Hunger und Nahrungsmittelkrise der Dritten Welt

Kleinbäuerinnen, Ernährungssicherung, Ökonomisierung der Biodiversität

Dezember 2008

Kleinbäuerinnen, Biodiversität und lokales Wissen

Frauen gelten mit ihren Küchengärten in lokalen Gemeinschaften als zuständig für die food crops, die die Ernährung sichern. Cash crops und Geldeinkommen sind dagegen als männlich definiert. Die Konstruktion der Frauenrolle als Ernährerin, als Wahrerin der Biodiversität von Nahrungspflanzen und des Saatguts besteht weiter, obwohl viele Bäuerinnen auch einen Großteil der kontinuierlichen Arbeiten auf den cash crop Feldern der Männer erledigen oder als Vertragsbäuerinnen und Tagelöhnerinnen Gemüse, Obst oder Blumen für den Export produzieren, d.h. in transnationale landwirtschaftliche Verwertungszusammenhänge eingebunden sind[1].

Männliche und weibliche Rollen in der Landwirtschaft werden im Rahmen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und im Kontext des dualen landwirtschaftlichen Produktionssystems – kommerzielle chemieintensive Monokulturen einerseits und auf lokale Märkte und Selbstversorgung ausgerichtete Mischkulturen andererseits – konstruiert. Unter dem Einfluss lokaler, regionaler und globaler Marktkräfte und in der sozio-kulturellen Zuweisung geschlechtsspezifischer Aufgaben und Fähigkeiten verschränken sich überbrachte Verantwortung und gesellschaftliche Zuschreibung von Männlichkeit und Weiblichkeit immer wieder neu und verändern Machtverhältnisse.[2]

Die guatemaltekischen Bäuerinnen, die ihre Küchengärten wie mehrere ineinander gedrehte Spiralen von Mais, Süßkartoffeln und anderem Gemüse anlegen, bindet eine Mischung aus Überlebenspragmatismus, Ahnenkult und Naturphilosophie an das Land und die Biodiversität. Beide betrachten sie als Erbe der Vorfahren, das sie nicht durch Verkauf von sich abspalten dürfen und wollen. Es soll im Clan oder der ethnischen Gemeinschaft bleiben, um deren Überleben und Wohlergehen zu sichern.

Die Bäuerinnen verfügen über ein eigenes Verständnis der Biodiversität und des Saatguts als „seit Jahrhunderten“ eigene Produktionsmittel und sehen ihre Arbeit selbstbewusst als wertschöpfende Tätigkeit und ihr Wissen als Produktivvermögen, mit dessen Hilfe sie den genetischen Bestand nicht nur erhalten, sondern produktiv weiterentwickelt haben. Außerdem haben sie detaillierte Kenntnisse über den Nährwert und die Heilkräfte der lokalen Sorten. Traditionelles Wissen ist in diesen Reproduktionszusammenhängen ein konstituierendes Element von Lebensräumen und eine zentrale Livelihood-Ressource[3]. Die Bäuerinnen verstehen sich daher als Investorinnen: Sie geben den Pflanzen Wert und entwickeln ihre Produktivität, was wiederum den Frauen Wertschätzung in der Gemeinschaft sichert.

Ihr praktisches und strategisches Interesse an der Biodiversität und Ernährungssicherheit bringt die Kleinbäuerinnen häufig in Konflikt mit ihren Männern. Denen bieten regierungsoffizielle Landwirtschaftsberater kommerzielles Saatgut an und preisen die Vorzüge und Verdienstchancen des monokulturellen Anbaus, in jüngster Zeit vor allem von Agrarkraftstoffen. In Burkina Faso pflanzten viele Bauern auf Regierungswunsch Baumwolle an und verkleinerten die Felder der Frauen, um mehr Land für die vermeintlich lukrative Baumwolle verfügbar zu haben. Die Frauen hegten und pflegten jedoch weiterhin in den Küchengärten die Biodiversität. Genau das sicherte ihre Ernährung, als die Baumwollpreise auf dem Weltmarkt in den Keller fielen. Eine ähnliche Erfahrung machten Kleinbäuerinnen in Tansania, die in einer subversiven Aktion Bananenstauden und Kohl zwischen Kaffeesträucher pflanzten, obwohl die Regierung den Mischanbau auf Exportfeldern verboten hatte.

Schutz der Artenvielfalt und Markt-Mainstreaming

Als im Mai 2008 in Bonn die 9. Vertragsstaatenkonferenz über biologische Vielfalt (COP9[4]) und die 4. Mitgliederkonferenz zum Cartagena-Protokoll über biologische Sicherheit (MOP4[5]) tagten, kam es auf dem parallelen zivilgesellschaftlichen Forum Planet Diversity in einem Frauen-Workshop zu einer bemerkenswerten Konfrontation. Eine Mitarbeiterin des Sekretariats der Biodiversitätskonvention (CBD) präsentierte den Workshop-Teilnehmerinnen, überwiegend Aktivistinnen mit einem bäuerlichen oder ökologischen Hintergrund, stolz den CBD-Gender Plan of Action[6].

