die Spiegel-Metapher bzw. der Terminus ‘Widerspiegelung’ ist laut Holz eine ‘absolute Metapher’ (vgl. 271f.), eine ‘notwendige Metapher’ (vgl. 290f.), eine ‘exakte Metapher’ (vgl. 312), und er begründet diesen Sprachgebrauch durch umfangreiche, sehr lesenswerte Exkurse über Genese, Gebrauch, Theorien und Funktionen von Metaphern überhaupt. Wie jede Metapher, darf auch sie nicht überlastet werden (wie bei Hegel das Bild des Kreises). Jedenfalls ist Widerspiegelungstheorie, so meine Meinung, mit dieser Grundlegung wieder voll und ganz ernst zu nehmen (dass Probleme bleiben, ist für eine Theorie normal). Eine zentrale These lautet dabei: „Ontologie kann heute nur in Form einer Reflexionstheorie ausgearbeitet werden“ (527); so kann sie eine marxistische Erkenntnistheorie begründen und als ‘Theorie der Geschichtlichkeit’ auftreten (vgl. 530ff.).
Repräsentation und Ausdruck. Wahrheit. – Holz’ Redeweisen von ‘Repräsentieren’ und ‘Ausdrücken’ sind stark durch Leibniz geprägt. „Wenn jeder Welt-Punkt (...) durch seine einmalige Stellung im Weltganzen und also durch alle seine besonderen Beziehungen zu allem übrigen in der Welt definiert ist (wie die Leibnizsche Monade), dann kann man sagen, er sei ‘ein Ausdruck der ganzen Welt’, also repraesentatio mundi“ (100). Nun kann allerdings das, was nur im Horizont-Begriff oder per Metapher darstellbar oder ausdrückbar ist, nie adäquat oder vollständig ‘repräsentiert’ werden. Und mit einem Satz wie: „erst das Modell macht die transempirische Wirklichkeit zu dem, was sie ist“ (141) würde ich vorsichtig sein – hier kann meines Erachtens auf den guten Sinn des Kantischen ‘Dinges an sich’ verwiesen werden. Der Weltentwurf ist nicht die Welt, die er darzustellen versucht, und das Ganze wird nicht durch das Modell geschaffen; allerdings wird das Transempirischsein des Transempirischen durch das Modell einbekannt oder sollte einbekannt werden, vielleicht ist es das, was Holz hier meint. Inwieweit ist die Konstruktion ‘Re‑konstruktion’? Dazu müssten wir strenggenommen beide Seiten kennen; sicher ist, dass der Begriff sowohl etwas wegschneidet, indem er Weltkomplexität reduziert, als auch etwas ‘hinzubringt’, nämlich das normative Gerüst seiner Kategorien, Reflexionsbestimmungen, Regeln usw., und dass ‘Wegnehmen’ und ‘Hinzubringen’, d.h. das ‘Selbst’ des Konstituierten und das ‘Selbst’ des Konstituierenden immer in einem Spannungsverhältnis stehen (das ‘zu Konstituierende’ wird im Resultat nie vollständig eingeholt, wird mit ihm nie vollständig identisch).[18] Wenn man eine ‘prästabilierte Harmonie’ dogmatisch postuliert, muss man sich der Selbstkritik der Hegelschen ‘äußeren Reflexion’ stellen. Dabei kann man darauf verweisen, „daß Spekulation das Widerspiegelungsverhältnis der Welt als ganzer ist“ (236). Aber das ändert nichts daran, dass ‘Konstruktion’ ein schöpferisches Moment hat, das nicht durch jene ‘Repräsentation’ abgedeckt ist, hinter der man andererseits zurück bleibt. Was im expressiven Diskurs thematisiert wird, ist nicht auf Repräsentation, die idealiter deskriptiv wäre (vgl. Hegels Ideal eines ‘reinen Zusehens’), reduzibel. Zwar teile ich