Hunger und Nahrungsmittelkrise der Dritten Welt

Die globale Nahrungsmittelkrise

Ursachen und Lösungen

Dezember 2008

2008 wurde die Welt von einer akuten Nahrungsmittelkrise ergriffen. Dadurch wurde die Strukturkrise der Agrarwirtschaft verschärft, die schon in der Vergangenheit das Leben von Milliarden Menschen mit Hunger und Unterernährung bedroht hat. Um die furchtbaren Folgen der gegenwärtigen Ereignisse wirklich begreifen zu können, muss man die Wechselwirkung zwischen den langfristigen krisenhaften Trends einerseits und der gegenwärtigen akuten Krise andererseits untersuchen. Beide Krisen sind die Folge der Dominanz der Profitorientierung, der die Erzeugung von Nahrungsmitteln, Textilfasern und jetzt Biotreibstoffen unterliegt. Dies beinhaltet notwendig einen Gegensatz zwischen dem System der Nahrungsmittelproduktion einerseits und den grundlegenden Lebensbedürfnissen der Menschen andererseits.

Der ‚normale’ Hunger vor Ausbruch der akuten Krise

Die UN gehen davon aus, dass von den mehr als 6 Milliarden heute lebender Menschen etwa 1 Milliarde unter chronischem Hunger leidet. Diese Zahl, natürlich nur eine grobe Schätzung, berücksichtigt nicht jene Menschen, die unter Erscheinungen wie dem Mangel an Vitaminen und Spurenelementen und anderen Formen von Fehlernährung leiden. Die Gesamtzahl der Menschen, die unterschiedlichen Ernährungsproblemen wie Unterernährung oder dem Mangel wichtiger Nährstoffe ausgesetzt sind, dürfte eher bei 3 Milliarden liegen – rund die Hälfte der Menschheit. Wie dramatisch die Nahrungsmittelproblematik heute ist, wird am deutlichsten durch jene UN-Schätzung ausgedrückt, der zufolge täglich 18.000 Kinder als direkte oder indirekte Folge von Unter- und Fehlernährung sterben (Associated Press, 18.2.07).

Zu niedrige Nahrungsmittelproduktion ist nur selten die Ursache des Hungers. Das zeigt sich am deutlichsten in den USA, wo trotz Überproduktion von Nahrungsmitteln Hunger weiterhin ein relevantes Problem ist. Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums zufolge lebten 2006 etwa 35 Millionen Amerikaner in durch Mangelernährung bedrohten Haushalten, darunter 13 Millionen Kinder. Wegen fehlender Nahrungsmittel gab es in 12 Millionen Haushalten keine vollständigen Mahlzeiten für die Erwachsenen, in 7 Millionen Haushalten erhielten Familienmitglieder entweder unzureichende Portionen oder ließen Mahlzeiten ausfallen. In fast 5 Millionen Familien erhielten die Kinder zu bestimmten Zeiten des Jahres nicht ausreichend zu essen.

Auch in armen Ländern kann es inmitten verbreiteter und anhaltender Unterernährung durchaus Überfluss und Vergeudung von Nahrungsmitteln geben. Vor einigen Jahren übertitelte die New York Times einen Bericht: „Die Armen Indiens hungern, während überschüssiger Weizen verrottet.“ (2.12.02) Und eine Schlagzeile des Wall Street Journal meldete: „Mangel im Überfluss, ein indisches Paradoxon: Mehr Hunger bei Rekordernten“ (25.6.04).

Kein ‚Recht auf Nahrung’

Hunger und Unterernährung sind aber bloß Symptome eines breiteren Ursachenkomplexes, den Rachel Carson als die Rolle von Armut in einem ökonomischen System beschreibt, das keine anderen Götter als Profite und Wachstum kennt. Nahrungsmittel werden fast überall auf der Welt wie eine beliebige Ware behandelt, wie Kleider, Autos, Bleistifte, Bücher, Schmuck, usw. Und die Menschen haben eben kein verbrieftes Recht auf irgendeine bestimmte Ware, es wird ökonomisch kein Unterschied gemacht zwischen überlebenswichtigen Produkten und Luxusgütern. Wer reich ist, kann alles kaufen, was er will, während sich der Arme nicht einmal die grundlegenden Güter leisten kann. Unter kapitalistischen Bedingungen gibt es kein Recht auf ausgeglichene Ernährung, Unterkunft und medizinische Betreuung. Ohne die erforderliche Kaufkraft können sich Menschen ebenso wenig Nahrungsmittel wie andere Waren kaufen. Mangel an Kaufkraft bedeutet konkret, dass die Armen nicht genug Geld haben, um notwendige Nahrungsmittel zu kaufen.

Menschen haben aber nun einmal einen biologisch determinierten Bedarf an Nahrungsmitteln – wir alle brauchen ebenso sehr Nahrungsmittel wie Wasser und Luft. Dagegen ist es eine durch die Produktionsweise bestimmte Tatsache, dass im Kapitalismus viele von diesem biologischen Minimum ausgeschlossen sind. Zwar ist richtig, dass einige reiche Länder, insbesondere in Europa, den Armen Zugang zu Nahrungsmitteln gewähren; das ändert aber nichts an der der kapitalistischen Produktionsweise inhärenten Tendenz zur Schaffung von Unterschichten, deren grundlegenden Bedürfnisse häufig nicht gedeckt sind. In den USA gibt es zahlreiche Regierungsinitiativen zur Armenspeisung wie Lebensmittelgutscheine oder Schulessen. Die dafür bereitgestellten Mittel reichen aber auch nicht annähernd aus, die entsprechenden Bedürfnisse der Armen zu decken; und die verschiedenen Wohltätigkeitsorganisationen führen einen aussichtslosen Kampf, um dem Mangel abzuhelfen.

Derzeit sterben nur wenige Menschen unmittelbar an Hunger, abgesehen von durch Kriege und Vertreibungen ausgelösten Hungerkatastrophen. Weit verbreitet aber ist eine chronische Unterernährung, die Krankheiten erzeugt, das Leben elend macht und verkürzt. Die Geißel der chronischen Mangelernährung behindert die geistige und körperliche Entwicklung der Kinder und schädigt sie fürs ganze Leben.

