Sabine Kebir sprach für Z. mit Diether Dehm über ästhetische und philosophische Hintergründe seines Romans „Bella Ciao“[1]
Sabine Kebir: Sie haben einen realistischen historischen Tendenzroman über die oberitalienischen Partisanen im Zweiten Weltkrieg geschrieben. Er ist voller reicher und vielschichtiger Charakterfiguren - wie es Georg Lukács gemocht hätte. Wie kamen Sie zu einer Form, fern von dem, was heute als inhaltlich und literarisch angesagt gilt?
Diether Dehm: Altmodischerweise bin ich ein Freund von Lukács. Der einzige Punkt, der mich an Brecht je geärgert hat, ist, dass er, als er dessen Thron über die Romantheorie beanspruchte, dies mit billigen Polemiken versucht hat. So hat er Lukács Vorhaltungen gemacht, am Beispiel von André Gide, der auf seiner Reise durch die Sowjetunion wegen der Landreform keine ‚bleibenden’ Charaktere mehr gefunden habe. Damit machte er die Konstanz des Charakters, die zumindest für den spätbürgerlichen Roman wichtig war, zu einer Frage kurzfristiger ökonomischer Umwälzungen. Und das ist sie nun wahrlich nicht. Der bleibende Charakter von Menschen wird uns auf dem Weg zum Sozialismus nicht nur im Roman erhalten bleiben, sondern auch in den Klassenkämpfen danach. Wir wissen um die Zeit verkürzende und Zeit verlängernde Funktion großer bzw. kleiner Charaktere. Wir umhüllen das schamvoll mit dem Begriff Charisma oder Ausstrahlung. Nein, ich glaube, dass die Analyse von Lukács etwa in bezug auf seinen Lieblingsautor Tolstoi richtig war – das hatten auch Rosa Luxemburg und Lenin schon so gesehen. Der Charakter, diese Nahtstelle des historischen Geschehens, verschwindet nicht aus der Geschichte.
Als Brecht 1932 in Moskau war, notierte er in sein Journal: ‚Arbeiter auf Straße in auffallend guter freier Haltung, sehen ganz gut aus, anders als in Europa geschildert, keineswegs hungernd.’[2] Die Veränderungen, die die Umbrüche und allein schon die Alphabetisierung in der Sowjetunion beim einzelnen Menschen hervorgerufen hatten, sollten wir – ohne die durch den Stalinismus erzeugten negativen Seiten zu vergessen – nicht unterschätzen. Tatsächlich war Brecht damals mehr Utopist als Lukàcs. Er war nicht nur gierig danach, Veränderungen zu sehen, sondern auch künstlerische Mittel zu finden, die sie befördern könnten. Seine Ästhetik will die Umbrüche schneller provozieren, als sie durch die Trägheit der Geschichte zustande kommen. Lukàcs’ ästhetische Vorliebe für den bürgerliche Roman erklärt sich vielleicht daraus, daß er schon lange im Moskauer Exil lebte und die retardierende Wirkung, die der Stalinismus auf die Emanzipationsprozesse hatte, deutlicher wahrnahm. Wenn Ihr Roman nun eher in der Form geschrieben ist, wie sie Lukács empfahl, zeigt sich darin natürlich auch unsere spätere historische Erfahrung, daß sich die Geschichte noch langsamer entwickelt als Lukàcs dachte und noch widersprüchlicher, als Brecht vorhersehen konnte.
In der Auseinandersetzung zwischen Lukács und Brecht gibt es einen Satz von letzterem, wonach er eher für das schlechte Neue als für das gute Alte ist. Bei Lukàcs ist es – wenigstens, was die Ästhetik betrifft – umgekehrt.
Ihr Vergleich hinkt, weil Brecht das eindeutig auf den Versuch bezogen hat, im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands den Sozialismus aufzubauen.