nicht Foucaults Einschätzung, dass das Repräsentationsmodell am Ende und zu verabschieden sei, aber vermutlich muss man es durch ein Artikulations- und/oder Aktionsmodell (von Sprache, vermittelt mit Handlung überhaupt, unser Sprechen, Schreiben, Lesen ist ja Teil unseres Handelns) ergänzen. Nicht der unwesentlichste Aspekt solcher zu bewältigenden Komplexität ist: Jede Totalisierung eines Bedingungszusammenhangs, mithin auch die eines Bedingten, stellt versuchsweise ‘vermutete fehlende Bedingungen her’, wie Holz dies anschaulich von der wissenschaftlichen Forschung beschreibt (vgl. 447), und lässt Bilder einspringen. Das ‘Zugleich mehr und weniger’, von dem ich oben gesprochen habe, hat Holz sogar selber betont, und insofern wäre es m.E. nur konsequent, etwas mehr auf ‘Negativität’ (auf das Hindurch der Vermittlung, mit einer treffenden Redeweise Plessners gesprochen) und etwas weniger auf ‘Identität’ zu setzen: „Denn der Begriff unterscheidet sich in zweifacher Weise von der Wirklichkeit: Erstens ist er immer weniger als die Wirklichkeit, denn er ist nur deren Repräsentation; zweitens ist aber der Begriff auch immer mehr als die einzelne von ihm (dem Begriff) gemeinte Wirklichkeit, insofern der vollständige Begriff (notio completa) einer Sache nicht nur deren empirisches So-Sein, sondern alle sie bedingenden und bestimmenden Momente (und also auch alle Relationen, in die sie eingeht) enthält und folglich die ganze Welt unter einem bestimmten Gesichtspunkt ausdrückt“ (512). Das Zitat möge noch einmal das Holzsche Zusammenfallen von ‘Repräsentieren’ und ‘Ausdrücken’ zeigen. Dabei weiß Holz, dass er nicht resultative Vollständigkeit beanspruchen kann, wenn er sagt: „Wenn das Verhältnis von Sein und Bewußtsein gemäß dem Spiegel-Modell begriffen werden darf, so drückt die dialektische Verfassung des Denkens – ausdrückbar in der Formel von der Identität von Identität und Nicht-Identität – die Verfassung der realen Welt aus“ (561). Welche Konsequenzen hat nun das alles für den zugrunde gelegten Wahrheitsbegriff? Leider tritt Holz nicht – was vielleicht sinnvoll oder sogar notwendig gewesen wäre – in eine wahrheitstheoretische Diskussion ein. Man muss zwischen Wahrheitstheorie, Wahrheitsbegriff und Wahrheitskriterium unterscheiden. Eine Theorie der Wahrheit ist in diesem Buch nicht gegeben. Der zugrundegelegte Wahrheitsbegriff ist in erster Linie wohl der der Korrespondenz – auf den, wie L. B. Puntel sagt, alle konkurrierenden Wahrheitsmodelle Bezug nehmen, soweit sie sich nicht sogar im Kern darauf zurückführen lassen.[19] An Kriterien sind außerdem Kohärenz, Evidenz und Praxis im Spiel (ich analysiere das der gebotenen Kürze halber jetzt nicht im Einzelnen; klar ist wohl, dass mehrere Modelle miteinander kombiniert werden müssen). Hegel nimmt die Korrespondenz in Kohärenz (Übereinstimmung des Begriffs mit sich selbst) zurück, und auch die Evidenz spielt bei ihm eine nicht zu unterschätzende Rolle. Vielleicht wird Holz in einem Folgeband noch in eine wahrheitstheoretische Diskussion eintreten[20]; es wäre für eine voll durchgeführte Grundlegung der Dialektik jedenfalls zu wünschen.
