Die KSCM (Komunistická strana Cech a Moravy, Kommunistische Partei Böhmens und Mährens) ist in Osteuropa (außerhalb der früheren Sowjetunion) die einzige Kommunistische Partei, die in direkter Kontinuität zur früheren Staatspartei steht und sich dauerhaft als parlamentarische Kraft mit mehr als 10 Prozent Stimmenanteil etablieren konnte. Gleichzeitig ist die KSCM bislang relativ isoliert gewesen, obgleich eine Regierungsbeteiligung nach den nächsten Wahlen nicht ausgeschlossen scheint.
In meinem Beitrag möchte ich zwei Fragen nachgehen. Einerseits geht es mir um die Erklärung der Ausnahmestellung der KSCM im osteuropäischen Parteiensystem. Dies kann nur unter Bezug auf die Geschichte vor 1989 geleistet werden. Andererseits ist auch zu diskutieren, wie die starken Bezüge der tschechischen Kommunistischen Partei auf die Normalisierungsperiode nach dem „Prager Frühling“ sich auf ihre politische Kultur, Verbindung zu sozialen Bewegungen und Koalitionsmöglichkeiten auswirken.
Die historische Perspektive
Bereits die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei (KSC) hatte in der Zwischenkriegszeit eine Sonderstellung in der zentralosteuropäischen Region. Im Gegensatz zu anderen Kommunistischen Parteien konnte sie sich als sozial gut verankerte Partei mit einem profilierten intellektuellen Umfeld etablieren und unter parlamentarisch-demokratischen Bedingungen als legale Kraft agieren. Die KSC entstand nach dem ersten Weltkrieg als gut organisierte Massenpartei aus dem linken Flügel der Sozialdemokratie heraus. Dieser Charakter als Massenpartei erschwerte in der Folgezeit die Bolschewisierung oder „Stalinisierung“ der Partei (vgl. Rupnik 2002). Ähnlich wie in anderen Ländern wirkte sich die Einflussnahme der Komintern, die stark durch die Konflikte in der KPdSU und die jeweils in Moskau vorherrschende Interessenlage geprägt war, negativ auf die Entwicklung der Partei aus. Trotzdem behielt sie eine starke soziale Verankerung. In der Slowakei war die KP gegenüber der Sozialdemokratie sogar die leicht überwiegende Kraft auf der Linken (Kamenec 2000: 203 ff.) und in den Debatten der Linken intellektuell prägend.
Zum Zeitpunkt des Münchener Abkommens, das der Zerschlagung der demokratischen Tschechoslowakei den Weg ebnete, profilierte sich die KSC auch als patriotische Kraft (Rupnik 2002: 142 ff.). Die KSC war eine wesentliche Kraft im Widerstand gegen die deutsche Besatzung im vom faschistischen Deutschland besetzten Böhmen und Mähren. In der auf deutsches Betreiben unabhängig gewordenen Slowakei war sie gleichfalls eine zentrale Kraft des Widerstandes und spielte zusammen mit bürgerlich-demokratischen Kräften eine wichtige Rolle beim Slowakischen Nationalaufstand, dem 1944 zeitweise die Befreiung erheblicher Gebiete in der Slowakei gelang (vgl. z.B. Jablonicky 1990).
So ging die KSC aus dem zweiten Weltkrieg mit hohem Ansehen hervor. Ihre Sozialisierungsforderungen stießen in der Arbeiterschaft auf starke Resonanz (Kalinová 2004: 51 ff.). Für eine graduelle Sozialisierung und die Einführung von Elementen der Planung waren in dieser Phase auch sozialdemokratische und bürgerliche politische Kräfte zu gewinnen, denen an einer Überwindung der Krisenpotenziale der 30er Jahre gelegen war (ibid.: 30 ff.). Diese waren auch von der Haltung der Westmächte während des Münchner Abkommens tief enttäuscht und relativ offen für eine Zusammenarbeit mit der Sowjetunion (ibid.: 28 f.). In den freien Wahlen im Mai 1946 erzielte die Kommunistische Partei in den tschechischen Ländern 40 Prozent und in der Slowakei 30 Prozent der Stimmen (Rupnik 2002: 201) und erhielt damit ein starkes Wählermandat.