Der CBD-Gender Plan of Action war nach einjährigem Lobbying und Überwindung einiger Widerstände als Referenzdokument für die COP9 akzeptiert worden. Referenzdokumente sollen die Vertragspartner informieren, sind jedoch nicht Verhandlungsgegenstand und haben keinen verbindlichen Charakter. Gender-Expertinnen feiern den Aktionsplan als Anerkennungs- und Wahrnehmungserfolg für das Anliegen, im Themenfeld Biodiversität die politische Aufmerksamkeit auf das Ziel der Geschlechtergleichstellung zu richten. Er wiederholt das Diktum vieler UN-Dokumente, dass Geschlechtergleichheit und das Empowerment von Frauen wichtige Voraussetzungen für den Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung sind, und würdigt das Wissen von Frauen um Biodiversität und ihre Rolle beim Management und Schutz von Ressourcen.

Hauptziel des Aktionsplans ist es, mithilfe der Methode des Gender Mainstreamings eine geschlechtsdifferenzierende Perspektive in das Regelwerk der CBD zu integrieren und Frauen an den Governance Mechanismen, den Verhandlungen und Umsetzungsmaßnahmen, partizipieren zu lassen. Im Gegensatz zu technischen Verfahren bleiben inhaltliche Fragen zum Verhältnis von Geschlecht und Biodiversität jedoch ausgeblendet. Was bedeutet denn eine Gender Perspektive in Bezug auf Biodiversität? Meint sie das Ziel der Geschlechtergleichheit? Ist sie ein Instrument zur Anerkennung von geschlechterspezifischen Bedürfnissen und Interessen? Oder gegen die Diskriminierung von Frauen im CBD Prozess? Und bezieht sich eine Gender Perspektive zu Biodiversität auf die Perspektive der kleinbäuerlichen Landwirtschaft oder die von Großgrundbesitzern, die von indigenen Ethnien oder von Agrarkonzernen? Diese Fragen deuten bereits darauf hin, dass der Aktionsplan als Instrument, das allein auf die Integration von Gender und die Partizipation von Frauen zielt, sowohl die Produktionsverhältnisse als auch die mikro-ökonomische Ebene der Ressourcennutzung unterschiedlicher Akteure im Umgang mit Biodiversität ausblendet.

Entsprechend empört reagierten die Vertreterinnen von Kleinbäuerinnen und Aktivistinnen bei Planet Diversity auf diesen Gender Action Plan, der den Anspruch erhebt, ihre Interessen zu vertreten.[7] Dabei ist es weder in ihrem strategischen noch existentiellen Interesse, dass ihre landwirtschaftliche Biodiversität auf den globalen Märkten in Wert gesetzt wird oder als Naturschutzreservoir ihrer Nutzung entzogen wird. Die Frauen wollen nicht gemainstreamt oder an Verhandlungen beteiligt werden, die ihre Enteignung voraussetzen. Sie wollen nicht an Gewinnen teilhaben, die Konzerne mit ihren Ressourcen machen, sondern die Verwandlung ihrer landwirtschaftlichen Biodiversität und ihres Wissens darüber in Handelswaren verhindern. Statt der Freiheit der Konzerne und des Handels verlangen sie die Freiheit der selbstbestimmten weltmarktunabhängigen Produktion und des Tauschs von Saatgut. Als Kleinbäuerinnen fürchten sie einen doppelten Wertverlust, den Verlust der auf Biodiversität basierenden Ernährungssouveränität und den Verlust der Wertschätzung, den sie als Ernährerinnen der lokalen Gemeinschaften genießen.

Industrialisierung der Landwirtschaft und Ökonomisierung der Biodiversität

In der Phase der agroindustriellen Modernisierung im Zeichen der „grünen Revolution“ wurde das lokal generierte, ressourcenspezifische Erfahrungswissen von Kleinbäuerinnen zunächst übergangen und als unnütz für die neuen Produktions- und Verwertungszusammenhänge deklassiert. Unter den Vorzeichen neoliberaler Globalisierung werden jedoch auch dieses in-situ-Wissen und die lokale Biodiversität zum Objekt von selektiven Vermarktungs- und Verwertungsbegierden. Der Freihandel soll einen Markt- und Unternehmerzugang auch noch zur letzten „unerschlossenen“ Ressource schaffen und sie ebenso wie das mit ihr verbundene Nutzungswissen in Warenform auf grenzüberschreitende Märkte pressen.

