Kuba ist in der politischen Diskussion wie auch in der medialen Öffentlichkeit nicht klein zu kriegen, und das Land wie seine Regierung machen keine schlechte Figur dabei.[1] Und obwohl Fidel Castro durch seinen wohl endgültigen Amtsverzicht nur noch sporadisch Thema der internationalen und hiesigen Medien ist, so ist das Kuba unter Rául Castro in jüngster Zeit durch anstehende wirtschaftspolitische Veränderungen in die Schlagzeilen geraten. Aber auch die im Juni erfolgte Aufhebung der EU-Sanktionen und die im Zuge der US-Präsidentschaftswahlen wieder aufgeflammte Debatte um das US-Handelsembargo gegenüber Kuba zeigen, dass die kleine karibische Republik nur wenige politische Beobachterinnen und Beobachter unbeteiligt lässt. Wir fragen in diesem Beitrag, wie Kuba mit den Umbrüchen seit den 1980er Jahren umgegangen ist, wo das Land heute wirtschaftlich und politisch steht und mit welchen Problemen es zu kämpfen hat.
Die jüngere Geschichte
Zeitlich parallel zu Perestroika und Glasnost in der UdSSR in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wird in Kuba die entgegengesetzt orientierte Politik der rectificación (der „Korrektur von Irrtümern“) eingeleitet, privatunternehmerische Einflüsse sollen zurückgedrängt werden. Mit dem Zusammenbruch von UdSSR und RGW (1990-1992) setzt in Kuba (zwangsläufig) eine erneute politische und ökonomische Korrekturbewegung ein. Es beginnt der período especial en tiempos de la paz. 85 Prozent des Marktes, der Abnehmer wie der Lieferanten, fallen weg; Kredite, Kraftstoffe, Düngemittel u.v.m. fehlen. Im Gegenzug fordern viele Staaten die Rückzahlung von Krediten bzw. den Ausgleich der Handelsbilanz. Infolgedessen sinkt der Lebensstandard extrem, während gleichzeitig das US-Embargo durch das Torricelli-Gesetz ausgeweitet wird.
1993 kommt es zu kleineren Unruhen vor allem in Havanna. Daraufhin wird der US-Dollar mit dem Ziel legalisiert, den Schwarzmarkt einzudämmen und die Kriminalisierung vieler Kubaner, die im Besitz von US-Dollar sind bzw. diese aus Florida regelmäßig überwiesen bekommen, zu beenden. Trotzdem setzt im Sommer 1994 eine erneute Ausreisewelle von ca. 40.000 Menschen ein, die auf Flößen wiederum nach Miami zu entkommen versuchen. Bemerkenswerterweise weigern sich die USA ab Herbst 1994, weitere Flüchtlinge aufzunehmen.
Im Frühjahr 1997 findet die erste Konferenz der nicht-antikommunistischen Exil-Kubaner in Havanna statt. Und im Frühjahr 1998 besucht der Papst die Insel. Schließlich spricht sich Ende der 1990er Jahre der US-Kongress für die Aufhebung der Beschränkungen beim Export von Nahrungsmitteln und Medikamenten aus. Die Kreditvergabe für derartige Exporte soll jedoch US-Banken weiterhin untersagt bleiben. Nach dem Putsch von 2002 gegen Hugo Chávez in Venezuela rücken Caracas und Havanna immer enger zusammen; in der Peripherie dieses neuen bolivarischen Bündnisses werden bereits vorher die Linkssozialdemokraten Kirchner und Lula in Argentinien und Brasilien gewählt; im Jahre 2005 kommt eindrucksvoll die Wahl von Evo Morales in Bolivien hinzu, zudem 2006 – vermutlich weniger einschneidend – in Chile der Wahlsieg der Sozialdemokratin Bachelet, 2007 die Ernennung Rafael Correas zum Präsidenten Ecuadors und im Jahr 2008 in Paraguay der Sieg von Fernando Lugo. Lateinamerika befindet sich in einem unübersehbaren Wandel und entzieht sich mehr und mehr dem direkten US-Einfluss. Eine Entwicklung, die ohne die Vorbildwirkung Kubas schwer vorstellbar ist.
Ökonomie und Sozialpolitik in Kuba
Grundsätzlich bietet Kuba – naturräumlich gesehen – gute Voraussetzungen für eine entwickelte Landwirtschaft. Große Nickel- und bescheidenere (allerdings stark schwefelhaltige oder sehr tief liegende) Erdölvorkommen erlauben überdies Industrialisierungsansätze. Die Einbindung in den RGW ab Ende der 1960er Jahre hat Kuba einerseits zu einem Schwellenland gemacht. Andererseits hat die RGW-Mitgliedschaft in Kuba die (Zucker-)Monokultur der vorrevolutionären Zeit verfestigt – die Grundlage des relativen Reichtums beruht wesentlich auf dem von den sozialistischen Ländern garantierten stabilen Zuckerpreis.