War zunächst auch in der KSC noch von einem tschechoslowakischen Weg zum Sozialismus die Rede gewesen, bedeutete die Verschärfung des Kalten Krieges eine zunehmende Orientierung auf die Sowjetunion. In diesem Kontext sind die Etablierung eines faktischen Machtmonopols der Kommunistischen Partei im Jahr 1948 und die zunehmende Ausrichtung auf das sowjetische Modell der Wirtschaftslenkung zu sehen. Eine Stalinisierung der Politik mit Parteisäuberungen und Schauprozessen folgte. Besonders stark waren die kommunistischen und nicht-kommunistischen ProtagonistInnen des Slowakischen Nationalaufstandes von der Repression betroffen. Sie hatten eine eigene starke Legitimität und in Moskau sah man hierin eine gefährliche Parallelität mit Jugoslawien.
Die Entstalinisierung erfolgte spät, aber dafür umso gründlicher. Im Gefolge von wirtschaftlichen Stagnationstendenzen in den tschechischen Ländern kam eine wirtschaftliche Reformdiskussion in Gang, die sich auf den kulturellen und politischen Bereich ausbreitete. Diese Bewegung kulminierte im „Prager Frühling“ von 1968, bei dem die Reformpolitik der neuen KSC-Führung eine sehr breite gesellschaftliche Zustimmung erfuhr und eine sich rasch verbreiternde Reformbewegung anstieß. Im August 1968 intervenierte die Sowjetunion mit anderen Warschauer Pakt-Staaten gegen den „Prager Frühling“. Allerdings blieben auch danach zunächst noch wichtige Reformer in zentralen Partei- und Staatsämtern und es gab eine breite soziale Bewegung für die Bewahrung eines möglichst großen Teils der erreichten Reformen (Bárta et al. 1993). Erst allmählich und mit starker sowjetischer Rückendeckung setzten sich die Kräfte der Restauration, euphemistisch „Normalisierung“ genannt, durch. An ihre Spitze setzte sich Gustav Husák, der eine wichtige Rolle im Slowakischen Nationalaufstand gespielt hatte und in einem der stalinistischen Prozesse zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Die neue KSC-Führung setzte dem „Prager Frühling“ endgültig ein Ende. Die Reformen wurden wieder rückgängig gemacht. Von der Reformagenda wurde allein die Gewährung einer begrenzten Autonomie für die Slowakei beibehalten und umgesetzt.
Der Partei- und Staatsapparat wurde systematisch von AnhängerInnen des „Prager Frühlings“ gesäubert. Die Partei ging ihres intellektuellen Potenzials verlustig. Das K stand jetzt vor allem für Karrierismus. Das Ansehen der Partei in der Bevölkerung sank rapide. Die Repressionspolitik wurde ergänzt durch den Versuch, einen Rest von Akzeptanz durch eine großzügige Sozialpolitik zu erhalten. Allerdings schwächte sich die wirtschaftliche Dynamik in den tschechischen Ländern ab. In der Slowakei hingegen setzte sich das wirtschaftliche Wachstum zunächst fort, so dass sich hier auch der Lebensstandard weiter verbesserte. Auch die Repression fiel in der Slowakei etwas milder als in der Tschechischen Republik aus (vgl. Marušiak 2002). Die kleinen oppositionellen Kerne unterschieden sich zwischen beiden Landesteilen. Während die Charta 77 Personen vor allem liberaldemokratischer Orientierung, aber auch aus den reformsozialistischen Kreisen zusammenführte und weitgehend auf die tschechischen Länder beschränkt blieb und daneben auch Obroda als Vereinigung reformsozialistischer Kräfte, die sich positiv auf das Jahr 1968 bezogen, in den tschechischen Ländern bestand, hatte die Dissidenz in der Slowakei eine stark katholische Prägung (vgl. Blažek 2005).
Zu Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion ging die Partei auf erkennbare Distanz. Wie Miroslav Vanek (2005: 311) anmerkt, konnte ein Parteiapparat, der den „Prager Frühling“ verurteilt hatte, nun nicht die neue Linie eines „Moskauer Frühlings“ in tschechische Politik umsetzen. Vielmehr bedeuteten die Veränderung in der Sowjetunion, dass die intern delegitimierte Partei ihrer externen Stütze verlustig ging.
