Patrick Eser: Im Februar 2006 riefen in Katalonien über 150 linke Gruppierungen zu einer Demonstration in Barcelona unter dem Motto som una naciò auf. Die Demo richtete sich gegen das neu ausgehandelte Autonomiestatut zwischen der katalanischen Regionalregierung und der spanischen Zentralregierung, das weitere Hoheitsbereiche an die Generalitat de Catalunya abtritt. Seitens der zur Demo aufrufenden Gruppen wird bemängelt, dass der Begriff der katalanischen Nationalität nicht explizit im Text des Statuts erwähnt wird. Mittlerweile haben auch Vertreter des galizischen Regionalismus eine Neuaushandlung ihres Autonomiestatuts gefordert, in dem die „galizische Nationalität“ ihre Anerkennung finden soll. Wie ist diese positive Ausrichtung auf dem Begriff der „Nation“ zu verstehen? Eine Lehre aus der fehlerhaften Vergangenheit der Linken wäre doch zumindest eine Skepsis gegenüber nationalistischen Politikansätzen und entsprechenden Gemeinschafts- und Identitätsvorstellungen. Wie ist der positive Bezug auf die „Nation“ seitens der linksnationalistischen Bewegungen einzuschätzen?
Armando Fernández Steinko: Der Begriff „Nation“ ist unter deutschen Linken nicht positiv besetzt. Das gilt auch für einen großen Teil der spanischen Linken. Der Bezug auf die Nation hat sowohl historische als auch aktuelle Gründe, die man, grob gesagt, mit dem Phänomen der neoliberalen Globalisierung in Verbindung bringen könnte, aber auch mit der Art und Weise, wie die Krise des Fordismus in Spanien politisch und sozial gemanaged wurde. Es ist wichtig, das spanische „nationale Problem“ in seiner Vielschichtigkeit zu analysieren und nicht reduktionistisch heranzugehen.
Der Begriff „Nation“ ist nicht konservativen, sondern eher bürgerlich-fortschrittlichen Ursprungs. Die Schaffung einheitlicher, bürgerlichen Nationalstaaten im 19. Jahrhundert war eine Reaktion gegen den feudalen Partikularismus, der nicht nur eine territoriale sondern auch eine kulturelle und sprachliche Dimension hatte (Schaffung einer nationalen Sprache). Dieser Prozess konnte aber im Laufe des 19. Jahrhunderts nur eine wirklich fortschrittliche Dimension entwickeln, wenn er Anstrengungen unternahm, soziale, kulturelle und politische Ungleichheiten zu reduzieren. Als klar wurde, dass der Kapitalismus neue Formen von Ungleichheit schuf, konnte sich der bürgerliche Nationalismus nur durch redistributive Praktiken legitimieren, die nicht nur für die Armee und die innere Sicherheit, sondern tendenziell auch für die allgemeine Entwicklung des Landes gedacht waren. Die Schaffung der modernen spanischen Nation ist nicht nach diesem Schema erfolgt. Die sozialen Kräfte, die sich gegen einen minimal redistributiven Staat gewehrt haben, waren einfach zu stark und konnten sich in Madrid fast ununterbrochen durchsetzen – mit den kurzen Ausnahmen der ersten und zweiten Republik. Ihre soziale Stärke fußte auf dem Großgrundbesitz. Die liberalen Reformen des 19. Jahrhunderts stärkten den Großgrundbesitz noch etwas mehr, weil sie auf die Privatisierung des kirchlichen und kommunalen Landbesitzes hinausliefen: die Modernisierung des spanischen Staates war also nichts anderes als eine Aktualisierung der großen sozialen Ungleichheiten der präkapitalistischen Ära. Das industrielle Kapital, das im Baskenland und in Katalonien konzentriert war, schaffte es nie wirklich, seine Interessen in Madrid durchzusetzen. In gewisser Hinsicht schließen sich industrielles Kapital und Rentenkapitalismus aus, eine Frage die heute sehr aktuell ist, wie man an der Debatte um die relative Rivalität zwischen rheinischem und angelsächsischem Kapitalismus sehr gut sehen kann. Diese Rivalität zwischen Industrie- und Finanzkapital, die die Linke immer wieder herausfordert, durchkreuzt jede kapitalistische Modernisierung. In Spanien deckt sie sich mit der „nationalen Frage“ und schafft dadurch einen zweifachen oder dreifachen Konflikt: den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, den Konflikt zwischen Rentenkapitalismus und Industriekapitalismus und den Konflikt zwischen einem redistributiven, also konsensualen, und einem auf reinem Zwang beruhenden Staat.
