1.
Im Anschluß an die Entdeckungsfahrten Colóns und da Gamas formiert sich mit der Expansion des Merkantilkapitals aus dem Okzident in andere Regionen der Welt – eingebettet in die merkantilistischen Strategien der Staaten, in denen es Fuß gefaßt hatte (und die, da es sich hier um eine Epoche des Übergangs handelt, in größerem oder geringerem Maße noch immer den alten imperialen Antriebskräften gehorchten) – sukzessive ein rudimentäres globales System im Zeichen der kapitalistischen Praxis G-W-G’: ein System mit einem Oben und Unten, mit Zentrum und Peripherie.
2.
Dieses globale System ist nicht einfach ein System überregionaler Austauschprozesse, wie man es in allen Epochen der zivilisierten Geschichte und überall auf dem Erdball antreffen konnte.[1] Denn in solchen traditionellen Austauschsystemen dominiert der Gebrauchswert, es wird im wesentlichen getauscht, um sich wechselseitig in den Besitz von Dingen zu setzen, die man braucht, nicht, um den Tauschwert, das Geld, zu vermehren. Es geht hier eben nicht um die Maximierung des Tauschwerts – um den profit pour le profit –, sondern das Geld spielt in erster Linie die Rolle eines Mediums, das es den Tauschenden erlaubt, sich den Gebrauchswert der Waren anzueignen.[2]
Nicht der Handel als solcher oder die überregionale Teilung der Arbeitsaufgaben definiert demnach das moderne globale System, sondern solche Relationen zwischen verschiedenen räumlichen Zonen, die 1. den Prozeß G-W-G’ implizieren und die 2. durch ein hierarchisches Gefälle, die unilaterale Kontrolle der einen durch die anderen gekennzeichnet sind, dadurch also, daß eine Zone unter das Diktat des Kapitals (in den Anfangsphasen: des Proto-Kapitals) aus einer anderen fällt. Das hat aber mit Handel an sich nichts zu tun.[3]
3.
Dieses Gefälle ergibt sich nun ganz spontan, insofern als das Merkantilkapital von einer Zone aus expandiert (und nicht von mehreren Regionen, allen betroffenen Regionen zugleich), so daß der Anfangs- und Endpunkt des kapitalistischen Prozesses, G-W-G’, sich in dieser Zone konzentriert, während das Mittelglied W, die Ware – und damit die Arbeitsprozesse, durch die sie hervorgebracht wird – über den Globus verstreut sich auf alle Gebiete, die in das System eingefügt werden, verteilt.
Dies bedeutet zugleich, daß die Akteure einer spezifischen Zone, des Zentrums, sich der Kontrollkapazitäten des Gesamtsystems versichern – was gekauft und was verkauft wird, entscheidet sich hier, und damit indirekt auch, was produziert wird –, ein Prozeß, dessen Kehrseite ist, daß die Steuerungszentren des Produktionssystems der Länder, in die das Kapital expandiert – der Peripherie des Systems –, sich nach außen, eben in das Zentrum verlagern, so daß die peripherisierten Gebiete von nun an einem externen Diktat unterliegen.
Das heißt aber mit anderen Worten, daß sich die Schalthebel der Produktionsprozesse des Gesamtsystems räumlich, in einer Zone, konzentrieren, daß sich die Welt somit in ein Oben und Unten, ein dominierendes und ein dominiertes Subsystem teilt.
4.
Peripher ist eine Zone also nicht deshalb, weil Gebrauchswerte (Werte) kompensationslos nach außen (in der Form eines Abzugs vom Surplusfond) fließen, man Gebrauchswerte (Werte) in ein anderes Land transferiert (obwohl dies natürlich auch impliziert ist); peripher ist sie deshalb, weil die Einbeziehung der relevanten Sektoren des Produktivsystems dieser Zone in den Aktionsradius der kapitalistischen Praxis der Akteure aus einer anderen Zone gleichbedeutend ist mit deren externer Kontrolle – mit der Kontrolle der produktiven Aktivitäten der dominierten Länder durch diejenigen Instanzen der dominierenden Länder, deren Bezugspunkt die kapitalistische Bereicherung ist.
5.
Diese Konzentration der Schalthebel in den Metropolen hat nun zur Folge, daß die Warenkategorien, die in den beiden Subsystemen produziert werden können (und damit die Produktionsaktivitäten selbst), sich ganz natürlich räumlich verteilen, d.h. diejenigen, die eine Schlüsselstellung einnehmen (weil sie entweder am Ende der Produktionskette stehen oder sonstwie strategische Bedeutung besitzen) im Zentrum, die dazu komplementären dagegen an der Peripherie.[4]
6.
Das aber findet seinen Niederschlag darin, daß die Produktionsstruktur des peripheren Gebiets sich mit der Zeit „deformiert“: Die Exportproduktion von Nahrungsmitteln und Rohstoffen wird (in den Anfangsphasen des Systems) hypertroph – mit der Folge, daß Monokulturen in der Agrikultur und reine Bergbauzonen entstehen –, während andere Sektoren degenerieren und schrumpfen (die Textilproduktion etwa in Indien)[5] oder deren Einführung man überhaupt unterbindet (wie im Vizekönigreich Neuspanien manche Gewerbe).[6] Die Infrastruktur aber (vor allem das Transportsystem) wird exklusiv auf den Export hin orientiert.[7]
Diese „Deformierung“ führt unvermeidlich dazu, daß das periphere Land „strukturell“ abhängig wird, d.h. dependent in dem engeren Sinne, daß die unausgewogene Produktionsstruktur des peripheren Systems es ihm unmöglich macht, auf eigenen Beinen zu stehen, was die Tendenz untermauert, mit dem Zentrum per fas et nefas zu kollaborieren. So wird die Subalternität immer wieder reproduziert, selbst dann, wenn dieses Land formal unabhängig sein sollte (und gerade auch dann, wenn es formal unabhängig wird).
Dies unterscheidet die moderne Zentrum-Peripherie-Struktur von den klassischen Tributsystemen. Denn im letzteren Fall werden Gebrauchswerte lediglich post festum abgezogen, während im ersteren Fall die Produktionsstruktur selbst affiziert wird (was, wie gesagt, den Surplus-Transfer nicht ausschließt). Daher erhöht sich, sobald den Tributbeziehungen einmal ein Ende gesetzt wird, einfach die interne Konsumtionsrate wieder, während die Unterbrechung der Kopplung zwischen Zentrum und Peripherie zu Turbulenzen führen kann, wenn nicht sogar zu einem Kollaps des peripheren Systems.
Ein traditioneller Tributnehmer läßt das Produktivsystem der unterworfenen Gebiete weitgehend intakt (ja es kann vorkommen, daß das unterworfene Land dem höheren Niveau des unterwerfenden Landes nach und nach angepaßt, daß es „zivilisiert“ wird),[8] er absorbiert lediglich das Surplusprodukt. Kapitalistische Akteure hingegen steuern das Produktionssystem von außen und sorgen so dafür, daß es in bestimmter Weise umgepolt wird.
7.
Generell ist deshalb zu sagen, daß das moderne Weltsystem durch die Integration zweier Subsysteme gekennzeichnet ist, die so aneinander gekoppelt sind, daß das eine als erweitertes Aktionsfeld des anderen funktioniert – als Feld der Kapitalexpansion der dominanten Kreise der Bourgeoisie der zentralen Länder. Dabei spielt die einheimische periphere Elite zumeinst die Rolle eines Vermittlers oder Agenten – die Rolle von Juniorpartnern oder, genauer gesagt, „Kompradoren“.