Vernunft. – Es ist bedauerlich, dass Holz nicht den Versuch einer Explikation des für seine Arbeit doch so wichtigen Begriffs ‘Vernunft’ unternimmt. Im Rahmen des Versuches einer Grundlegung der Dialektik sollte man so etwas erwarten dürfen.[21] (Wenn man z.B. den von der Marx-Engels-Stiftung herausgegebenen Band zum Nietzsche-Symposion vom 9./10.April 1988 in Wuppertal studiert, so fällt auf, dass die dort versammelten Autoren, darunter Holz, zwar schlagwortartig für sich in Anspruch nehmen, einen – selber vernünftigen – Standpunkt für ‘Vernunft’ zu vertreten, dass aber keiner den Versuch unternimmt zu explizieren, was positiv unter diesem Begriff zu verstehen sein soll[22]; eine solche Situation ist äußerst unbefriedigend.) Holz’ Anspruch ist denkbar hoch: „Rationales Verhalten ist als solches erst durch Bezug auf ein metaphysisches Modell konstituiert und kann sich als rational nur durch diesen Bezug legitimieren“ (145f.) – ich lasse jetzt einmal dahingestellt, ob dieser Anspruch haltbar oder auch nur sinnvoll ist, das Zitat möge einfach zur Illustration dessen dienen, wie wichtig es wäre, ‘Vernunft’ bzw. ‘Rationalität’ zu explizieren. Zwar ist klar, dass Holz an die Unterscheidung der ‘drei Momente des Logischen’ bei Hegel anknüpft (das abstrakt-verstandesmäßige, das negativ-vernünftige oder im engeren Sinne dialektische, das positiv-vernünftige oder spekulative); ich nehme an, dass Rationalität im vollen Sinne für Holz diese drei Aspekte umfasst, aber das reicht zur Erhellung nicht aus. Zwar wird die Etymologie erläutert: „wenn wir (...) im Deutschen von Vernunft sprechen (...), so ist das Wort abkünftig von vernehmen, und der Wortstamm nehmen geht idg. zurück auf eine Handlung, die Besitz ergreifen, aneignen bedeutet“ (274, vgl. auch 284). Platon bedient sich einer Analogie „in Form einer Proportion“: „Wie das Sichtbare sich zum Auge verhält, so das Denkbare zur Vernunft“ (334). Erhellende Ausführungen widmet Holz dem spekulativen Sinn von Metaphern, durch deren Leistung die Sprache, wie J.König formuliert, ‘zu sich verwandelt’ wird. Dazu Holz: „Im Bereich determinierenden Sprechens ist Sprache das Medium der Verstandestätigkeit. Durch modifizierendes Sprechen, und eben durch Metaphorik, wird sie zu einem Ort, an dem die Vernunft ihren Ausdruck findet“ (293f.). Eine Abgrenzung von Vernunftteleologie (Vernunft als geschichtlich von vornherein substanzialisiert und sich subjekthaft entfaltend) wird nötig, wenn es heißt: „Über Kant hinaus bringt Hegel den Fortschritt, die ‘innere Zweckmäßigkeit’ aus der Einheitsverfassung der mannigfaltigen Welt herzuleiten und die äußerliche Dialektik der ‘instrumentellen Vernunft’ auf die intrinsische des absoluten Begriffs hin zu integrieren“ (406). „Der Geschichtsprozeß, in dem das wahre Sein als die Einheit von Begriff und Realität herausbildet, folgt“ bei Hegel „strukturell dem gleichen Verlaufsgesetz wie das Bildungsgesetz der absoluten Idee“ (489), in der die Idee des Wahren und die des Guten vereinigt sind – was ist also, da man Hegel doch nicht in jeder Hinsicht folgen kann, mit der Vernunft in der Geschichte? Wenn man folgende Passage liest (wo nun das Hegelsche Geschichtsverständnis in dem Marx-und-Engelsschen aufgegangen ist), hat man doch den Eindruck, dass es sich um Vernunftteleologie handeln soll: „Der aus dem Widerspruch zwischen der materiellen Entwicklung der Produktion und ihrer gesellschaftlichen Form politisch in der Form des Klassenkampfs entspringende Prozeß der Umgestaltung der Produktionsverhältnisse führt zu einer qualitativ neuen gesellschaftlichen Form. (...) Der Widerspruch zwischen fürsichseiender Identität (des sich akkumulierenden Kapitals) und ansichseiender Objektivität (der Klassengesellschaft) treibt über die äußerliche Zweckform der instrumentellen Rationalität des Systems hinaus und läßt die ‘innere Notwendigkeit’ der Menschheitsgeschichte als Fortschritt in der Vernünftigkeit der gesellschaftlichen Lebensgestaltung hervorkommen“ (491f.). Eine abgrenzende Standortbestimmung gegenüber dieser Hegel-Marxschen Fusion erfolgt an dieser Stelle nicht. Der Mangel einer Explikation von ‘Vernunft’ stört auch, wenn es resümierend heißt: „In der theoretischen Bestimmung der Situation und Bedeutungskonstellation, in der wir unserer Praxis Sinn geben und unsere Zwecke setzen, gewinnen wir die vernünftige Freiheit des Handelns“ (600).