Der Kapitalismus hat sich ja mittlerweile in Spanien weiter entwickelt, industrielle Produktionsweisen haben sich differenziert und ausgebreitet – auch im Hinblick auf die regionale Verteilung. Kann man die gegenwärtigen nationalistischen Bewegungen immer noch durch die Opposition gegensätzlich orientierter Kapitalfraktionen analysieren?
Man sollte nicht allzu reduktionistisch argumentieren, aber einer der Kerne des Konfliktes ist sicherlich die Auseinandersetzung zwischen den Kapitalfraktionen. Madrid hat sich in den letzten Jahren zu einem Finanzplatz entwickelt, ist also von den internationalen Finanzströmen abhängig geworden, und seine Wirtschaftskontakte mit der westlichen Welt sind wichtiger geworden als die mit dem Rest Spaniens. Die Stadt hat sich „finanzialisiert“ und seine industrielle Basis ist sehr viel kleiner geworden. Die baskische und ein Teil der katalanischen Bourgeoisie sind mehr von lokalen Klassenkompromissen abhängig, sie hängen auch zum großen Teil vom Export ab, dennoch sind sie mehr in stoffliche und physische Zusammenhänge eingebunden. Das macht sie etwas „fortschrittlicher“, was die spanische Linke immer wieder dazu führt, sich ihr politisch anzunähern, z.B. beteiligt sich Izquierda Unida (IU) im Baskenland heute an der Regierung.
Wie haben sich die gegensätzlichen Einstellungen der peripheren Eliten im Hinblick auf den Zentralstaat entwickelt, worin liegt das Scheitern der Herausbildung einer spanischen Nation begründet?
In den Jahren der Herausbildung des modernen Staates war Madrid eine Stadt von Beamten und Großgrundbesitzern, die ihre Renten in der Hauptstadt konsumierten bzw. in Immobilien und Finanzprodukten investierten. Die baskische Bourgeoisie war intensiv mit dem Aufbau eines klassischen auf Erzgewinnung und -verarbeitung basierenden Industriekapitalismus beschäftigt, der seine Interessen in Madrid nie richtig behaupten konnte (zum Beispiel in der wichtigen Frage der Zollpolitik, die vor allem vom Großgrundbesitz und den Kleinbauern Nordkastiliens bestimmt wurde). Auch die katalanischen Textilkapitalisten fühlten sich in Madrid diskriminiert, auch wenn sie eine recht dynamische Klasse waren. In diesem Rahmen konnte die kulturelle Frage, also die Erfindung einer eigenen Nation, sehr schnell zünden, was letztlich auch deswegen geschah, weil das undemokratische politische System und die Allianz der Militärs mit dem Großgrundbesitz die Einbindung beider Bourgeoisien immer wieder unmöglich machte. Der katalanische Nationalismus wurde zu einer Massenbewegung, z.B., als der Diktator Primo de Rivera recht ungeschickt und unnötigerweise die mancomunidad catalana – eine Art kommunale Selbstverwaltung, die dem katalanischen Nationalismus 1914 zugestanden wurde – Ende der zwanziger Jahre verbot.
Das Wort „liberal“ mit seinen politisch widersprüchlichen Bedeutungen ist eine spanische Erfindung und in der Tat waren die bürgerlich-liberalen Reformen in Spanien, die auch die Schaffung einer neuen, modernen „Nation“ beinhalteten, vergleichbar mit anderen, die zur gleichen Zeit in Europa stattfanden. Dennoch waren die lokalen, postfeudalen Elemente seiner Sozialstruktur noch so stark, dass die sprachliche, politische und kulturelle Vereinigung des Landes ausblieb. Die lokalen Interessen, die an das Landeigentum gebunden waren, wurden sogar in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstärkt – dank der Fähigkeit der lokalen Besitzer (die so genannten „caciques“), massiv Steuern zu hinterziehen. Der redistributive Charakter des modernen spanischen Staates blieb aus und somit auch seine Legitimität. Vom Staat konnte dann nur Zwang kommen. Eine tiefe Skepsis gegenüber dem Staat hat seitdem die spanische Linke immer wieder begleitet. Sie erklärt die Stärke des Anarchismus, aber auch die Distanz des radikalen, peripheren Kleinbürgertums zu Madrid. In Gesellschaften mit einer wachsenden Arbeitsteilung ist die Redistribution aber unabdingbar. Jede industriell-kapitalistische Modernisierung bedarf der Formen moderner Verwaltung und Umverteilung, um z.B. Infrastrukturen zu bauen und technische Eliten auszubilden. Der bürgerliche Nationalismus konnte sich deswegen vor allem in Katalonien und im Baskenland festmachen, weil diese Regionen eine moderne Umverteilung besonders brauchten. Das war genau die Stunde des bürgerlichen Nationalismus samt seiner progressiven Elemente. Madrid schaffte es nicht diese aufzubauen, weil Madrid und natürlich die Krone vom Großgrundbesitz und den Finanzrentiers kontrolliert wurden. Die entwickelten Regionen übernahmen die Umverteilung selbst, schufen Infrastrukturen auf lokaler Ebene und benutzten die Sprache, um sich zu behaupten.