Na gut, man soll nicht Hasen mit Gänsen am Futter vergleichen. Allzu viel Avantgardismus in der künstlerischen Form steht aber immer unter Verdacht, allzu sehr auf ein abstraktes Proletariat oder den neuen Menschen zu spekulieren, was Lukàcs klugerweise nicht tat. Auch Brecht empfahl Argwohn gegen eine Welt, die Helden nötig hat. Das gilt auch für den Sozialismus, den müssen wir auch für schlechte Menschen machbar machen. Die werden ja dann nicht einfach von der Erdoberfläche verschwunden sein.
Als Brecht das Ausmaß der faschistischen Gefahr erkannte, machte er erhebliche Abstriche an seiner avantgardistischen Ästhetik. Das Lehrstück ließ er fallen, die Stücke im Exil sind wesentlich traditioneller gebaut – übrigens auch die Figuren, die deutlich mehr persönlichen ‚Charakter’ bekommen. Sie werfen aber jetzt die Frage auf, ob ein Kunstwerk einen ‚positiven Helden’ enthalten müsse. Damit bewegen wir uns eigentlich nicht mehr auf den Spuren von Brecht und Lukàcs. Das war eine ästhetische Forderung der staatsoffiziellen Vulgärform des ‚Sozialistischen Realismus’.
Leider ist das nicht vorbei. Mir ist noch immer zu viel vom neuen Menschen die Rede, den z. B. Che Guevara repräsentiert haben soll. Dass man, um ein neuer Mensch zu werden, darauf hoffen muss, eine Ikone wie Christus zu werden, würde ich nicht zur allgemein gültigen Regel machen. Zu viele sind so in verlorene Kämpfe gejagt worden.
Damit sind wir bei einem Hauptmotiv Ihres Partisanenromans. ‚Patria o muerte’ ist keine romantische Entscheidung, die man beim Frühstücksei treffen sollte.
Ja, der normale Partisan hat Angst davor, totgeschossen zu werden und er hat sogar auch Angst davor, andere tot zu schießen. Er empfindet es als ekelhaft, in den Krieg zu ziehen, weil Krieg etwas Ekelhaftes ist. Aber notgedrungenermaßen tut er es, weil er es als eine Zwangsläufigkeit erkennt. Alles das findet man sehr zugespitzt bei Brechts Die Maßnahme oder Die Gewehre der Frau Carrar. Hier zeigt sich, dass immer ein kleines Schwein in uns lebt. Ich finde, daß Revolution so konzipiert sein muss, dass sie auch mit kleinen Schweinen vorankommt – gegen die großen Sauereien. Deswegen muss sich die Kunst damit befassen, daß die Menschen alte Haltungen mit sich herumschleppen. Das wäre in meinem Roman die Geschichte, dass Renzo, der sogenannte Held, seine spätere Mitkämpferin und Geliebte, zunächst, – als Sohn einer gut situierten Familie, aber buckelig und deswegen mit schwierigem Zugang zum anderen Geschlecht – mit Geld zu einer Sexualhandlung bewegt. Das beschreibe ich als zur Realität gemachte männliche Phantasien. Weibliche Phantasien kommen in meinem Buch naturgemäß zu kurz.
Der Faschismus herrschte in Italien schon ab 1922. Es ist eine Stärke Ihres Romans, dass wir es nicht – wie meist in Romanen über den Faschismus – nur mit eindeutig strukturierten Personen aus den beiden feindlichen Lagern zu tun haben, sondern mit normalen und daher sehr vielschichtigen Leuten, die sich ganz gut kennen, weil sie in einem geographisch begrenzten Raum leben und sich z. B. in dieselbe Frau verliebt haben. Das bringt eine größere menschliche Komplexität in den Roman. Aus dem einen Jugendlichen wird der Partisan mit kommunistischer Tendenz, aus dem anderen der Faschist, der nicht von vornherein ein Idiot oder ein mißratener Charakter war. Pikant ist, dass Renzo, die linke Figur mit der größten politischen Weisheit, aus einem bürgerlichen Elternhaus kommt.