Verhältnis zu den Einzelwissenschaften. – Zweimal zitiert Holz sein Programm von 1980, das hier zugrunde gelegt wird: „Die Dialektik muß den Wissenschaften ein System der Kategorien und ein Modell der Relationen vorgeben – und beides gemäß den Fortschritten der Wissenschaften modifizierbar halten: das System muß ein offenes, das Modell ein hypothetisches sein“ (237f. und 540f.).[23] Eine ‘wissenschaftliche Weltanschauung’, so Holz, „wird sich (...) stets an den Fortgang des wissenschaftlichen Wissens zu halten haben“ (115), muss also einen gewissen Kontakt zu den Einzelwissenschaften pflegen, so schwierig das angesichts begrenzter Kompetenz und Verarbeitungskapazität auch sein mag (es kann sicherlich nicht, wie bei Hegel, das Projekt eines Einzelnen sein). Diese Rezeption des wissenschaftlichen Fortschritts führt aber nicht zu einer Abhängigkeit: „Es leuchtet ein, daß die dialektische Auffassung von der Natur als Naturgeschichte, als Herausbildung von immer komplexeren Bewegungsformen der Materie mit qualitativ neuen Eigenschaften des sich organisierenden Stoffes, nicht von dem jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse abhängig ist, sondern eben jene ‘allgemeinsten Bewegungs- und Entwicklungsgesetze’ untersucht, aufgrund deren die materielle qualitative Mannigfaltigkeit der Welt als Einheit erfaßt wird“ (546) – dieses ‘sondern’ ist vielleicht ein wenig zu scharf; auch ist die Frage, was man unter ‘Abhängigkeit’ versteht. Ohne Rekurs auf den Stand der Einzelwissenschaften ist Materialismus als „übergreifende Weltanschauungsform“ (72) nicht möglich; ‘brauchen’ die Einzelwissenschaften umgekehrt auch den Blick auf das Ganze, und zwar mit einem Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit? Holz würde diese Frage wohl mit Ja beantworten.[24] „Also: Dialektik der Natur ist keine Theorie neben oder im Widerspruch zu den Naturwissenschaften, wohl aber geht sie als philosophische Konstruktion des Gesamtzusammenhangs über die Grenzen und Zuständigkeiten der Naturwissenschaften hinaus. Von den Naturwissenschaften her erweist sich die Dialektik der Natur als ein weltanschaulicher Horizont und als der Boden einer ständigen kritischen Reflexion ihrer theoretischen Befunde und ihres methodologischen Instrumentariums“ (560). Das ist die Skizze einer fruchtbaren Zusammenarbeit im Zeitalter des Spezialistentums und des Verwertungswissens. Hinsichtlich der Frage, ob ‘Abhängigkeit’ besteht oder nicht, ist jedenfalls wichtig, dass die anderen Wissenschaften keine Begründungsfunktion für den Weltentwurf übernehmen können bzw. sollen: „ein Weltmodell kann nicht mehr durch eine andere Theorie begründet, sondern nur als in sich stimmig konstruiert werden. (...) Eine metaphysische Hypothese, die also alle möglichen Regionalhypothesen in einer Konzeption von Totalität umfaßt und aus ihr begründet, tritt (...) als Metatheorie auf; das heißt, sie setzt Theorien über empirische Sachverhalte voraus und integriert sie“ (129). Dabei kommt der Dialektik eine grenzziehende und insofern Spielräume zuweisende Funktion zu: „Die Dialektik ersetzt nicht die einzelwissenschaftliche Denkarbeit, sondern bestimmt die Grenzen ihrer Geltung“ (421).