8.
Freilich setzt dies alles voraus, daß man die zur Peripherie bestimmten Gebiete der lukrativen Kapitalpraxis „öffnet“, mittels kolonialer oder semi-kolonialer Gewalt, oder, dazu alternativ, mittels der Kollaboration einer einheimischen Elite, die sich von Anfang an freiwillig zum Agenten des fremden Proto-Kapitals macht.[9]
Das Zentrum ist stets der dynamische Faktor, der Protagonist, das Subjekt, während die peripheren Gebiete (die Gebiete, die man zu Peripherien degradiert) passive Faktoren, Statisten, Objekte der Unterordnung sind.
9.
Diese „Öffnung“ konnte jedoch in den allermeisten Fällen vom Proto-Kapital allein nicht bewerkstelligt werden, es bedurfte der Assistenz eines staatlichen Gewaltapparats: Schon ganz früh (und später immer wieder) greift der Staat der zentralen Länder daher aktiv ein, ebnet dem Kapital, wo immer es geht, den Weg, finanziert Expeditionen, organisiert Eroberungen, delegiert die staatliche Zwangsgewalt an adäquate Instanzen (wie die frühen Handelskompanien) oder bemächtigt sich selbst der direkten staatlichen Herrschaft in den zu peripherisierenden Ländern.
10.
Die zentralen Staaten des frühen globalen Systems sind freilich noch keine bürgerlichen Staaten im eigentlichen Sinn, auch wenn sie nach außen hin (und dies keineswegs uneigennützig) ganz im Sinne des Proto-Kapitals operieren.[10]
Der Staat wird erst zum bürgerlichen Staat, nachdem durch die subversive Wühlarbeit der proto-kapitalistischen Praxis (das heißt: durch das Geld) die alte Gesellschaft unterminiert worden war – die Grundherrschaft auf dem Land und die Zünfte in der Stadt –, wobei Revolutionen (in Holland, England, den Neuenglandstaaten und Frankreich), die im wesentlichen nur die alte Ordnung erschüttern und deren radikalste Protagonisten (wie etwa die Leveller in England und die Sansculotten in Frankreich) mitnichten davon träumen, eine bürgerliche Gesellschaft, eine Gesellschaft der Bourgeoisie zu errichten, diesen Prozeß wesentlich beschleunigen, indem sie das ancien régime destruieren und so überall Breschen in das Überkommene schlagen, durch die sich der Geist der Bourgeoisie, die floriert und daher in Wirklichkeit das dynamischste Moment der betroffenen Gesellschaften ist, der Regierungen bemächtigen kann, die dann die Gesellschaft nach dem Ebenbild dieser Bourgeoisie umgestalten und so die civil society vollenden, eine Gesellschaft freier und gleicher Warenbesitzer, deren einziger Nexus das Geld ist.[11]
Auf dieser Grundlage dann kann das Kapital die Produktionssphäre selbst penetrieren, wodurch es aus einem Tausch- zu einem Produktionsverhältnis mutiert. So wird die Produktionsweise des ancien régime (die oft nur noch eine Ruine, ein Schatten ihrer selbst ist oder im wesentlichen schon, wie in England, semi-kapitalistisch funktioniert) – auf der Basis des Fabriksystems – in eine kapitalistische Produktionsweise sans phrase transformiert.
Das geschieht das erste Mal in England – aufgrund einer spezifischen Situation, die gleichsam das Kapital in die Produktionssphäre zwingt –,[12] und später dann auch in den anderen Ländern, die zum Zentrum des globalen Systems avancierten: Denn das englische Vorbild wird anderswo unverzüglich imitiert, da, wo die Basis (die civil society) bereits gelegt worden ist (wie in Frankreich, den Vereinigten Staaten und Holland sowie in all denjenigen Ländern, die unter den Schlägen der napoleonischen Armeen sich notgedrungen dem französischen Vorbild anpassen mußten, indem sie den Code Napoléon übernahmen, oder selbst, wie in Preußen, die Initiative ergriffen), aber auch dort, wo diese Basis zugleich mit dem Vordringen des Kapitals in die Sphäre der Produktion durch Reformen (ob durch Revolutionen initiiert oder nicht) hergestellt wird.
Sobald sich das Kapital der Produktionssphäre bemächtigt, sie von innen beherrscht, haben wir es aber mit einer bürgerlichen Gesellschaft im eigentlichen Sinne zu tun – mit einer société bourgeoise –, mit einer Gesellschaft, in der sich die kapitalistische Produktionsweise voll durchgesetzt hat. Und der Staat dieser Gesellschaft avanciert auf dieser Grundlage dann ganz natürlich zur Klassenorganisation der Bourgeoisie, zu ihrer volonté générale, die natürlich nicht die volonté de tous les bourgeois ist.[13] Denn sobald die Gesellschaft kapitalistisch funktioniert, muß der Staat, wer immer auch dessen Personal stellen sollte, darauf bedacht sein, daß sie als solche friktionslos funktioniert (denn nur so kann der Staat selbst florieren) – so daß es sich spontan ergibt, daß dieser Staat seine Praxis ganz im Sinne der Klasse der Bourgeoisie orientiert. Und dies mag den Belangen vieler, manchmal auch aller Kapitaleigentümer durchaus zuwiderlaufen.[14]
11.
Ist einmal das Kapital als Produktionsverhältnis etabliert, dann nimmt – im Mikro- und Makrokosmos zugleich – die kapitalistische Praxis ihren unerbittlichen Lauf: Mehrwert wird produziert, indem das Kapital Produktionsmittel mit Arbeitskraft verbindet, deren Betätigung dann einen Neuwert hervorbringt, wobei die Differenz zwischen diesem Wertprodukt und dem Wert der Arbeitskraft vom Kapital als Mehrwert einkassiert wird.
Dieser Mehrwert wird akkumuliert, um den Prozeß der Mehrwertproduktion auf höherem Niveau fortzusetzen. So konzentriert sich Kapital in jeweils einer Hand.
Im Rahmen der Konkurrenz zwischen den Kapitalentitäten befleißigen sich diese darüber hinaus, sich einen Extramehrwert zu sichern, d.h. die Kosten der Produktion durch die Verbesserung der Produktionsmethoden zu senken, um so in der Lage zu sein, ihre Mitbewerber zu unterbieten und sich in der Folge ihr Absatzfeld einzuverleiben – der sichere Ruin für viele. Das aber mündet am Ende unweigerlich in einer Welle von Fusionen bis dahin selbständiger Kapitalentitäten. So nimmt – durch Zentralisation des Kapitals – die Zahl der Konkurrenten immer weiter ab.
Schließlich treten Kapitale nur mehr gebündelt in Erscheinung, als anonyme Gesellschaft, worin das Privateigentum sich vom persönlichen Eigentum emanzipiert.
12.
Das Wachstum der Größe auf der einen, die Reduktion der Zahl der Kapitalentitäten auf der anderen Seite bringt es aber mit sich, daß die freie Konkurrenz einer anderen Form der Konkurrenz weichen muß – dem Monopol. Denn da das Gegeneinander immer fruchtloser wird (die schiere Größe der Kapitalien garantiert, daß sie dem Preiskampf für längere Zeit standhalten können, so daß am Schluß alle verlieren), andererseits aber ein Sektor immer überschaubarer wird (man hat es jetzt nur mehr mit einer Handvoll Giganten zu tun), wird die offene Rivalität ersetzt durch Paktieren (sei es formal – Kartelle, Syndikate, Trusts – oder informell – Preisführerschaft) und der Preiskampf durch andere Methoden der Konkurrenz abgelöst (nämlich Werbung, Marken und die unterschiedlichsten Formen der Verkaufsförderung).