Der spanische Fordismus, der sich in Zeiten Francos entfaltete, hat diese Tendenzen nur verstärkt: Er war „liberal“ im Sinne von anti-etatistisch, also unfähig, als Verteilungsinstanz zu funktionieren. Er war aber dann auch antiliberal im Sinne von nicht legitim, also auf Zwang und nicht auf Konsens beruhend. Die Sprache und die lokalen Identitäten, die sich um die Sprache herum bilden, kommen dann dazu. Dass Teile des Kleinbürgertums sich dann nationalistisch orientierten ergibt sich daraus, dass diese Verteilungsinstanzen, die sie natürlich brauchen um sich im Modernisierungsprozess zu behaupten, einfach nicht da waren und deswegen selbst aufgebaut werden mussten. Aber Verteilung kann man nur legitimieren, wenn irgendwelche Gemeinsamkeiten bestehen, weswegen dann auch das „katalanische Volk“ und das „baskische Volk“ erfunden (inventado) werden mussten zusammen mittels einer unendlichen Liste von Mythen und großer metaphysischer Apparaturen.
Hier steckt meines Erachtens der Grund für die politische Ambivalenz des spanischen Nationalismus in der Peripherie. Denn Umverteilung heißt immer auch Strukturierung eines gemeinsamen Raumes, einer gemeinsamen Kultur, einer gemeinsamen Sprache. Es ist ein Akt der Sozialisierung, der Schaffung öffentlicher Güter, was besonders in der neoliberalen Ära eine klare linke Programmatik beinhaltet, bzw. beinhalten kann. Aber Nationalismus heißt auch immer Abschottung gegenüber Anderen und zwar nicht nach Klassen sondern nach sprachlichen, ethnischen etc. Kriterien.
Seit dem Aufleben des peripheren Nationalismus in der transición haben sich die Kontexte und Bedingungen grundlegend verändert. Wirken die historischen Konfliktlinien, die du gerade eben beschrieben hast, bis in die Gegenwart fort oder sind für das jüngste Aufleben des peripheren Nationalismus andere Faktoren relevant, wie z.B. die Krise des Nationalstaats im Zuge der Globalisierung, eine De-Nationalisierung der Kultur und Politik, die Hegemonie des Neoliberalismus, der Zerfall „multinationaler Staaten“ nach 1990 (Sowjetunion, Jugoslawien)?