[1] Siehe Thomas Collmer, Das ‘übergreifende Allgemeine’ als Grundfigur der Dialektik? Ein Diskussionsbeitrag zu Hans Heinz Holz’ Einheit und Widerspruch, in: Z 40, Dezember 1999, 157‑173; Hans Heinz Holz, Dialektik im Lichte ihrer Geschichte, in: Z 41, März 2000, 123‑132.
[2] Siehe Thomas Collmer, Aktuelle Perspektiven einer immanenten Hegel-Kritik. Negative Totalisierung als Prinzip offener Dialektik, Gießen 1992; drs., Hegels Dialektik der Negativität. Untersuchungen für eine selbst-kritische Theorie der Dialektik, Gießen 2002. Siehe von Collmer auch die beiden Aufsätze: Hegel zur Dialektik von Selbstbestimmung und Fremdbestimmtheit. Reflexion als objektive Struktur: ein Kernstück dialektischer Methodologie, in: Z 27, September 1996, 45‑57 (Teil I), und Z 28, Dezember 1996, 141‑153 (Teil II); und: Hegels Begriff der Negativität, in: Z 65, März 2006, 174‑184 (Teil I), und Z 66, Juni 2006, 144‑151 (Teil II).
[3] Jeroen Bartels / Hans Heinz Holz / Jos Lensink / Detlev Pätzold, Dialektik als offenes System, Köln 1986, 9f.
[4] Alle in Klammern gesetzten Seitenzahlen im Text beziehen sich auf: Hans Heinz Holz, Weltentwurf und Reflexion. Versuch einer Grundlegung der Dialektik, Stuttgart & Weimar 2005. Hervorhebungen in den Zitaten sind immer Hervorhebungen von Holz selbst.
[5] Siehe dazu T.Collmer, Hegels Dialektik der Negativität
[6] Vgl. z.B. Herbert Schnädelbach, Metaphysik und Religion heute, in: drs., Zur Rehabilitierung des animal rationale. Vorträge und Abhandlungen 2, Frankfurt/M. 1992, 137‑157. Schnädelbach nimmt dort in der Metaphysik-Debatte zwischen Habermas und Henrich, auf die sich auch Holz bezieht (vgl. Weltentwurf und Reflexion, 47‑55), Stellung für Henrich.
[7] Werner Seppmann, Die Paradoxien des ‘postmodernen Denkens’. Anmerkungen zu Reinhard Schweichers Kritik meiner Interpretation der ‘Postmoderne’, in: Z 33, März 1998, 225.
[8] Ein Grund, weshalb die Verwendung als Teil (oder Aspekt) der Bedeutung auftauchen muss.
[9] 1992 habe ich Hegels geordnete Relativierung von konträrem und kontradiktorischem Gegensatz verteidigt und bin dennoch zu dem Schluss gekommen, dass es nicht mehr als eine ‘offene Anweisung’ auf eine je zu wählende ‘bestimmte Negation’ gibt (vgl. Aktuelle Perspektiven einer immanenten Hegel-Kritik, Kap.VII.1).
[10] Vgl. auch: „Sein, Identität, Eins (und die daraus folgende Reihe der ganzen Zahlen) gehören zweifellos zu einem solchen Bestand vor-weltlicher Kategorien (samt den dazu gehörigen Negationen), und es lassen sich aus der kategorialen Erstausstattung wohl auch noch eine Reihe weiterer Kategorien mit apriorischer Notwendigkeit ableiten“ (167).