Voraussetzung dafür ist, daß in den monopolistischen Sektor keine neuen Kapitale eindringen können (zumindest nicht in der Form juristisch eigenständiger Firmen, wohl aber in Aktienform), d.h. daß barriers to entry bestehen: entweder die Größe der Kapitalgesellschaften selbst (also die hohen Beträge der start-ups) oder der gemeinschaftliche Abwehrkampf der im Sektor bereits etablierten Kapitale. Dies ist aber durch die Struktur des Monopols garantiert.
13.
Dieser Prozeß der Monopolisierung im Innern setzt sich gegenüber der Außenwelt in einem Zollregime fort, das die inneren Absatzgebiete gegen die Konkurrenz aus dem Ausland abschotten sollte,[15] nicht zuletzt aber auch in einer neuen Welle der Kolonisierung: Wie die Monopole eines Sektors sich den Surplusprofit vorbehalten, indem sie anderen Kapitalen den Zutritt verwehren, so streben auch die Metropolen danach, auf globaler Stufenleiter jegliche Konkurrenz auszuschalten. Und dies gipfelt in der Schaffung von Imperien, exklusiver Ausbeutungssphären in den peripheren Gebieten, ein Prozeß, der sich als Kampf um die Aufteilung der Welt zwischen den Zentren des globalen Systems artikuliert.[16] Der relative Waffenstillstand zwischen den Kapitalen innerhalb einer Metropole hat so zum Gegenstück den Krieg zwischen den Metropolen – imperialistische Kriege ungeahnter Brutalität.
14.
Dabei werden die subalternen Klassen ins Kalkül miteinbezogen. Denn je einflußreicher und stärker eine Nation auf globalem Niveau, desto größer auch der Spielraum für dieses oder jenes Zugeständnis an die unteren Klassen. Und das Fatale dabei: Die subalternen Klassen spielen weitgehend mit.[17] Wer durch Gewalt nach außen gewinnt – und sei es auch nur, daß das System sich stabilisiert und Turbulenzen abgeschwächt werden –, der ist geneigt, die Gegnerschaft gegen die eigene herrschende Klasse zu mildern.[18] Und umgekehrt: Um die Gegensätze zwischen den Klassen im Innern zu glätten, wird die Gewalt nach außen propagiert. Dieses Schema wird seinen Höhepunkt im Projekt der faschistischen Welteroberung finden.
15.
In der Tat war diese nur der Gipfelpunkt einer gängigen Praxis: der Errichtung von Imperien, hier allerdings nicht in der Ferne, sondern gewissermaßen vor der Haustür der zivilisierten humanité – an sich ein Skandal (hätte es sich in erster Linie nicht um den sowjetischen Bastard gehandelt). Der andere Skandal war natürlich, daß man die „zivilisierten“ Gegner (Holland, Belgien, Frankreich) nicht nur gedemütigt hat (das hatten andere vorher – mit Entzug von Kolonien, Reparationen und Besetzung von Territorien – auch schon getan), sondern daß man sie ihres Status als eines selbständigen imperialen Rivalen beraubte. Ein dritter Skandal: Um die „Einheit der Nation“ oder genauer: die Harmonie des Klassensystems herzustellen – die sich in Wirklichkeit nur in der Einbildung herstellen ließ –,[19] mußte man nicht nur reale Todfeinde eliminieren (die organisierte Arbeiterklasse, die Klasse als Klasse für sich), man mußte sich auch einen imaginären Fremdkörper halluzinieren (die „jüdische Rasse“), dessen Erfindung das Problem der Einheit der Nation auf die Ebene jenseits der Klassenkonflikte verschob, so daß es „endgelöst“ werden konnte: Indem man ein imaginäres Merkmal heraushebt, das dazu dient, ein Segment quer durch die Klassen der Nation auszusondern, das sowohl der Bourgeoisie wie auch den anderen Klassen entgegengesetzt werden kann, vereinigt man den Rest der Gesellschaft zu einer imaginären „Gemeinschaft“, zu einem „völkischen“ Konglomerat, das nichtsdestotrotz eine Klassengesellschaft wie jede andere bleibt und daher glücklich von der Klasse der Bourgeoisie dominiert wird Diese skandalöse Praxis verdeckt bis heute die Banalität und Profanität der imperialen Allüren des großdeutschen Reiches.[20]
16.
Das Scheitern dieses Projektes jedoch sollte auf dem Fuß folgen: Nicht nur, daß die anderen imperialistischen Länder (Großbritannien und die Vereinigten Staaten) eine solche Zumutung nicht hinnehmen konnten, das deutsche Reich hatte es auch mit der Union der Sowjetrepubliken zu tun, für die der Kampf gegen die deutschen Armeen ein Kampf ums nackte Überleben war, dessen Alternative nur lauten konnte: entweder Sieg oder Kolonisierung. Das war zuviel. Das Dritte Reich wurde mit Panzern und Bomben niedergerungen und Deutschland in zwei Teile geteilt.
Fast zeitgleich jedoch eröffnete sich eine andere Front: Hatte sich Rußland durch die erste aller peripheren Revolutionen[21] vom kapitalistischen Weltsystem abgekoppelt, sich zu einer kapitalfreien Zone gemacht, so folgten jetzt andere Schlag auf Schlag nach: die Länder am Westrand der Sowjetunion, China und Teile Vietnams und Koreas. Der heiße Krieg gegen Deutschland, den imperialistischen Gegner, ging nahtlos in den kalten Krieg gegen die Sowjetunion, den zum Staat gewordenen Klassenfeind, über. Solange noch dieses unermeßliche Land nach Krieg und Bürgerkrieg sich langsam von seinen Wunden erholte und solange es in der Tat an einer Rückständigkeit litt, die zu überwinden es enormer Anstrengungen bedurfte, konnten sich die Metropolen des Systems den Luxus erlauben, sich gegenseitig in Kriege zu stürzen. Damit war es nun für immer vorbei. Man mußte gegen den Feind Einigkeit üben, man mußte das Kriegsbeil begraben. Die Bourgeoisien der zentralen Länder erkannten die Zeichen der Zeit: Sie traten von nun an als Bruderschaft auf, und ihre Rivalität verwandelte sich in Kooperation auf globalem Niveau.
17.
Eine Bruderschaft freilich mit einem primus inter pares, einem Princeps, einem Hegemon – die Bourgeoisie der Vereinigten Staaten. In der Tat war dieses Land infolge des Weltkriegs, der die Produktion auf Hochtouren brachte, wie ein Phönix aus der Asche aus Stagnation und Depression aufgetaucht, mit dem gewaltigsten und effektivsten Produktivapparat, den die Geschichte bis dahin kannte. Man konnte es sich also erlauben, Direktiven auszugeben. Denn die anderen Länder des Zentrums hingen an seinem Tropf – dem Marshall-Plan, dessen tieferer Sinn es war zu verhindern, daß die Verwüstungen der Krise, der Depression und des Krieges, sofern man ihre Auswirkungen nicht abschwächen würde, sich in Revolutionen gegen die Bourgeoisien der respektiven Länder entluden.[22]
Eine dieser Direktiven war: free trade, open door, freier Handel, der natürlich dem Land mit der höchsten Produktivität am meisten nützen sollte. Und da dem die Kolonialreiche entgegenstanden, wurden sie – nolens volens – kurzerhand aufgelöst.[23] Den Anfang machten Indien und Pakistan, dann sollten Indonesien und die meisten arabischen Länder (von denen manche, wie Ägypten und der Irak, schon früher eine Art Scheinunabhängigkeit erlangt hatten), schließlich die Kolonialgebiete Afrikas folgen. Dieser Prozeß war im wesentlichen 1975 mit der formalen Unabhängigkeit Mozambiques, Angolas und Guinea-Bissaus abgeschlossen.