Damit stehe ich gegen den in der Linken verbreiteten Sozialrassismus, der das echte Engagement eng von der ökonomischen Klassenherkunft determiniert denkt. Was humane Empfindungen anbelangt, schiebt sich keine Mauer zwischen die kleinen und mittleren Privilegien. Am Sozialismus zu bauen bedeutet eben auch die große Anstrengung, über den Pisspottrand der eigenen Schicht zu gucken. In meinem Roman geht es auch darum, dass man damals in einem oberitalienischen Tal ohne Zuhilfenahme der militärischen Weltkarte, ohne Kenntnis der Schlachten in Jugoslawien und Griechenland, nicht die kleinste Entscheidung richtig treffen konnte. Es bedurfte der realistischen Abstraktion.
Und die bildungsmäßigen Voraussetzungen hat da eben nur das Bürgersöhnchen Renzo. Es scheint mir übrigens ein weiterer Unterschied ihres Werks gegenüber den üblichen romantischen Partisanenromanen zu sein, dass nicht in der Schlacht vor Ort die eigentliche Entscheidung fällt. Dass es eine Verwicklung von lokalen und internationalen Faktoren gibt, die erkannt und berücksichtigt sein wollen.
Diese Abstraktion ist eine große Anstrengung, zu der nicht immer alle fähig sind und die Linke hat auch nicht immer genügend Lust an diesen abstrakten Widersprüchen. Dass so viele Kleinbürger in Deutschland zur SA übergingen ist auch eine Schuld der KPD und der SPD. Deren Intellektuelle – Parteiführer sind Intellektuelle – haben durchaus eine Mitschuld daran, dass so viele politisch weniger gebildete Menschen zur Manövriermasse der Rechten wurden. Die Spaltung verwirrte. Und bei ihren „sowjetdeutschen“ Verletzungen des Nationalgefühls der sogenannten kleinen Leute ist der Faschismus immer zur Stelle, wie Anna Seghers notierte.
Ja, es mangelte der Linken an der Fähigkeit, eine Kultur des komplexen politischen Denkens zu verbreiten, die aber im Zeitalter des allgemeinen Wahlrechts notwendig ist, um rechte oder auch linke Populisten zu stoppen. Renzo hat Kontakt- und Informationsmöglichkeiten zu einem KPI-Stützpunkt in Mailand und zu den Engländern in Locarno in der Schweiz. Letztere hatten in Aussicht gestellt, die Partisanen durch den Bau einer Fluglandebahn in ihrem Gebiet zu unterstützen. Sie wollten sie mit diesem Versprechen aber nur zu waghalsigen Kämpfen anregen, damit sie sich ausbluten und im Nachkriegsitalien keine große Rolle mehr spielen. Im Gegensatz zu Giuseppe und zur radikaleren Fraktion der Partisanen, erkennt Renzo die Fallstricke. Mit dem Grundtenor, dass die Radikalsten nicht immer die Besten sind, hebt sich Ihr Werk von gängigen Partisanenromanen ab. Sie beschreiben dagegen, dass auch ein Rückzug, auch das Ausweichen vor dem Kampf richtig und sogar eine heldenhafte Tat sein kann. Die berühmte Parallele wäre der Frieden von Brest-Litowsk.
