Die italienische Linke erlebt ihre schwerste Krise seit 1945. Mit nur 3,1% hat die Bündnisliste la Sinistra l’Arcobaleno („Regenbogenlinke“) bei den italienischen Parlamentswahlen im April 2008 eine katastrophale Niederlage erlitten. Niemand hatte damit gerechnet, dass sie nicht einmal die 4%-Hürde überspringen würde. Erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist nun kein einziger kommunistischer oder sozialistischer Abgeordneter mehr in den beiden Kammern des italienischen Parlaments vertreten. Auch die im vergangenen Jahr neu formierte Demokratische Partei (PD) mit dem Ex-Kommunisten Walter Veltroni als Spitzenkandidat verfehlte ihr Wahlziel deutlich und blieb mehr als neun Prozentpunkte hinter dem siegreichen Rechtsblock unter Führung Silvio Berlusconis zurück. Während Veltroni den „Dialog“ mit dem Sieger sucht, bemühen sich die vier unter dem Regenbogen vereinten Gruppierungen – die kommunistischen Parteien Rifondazione Comunista (RC) und Comunisti Italiani (PdCI), die Grünen und die Demokratische Linke – um einen Neuanfang. Wie der aussehen wird, ist einstweilen noch nicht eindeutig erkennbar – anders als die Vorgeschichte des historischen Scheiterns, die in diesem Beitrag nachgezeichnet werden soll. Diese Vorgeschichte beginnt vor gut 20 Jahren mit der Transformation des Partito Comunista Italiano (PCI). Zwei Komplexe stehen im Mittelpunkt der Betrachtung: der letztlich erfolglose Drang der postkommunistischen Mehrheit zur „Mitte“ und das Problem der kommunistischen Minderheit, politische Eigenständigkeit und breite (Wahl-)Bündnisse gegen rechts zu vereinbaren.
PCI/PDS/DS/PD: Zwischen Modernisierung und Anpassung – von der Kommunistischen zur Demokratischen Partei
Als in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre die Krisenerscheinungen im realsozialistischen Lager unübersehbar wurden, hatte auch der Partito Comunista Italiano (PCI) seine beste Zeit hinter sich. Das Rekordergebnis von 34,4% bei den Parlamentswahlen 1976 konnte er nicht halten; 1987 war er auf 26,6% zurückgefallen, während die Sozialistische Partei (PSI) auf 14,3% herangekommen war. Aussichten auf eine Beteiligung an der Regierung gab es kaum. Die von Enrico Berlinguer, dem italienischen Protagonisten des „Eurokommunismus“, betriebene Politik des Historischen Kompromisses mit der Democrazia Cristiana (DC) war gescheitert; seit 1980 hatten es sich Bettino Craxis Sozialisten als Juniorpartner der Christdemokraten im Palazzo Chigi, dem römischen Machtzentrum, bequem gemacht.
Der Zerfall des PCI
Ermutigt durch den neuen Kurs der KPdSU unter Michail Gorbatschow machten sich die Strategen in der Via delle botteghe oscure, der römischen PCI-Zentrale, in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre daran, die Partei zu reformieren. Der 18. PCI-Kongress (Rom, 19.-22.3.1989) wurde schon vorher als „Parteitag der Wende“ angekündigt, der einen „wahren theoretischen Salto“ vollführen und „riformismo forte“ (starken, entschiedenen Reformismus) zur Leitlinie machen würde. Die Formulierungen stammen von Achille Occhetto, dem neuen PCI-Sekretär seit Mai 1988.
Nur neun Monate später proklamierte die Occhetto-Fraktion den organisatorischen Bruch mit der Vergangenheit. Eine Erneuerung der Partei reiche nicht mehr aus, vielmehr sei ein „neues Subjekt“ notwendig, eine „neue demokratische politische Formation des Volkes“, die auch „progressiven katholischen Komponenten“ offen stehe und insbesondere Aktive aus den „Bewegungen“ einbeziehen werde.
Ein Drittel des Zentralkomitees wollte die von Occhetto ausgerufene „konstituierende Phase einer neuen Formation“ nicht mitmachen. Die „Front des Nein“ zog sich durch die gesamte Partei. Nicht nur der als „orthodoxer Dogmatiker“ verschriene Armando Cossutta, auch Pietro Ingrao, Leitfigur der „undogmatischen“ PCI-Linken, warnte vor der Illusion, auf dem Wege der Namensänderung und Neugründung ließe sich die politische und soziale Basis der Partei verbreitern. Aber am innerparteilichen Kräfteverhältnis zwischen Si und No (Ja oder Nein zur „neuen politischen Formation“) änderte sich bis zum 20. und letzten PCI-Kongress (Rimini, 31.1.-3.2.1991) nichts mehr. Mit Zweidrittelmehrheit wurde die Gründung des Partito Democratico della Sinistra (Demokratische Partei der Linken – PDS) beschlossen. Die „Front des Nein“ zerfiel. Ihr größter Teil trat dem PDS bei. Die Cossutta-Fraktion gründete stattdessen den Movimento per la Rifondazione Comunista (Bewegung für die kommunistische Neugründung, kurz: RC), der sich im Dezember 1991 als Partei (PRC) konstituierte.