Die Biodiversitätskonvention, die die UN-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro auf den Weg brachte, verknüpft die Marktlogik mit der Notwendigkeit des Schutzes. Einerseits soll die biologische Vielfalt in den globalen Warenwettbewerb und Profitkreislauf einbezogen werden, andererseits soll sie durch Zonierung in Naturschutzparks geschützt werden – unter Ausschluss der indigenen EignerInnen. Die CBD versucht mit dem Angebot des Vorteilsausgleichs – Benefit Sharing – zwischen den alteingesessenen EignerInnen der Biodiversität und der Privatwirtschaft, die sich die genetischen Ressourcen durch Patentierung aneignen und zu Markte tragen will, zu vermitteln. Die Gewinnbeteiligung dient dabei als Anreiz für die indigenen EignerInnen der Biodiversität, der Kommerzialisierung zuzustimmen. Flankierend zur UN-Konvention schreiben Freihandelsabkommen den Biodiversitätsschutz als Umweltdienstleistung und mit Regelungen zu geistigen Eigentumsrechten (TRIPS[8]) als liberalisierten Sektor fest.

Die Aneignung und Patentierung von genetischem Material und traditionellen Kenntnissen über Nahrungsressourcen durch Agro- und Pharmakonzerne löst diese aus ihrer raum-zeitlichen und sozialen Anwendungspraxis heraus und versucht, sie dekontextualisiert als Ware zu handeln. Diese Privatisierung des kollektiven Überlebenskapitals Biodiversität und Wissen steht im Gegensatz zum Eigentums- und Überlebenskonzept der Kleinbäuerinnen. Für sie ist die in der Logik ihrer Versorgungsökonomie angebaute und weiterentwickelte Biodiversität ein Gegenmodell zum dominanten Entwicklungskonzept, das mit dem Markt- und Wachstumsdogma Monokulturen auf den Feldern und im Denken fördert und lokale Sorten, das Saatgut und das indigene Wissen in die Geschäftslogik der globalen Märkte integrieren will. Ob eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme von verwertbaren genetischen Ressourcen (Bioprospektion), Biopiraterie oder ein Kaufvertrag der Verwandlung von genetischem Material in Patente und Waren vorausgeht – für die Frauen ist es Enteignung von Ressourcen und eine Bedrohung für ihre Existenz- und Produktionsweise.

Dabei zeigt die aktuelle Versorgungskrise auf den Weltagrarmärkten, dass Ernährungssicherung eben nicht durch industrielle Massenproduktion und Freihandel garantiert werden kann, sondern, im Gegenteil, dadurch massiv bedroht wird. Für KleinbäuerInnen ist dies eine Bestätigung, dass Ernährung am besten durch den Anbau auf Grundlage lokaler Biodiversität und für lokale Märkte gesichert werden kann. Der Kapitalismus, so Marina Meneses Velazquez, Maisbäuerin und Stadtverordnete für Ökologie in Juchitan in Mexiko, schlage falsche Lösungen für die kleinbäuerlicher Landwirtschaft vor: Kommerzialisierung der Ressourcen und Integration in den Weltmarkt einerseits, Naturschutzgebiete zur Konservierung der Biodiversität andererseits. Beides enteignet die Frauen.

Alternative Banken und Börsen

Als die Vielfalt der Landsorten und der Kenntnisse mit dem Einzug der Monokulturen verloren ging, begannen Kleinbäuerinnen von Zimbabwe bis Bangladesch, eigene Banken und Börsen für Saatgut aufzubauen oder aber wiederzubeleben[9]. Deren Orientierung an den Bedürfnissen der Produzentinnen liegt quer zu den Verwertungsinteressen der Agrokonzerne und des Weltmarkts. In Saatgutbewegungen in Indien und im südlichen Afrika sammeln Bäuerinnen Saatgut, nehmen selbst biologische Charakterisierung, Forschung und qualitativ hochwertige Saatgutvermehrung vor, richten kollektive Saatgutbanken ein und organisieren Saatgutfestivals mit Tauschbörsen für Wissen und Saatgut. So kreuzen, veredeln und entwickeln sie den Bestand, jeweils angepasst an lokale Notwendigkeiten. Diese Praktiken bilden und beweisen ihre Kenntnisse und Fähigkeiten, biologische Vielfalt zu erhalten und marktunabhängig zu vermehren.[10]

Gegen das Auslöschen und den Diebstahl traditionellen Wissens organisieren Kleinbäuerinnen und Basisbewegungen deshalb in lokalen Gemeinschaften Bildungsarbeit als Erinnerungsarbeit, um überbrachte Kenntnisse und tradierte Fähigkeiten, die in Vergessenheit zu geraten drohen, zu erhalten, z.B. über indigene Pflanzen- und Baumsorten und Methoden der Saatgutvermehrung. Mit der Reaktivierung und Weitervermittlung indigener Wissenssysteme verbindet sich auch eine Aufwertung dieser Kenntnisse gegenüber modernem Know-how und ein Empowerment, um das eigene Überleben und die Ernährung zu sichern.