Die Krise des Nationalstaates und, allgemeiner ausgedrückt, der politischen Regulierung des Zusammenlebens, der Raumplanung, der Kultur usw. verläuft parallel zur Konsolidierung des finanzgetriebenen Akkumulationsregimes, also des Neoliberalismus. Da die Menschen in komplexen Gesellschaften voneinander abhängig sind, kann die Regulierung nicht einfach verschwinden. Wenn es der nationale Staat nicht macht, dann muss es jemand anderes tun. Die Regionen spielen hier die Ersatzrolle. Praktisch in allen Ländern sind die Regionen Opfer neoliberaler Politik geworden. Von Spanien bis Italien, von Deutschland bis Bolivien, von Großbritannien bis Kanada gibt es Regionen die sich gegenüber anderen Regionen tendenziell abschotten, sei es um „wettbewerbsfähig“ zu bleiben, sei es um ihren höheren sozialen Wohlstand gegenüber den ärmeren Regionen nicht durch Umverteilung und Solidarität inmitten eines Wirtschaftskrieges aller gegen alle zu „gefährden“. Diese Tendenz ist überall zu beobachten, auch wenn das Kulturelle, in letzter Instanz also das Sprachproblem, hier natürlich eine eigene Rolle spielt. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und Jugoslawiens hatte eher eine symbolische Bedeutung, insofern er optisch vorführte, was für jeden Marxisten eine Selbstverständigkeit sein sollte: Die Geschichte ist offen, menschliche Gebilde sind vergänglich, inklusive staatlicher Formen. Der Zusammenbruch Jugoslawiens war aber so dramatisch, dass er einige mit dem Nationalismus sympathisierende Bürger eher abgeschreckt hat. Dass der Nationalismus dennoch eine stabile soziale Basis behaupten konnte, wie sich jetzt auch in Schottland gezeigt hat, beweist, dass tiefere Kräfte wirken. Welche? Der Nationalismus ist eine Art Kehrseite des Neoliberalismus, weil er eine Theorie des Territoriums beinhaltet, inklusive seiner Ressourcen, also seiner Natur, seiner kulturellen Traditionen, seiner Sprachen und Dialekte. Das Territorium ist aber auch ein Wettbewerbsfaktor und somit ein sensibles Politikum im Neoliberalismus geworden, da viele dieser kollektiven Ressourcen kapitalistisch verwertbar sind und in Wachstum verwandelt werden können. Das Problem ist aber, dass sie dadurch zerstört werden, „enteignet“ werden müssen, um verwertet werden zu können. Ihre kollektive Verteidigung beinhaltet somit antikapitalistische und kollektive Logiken, die hegemonial werden können. Die nationalistische Variante dieser Verteidigung ist aber die, dass der Nationalismus diese Verteidigung gegen andere Regionen, andere Sprachen, andere Institutionen behauptet, wobei er letzten Endes Teil der neoliberalen Dynamik bleibt. Diese Entgliederung in die neoliberale Wettbewerbsdynamik verläuft aber widersprüchlich und unscharf, was einige Linke dazu bringt, sich allzu sehr an den Nationalismus anzunähern. Oftmals wirken hier einfach alte ultraradikale, anti-etatistische Tendenzen, die im Kampf gegen den Neoliberalismus recht steril, aber gleichzeitig in der Antiglobalisierungsszene sehr aktiv sind.
Könntest du etwas über die „Klassendimension“ der nationalistischen Bewegungen sagen? Lässt sich in den (links-)nationalistischen Bewegungen eine Konvergenz von neoliberalem und nationalistischem Diskurs beobachten? Läuft die nationalistische Mobilisierung im Kontext des neoliberalen Wettbewerbsparadigmas nicht Gefahr, letztlich die Vorstellung einer homogenen „Standortgemeinschaft“ zu konstruieren? Wird diese Möglichkeit in den linksnationalistischen Bewegungen gesehen oder geschieht die Thematisierung sozialer Probleme letztlich nur noch vor dem Hintergrund des nationalen Problems?
Der Nationalismus ist nicht klassenneutral, auch wenn diese falsche Neutralität in seinem Diskurs implizit oder explizit eine zentrale Rolle spielt. Der so genannte „linke“ Nationalismus, der in Katalonien (Esquerra Republicana de Catalunya) und im Baskenland (Eusko Alkartasuna und die verschiedenen Nachfolger von Herri Batasuna) nicht unbedeutend ist und direkt mit der gesamtspanischen Linken konkurriert, erkennt die soziale Ungleichheit an, aber nur teilweise und zwar nur innerhalb „ihres“ Baskenlandes oder „ihres“ Katalonien. Sie verteidigen also konsequente Umverteilungspolitiken, mit denen sie die unteren (baskischen und