Der weitere Weg der postkommunistischen Mehrheit kann hier nur in groben Zügen nachgezeichnet werden. Aus dem Partito Democratico della Sinistra (PDS) wurden 1998 die Democratici di sinistra (Linksdemokraten – DS). Nach Berlusconis Sieg und schnellem Scheitern 1994 waren PDS/DS ab 1996 die tragende Kraft des Mitte-Links-Bündnisses Ulivo, das bis 2001 die Regierung stellte. Auf den ehemaligen Christdemokraten Romano Prodi folgte im Herbst 1998 Massimo D’Alema als Ministerpräsident – der erste Ex-Kommunist als Regierungschef.
Mit dem Regierungswechsel von 1996 schien Italien ein „normales“ demokratisches Land geworden zu sein. Jahrzehntelang hatte die hegemoniale Democrazia Cristiana, gestützt auf mächtige Partner in den USA, den anderswo üblichen Wechsel blockieren und die stärkste kommunistische Partei des Westens von der Regierung des Landes fern halten können. Erst das Ende der Blockkonfrontation schaffte hier die Voraussetzung für eine Veränderung. Zwingend wurde sie durch den Korruptionsskandal von Tangentòpoli, der die christdemokratische Quasi-Staatspartei und ihren sozialistischen Juniorpartner von der politischen Bühne fegte.
Strategie des „Ausgleichs“ von Mitte-Links mit der politischen Rechten
Als die ersten, die sich auf die geänderten Verhältnisse eingestellt hatten, waren die Postkommunisten in einer vergleichsweise günstigen Position. Das änderte sich mit Silvio Berlusconis Einstieg in die Politik und der Gründung der Partei Forza Italia, die den größten Teil des christdemokratischen Erbes an sich reißen konnte. Um das rechte Stimmenpotenzial voll auszuschöpfen, verbündete sich Berlusconi mit den jahrzehntelang als nicht koalitionsfähig geltenden Neofaschisten und zugleich mit der separatistischen Lega Nord. Zwar hielt dieses unmögliche Bündnis im ersten Anlauf nur 228 Tage, aber auch bei Prodis Sieg 1996 blieb die Stärke des rechten Lagers ungebrochen: In absoluten Stimmenzahlen lagen die Rechten vor dem Mitte-Links-Bündnis; einzig das seit 1994 geltende Mehrheitswahlrecht und taktisch kluge Absprachen sicherten Mitte-Links den Sieg.
Im Bewusstsein der eigenen Schwäche entwickelten die Regierungen unter Prodi bzw. D’Alema eine verhängnisvolle Strategie: Sie suchten den „Ausgleich“ mit den Rechten. Berlusconis Medienmacht, der vielleicht folgenschwerste Aspekt der italienischen „Anomalie“, wurde von Mitte-Links nie ernsthaft angegriffen. Im Konsens mit den Rechten wurde auch „la grande riforma“, die große Reform der Institutionen, angegangen. Dieses Projekt gilt beiden großen politischen Lagern seit langem als Schlüssel zur Modernisierung des ineffektiven Staatsapparates; die in der Verfassung von 1946 – als Lehre aus dem Faschismus – begrenzte Macht des Staatspräsidenten und der Regierung sollte erweitert, der Einfluss des Parlaments reduziert werden. 1996 schien die „große Übereinkunft“ greifbar nahe: Die vom PDS mit Forza Italia und Alleanza Nazionale verabredete Verfassungsreform wäre auf die Übernahme des französischen Präsidialsystems hinausgelaufen; sie scheiterte, weil die Neofaschisten in letzter Minute einen Rückzieher machten. Bei den dadurch erzwungenen Neuwahlen siegte dann das Mitte-Links-Bündnis mit Romano Prodi. Aber auch unter seiner Regierung wurde das Projekt Verfassungsreform weiter verfolgt. Als Vorsitzender einer aus beiden Kammern des Parlaments gebildeten Kommission (bicamerale) agierte der PDS-Sekretär und spätere Ministerpräsident Massimo D’Alema.