Die Krise bricht aus: 2008, das Jahr des Großen Hungers

Derzeit sind, zusätzlich zu der oben dargestellten Situation des ‚normalen’ Hungers, zwei gesonderte globale Nahrungsmittelkrisen zu registrieren, die allerdings gleichzeitig auftreten. Die schwere akute Krise, ausgebrochen vor ungefähr zwei Jahren, sich von Tag zu Tag vertiefend, soll zuerst diskutiert werden. Die Tiefe dieser Krise kann nicht überschätzt werden. Sie hat zu einer raschen Zunahme der Zahl der Unterernährten auf der Welt geführt. Obwohl noch keine aktuellen Statistiken verfügbar sind, die die jüngste Zunahme des Hungers auf der Welt belegen, ist klar, dass viele Menschen vorzeitig sterben oder auf andere Weise geschädigt werden. Wie gewöhnlich sind es vor allem die Jungen, die Alten und die chronisch Kranken, die am meisten unter dem Großen Hunger von 2008 leiden. Der rasche und gleichzeitige Anstieg der Preise für sämtliche Grundnahrungsmittel – Mais, Weizen, Sojabohnen, Reis, Speiseöl – hat, zusammen mit anderen erhöhten Nahrungsmittelpreisen, drastische Auswirkungen auf einen wachsenden Teil der Menschheit.

Anstieg der Weltmarktpreise

Der Anstieg der Weltmarktpreise in den letzten Jahren kommt nicht überraschend. Die Preise der 60 international gehandelten Agrarprodukte sind 2006 um 14 und 2007 um 37 Prozent angestiegen (New York Times, 19.1.08). Der Aufwärtstrend der Maispreise setzte im Frühherbst 2006 ein und führte innerhalb weniger Monate zu Steigerungen um 70 Prozent. Auch die Preise für Weizen und Sojabohnen schnellten empor und erreichten Allzeitrekorde. Ähnlich stark verteuerte sich Speiseöl (Soja- und Palmöl) – ein Grundnahrungsmittel in vielen armen Ländern. Die Preise für Reis verdoppelten sich im letzten Jahr.[1]

Die Ursachen dieser Preissprünge sind klar. Erstens gibt es eine Reihe von Faktoren, die direkt oder indirekt mit dem Anstieg der Rohölpreise verbunden sind. In den USA, in Europa und in vielen anderen Ländern hat dies zu einem verstärken Anbau von Pflanzen zur Herstellung von Biotreibstoffen geführt. Die Verwendung von Mais zur Produktion von Ethanol bzw. von Sojabohnen oder Ölpalmen zur Herstellung von Dieseltreibstoff geht direkt auf Kosten der Erzeugung der entsprechenden Nahrungsmittel. In den USA wurde im letzten Jahr mehr als ein Fünftel der Maisernte in Ethanol umgewandelt – im Übrigen ein Vorgang, bei dem kaum mehr Energie erzeugt als im Umwandlungsprozess benötigt wird.[2] Zudem basieren viele der für die industrielle Landwirtschaft benötigten Inputs auf Erdöl und Erdgas – von der Herstellung und dem Betrieb von Traktoren und Erntemaschinen über die Produktion von Düngemitteln und Pestiziden bis zum Trocknen für die Lagerung. Der Preis von Stickstoffdünger, dem weltweit meist verwendeten chemischen Düngemittel, wird direkt von den Energiekosten bestimmt.

Ein zweiter Grund für den Preisanstieg bei Mais, Soja und Speiseöl hängt mit der steigenden Nachfrage der lateinamerikanischen und asiatischen, speziell chinesischen Mittelklassen nach Fleisch zusammen. Die Verwendung von Mais und Soja als Futtermittel für Rinder, Schweine und Geflügel hat stark zugenommen. Im Jahre 1961 wurden weltweit 71 Millionen Tonnen Fleisch erzeugt. Für 2007 dagegen wird die Fleischproduktion auf 284 Millionen Tonnen geschätzt. Der durchschnittliche Fleischkonsum pro Kopf hat sich in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt. In den Entwicklungsländern erhöhte sich der Verbrauch doppelt so schnell, dort hat er sich allein in den letzten 20 Jahren verdoppelt (New York Times, 4.3.08). Die Verfütterung von Getreide an immer mehr Vieh erhöht den Druck auf die weltweiten Vorräte. Dabei ist die Verwendung von Getreide zur Fleischproduktion eine sehr ineffiziente Weise der Versorgung mit Kalorien und Proteinen. Es ist besonders verschwenderisch bei Rindern – deren Verdauungsapparat Zellulose in Energie umwandeln kann –, weil diese ihren Nährstoffbedarf vollständig mit Gras decken und ohne Getreide aufwachsen könnten, wenn auch langsamer. Rinder sind sehr ineffizient bei der Verwandlung von Mais oder Soja in Fleisch – zur Erzeugung eines Kilos Fleisch benötigen Rinder acht Kilo Mais; Schweine brauchen nur fünf, Hühner drei Kilo (Baron’s, 4.3.08).

Ein dritter Grund für den Aufschwung der Nahrungsmittelpreise ist die Tatsache, dass einige Schlüsselländer, die bislang Selbstversorger waren – d.h. sie importierten keine Nahrungsmittel obwohl viele Menschen hungerten – heute große Mengen von Lebensmitteln einführen. Ein Agrarspezialist aus New Delhi formulierte es so: „Wenn ein Land wie Indien anfängt, Nahrungsmittel zu importieren, dann müssen die Weltmarkpreise steigen. ... Wenn Indien und China sich beide zu großen Importeuren wandeln, während sie vorher wie noch kürzlich Indien Selbstversorger waren, dann ist klar, dass die Weltmarktpreise weiter ansteigen werden, d.h. dass das Zeitalter der billigen Nahrungsmittel endgültig vorbei ist.“ (VOA News, 21.2.08). Ein weiterer Grund für die erhöhten Reispreise ist der Verlust von Anbauflächen, die für andere Zwecke und Entwicklungsvorhaben geopfert wurden – in China gingen so rund 3 Millionen Hektar, in Vietnam 300.000 Hektar Ackerland verloren. Außerdem haben die Reiserträge je Hektar in Asien ein gewisses Niveau erreicht, das nicht weiter gesteigert werden kann. Seit zehn Jahren sind die Hektarerträge nicht mehr angestiegen, und auch für die nähere Zukunft sind keine Ertragssteigerungen mehr zu erwarten (Rice Today, Januar-März 2008).