18.
Free trade bedeutete aber auch, daß durch den Abbau von Zöllen (im Rahmen des GATT) die nationalen Produktionsapparate der Konkurrenz aus dem Ausland (zuallererst aus den Vereinigten Staaten) schutzlos ausgesetzt waren.[24] Dies sollte den nationalen Monopolen dann in letzter Konsequenz den Todesstoß versetzen.[25]
Denn das Monopol zehrt davon, daß niemand mit Waren von außen das Absatzfeld überschwemmt. Im Falle des externen Handels greifen jedoch die üblichen barriers nicht: Da die Konkurrenz aus dem Ausland in der Form aparter Produktionsentitäten bereits etabliert ist, fällt die Barriere der hohen start-ups offenbar weg. Und zugleich sind die Abwehrmaßnahmen, die man üblicherweise ergreift, um Eindringlinge vom Futtertrog des Monopols abzuhalten – der periodische Preiskampf –, unwirksam, stumpf: Denn der Preis, der herabgesetzt wird, betrifft nur einen verschwindenden Teil des Outputs der externen Kapitalentität, so daß man sie damit schwerlich in Schwierigkeiten versetzt.
Die Konsequenz von all dem war, daß die Nation[26] als Rahmen der kapitalistischen Aktivitäten viel von ihrer Bedeutung verlor.[27]
19.
Waren erst einmal die Monopole der kapitalistischen Zentren durch die Konkurrenz aus den Vereinigten Staaten unterminiert und empfindlich getroffen, so war es für dieses führende Land nur noch ein ganz kleiner Schritt, auch die Produktionsanlagen dort zu errichten und die Waren für das lokale Absatzgebiet vor Ort herzustellen.
Andererseits hatte, nach dem Ende der Phase des Wiederaufbaus, die Konkurrenz innerhalb des kapitalistischen Zentrums zur Folge, daß, da nicht mehr auf klassische Weise Monopolprofite erzielt werden konnten, man überall dort, wo man den Verlust von Monopolpositionen beklagte, nachdrücklich auf Abhilfe sann: Und was lag näher als die direkte Produktion – nach dem Vorbild der USA – in den anderen Metropolen der Welt – die Ausweitung des Operationsfelds auf das gesamte zentrale Gebiet?[28]
So kam es dazu, daß die Kapitale innerhalb des kapitalistischen Zentrums ihre Länder gegenseitig durchdrangen: Das Kapital konzentriert sich, dieses Mal aber auf globalem Terrain.
Mit dem Ende der Kolonialregime dann wurden auch die „unabhängigen“ Länder, die formal zwar unabhängig wurden, aber nichtsdestotrotz ihren peripheren Status dabei nicht verloren, von Kapital aus den unterschiedlichen Zentren zugleich penetriert: Die unipolare Dominanz sollte sich dort in eine multipolare verwandeln.
20.
Kapitalexport in direkter Form, in Form von Direktanlagen im Fertigungssektor (also Aufkauf oder Neuerrichtung von Betriebsstätten in anderen Ländern),[29] geht ursprünglich dergestalt vonstatten, daß die Muttergesellschaft im Ausland Firmen gründet (oder erwirbt), die als ein Ableger die Struktur dieser Muttergesellschaft en miniature reproduzieren – also in der Form einer Vermehrung durch Spaltung.[30]
Später jedoch – im Rahmen von Profitmaximierungsstrategien, welche neuen Perspektiven gegenüber stets aufgeschlossen sind – ging das Großkapital dazu über (und hier wird die Peripherie wieder verstärkt miteinbezogen), die diversen Schritte (oder Phasen) des Produktionsprozesses jeweils dort zu dislozieren, wo die Bedingungen dafür optimal sind:[31] also zum Beispiel arbeitsintensive Phasen in Ländern, wo die Lohnkosten am niedrigsten sind, kapitalintensive dagegen in Ländern, wo die Infrastruktur dafür adäquat ist.[32] – Der Produktionsprozeß selbst (im Rahmen einer Kapitalentität) wird global. Das ist der tiefere Sinn der Globalisierung: die Stationierung der jeweiligen Phasen einer Sequenz von Produktionsaufgaben unter der Kontrolle eines Kapitals auf globalem Niveau.
21.
Aber nicht nur dies markiert einen deutlichen Bruch mit den Mustern der Vergangenheit: Waren früher die Kapitale – in der Form von Konzernen – Entitäten gewesen, die die unterschiedlichsten Funktionen unter einem Dach integrierten, so begann man nun – in einem Milieu, das nicht mehr stabil war –, im Hinblick auf Flexibilisierung und Kostenminimierung bestimmte Aufgaben aus dem Konzern auszulagern (was man outsourcing in der Form von subcontracting genannt hat):[33] Man delegiert gewisse Sphären (von der direkten Produktion über die Buchführung bis hin zum Verkauf und zur Werbung) an untergeordnete Firmen, die durch Verträge nichtsdestotrotz fest an ihren Auftrageber gebunden und so keineswegs selbständig sind.[34] Und diese subalternen Kapitaleinheiten sind ihrerseits wieder mit sub-subalternen Kapitaleinheiten über subcontracting verbunden. So entstehen Kapitalkomplexe, mit einer Großen Kapitalgesellschaft als Spitze in einer hierarchischen Konstruktion, deren membra disjecta sie in einem polyphonen Konzert dirigiert und deren Ränder permanent fluktuieren.[35]
22.
Wie jedes Kind weiß, mündet die freie Konkurrenz früher oder später – im Monopol. Das gilt auch auf globalem Parkett.
Die verschärfte Konkurrenz zwischen den Kapitaleinheiten auf transnationalem Terrain degradiert die schwächsten Wettbewerber zu subalternen contracters (wobei die „Heuschrecken“ hier sehr oft das Gottesurteil vollstrecken), während die mächtigsten Kapitale sich zu supranationalen Kapitalentitäten durch Fusionen, Aktienverflechtung oder Übernahmen vereinen.[36] – Der nationale Zentralisierungsprozeß setzt sich so fort auf höherem Niveau.
Ist auf diese Weise einmal das Feld der Rivalen gelichtet, so steht aber auch der transnationalen Kooperation nichts mehr im Wege: joint ventures, d.h. das Verfolgen gemeinsamer Projekte, licencing, Übereinkommen und strategische Allianzen treten vermehrt auf den Plan – das Monopol in allen seinen Formen kehrt, nunmehr innerhalb eines weltweiten Rahmens, zurück.[37]
23.
Mit all dem sind wir in eine neue Phase der Geschichte des globalen Systems eingetreten: Die alte Struktur – Zentrum und Peripherie – ist dabei, sich in ihrem Charakter signifikant zu verändern.