Die ideologisch entleerte Partei, die mit dem inneren Generationenwechsel beschäftigt war, zeigte sich hilflos gegenüber den äußeren Veränderungen und den Ende der 80er Jahre allmählich zunehmenden Protesten. Als es im November 1989 in Prag zu großen Protestversammlungen kam, zeigte sich, so Jaroslav Jenaral im Interview mit Miroslav Vanek (2005: 335), die Parteiführung „paralysiert“. Es reichte nur mehr zu einer halbwegs geordneten Übergabe der Staatsmacht an oppositionelle Kreise am „Runden Tisch“. Eigene Akzente vermochte die orientierungslose Parteiführung nicht mehr zu setzen. In der Besetzung der Spitzenämter setzten sich die liberalen Kräfte mit der Wahl Václav Havels zum Staatspräsidenten gegenüber Kräften aus der Tradition von 1968 durch, deren Repräsentant, der sehr populäre Parteichef des Jahres 1968, Alexander Dubcek, sich mit dem Parlamentsvorsitz begnügen musste. Für die progressiven Kräfte bedeutete der Tod Dubceks bei einem Verkehrsunfall im Jahr 1992 einen kaum zu überschätzenden Verlust. Bis auf wenige Ausnahmen spielten aktive Oppositionelle aus der Normalisierungsperiode nur in der kurzen Zeit des Übergangs eine maßgebliche Rolle. Der Großteil des Personals der später gegründeten Parteien rekrutierte sich aus Personen, die sich mit dem Normalisierungsregime „arrangiert“ hatten (Mechýr 1999: 7). Sie erklärten nun, sie hätten schon 1968/69 verstanden, dass der Sozialismus nicht reformierbar sei und hätten sich daher auch nicht weiter für Reformen engagiert.
Die Kommunistische Partei im Umbruch
Zunächst waren die oppositionell orientierten Kräfte in großen Sammelbündnissen, dem Obcanské fórum (OF) im tschechischen Landesteil und der Verejnost proti nasilie in der Slowakei, zusammengeschlossen. Relativ bald kam es in beiden Landesteilen zu einer Ausdifferenzierung der beiden Bündnisse und zu Parteigründungen. Aus dem OF ging als wichtigste Partei die nationalliberale Obcanská demokratická strana (ODS) unter der Führung von Václav Klaus hervor. Daneben entstanden kleinere liberale Formationen. Aber auch die wiedergegründete Ceská strana socialne demokratická (CSSD) zog einen Teil des OF an sich, hatte aber auch im reformsozialistischen Kreis der Obroda eine wichtige Rekrutierungsquelle. Damit sah sich die Kommunistische Partei von Anfang an im tschechischen Landesteil mit einer sozialdemokratischen Konkurrenz konfrontiert, die zwar anfangs organisatorisch sehr schwach, dafür aber von der Normalisierungsperiode nicht belastet war. Dies war in anderen zentralosteuropäischen Ländern nicht der Fall (vgl. Handl 2005: 410).
In der Slowakei war die Konstellation etwas anders. Hier vermochte sich eine neue sozialdemokratische Partei kaum zu etablieren. Dies ermöglichte es dem reformistischen Flügel der slowakischen KommunistInnen, sich schrittweise von der KSC zu trennen und sich als sozialliberal orientierte Strana demokratickej l’avice (SDL) zu konstituieren. Diese Neuorientierung wurde vor allem von Intellektuellen, speziell aus dem Ústav marxismu-leninismu, also einem zentralen ideologischen Think-Tank, getragen (Kopecek 2002: 101 ff.). Die SDL war 1993/94 und erneut 1998 und 2002 in Koalitionen mit ultraliberalen Parteien vertreten, die sich von den nationalkonservativen Kräften abgrenzten. Der Spagat zwischen Wirtschaftsinteressen und sozialen Ansprüchen gelang der SDL nicht. Nach den Regierungsbeteiligungen verlor sie bei Wahlen jeweils stark und flog 2002 aus dem Parlament. Mittlerweile ist sie in der Partei Smer aufgegangen, die 1999 von einem Ex-SDL-Abgeordneten, Robert Fico, gegründet worden war und derzeit die stärkste Regierungspartei in der Slowakei stellt. Smer hat Privatisierungen beendet und setzt vorsichtig gegenüber der ultra-liberalen Vorgängerregierung neue Akzente in der Sozialpolitik. Diese Dilemmata, ihre liberale Auflösung und der Rückgang der WählerInnenschaft der SDL ist symptomatisch für die (sozial-)liberal gewendeten früheren Staatsparteien in Osteuropa. Eine sehr orthodox auftretende Kommunistische Partei blieb – trotz eines kurzen parlamentarischen Zwischenspiels von 2002 bis 2006 – eher marginal.
