Johann J. Hagen hat stets darauf insistiert, dass das Recht nicht aus sich selbst heraus, unmittelbar aus dem System seiner Normen verstanden werden kann, noch aus der Entwicklung der allgemeinen Theorien über das Recht, die Gerechtigkeit, das Gerechtigkeitsgefühl,[1] vielmehr hat er daran festgehalten, dass die Geltung des Rechts nur begriffen werden kann, wenn es immer auch sozialwissenschaftlich analysiert wird.[2] Ihm geht es nicht um die „Auflösung der Geltungsfrage, sondern um ihre sozialwissenschaftliche Fundierung“.[3] Das Recht muss also in seinem Zusammenhang gesehen werden mit Macht und Herrschaft, mit den Eigentums- und Klassenverhältnissen. Das gleiche gilt auch für philosophische und rechtsphilosophische Theorien, denn „philosophisch-abstrahierende und soziologisch-konkretisierende Betrachtungsweise schließen... sich nicht aus sondern bedingen sich gegenseitig. Lediglich ihr kombinierter Einsatz erlaubt eine Einschätzung des Bleibenden und des Überholten.“[4] Dieser methodischen Hinweise Hagens gilt es sich zu erinnern, wenn die Problemzusammenhänge skizziert werden sollen, die zwischen der Stellung und Funktion des Bundesverfassungsgerichts,[5] sowie seiner Besetzung und der gegenwärtigen Diskussion über die Zulassung der Folter in der Bundesrepublik Deutschland bestehen.
Der Fall Dreier
Konkret geht es um den Fall Dreier. Horst Dreier ist seit 1995 Professor für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Würzburg. Über sein wissenschaftliches Werk, die Ämter, die er bekleidet und die Ehrungen, die ihm zuteil wurden, informiert die Universität im Internet.[6] Sein wissenschaftlicher Rang wird allgemein anerkannt und von niemandem bestritten. Von der SPD war Dreier als Nachfolger des Bundesverfassungsrichters Hassemer und als Vorsitzender des zweiten Senats vorgesehen und damit, gemäß dem bisherigen Besetzungsverfahren, zugleich als künftiger Bundesverfassungsgerichtspräsident. Für ihn setzte sich insbesondere die Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, ein.
Dieser Besetzungsvorschlag hatte eine lebhafte und kontroverse Diskussion hervorgerufen, die in allen überregionalen Zeitungen mit redaktionellen Artikeln und zahlreichen Leserbriefen geführt wurde. Es wurde Dreier unterstellt, dass er in einem besonderen Ausnahmefall die Anwendung von Folter[7] nicht nur für erlaubt, sondern sogar für geboten hält.[8] Die Verteidiger Dreiers hielten diese Unterstellung für ungerechtfertigt, ja für abwegig.[9]
Um die politische Bedeutung dieses Vorgangs zu erfassen, ist zunächst einmal festzustellen, dass es sich keineswegs um die Beantwortung der Frage handelte, ob jemand – nach welchen politischen, wissenschaftlichen oder sonstigen Kriterien auch immer –, besser oder aber weniger gut als Bundesverfassungsrichterin oder Bundesverfassungsrichter geeignet ist. Dazu kann es immer unterschiedliche Meinungen geben. Es ging und geht vielmehr um die politische und verfassungsrechtliche und rechtsphilosophische Grundentscheidung, ob durch die Zulassung oder gar das Gebotensein der Folter die verfassungsrechtliche Möglichkeit eröffnet werden soll, dass Staat und Gesellschaft in die Barbarei[10] zurückfallen.
Es müsste eine rechtsstaatliche und demokratische Selbstverständlichkeit sein, dass über die Wahl eines Bundesverfassungsrichters, von dem behauptet wird, er wolle diesen Rückfall ermöglichen, eine offene und öffentliche, institutionell gewährleistete Diskussion geführt wird.
Es wird noch darzulegen sein, dass die Parteien die öffentliche Diskussion über die Eignung von Verfassungsrichtern blockiert haben und weiterhin blockieren und diese Wahl so ausgestaltet haben, wie es eher Wahlen innerhalb einer Geheimgesellschaft entspräche. Die Leserbriefseiten von Tageszeitungen können rechtsstaatliche, transparente Diskussion und demokratische Willensbildung schwerlich ersetzen.
„Stiller Verfassungswandel“
Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist die Wahl einfach, klar und repräsentativdemokratisch normiert: Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts werden je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt (Art.94 Abs.1 Satz 2 GG) und zwar in direkter Wahl, da kein anderer Wahlmodus normiert worden ist. Die Richter der obersten Bundesgerichte werden demgegenüber nicht von Bundestag und Bundesrat in ihre Ämter gewählt; sie werden von dem zuständigen Bundesminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuss berufen. Ein Richterwahlausschuss ist für die Bundesverfassungsrichterwahl grundgesetzlich nicht vorgesehen.
Soweit die Rechtslage gemäß dem Grundgesetz. Die – verfassungswidrige – Gesetzeslage und die Rechtswirklichkeit sind davon wesentlich unterschieden. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz von 1951 sieht für die Wahlen der Bundesverfassungsrichter für den Bundesrat und den Bundestag unterschiedliche Wahlverfahren vor – im Widerspruch zum Grundgesetz. Im Bundesrat werden die Richter in direkter Wahl, aber mit Zweidrittelmehrheit gewählt; diese qualifizierte Mehrheit ist vom Grundgesetz nicht vorgesehen.
Der Bundestag wählt nach dem BVerfGG die Richter in indirekter Wahl. Er wählt nach den Regeln der Verhältniswahl einen Wahlausschuss, der aus zwölf Mitgliedern besteht; dieser wählt dann die Richter. Gewählt ist, wer mindestens zwei Drittel der Stimmen erhält. Die Mitglieder des Wahlausschusses sind zur Verschwiegenheit verpflichtet.
Die Wahlverfahren werden rechtlich komplizierter und politisch undurchsichtiger durch einige weitere Bestimmungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes.
Das Bundesverfassungsgericht besteht aus zwei Senaten; jeder dieser Senate ist „das Bundesverfassungsgericht“; es ist ein sogenanntes Zwillingsgericht. Die Richter werden deshalb für die einzelnen Senate gewählt. Im Unterschied dazu werden die Richter der obersten Gerichte als Richter an den Gerichten berufen und dann durch den Geschäftverteilungsplan den Senaten der Gerichte zugewiesen.
Gemäß Grundgesetz besteht das Bundesverfassungsgericht aus Richtern der obersten Bundesgerichte und anderen Richtern. Diese anderen Richter müssen also nicht, wie das Bundesverfassungsgerichtsgesetz vorschreibt, die Befähigung zum Richteramt haben. Das Grundgesetz ließe es zu, auch Persönlichkeiten mit anderen Erfahrungen, z. B. aus den Bereichen der Wissenschaft, der Kunst oder der Politik, zu wählen. In der Arbeits-, Verwaltungs-, Sozial- und Strafgerichtsbarkeit werden auch nicht juristisch vorgebildete Richter berufen. Das wäre auch für das Bundesverfassungsgericht möglich und sinnvoll.