[11] Siehe Hans Heinz Holz, Der Philosoph Ernst Bloch und sein Werk Das Prinzip Hoffnung (1955), in: Burghart Schmidt (Hrsg.), Materialien zu Ernst Blochs ‘Prinzip Hoffnung’, Frankfurt/M. 1978, 130f.; drs., Einsatzstellen der ‘Ontologie des Noch-Nicht-Seins’ (1967), daselbst, 269ff.
[12] Siehe dazu näher: T.Collmer, Hegels Dialektik der Negativität, insbes. 100f., 120‑132 und 611‑628.
[13] So schreibt Manfred Buhr: „Die Ding-an-sich-Lehre bringt, geht man auf ihr Wesen ein und sieht von den Inkonsequenzen der Verwendung des Ding-an-sich-Begriffs innerhalb der Kantschen Philosophie ab, deutlich das Schwanken Kants zwischen Idealismus und Materialismus zum Ausdruck.“ (Artikel ‘Ding an sich’, in: G.Klaus & M.Buhr (Hrsg.), Marxistisch-leninistisches Wörterbuch der Philosophie, Reinbek 1972, 284)
[14] Georg Klaus (Hrsg.), Wörterbuch der Kybernetik, Berlin 1968, 291.
[15] Vgl. z.B. Hilary Putnam, Die Bedeutung von ‘Bedeutung’ (orig. 1975, Übers. W.Spohn), Frankfurt/M. 1979.
[16] Ich vertrete, wohl im Gegensatz zu Holz, den Standpunkt, dass eine heutige Konzeption und Theorie der Dialektik den darin entwickelten Sprachspiel-Pluralismus aufnehmen und integrieren können muss. Das kann diskurstheoretisch geschehen, indem ‘Diskurs’ als methodisches, reflexives Sprachspiel über Sprachspiele aufgefasst und in Auseinandersetzung mit Hegel ein ‘Diskurs aller Diskurse’ formuliert wird (ich habe das versucht in: Aktuelle Perspektiven einer immanenten Hegel-Kritik, siehe dort insbes. die Abschnitte II.5, XI.1 und XI.2). In einem Nietzsche-Aufsatz von 1988 schreibt Holz: „Der Irrationalismus ist die übergreifende Gattung mystifizierender und scheinrationaler (positivistischer, diskurstheoretischer, transzendentalphilosophischer usw.) Weltanschauungsentwürfe, er ist die Erscheinungsform der Krise der Philosophie“ (Hans Heinz Holz, Aspekte einer marxistischen Nietzsche-Kritik, in: Hans Jörg Sandkühler und andere, Bruder Nietzsche? Wie muß ein marxistisches Nietzsche-Bild heute aussehen?, Düsseldorf 1988, 86). Meint Holz damit nur bestimmte Vertreter des Poststrukturalismus oder will er damit sagen, dass Diskurstheorie immer und in allen Fällen scheinrational, ja irrational sei? Das wäre zweifellos ein unhaltbares Pauschalurteil.
[17] Ich habe nach der Lektüre von Weltentwurf und Reflexion meine 1999er Abneigung gegen das ‘übergreifende Allgemeine’ zumindest teilweise revidieren müssen (an wichtigen Stellen vgl. nun 18, 187ff., 200f., 204, 209, 212, 216f., 233, 253, 347f., 360, 417f., 420, 425‑429, 481). Anders als ich damals nach der Lektüre von Einheit und Widerspruch den Eindruck hatte, baut Holz sein Dialektik-Konzept ja auch nicht allein auf dieser Figur auf (wenn sie auch für ihn sehr wichtig ist), sondern er nennt „das Übergreifen der Gattung über ihr Gegenteil“ (176) als einen von „fünf Grundzügen, die die logische Verfassung der Dialektik (im Unterschied zur formalen Logik) charakterisieren“ (ebd.). Ich habe 1992 in Aktuelle Perspektiven einer immanenten Hegel-Kritik, ohne jede Kenntnis von Werken von Hans Heinz Holz oder Josef König, aber unter anderem inspiriert durch Der Begriff des Widerspruchs von Michael Wolff (Königstein/Ts. 1981, mit diesem Buch setze ich mich dort in Kapitel VII.1, siehe S.181‑206, auseinander), auf S.141‑145 Figuren nach dem Schema der ‘Identität von Identität und Nichtidentität’ skizziert, die man ebensogut mit dem Schema des ‘übergreifenden Allgemeinen’ charakterisieren kann.