Leider verherrlichen wir Gegenbilder in Liedern: „Auf, auf zum Kampf, zum Kampf, zum Kampf sind wir geboren“ und „Es steht ein Mann so fest wie eine Eiche / Er hat gewiss schon manchen Sturm erlebt / Vielleicht ist er schon morgen eine Leiche / Wie es so vielen Freiheitskämpfern geht“. Da wird angespielt auf den Spartacus-Aufstand im Zeitungsviertel, in den die Leute hineingejagt wurden, obwohl man eigentlich hätte wissen müssen, dass er nicht zu gewinnen war. Und das wurde dann später in der DDR verherrlicht, ohne zu sagen, dass es Alternativen gab. Man durfte nicht auf den Räteaufstand bauen, als die Rätemacht bereits gescheitert war und eine Nationalversammlung nötig gewesen wäre. Rosa Luxemburg und Paul Levi hatten das erkannt, konnten sich aber nicht durchsetzen und bezahlten mit dem Leben. Wir müssen die Leninsche und die Brechtsche Logik favorisieren, d. h. eine bessere Welt schaffen, ohne dass dabei Helden nötig sind. Wir müssen Strategien entwickeln, die mit den vorhandenen Menschen das nächste Ziel erreichen, auch das nächste bessere Glück. In meinem Roman geht es über lange Strecken um die Frage, ob in der ‚befreiten Zone’ Ossolatal eine antifaschistische Republik gegründet werden soll oder ob es – angesichts der noch gar nicht geklärten geomilitärischen Situation und der von manchen zu Recht befürchteten antinazistischen und antikommunistischen Doppelstrategie der Engländer in Norditalien – nicht besser sei, die gefährdeten Menschen nicht ständig kämpfen zu lassen, sondern sie in Sicherheit zu bringen. Es ging um Zigtausende …
… die aktiv bei den Partisanen waren?
Aktive Partisanen waren nur drei- bis viertausend Leute. Aber es sind so viele Menschen begeistert auf dieses Projekt eingestiegen, die gerieten mit dem Projekt Partisanenrepublik alle in den Gefahrenbereich, obwohl der Rachefeldzug im Oktober ‘44 dann nicht so stattfand.
Vielleicht weil auch die faschistische Seite die militärische Gesamtkonstellation als zu unsicher ansah?
So ist es, nicht aus Humanismus. Sie wussten, dass die Verhältnisse zu offen, zu unübersichtlich für sie waren, der starke Staat stand nicht mehr hinter ihnen. Die faschistischen Mörder sind ja deswegen besonders ekelerregend, weil sie ihre Morde immer nur mit dem starken Staat im Rücken vollzogen haben. Das ist der Unterschied zu dem einfachen Mörder, der weiß: er hat den Staat gegen sich. Aber diese mehr als zwanzigtausend Leute, die dann über einen verschneiten Pass im Winter aus dem Ossolatal in die Schweiz fliehen mußten, waren ohne Plan B, denn die Schweiz war praktisch eine pro-deutsche Militärdiktatur. Sie kamen dort in Lager, hatten nur ihr Leben gerettet.
Mit Renzo habne Sie nicht nur eine Figur geschaffen, die intellektuell die Anforderungen der schwierigen Zeit erfüllt. Er kämpft auch mit der Kunst.
Renzo beschäftigt sich nicht nur mit dem Marxismus, sondern mit den großen Schriftstellern seiner Zeit und er versucht, den Leuten seiner Umgebung davon etwas weiter zu geben. Seine Feindschaft zu dem Faschisten Attila, den er von Jugend auf kennt und mit dem er nicht immer auf so schlechtem Fuße stand, erlangt ihre Entschiedenheit aus einer Kultur heraus, die Renzo nicht in die Wiege gelegt wurde, sondern die er sich angeeignet hat.
Und die er selbst weiter verbreiten will, u.a. mit seinen Liedern. Tatsächlich verkörpert Renzo schon den Beginn der großen und komplexen Kultur des Antifaschismus, die Italien dann für mehrere Jahrzehnte stark prägen sollte. An dieser Stelle muß ich aber doch etwas Kritik anbringen: Renzos mehrfache Verweise auf Gramscis Lehren sind für die Kriegsjahre völlig unrealistisch. Von Gramsci gab es damals kein einziges Buch. Die Artikel, die er bis zu seiner Verhaftung 1926 verfasst hatte, waren damals nur vergilbtes Zeitungspapier.