Aber nicht nur realpolitisch, auch ideologisch schritt die Annäherung der beiden Lager voran. Achille Occhetto hatte schon 1991 in einem Brief an den damaligen Vorsitzenden der Sozialistischen Internationale, Willy Brandt, nicht nur „das historische Scheitern des Kommunismus“ eingeräumt, sondern auch die positiven „Erfahrungen der Sozialdemokratie“ anerkannt, „die trotz Begrenzungen und Schwierigkeiten von substantiellen Errungenschaften an Wohlstand und Kultur gekennzeichnet sind.“ Massimo D’Alema verarbeitete den ersten Sieg Berlusconis in seinem Buch „Un paese normale. La sinistra e il futuro dell’Italia“ („Ein normales Land. Die Linke und die Zukunft Italiens“, Mailand 1995). Ziel sei es, „aus Italien ein ‚normales’ Land zu machen“; diese Normalität müsse von der Linken „erobert“ werden. Worin sie bestehen sollte, erklärte das ehemalige PCI-Zentralorgan l’Unità (7.7.1995) und warnte zugleich vor übertriebenen Erwartungen: „Die ‚Normalität’ einer Demokratie des Wechsels, einer Demokratie westlichen und europäischen Typs, ist das Maximum dessen, was heute an Wandel möglich ist.“ D’Alemas ewiger innerparteilicher Konkurrent Walter Veltroni schließlich wollte schon 1996, als erstmals über eine gemeinsame Partei des Mitte-Links-Lagers (Centrosinistra) diskutiert wurde, möglichst große Teile der bürgerlichen Mitte einbeziehen: Eine sozialdemokratische Partei werde keine 51% erreichen, also müsse die neue Partei „liberaldemokratisch“ sein. Die deutsche Sozialdemokratie schien ihm seinerzeit noch zu sehr in den „ideologischen Traditionen des 20. Jahrhunderts“ verwurzelt.
Veltroni war es auch immer wieder, der für den Bruch mit den eigenen Traditionen und der Anpassung der Partei an den liberalen Zeitgeist die passenden Formulierungen prägte. Man dürfe nicht länger „einem abstrakten Gleichheitsprinzip huldigen“, verkündete er auf dem 3. Parteitag des PDS im Februar 1997. Damit würde man vor allem junge Leute ohne Arbeit lassen, denn „Arbeitsplätze fallen nicht vom Himmel, sondern werden von privaten Unternehmen geschaffen, die alle möglichen flexiblen Modelle anwenden.“ Vor allem müssten die Löhne „dem Niveau der Produktivität angepasst“ werden. Womit er die traurige Realität zum Programm machte: Lohndumping und immer mehr „flexible“, d.h. prekäre Arbeitsverhältnisse ohne Kündigungsschutz.
Die Mitte-Links-Regierungen zwischen 1996 und 2001 und dann noch einmal von Mai 2006 bis April 2008 haben an dieser Realität nichts geändert. Romano Prodi legte seit 1996 das Hauptaugenmerk auf die Sanierung des Haushaltes und gilt heute als „der Mann, der Italien in die Euro-Zone führte“. Aus Sicht der Ärmeren ist das – angesichts immer weiter sinkender Realeinkommen – ein höchst zweifelhafter Titel. Prodis Nachfolger D’Alema profilierte sich seinerseits als Präsident des Kriegskabinetts, das 1999 den NATO-Angriff gegen Jugoslawien unterstützte. Als Prodis Außenminister zwischen 2006 und 2008 wehrte er dann jede Kritik an der italienischen Unterstützung des Kriegs in Afghanistan ab: Auch außen- und militärpolitisch ist Italien mit Hilfe der Postkommunisten ein „normales“ Land in einem militarisierten Europa geworden.
Natürlich gingen all diese Anpassungen an den westlichen Wertekanon nicht ohne Reibungsverluste vonstatten. In Teilen der Basis trauert man den Zeiten von Hammer und Sichel nach, singt die Internationale und demonstriert gemeinsam mit Kommunisten und Pazifisten gegen den Krieg. Eine politisch bedeutsame Abspaltung vollzog sich allerdings erst im vergangenen Jahr, als der linke Flügel der DS, die Sinistra Democratica (SD) um den ehemaligen Fraktionssprecher Fabio Mussi, die bislang letzte Wende nicht mehr mitmachen wollte: Die Fusion mit der christdemokratischen Margherita zum Partito Democratico (Demokratische Partei – PD) vollendete den historischen Kompromiss – diesmal innerhalb einer Partei. Sie sollte helfen, die linke Opposition zu zerreiben, damit man mittelfristig in einem Zwei-Parteien-System um die Macht konkurrieren oder auch als Juniorpartner aus der „konstruktiven Opposition“ heraus an der Macht teilhaben kann. Der Entschluss, allein zu den Wahlen anzutreten und ein Bündnis mit der Linken auszuschlagen, war da nur konsequent – dass damit der Sieg des Rechtsblocks unausweichlich wurde, nahm man billigend in Kauf.