katalanischen) Schichten ansprechen wollen: Die armen Basken und die armen Katalanen sollen mehr vom allgemeinen Wachstum haben. Die ethnischen Fragen werden in diesem Zusammenhang nicht mehr so offen politisiert, aber sehr wohl die der Sprache. Die Sprache ist das, was in diesem Diskurs letzten Endes einen baskischen oder einen nicht baskischen Bürger ausmacht. Wer soll aber zahlen wenn nicht die baskische, die galizische oder die katalanische Bourgeoisie? Hier setzt die politische Funktionalität des „linken“ Nationalismus an: Nicht so sehr die reichen Basken und die reichen Katalanen, die ja, ob reich oder arm zu „uns“ gehören, sondern „Spanien“. „Spanien“ wird also klassenneutral interpretiert, als „äußerer Feind“ eben, in dem die Unterschiede zwischen arm und reich verschwunden sind. Der Klassenkonflikt wird zu Hause anerkannt, aber südlich vom Ebro und vom Miöo gibt es nur „Spanier“, die den „Katalanen“ oder den „Basken“ die Ressourcen „wegnehmen“ bzw. es durch politische Mechanismen (Kontrolle des Staatsapparates usw.) unmöglich machen, dass Basken und Katalanen ihre Gesellschaft selbstbestimmt regulieren und so eine gerechtere Gesellschaft aufbauen können. Dieser Diskus entspricht nicht der Wirklichkeit, unter anderem weil die baskische und katalanische Großbourgeoisie die wirklichen Gewinner der sozialen Spaltung in Katalonien und im Baskenland sind. Der galizische Nationalismus des Bloque Nacionalista Galego war ursprünglich etwas anderer Natur, auch wenn er genauso wie die anderen Nationalismen das Territoriale, die Sprache und immer mehr auch die regionale Wettbewerbsfähigkeit ins Zentrum stellt. Galizien ist, ähnlich wie Irland, traditionell eine ärmere Region gewesen, die ihre Bevölkerung nie wirklich ernähren konnte. Der „Bloque“ ist sehr stark auf die Modernisierung und die Säkularisierung der ländlichen Regionen ausgerichtet, was in einem traditionellen Milieu wie Galizien recht viel bedeutet. Der „Bloque“ hat auch sehr gute Initiativen im Bereich der Ökologie auf die Beine gebracht. Inzwischen ist aber sein Diskurs dem des anderen „linken“ Nationalismus recht ähnlich: Der Feind steht nicht unter uns, sondern ist „draußen“, in Madrid oder in der nachbarschaftlichen Region. Auch der „Bloque“ hat viele Stimmen, vor allem in den Industrieregionen Galiziens, dieses Mal an Izquierda Unida verloren. In der Tat läuft dieser Diskurs dann, früher oder später, auf einen Wohlstandschauvinismus hinaus, d.h. auf den Versuch, das Argument des „Gemeinsamen“ zu Hause zu benutzen um interne Umverteilungsprozesse zu vermeiden, was natürlich ein schleichendes Eindringen auch der großen, wirtschaftlichen lokalen Interessen in diese Parteien bewirkt. Diese Dynamik entschärft immer mehr den sozialen Diskurs dieser Partei bzw. macht ihn immer abhängiger von der interregionalen Rivalität und auch der „Wettbewerbsfähigkeit“, also treibt ihn eben in Richtung Wohlstandschauvinismus.
Die nationalistischen Bewegungen, in der bürgerlichen wie auch der links-nationalistischen Spielart, zielen in ihren Forderungen auf den Schutz national vorgestellter Traditionen und Kulturelemente. Im Zentrum dieser „Kulturpolitiken“ stehen die regionalen bzw. „nationalen“ Sprachen. Wie wird denn in den linken, kritischen Kreisen eine solche Fokussierung der politischen Programmatik diskutiert?
Die monetaristisch-neoliberale Wirtschaftspolitik der PSOE von Felipe Gonzalez, die die spanische Arbeitsgesellschaft und somit langfristig Solidarität und Umverteilung unterminiert hat, hat viele dieser gemeinsamen Räume zerstört oder droht sie zu zerstören. Es wiederholt sich also jene alte Geschichte, die dem Nationalismus immer wieder Aufwind gegeben hat: der spanische Staat ist eben keine Solidarität stiftende Institution. Hinzu kommt, dass die meisten spanischen Demokraten, auch die linken, bis jetzt nicht verstanden haben, dass alle Sprachen, die in Spanien gesprochen werden, ein allgemeines kulturelles Gut sind, das von Madrid aus geschützt werden muss und allen Spaniern beigebracht werden sollte. Da sie dieses nicht machen, lassen sie dem Nationalismus ein großes freies Feld. Auch den „linken“ Nationalisten, die sich zu der höchst legitimen Verteidigung der regionalen Sprachen berufen fühlen.