Ein Teil der jüngsten Preiserhöhungen für Weizen und Reis ist allerdings wetterbedingt. So hat die Trockenheit in Australien, ein großer Weizenexporteur, zusammen mit niedrigen Erträgen einiger anderer Exportländer die Weizenpreise hochgetrieben. 2007 zerstörte ein Taifun in Bangladesh Reisernten im Werte von 600 Millionen Dollar, was den Reispreis um 70 Prozent herauf trieb (The Daily Star, Bangladesh, 11.2.08). Die Trockenheit in Nord-Mittel-China im letzten Jahr, der ein ungewöhnlich kalter und schneereicher Winter folgte, wird die Regierung wahrscheinlich zu größeren Käufen von Nahrungsmitteln auf den internationalen Märkte veranlassen, so dass der Aufwärtsdruck auf die Preise anhalten wird.

Spekulation und Finanzkrise

Ebenso tragen die Spekulation an den Future-Finanzmärkten und spekulatives ‚Hamstern’ auf der lokalen Ebene zur Verschärfung der akuten Krise und zur Verteuerung der Nahrungsmittel bei. Als sich die US-Finanzkrise im Winter 2007/2008 ausbreitete und vertiefte, richtete sich die Aufmerksamkeit der Spekulanten mehr und mehr auf die Rohstoffmärkte, um von dem zu profitieren, was man den „Rohstoff-Zyklus“ nennt. (Der Verfall des Dollars im Verhältnis zu anderen Währungen fördert die Kapitalanlage in international handelbaren Gütern.) Obwohl es falsch wäre, die Rohstoffspekulation – sicherlich menschenfeindlich und verachtenswert – als Ursache der Krise zu betrachten, trägt sie doch zur Vergrößerung des Elends bei, indem sie von der Enge der Märkte profitiert. Es ist sicherlich möglich, dass die spekulative ‚Rohstoffblase’ in der nächsten Zeit platzt[3] und dass es zu einem gewissen Rückfall der Nahrungsmittelpreise kommt. Trotzdem werden Finanzspekulation und spekulatives lokales Horten weiterhin einen Aufwärtsdruck auf die Preise ausüben. Transnationale Konzerne, die landwirtschaftliche Produkte verarbeiten und Nahrungsmittel verkaufen, machen außerordentlich hohe Gewinne. Unternehmensprofite pflegen in Zeiten von Knappheit und steigenden Preisen immer anzusteigen.

Obwohl sicherlich nicht Ursache des Preisanstiegs anderer Lebensmittel, sind die erhöhten Preise für Meeresfisch eine zusätzliche Belastung der armen und armutsgefährdeten Familien. Die Überfischung vieler Arten vernichtet diese für einen großen Teil der Weltbevölkerung wichtige Proteinquelle.

Reaktionen auf die Krise

Reaktionen auf die akute Nahrungsmittelkrise in Form von Demonstrationen, sozialen Unruhen und verändertem Regierungsverhalten sind nicht ausgeblieben. Die rapide gestiegenen Kosten für lebenswichtige Nahrungsmittel haben zu Protesten und sozialen Unruhen in vielen Ländern der Welt geführt, darunter Pakistan, Guinea, Mauretanien, Marokko, Mexiko, Senegal, Usbekistan, Jemen, etc.[4] China hat Preiskontrollen für Grundnahrungsmittel eingeführt, Russland hat einen sechsmonatigen Preisstopp für Milch, Brot, Eier und Speiseöl verfügt. Ägypten, Indien und Vietnam haben den Export von Reis verboten bzw. kontrollieren ihn, um die Ernährung der eigenen Bevölkerung zu sichern. Ägypten, der weltweit größte Weizenimporteur, hat den Kreis der Bürger mit Anrecht auf subventionierte Nahrungsmittel auf 10 Millionen (ein Achtel der Bevölkerung) erweitert. Viele Länder haben Importzölle gesenkt, um die Auswirkungen der gestiegenen internationalen Preise abzufedern. Länder, die besonders stark auf Nahrungsmitteleinfuhren angewiesen sind – wie die Philippinen, der weltweit größte Reisimporteur –, versuchen, sich durch Tauschgeschäfte die benötigten Lebensmittel zu beschaffen. Aber alle diese Versuche, Löcher zu stopfen, haben nur marginale Wirkungen. Die meisten Menschen sind zu einer spürbaren Absenkung ihres Lebensstandards gezwungen; die Mittelschichten müssen zunehmend auf die Kosten ihrer Nahrungsmittelkäufe achten, Menschen in der Nähe der Armutsgrenze fallen unter diese und die Armen verelenden. Alle Bevölkerungsschichten, mit Ausnahme der wirklich Reichen, spüren die Auswirkungen weltweit. Josette Sheeran, Leiterin des Welternährungsprogramms der UN, sagte im Februar 2008: „Die ist das neue Gesicht des Hungers. … In den Regalen stapeln sich Nahrungsmittel, die sich die Leute nicht mehr leisten können. In den Städten gibt es Erscheinungen von Ernährungsunsicherheit, die es vorher nicht gegeben hat. Selbst in Ländern, wo dies vorher unbekannt war, gibt es Brot-Unruhen.“ (The Guardian, 26.2.08)

Obwohl Haiti ohnehin seit Jahren ein extrem armes Land ist – 80 Prozent der Bevölkerung überleben mit weniger als 2 Kaufkraftdollar – hat die akute Nahrungsmittelkrise eine neue Dimension von Verzweifelung geschaffen. Für zwei Tassen Reis, die noch im Vorjahr 30 Cents gekostet hatten, sind heute 60 Cents zu zahlen. Ein Bericht von Associated Press (21.1.08) beschreibt die Lage: „Es ist Mittagszeit in einem von Haitis übelsten Slums; Charlene Dumas isst eine Art Schlamm. Bei steigenden Nahrungsmittelpreisen können sich Haitis Ärmste noch nicht einmal mehr das tägliche Reisgericht leisten; einige treffen verzweifelte Maßnahmen um sich dennoch den Magen zu füllen. Charlene, 16 Jahre, ein Sohn (1 Monat), greift zurück auf ein traditionelles Mittel gegen akuten Hunger: Plätzchen aus getrocknetem Lehm vom Zentralplateau.“ Diese ‚Plätzchen’ enthalten Salz und Gemüsereste. Am Ende des Berichts heißt es: „Marie Noel, 40 Jahre, verkauft Lehm-Plätzchen auf dem Markt, um sich und ihre sieben Kinder durchzubringen. ‚Ich hoffe, dass ich eines Tages genug zu Essen haben werde, so dass ich mit diesem Zeug aufhören kann’, sagt sie. ‚Ich weiß, dass es nicht gesund ist’.“