Es ist offen, ob mit der Gründung der Demokratischen Partei die mit der Umwandlung des PCI in den PDS begonnene Entwicklung zu ihrem Abschluss gekommen ist. Während Veltroni Wert darauf legt, die von ihm geführte Partei nicht mehr als links zu bezeichnen, sehen das viele Mitglieder zweifellos anders. D’Alema signalisiert vorsichtige Bereitschaft zum Gespräch auch mit der jetzt außerparlamentarische Linken, derweil der von Veltroni angebotene Dialog mit dem regierenden Rechtsblocks nicht vom Fleck kommt: Berlusconi und Partner fühlen sich derzeit so stark, dass sie auf Absprachen mit der Opposition verzichten können.
Das muss nicht so bleiben. Was immer sich an realpolitisch motivierten Annäherungen der beiden Blöcke noch ergeben mag – ideologisch haben die PD-Strategen der Rechten bereits etliche Zugeständnisse gemacht, die sie kaum wieder zurücknehmen können: Den Vatikan haben sie als legitimen Akteur der italienischen Innenpolitik akzeptiert, etwa wenn es um die Frage gleichgeschlechtlicher Partnerschaften oder die staatliche Förderung katholischer Schulen geht; nicht nur die Sozialdemokratie, auch die Democrazia Cristiana wird nachträglich als Siegerin der Geschichte geadelt – siehe Veltronis Lob für Alcide De Gasperi, den „italienischen Adenauer“, und dessen seinerzeit heftig umkämpfte Politik der „Westbindung“, NATO-Mitgliedschaft inklusive; D’Alemas Versicherung, man wolle Berlusconis Mediaset-Imperium nicht antasten, weil es „eine große Ressource für unser Land“ sei. Wasser auf die Mühlen der Rechten, rassistische Gewalttäter inbegriffen, war auch Veltronis viel zitierter Ausspruch, die „innere Sicherheit“ in der damals noch von ihm regierten Hauptstadt sei erst durch den EU-Beitritt Rumäniens gefährdet worden. Während selbst faschistischen Veteranen die „nationale Versöhnung“ angetragen wird, werden Zugewanderte kollektiv kriminalisiert und zum Feind erklärt.
PRC/PCdI/Sinistra Arcobaleno/PRC: Neugründung, Spaltung, Öffnung, Rekonstruktion
Alle Analytiker des Wahlergebnisses von April 2008 sind sich in einem Punkt einig: Die Parteien der Regenbogenlinken haben ihre Mitarbeit in der Regierung Prodi teuer bezahlen müssen. Bitter enttäuscht über deren Politik, vor allem im Sozialbereich, haben sich große Teile der linken Klientel von ihren Parteien abgewandt. Um Schlimmeres (Berlusconi!) zu verhindern, wählten viele Veltronis Demokratische Partei oder auch die Liste Italia dei Valori („Italien der Werte“ – IdV) des ehemaligen Korruptionsermittlers Antonio Di Pietro; in den nördlichen Regionen gab es unter Arbeitern gar einen Schwenk zur Lega Nord; insgesamt 1,4% entfielen auf die drei trotzkistisch orientierten Kleinparteien Sinistra Critica, Partito Comunista dei Lavoratori und Per il Bene Comune; mehr als eine Million Linkswähler von 2006 gingen diesmal gar nicht zur Wahl.
Dass zwei von drei Wählern, die 2006 für Rifondazione Comunista, Comunisti Italiani oder die Grünen gestimmt hatten, diesen Parteien den Rücken kehrten, weist auf ein schwerwiegendes Problem hin: Auch Wähler der Linken erwarten von „ihren Leuten“, wenn sie denn schon mal Ministerposten bekleiden, spürbare Verbesserungen. Bleiben diese aus, wenden sich viele enttäuscht ab. Die linke Stammwählerschaft ist klein, und eine in aller Eile und von oben zusammengezimmerte Bündnisliste wie la Sinistra l’Arcobaleno konnte kaum mobilisierende Kraft entwickeln. Dass sich Rifondazione Comunista, die für einen linken Neubeginn entscheidende Kraft, nach dem Desaster erst einmal auf sich selbst konzentriert, ist wohl unvermeidlich. Die jetzt drängenden Probleme begleiten die Partei seit ihrer Gründung: Als zugleich „antagonistische“ und reformerische Kraft ist sie in den Bewegungen wie in den Institutionen präsent. Spätestens seit Berlusconis Eintritt in die Politik stellt sich bei Wahlen die Bündnisfrage: Nur gemeinsam mit den Linksdemokraten und zumindest Teilen der Christdemokratie ist es möglich, die Rechte von der Regierung fern zu halten – und zu dieser Rechten gehören in Italien eben auch die Neofaschisten und die offen rassistische Lega Nord. Ist es bei Wahlen gelungen, diese Rechte zu besiegen, stellt sich den Kommunisten die Frage nach der Stellung zur dann amtierenden Regierung: Soll man sie tolerieren, gegen sie opponieren oder gar mitregieren? Kann man vielleicht sogar alles annähernd gleichzeitig tun, ohne die eigene Glaubwürdigkeit zu verlieren – etwa gegen Gesetzesinitiativen argumentieren und dann doch dafür stimmen, falls diese mit der Vertrauensfrage verbunden werden? Aus diesem Dilemma ohne Blessuren herauskommen hieße die Quadratur des Kreises zu schaffen, wie der folgende Rückblick auf 17 Jahre kommunistischer Realpolitik zeigt.