Auch im tschechischen Teil der KSC gab es nach 1990 zunächst Versuche einer eher sozialdemokratischen Neuorientierung der Partei. Allerdings war hier das sozialdemokratische Feld bereits besetzt. Ausserdem gab es starke Widerstände im Parteiapparat gegen die Neuausrichtung. Der neue Parteivorsitzende Jirí Svoboda war politisch wenig erfahren und es gab auch kaum intellektuelle Kader (noch weniger als im slowakischen Zweig), die eine solche Transformation trugen. In langwierigen Konflikten setzten sich 1993 die Kräfte der Beharrung durch, die ihre Formierung in der Normalisierungsperiode erfahren hatten. Dies drückte sich auch in der Beibehaltung des K im Parteinamen aus (vgl. Fiala et al. 1999: 106 ff., Mareš 2002, Mareš 2005, Handl 2005: 405 ff., Handl 2008: 94 ff.). Zwar blieben unterschiedliche Strömungen in der Partei auch danach bestehen, die Hauptausrichtung der Partei blieb jedoch auf die KernwählerInnenschaft von gut 10 Prozent orientiert. Dies läßt sich als defensive Überlebensstrategie kennzeichnen (vgl. Handl 2005: 406 ff.).
Soziale Basis und Wählerschaft
Die defensive Konsolidierung der Partei stützt sich auf eine immer noch große Mitgliederbasis. Anfang 2007 belief sich die Zahl der Mitglieder auf 84.000. Allerdings ist die Mitgliedschaft deutlich überaltert, 2003 waren nur 8,7 Prozent der Mitglieder unter 50 Jahren (Holubec 2007a: 28). Aufgrund dieser Altersstruktur unterliegt die Mitgliederbasis einer beständigen Erosion. 1995 hatte sie noch 196.000 und 1999 immerhin noch 137.000 Mitglieder (Fiala et al. 1999: 180, Tab. 16). Von ihrer Zusammensetzung her läßt sich die KSCM weniger als Partei der Arbeiterklasse denn als „eine Partei der unteren Schichten der ehemaligen Führungsklasse“ (Handl 2005: 406) beschreiben. Die politische Kultur der Partei wie auch ihre Sprache sind stark durch die staatssozialistische Epoche geprägt.
Ihre Stammwählerschaft zeichnet sich durch ein eher fortgeschrittenes Alter, einen verhältnismäßig geringen Bildungsstand und niedriges Einkommen aus (Fiala et al. 1999: 188 f.). Geografische Schwerpunkte waren und sind Nord- und Südmähren sowie der Nordwestteil Böhmens (Kabát/Pink 2006: 140 f.) – zum Teil wirtschaftliche Problemgebiete mit hoher Arbeitslosigkeit.
Diese Ausprägungen von Mitglieder- und Wählerschaft finden ihren Ausdruck in Programmatik und Tagespolitik. Besonders deutlich wird dies in den Einschätzungen der Vergangenheit. Eine relativ offene Minderheitsströmung hat zumindest kritische Einschätzungen zur Parteigeschichte entworfen, aber selbst hier harren wichtige Wendepunkte einer ernsthaften Aufarbeitung. Die Gegenposition wird durch apologetische Darstellungen, vor allem in der parteieigenen Tageszeitung Haló noviny und aus dem Kreis der Historikerkommission beim Zentralkomitee, markiert. Dazwischen liegen Einschätzungen, die zwar Kritisches zu Einzelpunkten bringen, aber einer kritischen Analyse des Staatssozialismus aus dem Weg gehen (vgl. zusammenfassend Handl 2005: 416 f.). Die Vergangenheit ist für einen Großteil der Partei „eine der Hauptpositivquellen ihrer Identität“ (Handl 2005: 416). Diese Art der Vergangenheitspolitik schafft einen tiefen Graben zu großen Sektoren der Gesellschaft und auch anderen Strömungen der Linken.