Nach dem Zusammenbruch des RGW sinkt das Bruttoinlandsprodukt drei Jahre lang um insgesamt knapp 40 Prozent – eine hierzulande unvorstellbare Entwicklung. Diese Wirtschaftskrise wirkt sich Anfang der 1990er Jahre umso gravierender aus, als gleichzeitig das mögliche Auffangbecken der „Länder des Dritten Weges“ (Konferenz von Bandung/Nichtpaktgebundene) ebenfalls in Auflösung begriffen ist. Von dieser Seite gibt es also keine Hilfe für Kuba. Seitdem werden auch keinerlei Ersatzteile mehr geliefert bzw. gekauft. Die Bundesrepublik Deutschland hat alle Lieferverträge, die Kuba mit der DDR abgeschlossen hatte, nach dem 3. Oktober 1990 nicht weiterverfolgt bzw. nicht eingehalten, besteht jedoch auf der Zahlung der Auslandsschulden Kubas, deren Rückzahlung ausgehend von dem Besuchs von Ministerin Wieczorek-Zeul und diverser Wirtschaftsdelegationen im Jahr 2000 geregelt wurden. Die Folgen der weltpolitischen wie -wirtschaftlichen Entwicklungen sind angesichts des in den 90er Jahren niedrigen Preises auf dem Weltmarkt für das kubanische Hauptprodukt Zuckerrohr katastrophal. Der Maschinenpark ist im Laufe der 1990er Jahre fast vollständig zusammengebrochen, mit Ochsen und Pferden werden Pflüge und Karren gezogen, die Versorgung mit Düngemitteln ist sehr problematisch geworden. Die Milchproduktion, die wesentlich auf Dünger- und Futtermittellieferungen aus der Sowjetunion und aus der DDR beruhte, ist zeitweise um 80 Prozent zurückgegangen. Zusätzlich geschädigt durch Naturkatastrophen (Dürren und Hurrikane) erreichen 1994 – am Tiefpunkt der Entwicklung – die Erträge der Zuckerrohrernte mit 600 Millionen US-Dollar nur 15 Prozent der Erlöse von 1990.
Período Especial – Maßnahmen gegen die Krise
Die drei zentralen Prinzipien der kubanischen Politik – Aufrechterhaltung des politischen (sozialistischen) Systems, Aufrechterhaltung der sozialen Errungenschaften, Erhalt der nationalen Unabhängigkeit – bleiben in den krisenhaften 1990er Jahren trotz aller Fährnisse unangetastet.
Im Einzelnen entwickeln sich folgende Maßnahmen, denen (am Beginn der Krise) eine breite öffentliche Diskussion innerhalb der Bevölkerung vorausgeht:
· In über 100 Berufen wird die Gründung privater Kleinunternehmen (trabajo por cuenta propia) zugelassen.
· Die Lizensierung privater Restaurants (als Familienbetriebe) verbessert die Situation ebenfalls.
· 1993 wird die (bisherige) Schattenwährung US-Dollar freigegeben. Schätzungsweise eine Million Kubanerinnen und Kubaner besitzen zu diesem Zeitpunkt, resultierend aus den Transfers vonseiten der Exilkubaner, bereits US-Dollar und befinden sich dadurch in einem Zustand der Illegalität.
· Mit der Reformierung, d.h. vor allem Dezentralisierung, des 1986 geschaffenen plan alimentario (technische Aufrüstung der Landwirtschaft) versucht die Regierung zu Beginn des período especial durch den Aufkauf von 10.000 landwirtschaftlichen Betrieben (damit befinden sich zum damaligen Zeitpunkt 83 Prozent der Landfläche in staatlicher Hand), eine Produktionssteigerung zu erreichen. Der Plan scheitert: Die Flächen sind zu groß, die Maschinen zu rückständig, die aus den Städten geschickten Erntehelfer meist unqualifiziert und überdies häufig unwillig. Ab 1993 wird durch diese Dezentralisierung und die Schaffung von eingeschränkt selbstverwalteten Kooperativen (UBPCs) mit geringen Autonomierechten in der Arbeits- und Beschäftigungspolitik, Kredit- und Arbeitsmittelbeschaffung eine Korrektur vorgenommen. In den UBPCs herrscht eine – im Vergleich zu vorher – breite Basisdemokratie. Der Staat ist aber nach wie vor zentraler Abnehmer. Die Lage bleibt problematisch: Dünger ist ebenso knapp wie Devisen, aber er wird vor allem beim Tabak eingesetzt. Zudem sind die erzielten Preise sehr niedrig.