Die Entwicklung von Rifondazione Comunista (RC)
Im Februar 1991, eine Woche nach dem PDS-Gründungskongress, formierte sich Rifondazione Comunista (RC) zunächst als „Bewegung (Movimento) für die kommunistische Neugründung“; 6.000 Menschen waren an der Gründung beteiligt, schon wenig später waren 150.000 Mitglieder registriert. Im Dezember 1991 folgte dann die Konstituierung als Partei. An ihrer Spitze stand Armando Cossutta, zu Unrecht als moskautreu oder gar als Stalinist verschrien. Das in der internationalen Presse gern gemalte Bild von einer Partei der dogmatischen Nostalgiker hatte von Anfang an ebenso wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Auch Linke ohne PCI-Vergangenheit strömten in die neue Partei, Mitglieder diverser trotzkistischer Gruppen und ein Großteil der aufgelösten maoistischen Democrazia Proletaria (DP), darunter der letzte DP-Sekretär, Giovanni Russo Spena, und der jetzt zum RC-Sekretär gewählte Paolo Ferrero.
Politisch dominierte die eurokommunistische Linie in der Tradition Enrico Berlinguers, der unbestrittenen Leitfigur der frühen Kongresse. Die erste Beteiligung der Partei an den nationalen Parlamentswahlen im April 1992 brachte einen Stimmenanteil von beachtlichen 5,6%. Dieser wuchs über 6% (März 1994) auf 8,6% im April 1996, als RC im Bündnis mit dem Ulivo die erste Mitte-Links-Regierung unter Romano Prodi installieren half, ohne selbst Ministerposten zu besetzen. Ziel der Unterstützung für Prodi, so der neue RC-Sekretär Fausto Bertinotti, war es, „die Regierungsachse nach links zu verschieben“. Dass das nicht gelang, wurde schon bald offensichtlich. Franco Turigliatto als Sprecher einer zwischen 10 und 15% der Mitglieder repräsentierenden Minderheit kritisierte: „Um die Rückkehr der Rechten an die Regierung zu verhindern, unterstützt man die Regierung, die eine Politik betreibt, die die Rechten nur stärken kann.“ Sein Antrag, der Regierung Prodi die Unterstützung zu entziehen und in die Opposition zu gehen, wurde vom RC-Parteitag allerdings mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Diese unterstützte Bertinottis Linie des „Sowohl als auch“: „kritische Unterstützung“ für Prodi und zugleich Massenmobilisierung, um dessen Regierung unter Druck zu setzen. Die sehr begrenzten Erfolge dieser Politik – etwa die Rücknahme von Rentenkürzungen oder ein bisschen Beschäftigungsförderung im Süden – wurden von den Medien immer wieder als Ergebnis kommunistischer Ultimaten dargestellt, Bertinotti zum „starken Mann“ hinter einer schwächlichen Regierung stilisiert.