Dennoch sollte man sehr nüchtern bleiben, was (provokativ ausgedrückt) diese „Unterwanderung“ der Linken durch den Nationalismus bedeutet. In Katalonien sind zur Zeit die gleichen Phänomene, die sich auch in Zentraleuropa und im Rest Spaniens abspielen, zu beobachten: Die unteren Klassen, die clases populares, die die größten Opfer des Neoliberalismus sind, verlieren das Interesse an Politik. Die bürgerlichen Schichten, vor allem das Bildungsbürgertum und die Professionellen – die so genannten „technischen Kader“, die Leute mit einem hohen Bildungsabschluss, die in den Städten leben – zeigen das meiste politische Engagement für die Frage, ob Katalonien eine Nation ist oder nicht. Die nationalistischen Tendenzen sind vor allem in solchen bildungsbürgerlichen Milieus verankert (auch unter dem von Neoliberalismus bedrohten traditionellen Bürgertum). Die Vorstädte interessieren sich einfach nicht für solche Fragen, so dass sich Jahr für Jahr das gleiche wiederholt: Die Wahlbeteiligung bei den gesamtspanischen Wahlen ist sehr viel höher als in den spezifisch katalanischen Wahlprozessen, wo sie wirklich sehr niedrig ist. Das gleiche hat sich noch mal im letzten Referendum über das „Statut“ wiederholt: Die, die sozial am schlechtesten da stehen, haben sich massiv enthalten, was für die bildungsbürgerlichen und nationalistischen Kräfte, die diese Frage ins Zentrum gestellt haben, eine klare politische und symbolische Niederlage bedeutet. Der periphere, nationalistische Diskurs hat in den letzten Kommunalwahlen reichlich Stimmen verloren, dafür aber dem zentralistischen Nationalismus einen erheblichen Aufwind gegeben und die Regierung Zapatero in die Defensive gedrängt. Wie sich in den kommunalen Wahlergebnissen von Mai 2007 wieder gezeigt hat, hat die Linke einen großen Fehler gemacht, als sie ihren Wahlsieg in Katalonien vor drei Jahren nicht dazu genutzt hat, soziale – also rote – Politik zu machen, sondern nationalistische Postulate unterstützt bzw. das nationale Problem nicht von links angepackt hat. Das Problem kann aber nur auf gesamtspanischer Ebene gelöst werden. Nur wenn die gesamtspanische Linke reagiert und zum Beispiel dem Sprachproblem eine fortschrittlich-solidarische Lösung gibt, also mit einem roten, anti-neoliberalen Diskurs verbindet, kann sie es vermeiden, wieder in die Defensive gegenüber dem Nationalismus zu geraten.
Könntest du noch abschließend erläutern, wie ein sinnvoller, linker Umgang mit dem Nationalismus (auch dem peripheren in Spanien) aussehen könnte? Sollte in der linken Rhetorik und Politik nicht besser auf eine Aufwertung der „nationalen Identitäten“ verzichtet werden?
Ich glaube nicht, dass politische Projekte, ob linke oder rechte, jemals ohne „Identitäten“ ausgekommen sind – die Menschen lassen sich nicht nur durch Klasseninteressen bewegen. Die sozialistische Bewegung hat sehr wohl eine „Identität“, also ein prä-rationales und emotionales Element gehabt. Dieses emotionale Element ist ein wesentlicher Bestandteil jeglicher Politik, weil es ein Teil menschlicher Subjektivität ist. Es lässt sich in der Tat immer wieder manipulieren und in rechte Rhetorik umwenden, aber das heißt nicht, dass die Linke darauf verzichten kann. Die Frage ist: Wo situiert die Linke diese Identität, welche Werte sollten sie leiten? Worauf sollte sich ein linker Identitätsdiskurs beziehen? Natürlich nicht auf Mythen, nicht auf Solidarität im „Inneren der Nation“ und gegen andere Nationen, sondern auf Solidarität zwischen den subalternen Klassen des ganzen Planeten, auf kooperative Werte und nicht auf Konkurrenz, auf Humanismus und nicht auf naturrechtlich fundierte Argumente („ausgewähltes Volk“ oder „katalanisches Wesen“). Das Problem ist heute, dass die alten sozialistischen Identitäten, die ja auch national eingebunden waren, nicht mehr gültig sind und neue noch nicht hinzugekommen sind. Die Geschichte gibt aber der spanischen Linken einige sehr brauchbare Elemente, um eine neue, moderne, internationalistische, sozialistisch-kooperative Identität aktiv aufzubauen: die Erfahrung der Zweiten Republik und deren Verteidigung zwischen 1936 und 1939 konnte in der ganzen Welt neue, linke und internationalistische „Identitäten“ hervorbringen. Das ist der tiefere Sinn der Belebung des republikanischen Ideals heute in Spanien, vor allem unter jungen, kritischen Leuten.