· Im Laufe der Krisenjahre werden die (privaten Peso)Bauernmärkte gestärkt – die UBPCs dürfen nun 20 Prozent ihrer Überschussproduktion hier absetzen, was die Versorgung eines kleinen Teils der Bevölkerung verbessert hat.
· Die Renaissance des Reisanbaus und der Import von Sojabohnen und ‑öl (im Tausch gegen Zuckerprodukte) sollen eine gewisse Diversifizierung der Ökonomie einleiten.
· Die Regierung stimuliert unter anderem die Züchtung von Süßwasserfisch.
· Die Menschen sollen verstärkt zur Eigenversorgung angehalten werden. Neben den eigenen Hausschweinen und Hühnern versucht die Regierung, den Gartenbau zu fördern – u.a. durch die Lehre vom Kleingartenbau in den Schulen des Landes, im Projektunterricht am Nachmittag.
· Die angespannte Ernährungssituation des Landes wird in den vergangenen Jahren entscheidend verbessert durch das System der agricultura urbana: Hier werden bis Mitte 2006 in der Nähe größerer Agglomerationen etwa 24.000 bäuerliche Betriebe – entweder neugegründet oder umstrukturiert – zu ökologischer Landwirtschaft animiert. In aller Regel stellt der Staat den privaten Bauern Brachland zur Nutzung zur Verfügung. Viele dieser Bäuerinnen und Bauern erzielen wiederum höhere Erträge und finanzielle Erlöse.
· Das Land lädt ausländisches Kapital zu joint ventures – empresas mixtas ein. Schwerpunkte sind der Tourismus, der Nickelabbau und die Energieproduktion. Neben der Anwerbung ausländischen Kapitals ist vor allem die Reintegration Kubas in den Weltmarkt das Ziel. In der Folge entwickelt sich unter anderem ein gewaltiges Lohngefälle zwischen dem Binnen- und dem Devisensektor. Ein kleiner Teil der Löhne wird an die Arbeitnehmer in US-Dollar ausgezahlt. Die Peso-Einkommen sind hier überdurchschnittlich.
· Kubanischen Unternehmen ist seit 1992 der freie Umgang mit Devisen erlaubt, soweit diese aus der internationalen Vermarktung ihrer Produkte resultieren.
· Der Tourismus wird im großen Stil ausgebaut
· 1998 schließlich beginnt auch die Möglichkeit der Eigenvermarktung der Produkte durch private Bauern, auch außerhalb der agricultura urbana.
International propagiert Kuba nach der erzwungenen Hinwendung zu nicht-sozialistischen Staaten eine „Politik des gemeinsamen Handelns“, man versucht, Umschuldungs- oder Entschuldungsinitiativen zu koordinieren, gegenseitige Wirtschafts- und Katastrophenhilfe (wie zum Beispiel 1997 in Nicaragua) zu leisten. Die Regierung unternimmt den Versuch einer stärkeren Hinwendung zur VR China. Bemerkenswert ist, dass auch im período especial niemandem die Wohnung gekündigt wird, weil er die Miete nicht mehr zahlen kann, keine Universität wird geschlossen, kein Krankenhaus, keine Schule, kein Kino. Auch bemerkenswert: Frauen sind von Krisenphänomenen wie Entlassungen etc. nicht stärker betroffen als Männer.[2]
Die wirtschaftlichen Ergebnisse des ersten Jahrzehnts der „speziellen Periode“ können sich, im internationalen Vergleich, durchaus sehen lassen. Seit 1995 erholt sich das Bruttoinlandsprodukt spürbar (1995 um 2,5, 1996 um 7,5 sowie 1997 und 1998 um weitere 2,5 bzw. ein Prozent). Der Zuwachs von 6,2 Prozent im Jahre 1999 resultiert bereits weitgehend aus einer Verstärkung des Tourismus; für 2000 notieren die Statistiken eine Erhöhung des BIP um weitere fünf Prozent und für 2007 wurden sieben Prozent Wachstum bescheinigt. Diese Zahlen sagen allerdings nur die halbe Wahrheit, denn die Erholung erfolgt zu diesem Zeitpunkt von einem sehr niedrigen Niveau aus.
Bis zur Jahrtausendwende ist es auch gelungen, den kubanischen Peso zu stabilisieren. Sein Kurs liegt im Jahr 2008 bei 24:1 zum US-Dollar (1993/94 150:1). Neben dem Dollarbesitz sind zu dieser Zeit auch Überweisungen von US-Dollar nach Kuba legalisiert – der Staat erhält dadurch im Devisensektor wieder ein höheres Maß an Kontrolle. Die Rechtssicherheit für Bürger und Staat ist wiederhergestellt.