Stark war vor allem Bertinottis Rhetorik. Wenn die Regierung Prodi keine „reformerische Wende“ einschlage, könne RC sie nicht länger stützen, tönte er auf dem Parteitag im Dezember 1996. Erst im Oktober 1997, als es um die Bewilligung des Haushalts für 1998 ging, kam er auf sein Ultimatum zurück. Als Prodi daraufhin zurücktrat und Neuwahlen drohten, musste Bertinotti dann aber einen Rückzieher machen: In Umfragen sprachen sich nur 30% der RC-Wähler für den harten Kurs aus, 70% befürworteten den Eintritt ihrer Partei in die Regierung. Gelöst wurde die Krise durch einen zweifelhaften Kompromiss: Das am ehesten greifbare Zugeständnis an die Kommunisten bestand in Prodis Zusicherung, die Rentenregelung zunächst unangetastet zu lassen; hinzu kamen vage Absichtserklärungen zur Einführung der 35-Stunden-Woche, die allerdings von den Tarifparteien ausgehandelt werden müsse; dafür verpflichteten sich die kommunistischen Deputierten und Senatoren zum Stillhalten im Jahre 1998. Im Oktober 1998 kam es dann zur nächsten Krise, die mit dem Bruch endete. Wieder ging es um die Verabschiedung des Haushalts für das kommende Jahr, wieder waren die Stimmen der RC-Parlamentarier gefragt. Gegenleistungen sollte es nicht geben, in Sachen 35-Stunden-Woche hatte sich ein Jahr lang rein gar nichts getan, auch andere Maßnahmen gegen die Erwerbslosigkeit suchte man vergebens. In der Politischen Kommission des PRC, einer Art „kleinem Parteitag“, beschloss eine Mehrheit von 188 gegen 141 Genossinnen und Genossen, die unsoziale Politik nicht länger mitzutragen, das Haushaltsgesetz abzulehnen und der Regierung die Unterstützung zu entziehen. Die regierungsnahen Medien überboten sich mit Verurteilungen des kommunistischen „Abenteurertums“. Eugenio Sclafari, langjähriger Direktor der linksliberalen Tageszeitung La Repubblica, verglich Fausto Bertinotti gar mit dem Skorpion aus der Fabel, der einen Frosch überredet, ihn über einen Fluss zu geleiten; in der Mitte des Gewässers sticht der Skorpion zu, und beide müssen sterben – der Skorpion mit den Worten: „Es ist halt meine Natur.“
Schwerer als die vernichtende Kritik der Medien wogen die innerparteilichen Konsequenzen. Denn die Mehrheit der kommunistischen Abgeordneten dachte nicht daran, sich der Parteidisziplin zu unterwerfen. Bei der Vertrauensabstimmung votierten 22 von ihnen für Prodi, nur 12 gegen ihn. Nicht nur die Fraktion, auch die Partei spaltete sich. Die abtrünnigen Parlamentarier um Armando Cossutta und Oliviero Diliberto gründeten den Partito dei Comunisti Italiani (PdCI) und traten in die von Massimo D’Alema angeführte neue Regierung ein. Ein halbes Jahr später stimmten sie der Beteiligung italienischer Streitkräfte am NATO-Krieg gegen Jugoslawien zu.
Rifondazione Comunista ging zwar angeschlagen, aber nicht besiegt aus der Krise hervor. Die Mehrheit ihrer Wähler unterstützte Bertinottis Kurs. Dabei spielte allerdings eine Rolle, dass der Worst Case nicht eingetreten war: Die Übernahme der Regierung durch die Rechten wurde verhindert, weil D’Alema die christdemokratische UDC in seine Koalition aufnahm. RC nutzte die wiedergewonnene Freiheit, um sich als linke Opposition zu profilieren. Mit Erfolg: Bei den Parlamentswahlen im Mai 2001 kam die Partei auf 5%, die abgespaltenen Comunisti Italiani nur auf 1,8% der Stimmen. Versuche des Mitte-Links-Bündnisses (Centrosinistra), RC in eine Zähl-Koalition gegen Berlusconi einzubinden, hatte Bertinotti selbstbewusst abgelehnt: „Warum begreifen die Führer des Centrosinistra nicht, dass Rechenoperationen keine sozialen Dynamiken auslösen? Sie verstehen nicht, dass gerade das Centrosinistra für den Aufstieg der Rechten mitverantwortlich ist. Das Centrosinistra ist nicht mehr in der Lage, einen gesellschaftlichen Konsens zu schaffen – und genau das führt in die Niederlage.“ Für seine Partei sei die Politik von Mitte-Links unannehmbar. (Interview in La Repubblica, 15.3.2001)
Öffnung zu den neuen sozialen Bewegungen