Politische Orientierungen
Im Gegensatz zu den liberal gewendeten früheren Staatsparteien Osteuropas, die äußere Akzeptanz durch besonders vehemente Befürwortung einer Nato- und EU-Mitgliedschaft ihrer Länder zu erreichen suchten, sind bei der KSCM außenpolitische Verbindungslinien in die Vergangenheit zu sehen. Eindeutig stellt sich die Partei programmatisch wie tagespolitisch gegen die „agressive Politik der USA und der NATO“ sowie „gegen die Militarisierung der EU“ (KSCM 2004). Stattdessen fordert sie eine Aufwertung der OSZE. Gegenüber der EU zeigt sie sich verhalten „euroskeptisch“ (vgl. Havlík 2006: 71 ff., Handl 2008: 108 ff.), in der Beitrittsfrage vertrat die Partei ein „weiches Nein“ (Handl 2008: 109). Dies drückt sich auch in einer zwiespältigen Einschätzung der EU-Mitgliedschaft im Programm „Nadeje pro CR“ aus, worin einerseits „die mangelnde Vorbereitung der geschwächten Wirtschaft der CR (Tschechischen Republik, JB) für das Konkurrenzumfeld der EU, die nicht gleichberechtigte Stellung, die passive Unterordnung der CR unter die EU-Organe“ (KSCM 2004) und das Demokratiedefizit beklagt werden, andererseits aber auch die Eröffnung neuer Möglichkeiten für die Durchsetzung von tschechischen Interessen sowie Anliegen der Lohnabhängigen gesehen wird. In dieser Zwiespältigkeit werden auseinanderlaufende Einschätzungen innerhalb der Partei deutlich. Aktuell kritisiert der Vorsitzende der KSCM, Vojtech Filip (2008), den Lissabon-Vertrag der EU, da dieser zu Lasten der „kleineren Länder und der Werktätigen“ gehe. In der Tendenz werden in der Kritik eher die „nationalen Interessen“ denn die soziale Schieflage und die Demokratiedefizite in den Vordergrund gestellt. In der EU-skeptischen Sichtweise gibt es Parallelen zu den EU-skeptischen Kreisen in der nationalliberalen ODS. Hingegen bestehen sichtbare Differenzen zu der EU-euphorischen Sichtweise der Sozialdemokratie.
Sehr deutlich ist das Profil der KSCM in sozialpolitischen Fragen. Hier geht es, so der Vize-Vorsitzende Jirí Dolejš, darum, dass die Partei „die CSSD zwingen muss, ihr Wohlfahrtsstaatskonzept zumindest in minimaler Form zu verteidigen“ (zit. n. Handl 2005: 414). Das heisst, hier bewegt sich die Kommunistische Partei zwischen Konkurrenz und denkbarer Kooperation auf ähnlichem Terrain wie die Sozialdemokratie. Auch gegen Privatisierungen, vor allem im Energiesektor, hat sich die Partei gewandt (KSCM 2006: 5). Tagesaktuell ist die Positionierung der KSCM vielfach de facto linkssozialdemokratisch, ohne dass dies konzeptionell wirklich reflektiert zu werden scheint (vgl. Handl 2005: 422).
Korrektiv der Sozialdemokratie
Mit dieser programmatischen und tagesaktuellen Verortung hat die Partei in den Wahlen trotz völlig liberal dominierter Medien jeweils zumindest 10 Prozent der Stimmen auf sich ziehen können. In den 90er Jahren wurde die KSCM wählermäßig von der Sozialdemokratie überholt. Bis 1998 war die ODS politisch vorherrschend und suchte einen tschechischen Kapitalismus aufzubauen. Sozialpolitisch wurde dieser durch eine Vollbeschäftigungspolitik flankiert (vgl. Becker 2006). 1997/98 endete diese Phase der Politik in einer Bankenkrise und Rezession. Die ODS wurde zusätzlich durch Skandale geschwächt. Die Unzufriedenheit mit dieser Situation vermochte vor allem die Sozialdemokratie für sich zu nutzen. Aus den vorgezogenen Neuwahlen im Jahr 1998 ging die CSSD mit 32,3 Prozent als stimmenstärkste Partei hervor – die KSCM kam im Vergleich auf 11,0 Prozent (Fiala/Hloušek 2003: 34, Tab. 4). Nachdem sich die Rechtsparteien nicht zu einigen vermochten und die Sozialdemokratie mit der KSCM weder koalieren wollte noch eine Mehrheit hatte, ermöglichte die ODS im Rahmen eines prozeduralen, aber nicht inhaltlichen Abkommens der CSSD die Bildung einer Minderheitsregierung. Im Kontext der Finanzkrise und der beginnenden EU-Beitrittsgespräche forcierte die sozialdemokratische Regierung