Positiv an den Erfahrungen des período especial – und nur damit kann man das Durchhalten der Bevölkerung erklären (nur noch 40 Prozent der Bevölkerung kennen die sozialen Verhältnisse Kubas vor der Revolution) – ist vor allem, dass die Gesundheitsversorgung im Lande auch in diesen problematischen Zeiten aufrechterhalten werden kann, auch wenn die Auswirkungen der Krise in diesem Sektor nicht zu übersehen waren. Eine positive Nebenerscheinung der Abschneidung von RGW und Weltmarkt durch US-Blockade und Devisenmangel sind neue Initiativen bei der Entwicklung der Naturmedizin. Die dezentrale Schulversorgung bleibt bestehen, die Milchversorgung ist gestreckt worden – die älteren Schüler erhalten (unpopuläre) Soja-Milch und -Joghurt, der Schulbus ist durch eine unbequeme Lastwagenpritsche ersetzt worden, Saxophonklassen in den Schulen für Musischbegabte werden – aufgrund fehlender Ersatzteile – in Gesangsklassen umgewandelt ...
Zum Schul- und Gesundheitswesen: Beide sind dezentral organisiert, bevölkerungsnah. Auch im letzten pueblo der Sierra findet man eine Schule, das kleine Behandlungszimmer einer Ärztin bzw. eines Arztes oder gar ein kleines (wenngleich außerordentlich bescheiden eingerichtetes) Krankenhaus. Ein Netz von Geburtshäusern, in denen sich schwangere Frauen ab der 37. Woche auf ihre Entbindung vorbereiten können, überzieht die Insel. Sie erhalten 100 Prozent ihres Lohnes bis sechs Monate nach der Niederkunft, danach sechs Monate 60 Prozent, dann haben sie noch ein Jahr eine Garantie auf Rückkehr an ihren Arbeitsplatz. In der Krankenstation einer Zuckerfabrik entdecken aufmerksam Reisende eine kleine Forschungsstation für Naturheilmittel. Ärztin, Arzt und die Helferinnen bemühen sich um die Reaktivierung von altem Wissen. Kuba ist sehr bemüht, das gesamte Land mit Kindergärten zu versorgen.
1997 wird schließlich die erste Freihandelszone eingerichtet – drei weitere folgen. Die Steuerverhältnisse für das investierende Kapital können nur traumhaft genannt werden. Es geht um die Beschäftigung der (im Vergleich zu anderen lateinamerikanischen Ländern) hochqualifizierten kubanischen Bevölkerung sowie um die Produktion billiger Konsumgüter auf der wie auch für die Insel.
Weitere Anzeichen einer Trendwende seit 2000
Während des período especial fehlt es beinahe an allem. Jedoch leiden auch nahezu alle darunter, ausgenommen die ersten Dollargewinnler. Die Verschärfungen des US-Embargos von 1961 durch den Torricelli-Act (1992) und das Helms-Burton-Gesetz (1996) haben ein Übriges getan. Seit etwa 1997 ist jedoch die Rückgewinnung ökonomischer Gestaltungsmöglichkeiten durch den Staat nicht nur im Bereich des heutigen Hauptdevisenbringers Tourismus sichtbar. So hat sich die enorm wichtige alltägliche Verkehrsinfrastruktur verbessert. Verkehrspolitik in Kuba ist auch neben der teilweisen Rekonstruktion des Transportsektors Fahrradpolitik. Die Menschen haben das Rad „angenommen“ – gezwungenermaßen freilich, denn viele würden lieber mit einem Mofa oder gar Auto fahren. Kuba könnte zum Muster für die Lösung der Verkehrsprobleme in Agglomerationen der Entwicklungsländer werden.
In dieser Zeit besuchen zahlreiche (auch deutsche) Wirtschaftsdelegationen das Land. Die wichtigsten wirtschaftlichen Impulse für die Erholung jedoch kommen zum einen aus Venezuela, sie strahlen dann aus auf ein neues Verhältnis zur VR China.[3] Das Venezuela Hugo Chávez’ liefert Kuba Erdöl weit unter dem (enorm erhöhten) Weltmarktpreis, Erdöl, mit dessen Veredelungsprodukten Kuba darüber hinaus Devisen einwerben kann. Kuba „bezahlt” den günstigen Ölpreis zum einen durch den Export von Nickel, zum anderen durch den zeitweisen Transfer von zigtausenden Ärztinnen und Ärzten, derzeit dürften sich etwa 20.000 Medizinerinnen und Mediziner in Venezuela aufhalten und darum bemüht sein, die teilweise katastrophale Gesundheitsversorgung eines der größten Öl-Exportländer der Erde zu verbessern (insgesamt hat Kuba seit der Revolution über 100.000 Ärztinnen und Ärzte ins Ausland geschickt.).