War nämlich die Welt früher räumlich in zwei Subsysteme geteilt, so verliert sich jetzt nach und nach diese territoriale Dichotomie. Denn da die Kapitalkomplexe nicht nur weltweit agieren – das haben die Kapitale auch schon früher getan –, sondern der Produktionsprozeß selbst den Globus als Aktionsrahmen hat und da diese Kapitalkomplexe nicht nur – auf der Ebene der Eigentumstitel – sich als Konglomerate von Aktienpaketen unterschiedlichster Provenienz präsentieren, sondern auch auf die eine oder andere Art miteinander weltweit verknüpft sind, lösen sie sich von ihrem räumlichen Grund, um über den Ländern, in einem Intermundium, dessen Ort das Überall ist, das Dasein von de-territorialisierten „Zentren“ zu führen, denen gegenüber der Rest der Welt zur Peripherie degeneriert.[38]
Die Staaten selbst werden unterschiedslos zu peripheren Staaten, von denen einige jedoch sich die Hauptfunktion der alten peripheren Regime – die Repression, aber diesmal in einem weltweiten Rahmen – als Monopol vorbehalten: Die USA spielen so die Rolle eines Baby Doc, Pinochet, Suharto oder Bokassa auf zwischenstaatlichem Terrain.[39]
Diese Staaten, da sie die Staaten einer transnationalen Bourgeoisie[40] sind – Exekutoren ihrer volonté générale –,[41] befleißigen sich, den transnationalen Aktivitäten alle Barrieren, die es noch innerhalb ihres Territoriums gibt, wegzuräumen – sie agieren in der Tat wie die alten peripheren Regime. Und zu allem Überfluß gründen sie Institutionen suprastaatlicher Natur (wobei sie auf das alte System von Bretton Woods mit Weltbank und IWF zurückgreifen können), deren Funktion es vornehmlich ist, den zwischenstaatlichen Verkehr im Sinne des globalisierten und globalisierenden Kapitals adäquat zu gestalten (WTO). Endlich schließen sie sich zu regionalen Blöcken zusammen (EU, NAFTA), die – zumindest auf dem Gebiet des Kapital- und Warenverkehrs – die Überwindung des Nationalstaates proben.[42]
24.
Der Kapitalkomplex ist in gewissem Sinn eine globale Gesellschaft: Hat sich auf der einen Seite das Kapital ganz von den Personen emanzipiert, existiert es real nur mehr sachlich als riesiger Produktions- und Distributionsapparat, dessen Privateigentümer eine Gesellschaft, eine société anonyme ist, die als juristische Person ganz mit den Sachen verschmilzt,[43] so erscheint es auf der anderen Seite als eine aparte Pseudo-Gesellschaft, mit einem Staat und einer Regierung (dem Vorstand),[44] einer Bürokratie (dem Management), einem Parlament (dem Aufsichtsrat), mit citoyens (den Aktionären), oder besser gesagt: mit antiken politai und ihrem Anhang von Metöken (den Juristen, Werbetextern, Wissenschaftlern, Technikern und Ingenieuren) und Sklaven (der Lohnarbeiterschaft), wobei dann noch die abhängigen poleis (ihre subcontractors) das Bild komplettieren.
Und diese Gesellschaft ist wirklich global: Ihr Territorium ist die Welt, in die sie sich mit den anderen globalen Pseudo-Gesellschaften teilt.[45] Sie ist daher mit den üblichen staatlichen Mitteln, die der Natur der Sache nach räumlich beschränkt sind, nicht mehr zu fassen. Die Reform des Status quo im Rahmen der Staaten hat ein für allemal ausgedient. Nicht nur, weil die Dependancen der volonté générale keinen Anlaß mehr sehen, der Profitmaximierung eine Schranke zu setzen, sondern auch und vor allem, weil die Kapitalkomplexe potentiell in allen und daher in keinem Land wirklich ansässig sind, so daß sie sich jederzeit in der Lage befinden, sich dem Zugriff des Staates durch Standortverlagerung zu entziehen.[46]
Die Lösung kann daher langfristig nur darin bestehen, das Problem an der Wurzel zu packen: das Kapital als Subjekt in ein Objekt zu verwandeln, indem man es seiner Macht – durch die Reduktion auf einen der Gesellschaft gehörigen Fond an Produktions- und Lebensmitteln – entkleidet. Diese Gesellschaft kann aber nur die Weltgesellschaft sein, jenseits aller künstlichen Grenzen. Die Lösung besteht mithin in der Globalisierung, nicht freilich des Kapitals, also der Sachen, sondern der Personen. Voraussetzung dafür ist, daß die Antiquiertheit und Witzlosigkeit der bürgerlichen Gesellschaft nicht nur offenbar wird, sondern auch, daß man den absurden und obsoleten Charakter dieser Gesellschaftsordnung begreift.
Daß diese Ordnung immer mehr dem Absurden anheimfällt, dafür sorgt das System auf das erfreulichste selbst; das Begreifen jedoch ist eine ganz andere Sache, eine Sache, die organisiert werden muß – sie ergibt sich keineswegs von alleine. Und das, nicht der illusionäre Protest oder das ebenso illusionäre Beschwören der unteren Klassen – so wie sie sind –, wäre die dringlichste Aufgabe – der Intelligenz.[47]
[1] Diese Systeme hat Fernand Braudel économie-monde genannt: etwa das Austauschsystem zwischen den chinesischen, indonesischen, indischen, arabischen, persischen und afrikanischen Küsten zur Zeit der großen Flotten der Ming-Dynastie, die bis in das Land der Sandj an der ostafrikanischen Küste gelangten.
[2] Was natürlich „Profite“ als Remuneration der Händleraktivitäten nicht ausschließt. Nur ist der Tauschwert hier nicht das allein beherrschende Moment. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß der Tauschwert in solchen Systemen nicht hie und da die Oberhand gewinnen könnte. Aber das ist die Ausnahme, nicht die Regel.
[3] Es ist zwar unbestreitbar, daß sich mit der Expansion des Proto-Kapitals sukzessive ein kapitalistisches Globalsystem etabliert, dieses darf aber nicht mit einem weltweiten kapitalistischen Produktionssystem verwechselt werden, wie Immanuel Wallerstein und sein Weltsystem-Konzept es schon für die Anfänge des Globalsystems postulieren. Vgl. I. Wallerstein, Aufstieg und künftiger Niedergang des kapitalistischen Weltsystems. Zur Grundlegung vergleichender Analyse, in: D. Senghaas (Hg.), Kapitalistische Weltökonomie. Kontroversen über ihren Ursprung und ihre Entwicklungsdynamik, Frankfurt/Main (1982), S. 43. Denn die kapitalistische Produktionsweise, das Kapital als Produktionsverhältnis, bildet sich erst viel später aus, und zwar mit dem massiven Vordringen der kapitalistischen Praxis G-W-G’ in die Sphäre der Produktion, mit der Etablierung des Fabriksystems, zuerst in England, dann nach und nach auch in den anderen Ländern des Zentrums und schließlich an der Peripherie. Wenn allerdings von einem kapitalistischen Globalsystem schon in den Anfangsphasen gesprochen werden darf, so deshalb, weil die beiden Subsysteme, das Zentrum und die Peripherie, auf kapitalistische Weise miteinander verknüpft sind: über Verbindungslinien, die Momente des proto-kapitalistischen Prozesses G-W-G’ implizieren. Die Zirkulationssphäre ist bereits kapitalistisch, die Produktionssphäre aber noch nicht oder doch erst in nuce. Traditionelle Austauschsysteme dagegen sind charakterisiert 1. durch die Dominanz des Gebrauchswerts über den Tauschwert und 2. durch die Dominanz der traditionellen Staaten (Regierungen) über die Händler.