Netzwerke wie das um die NGO CTDT im südlichen Afrika, die Coalition in Defense of Diversity in Indien oder das South Asia Network on Food, Ecology and Culture (SANFEC) fordern von Regierungen und multilateralen Institutionen den Schutz der Saatgut- und Wissensvielfalt, damit das Recht auf Nahrung, auf Gesundheit und selbstregulierte Überlebensökonomien nicht privatwirtschaftlichen Interessen und dem Freihandelsregime geopfert werden. Gleichzeitig sind diese Basisbewegungen auch artikulierte Gegner des Einsatzes gentechnisch veränderter Nutzpflanzen und -tiere (Genetically Modified Organisms, GMOs) und wenden sich gezielt gegen die Politik von Agro-Multis wie Monsanto. Die Kämpfe für den Erhalt der biologischen und kulturellen Diversität als Basisressource für die Vielfalt von Überlebenspraktiken und lokalen Wirtschaftskreisläufen sind nicht nur Abwehrkämpfe gegen die Monopolbildung von Hybrid- oder gentechnisch verändertem Saatgut, von patentiertem und universalisiertem Expertenwissen, sondern auch Abwehrkämpfe gegen das Freihandelsmodell als universalisierte Form des Wirtschaftens und der Lebensabsicherung. Die Kleinbäuerinnen wollen die Biodiversität „leben“ und verweigern sich der Enteignung durch das Marktsystem ebenso wie dem Gender Mainstreaming. Weder die CBD noch der Gender Action Plan bieten ihnen Antworten auf ihr Fragen nach Ernährungssouveränität, nach traditionellem geistigem Eigentum und Überleben.

[1] Wichterich, Christa (2004): Überlebenssicherung, Gender und Globalisierung. Soziale Reproduktion und Livelihood-Rechte in der neoliberalen Globalisierung, Wuppertal Papers zur Globalisierung, Wuppertal.

[2] Krishna, Sumi (Hrsg.) (2004): Livelihood and Gender: Gender in Community Resource Management, New Delhi; Rupp, Helen (2007): Von ‘Ernährerinnen der Welt’ und flexiblen Arbeitskräften im Agro-Exportsektor. In: Reader des Aktionsbündnisses globale Landwirtschaft zu G8, Frankfurt, S. 42-45.

[3] Kuppe, Rene (2002): Indigene Völker, Ressourcen und traditionelles Wissen, in: Ulrich Brand/ Monika Kalcsics (Hrsg.): Wem gehört die Natur? Konflikte um genetische Ressourcen in Lateinamerika, Frankfurt, S. 112-134.

[4] Conference of the Parties, Treffen der Delegierten der 190 Vertragsstaaten der Konvention zu Biologischer Vielfalt (CBD, Convention on Biological Diversity).

[5] Meeting of the Parties, Treffen der Mitgliedsstaaten des Cartagena-Protokolls, das als Zusatzabkommen zur CBD den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen (GMOs) im internationalen Handel regelt.

[6] UNEP/CBD/COP/9/INF/12, Convention on Biological Diversity: The Gender Plan of Action under the Convention on Biological Diversity, 11 March 2008, http://www.cbd.int/cop9/doc/

[7] http://www.planet-diversity.org, http://www.wloe.org/Women-of-Planet-Diversity.539.0.html.

[8] Trade Related Intellectual Property Rights. Das Abkommen über handelsbezogene Rechte geistigen Eigentums wurde 1994 auf Drängen der US-amerikanischen Industrie dem Allgemeinen Abkommen über Handel und Tarife (GATT) hinzugefügt und verpflichtet alle Mitglieder der Welthandelsorganisation WTO, die strengen Regelungen des Patentrechts der Industrieländer in nationales Recht umzusetzen.

[9] Akhter, Farida (2001): Die Nayakrishi Kampagne: Saatgut in die Hände der Frauen! In: Klaffenböck, Gertrude/Lachkovics, Eva/Südwind Agentur (Hrsg.): Biologische Vielfalt. Wer kontrolliert die globalen genetischen Ressourcen?, Frankfurt, S. 81-99.

[10] eed/Hoering, Uwe (2002): Früchte der Vielfalt. Globale Gerechtigkeit und der Schutz traditionellen Wissens, Bonn.