Das Verhältnis zur VR China, seit der Jahrtausendwende u.a. durch eine Vielzahl von Kontakten auf höchster politischer Ebene charakterisiert, weist ungeahnte Entwicklungen auf. So erwarb Kuba von China im Jahre 2005 zunächst zwölf Lokomotiven, denen weitere 100 folgen sollen, um den maroden Zustand des Fuhrparks der kubanischen Eisenbahn zu sanieren. Die oben angesprochene und nach dem Zusammenbruch des RGW entstandene völlig unzureichende Situation des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV) wird sich in diesen Jahren entscheidend verbessern durch den Kauf von 1.200 chinesischen Bussen in 2005, dem in den kommenden Jahren weitere 7.000 folgen sollten. Auch die VR China importiert Nickel aus Kuba, darüber hinaus wird Kuba verstärkt in das chinesische Ausbildungssystem von Medizinerinnen und Medizinern involviert. Anders als bspw. die EU mischt sich die VRC nicht in die inneren politischen Angelegenheiten Kubas ein, Kuba – auf der anderen Seite – ist ein pünktlicher Rückzahler chinesischer Kredite.
Im vergangenen Jahrfünft haben einige Großbetriebe die Produktion wieder aufgenommen. Einige joint ventures, vor allem mit kanadischen und mexikanischen, neuerdings auch indischen, chinesischen und venezuelanischen Partnern, sind dazugekommen. So gibt Granma Internacional im Mai 2006 die „Wiederherstellung der Erdölraffinerie in Cienfuegos“ mit 51 Prozent des Kapitals in kubanischer und 49 Prozent in venezuelanischer Hand, bekannt. Dieselbe Ausgabe der Zeitung berichtet über ein indisch-kubanisches Unternehmen in der Tumorforschung – die Liste der Beispiele wäre beliebig fortsetzbar. Im Nickelabbau (in Zusammenarbeit mit einem kanadischen Unternehmen) wurden in den vergangenen Jahren teilweise hohe Zuwächse erwirtschaftet, ebenso beim Zucker und in der Tabakproduktion. In 2005 ergab sich ein Rekord-Wirtschaftswachstum von über elf Prozent, bei allerdings einer Inflation von ca. vier Prozent. Für alle Entwicklungsländer, ausgenommen Indien und die VR China, ein überdurchschnittliches Wachstum! Oscar Martínez Cordovéz meinte zur wirtschaftlichen Lage, dass 2005 in etwa wieder der Vor-Krisen-Stand vom Beginn der 90er Jahre erreicht worden ist.
Die Gehälter in einigen Schlüsselberufen (Gesundheitswesen, Bildung, Polizei) sind – in Pesos – mehrfach erhöht worden. In vier Freihandelszonen produzieren heute über 300 Firmen (größtenteils aus Spanien, Italien und Kanada). Im Gegenzug zu Steuerfreiheit und zollfreiem Im- und Export erwartet Kuba Beschäftigungsimpulse (ca. 1,5 Prozent der Beschäftigten), die weitere Qualifizierung von Arbeitskräften, wachsenden Technologietransfer und steigende Nachfrage nach kubanischen Rohstoffen und Industrieprodukten. Schließlich wird ein Teil der Gehälter in den joint ventures in konvertiblen Pesos (CUC) ausgezahlt, was wiederum den Konsum von Gütern des mittleren und gehobenen Bedarfs ermöglicht.
Der Zuckerrohranbau ist nach wie vor das Sorgenkind der kubanischen Wirtschaft. Er ist weiterhin untermechanisiert (u.a. infolge der Nichteinhaltung der Lieferverträge der DDR durch die BRD und der UdSSR durch Russland) und unproduktiv. Die Zuckerproduktion soll – reduziert – aufrechterhalten bleiben, wobei Flächen stillgelegt werden und unproduktive Zuckerfabriken bereits stillgelegt worden sind; die Anbauflächen zur Deckung des alltäglichen Nahrungsmittelbedarfs, oben wurde auf die agricultura urbana hingewiesen, soll weiter ausgedehnt und intensiviert werden. Seit dem Zusammenbruch des RGW besteht im Export natürlich auch keine Preisgarantie für Zucker mehr. Im ersten Jahrzehnt des periodo especial, d.h. in der Phase der größten ökonomischen Probleme, ist der Zuckerpreis um 40 Prozent unter seinen langfristigen Weltmarktdurchschnitt gesunken. Aktuell hat er sich aufgrund der steigenden Ölpreise und der wiedergewonnenen Bedeutung von Zucker als Basis für die Erzeugung von Ethanol als alternativem Brennstoff stark erholt. Kuba nimmt mit einer durchschnittlichen Produktion von etwa vier Millionen Tonnen Zucker Platz elf auf der Erde ein (zum Vergleich: Brasilien 25 Mio., Indien 22 Mio. t.). Allerdings sank im Jahr 2007 die Produktion auf 1,1 Millionen Tonnen
Im Bereich der stets kritischen Energieversorgung hat Kuba im Laufe der 1990er Jahre die durch den Wegfall der sowjetischen Ölimporte entstandenen enormen Engpässe großenteils überwunden. Der oben erwähnte Schulterschluss mit Venezuela vom Oktober 2000 wird diesen zentralen Ökonomiebereich weiter entspannen und u.a. die problematischen Stromsperren für die Bevölkerung weiter reduzieren. Zentrale und einschneidende Energiesparmaßnahmen, von der Regierung mit großem Aufwand vorangetrieben, tun ein Übriges.