Viele Länder Afrikas und Asiens wurden von dieser akuten Krise erfasst, der Hunger breitet sich weiter aus. Mehr oder weniger starke Auswirkungen aber sind in allen Ländern spürbar. Selbst in den USA, wo sich die Preise vieler Nahrungsmittel deutlich erhöhten – Eier um 38, Milch um 30, Salat um 16, Brot um 12 Prozent –, weichen viele Konsumenten auf billigere Nahrungsmittel aus. „Steigende Lebensmittelpreise beginnen die Verbraucher zu drücken“, titelte das Wall Street Journal (3.1.08).

Allerdings sollte man im Hinterkopf behalten, dass die Weizenpreise zwar auf Rekordhöhe liegen und Weizenprodukte sich in den USA weiter verteuern dürften, dass aber nur ein sehr kleiner Teil des Endpreises von Brot auf die Kosten des Rohstoffs entfällt. Wenn sich die Weizenpreise verdoppeln – wie geschehen –, so beläuft sich der Kosteneffekt nur auf etwa 10 Prozent des Brotpreises; dieser dürfte sich von 3 US-Dollar auf vielleicht 3,30 US-Dollar erhöhen. Verheerende Wirkungen haben die Preiserhöhungen für Mais, Weizen, Sojabohnen und Reis dagegen für die Armen in den Entwicklungsländern, die meist direkt die Rohprodukte kaufen.

Mit dem Ansturm auf Armenspeisungen und Suppenküchen vergrößern sich die Leiden der Armen in den USA. Die Armen müssen zunächst die Miete, Benzin (um mit dem Auto zur Arbeit fahren zu können) und die Stromrechnung bezahlen. Ernährung ist einer der wenigen ‚flexiblen’ Posten im Haushaltsbudget. In meinem Heimatstaat, Vermont, hat der Rückgriff auf Nahrungsmittelhilfe (Gratis-Nahrungsmittel, die von lokalen Wohltätigkeitsorganisationen an Bedürftige verteilt werden) im letzten Jahr durchschnittlich um 133 Prozent zugenommen, um 180 Prozent bei den ‚working poor’.[5]

Anzeichen einer Rezession machen sich in vielen Teilen der USA bemerkbar, die Nachfrage nach Leistungen der verschiedenen Nahrungsmittelprogramme der Regierung nimmt beschleunigt zu.[6] Aber angesichts der unzureichenden Finanzierung der Regierungsprogramme gehen den Bedürftigen oft schon weit vor Monatsende die Lebensmittel aus, so dass die Nachfrage nach Gratis-Nahrungsmitteln und Suppenküchen der Wohltätigkeitsorganisationen in den letzten Tagen des Monats rapide zunimmt. Aber während die Nachfrage wächst, geht der Umfang der Lebensmittelspenden zurück – was vor allem für die staatliche Hilfe zutrifft: Bei steigenden Preisen gibt es weniger ‚überschüssige’ Farmprodukte aus den staatlichen Stützungsprogrammen. 2007 belief sich der Wert der Nahrungsmittelspenden noch auf 58 Millionen US-Dollar, gegenüber 242 Millionen von fünf Jahren.

Supermärkte haben Wege gefunden, um beschädigte oder fast abgelaufene Lebensmittel, die man früher an Wohltätigkeitsorganisationen verschenkt hatte, zu Geld zu machen. So konnte z.B. in Connecticut das Angebot nicht mit der steigenden Nachfrage nach Gratis-Nahrungsmitteln Schritt halten. Eine ‚Tafel’ in Stamford muss heute 400 Familien versorgen, doppelt so viel wie im Vorjahr. Der Organisator: „Wir müssen heute Bedürftige abweisen. … Es gab Tage, an denen ich nur noch weinen konnte.“ (New York Times, 23.12.07) Ein Professor der Cornell Universität, der über Nahrungsmittelprogramme in den USA arbeitet, fasst die Situation folgendermaßen zusammen: „Da baut sich allmählich eine Krise auf. … Der Bedarf an Nahrungsmittelhilfe wächst rapide, während die Mittel dramatisch zurückgehen; die Finanzierung reicht schlicht nicht mehr.“ (Wall Street Journal, 20.3.08)

Die strukturelle Nahrungsmittelkrise

So kritisch auch die akute Krise ist – die sofortige Antworten sowohl global als auch in den einzelnen Ländern erfordert –, so ist doch die langfristige, strukturelle Nahrungsmittelkrise wichtiger. Diese gibt es schon seit Jahrzehnten, sie verflicht sich heute mit der akuten Krise und wird durch diese verschärft. Tatsächlich ist die strukturelle Nahrungsmittel- und Agrarkrise der Dritten Welt die wirkliche Ursache für die Tiefe der akuten Krisenerscheinungen und gleichzeitig der Grund, warum deren Lösung im Rahmen des bestehenden Systems so kompliziert ist.