[4] In weiterer Folge wird sich ergeben, daß aufgrund dieser Struktur die Peripherie stets einen oder mehrere Schritte hinter den Metropolen herhinkt, was den Prozeß der Modernisierung des Produktionsapparates betrifft. Mit anderen Worten: Die einstmals fortgeschrittensten Aktivitäten – die Gewerbeproduktion bis zum take-off der zentralen Länder, die Produktion mithilfe von Maschinensystemen bis zum Eindringen der Wissenschaft in die Produktion, research and development bis zum Beginn der Globalisierung – werden sukzessive auch an der Peripherie disloziert. Wir haben es hier nicht mit einer absoluten Blockierung der Modernisierung zu tun, sondern gewissermaßen mit einer Bastard-Modernisierung.
[5] Hier wurde die Weberei durch die technologisch überlegene Konkurrenz aus England vernichtet. Und zugleich wurde Indien in einen Rohbaumwollexporteur umfunktioniert.
[6] Vgl. E. Wolf, Pueblos y culturas de Mesoamérica, México (1993), S. 167.
[7] So werden später etwa Eisenbahnlinien gebaut, die die Exportproduktionszonen mit den Exporthäfen verbinden, ob diese nun unter anderen Gesichtspunkten sinnvoll sind oder nicht. „Ob wir den durch ausländische Unternehmungen geförderten Eisenbahnbau in Indien, Afrika oder Lateinamerika betrachten, der ganz und gar darauf angelegt war, den Transport der Rohstoffe nach den Ausfuhrhäfen zu erleichtern, oder den Ausbau der Häfen, der von den Bedürfnissen der Rohstoffexporteure bestimmt war, oder ob wir an die Kraftwerke denken, die so gelegen waren, daß sie ausländische Bergwerksunternehmen mit Strom versorgten, sowie Bewässerungsanlagen zum Nutzen der Plantagen im Besitz von Ausländern, das Bild ist überall das gleiche.“ (P. A. Baran, Politische Ökonomie des wirtschaftlichen Wachstums, Neuwied (1966), S. 303f.)
[8] „Der Bauer, der in der Nähe von Rom sein Feld bestellte, war kaum wohlhabender als der in der spanischen oder gallischen Provinz – ihnen war gemeinsam ein vergleichbarer technologischer Stand der Produktivkräfte, mittels deren sie einen vergleichbaren Surplus erwirtschafteten bei vergleichbarem Arbeitsaufwand. Genau das hat sich heute gegenüber jenen ‘vorgeschichtlichen’ Perioden radikal geändert.“ (E. Krippendorf, Internationales System als Geschichte, Frankfurt/Main 1975, S. 175) – An den Relikten aus römischer Zeit in Gallien, Iberien, Britannien und den anderen Provinzen außerhalb des hellenistischen Bereichs kann man unschwer erkennen, daß hier infolge der römischen Herrschaft das Zivilisationsniveau angehoben, nicht gesenkt wurde – wobei dies natürlich auch die Schattenseiten, wie die Einführung der klassischen Form der Sklaverei, mit einschloß.
[9] Wie in Polen in der frühen Moderne und an der afrikanischen Küste zur Hochzeit des Sklavenhandels.
[10] So die englischen Regierungen seit Elisabeth I., die holländischen Generalstaaten und Frankreich unter Colbert.
[11] Insofern als die Warenbesitzer nur über Sachen – im Austausch – in Kontakt zueinander treten, bedürfen sie einer Supra-Gemeinschaft im Staat, der über der bürgerlichen Gesellschaft, der Gesellschaft fragmentierter und isolierter Warensubjekte, das Spielfeld imaginierter Gemeinsamkeit ist. In diesem Sinne wird dann auch der Staat transformiert – als direkter Bezugspunkt für freie und gleiche Warenakteure ohne intermediäre Gewalten. Das ist der tiefere Sinn, welcher dem Begriff der Nation zukommt. – Es ist bezeichnend, daß der Status des citoyen in den Anfangsphasen der bürgerlichen Gesellschaft nicht nur den Sklaven und Frauen, sondern ganz selbstverständlich auch den Tagelöhnern, Gesellen und Dienstboten vorenthalten wurde. Nur Haushaltsvorstände, also im weitesten Sinn Warenproduzenten, galten als vollwertige Bürger. Vgl. etwa die einschlägige Passage aus Kants Metaphysik der Sitten.
[12] Zu den „peripheren“ Bedingungen dieser Umwälzung vgl. E. Nyikos, La liberté dévoilée. Versuch über die Naturgeschichte der bürgerlichen Freiheit, Wien (1994), S. 65ff.
[13] Diese Unterscheidung geht natürlich auf Rousseau in seinem Du Contrat Social zurück.
[14] Deshalb ist es völlig irrelevant, ob das oberste Staatspersonal sich aus Bourgeois im strikten Sinne zusammensetzt. Im allgemeinen ist es vielmehr so, daß Nicht-Bourgeois die besseren Vertreter der Bourgeoisie sind: so Bismarck, der Fürst, Ebert, der Sattler, und Hitler, der gescheiterte Maler.
[15] Dieses Zollregime ist von dem der klassischen Periode durchaus verschieden. Denn dieses letztere hatte die Funktion, die noch rückständige Produktion dergestalt zu schützen, daß sie die Höhen der fortgeschrittenen Staaten, vor allem Englands, mühelos erklimmen konnte, um im Anschluß daran sich selbst über andere Länder ergießen zu können, die dem free trade dann allerdings offenstehen sollten. – Mit Ausnahme Großbritanniens wurden in der Periode nach 1873 hohe Zölle in allen führenden Ländern erhoben: 1913 etwa 33% in den USA, 18% in Frankreich, 12% in Deutschland und 20% in Japan. Vgl. J. Brasseul, Un monde meilleur? Pour une nouvelle approche de la mondialisation, Paris (2005), S. 22.
[16] Selbst da, wo es zu keiner formellen Kolonisierung kam, wurde das Territorium zwischen den imperialistischen Mächten in Einflußsphären aufgeteilt, so wie in China in der Zwischenkriegszeit in Sektoren mit jeweils einem warlord an der Spitze.
[17] Weitgehend, aber nicht durchgehend, wie man an den revolutionären Ausbrüchen im Anschluß an den Ersten Weltkrieg sehen konnte. Überhaupt war die Zeit zwischen 1917 und 1949 die klassische Periode des Konflikts zwischen Bourgeoisie und Arbeiterklasse, ein veritabler Bürgerkrieg mit Phasen hoher und niedriger Intensität, der sich über Jahrzehnte hinziehen sollte.
[18] Oder man glaubt, die eigene herrschende Klasse im Kriegsfall unterstützen zu müssen, denn wenn der eigene Staat im Krieg Schiffbruch erleidet, so schwindet die einzige Instanz, die man für fähig und auserwählt hält, Verbesserungen der eigenen Lage verbindlich durchzusetzen (nämlich per Gesetz, wie etwa die Gesetze zur Arbeitszeitverkürzung). Im Ersten Weltkrieg schlug sich dies allenthalben als „Burgfrieden“ nieder.
[19] Diese „Einheit“ wurde nicht wie in anderen Ländern als Kooperation der Klassen konzipiert, sondern als „völkische Gemeinschaft“, als „Volksgenossenschaft“, welche im Kontext der bürgerlichen Gesellschaft nur eine Klassengesellschaft ohne Klassen sein konnte. Da die faschistische Formation Repräsentant des Geists der Mittelklasse war, die, weder Fisch noch Fleisch, von den Klassenauseinandersetzungen nicht profitieren, ja durch diese, im Gegenteil ,nur verlieren konnte, war der faschistische Akteur bestrebt, diesen Konflikten dadurch ein Ende zu setzen, daß er kurzerhand die Gesellschaft in eine „Volksgemeinschaft“ hineinzupressen versuchte. „Auch der Nationalsozialismus ist ein Versuch, eine Universalität herzustellen. Er versucht, alle zusammenzufassen, und zwar auf der Basis und in der Form der Nation.“ (B. Brecht, Schriften zur Politik und Gesellschaft, Frankfurt/Main (1974), S. 237) Mit Ausnahme natürlich der „volksfremden Elemente“.