die Privatisierung. Diese betraf allerdings nicht den Sozialbereich, wo die Sozialdemokratie aufgrund der Konkurrenz der KSCM bei einer aktiven und eher sozial integrativen Politik blieb (vgl. Becker 2006). Die Kommunistische Partei wurde in ihrer Rolle als Korrektiv der Sozialdemokratie bei den nächsten Wahlen mit ihrem besten Ergebnis (18,5 Prozent) belohnt, das sie seit 1989 überhaupt erzielt hat (Fiala/Hloušek 2003: 43, Tab. 5). Die Sozialdemokratie verlor nur leicht und bildete eine Koalition mit kleineren christdemokratischen und liberalen Parteien. Ihre Politik aus der vorhergehenden Legislaturperiode setzte sie in den Grundlinien fort. Allerdings trübten innere Querelen und Skandale das Bild der Sozialdemokratie nun ein. Gegen Ende der Legislaturperiode suchte sie den Rückgang der Präferenzen durch verschärftes Profil in Sozialpolitik sowie den Arbeitsbeziehungen auszugleichen. Darin war sie recht erfolgreich, Stimmen verlor vor allem die KSCM, bei der einerseits das stärkste Thema damit durch die Sozialdemokratie in Beschlag genommen worden war und andererseits ebenfalls Personalquerelen das Bild prägten. Während sich die CSSD sogar ganz leicht auf 32,3 Prozent der Stimmen verbessern konnte, ging der Anteil der Kommunistischen Partei auf 12,8 Prozent zurück (Kabát/Pink 2006: 134, Tab. 6).
In der letzten Zeit hatte es eine Annäherung von CSSD und KSCM gegeben, so dass eine Regierungszusammenarbeit nicht ausgeschlossen schien. Allerdings hatten die beiden Parteien zusammen genauso viele Parlamentssitze wie die Rechtsparteien einschließlich der Grünen, bei denen der rechte Flügel kurz vor den Wahlen noch schnell die Wahlliste von potenziellen SympathisantInnen der Sozialdemokratie gesäubert hatte. Nach vielen Wochen wurde das Patt auf sehr zweifelhafte Weise durch das Überlaufen zweier Sozialdemokraten ins rechte Lager aufgelöst. Die neue Rechtsregierung verfolgt eine Politik der engen Anlehnung an die USA und der raschen Kommerzialisierung des Sozialbereiches, zunächst speziell des Gesundheitswesens. Gegen diese Politik hat sich erstmals seit 1989 eine deutlich sichtbare soziale Protestbewegung gebildet. Eine sehr breite Bewegung – die Initiative Ne Základnám – bildete sich seit 2006 gegen das Projekt einer US-Radarbasis im Rahmen des US-Raketenschildes. Sie fordert vor allem ein Referendum über die Basis und sammelt entsprechende Unterschriften. Hinzu kommen zunehmende soziale Proteste. Raketenbasis und soziale Fragen sind Themen, welche die KSCM parlamentarisch behandelt. Von einer organischen Verbindung der Partei zu den sozialen Protestbewegungen kann nicht die Rede sein. Allerdings spricht vieles dafür, dass soziale Unzufriedenheit und Protest bei den nächsten Wahlen, die regulär in zwei Jahren stattfinden würden (sofern die Regierung bis dahin hält), zu einer rechnerischen Parlamentsmehrheit von CSSD und KSCM führen könnten. Die Auseinandersetzung um eine solche Koalitionsoption wird in beiden Parteien bereits geführt. Die KSCM scheint auf eine Regierungsbeteiligung konzeptionell schlecht vorbereitet. Das größte Aktivum der Partei – ihre große Mitgliederbasis – ist gleichzeitig wegen der erkennbaren Normalisierungsnostalgie auch ein großer Negativposten. Verklärende Erinnerung des Staatssozialismus steht neben tagesaktueller Verteidigung des Sozialstaates. Die gesellschaftliche Isolierung der Partei ist nicht allein aufgrund des verbreiteten Anti-Kommunismus, sondern auch aufgrund ihres eigenen Mangels an Offenheit, selbstkritischer Aufarbeitung der Vergangenheit und Dialogfähigkeit beträchtlich. Trotz dieser großen Defizite hat die KSCM durch ihre Existenz als Kraft links der CSSD dazu beigetragen, dass der Abbau des Sozialstaates in der Tschechischen Republik weit langsamer verlief und weniger weitgehend war als in fast allen anderen zentralosteuropäischen Staaten.
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