Neben staatlichen Maßnahmen haben viele Menschen zudem eigene Initiative ergriffen und verdingen sich seit dem Beginn der Krise als DienstleisterIn – ob bei der Vermietung einer Wohnung, als Pizza-Bäckerinnen und -Bäcker, als Rikschafahrer, Kunstschnitzerinnen und -schnitzer, Kosmetikerin, Taxista. Schließlich hat sich die Lebensmittelversorgung am Straßenrand (v.a. für Pesos) – parallel zu den freien Bauernmärkten – in den vergangenen Jahren verbessert.
Das Steuersystem, um dessen Reform sich die Regierung seit einiger Zeit verstärkt bemüht, beginnt zu greifen. Die Legitimität eines derartigen Systems (und dies ist die gesellschaftliche Schlüsselfrage) wird erst erreicht, wenn das System in hohem Maße gerecht ist und wenn der Staat im Gegenzug Leistungen für die Menschen übernimmt. Im Tourismus ist letzteres ansatzweise der Fall. Hier zahlen zum Beispiel die privaten Zimmervermieter zwischen 100 und 300 CUC pro Monat und Zimmer; dafür verfolgt der Staat die illegalen Vermieter. Auch im privaten Restaurantbetrieb sowie im Taxenbereich ist dies der Fall. Die illegalen Anbieter sind eindeutig in der Defensive. Auch für Baumaterialien und Nahrungsmittel in CUC-Läden hat der Staat gesorgt.
Auf der anderen Seite ist die Gerechtigkeit des Systems nach wie vor verbesserungswürdig. Wenn zum Beispiel Zimmervermieter jährlich eine fixe Summe (in CUC) abführen müssen, unabhängig davon, wie viele Nächte sie die Zimmer vermietet haben, treibt dies einige Anbieter erneut in den Betrug; wenn ein privater Bäcker, der seine Produkte gegen Pesos verkauft, seine Grundstoffe nur gegen CUC beziehen kann, so schafft auch dies zum einen Unmut, legt zum anderen Wege in die Illegalität, in den Schwarzmarkt, nahe. Überhaupt ist der Schwarzmarkt noch groß. Mit Bezug auf das Steuersystem argumentiert die Regierung in Havanna mit der Notwendigkeit der Kaufkraft- bzw. Gewinnabschöpfung. Der Verdacht liegt jedoch nahe, dass der Staat die Marktmechanismen soweit wie möglich kontrollieren will. Fidel Castros höchst berechtigte Befürchtungen zu den Folgen des „ungehemmten“ Marktes klingen allen Verantwortlichen noch in den Ohren. Und in der Tat sind die sozialen Verhältnisse in den umliegenden marktbeherrschten Ländern teilweise katastrophal.
In Verbindung mit dem Tourismusboom ist vor allem auch die Rekonstruktion Havannas auf Touren gekommen. In der Hauptstadt sind schätzungsweise zehn Prozent der Häuser bereits renoviert oder werden derzeit (teilweise) aufwendig renoviert. Havannas Altstadt gehört seit 1982 zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Eine Tendenz zur Rückgewinnung der politischen Handlungsfähigkeit kann auch in der Verabschiedung des Gesetzes von 1999 zur Verschärfung der Strafen für Korruption, Kriminalität, Prostitution etc. gesehen werden. Die Art und Weise und die Schnelligkeit, mit der das Gesetz seinerzeit umgesetzt wurde und überall im Lande bekannt und diskutiert wurde, war beeindruckend. Die Vergleiche Kubas mit einem Polizeistaat, die in diesem Zusammenhang in der deutschen Presse aufgetaucht sind, müssen differenziert diskutiert werden. Die Probleme Kleinkriminalität und Prostitution haben – vor allem infolge der aktuellen sozialen Differenzierung, derartige Ausmaße angenommen, dass der Staat handeln musste.