Landflucht in die Städte

Ein Element ist die gewaltige Landflucht in die Städte der Dritten Welt. Menschen verlassen das Land, weil sie keinen Zugang zu Ackerland mehr haben. Oft wird kleinbäuerliches Land schlicht zugunsten von Vorhaben des Agrobusiness gestohlen; andererseits wurden Kleinbauern durch historisch niedrige Verkaufspreise vom Land vertrieben, das Überleben der Familien war bedroht. Die Bauern wandern ab in die Städte auf der Suche nach einem besseren Leben und finden auch dort harte Existenzbedingungen – Leben in Slums, hohe Arbeitslosigkeit bzw. extreme Unterbeschäftigung. Die meisten suchen das Überleben im ‚informellen’ Sektor, oft im Kleinhandel. Von den drei Milliarden Menschen, die in Städten leben (die Hälfte der Menschheit), vegetiert eine Milliarde in Slums. Der Vorsitzende eine Stadtbezirks in Lagos/Nigeria beschreibt das Leben so: „Wir sehen uns einem massiven Bevölkerungszuwachs gegenüber, während die Wirtschaft stagniert oder schrumpft. Malen sie sich das Leben in dieser Stadt aus in zehn oder zwanzig Jahren. Wir haben es nicht mit städtischer Armut, sondern mit absoluter Verelendung zu tun.“ Die Beschreibung von Lagos im New Yorker schließt mit einem äußerst pessimistischen Ausblick: „Verstörend ist die Tatsache, dass das Leben der Müllsammler und Kleinsthändler von Lagos mit dem unseren absolut nichts zu tun hat. Sie kratzen mühselig ihre Existenz aus dem Abfall, jenseits jeder makroökonomischen Relevanz. Sie sind, im harten Sprachgebrauch der Globalökonomie, im vollen Wortsinn überflüssig.“ (13.11.06).

Neoliberale Rezepte

Einer der wichtigsten Faktoren, der die anhaltende Massenflucht in die Städte fördert – neben Landlosigkeit und Landvertreibung – ist die Schwierigkeit, als Kleinbauer zu überleben. Dies wurde extrem schwierig, als Länder dazu übergingen, die von IWF, Weltbank und selbst einigen Nicht-Regierungsorganisationen des Westens empfohlenen bzw. aufgezwungenen ‚neoliberalen’ Rezepte anzuwenden. Der neoliberalen Ideologie zufolge sollte dadurch den Märkten erlaubt werden, ihre wundersamen Wirkungen frei zu entfalten. Das wohltätige Walten der ‚unsichtbaren Hand’ des Marktes würde eine hoch effiziente und produktive Wirtschaft gewährleisten. Die Regierungen müssten bloß ihre Einmischung beenden.

In der Landwirtschaft sollten die Regierungen die Subventionierung landwirtschaftlicher Inputs aufgeben, die staatlichen Interventionen in Transport und Lagerung von Nahrungsmitteln stoppen und die Bauern und Nahrungsmittelmärkte einfach in Ruhe lassen. Im Rahmen dieses Ansatzes sollte ebenfalls die Subventionierung von Grundnahrungsmitteln für Arme beendet werden; die so entfesselten Märkte würden es richten. Diese Mentalität zeigte sich in Reinkultur am Beginn der Nahrungsmittelkrise in Haiti gegen Ende 2007. Der Handels- und Industrieminister Haitis: „Wir können nicht intervenieren und Preisstopps verfügen, weil wir die Regeln freier Märkte zu respektieren haben.“ (Nachrichtenagentur Reuters, 9.12.07) So reagierte schon das koloniale Großbritannien auf die Irische Kartoffelkrise und auf die Hungersnöte in Indien gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

Heute aber haben viele Führer der ‚unabhängigen’ Länder der Peripherie diese Denkweise verinnerlicht. Diese Ideologie hat natürlich mit der Wirklichkeit nichts zu tun – der so genannte freie Markt ist keineswegs notwendigerweise effizient. Sein Mechanismus ist nicht in der Lage, Armut und Hunger zu überwinden. Wir sollten uns immer bewusst bleiben, dass die Ideologie des freien Marktes das exakte Gegenteil von dem ist, was die entwickelten kapitalistischen Länder historisch praktiziert haben, um reich zu werden und was sie heute noch immer tun. So unterstützt die US-Regierung ihre Farmer seit hundert Jahren in jeder Weise. Dazu gehören Regierungsprogramme für Forschung und Beratung, Landraub an den Ureinwohnern zugunsten der europäischstämmigen Farmer und die direkte Unterstützung der Farmen durch eine Vielzahl von Programmen wie günstige Kredite und Exportsubventionen. Es ist ebenso eine Tatsache, dass die industrielle Entwicklung der USA, Europas und Japans unter dem Schutz von Protektionismus und mit Hilfe vielfältiger direkter staatlicher Förderprogramme erfolgte.

Die Abschaffung von Subventionen und Unterstützungsmaßnahmen zugunsten von Kleinbauern und Konsumenten durch Regierungen der Entwicklungsländer hat das Leben der Armen dieser Länder nur erschwert. Ein unabhängiger Bericht im Auftrag der Weltbank stellt fest: „In den meisten Ländern der neoliberalen Reformen konnte der Privatsektor die durch den Rückzug des Staates entstandenen Lücken nicht füllen.“ (New York Times, 15.10.07) So schafften viele afrikanische Länder unter dem Druck von Weltbank, IWF und reichen Ländern des Zentrums die Subventionierung von Düngemitteln ab. Zwar ist importierter Dünger in der Tat sehr teuer; die afrikanischen Böden sind aber insgesamt wenig fruchtbar und die Erträge extrem niedrig, wenn auf (organische oder chemische) Düngung verzichtet wird. Als die Regierungen aufhörten, den Einsatz von Düngemitteln zu subventionieren und andere Fördermaßnahmen gestoppt wurden, gelang es vielen Bauern nicht mehr, auf dem Land zu überleben. Sie wanderten ab in städtische Slums. Jeffrey Sachs – ein zumindest teilweise bekehrter ehemaliger Anhänger der neoliberalen Schock-Therapie – stellte einige weitergehende Überlegungen an: „Man ging von der Vorstellung aus, dass der Markt ohne Regierungsinterventionen die Probleme der Ärmsten lösen würde. … Aber Märkte entstehen nicht, wenn die Leute nichts besitzen. Die Beendigung von Hilfe bedeutet einfach das Todesurteil für diese Menschen.“ (New York Times, 15.10.07)

Letztes Jahr entschloss sich ein afrikanisches Land, Malawi, den Kurs wieder zu ändern und die bisherigen Empfehlungen zu missachten. Die Subventionen für Düngemittel und Saatgut wurden wieder eingeführt. Die Bauern setzten verstärkt Düngemittel ein, die Erträge stiegen und die Ernährungssituation verbesserte sich erheblich (New York Times, 2.12.07). Malawi war sogar in der Lage, Nahrungsmittel nach Zimbabwe zu exportieren – auch wenn es im Land Stimmen gibt, die dies als Gefährdung der Eigenversorgung kritisieren.