Die vom Bundesverfassungsgerichtsgesetz geforderten Zweidrittelmehrheiten sind mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Das ist früh von dem bedeutenden Staatsrechtler Richard Thoma festgestellt worden; jedenfalls die vom Bundestag vorzunehmenden Wahlen müssten „als von Hause aus verfassungswidrig bezeichnet werden“[11]. Jedoch gälte dies nur für die Erstbesetzung des Gerichts. Die Begründung dafür ist bemerkenswert: nachdem das Bundesverfassungsgericht konstituiert worden sei und seine Tätigkeit aufgenommen habe, “hat eben nun die durch keine Verfassungsurkunde auszuschaltende, ‚normative Kraft des Faktischen’ ihre Wirkung getan und eine Verfassungswandlung (kursiv R.T.) bewirkt. Diese muss von einer lebensnahen Jurisprudenz anerkannt werden, obwohl sie bisher im Text des GG nicht zum Ausdruck gebracht worden ist, wie es dem in Art.79 Abs.1 verkündeten Prinzip entsprechen würde.“[12] Art.79 Abs.1 GG lautet: „Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt.“ Das folgt aus der verfassunggebenden Gewalt des Volkes und der Forderung nach Rechtsklarheit.
Mit der Rechtsfigur des stillen Verfassungswandels – der bereits 1951, also zwei Jahre nach Inkrafttretens des Grundgesetzes und schon mit der erstmaligen Besetzung des Gerichts eingetreten sein soll! – kann allerdings die Geltung jeder Rechtsnorm vernichtet werden und die Rechtswirklichkeit tritt an die Stelle der Norm.
Um dem im klaren Wortlaut eindeutig zum Ausdruck gebrachten Willen des Grundgesetzes nach nunmehr über fünfzig Jahren bei der Wahl der Verfassungsrichter Geltung zu verschaffen, bedarf es allerdings heute wohl mehr als nur einer vergeblichen „kleinen Bitte um ein wenig Positivismus“[13]. Die verfassungswidrige Praxis hat sich über mehr als ein halbes Jahrhundert hinweg verfestigt, und die zum Gesetzeshimmel schreiende Verfassungsrechtswidrigkeit der Bundesverfassungsrichterwahlen wird man wohl kaum mit Wirkung ex tunc noch feststellen können; wer sollte denn auch diese Feststellung treffen? Das Bundesverfassungsgericht jedenfalls nicht. Von ihm ist nicht zu erwarten, dass es seine eigene Existenz als unvereinbar mit den Wahlvorschriften des Grundgesetzes ansieht, und von seinen Richterinnen und Richtern hat auch noch niemand Anlass gesehen, die Wahl wegen deren höchst problematischen Rechtsgrundlagen abzulehnen.
Der Gesetzgeber müsste tätig werden, um dem Art.94 GG Geltung zu verschaffen, müsste ihn konkretisieren und die Grundzüge des Ausführungsgesetzes neu festlegen.[14] Die Parteien haben sich aber behaglich in den verfassungs- und demokratiewidrigen Verhältnissen eingerichtet und eine Gesetzesänderung liegt außerhalb des gegenwärtig Möglichen; eine Änderung des Wahlverfahrens beinhaltet ja stets eine Kritik der praktizierten Regelung und könnte die „Gefahr“ einer öffentlichen Diskussion über dieses Wahlverfahren heraufbeschwören.
Moderator der Mitte
Aber nicht genug damit, dass sich im Bundesverfassungsgerichtsgesetz die Vorschriften des Grundgesetzes nicht angemessen widerspiegeln, die Praxis der Wahlen weicht zudem auch noch von den Normen des BVerfGG erheblich ab und produziert vermehrten Demokratieverlust.
Das im Gesetz vorgesehene komplizierte Wahlverfahren verleitet mit seinen Erfordernissen der Zweidrittelmehrheiten, der Beteiligung von Bundesrat und Bundestag, der Unterscheidung von Bundesrichtern und anderen Mitgliedern dazu, dass unter weitgehender Ausschaltung des Plenums des Bundesrates und des Wahlausschusses die zu wählenden Richter faktisch durch eine kleine Gruppe von Politikern[15] ausgehandelt werden, eine Gruppe, die sich zudem die Besetzung der obersten Bundesgerichte angelegen sein lässt. So wurde denn kritisch angemerkt:„Verglichen mit der Wahl deutscher Verfassungsrichter ist die Papstwahl ein Vorbild an Transparenz und Demokratie.“[16]
Es wird versucht, das Wahlverfahren politisch zu rechtfertigen, weil mit ihm „ein grundsätzlich heilsamer Zwang zu Verständigung ausgeübt“[17] werde. Verständigung ist jedoch kein Wert an sich; es fragt sich immer, wer sich mit wem, wie und worüber verständigt. Es sind die zentrierten Kräfte der Mitte derjenigen Parteien, die zusammen über die Zweidrittelmehrheit verfügen, die über die Wahl entscheiden. Dadurch wird das Bundesverfassungsgericht zur Position des Moderators einer großen Koalition der Parteien der Mitte hingeführt.[18] Für eine grundsätzliche, entschiedene Opposition, die fortdrängt von der Mitte, die von den herrschenden politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Kräften besetzt wird – und von diesen immer weiter nach rechts verschoben wird – hin zu den linken Rändern, von denen die notwendigen Veränderungen zu mehr Demokratie und Sozialstaatlichkeit bewirkt werden könnten, bleibt dann kein Raum mehr.
Der Raum, der hier gemeint ist, wird gebildet von dem Rahmen, den die grundgesetzlichen Normen bilden und innerhalb dessen aber in der Regel mehrere Interpretationsmöglichkeiten existieren.[19] Welche dieser Möglichkeiten dann vom interpretierenden Richter ausgewählt wird, hängt auch ab von politischen Überlegungen. Die Praxis der Wahl der Bundesverfassungsrichter zeigt, dass auch Parteien, die sich selbst als Parteien der Mitte definieren, von der Gnade der die Mitte verwaltenden Großparteien abhängen. Die bisherige politische Praxis wird dann aufgekündigt, wenn es machtpolitisch opportun erscheint. So „wie unter Merkel die langjährige Tradition abgerissen wurde, der FDP einen Richterposten im Bundesverfassungsgericht zu überlassen.“[20]
Die SPD hat erfahren müssen, dass, wenn sie auch nur um ein Geringes die Grenzen der Mitte in Richtung auf mehr Demokratie, die nach Willy Brandt „gewagt“ werden müsse, und mehr Gleichheit verschieben wollte, der Hüter der Grenze, das Bundesverfassungsgericht, der Reformpolitik den sorgfältig abgesteckten Grenzverlauf aufzeigte. Für die Politik der SPD wesentliche Vorhaben wurden denn auch vom Bundesverfassungsgericht blockiert oder ihrer Kernsubstanz beraubt.
Das Bundesverfassungsgericht hat die – zunächst noch von der SPD bekämpfte – Aufrüstung der Bundeswehr unterstützend begleitet und deren spätere, dann auch von der SPD vorangetriebene ohne Grundgesetzänderung erfolgte Umwandlung in eine eingreifende und angreifende Truppe gebilligt. Vor allem waren es die großen Reformvorhaben der sozialliberalen Koalition von Bundeskanzler Willy Brandt, die vom Bundesverfassungsgericht korrigiert wurden. Zu erinnern ist beispielhaft:
- An das Hochschulurteil, wonach die Demokratisierung der Hochschulen der „bestehenden Schlüsselstellung der Professoren“ Rechnung zu tragen habe; BVerfGE 35,S79 ff.