[18] Ich würde dafür plädieren, neben dem ‘Reflektierenden’ und dem (resultativ oder zwischenresultativ) ‘Reflektierten’ das ‘zu Reflektierende’ als drittes Relat anzusetzen, dessen Differenz von/zu beiden den Prozess offen hält.
[19] L. Bruno Puntel, Artikel ‘Wahrheit’, in: H.Krings/H.M.Baumgartner/Ch.Wild (Hrsg.), Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Studienausgabe Bd.6, München 1974, 1651: „Alle Versuche einer Bestimmung des Wahrheitsbegriffs haben, in einer positiven oder negativen Hinsicht, die in ihrer differenziertesten Ausprägung bei Thomas von Aquin zu findende klassische adaequatio-Formel der Wahrheit veritas est adaequatio rei et intellectus zum Ausgangs- und Bezugspunkt. (...) Außerdem wird diese Formel überall dort vorausgesetzt, wo von Wahrheit die Rede ist, ohne daß explizit über den dabei implizierten Wahrheitsbegriff reflektiert wird. (...) Es kann ferner gezeigt werden, daß jede Wahrheitstheorie einen korrigierten, angemessen interpretierten adaequatio-Begriff voraussetzt und einschließt.“
[20] Für Bücher, mit denen man sich produktiv auseinandersetzen kann (ich sage das weniger für Holz als für die anderen Leserinnen und Leser), halte ich: Gunnar Skirbekk (Hrsg.), Wahrheitstheorien. Eine Auswahl aus den Diskussionen über Wahrheit im 20.Jahrhundert, Frankfurt/M. 1977; Karen Gloy, Wahrheitstheorien. Eine Einführung, Tübingen & Basel 2004; Peter Janich, Was ist Wahrheit? Eine philosophische Einführung (1996), 3. Aufl. München 2005.
[21] Ein Buch, mit dem man sich produktiv auseinandersetzen kann, obwohl (?) es von einem analytisch geprägten Autor stammt (aber eben nicht von einem puristischen Analytiker), ist meines Erachtens: Ulrich Steinvorth, Was ist Vernunft? Eine philosophische Einführung, München 2002.
[22] Siehe Hans Jörg Sandkühler und andere, Bruder Nietzsche?, Düsseldorf 1988.
[23] Hans Heinz Holz, Natur und Gehalt spekulativer Sätze (Groninger Antrittsvorlesung), Köln 1980, 31.
[24] Einen solchen Anspruch durchzusetzen, wäre letztlich eine Machtfrage (und sei es auch nur in dem Sinne, wie Kämpfe um Macht und Anerkennung im Wissenschaftsbetrieb sowieso eine grundlegende Rolle spielen), eine Frage der machtgestützten Herbeiführung und Durchsetzung von Konsens. Auch dies müsste, redlicherweise, wahrheitstheoretisch berücksichtigt werden. Und da beunruhigen mich die diversen positiven Erwähnungen Stalins, wenn auch ‘nur’ des ‘Theoretikers’ Stalin, soweit es diesen gab (vgl. 114: Anm.42, 374f.: Anm.37, 581: Anm.1, 601). Egal, ob Stalin nun jene Arbeit über Marxismus und Sprachwissenschaft selber geschrieben hat oder (was wohl wesentlich wahrscheinlicher ist) sie hat schreiben lassen: Ist es akzeptabel, dass Holz das Thema Marxismus und Sprachwissenschaft auf diese Weise ins Spiel bringt? Wieder stellt sich die Frage, wie und um welchen Preis er auf ‘Einheit’ setzen will. Was Holz’ Konzeption und Theorie der Dialektik unter anderem explizit leisten müsste, wäre ein Akzeptieren von Dissensen auf der Basis von gegenseitigem Respekt.