Aber Togliatti hat mit ihm gesprochen.
Nur über einen Mittelsmann. Der letzte persönliche Kontakt war Mitte der zwanziger Jahre gewesen. Damals schätzten beide die Konsequenzen, die aus dem Kampf von Stalinisten und Trotzkisten zu ziehen waren, gegensätzlich ein. In dem Roman hätte Gramsci nur als Märtyrermythos auftauchen sollen.
Aber ich bleibe dabei, daß Togliatti Gramscis konsequenter Schüler war.
Ja, das ist unbedingt richtig, entgegen allen anderen Behauptungen. Er hatte ja auch bereits im sowjetischen Exil die aus dem Gefängnis geschmuggelten Hefte Gramscis in Verwahrung und selbstverständlich auch gelesen. Aber außer ihm kannte sie keiner.
Jedenfalls gehört auch Togliatti neben Dimitroff zu den ganz großen Intellektuellen der Kommunisten. Er verstand es nicht nur, in der Komintern richtige Linien durchzusetzen, sondern er war auch nach seiner Rückkehr alles andere als ein Populist. Eingedenk der Verträge von Jalta, die die Einflusssphären der Siegermächte festlegten, enttäuschte er 1944 mit seiner berühmten Rede von Salerno die Hoffungen vieler nicht nur innerhalb der KPI auf eine rasche Revolution.
Damit ersparte er ihnen die Wiederholung der griechischen Tragödie und legte die Grundlage für eine lange parlamentarische Entwicklung einer linken Partei, die historisch neu und wichtig war. Der Rückzieher, den die Partisanen im Ossolatal – realiter und in Ihrem Roman – hinsichtlich der Gründung ihrer Republik machten, liegt auf der Ebene der ‚Wende von Salerno’.
Intellektuelle müssen, wie Renzo, den Mut haben, auch fest gegen Massenstimmungen aufzutreten. Das kann schnell tragisch werden. Seine intellektuelle Aufrichtigkeit treibt Renzo in die Isolation, er verliert damit sogar die Frau, die er liebt. Das geht ja soweit, dass ihm ein Priestermord angedichtet wird. Eine Zeit lang sind alle, Faschisten wie Partisanenführung, heilfroh, dass man den Querulanten Renzo mit diesem Rufmordgerücht los ist. Und die Ablehnung, die Renzo erfährt, kränkt seine ganze kleinbürgerliche Eitelkeit.
Wie hält Renzo durch?
Ein einziger Freund ist da, in den Bergen oben, dieser Schmuggler, der ihn ja wirklich mütterlich betreut in der Zeit. Außerdem ist seine Kunst da, seine Lieder, von denen er weiß, dass sie weiter gesungen werden.
Von denen im einzelnen nicht bekannt ist, ob alle von ihm sind.
Er ist, was man einen wirklichen Volkskünstler nennen würde. Also das Lied ‚Bella ciao’ kommt von den Reisarbeiterinnen. Die Melodie stammt wahrscheinlich sogar aus Frankreich. Es gibt viele Versionen. Eine ist von Renzo.
Aber das Größte an ihm ist, dass er in einer Situation, in der er seine Erkenntnisse über die weltpolitischen Balancen nicht in die politische Praxis umsetzen kann, sich nicht scheut, die Isolation auf sich zu nehmen.