[20] Vgl. D. Losurdo, Kampf um die Geschichte. Der historische Revisionismus und seine Mythen, Köln (2007), S. 133ff.
[21] Zu den peripheren Revolutionen vgl. E. Nyikos, „Periphere Revolutionen“ im Globalsystem, in: Z 20 (1994).
[22] Dies setzte sich nahtlos fort in einer beispiellosen Besserstellung der subalternen Klassen, die ihre Parallele vielleicht nur im Athen des Perikles findet.
[23] Was selbstverständlich nicht bedeuten sollte, daß diese Länder ihren peripheren Status verloren. Sie erlitten vielmehr dasselbe Schicksal wie die Länder des amerikanischen Subkontinents im Anschluß an die independencia.
[24] Das Abkommen von Bretton Woods (1944) lieferte ein internationales Währungssystem (mit dem Dollar als Leitwährung auf der Basis seiner theoretischen Einwechselbarkeit gegen Gold und fixer Wechselkurse), das den Welthandel abstützen sollte, wobei Weltbank und IWF dazu bestimmt waren, unter die Arme zu greifen, falls es einmal doch zu Zahlungsbilanzschwierigkeiten käme. Das GATT (1947) verallgemeinerte dann das Prinzip der Nichtdiskriminierung und führte zum sukzessiven Abbau von Zollschranken. Hier ging es (im Gegensatz zur Uruguay Round) darum, „die Behinderungen der Mobilität des Warenkapitals zu verringern.“ (B. Yaghmaian, Globalization and the State, in: Science & Society 62, 1998, S. 257)
[25] Vgl. R. D. Du Boff/E. S. Herman, Mergers, Concentration and the Erosion of Democracy, in: Monthly Review 53 (2001), S. 21.
[26] Man kann die Nation auch als „erweitere Nation“ auffassen, also zusammen mit ihrem peripheren „Anhang“.
[27] Daß der Pulk der Kapitale nach wie vor im nationalen Rahmen operiert, ist ebensowenig ein Argument gegen diese Annahme, wie der Umstand, daß innerhalb der Nation der Aktionsradius der Handwerksbetriebe, also der überwältigenden Mehrzahl der Firmen, lokal beschränkt ist, als ein Argument gegen den nationalen Rahmen der Produktion hätte genutzt werden können.
[28] Vor 1945 ging der Hauptteil der direkten Kapitalanlagen in die Kolonien oder in sonstwie abhängige Gebiete (lateinamerikanische Länder, Zarenreich), während der Kapitalexport innerhalb des Zentrums sich im wesentlichen auf Anleihen und Kredite beschränkte. Das sollte sich nach dem Zweiten Weltkrieg grundlegend ändern. Vgl. R. Went, The Enigma of Globalization, London (2002), S. 58; B. Fine u.a., Addressing the World Economy, in: Capital & Class 67 (1999), S. 68; W. I. Robinson, A Theory of Global Capitalism, Baltimore (2004), S. 57. – Es sei hervorgehoben, daß diese Interpenetration allseitig ist: Die Länder des Zentrums weisen eine hohe Rate des Kapitalzuflusses in Form von Direktanlagen aus zentralen Ländern und zugleich eine hohe Rate des Abflusses von Kapital in dieser Form in zentrale Länder auf. „Das ist von Bedeutung, da das erste Muster der internationalen Kapitalexpansion eine Situation reflektiert, in welcher die zentralen Bourgeoisien in Rivalität zueinander standen, während das zweite Muster einen Schlüsselmechanismus in der Transnationalisierung dieser ‘nationalen’ Bourgeoisien anzeigt.“ (ebd., S. 57) Vgl. auch G. Ietto-Gillies, International Production. Trends, Theories, Effects, Cambridge (1992), S. 25; G. Ietto-Gillies, Transnational Corporations, London (2002), S. 5.
[29] In den früheren Phasen des Weltsystems wurden Direktanlagen an der Peripherie fast ausschließlich im Plantagen-, Bergbau- respektive Eisenbahnsektor getätigt. Später kamen dann auch Direktanlagen in der Form von Fertigungsanlagen hinzu, vor allem da, wo hohe Zölle es vorteilhaft erscheinen ließen, vor Ort produzieren zu lassen, wie im Zarenreich unter Witte, nicht nur, um die Zollmauern zu umgehen, sondern auch, um sich die durch den Zollschutz ermöglichten Monopolprofite exklusiv anzueignen. Direkter Kapitalexport im Fertigungssektor ist jedoch erst seit 1945 wirklich wichtig geworden. Und da spielten die zentralen Länder bis vor kurzen nicht nur als Exporteure, sondern auch als Importeure unangefochten die erste Geige.
[30] Die Importsubstitution zum Beispiel, vor allem in den lateinamerikanischen Ländern, bedeutete im Grunde nichts anderes, als daß die Waren, die früher importiert worden waren, jetzt von den ausländischen Großkonzernen, wie Ford oder VW, in diesen Ländern selbst hergestellt wurden.
[31] Dies konnte deshalb geschehen, weil die Transport- und Kommunikationsmedien immer effektiver (und kostengünstiger) wurden: Massengutfrachter, Containerisierung, Luftfracht, Satelliten, Internet usw. „Ohne Revolutionierung des Transport- und Kommunikationswesens hätte sie (die Transnationalisierung der Produktion, N.E.) nicht stattfinden können: Erst sie hatte es möglich und wirtschaftlich praktikabel gemacht, daß die Produktion eines einzigen Artikels zwischen, sagen wir, Houston, Singapur und Thailand aufgeteilt werden, das Halbfertigprodukt dann zwischen diesen Zentren hin- und hergeflogen und der gesamte Herstellungsprozeß mit moderner Informationstechnik zentral gesteuert werden konnte.“ (E. J. Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, München-Wien 1995, S. 354)
[32] Die klassische Studie dazu ist: V. Fröbel u.a., Umbruch in der Weltwirtschaft, Reinbek (1986). Vgl. auch R. Went, Ein Gespenst geht um … Globalisierung!, Zürich (1997), S. 28f.; W. I. Robinson/J. Harris, Towards a Global Ruling Class?, in: Science & Society 64 (2000), S. 18f.; Robinson, A Theory …, S. 10f.; Ietto-Gillies, International Production …, S. 161ff.
[33] Vgl. Robinson, A Theory …, S. 17f.; M. Candeias, Neoliberalismus – Hochtechnologie – Hegemonie, Hamburg (2004), S. 171ff.
[34] Die subcontractors oder Zulieferer tragen dann auch die Kosten dieser Flexibilität, d.h. der Möglichkeit des Überwechselns von dem einen subcontractor zu einem anderen, der günstiger produziert, oder der Aufkündigung der Zusammenarbeit, wenn die Nachfrage zurückgeht, wobei die Große Kapitalgesellschaft die Verluste (verursacht durch Überproduktion von Zwischenprodukten oder Brachliegen von Ressourcen) „auslagern“ kann, was sich dann in geringeren Profitraten dieser subalternen Firmen niederschlägt. Dem versucht man allenthalben durch die Verschlechterung der Lage der Lohnabhängigen zu begegnen. Vgl. Ietto-Gillies, International Production …, S. 140.