Die Rahmenbedingungen für linke Opposition waren allerdings in den Jahren seit 1999 in Italien günstig, trotz Berlusconi. Mit den militanten Aktionen gegen die WTO-Konferenz in Seattle im Dezember 1999 meldete sich ein neuer politischer Akteur auf der internationalen Bühne: die „globalisierungskritische“ Bewegung. Bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Genua im Juli 2001 gehörte RC zu den tragenden Kräften. Junge, politisch noch unerfahrene Aktivisten strömten in die Jugendorganisation Giovani Comunisti. Der V. Parteitag von RC im April 2002 stand ganz im Zeichen der Öffnung zu den sozialen Bewegungen; Garant dieser Öffnung war Fausto Bertinotti, der etliche Bewegungskader, die sogenannten „Berti-Boys“ in die Partei holte – eine ungewöhnlich bunte kommunistische Partei, ideologisch alles andere als vereinheitlicht. Denn den jungen Bewegungslinken gegenüber stehen orthodoxe Traditionalisten. Diese sehen nach wie vor im Industrieproletariat das eigentliche revolutionäre Subjekt. Nach dem Untergang des realsozialistischen Lagers suchten sie neue Verbündete für den „anti-imperialistischen Widerstand“ und fanden sie im Irak, in Libyen oder Palästina; Russland und China gelten ihnen nach wie vor als Bastionen im Kampf gegen die US-Hegemonie. 2004 erschütterte Bertinottis demonstratives Bekenntnis zu strikter Gewaltfreiheit die Partei und ihr Umfeld. Der Sprecher der globalisierungskritischen „Tute Bianche/Disobbedienti“, Luca Casarini, warf Bertinotti vor, die Verpflichtung zur Gewaltfreiheit würde die Bewegung spalten. Die notwendige Suche nach wirksamen Formen des Widerstandes lasse sich nicht mit dem „Formelchen“ der Gewaltfreiheit beenden. (Il Manifesto, 4.2.2004)
Unmittelbare Konsequenzen hatte die Kontroverse nicht, auch weil die sozialen Bewegungen in den folgenden Jahren einen Abschwung erlebten. In dieser Phase gab es auch kaum Kritik an der Neuausrichtung der Partei in Hinblick auf die Parlamentswahlen 2006. Nach fünf Jahren Rechtsregierung dominierte auch unter den kommunistischen Wählern der Wunsch, Berlusconi und Partner nach Hause zu schicken und durch eine Mitte-Links-Regierung zu ersetzen. Dem konnte und wollte Rifondazione Comunista sich nicht verweigern. Dabei war klar, dass man die Bedingungen des Centrosinistra und seines Spitzenkandidaten Romano Prodi akzeptieren musste: eine gemeinsame Kandidatur auf Grundlage eines Regierungsprogramms sowie die aktive Beteiligung an dieser Regierung im Falle des Wahlsieges. Dass der Sieg mit ganzen 25.000 Stimmen Vorsprung denkbar knapp ausfiel, war ein Alarmzeichen. Um sich dauerhaft zu behaupten, hätte die Mitte-Links-Regierung die hauchdünne rechnerische Mehrheit zumindest nachträglich in eine politische Mehrheit verwandeln müssen, vor allem durch eine Reformpolitik zu Gunsten der immer mehr verarmenden Schichten. Dazu kam es jedoch nicht. Von Aufbruchstimmung war unter dem freundlichen Professor Prodi nichts zu spüren. Allein der schnelle Rückzug italienischer Soldaten aus dem Irak kann als Erfolg verbucht werden. Viele Gesetzesvorhaben, wie das zur Einführung eingetragener gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, stagnierten – wegen interner Widersprüche und weil man wieder nicht den Mut fand, die Konfrontation mit dem Vatikan und dem politischen Gegner zu bestehen. Zum wichtigsten Streitpunkt zwischen dem linken Flügel und der Mehrheit der Koalition wurde die Militärpolitik. Erfolglos forderten Rifondazione Comunista, Comunisti Italiani, Grüne und der linke Flügel der Linksdemokraten den Abzug italienischer Truppen aus Afghanistan und ein Nein zum Ausbau der US-Militärbasis in Vicenza. Letztere wurde immer mehr zum Kristallisationspunkt der Friedensbewegung, als deren Teil und parlamentarisches Sprachrohr sich die Linken verstehen. Immer wieder griff Prodi zum Mittel der Vertrauensabstimmung, um seine bröckelnde Mehrheit zu retten. Mehrfach und teilweise unter Tränen stimmten linke Abgeordnete gegen ihre Überzeugung, um den Sturz der Regierung zu verhindern. Im Februar 2007 zogen es die Senatoren Franco Turigliatto (RC) und Ferdinando Rossi (ehemals PdCI) dann vor, der Vertrauensabstimmung über die italienische Afghanistan-Politik fern zu bleiben. Dass war zwar für die Abstimmungsniederlage nicht entscheidend, sorgte aber für heftige Turbulenzen, auch innerhalb von RC, deren Schiedsgericht Turigliatto wegen „parteischädigenden Verhaltens“ für zwei Jahre ausschloss. Ob Turigliattos Handeln prinzipienfest oder dumm war – daran scheiden sich die Geister, auch in der deutschen Linken. Eine umgehend eingeleitete Solidaritätskampagne wurde allerdings bald gegenstandslos, weil Turigliatto mit Gleichgesinnten die Partei Sinistra Critica gründete.