Ja, er geht seinen Weg in die Isolation, nachdem er sich so viel Mühe gegeben hat und trotz seines Buckels und seiner Verkrüppelung schießen und Hügel hinaufrennen gelernt hat. Er tut ja alles, was man so als Kleinbürger und Intellektueller tut, um von der Arbeiterbewegung als authentischer Kumpel anerkannt zu werden. Ich glaube, dass es auch bei den großen Aufgaben, die die Linke heute zu bewältigen hat, nötig sein kann, Isolation in Kauf zu nehmen, wie auch Wahlniederlagen. Ich ahne auch, dass ich meinen Erfolg, meinen persönlichen Erfolg, der Tatsache verdanke, dass ich der Isolation und dem Misserfolg nicht aus dem Weg gegangen bin. Im Roman gibt es eine Stelle, da sind die Partisanen – vor ihrem großen Sieg, der Hinrichtung Mussolinis – den ganzen Winter ‘44/‘45 völlig zurückgeworfen. Alle ihre Erfolge und ihre Euphorie sind verbraucht. Sie sind nur noch damit beschäftigt, die letzten Opfer der Schlacht so gering wie möglich zu halten. Renzo muss zuschauen, wie sein Kind ertränkt wird. Er kann nicht eingreifen, weil er damit weitere Opfer verursachen würde.
So etwas wird in der Lokalität, wo das stattfindet, dann auch nicht vergessen.
Ja, viele Dinge, die die italienischen Kommunisten in dieser Zeit gemacht haben, waren von dieser Qualität und wie in einem lebendigen Museum zu studieren.
Sie haben das Material für Ihren Roman an ihrem langjährigen Urlaubsort am Lago Maggiore zusammengetragen. Inwieweit ist er historisch?
Als ich anfing, habe ich mich ausschließlich auf die Berichte der alten Partisanen gestützt, die ich dort besucht und interviewt habe. Die Kenntnis der italienischen Geschichte und die Theorie kamen erst später dazu. Ich weiß, dass ich dem einen oder anderen Partisanen Unrecht tue, zum Beispiel einem gewissen Superti. Die Partisanen, mit denen ich zusammen war und auch der, aus dem ich dann die Figur des Renzo aufbaute, haben sehr über ihn geschimpft. Was ich dann später über Superti gelesen habe, war so schlecht nicht. Also für jedes Detail will ich nicht die Hand ins Feuer legen.
Es geht ja auch nicht darum, getreue Personen zu schaffen, sondern um Grundlinien.
Einer der größten Kenner des italienischen Widerstandes, Gerhard Feldbauer, hat jetzt in ‚Ossietzky’ eine lobende Kritik des Romans geschrieben und auch viele Dinge, die ich dort in Metaphern und Chiffren gefasst habe, als richtig, realistisch und historisch anerkannt. Historisch ist auch, dass die Gruppe, über die ich schrieb, zu der Eliteeinheit gehört hat unter den Partisanen, die Mussolini festnehmen und hinrichten durften. Mit der Frage, ob es denn überhaupt richtig war, Mussolini hinzurichten – einer Debatte, die bis in die ‚Unita’ gegangen ist und ein Vorbote der Sozialdemokratisierung und des Geschichtsrevisionismus des PCI wurde – wird man sich noch lange auseinandersetzen müssen. Viele Dokumente weisen darauf hin, dass Churchill Mussolini schon Milde zugesagt hatte. Man hat ihn ja nur wenige Kilometer vor der Schweizer Grenze abgefangen. Beinahe wäre er davon gekommen. Der britische Geheimdienst hat diese Dokumente versucht zu vernichten.
Er wäre dann internationaler Gefangener der Alliierten geworden?
Ich glaube sie hatten es mit der Schweiz abgesprochen. Die Schweiz hätte ihn in der entscheidenden Phase nicht ausgeliefert. Wir wissen ja, dass Churchill über den Krankheitszustand von Roosevelt bestens informiert war und darüber, dass Truman, der Antikommunist, bald der Nachfolger werden würde.
Aber hätte es nicht einen Nürnberger Prozess in Italien gegeben?
Es war doch äußerst bedeutsam, dass die Partisanenbewegung dem zuvor gekommen ist. Die deutsche Linke würde heute viel darum geben, wäre Hitler nicht von eigener Hand, sondern durch sie umgekommen. Für Italien war es wichtig, dass die Partisanen durch den Aufstand gegen die deutschen und die eigenen Faschisten die Ehre der Nation wieder hergestellt haben. Mit diesem Gepäck wurde ein neues Italien aufgebaut, in dem – trotz aller Probleme – bis zum heutigen Tag die Linke aus dem Geschehen nicht wegzudenken ist.