Ein sinnfälliges Beispiel für den aktuellen Kampf gegen die Korruption, das Thema fehlt übrigens auch in keiner der zentralen Reden des neuen Staatschefs Raúl Castro, bietet die neuere Entwicklung im Bereich der Fahrzeug-Kraftstoffversorgung: Hier hat die Regierung 2005/2006 binnen Jahresfrist über 15.000 trabajadores sociales genannte junge Menschen zu Tankwarten ausgebildet und das Gros der Tankstellen des Landes übernehmen lassen. Seitdem wird teilweise das Zwanzigfache (!) an Abgaben an die Staatskasse abgeführt, d.h. vor dieser Wende wurden bis zu 95 Prozent des Benzins etc. veruntreut.
Bleibende strukturelle Probleme
Die unterschiedliche Verfügung über früher den US-Dollar, heute den konvertiblen Peso CUC ist ein Hauptproblem, das die Gesellschaft aktuell nachhaltig zu spalten droht – zunehmend auch dort, wo dies noch nicht geschehen ist (auf dem Lande). Die Zugangsrate zum CUC hat sich zwar von ca. zehn Prozent in 1996 auf schätzungsweise 70 Prozent in 2008 verbessert. Vor allem alte Menschen, teilweise Schwarze und Menschen auf dem Lande sind allerdings weiterhin davon ausgeschlossen. Das heute entstehende Maß an sozialer Differenzierung ist ein seit 1959 nahezu unbekanntes Phänomen in Kuba. Vor allem Kubas mittlere Generation ist unter anderen Bedingungen aufgewachsen.
Die Außenhandelsbilanz, und damit tendenziell auch die Verschuldungssituation, hat sich trotz des wachsenden Bruttoinlandsprodukts auf einem niedrigen Niveau stabilisiert. Da IWF und Weltbank aufgrund des US-Boykotts keine Kredite geben, und sich auf der anderen Seite die Regierung in Havanna auch jegliche neoliberalen Eingriffe verbitten würde, muss das „Risikoland“ Kuba Geld auf dem Weltmarkt zu teilweise höchst ungünstigen Bedingungen leihen; Zinssätze zwischen 15 und 20 Prozent sind nicht unüblich. Kuba dürfte im Jahre 2007 mit etwa 15 Milliarden US-Dollar bei westlichen Staaten verschuldet gewesen sein, bei einem BIP von ca. 30 Mrd. US-Dollar eine nicht ungewöhnliche Summe. Die bereits mehrfach geschilderte Kooperation mit Venezuela und der VR China wird hier mittel- wie langfristig Milderung verschaffen und schon heute bekommt Kuba von diesen Ländern deutlich günstigere Kreditlinien eingeräumt.
Die – zum Teil verdeckte – Arbeitslosigkeit ist hoch – die offiziellen Statistiken sprechen von „nur“ sechs Prozent. Im Zuge der weiteren Zurückdrängung der Krise sinkt sie allerdings.
Die kubanische Regierung versucht, die ökonomischen Probleme unter anderem durch einen forcierten Ausbau des Tourismus zu lösen, wodurch jedoch neue strukturelle Probleme entstehen. Bis Ende der 1980er Jahre ist der Tourismus aus dem Ausland unbedeutend, nachdem das Land bis 1959 eines der beliebtesten Ferien- und Zweitresidenzziele der reichen US-Bevölkerung gewesen ist. Inzwischen sind die Touristenzahlen von ca. 0,3 Millionen zu Beginn der 1990er Jahre auf ca. eine Million 1997 und ca. 2.5 Millionen 2007 gesteigert worden. Die Planungen sehen für das kommende Jahrzehnt gar einen Ausbau auf bis zu zehn Millionen Gäste vor. Die große Masse des Tourismus wird zwar in Touristenenklaven gehalten und soll neben den bereits bestehenden Zentren (wie Varadero) zunehmend auf die Inseln des Landes verlagert werden – die sozialpsychologisch negativen Auswirkungen (kulturelle Überformungen, Entfremdung etc.) sind somit, verglichen mit anderen Ländern, begrenzt.
Auch ist die Regierung dabei, die Wachstumssektoren Gesundheits-, Öko- und Kulturtourismus auszubauen. Diese sollen auch beschäftigungswirksam sein und somit die soziale Schere schließen helfen. Kubas Tourismus soll so tendenziell vom Billigtourismus fortentwickelt werden. Jedoch ist die ökonomische Abhängigkeit von einem Wirtschaftssektor grundsätzlich bedenklich.