Von Bedeutung ist der Fall insofern, als hier exemplarisch das Spannungsfeld von politischer Glaubwürdigkeit und Partei- bzw. Koalitionsdisziplin tangiert ist. Patentrezepte für das „korrekte“ Verhalten linker Mandatsträger gibt es offensichtlich nicht. Die in Kommentaren der jungen Welt und in der Solidaritätsresolution für Turigliatto angebotene Formel erscheint eher naiv: „Nur durch das Bündnis mit den sozialen Bewegungen kann die moderne Linke der permanenten Erpressung innerhalb einer Koalition trotzen“ (jW, 19.2.2007); deshalb brauche man Abgeordnete, „die die Positionen der Friedensbewegung ohne Wenn und Aber vertreten“ (Resolutionstext). Letzteres ist zwar wünschenswert, löst aber nicht das Dilemma, zumal auch die Bewegungen für die Argumentation mit dem „kleineren Übel“ durchaus empfänglich sind.
Eine zerrissene Partei
Auf absehbare Zeit wird die Linke in derlei Verlegenheiten nicht wieder kommen. Ein Trost ist das nicht. Denn schon vor der Wahlniederlage, so die übereinstimmende Sichtweise, habe die Partei den Kontakt „zur Gesellschaft“ verloren und den Rechten das Feld überlassen. Die differenzierteste Analyse der Niederlage liefert Fausto Bertinotti, der schon vor dem Wahltag seinen Rückzug in die zweite Reihe angekündigt hatte. In einem 18 Seiten langen Text „Le ragioni di una sconfitta“ („Die Gründe einer Niederlage“), verfasst für die Zeitschrift Alternative per il Socialismo, zeigt er, wie die Rechte ihre politische und kulturelle Hegemonie absicherte. Nun gelte es für die Linke, sich in der Gesellschaft neu zu verankern, ohne politischem Streit auszuweichen – etwa um den wachsenden Rassismus auch der eigenen Klientel; beispielhaft nennt Bertinotti Arbeiter im industrialisierten Norden, die mit der Metallergewerkschaft FIOM für ihre Rechte kämpfen und gleichzeitig Lega Nord wählen. Auch an der Perspektive einer Regierungsbeteiligung will Bertinotti mittelfristig festhalten.
Viele von Bertinottis Gedanken finden sich in dem von ihm, Nichi Vendola und anderen unterzeichneten Antrag 2 an den RC-Kongress wieder. Bei Abstimmungen in den Basisgliederungen der Partei bekam er mit 47 Prozent zwar eine relative, aber nicht die absolute Mehrheit. Auf dem RC-Kongress von Chianciano (24. bis 27. Juli 2008) kam es dann zu einer Abstimmungskoalition „Alle gegen Bertinotti/Vendola“. Das von ihr mit 342 gegen 304 Stimmen beschlossene Abschlussdokument enthält eine rüde Abrechnung mit dem Kurs der vergangenen Jahre, der „verheerenden Erfahrung“ der Mitarbeit in der Regierung, der gescheiterten Kandidatur der Regenbogenlinken und der „mehrheitlich falschen Leitung durch die Parteiführung“. In Zukunft soll sich die Partei ganz auf den „sozialen Konflikt“ ausrichten und vor allem in den Betrieben Präsenz zeigen; andere Politikfelder werden zwar aufgelistet, sollen aber der „sozialen Frage im engeren Sinne“ nachgeordnet sein. Nach der Abstimmungsniederlage verzichtete Vendola auf eine Kandidatur für das Amt des Sekretärs. Gewählt wurde Paolo Ferrero, der in der aus 280 Mitgliedern bestehenden Nationalen Politischen Kommission mit 142 Stimmen bei 134 Nein-Stimmen und vier Enthaltungen eine denkbar knappe Mehrheit erreichte. Der Riss geht mitten durch die Partei.
Der Vorwurf der Unterlegenen, die Kongressmehrheit verkörpere eine reine „Negativkoalition“, ist teilweise berechtigt. Zusammengehalten wird sie vor allem durch die Furcht vor „Identitätsverlust“. Der ist erst einmal abgewendet. Rifondazione Comunista wird im kommenden Jahr als eigenständige Kraft bei den Wahlen zum Europäischen Parlament kandidieren, wahrscheinlich mit offenen Listen, auf denen auch Vertreter der 1998 abgespaltenen Comunisti Italiani Platz finden könnten – und ganz sicher mit Hammer und Sichel. Das vielen Genossinnen und Genossen teure Symbol wird künftig auch wieder verstärkt auf den Straßen zu finden sein, im Oktober auf einer Demonstration „gegen die Regierung Berlusconi und (den Unternehmerverband) Confindustria“. Für die viel beschworene „Erneuerung von unten“ dürfte das kaum ausreichen. Die Krise dauert an, auch eine Spaltung der Partei ist mittelfristig nicht auszuschließen.