Der Roman enthält einen interessanten Komplex Geschlechterbeziehungen, der natürlich quer zur politischen Handlung steht. Renzo bleibt an die Frau gefesselt, die er als Halbwüchsiger ‚gekauft’ hatte, die später seine Geliebte wird. Vielleicht spielt auch diese Liebe eine Rolle, als er beginnt, sich der ‚Unterklasse’ anzunähern. Die Frau erweist sich von Anbeginn an als eigenständige Persönlichkeit, die sich erotisch und politisch nur zeitweise für ihn entscheidet. Das ist aus meiner Sicht ein interessantes Bild von Liebesbeziehungen.
So versucht der Kleinbürger Renzo in der Arbeiterklasse anzukommen. Und da beides natürlich immer auch mit Sinnlichkeit unterfüttert ist, d. h. es hängt ja immer davon ab, von wem man geliebt werden möchte, ist seine Liebe natürlich auch die Liebe zu einer Frau, die dieses ganze Ungestüme des werktätigen Volks verkörpert. Dies ist nicht nur ein biologisch-sexueller Trieb, den man Männern heutzutage modisch feministisch als Primärantrieb andichtet, sondern es ist durchaus Liebe. Man kann sich Lust als Schiff vorstellen, meinetwegen ist der Diesel für den Motor das Testosteron oder das Östrogen, aber das Steuerrad gehorcht auch anderen Prinzipien. Also für ihn ist diese Frau nicht nur schön und sexuell begehrenswert, sondern sie soll ihn auch mitnehmen auf seiner beschwerlichen Reise vom Kleinbürgertum ins Herz der Arbeitsklasse. Es geht dabei nicht nur um drei Kubikzentimeter Ejakulat.
Am Anfang zeigen Sie die beiden Personen als alte Leute. Entspricht dies auch der Realität und wie haben sie später zueinander gestanden, in der Zeit nach dem Ende des Romans?
Die Vorlage für Renzo ist Mario Muneghina, das ist einer der Kommandanten der Partisanen, mit dem ich viel zusammen war und der mich auch sehr beeindruckt hat. Er war nicht richtig buckelig, aber sehr klein, war also nicht drahtig wie Arca oder wie andere Partisanenkommandanten, die ich später kennengelernt habe, die auch im hohen Alter noch recht athletisch laufen konnten. Und er hatte noch eine Liebes- oder Freundschaftsbeziehung, die funktionierte mit leichtem Spott wie bei einem alten Ehepaar, obwohl sie nicht zusammengelebt haben. Man hat gemerkt, da war mal was und man ist sich eigentlich in tiefem Vertrauen, in gewisser Weise: verfallen.
War die Frau auch bei den Partisanen gewesen?
Ja, ohne dass ich näheres davon weiß. Ich wollte die beiden aber auch kennenlernen, weil mir ihre Art des gegenseitigen Respekts imponierte. Da gab es auch Witz und Selbstironie, man wusste alles voneinander, eine Liebesbeziehung, wie ich sie mir eigentlich wünsche, wenn ich alt bin.
Was mir im Roman nicht richtig eingeleuchtet hat, war die Entwicklung von Margret, der typischen Tochter des englischen Befehlshabers, der von der Schweiz aus die Entwicklung in Norditalien zu steuern versucht. Sie kommt wohl aus Abenteuerlust in das Partisanengebiet und geht schnell zu den Partisanen über. Ich sehe da keine rechte Figurenlogik.