- An das Urteil zur Kriegsdienstverweigerung, durch das die sogenannte „Postkartenregelung“ abgeschafft und die Gewissenüberprüfung gefordert wurde sowie die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr Verfassungsrang erhielt; BVerfGE 48, S.127 ff.
- An das Urteil zur Unternehmensmitbestimmung. Das Gesetz dazu war ein zwischen den Parteien und den sie stützenden wirtschaftlichen Kräften mühsam austarierter Kompromiss, der vom Bundesverfassungsgericht nur mit dem Vorbehalt gebilligt wurde, dass auch in Zukunft durch die Mitbestimmung keine Gefahr für die Gewinne der Unternehmen entstehen dürfe. BVerfGE 50, 290
- An das Urteil zu § 218 StGB, durch das die ursprüngliche Fristenlösung aufgehoben wurde, BVerfGE 39,S.1 ff.
- An das Grundlagenvertragsurteil, BVerfGE 36,S.1, dessen sämtliche Urteilsgründe zu „tragenden“, damit alle Staatsorgane bindenden, Gründen erklärt worden waren; mit ihm wurde – im Ergebnis erfolglos – versucht, der neuen Außenpolitik der Bundesregierung gegenüber der DDR und der UdSSR Leitlinien vorzugeben.
Die SPD und ihr Kandidat
Erfahrungsgesättigt hätte die SPD somit gewiss gute Gründe, auf ihrem – faktischem – Vorschlagsrecht zu insistieren. Nun hat allerdings das, was unter der Regierung von Bundeskanzler Schröder und der jetzigen Großen Koalition von CDU und SPD unter Reform verstanden wird, mit den Reformvorstellungen der klassischen Sozialdemokratie schlechterdings nichts mehr zu tun; es handelt sich vielmehr um eine Gegenreform für die Politikfelder der Wirtschafts-, Finanz- und Eigentumspolitik sowie der Friedens-, Außen- und Militärpolitik.
Insofern braucht die SPD grundlegende Korrekturen ihrer Politik durch das Bundesverfassungsgericht nicht zu befürchten. Aber das Bundesverfassungsgericht ist und bleibt nach wie vor eine Institution mit politischer Macht – wenn auch seit einiger Zeit auf absteigendem Ast.[21] Es kann immer noch korrigierend oder unterstützend in die Politik eingreifen. Das juristische Ammenmärchen, das Bundesverfassungsgericht treibe, weil Gericht, nicht auch Politik, wird wohl von niemandem mehr ernst genommen.
Die gegenwärtigen politischen Verhältnisse können sich auch wieder ändern und die SPD z.B. könnte, durch den Druck konkurrierender Parteien und ihrer Basis gezwungen, zu einer echten sozialdemokratischen Politik zurückfinden und dann möglicherweise im Bundesverfassungsgericht dem politischen Gegenspieler begegnen, wie es Willy Brandt und seiner Regierung widerfahren ist. Außerdem kommt es nicht nur auf die Grundlinien der Politik an, sondern nicht unerheblich auch auf deren Einzelheiten. Die SPD hätte also gut daran getan, die anstehende Wahl eines Bundesverfassungsrichters ernst zu nehmen und an einer Kandidatin oder einem Kandidaten ihrer Wahl festzuhalten. Dies um so mehr, als sie noch gut in Erinnerung gehabt haben wird, dass die Wahl von Herta Däubler-Gmelin 1993 an dem hartnäckigen Widerstand des jetzigen Innenministers Schäuble und der CDU gescheitert war.
Es wurde dann Jutta Limbach gewählt, die als Berliner Justizsenatorin die strafrechtliche Verfolgung des schwerkranken früheren Vorsitzenden des Staatsrats der DDR und Generalsekretärs des ZK der SED, Erich Honecker, mit großem Eifer betrieben hatte und sogar als Justizsenatorin das Gericht rügte, das dessen Freilassung angeordnet hatte, was Befremden und Kritik auch bei jenen hervorrief, die jeglicher Sympathien für Honecker gänzlich unverdächtig waren. Gegen die Wahl von Jutta Limbach hatten CDU/CSU und Schäuble keine Bedenken – und Frau Limbach hatte auch keine Bedenken, die Wahl anzunehmen.
Herta Däubler-Gmelin war Schäuble „zu politisch“. Wie so oft, wenn das Politische in Widerspruch gesetzt wird zur Sachlichkeit, Objektivität und Interessenfreiheit, ist das angeblich Unpolitische eine Ideologie, deren Funktion es ist, die tatsächlichen politischen Voraussetzungen und Inhalte zu verschleiern und abzuleugnen. Der CDU missfiel an Herta Däubler-Gmelin sicher nicht, dass sie Politikerin war, sondern ihr missfiel die Politik, die diese Politikerin machte. Die CDU/CSU hatte keine Bedenken gegen profilierte Politiker, vorausgesetzt, es waren die „rechten“ Politiker. So wurden als Bundesverfassungsrichter beispielsweise gewählt: der frühere Bundesinnenminister Benda, der frühere Baden-Württembergische Ministerpräsident Müller, der frühere Staatssekretär der Regierung Kohl in Rheinland-Pfalz und dann Minister in Baden-Württemberg Herzog.
Die SPD hatte in diesen Fällen keinen Widerspruch eingelegt und auch nicht in anderen, wenn Personen gewählt wurden, die politisch, weltanschaulich oder religiös ein klares Profil aufwiesen, wie z. B. Paul Kirchhof, der Erfinder des Halbeinkünfteverfahrens im Steuerrecht und engagierter Vertreter einer katholisch inspirierten Sozial – und Familienpolitik; ihn als unpolitisch zu bezeichnen, wäre wohl doch übertrieben, nur weil er als Politiker schnell scheiterte und von Frau Merkel, die ihn erst in die Politik gezerrt hatte, sehr schnell fallen gelassen wurde.
Die SPD hat es im Unterschied zur CDU/CSU unterlassen, vergleichbar entschiedene, weltanschaulich und theoretisch gehärtete Vertreterinnen und Vertreter einer sozialen, demokratischen, fortschrittlichen Politik vorzuschlagen; ein Wolfgang Abendroth, der immerhin Mitglied zweier Landes-Staatsgerichtshöfe war oder ein Helmut Ridder wären für die SPD nicht tragbar gewesen. Da brauchte Herr Schäuble gar nicht erst in Aktion zu treten; dass es ihm gelang, angesichts einer solchen Lage die Berufung von Däubler-Gmelin zu verhindern, ist bemerkenswert. Der Kandidat der SPD und Mitglied dieser Partei, Horst Dreier, sollte zum zweiten Opfer werden. Sprecher der Ablehnungsfront war der Ministerpräsident von Baden-Württemberg und Filbinger-Freund, Oettinger.
Da hätte man sich vorab erst einmal ein wenig mehr Standfestigkeit von der SPD erhofft. Aber der Fall Dreier erfordert ein genaueres Hinsehen.
Dreier und die „Würdekollision“
Zunächst ging, durch entsprechende Berichte und Kommentare vor allem in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kraftvoll angestoßen, die Diskussion darum, ob Dreier in Ausnahmefällen die Folter als verfassungsrechtlich erlaubt oder sogar für geboten ansähe oder nicht. Dabei bezog man sich auf wenige Sätze Dreiers innerhalb seiner sehr umfangreichen Kommentierung des Art.1 Abs.1 Satz 1 GG „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Es handelt sich hierbei um eine Norm, nicht um eine Tatsachenfeststellung; eine vergleichbare Formulierung findet sich in Art.3 Abs.2: Männer und Frauen „sind“ gleichberechtigt.