Vertreibung der Kleinbauern

Ein weiteres Problem ist damit verbunden, dass sich kapitalistisch wirtschaftende kommerzielle Farmer in einigen armen Ländern der Peripherie auf den Weltmarkt orientieren. Während Subsistenz-Bauern gewöhnlich nur einen kleinen Teil ihrer Ernte verkaufen, während der größte Teil dem Eigenverbrauch dient, vermarkten kommerzielle Farmer die gesamte oder doch den allergrößten Teil ihrer Produktion. Sie steigern die Produktion und übernehmen das Land der Kleinbauern, mit oder ohne Bezahlung. Wegen der dabei verwendeten industriellen Produktionsmethoden werden weniger Arbeitskräfte benötigt als zuvor. So kontrolliert der „Soja-König“ in Brasilien mehr als 100.000 Hektar. Zur Landbearbeitung werden Traktoren und Erntemaschinen eingesetzt. In China verkaufen korrupte dörfliche und städtische Offizielle Gemeinschaftsland an Investoren, ohne dass die Bauern angemessene Entschädigungen erhalten – manchmal erhalten diese überhaupt nichts.

Die von einer ganzen Reihe von Faktoren verursachten harten Lebensbedingungen der Kleinbauern, die durch die Ideologie der freien Märkte noch befördert werden, verursachen eine anhaltende Landflucht. Die Menschen strömen in die Städte, wo es keine Arbeitsplätze gibt. Das wachsende Heer der Slumbewohner, die wegen fehlendem Landzugang nicht mehr in der Lage sind, sich mit Nahrungsmitteln selbst zu versorgen, ist der Gnade der Weltmarktpreise ausgeliefert.

Eine der Ursachen für die Ausdehnung von Großgrundbesitz und die Vertreibung von kleinen Subsistenz-Bauern ist die wachsende Bedeutung der transnationalen Agrarunternehmen in den Ländern der Peripherie. Durch Kontrolle der agrarischen Wertschöpfungsketten (Verkauf von Saatgut, Düngemitteln und Pestiziden, Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte, Export und Verkauf in Supermarktketten) beeinträchtigen die Transnationalen Konzerne des Agrobusiness die Lebensbedingungen der Kleinbauern auf dramatische Weise. Der Zusammenbruch der ländlichen Beratungssysteme und die Auflösung öffentlicher Unternehmen im Bereich der Saatguterzeugung haben den transnationalen Saatgutkonzernen den Weg geebnet. Riesige Transnationale Konzerne wie Cargill und Monsanto sind heute fast überall in der Dritten Welt präsent. Sie verkaufen Saatgut, Dünger, Pestizide und Futtermittel und verarbeiten Agrarprodukte. Sie unterstützen große kommerzielle Farmer bei dem Versuch, effizienter zu produzieren und ihre Flächen auszudehnen. Der Einsatz von genetisch verändertem Saatgut (GMO) vereinfacht die Agrarproduktion und erlaubt das effiziente Management großer Produktionseinheiten. Dies begünstigt großflächiges Wirtschaften und befördert die Vertreibung kleinerer Bauern.

Auch die Nachteile der Beherrschung des Handels durch große Supermarktketten werden sichtbar. „Riesige Supermärkte erdrücken die Bauern Zentralamerikas“, titelte die New York Times (21.12.04). Die Supermarktketten ziehen es vor, mit wenigen großen kommerziellen Erzeugern zu verhandeln statt mit vielen kleinen Farmern. Außerdem verdrängt die Ausdehnung der Supermärkte die traditionellen Märkte, auf denen die Kleinbauern ihre Produkte verkaufen.

Die strukturelle Krise intensiviert sich

Bauern sollten eigentlich von steigenden Nahrungsmittelpreisen profitieren und ihre Produktion ausdehnen, um die vom Markt angezeigte höhere Nachfrage zu befriedigen. Das stimmt auch bis zu einem gewissen Grade – besonders für Agrarproduzenten, die die Skaleneffekte und finanziellen Vorteile der Großproduktion nutzen können. Allerdings sind auch die Kosten nahezu aller agrarischer Inputs gestiegen, so dass die Gewinne der Bauern weniger groß sind als erwartet. Dies gilt vor allem für Viehzüchter, die Getreide verfüttern.

Weniger günstig ist die Preisentwicklung für Klein- und Subsistenzbauern. Viele von Ihnen sind so hoch verschuldet, dass es für sie schwierig sein dürfte, wieder auf die Beine zu kommen. In Indien wird angenommen, dass letztes Jahr etwa 25.000 Bauern den Freitod wählten, weil sie keinen anderen Ausweg aus ihrer Zwangslage sahen. (Die indische Regierung hat in ihrem Budgetvorschlag Finanzmittel für die Streichung der Bankschulden von Kleinbauern vorgesehen. Aber auch wenn dies umgesetzt werden sollte, so ist damit den Millionen von Bauern nicht geholfen, die bei lokalen Wucherern verschuldet sind.) Jedenfalls wurden die Stärkung des Großgrundbesitzes und der Prozess der Vertreibung von Kleinbauern und Landarbeitern durch die außergewöhnlichen Preiserhöhungen für Agrarprodukte in den letzten Jahren beschleunigt.

Steigende Agrarpreise führen auch zu einem Anstieg der Bodenpreise – das gilt insbesondere für jene Flächen, die sich für industrielle Bearbeitung eignen. Dies ist derzeit in den USA und in einigen Ländern der Peripherie zu beobachten. So managt die texanische „Global Ag Investments“ in Brasilien eine Anbaufläche von rund 15.000 Hektar. In einer ihrer Farmen gibt es ein einziges Feld mit über 600 Hektar (2,5 km zum Quadrat), auf dem Sojabohnen angebaut werden. Eine Gesellschaft aus Neuseeland hat in Uruguay eine Fläche von 40.000 Hektar gekauft und lässt dort riesige Milchfarmen von angestellten Managern verwalten.

