Berichte

Marx an die Uni – Die Linke will bundesweit Das Kapital lesen

September 2008

Die Linke.SDS, der neue Studierendenverband, der der Partei DIE LINKE. nahesteht, will Marx zurück an die Uni bringen – und auch an die Fachhochschule. Daher starten wir die Kampagne „Das Kapital lesen! – Für eine neue ‚Kapital’-Lesebewegung“. Mit Beginn des Wintersemesters im Oktober 2008 wollen wir in möglichst vielen Städten Kapitallesekreise organisieren. Momentan sind es 30 Gruppen, die sich daran beteiligen möchten, den ersten Band in einem Jahr zu lesen.

Wir starten dieses Projekt in einer Zeit, in der der akademische Mainstream in Deutschland Marx zu einer Fußnote der Geschichte reduzieren will. Bis auf wenige Ausnahmen werden die letzten marxistischen Lehrstühle gestrichen oder mit neo-liberalen Dozenten besetzt. Während kritische Wissenschaft aus der offiziellen Lehre verdrängt wird, steigt der Bedarf danach. Jedes Einführungsseminar zu Marx ist brechend voll, die Verkaufszahlen für das Kapital im Mai haben sich verdreifacht im Vergleich zum Vorjahr – nicht nur wegen Studierender – und in zahlreichen Städten sprießen Kapitallesekreise der verschiedensten Gruppen aus dem Boden.

Der globale Kapitalismus führt zur Rückkehr tiefgreifender sozialer Spaltungen auch in den reichen Industrieländern. Die Erkenntnis, dass der Kapitalismus nichts von seiner oftmals für überwunden erklärten Krisenanfälligkeit verloren hat, macht auch vor den deutschen Hochschulen nicht halt. So kommt es, dass eine wachsende Zahl von Studierenden sich nicht mehr zufrieden geben will mit den Glücksversprechen ihrer Dozenten, dass das freie Spiel der Märkte letztendlich Wohlstand für alle bringen würde.

Eine neue Generation

Zum G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm gingen daher zehntausende Studierende und junge Menschen auf die Straße, um ihre Unzufriedenheit mit dem bestehenden System auszudrücken. In ihrem Kampf gegen Studiengebühren besetzten tausende hessische Studierende Autobahnen und Bahnhöfe. Es gibt das Potential für eine neue Generation von Aktivistinnen und Aktivisten, mit denen wir gemeinsam das theoretische Werkzeug entwickeln wollen, um die heutige Gesellschaft zu verändern. Denn die fundierte Analyse und Kritik des Kapitalismus ist eine zentrale Voraussetzung, um ihn emanzipatorisch zu überwinden. Oder wie Karl Marx es in einem berühmten Zitat formulierte „Radikal sein ist die Sache bei der Wurzel fassen.“

Mit der Idee einer „Kapital“-Lesebewegung schließen wir an eine Tradition an, die ihren Ursprung Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre hat. Jetzt da diese Tradition beginnt, vorsichtig wieder aufzukeimen, wollen wir einen organisierten Beitrag dazu leisten. Dieses Projekt wird von Die Linke.SDS angestoßen und getragen, es soll aber nicht auf sie beschränkt bleiben. Unser Ziel ist es nicht, sich in den Grabenkämpfen vergangener Zeiten einzurichten. Wir wollen mit allen Gruppen, Dozentinnen und Dozenten, Aktivistinnen und Aktivisten zusammenarbeiten, die daran interessiert sind, einen Diskussionsraum zu schaffen, der Platz lässt für verschiedene Interpretationen und „Marxismen“.

Ein Jahr Vorbereitung

Die neo-liberale Umstrukturierung der Hochschulen in Deutschland hat nicht nur den Anteil kritischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den akademischen Strukturen dezimiert. Sie hat auch dazu geführt, dass an vielen Orten keine selbstorganisierten Strukturen mehr vorhanden sind, die uns bereits erfahrenere Leser bereitstellen könnten. Aufgrund des hohen Zeitdrucks im neuen Format des Bachelorstudiums haben Studierende nur noch wenig Zeit und Ressourcen, sich in unabhängigen Seminaren kritische Theorien anzueignen, die über den offiziellen Lehrplan hinausgehen. Aufgrund der auf drei, maximal vier Jahre verkürzten Studienzeiten kommt es zu einer solch starken Fluktuation, dass es schwer wird, lokale Traditionen von Generation zu Generation weiterzugeben. Als Reaktion auf diese Bedingungen hat Die Linke.SDS bereits im Herbst 2007 eine bundesweite Arbeitsgruppe gegründet, die ein Konzept entwickeln sollte, wie sie die Gruppen vor Ort unterstützen und vernetzen kann.

Wir haben drei Wochenendseminare für unsere „Teamerinnen“ und „Teamer“ veranstaltet, die vor Ort die Lesekreise organisieren. Sie werden und sollen nicht alles wissen, aber sie können helfen, die Debatte etwas zu strukturieren. Jedoch konnte nur eine Minderheit der Teamerinnen und Teamer die Seminare überhaupt besuchen. Um ihnen sowie allen weiteren Teilnehmenden eine gewisse Orientierung geben zu können, gibt es einen Reader mit einigen wenigen einführenden Texten, einem Leseplan, einem Glossar und den FAQs (häufig gestellte Fragen). Unsere fünftägige Herbstakademie vom 1. bis 5. Oktober mit dem Titel „Marx neu entdecken“ wird der offizielle Auftakt der Kampagne sein. Sie bietet nochmals einen Einstieg sowohl für zukünftige Teamerinnen und Teamer, als auch alle anderen, bevor die Gruppen vor Ort starten.