Dreier stellt fest, es läge eine „absolute Garantie“ vor und das heiße „Unabwägbarkeit“ mit anderen Grundrechten. „Vielmehr liegt in jedem Eingriff bereits eine Antastung der Menschenwürde und daher unweigerlich ein Verfassungsverstoß.“[22] Er bezieht sich dabei auch auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und wendet sich ausdrücklich gegen in der Literatur vereinzelt vertretene Gegenmeinungen, die Abwägungsmöglichkeiten einräumen. Das sind klare, eindeutige Aussagen, die auch der – noch? – herrschenden Lehre und Rechtsprechung entsprechen.
Aber es gäbe einen „einzig denkbaren Ausnahmefall“; dies sei die Würdekollision, wenn „Würde gegen Würde“ steht.[23] Zur „schwierigen Problematik von solchen Würdekollisionen“ verweist Dreier auf seine Ausführungen in der Randziffer 133. In der dieser vorangehenden Ziffer 132 wird zunächst wiederum auf die „ausnahmslose Unabwägbarkeit“ Bezug genommen und ausgeführt, nach herrschender Auffassung rechtfertige selbst der Schutz des Lebensrechts einer Geisel nicht die polizeiliche Folter, um die Angabe des Aufenthaltsorts des Opfers zu erzwingen.[24]
Es fällt auf, dass Dreier hier lediglich die „herrschende Auffassung“ zitiert; offen bleibt, ob er sich dieser anschließt oder nicht. Eher nein, wie sich aus den unmittelbar nachfolgenden Ausführungen ergibt, die, weil sie sehr kontrovers interpretiert werden und weil sie sowohl für die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts als auch generell für das Problem der Zulässigkeit der Folter in der Bundesrepublik von Relevanz sind, wörtlich zitiert werden sollen: „Anfechtbar erscheint die verbreitete Erstreckung dieses Unabwägbarkeitsdogmas auch auf die (seltenen) Fälle, in denen die Würde des einen Rechtsträgers unter Berufung auf die Würde eines anderen angetastet werden soll oder auch muss. Solche Würdekollisionen (hervorgeh. H.D.) werden häufig entweder schlechthin in Abrede gestellt oder für untauglich zur Rechtfertigung von Würdeverletzungen erklärt. Tatsächlich aber können sich staatliche Organe im Einzelfall mit zwei prinzipiell gleichwertigen, da gleichermaßen aus Art.1I folgenden Rechtspflichten konfrontiert sehen, nach Ausschöpfung aller anderen Mittel nur noch die Würde des Opfers oder die des Täters zu verletzen. In diesen Konstellationen dürfte der Rechtsgedanke der rechtfertigenden Pflichtenkollision nicht von vornherein auszuschließen sein.“[25]
Dreier bezieht nicht selbst Stellung; er lässt es offen, ob in den Fällen der Würdekollision Folter anzuwenden ist oder nicht.[26] Er formuliert sehr vorsichtig: „anfechtbar erscheint“, und „nicht von vornherein auszuschließen.“ Aber: Er hält das Folterverbot nicht in allen denkbaren Fällen für absolut und für unabwägbar; er schließt eine rechtfertigende Pflichtenkollision nicht aus. Das wird bestätigt in der Auseinandersetzung mit der Theorie vom unantastbaren Würdekern und dem abwägungsoffenen Schutzbereich der Menschenwürde; dieser Theorie gegenüber „scheint“ ihm die eigene Konzeption eines „grundsätzlich“ unabwägbaren Garantiebereichs vorzugswürdig;[27] Ausnahmen sind also möglich und werden von Dreier auch benannt.
Von einem Grundgesetzkommentar erwartet man eigentlich eine intensivere Problemerörterung und eine begründete eigene Stellungnahme. Es fehlen auch die Konkretisierungen dieser Würdeabwägungen für mögliche reale Situationen. Oder für vergangene, z. B.: Folterungen von RAF-Mitgliedern, um den Aufenthalt des entführten Hanns Martin Schleyer oder die Freilassung der Passagiere der entführten Lufthansamaschine zu erpressen? Das sind doch die von Dreier ins Auge gefassten Würdekollisionsfälle.
Immerhin soll die Möglichkeit der Folterung im Bundeskanzleramt angesprochen worden sein, aber dieser Gedanke wurde nicht weiter verfolgt. Gut, dass der Dreiersche Kommentar damals noch nicht erschienen war.
Ein weiteres Problem ist, dass es sich nach Dreier um entgegenstehende Rechtspflichten handelt; wenn Würdekollisionen aufzulösen sind: dann „muss“, nicht nur darf, die Würde eines anderen angetastet werden; also muss dann der Polizist foltern. Es ist seine – und zwar von der höchsten Norm der Verfassung selbst geforderte – Rechtspflicht zu foltern! In der bisherigen Diskussion war die Frage, ob in bestimmten Fällen – „Rettungsfolter“, „Nothilfefolter“ – die Folterung rechtmäßig und erlaubt sein könne. Nach Dreier müsste, wenn Folter im Kollisionsfall zur Würdewahrung rechtmäßig ist, auch gefoltert werden.[28]
Dreier hat die Riegel an der Folterkammer gelockert. Er hat auf die Möglichkeit hingewiesen, wie diese Tür von den Folterern geöffnet werden kann und gegebenenfalls werden muss.
Die Folterungen im Gefängnis von Abu Ghraib – und ganz sicher nicht nur dort – die zahlreichen Geheimgefängnisse der CIA oder auch Guantanamo: wird all dies nicht gerechtfertigt mit dem Hinweis auf Würdekollisionen? Steht nicht angeblich immer die Würde der vom Terror Bedrohten gegen die Würde der Verdächtigen und der „Gefährder“?
In den USA scheiterte das vom Kongress beschlossene Antifoltergesetz am Veto des Präsidenten und dem Nichterreichen der erforderlichen Zweidrittelmehrheit im Repräsentantenhaus um dies Veto zu überstimmen. Die Folter des water-boarding darf also weiterhin angewandt werden. Präsident Bush hielt nicht nur das water-boarding für erforderlich, sondern „alle alternativen Verfahren, die wir entwickelt haben, um die gefährlichsten und gewalttätigsten Terroristen der Welt zu befragen.“[29] Was in den geheimen Gefängnissen der CIA vor sich geht, ist nach dem Scheitern des Antifoltergesetzes noch weniger zweifelhaft, als es schon zuvor war.
Wer in der Bundesrepublik abwägt, ob das absolute Folterverbot im Würdekollisionsfall nicht mehr gelten soll, darf nicht nur an konstruierte, abgelegene Einzelfälle denken, sondern muss, und zwar von Rechtswegen, stets berücksichtigen, weshalb das Folterverbot absolut gilt: u. a., weil jede Abwägung die Möglichkeit zu weiteren Abwägungen gibt und immer neue Werte aus welchen Wertehimmeln auch immer auf die Wagschale geworfen werden können; letztlich entscheidet dann die Macht, z.B. die des Präsidenten der USA, wohin die Schale sich neigt.