Inzwischen kaufen reine Finanzierungsgesellschaften in den USA (Associated Press, 7.5.07) und im Ausland Ackerland. Eine US-amerikanische Gesellschaft, die mit japanischen und brasilianischen Partnern kooperiert, hat in Brasilien landwirtschaftliche Flächen im Umfang von 385 Quadratmeilen erworben, 100.000 Hektar. Dies praktizieren auch verschiedene südamerikanische Konzerne – ein brasilianischer Investmentfonds (Investimento em Participacoe) hat eine Minderheitsbeteiligung an einem argentinischen Produzenten von Sojabohnen gekauft, dem in Uruguay und in Argentinien rund 150.000 Hektar gehören.

Die steigenden Agrarpreise beschleunigen die Vernichtung der Regenwälder im Amazonasbecken, da kommerzielle Farmer einen ungeheuren Landhunger entwickeln. Allein in den letzten fünf Monaten des Jahres 2007 gingen dort 1.250 Quadratmeilen Wald verloren (BBC, 24.1.08). Außerdem werden landwirtschaftliche Nutzflächen in großem Stil für so genannte Entwicklungsprojekte zweckentfremdet, darunter für solch dubiose Vorhaben wie Luxusvillen und Golfplätze für die Reichen. Zwischen 2000 und 2005 ging in China jährlich mehr als eine Million Hektar Ackerland für Entwicklungsprojekte verloren. Das Land nähert sich rapide dem selbst definierten Mindestumfang an landwirtschaftlicher Nutzfläche, der für die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln notwendig ist – das sind ca. 120 Millionen Hektar. Trotzdem wird die für Landwirtschaft verfügbare Fläche wahrscheinlich weiter zurückgehen. Um Zugang zu ausländischem Ackerland zu erhalten, hat eine chinesische Gesellschaft in den Philippinen etwa 1 Million Hektar Land gepachtet, um dort Reis, Mais und Zucker zu produzieren. Eine lokale Protestbewegung konnte dieses Vorhaben nur verzögern (Bloomberg, 21.2.08). Ein betroffener Bauer: „Die (philippinische) Regierung und die Chinesen sprechen von Partnerschaft; für uns heißt das aber bloß, dass die Chinesen die Grundbesitzer und wir die Sklaven sind.“

Den globalen Hunger überwinden

Die Wege zur Überwindung des Hungers in der Welt sind einfach und bekannt. Aber sie umzusetzen ist tatsächlich sehr schwierig. Der Zugang zu gesunder und ausgeglichener Ernährung muss erstens als Grundrecht anerkannt werden. Regierungen müssen sich verpflichten, den Hunger ihrer Völker zu beenden und entschlossen entsprechende Maßnahmen ergreifen. In vielen Ländern werden noch heute ausreichend Lebensmittel erzeugt, um die Bevölkerung gesund zu ernähren. Dies trifft natürlich an erster Stelle auf die USA zu. Dass in den USA so viele Arme hungrig und fehlernährt sind und oft nicht wissen, woher sie die nächste Mahlzeit nehmen sollen (dies allein führt schon zu psychischen Schäden), während es einen Überfluss an Lebensmitteln gibt, ist nichts weniger als ein Verbrechen.

Kurzfristig sollten alle Anstrengungen auf die Bewältigung der akuten Notsituation konzentriert werden. Obwohl die massenhafte Verteilung von Getreide und Milchpulver in Einzelfällen geboten sein kann, sollten die Länder den venezolanischen Vorschlag in Betracht ziehen, der den Aufbau eines Netzes von Nahrungsmittelstationen in den Wohnvierteln der Armen vorsieht. Wenn die Menschen wirklich glauben, dass die Regierung ihnen helfen will und wenn sie in die Lage versetzt werden, selbst Lösungen für ihre Probleme zu finden, dann wird das eine Welle von Begeisterung und Hilfsbereitschaft auslösen. In Venezuela ist es zwar der Staat, der die Nahrungsmittelhilfe finanziert; die Zubereitung und Verteilung der Mahlzeiten für Kinder, Alte und Kranke erfolgt aber in Privatwohnungen und in freiwilliger Arbeit. Außerdem gibt es in Venezuela ein Netz von Geschäften, die Grundnahrungsmittel zu deutlich niedrigeren Preisen verkaufen als die privaten Märkte.

Brasilien hat schon 2003 ein Programm aufgelegt, das die Lebensbedingungen der Ärmsten verbessern soll. Ungefähr ein Viertel der Bevölkerung erhält öffentliche Mittel im Rahmen eines Bolsa Familia genannten Armutsbekämpfungsprogramms. Familien mit Einkommen von weniger als zwei Dollar pro Kopf/Tag erhalten Ergänzungszahlungen bis zu 53 US-Dollar pro Kopf/Monat (The Economist, 7.2.08). Die Zahlungen sind an die Bedingung geknüpft, dass die Kinder zur Schule gehen und sich an den nationalen Impfprogrammen beteiligen. Bolsa Familia hat sicher positive Wirkungen auf die Lebens- und Ernährungsbedingungen der Menschen. Es kann aber nicht mit Venezuelas Ansätzen verglichen werden, die gleichzeitig die Mobilisierung im Rahmen von Selbsthilfe und Gemeinschaftsarbeiten zum Ziel haben.

Die Förderung von städtischer Landwirtschaft hat in Kuba und in anderen Ländern erfolgreich dazu beigetragen, die Nahrungsmittelversorgung zu verbessern und neue Einkommensquellen zu erschließen. Dies sollte auch anderswo praktiziert werden – der auch in Städten vorhandene Boden sollte kreativ genutzt werden.

Landwirtschaft muss zur ersten wirtschaftspolitischen Priorität in der Dritten Welt werden. Selbst die Weltbank beginnt die Bedeutung der staatlichen Förderung der Landwirtschaft zu erkennen. Dr. Ngozi Okonjo-Iweala, Direktor bei der Weltbank, stellt fest: „Heute gilt die Aufmerksamkeit der internationalen Politik vor allem der Immobilien- und Finanzkrise. Die wirkliche Krise aber ist die der Ernährung. … Hunger und Unterernährung sind die Probleme, denen höchste Aufmerksamkeit gelten sollte. Wir wissen, dass drei Viertel der Armen auf dem Lande leben; und die meisten von ihnen hängen von der Landwirtschaft ab. Landwirtschaft ist heute, mehr denn je, der entscheidende Bereich im Kampf gegen Hunger und Unterernährung. Hier entscheidet sich der Kampf für nachhaltige Entwicklung und gegen die Armut.“ (All-Africa Global Media, 19.2.08)