Unterstützende Wissenschaftler via Internet

Um jedoch so viele Personen wie möglich zu ermuntern, einen Lesekreis zu gründen, auch wenn sie selber noch keine weitreichenden Kenntnisse haben, brauchen wir mehr. Aus diesem Grund haben wir einige der bekanntesten kritischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gebeten, unser Projekt das gesamte Jahr über zu begleiten.

Zuerst organisieren wir eine Auftakt-Tour der Kampagne mit dem Titel „Marx neu entdecken“. Alle sich beteiligenden Gruppen veranstalten eine große öffentliche Veranstaltung mit einem unserer wissenschaftlichen Unterstützerinnen bzw Unterstützer, um ihren Lesekreis vor Ort bekannt zu machen und mehr Leute zu erreichen.

Des weiteren werden wir als ein zentrales Element auf unserer Homepage ein Forum einrichten, welches von unserer Homepage-Redaktion betreut wird, und in welchem die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Fragen der Lesekreise antworten. Da das Projekt einen pluralen Ansatz hat und nicht bloß eine Interpretationslinie vertreten soll, fordern wir unsere Unterstützerinnen und Unterstützer auf, unterschiedliche Antworten zu geben, die durchaus konkurrieren sollen, aber möglichst nicht auf polemische Weise.

Solch ein Forum (hoffen wir) hat verschiedene Vorteile. Einer davon ist, dass Gruppen ohne erfahrene Teilnehmer eine zusätzliche Hilfe bekommen. Ein weiterer ist, dass die Gruppen nicht nur nebeneinander lernen, sondern auch miteinander. Sie werden sehen, dass andere Gruppen die selben Fragen haben oder dass eine Gruppe ein Problem aufwirft, das andere gar nicht bemerkt haben.

Zusammen lernen

Ein dritter Vorteil des Forums ist, dass wir einen Überblick darüber bekommen, mit welchen Fragen sich die Gruppen tatsächlich beschäftigen. Darauf basierend werden wir im Laufe des Jahres weitere Wochenendseminare für Teamerinnen und Teamer anbieten und eine kleine Konferenz auf halbem Weg im März für alle Teilnehmenden. Am Ende des Jahres wollen wir dann alle Gruppen zu einer großen Auswertungskonferenz zusammenbringen.

Die Konferenz hat zwei Ziele. Zum einen wollen wir Studierende gemeinsam mit deutschen und internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auf den ersten Band zurückzuschauen. Aufbauend auf diesen Kenntnissen macht es dann Sinn, eine Einführung zu geben in die Debatten der verschieden Theorietraditionen.

Zum anderen halten wir es für wichtig, dass es auf der Konferenz auch Veranstaltungen gibt, bei denen ausschließlich Studierende und andere jüngere Teilnehmende miteinander diskutieren. Wir sehen darin einen möglichen ersten Schritt hin zu einer eigenständigen studentischen Theoriearbeit.

Wie wir mit diesem Projekt weitermachen, werden wir zum Ende des Jahres und auf der Auswertungskonferenz diskutieren. Wir werden prüfen, ob wir mit Band II und III weitermachen können und es gleichzeitig schaffen, eine neue Generation von Lesekreisen zu Band I. zu starten, die von unseren Erfahrungen aus dem ersten Jahr profitieren kann.

Wir sind uns sicher, dass wir einem spannenden, hoffentlich auch einsichtsreichen und sicherlich herausforderndem Jahr entgegensehen. Mit diesem Projekt hoffen wir zu einer neuen „Kapital“-Lesebewegung beizutragen, die je nachdem, wie man es betrachtet, noch einmal von vorne anfangen kann und anfangen muss.

***

Wir sind nicht die Ersten, die Marx lesen, und wir wollen nicht die Letzten sein. Daher bitten wir alle, die in unserem Projekt einen Nutzen sehen, uns auch finanziell zu unterstützen.

Für unseren Versuch, durch eine bundesweit organisierte Kampagne möglichst vielen Studierenden unter den heutigen Bedingungen einen neuen Zugang zu Marx zu ermöglichen, sind wir auf weit mehr finanzielle Quellen angewiesen als nur unser eigenes Budget. Davon wird z.B. abhängen, wie gut die Auftakt-Tour für 30 Gruppen organisiert werden kann, wieviel Material wir den Gruppen zur Verfügung stellen können, ob sich die Auswertungskonferenz mit internationalen Gästen organisieren lässt und ob es eine Fortführung dieser Kampagne in den kommenden Jahren geben wird.

Welche Erfahrungen wir machen, wie wir vorankommen (und wofür wir die Spenden einsetzen), darüber informieren wir mit einem 4-wöchigen Newsletter, den alle Interessierten bestellen können. Informationen zu Spendenkonto und Newsletter, teilnehmenden Lesekreisen, sowie aktuelle Neuigkeiten unter www.kapital-lesen.de. Kontakt: info@kapital-lesen.de, 0177/4259730