Wurde nicht auch der völker- und grundgesetzwidrige Angriff auf den serbischen Teil Jugoslawiens, der viele Tote, Verletzte und Gefolterte zur Folge hatte, vom damaligen deutschen Außenminister unter Berufung auf denkbar schlimmste Würdeverletzungen („Ich denke auch an Auschwitz“) gerechtfertigt, sekundiert von einer Parteikollegin: „An der Rampe wird wieder selektiert.“?
Das Verbot der Folter und das Verbot des Angriffsgriffkriegs sind in einem historischen Prozess mühsam unter großen Opfern erkämpft worden; die vielen Toten der vielen Kriege, die schrecklich Gefolterten sind eine eindringliche Mahnung, das absolute Folterverbot in seiner Unabwägbarkeit zu verteidigen und den Angriffskrieg zu verhindern. Die Würde des Menschen, seine Freiheits- und demokratischen Selbstbestimmungsrechte können weder politisch noch rechtlich verteidigt werden, wenn damit zugleich ihr Kern aufgegeben wird: Menschen nicht zu Objekten der Folter und des Krieges werden zu lassen.
Es ist gut möglich – und soweit der Verfasser das beurteilen kann – sogar nicht unwahrscheinlich, dass Horst Dreier als Verfassungsrichter eher den juristischen Riegel wieder befestigt haben würde, wäre über eine konkrete Folterung oder ein „Gesetz zum Schutz der Menschenwürde durch Folter“ zu entscheiden. Ein solches Folterausführungsgesetz wäre nämlich aus rechtstaatlichen und demokratischen Gründen erforderlich, wenn denn die Folter für zulässig gehalten wird. Es kann nicht der Polizei oder anderen Organen der Exekutive, gestützt lediglich auf die Auslegungen des Grundgesetzes durch Brugger et al, die Entscheidung überlassen werden, wann gefoltert werden darf, welche Folterwerkzeuge gebraucht werden dürfen, wie lange gefoltert werden darf, welche Art von Verletzungen durch die Folter zugefügt werden dürfen, welche Ärzte und Zeugen hinzuzuziehen sind, welche Protokolle angefertigt werden müssen; diese und andere Fragen müssen beantwortet werden,[30] will man nicht zurückbleiben hinter der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 (Carolina).
Der Vorwurf, Dreier befürworte im Ausnahmefall die Anwendung der Folter, der den Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung über den Kandidaten Dreier gebildet hatte, soll dann aber in einem Gespräch der Ministerpräsidenten Oettinger und Müller mit Dreier am 14.03.2008 keine besondere Rolle gespielt haben. Die Ministerpräsidenten blieben bei ihrer Ablehnung, aber nicht wegen des Vorwurfs, Dreier befürworte die Folter. Das Gespräch war andererseits nicht ergebnisoffen geführt worden;[31] so jedenfalls die Aussage des Journalisten Reinhard Müller von der FAZ, der offenbar hervorragend über die Interna dieser Besprechung unterrichtet worden ist.
Nach ihm soll es in dem Gespräch nicht in erster Linie um das Folterverbot gegangen sein, sondern um die Haltung Dreiers zu bioethischen Fragen und um seine Befürwortung einer Abschwächung des Embryonenschutzes; auch wurde ihm vorgehalten, er verneine die Menschenwürde befruchteter Eizellen[32]. Verübelt worden soll ihm auch sein, dass er es als irreführend ansieht, „das Christentum als entscheidende Prägekraft für zentrale Werte des Verfassungsstaates anzusehen.“
Das ist zwar richtig, aber man liest es nicht gern, in Stuttgart nicht und auch nicht in München oder Rom.[33]
So wurde denn bald immer offenkundiger, dass es die katholische Kirche war, die nachdrücklich die CDU an ihre christlichen Pflichten erinnerte und letztlich die Berufung Dreiers verhinderte.
Man kann nicht sagen, dass die SPD den Kampf um die Besetzung der Verfassungsrichterstelle zu früh aufgegeben habe; sie hatte diesen Kampf gar nicht erst aufgenommen, sondern sich dem christlich-undemokratischen-Machtspruch aus Rom und Stuttgart unterworfen. Nachdem die CDU bekräftigte, sie werde dem Besetzungsvorschlag der SPD nicht zustimmen, wurde von dieser unverzüglich Andreas Voßkuhle, Universität Heidelberg, vorgeschlagen, der dann auch gewählt wurde, ohne dass auch nur ansatzweise dieser Vorschlag öffentlich diskutiert oder kritisch kommentiert wurde.
So konnte die Frankfurter Allgemeine nach der Wahl Voßkuhles, aber vor dessen Ernennung zwar nicht ganz korrekt, aber der Sache nach richtig einen Beitrag mit der Zwischenüberschrift versehen: „Neuer Verfassungsrichter stellt sich vor.“[34] In diesem Gespräch hat Voßkuhle, frei von jeglicher richterlicher Zurückhaltung, bekundet, vor allem Familie und Bildung seien der Klebstoff der Gesellschaft. Dieser etwas verquasten These fügte er hinzu, er spreche sich für Studiengebühren aus, die aber keine „soziale Hürde“ sein dürften. Ob aber Studiengebühren geeignet sind, die Gesellschaft zusammenzukleben – wenn man denn mit Voßkuhle eine zusammengeklebte Gesellschaft als die ideale Form einer demokratisch organisierten Gesellschaft freier Bürger ansieht – ist sehr zweifelhaft, wenn man die überwältigende Fülle empirischer Untersuchungen berücksichtigt, die insbesondere auch für die Bundesrepublik Deutschland nachweisen, dass die finanzielle Situation der Familien die Bildungs- und Ausbildungschancen maßgeblich beeinflusst.
Allerdings hatte sich die SPD von Anfang an in eine sehr unglückliche Lage manövrieren lassen. Als die ersten Vorwürfe laut wurden, Dreier hielte unter bestimmten Voraussetzungen die Folter für zulässig, wurde sogleich von Seiten der engagierten Linken und der Menschenrechtler wie z. B. von amnesty international Dreier zum Teil sehr entschieden abgelehnt. Damit waren die Kräfte, die Dreier hätten unterstützen können, stark zusammengeschmolzen. Aber die Verteidiger Dreiers gingen auch nicht sonderlich geschickt vor, wenn sie einfach leugneten, was doch deutlich zu lesen war: dass Dreier das Folterverbot nicht als absolut und jeder denkbaren Abwägung entzogen interpretierte.
In dieser Situation hätte die SPD die öffentliche verfassungsrechtliche und politische Diskussion mit und um Dreier organisieren müssen. All das dreiersche „erscheint“, dies „nicht von vornherein auszuschließen“ hätte thematisiert werden müssen; schließlich handelte es sich bei den kritisierten Äußerungen Dreiers um wenige, sehr tentative, mehr fragende als dezidiert feststellende Kommentarfragmente. Von einem entschiedenen Befürworter der „Rettungsfolter“ wie Brugger unterscheidet sich Dreier deutlich.
Hätte sich Dreier aber einer solchen Diskussion nicht gestellt, etwa mit dem Argument „ich bewerbe mich nicht“ oder hätte er seine Meinung zur möglichen Zulässigkeit der Folter bekräftigt oder sich zu einem klaren eindeutigen Verbot der Folter nicht entschließen können, dann hätte die SPD von sich aus ihren Vorschlag, Dreier zum Verfassungsrichter zu wählen, zurückziehen sollen und können; so aber ist sie zu Kreuze gekrochen und hat Dreier im Regen stehen lassen, der sich über ihn aus den mittelalterlichen Wasserspeiern von den Kirchendächern ergoss.
