Zum 40. Jahrestag dieser transnationalen Bewegung junger Leute ist schon viel geschrieben und geredet worden. Aber auf der internationalen Konferenz, die von der „Hellen Panke“ am 18. und 19. April nach Berlin einberufen war, standen im Zentrum nicht einzelne Personen, Aktionen und nächste Folgen, wie das in den Medien zumeist der Fall ist. Die Aufmerksamkeit galt dem, was in der Geschichte vom widersprüchlichen Engagement der 68er bleibt. Sicherlich ist die Solidarität gegen den Kolonialkrieg der USA in Vietnam zu nennen, die Ablehnung des Stalinismus und seiner Gewalt gegen Menschen, der demokratische Marsch durch die Institutionen im Stile Rudi Dutschkes gegen individuellen RAF-Terror, die Frage nach der Schuld gegenüber dem Nationalsozialismus und seinen Nachwirkungen schon im System Adenauer.
Diese und andere Momente bündeln sich darin, neue Kräfte zu entfalten, um autoritären Haltungen und Ideologien zu widerstehen, in welchen Formen sie in der Welt auch auftreten.
Am Beginn der Konferenz stand glücklicherweise kein prädominantes Einleitungsreferat, sondern die Wahrnehmung der Ereignisse durch Zeitzeugen und heutige Wertungen. Entsprechende Unterschiede zwischen Ost und West traten sofort hervor. Ging es in der Bundesrepublik und in der Frontstadt Berlin vorrangig um Bewusstsein antiautoritärer Individualität und Gruppenverhalten gegen das kapitalistische Ordnungssystem, so überwog in der DDR und anderen Ostblockstaaten, wie der CSSR oder Polen, noch das Bestreben, Sozialismus human zu gestalten.
Von den herrschenden Kreisen in der DDR wurde von Anfang an genau verfolgt, wie weit sich im Westen studentische und intellektuelle Bewegung mit Gewerkschaften und Arbeiterbewegung verbünden. Maßnahmen wurden getroffen, um ein Übergreifen der Aktionen von West nach Ost zu verhindern. Die Besetzung Prags war der Endpunkt, aber auch in der DDR waren längst vorher ideologische Auseinandersetzungen über den weiteren Weg entbrannt, wie mit Robert Havemann, Schriftstellern und Künstlern. Experimente einer 3. Hochschulreform, die von 1966/67 bis 1969 stattfinden sollten, wurden 1968 vorzeitig beendet und alle Studenten und Wissenschaftler seitdem mit dieser Reform „konstruktiv“ beschäftigt und von größerem politischen Aufbegehren ferngehalten.
Als ein bleibendes Verdienst der 68er wurde auf der Konferenz alles hervorgehoben, was der persönlichen Freiheit von Frauen gegen patriarchalische Vorherrschaft dient, ohne das auf formelle Gleichstellung mit Männern oder Sexualität zu reduzieren. Der Ursprung ökologischer Bewegung bei den 68ern entsprach einem weltweit dringenden Bedürfnis, das nicht mehr hinwegzudenken ist.
Nicht ausgetragen wurde auf der Konferenz eine Differenz im Hinblick auf den Begriff von Individualität und Entfremdung in der globalen sozialen Evolution. Neben der Entfremdung arbeitender Menschen vom Eigentum an Produktionsmitteln, vom Arbeitsprodukt und von anderen Arbeitenden, müsste der Entfremdung eines Menschen von sich selbst mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, die für den wissenschaftlich-technischen und sozialen Fortschritt in der Welt fundamental wird.
Aufgeworfen wurde die Frage nach einer komplexen Theorie globaler sozialer Evolution. Auch sie wurde nicht näher erörtert, denn wegen der ideologischen Belastung bisheriger Gesellschaftstheorien erscheint sie gegenüber praktischer Aktion inopportun. Aber fehlerhafte strategische Orientierungen jedweder sozialen Kräfte resultieren letztlich aus fehlenden Theorien globaler Selbstorganisation der Menschheit. Universelle soziale Aufgaben wie Frieden, Ernährung, Arbeit, Ökologie oder humane Bildung in der Welt entstehen seit der Zeit um 1900 und sind erst gemeinschaftlich lösbar. Sie lassen sich nicht durch ideologische Dogmen und unmenschliche Mittel erreichen. Erforderlich ist stattdessen ein freiheitliches Verständnis der Menschen des 21. Jahrhunderts in der widersprüchlichen Eigendynamik aller ihrer realen biologischen, psychischen und sozialen Verhältnisse. Fakten allein geben darüber noch keinen Aufschluss, denn sie sind von jedem unterschiedlich interpretierbar. Infolgedessen wird eine intensive theoretische Arbeit und Verallgemeinerung praktischer Erfahrungen der jüngsten Geschichte unverzichtbar. Hier gilt es, einen Meinungsaustausch unter Linken und darüber hinaus zu beginnen.
Er betrifft zugleich die Frage nach einem Kriterium, nach dem das historische Wirken der 68er und anderer sozialer Kräfte, Bewegungen und Parteien oder auch Nationen in der sozialen Evolution möglichst objektiv beurteilt werden kann. Zeitweilig politisch siegreiche Revolutionen oder Konterrevolutionen können dies nicht sein. Entscheidend bleibt stets, inwieweit gesellschaftliche Kräfte soziale Energien freisetzen, die in ihrer Zeit ökonomische und soziale Reproduktion gewährleisten. Für eine solche humane Evolution in der globalen Welt haben die 68er einen maßgeblichen Beitrag geleistet.
Diese vordringlichen Probleme politischer Kräfte, Bewegungen und sozial konstruktiver Bündnisse sollten auf weiteren Konferenzen erörtert werden.