[35] Vgl. K. Cowling/R. Sugden, Beyond Capitalism, London (1994), S. 40. Cowling und Sugden halten dafür, daß man unter einer Firma nicht nur die Zentrale und die von dieser unmittelbar kontrollierten Produktionsstätten, sondern auch die mittelbar kontrollierten subcontractors zu verstehen hat. Mit anderen Worten: sie vertreten das Konzept des „Kapitalkomplexes“, ohne diesen Ausdruck selbst zu verwenden.
[36] Die Anzahl der cross-border M&A-Aktivitäten stieg von 14 (1980) auf 510 (1985), 3.516 (1990), 6.571 (1995) und 9.655 (1999). 1999 betrug der Wert dieser M&As (in 1998 Dollarwert) mehr als 1 Billion Dollar (1980: 6 Milliarden Dollar). Vgl. Robinson, A Theory …, S. 58. Vgl. auch Went, The Enigma …, S. 103; Du Boff/Herman, Mergers …, S. 17; Ietto-Gillies, Transnational Corporations …, S. 17; J. Harris, Transnational Competition and the End of US Economic Hegemony, in: Science & Society 67 (2003), S. 69ff. Von den gesamten 318 Mrd. Dollar FDI (1995), wurden 229 Mrd. als mergers and acquisitions getätigt. Vgl. R. Burbach/ W. I. Robinson, The Fin de Siecle Debate: Globalization as Epochal Shift, in: Science & Society 63 (1999) S. 17.
[37] Vgl. Du Boff/ Herman, Mergers …, S. 20. So kooperierten AT&T und British Telecom, Shell und Texaco, Toyota und GM, Alcoa und Kobe Steel, IBM, Siemens und Toshiba, American Express und Tata of India, Philips und Sony u.v.a. mehr. Vor allem im Luftfahrtsektor sind strategische Partnerschaften sehr beliebt. Vgl. Robinson, A Theory …, S. 64; Ietto-Gillies, International Production …, S. 31; Ietto-Gillies, Transnational Corporations …, S. 33; Cowling/ Sugden, Beyond Capitalism …, S. 51; Brasseul, Un monde meilleur? …, S. 156ff.
[38] Man beachte, daß der Ursprung dieses globalen Kapitals nicht mehr ausschließlich das frühere kapitalistische Zentrum ist. Kapitale aus nicht-zentralen Ländern, wie Daewoo aus Korea, Cemex aus Mexiko oder Mittal Steel aus Indien, haben sich unter die größten Weltkonzerne gemischt.
[39] „Wir stehen einem Empire des globalen Kapitals gegenüber, angeführt, aus evidenten historischen Gründen, von Washington.“ (W. I. Robinson, Global Capitalism, in: Science & Society 69, 2005, S. 325)
[40] Die Theorie der transnationalen Bourgeoisie geht auf S. Hymer und R. Barnet/R. Mueller zurück. Vgl. S. Hymer, The Multinational Corporation, Cambridge (1979); R. Barnet/R. Mueller, Global Reach, New York (1974). Die Hauptvertreter dieses Konzepts sind heute u.a. W. I. Robinson, S. Burbach und J. Harris.
[41] Genau wie die peripheren Staaten früher subalterne Exekutoren einer externen Bourgeoisie waren – der Klasse der ausländischen Kapitaleigentümer –, und auf diese Weise subalternes Moment einer externen volonté générale, so sind die bürgerlichen Staaten heute unterschiedslos nationale Exekutoren einer transnationalen Bourgeoisie – d.h. Agenten des globalen Kapitals – und in diesem Sinne Niederschlag einer abstrakten volonté générale, die sich nirgendwo noch in einem aparten Organ konkretisiert hat (von rudimentären Ansätzen, wie der WTO, einmal abgesehen). Die nationalen Staaten leisten nach wie vor Klassendienste, aber nicht mehr für ihr nationales, sondern für das globale Kapital.
[42] Der transnationale Staat ist aber in Wirklichkeit der Territorialstaat, der im Sinne des globalen Kapitals, d.h. der transnationalen Konzerne, agiert. Das Kapital bedarf keines anderen (transnationalen) Staates. Es genügt, wenn sich die vorhandenen Staaten gemeinsame Organe schaffen, entweder auf globalem Niveau (WTO) oder auf regionalem (EU, NAFTA), wobei der Grad der Integration variieren kann. Diese gemeinsamen Organe regeln die globalen Aspekte der Performance des Kapitals, also solche, die über die lokalen Angelegenheiten (Disziplinierung der Arbeitskraft, Garantie des Privateigentums, Infrastrukturaufgaben usw.) hinausgehen.
[43] In der Tat bedeutet Aktienbesitz nicht, daß man mit den Aktien Produktionsanlagen erwirbt (und alles, was dazugehört), sondern man erwirbt lediglich die Mitgliedschaft in einem Verein, die je nach Aktienkurs einmal mehr, einmal weniger kostet, und somit den Anspruch auf einen Teil des Mehrwerts. Daß die großen Kapitalgesellschaften neuerdings ihre Strategie ganz darauf ausrichten, den fiktiven „Wert“ der Aktien zu erhöhen, ist transitorisch und wird im übrigen in seiner Tragweite weit überschätzt: Der „Wert“ der Aktien hängt in allerletzter Instanz nach wie vor von der Profitmaximierung ab. Diese ist und bleibt das beherrschende Motiv der operativen Leitung. Wie man früher die Rolle der „Technostruktur“ (J. K. Galbraith) übertrieben hat – die autonome Performance des Managements jenseits des Privateigentums –, so übertreibt man heute die Rolle der share-holder – die Macht des persönlichen Eigentums an Anteilsscheinen.
[44] Diese Regierungen thronen in den „Hauptstädten“ des Kapitals, wo es seine head-quarters aufgeschlagen hat, in den key-cities wie New York, London, Frankfurt, Paris und Tokio. Vgl. Cowling/ Sugden, Beyond Capitalism …, S. 59.
[45] „… die Rolle und das Gewicht der Multinationalen in der Weltökonomie ist immens gestiegen. Kapitalgesellschaften ziehen es vor, die Konzeption, Produktion und Distribution ihrer Produkte und Dienste nicht nur regional oder überregional, sondern global zu planen und zu organisieren …“ (Went, The Enigma …, S. 99) Die Zahl der Firmen, die transnational operieren, ist im ständigen Wachstum begriffen. Laut einer UNCTAD-Statistik (2000) gab es 1999 63.000 international operierende Firmen mit zumindest 690.000 ausländischen Filialen (ebd., S. 99). Die Verkäufe der ausländischen Filialen weltweit – 14 Billionen Dollar 1999 gegenüber 3 Billionen 1980 – „sind fast zweimal so hoch wie der globale Export.“ (ebd., S. 100) Die größten tausend international tätigen Konzerne vereinigen auf sich etwa die Hälfte des weltweiten Warenhandels, wobei etwa zwei Drittel ihres „Handels“ sich zwischen den Filialen ein und derselben Firma abspielen.
[46] Sofern sie jedoch standortgebundene Ressourcen wie Erdöl und Erdgas nicht mitnehmen können, erwächst ein Spielraum für Reformen des klassischen Typs. Das ist eine Chance für Länder wie Venezuela, Bolivien oder Ecuador, und dies um so mehr, als die politische Konjunktur auf dem Subkontinent Kooperation in großem Stil möglich und das potentielle Abgleiten auf den Status von „Schurkenstaaten“ sie objektiv notwendig macht.
[47] Wobei unter Intelligenz natürlich nicht die Intellektuellen zu verstehen sind, sondern das organisierte Denken.