Auch von einem anderen möglichen Verfahren, Dreier als Verfassungsrichter doch noch durchzusetzen, hat die SPD keinen Gebrauch gemacht. Hätte sich nämlich der Bundesrat nicht mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit auf Dreier oder auf eine andere Kandidatin oder einen anderen Kandidaten einigen können, so bestimmt § 7a BVerfGG, dass nach Ablauf von zwei Monaten nach dem Ablauf der Amtszeit eines Richters der Präsident des Bundesrats oder sein Stellvertreter das Bundesverfassungsgericht aufzufordern hat, Vorschläge für die Wahl zu machen.
Das Plenum des Bundesverfassungsgerichts beschließt dann mit einfacher Mehrheit, wer zur Wahl vorgeschlagen wird; es hat drei Personen vorzuschlagen. Eine davon hätte selbstverständlich auch Dreier sein können. Aber auch, um nur einen der vielen weiteren möglichen Besetzungsvorschläge zu erwähnen, die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die sich unter Verzicht auf eine weitere parteipolitische Karriere große rechtsstaatliche Verdienste mit der entschiedenen Ablehnung des so genannten „Lauschangriffs“ erworben hatte; sie war von der früheren Verfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach vorgeschlagen worden, weil sie dem „Rechtsstaat besondere Ehre“ gemacht habe und weil durch sie die geringe Frauenquote des Gerichts aufgebessert werden könnte.[35]
Das Plenum des Bundesverfassungsgerichts hätte auch die Möglichkeit gehabt, in ein Rechtsgespräch mit denjenigen Persönlichkeiten einzutreten, deren Vorschlag es in Erwägung zieht, um sich nicht nur auf schriftlich vorliegende juristische und politische Texte beziehen zu müssen. In einem solchen Rechtsgespräch hätten dann Klarstellungen, Präzisierungen und Konkretisierungen der Thesen und Ansichten der Kandidatinnen und Kandidaten vorgenommen werden können; aber auch Berichtigungen und Rücknahmen, denn gerade von Verfassungsrichtern kann und muss erwartet werden, dass sie stets erneut in die Abwägung von Gründen und Gegengründen eintreten und bereit sind, zuvor geäußerte Überzeugungen und Urteile zu revidieren.
Dem Plenum wäre mit dem Vorschlagsverfahren die Gelegenheit gegeben worden, sich allgemein zum Verfahren der Richterwahl zu äußern und den Anstoß zur Reform der grundgesetz- und verfassungsgerichtsgesetzwidrige Richterwahl zu geben: Im Interesse von Rechtsstaatlichkeit und demokratischer Willensbildung – und nicht zuletzt um seines eigenen Ansehens willen.
Das Bundesverfassungsgericht hat oft den politischen Prozess hinweisend, orientierend, belehrend, mahnend und auch unmittelbar eingreifend und korrigierend mitzugestalten versucht, auch wenn der zu entscheidende Streitgegenstand nur geringen Anlass dazu gab. Da wird dann gelegentlich nicht zu unrecht mehr richterliche Zurückhaltung angemahnt.
Auch wer solche Mahnungen grundsätzlich für richtig hält, wird bei der skandalösen Praxis der Auswahl der Bundesverfassungsrichter ausnahmsweise ein ausgreifendes Tätigwerden des Gerichts für erforderlich halten. Es ist nicht sehr realistisch, von den politischen Akteuren selbst zu erwarten, dass sie korrigierend die normativen Grundlagen der Wahl der Bundesverfassungsrichter grundgesetzgemäß ausgestalten werden, oder wenigstens die so „erbärmliche“[36], geradezu mit „Verachtung kritisierte“[37] Praxis ändern würden. Die bestimmenden Politikerinnen und Politiker haben sich zu behaglich in ihren geheimen Kungelgremien eingerichtet und wollen von ihrer Macht nicht lassen.
Die Bundesjustizministerin, die zum Handeln verpflichtet wäre, kann nicht die Lösung des Problems sein, ist sie doch dessen wesentlicher Teil; obwohl ihr nach der Gesetzeslage bei der Wahl selbst keine Mitwirkungsbefugnis zukommt[38], versucht sie, meist mit Erfolg, den Auswahlprozess zu bestimmen. Die Zurückhaltung ihrer Bundeskanzlerin, die der Ansicht ist, die Exekutive habe sich nicht in die Richterwahl einzumischen, ist ihr fremd.[39]
Auch wenn das Plenum des Bundesverfassungsgerichts sich darauf beschränkt hätte, lediglich einen Besetzungsvorschlag zu machen, wäre die rechtliche und politische Diskussion über das Verfahren der Verfassungsrichterwahl, seine Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit und über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit politischer, insbesondere parteipolitischer, staatlich-exekutiver und zivilgesellschaftlich-kirchlicher Mitwirkungen und Einflussnahmen initiiert worden. Dies umso eher, wenn die SPD an Dreier festgehalten und den „Gang nach Karlsruhe“ eingeschlagen hätte.
Damit wäre möglicherweise Dreier gedient gewesen und mit Sicherheit der Demokratie, die angewiesen ist auf Öffentlichkeit des Verfahrens und umfassende Diskussion.
[1] Vgl. J. J. Hagen, Die Renaissance des Rechtsgefühls, DuR 2/1987, S.201 ff.
[2] Vgl. J. J. Hagen, Zum Geltungs- und Entstehungszusammenhang von Recht, DuR, 3/1986, S.282 ff., ders., Reine Rechtslehre und marxistische Rechtssoziologie, in: Reine Rechtslehre und marxistische Rechtstheorie, Wien 1978, Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts, Band 3, S.91 ff.
[3] Ebenda, S. 283.
[4] J. J. Hagen, Das „Gravitationsgesetz des Staates“. Aktualität oder Antiquiertheit des Leviathan-Modells?, In: K.-H. Schöneburg, Hrsg., Wahrheit und Wahrhaftigkeit in der Rechtsphilosophie, 1987, S.40 ff., S.51.
[5] S. zur Funktion von Juristen allgemein: J. J. Hagen, Elitefunktionen von Juristen, in: N. Dimmel, A. J. Noll, Das Juristenjahrbuch, 1991, S.69 ff.; A. J. Noll, Der Richter als „Archetyp“?, in: Chr. Brünner, W. Mantl, A. Noll, G. Pleschberger, Hrsg, Kultur der Demokratie, Festschrift für Manfried Welan zum 65. Geburtstag, 2002, S.145 ff.; ders., Hrsg., Justiz unter Druck? Zur Rolle der dritten Gewalt in Österreich, 1991.