Fast alle Länder der Welt haben ausreichend Boden, Wasser und klimatische Ressourcen, um die Menge an Nahrungsmitteln zu erzeugen, die für eine gesunde Ernährung der Bevölkerung gebraucht wird. Fast überall sind das Wissen und lokal angepasste Sorten vorhanden, die es den Bauern – bei entsprechender Unterstützung – ermöglichen, vernünftige Ernteerträge zu erreichen. Obwohl die Steigerung der Agrarproduktion insgesamt notwendig ist, lag der Fokus in der Vergangenheit auf der Produktion für den Export. Exporte mögen zwar die nationale Leistungsbilanz verbessern; eine einseitig exportorientierte Landwirtschaft aber gewährleistet weder die Ernährungssicherheit der Bürger noch sichert sie eine gesunde ländliche Umwelt. Neben der Produktion von Massengütern wie Sojabohnen zielt die exportorientierte Landwirtschaft außerdem auf die Erzeugung von sehr werthaltigen Luxus-Produkten, für die es große Märkte gibt (Luxusgüter gemessen am Nahrungsmittelbedarf armer Länder der Dritten Welt): Dies geht notwendig auf Kosten der Produktion von weniger werthaltigen Grundnahrungsmitteln für die eigene Bevölkerung. Ernährungssicherheit kann nach wie vor dann am besten erreicht werden, wenn unabhängige oder in Genossenschaften zusammengeschlossene Kleinbauern mit Hilfe von nachhaltigen Techniken der Bodenbearbeitung lokal nachgefragte Nahrungsmittel in ausreichender Menge erzeugen. Dadurch würde die Bevölkerung zumindest teilweise gegen die Schwankungen der Weltmarktpreise abgesichert werden. Eine solche Strategie bedeutet natürlich auch, dass Ackerland, das zur Nahrungsmittelproduktion benötigt wird, nicht zur Erzeugung von Bio-Treibstoffen benutzt wird.

Daher ist die Erleichterung des Landzugangs durch sinnvolle Bodenreformen ein wichtiger Beitrag zur Vergrößerung der Ernährungssicherheit; damit würde gleichzeitig vielen Menschen geholfen, die heute in Slums an der Peripherie der großen Städte zusammengepfercht leben und die am stärksten von den Preiserhöhungen betroffen sind. Aber Land allein genügt nicht. Bauern benötigen außerdem technische und finanzielle Unterstützung. Wichtig ist auch Hilfe bei der Stärkung sozialer Strukturen wie Genossenschaften und anderer Gemeinschaftseinrichtungen; dies würde den Zusammenhalt in neu entstehenden Gemeinschaften stärken. Vielleicht benötigen neue Siedlungen am Anfang auch eine Unterstützung durch besonders engagierte und aktive Gemeindearbeiter. Um die Rückkehr aufs Land auch für Städter attraktiv zu machen, müssen akzeptable Wohnbedingungen, Elektrizität, Wasser- und Abwasserversorgung bereitgestellt werden. Der Weg zurück aufs Land kann auch durch nicht-ökonomische Anreize gefördert werden: Der Appell an Patriotismus und Pioniergeist, das Bewusstsein, dass Kleinbauern einen wichtigen Beitrag zur Versorgung der Heimat mit gesunden Nahrungsmitteln leisten, dass nur so Unabhängigkeit vom transnational agierenden Agrobusiness erreicht werden kann. Die Gesellschaft, die Regierungen und auch die Farmer selbst sollten Kleinbauern als Pioniere begreifen, die eine entscheidende Leistung für ihr Land und seine Menschen erbringen. Sie müssen mit dem Respekt behandelt werden, den sie verdienen.

Schlussfolgerung

Ernährung ist ein Grundrecht, Regierungen tragen Verantwortung für eine angemessene Ernährung der Staatsbürger. Die notwendigen Maßnahmen sind bekannt: Soforthilfen gegen die akute Notsituation, städtische Landwirtschaft, Boden- und Agrarreformen einschließlich umfassender Fördermaßnahmen für Kleinbauern und die Anwendung nachhaltiger Methoden der Bodenbearbeitung, die die natürliche Umwelt schützen. Die gegenwärtige ungleiche Verfügung über Nahrungsmittel ist Ausdruck der ökonomischen und politischen Machtverhältnisse sowohl innerhalb als auch zwischen den Staaten. Ein nachhaltiges und verlässliches System der Nahrungsmittelversorgung ist nur bei veränderten und ausgeglicheneren sozialen Machtverhältnissen möglich. Je stärker die Armen und die Kleinbauern selbst an den Entscheidungen über Maßnahmen zur Erreichung von mehr Ernährungssicherheit beteiligt sind, je mehr sie im Mittelpunkt stehen, desto besser sind die Aussichten, dieses große Ziel zu erreichen. Hugo Chavez, der Präsident eines Landes, das sehr viel zur Bekämpfung von Armut und Hunger getan hat, meint: „Ja, es ist wichtig mit Armut und Elend Schluss zu machen; aber das wichtigste ist, den Armen Macht zu geben, so dass sie für sich selbst kämpfen können.“

[1] „Hohe Kosten für Reis schaffen die Gefahr sozialer Unruhen in Asien“, New York Times, 29.3.2008.

[2] Es wird geschätzt, dass im kommenden Jahrzehnt mehr als ein Drittel der US-Maisernten zur Erzeugung von Ethanol verwendet werden wird. (Bloomberg, 21.2.2008)

[3] Anmerkung der Redaktion „Z“: Die Zuspitzung der Finanzkrise im September 2008 führte zu einem scharfen Rückgang vieler Rohstoffpreise, darunter auch von Nahrungsmitteln. Die Preise für Weizen, Mais und Soja brachen um bis zu 50 Prozent ein, weil viele Finanzanleger zur Liquidierung von Positionen gezwungen waren.

[4] Vgl. den Beitrag von Klaus Pedersen in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

[5] Persönliche Mitteilung von Hal Cohen, Central Vermont Community Action Council, 20.2.2008.

[6] „Bei zunehmender Arbeitslosigkeit und steigenden Preisen nähert sich die Nachfrage nach Lebensmittelgutscheinen einem neuen Rekord“, New York Times, 31.3.2008.