Einer der Partisanen brachte mich zu einem Friedhof, da war ein Grabstein für eine Engländerin. Er sagte mir, dass sie bei den Partisanen mitgekämpft hatte und aus einem bürgerlichen Haus kam. Margret im Roman ist zu Tode gelangweilt von den Offizieren, die ihr in der Kommandozentrale ihres Vaters in Locarno den Hof machen. Sie verliebt sich ja nicht in vordergründigem Sinn in Renzo und folgt ihm einfach. Das ist keine Liebesgeschichte, wo eine Frau für den Mann alles auf sich nimmt. Sie entdeckt plötzlich ein Gegenstück zu der Welt, in der sie groß geworden ist, und das ist für sie ungeheuer anziehend. Das heißt, wenn wir unseren Teil der Welt so organisieren, dass unsere Kultur für andere anziehend wird – die sich bislang nur mit Geschäftsordnungs- und Finanzdebatten langweilen – dann können wir auch Außenstehende in unsere Bewegung hineinziehen und zwar dauerhaft, selbst wenn die Aufgaben groß und die Zeiten hart werden. Also Margret gehört zu denen, die es ja auch gab, die sich von den Engländern und ihrer niederträchtigen Strategie losgesagt haben, die Partisanen in sinnlosen Scharmützeln aufzureiben. Das ist übrigens historisch: es gab wirklich Spione der Partisanen bei den Engländern und umgekehrt.
Sie sprechen damit aber meinen zweiten Vorbehalt gegen die Figur an: die Partisanen hätten sich vor ihr schützen, sie hätten sie als potentielle Spionin abweisen müssen!
Die sind oft froh gewesen um jeden, der kam. Die haben aus aller Herren Länder dort Mitkämpfende gehabt: aus Georgien, natürlich Spanien, Frankreich, England, Deutschland. Und da ging es oft nach spontanem Eindruck der Capitani. Natürlich ist auch viel durchgerutscht dabei.
Ich sehe auch das Problem, dass in wirklichen Partisanenbewegungen erotische Beziehungen tabu sind.
Die finden ja auch ganz wenig statt.
Mir ist das als Grundregel bekannt, sowohl bei Che Guevara als auch im algerischen Unabhängigkeitskampf. Man muss jede zusätzliche Eifersüchtelei in den Gruppen von vornherein unterbinden. Natürlich wird auch diese eiserne Regel mal durchbrochen. Aber im Roman sieht man diese eiserne Regel nicht, da gibt es mehrere interessante Liebeskonflikte. Vom militärischen Standpunkt ist schwer vorstellbar, daß Anna z. B. ohne weiteres zwischen dem Zelt von Renzo und Giuseppe pendelte.
Also völlig ausgeschlossen ist so etwas nie, besonders bei Widerstandsgruppen, die aus lokalen Zusammenhängen entstanden sind und sich lange kennen wie Anna und Renzo. Es kam zum Bruch, später wird die Liebesbeziehung wieder aufgegriffen. Und es gibt auch eine Anziehung zwischen Margret und Giuseppe, von der aber nicht gesagt wird, was das für ein Zusammensein ist. Ich versuche ja auch zu zeigen, daß die Solidarität zwischen Renzo und Giuseppe nicht daran zerbricht, daß immer wieder dieselben Frauen zwischen ihnen stehen. Die politischen Meinungsverschiedenheiten sind schwerwiegender, führen jedoch auch nicht zum persönlichen Konflikt. Aber Giuseppe, ein sehr mutiger, sehr gradliniger Mann aus dem Volk, verschließt sich dem intellektuellen Firlefanz von Renzo, den er als typisch kleinbürgerlich empfindet. Trotz allem haben beide Männer eine Zuneigung füreinander, die auch erotische Züge trägt. Beide machen Fehler. Aber beide zusammen sind schwer zu besiegen.
[1] Diether Dehm: Bella ciao. Das Neue Berlin, 2007, 396 Seiten , 19,90 Euro.
[2] Bertolt Brecht, Große Berliner und Frankfurter Ausgabe, Bd. 26, S. 297.