[6] http://www. jura.uni-wuerzburg.de/lehrstuehle/dreier/prof-dr-horst
[7] In einem weiteren Zusammenhang gesehen geht es bei der Anwendung von Folter um die Zukunft des Rechts. Hagen führt dazu aus, im Grunde genommen gehe es bei der Frage nach der Zukunft des Rechts um das Problem der Dialektik von Recht und Gewalt, seit Thomas Hobbes ein Kernpunkt der Rechts- und Sozialphilosophie; das Problem sei aktuell, weil weltweit der Antagonismus von Recht und Gewalt neu durchdacht werden müsse, weil „wir heute die rule of law keineswegs weltweit als gesichert ansehen können... Es gibt ganz offensichtlich auch heute strukturelle Defizite in der Konstruktion des Rechtsstaats, der permanent solche gewaltnahen Bereiche wie Polizei und Geheimdienste ausklammert und ihnen damit die Stellung eines Staates im Staate einräumt, für den diese rechtlichen Regeln nicht gelten.“, J. J. Hagen, Die Zukunft des Rechts, in: J. J. Hagen, W. Maßl, A. J. Noll, G. Oberkofler, querela iuris. Gedächtnisschrift für Eduard Rabofsky (1911-1994), 1996, S.124 ff., S.125.
[8] Vgl. P. Bahners, Diffamiert? Richterkandidat Dreier rechtfertigt die Folter, FAZ v. 11.02.2008, ders., Foltern aus Höflichkeit?, FAZ v. 15.02.2008; Chr. Rath, Folter muss tabu bleiben, taz, 17.03. 2008. Bahners Ausführungen fanden teilweise sehr entschiedene Kritik; vgl. z. B. E. Liebert, Leserbrief, FAZ v. 22.02.2008: „Die Fundamentalkritik von Patrick Bahners an der realitätsbezogenen Rechtsauffassung des angehenden Verfassungsrichter Dreier erweist sich als Rede eines Elfenbeinbewohners ohne jegliche Verantwortung.“
[9] So vor allem: R. Leicht, Ein Folterknecht als Richter? Wie konnte es geschehen, dass ein angesehener Staatsrechtslehrer mit einem Mal als akademischer Folterknecht dasteht? Horst Dreier wird zu Unrecht demontiert, Tagesspiegel, 18.02.2008; Dreier „nachzusagen, er wolle die unantastbare Menschenwürde ‚antastbar’ machen, ist also infam.“
[10] In der beratenden Versammlung des Europarates wurde der Vorschlag gemacht, zum Folterverbot folgenden Zusatz anzufügen: „dass dieses Verbot absolut sein muss und dass Folter für keinen wie auch immer gearteten Zweck zugelassen werden kann, sei es die Erzwingung von Aussagen, die Rettung von Leben oder auch die Sicherheit des Staates. Die Versammlung ist der Auffassung , dass es für eine Gesellschaft sogar besser wäre unterzugehen, als zuzulassen, dass dieses Relikt der Barbarei erhalten bleibt.“ Zitiert nach: M. Hong, Das grundgesetzliche Folterverbot und der Menschenwürdegehalt der Grundrechte – eine verfassungsjuristische Betrachtung, in: G. Beestermöller, H. Brunkhorst, Hrsg., Rückkehr der Folter, 2006, S.24 ff., S.28. Der Zusatz wurde nicht aufgenommen, weil sein Inhalt am besten durch die Feststellung, dass jede Folter verboten sei, zum Ausdruck gebracht werde; vgl. M. Hong, ebenda.
[11] R. Thoma, Gutachten betr. die Stellung des Bundesverfassungsgerichts. in: Der Status des Bundesverfassungsgerichts, Gutachten, Denkschriften und Stellungnahmen mit einer Einleitung von Gerhard Leibholz, JöR NF Bd. 6, 1957, S.161 ff., S.188. Thoma führt aus: „Es widerspricht dem Art. 94 GG dass das BVerfGG § 6 dem Bundestag das Recht der Wahl von Richtern zum BVerfG entzieht und dies auf ein vom Bundestag zu wählendes Kollegium von 12 Wahlmännern überträgt, und es widerspricht dem GG doppelt, weil das BVerfGG die Sache so eingerichtet hat, dass die keiner Fraktion angehörenden Abgeordneten nahezu völlig entrechtet sind.“
[12] Ebenda.
[13] P. Römer, Kleine Bitte um ein wenig Positivismus. Thesen zur neueren Methodendiskussion, in: W. Abendroth u. a., Der Kampf um das Grundgesetz. Über die politische Bedeutung der Verfassungsinterpretation, herausgegeben von P. Römer, 1977, S.87 ff.
[14] Zum Wahlverfahren, der Kritik daran, seiner historischen Entwicklung sowie zu Reformvorschlägen vgl. mit zahlreichen Nachweisen: W. K. Geck, Wahl und Status der Verfassungsrichter, in: J. Isensee, P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd.II Demokratische Willensbildung – Die Staatsorgane des Bundes, 1987, S.697 ff., S. auch U. K. Preuß, Die Wahl der Mitglieder des BVerfG als verfassungsrechtliches und politisches Problem, ZRP 1988, S.389 ff. Auch Klaus Stern geht von der Verfassungswidrigkeit des Wahlverfahrens aus, sieht es aber als entscheidend an, dass „das Verfassungswidrigkeitsargument nach fast dreißigjähriger Praxis der indirekten Wahl an Durchschlagskraft verloren hat“, K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, München 1990, S.363; das ist ein politisches Argument, denn wie könnten wissenschaftliche Argumente durch bloßen Zeitablauf ihre Richtigkeit verlieren?
[15] Deren Namen sind bekannt: Bundesjustizministerin Zypries; Gröhe, der Justitiar der Unionsfraktion; der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Oettinger und der Bremer Bürgermeister Böhrnsen; vgl. FAZ vom 28.2.2008.
[16] So der Korrespondent der Süddeutschen Zeitung H. Kerschner, zitiert nach Deutschlandfunk, Hintergrund vom 15.02.2008 (http://www.dradio.de).
[17] Vgl. z. B. W. Meyer, Rz 19 zu Art.94 in: I. v. Münch, Hrsg., Grundgesetzkommentar, 1978.
[18] Vgl. H. Ridder, Bemerkungen zur Funktion und Jurisprudenz des Bundesverfassungsgerichts, DuR 1983 S.3 ff., S.8: Das Bundesverfassungsgericht, „diese Institution, die den Interessen des Bürgertums eine höhere Weihe gibt, reflektiert diese Interessen höchst exakt. Sie ist die sich von jeder fremder Interessenbeimischung frei auf die höchste Ebene erhebende Bourgeoisie selbst. Man braucht sich nur die Regeln und Prozeduren der Richterwahl anzuschauen um zu erkennen, wie die im Parlament die Alleinvertretung des ‚Gemeinwohls’ beanspruchenden ‚demokratischen’ Parteien, ganz gleich ob ‚regierend’ oder ‚in Opposition’ im BVerfG die wahre Regierung (kursiv H.R.) abbilden, die eine permanente Allparteienregierung ist.
[19] Vgl. P. Römer, Hans Kelsen und das Problem der Verfassungsinterpretation, in: W. Abendroth u. a., Ordnungsmacht? Über das Verhältnis von Konsens und Herrschaft, Hrsg., D. Deiseroth, F. Hase, K.-H. Ladeur, 1981, S.180 ff.
