Der US-Professor William A. Pelz, Institute for the history of the labour movement, Chicago, und der deutsche Professor Axel Fair-Schultz, Staatsuniversität Potsdam, New York, hatten die gute Idee, rund um den 1. Mai 2010 eine internationale Konferenz in Chicago durchzuführen. Am 4. Mai 1886 gab es dort eine große Demonstration gegen Polizei- und Unternehmerwillkür, in die ohne ersichtlichen Grund die Polizei eingriff. Unbekannte, ganz bestimmt keiner der Demonstranten, warfen eine Bombe. Es folgten wilde Schießereien der Polizei und ein mehrwöchiger systematischer Polizeiterror gegen die Chicagoer Arbeiterorganisationen. Vorwiegend deutsche Arbeiter wurden verhaftet und nach einer der dort häufigen Justizpossen zum Tode verurteilt, vier von ihnen öffentlich gehängt, z. T. auf brutale Weise, die anderen später begnadigt. 1889 beschloss der 1. Kongress der II. Internationale, den 1. Mai zum internationalen Feiertag der Werktätigen zu erklären.
Am 1. Mai wurde dieser Geschichte an einem neuen Denkmal am Haymarket Square gedacht, also dem Ursprungsort unseres 1. Mai. Junge und alte Arbeiter, manche Migranten und wir Konferenzgäste nahmen teil. Am Nachmittag gab es eine historische Stadtrundfahrt mit dem Vorsitzenden der Illinois Labour History Society, Larry Spivack, die mit guten Erklärungen an den einzelnen Orten die Geschichte der Industrie und der Arbeiterbewegung lebendig machte. Es war eine heroische und tragische Geschichte harter Klassenkämpfe, in denen der Staatsapparat und die Unternehmer vor nichts zurückschreckten, bewusste Fehlurteile, Hinrichtungen, Spitzelei aller Art, Achtgroschenjungen. Das war ein wichtiger Faktor der Zerstörung einer stolzen Arbeiterbewegung.
Die Konferenz dauerte zweieinhalb Tage. Es nahmen Referenten teil aus folgenden Ländern: Japan, China, Philippinen, USA, Israel, Pakistan, England, Schweden, BRD, Dänemark, Brasilien, Kanada, Österreich. Aus der Bundesrepublik nahmen teil Ottokar Luban und Theodor Bergmann, seitens der internationalen Rosa-Luxemburg-Gesellschaft Prof. Dr. Narihiko Ito.
Es war von den Organisatoren kein Generalthema vorgegeben, was Vor- und Nachteile hat. Das Thema der Konferenz war vielmehr ganz allgemein: A Century of May Days: International Conference Labor and Social Struggles. An den 2 ½ Tagen fanden 30 Workshops und vier Plenarsitzungen statt. Daher konnten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen nur einen kleinen Teil der Referate hören: Einige herausragende Themen der Panels seinen genannt: 1: Dissidenten in USA im 19. und 20. Jahrhundert; 6: Organising for power in der Lagerhäuser- und Logistik-Industrie; 8: Marx, Sozialismus und die Zukunft unserer Kämpfe; 9: Afro-Amerikaner, der Klassenkampf und die US-Arbeiterbewegung; 12: Die Auto-Industrie: Kämpfe der Vergangenheit, Perspektiven; 13: Perspektiven für das 21. Jahrhundert; 17: Arbeiter-Aktivismus im Universitätscampus. Rosa Luxemburg war zentral in zwei Panelen: 2: Der Massenstreik im Denken von Rosa Luxemburg (Referate u. a. von Narihiko Ito, Japan, und Ottokar Luban, BRD); 18: Der Einfluss unorthodoxer Revolutionäre, Rosa Luxemburg und Victor Serge, mit Referaten von Suzi Weissman, Kalifornien, und Lea Haro, Glasgow.
Weitere interessante Themen: 20: Proletarischer Internationalismus im 21. Jahrhundert, 25: Klassenkampf, Marxismus und Geschichte in Zentraleuropa. Lebhaft ging es zu in Panel 4: Arbeiter, Bauern und Klassenkampf im heutigen China. Deng Chao, Beijing, sprach über die Entstehung der neuen chinesischen Arbeiterklasse; Theodor Bergmann, Stuttgart, versuchte eine marxistische Interpretation der zweiten Phase von Deng Xiaopings Neuer Ökonomischer Politik. Die meisten Teilnehmer stellten Fragen und suchten Informationen; ein Maoist allerdings war überzeugt, dort regieren Imperialisten und brutale Ausbeuter, die eines Tages in einer neuen Revolution davongejagt würden. Der chinesische Kollege lächelte erstaunt.
Eine inhaltliche Zusammenfassung ist also unmöglich. Die Konferenz vereinigte US-Labor-Aktivisten und marxistische Forscher, die ansonsten ziemlich getrennt voneinander leben und arbeiten, Sozialisten aus immerhin 13 Ländern, aus den USA Sprecher sehr unterschiedlicher Organisationen und Strömungen – eine Vielfalt, von der wir aus unseren Medien nichts erfahren. Vielleicht war daher das sehr offene Konferenzthema eine gute Idee. Eine Publikation der wichtigsten Referate wäre sehr wünschenswert.
Theodor Bergmann