[20] P. Carstens, Auch für uns eine nachdenkenswerte Zeit, FAZ v. 6.3.2008, und R. Müller, P. Carstens, Die Union hat sich auf Dreier noch nicht festgelegt, FAZ v. 22.01.2008; von ihnen wird die Nichtberücksichtigung der FDP bedauert, denn „die Verfassung sieht nicht vor, dass sich über Jahrzehnte zwei Parteien in Bund und Ländern die höchsten Richterstellen untereinander aufteilen.“
[21] Vgl. zum Beispiel W. Geiger, Vierzig Jahre Bundesverfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland, DRiZ, 1991, S.357ff,. S.363: „Die große Zeit der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland ist vorbei. Die sichtbare Zäsur bildet das Versagen des Gerichts bei der Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit des Einigungsvorgangs, insbesondere der Änderung der Verfassung durch den sogen. Einigungsvertrag.“ Vgl. auch: H. Ridder, Das Bundesverfassungsgericht. Bemerkungen über Aufstieg und Verfall einer antirevolutionären Einrichtung, in: Der Kampf um das Grundgesetz, Fußnote.13, S.70 ff.
[22] H. Dreier, in ders., Hrsg., GG Kommentar, 2. Aufl., 2004 Art.1I RZ 44.
[23] H. Dreier, ebenda.
[24] H. Dreier, a. a. O., RZ 132.
[25] H. Dreier, a. a. O., RZ 133.
[26] Was vor 15 Jahren kaum vorstellbar war, ist inzwischen Wirklichkeit geworden: In der Bundesrepublik Deutschland wird eine intensive, ausgebreitete Diskussion über die Zulässigkeit der Folter geführt. In dem vorliegenden Zusammenhang kann diese Diskussion nicht im Einzelnen referiert werden. Ausgelöst wurde sie 1995 von Winfried Brugger, der Folter unter bestimmten Bedingungen für zulässig hält; seitdem hat er mit großer Emsigkeit seine Thesen vielmals wiederholt und verteidigt; Fundstellen bei M. Hong, a. a. O., Fußnote 10, s. insbes. Anmerkungen 11 und 13, S.116. Vgl. ergänzend dazu: Die Podiumsdiskussion zwischen D. Grimm, B. Schlink, W. Brugger, Humboldt Forum Recht v. 28.06.2001, http://www.humboldt-forum-recht.de; W. Brugger, Einschränkung des absoluten Folterverbots bei Rettungsfolter? APuZ 36, 2006; im gleichen Heft auch: H. Bielefeldt, Zur Vereinbarkeit von Folter und Rechtsstaatlichkeit und Th. Bruha, Chr. J. Tams, Folter und Völkerrecht. Eine gute Problemübersicht und zahlreiche Literarhinweise gibt der Sammelband, Rückkehr der Folter, s. Fußnote Nr. 10 Vgl. ferner J. Ph. Reemtsma, Folter im Rechtsstaat?, 2005; H. Bielefeldt, Menschenwürde und Folterverbot. Eine Auseinandersetzung mit den jüngsten Vorstößen zu Aufweichung des Folterverbots, Deutsches Institut für Menschenrechte, Essay Nr. 6, März 2007; speziell zum Fall Daschner, (Folterandrohung durch einen Polizeivizepräsidenten, um die Angabe des Aufenthaltes eines entführten Kindes zu erzwingen) der in allen neueren Arbeiten eingehend behandelt wird und oft den Anlass bildet, die „Rettungsfolter“ zuzulassen oder zu gebieten: 12 Stellungnahmen und Kommentare zum Daschner-Fall, AG Friedensforschung an der Uni Kassel, http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Menschenrechte/folter; J. Leicht, Wird Folter in Deutschland wieder hoffähig? http://www.wsws.org/de/2004/nov2004/folt-n26.shtml
[27] H. Dreier, a. a. O. RZ 134.
[28] So zutreffend P. Bahner, FAZ v. 11. 02.2008.
[29] Vgl. R. Rupp, CIA darf weiter foltern, junge Welt v. 13.03.2008.
[30] Vgl. A. W. Brugger, der die selbst gestellte Frage, „Müssten wir dann im Polizeirecht etwas Unregelbares regeln, Foltermethoden?“ folgendermaßen beantwortet: „Eigentlich ja, wenn aber Würde gegen Würde, sozusagen auch Rechtsstaat gegen Rechtsstaat steht kann man die Normen ausreichen lassen, die im Strafrecht für Notwehr, Nothilfe und den rechtfertigenden Notstand gelten, ergänzt um einen für Polizeibeamte angehobenen Verhältnismäßigkeitsmaßstab, sowie, wenn möglich, richterliche Aufsicht, APuZ, a. a. O.; anderer und zutreffender Ansicht: H. Bielefeldt, a. a. O., S. 17: „Eine staatliche Folterbefugnis im Rahmen der rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeit wäre schon begrifflich ein Monstrum und in der Praxis nichts anderes als ein Freibrief für staatliche Willkür.“
[31] Das hatte P. Bahners bereits vorausgesehen: Update; Was er geschrieben hat, hat er geschrieben: Warum sollte Horst Dreier zum Verhör bei Günther Oettinger erscheinen? FAZ v.18.02. 2008. „Die Union hat ihre Haltung, in Oettingers Worten‚ auf der Grundlage von umfangreichen Veröffentlichungen’ Dreiers gebildet; unmöglich könnte der als Mann des voreiligen Wortes notorische baden-württembergische Ministerpräsident zugeben, dass man nicht genau genug gelesen habe.“
[32] Vgl. U. Knapp, Sie nennen es Moral. Die Debatte um die Wahl des Würzburger Juristen Horst Dreier zum Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts ist verlogen, denn die Einwände der Union kommen viel zu spät, Tagesspiegel v. 13.02.2008.
[33] Hasso Hofmann verteidigt Dreier gegen den Vorwurf, ein kämpferischer Atheist zu sein, und weist darauf hin: „Horst Dreier ist Mitglied der evangelischen Kirche. Seit 2000 gehört er dem Wissenschaftlichem Kuratorium der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. (Fest) in Heidelberg an und im vorigen Jahr wurde er in den Evangelischen Hochschulrat der EKD berufen.“ Und er fragt: „Könnte es sein, dass wir es mit einem antiprotestantischen Affekt zu tun haben, der sich gegen die lutherische Zweireichelehre wendet?“ Sieht so ein kämpferischer Atheist aus?, Leserbrief v. 21.02 2008.
[34] FAZ vom 26.04.2008: „Familie und Bildung sind der Klebstoff der Gesellschaft“. Neuer Verfassungsrichter Voßkuhle stellt sich vor.
[35] Vgl. WELT ONLINE v. 23.09.2007.
[36] H. Schueler, zitiert nach W. K. Geck, Wahl und Status der Verfassungsrichter, Fußnote 14, §14, RZ 14 Anm. 20.
[37] W. G. Geck, a. a. O., §17, RZ 18.
[38] Gemäß §8 BVerfGG stellt das Justizministerium lediglich die dort genannten Listen mit möglichen Kandidaten auf; an der Auswahl der Kandidaten ist es nicht beteiligt.
[39] „Die Bundeskanzlerin verfolgt den Fall dem Vernehmen nach aufmerksam, ist aber nicht der Ansicht, dass es Sache der Parteivorsitzenden sei, über Verfassungsrichter zu reden... Die Richterwahl sei nicht in erster Linie das Geschäft der Exekutive.“ R. Müller, Wann darf Hassemer abtreten? FAZ v. 20.02.2008. Anzumerken ist, dass die Bundesverfassungsrichterwahl überhaupt nicht das Geschäft der Exekutive ist, auch nicht in zweiter Linie; wahlberechtigt sind Bundestag und Bundesrat.