Derzeit, die Zahlen sind von 2006, ist der Tourismus mit ca. 100.000 direkt Beschäftigten und mit einem Erlös von weit über einer Milliarde US-Dollar einer der größten Devisenbringer des Landes. Er hat die Dollar-Überweisungen vonseiten der Exil-Kubaner, überdies 2005 von der Bush-Regierung beschnitten, überflügelt. Die Erfolge sind unübersehbar: Sind 1995 noch 80 Prozent der Erlöse für ihrerseits devisenträchtige Bedürfnisse der Touristen (zum Beispiel Coca Cola, Fleischimporte etc.) aufgewandt worden, so hat sich dieser Anteil für das Jahr 2000 bereits auf 39 Prozent vermindert; Tendenz: weiter fallend. Die Integration dieses Bereiches in die kubanische Binnenwirtschaft ist in vollem Gange, auch wenn hier sicherlich noch viele Reserven liegen.
Die Blockadepolitik der USA wird von uns nicht durchgehend als strukturelles Problem gesehen. El bloqueo wird rasch – vor allem auf Seiten der mit Kuba solidarischen Linken – für nahezu alle Probleme des Landes verantwortlich gemacht. In der Tat: Die USA, insbesondere der CIA und die Organisationen der Exil-Kubaner, führen mit Duldung der Behörden seit Jahrzehnten einen unerklärten Krieg gegen Kuba, der bis heute wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe verursacht hat, und dies ist in der Bevölkerung sehr wohl bekannt und verankert. Hunderte Mordanschläge wurden auf Fidel Castro und andere Persönlichkeiten des Landes verübt, der biologische Krieg gegen Kubas Landwirtschaft spricht Bände. Man sollte die Blockade aber auch, gerade in der, bzw. am Ende der „Sonderperiode“, als sinn-, als identitätsstiftendes Moment der kubanischen Politik diskutieren. Das Embargo dient somit unbeabsichtigt, bei allen von ihm hervorgerufenen und oben aufgezeigten Problemen, auch dazu, jene 70 Prozent der Bevölkerung revolutionär zu motivieren, die nach der Revolution geboren wurden.
Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten
Im politischen Raum werden Parteien neben der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) weiterhin nicht zugelassen, auch wenn im Juli 2008 die Gründung einer sozialdemokratischen Partei zunächst hingenommen wurde. Allerdings ist die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit zum Teil eingeschränkt und der Staat geht gegen vermeintliche wie wirkliche Dissidenten zum Teil massiv vor; insbesondere enge Kontakte zur subversiv agierenden US-Botschaft werden genau beobachtet und entsprechend sanktioniert. Zugleich hat sich das Wahlverfahren zu den einzelnen politischen Instanzen in den vergangenen Jahren westlichen Demokratievorstellungen ein wenig angenähert: So können seit Mitte der 1990er Jahre auch Nicht-Mitglieder der PCC für die verschiedenen Volksvertretungen kandidieren. Im Strafrecht besteht die Todesstrafe fort; sie wurde Anfang 1999 sogar auf weitere Bereiche ausgedehnt (auf Kindesmisshandlung, bewaffneten Raub sowie schwere Fälle von Drogenhandel). Seit 2008 ist die Todesstrafe jedoch ausgesetzt, werden alle Todesurteile in Haftstrafen umgewandelt. Die verschiedenen Ausreiseregelungen (über eine Einladung für bis zu zwölf Monate mit Rückreisemöglichkeit oder über die jährliche Auslosung von 20.000 Visa für die USA, obwohl diese seit einigen Jahren nur noch einen geringen Teil der unter Clinton zugesagten 20.000 Ausreisewilligen Kubanerinnen und Kubaner aufnehmen) haben anscheinend geholfen, ein Großteil der inneren Spannungen abzubauen. Dennoch ist eine „normale“ Ausreise bislang nicht möglich, auch wenn in der nächsten Zeit, unter Raúl Castro, vielleicht etwas Bewegung in dieses sensible Thema kommen könnte.
Immer wieder wird man beeindruckt vom Niveau der Informiertheit unter den Menschen, selbst im abgelegensten Dorf. Sie wissen von den wichtigsten Entwicklungen der internationalen Politik, von den neuen Gesetzen in Kuba, und auch von den rassistischen Übergriffen hierzulande. Bei vielen veröffentlichten vergleichenden Analysen der Bildungssysteme in verschiedenen Staaten Lateinamerikas, ja gar erdweit, liegt Kuba in allen Bereichen vorn – auch im Zeitalter des US-Dollars bzw. des CUC bitten die Kinder – vor allem fernab der Tourismus-Zentren – in aller Regel zunächst um Schreibstifte... Nach dem UNESCO-Education for All Development Index (2004) gehört Kuba zu den am höchsten entwickelten Ländern der Welt im Bildungsbereich (neben Kanada, Finnland und Südkorea). Als Folge davon hat Kuba eine hervorragend ausgebildete Bevölkerung. Der international renommierte Autor Miguel Mejides bestätigt uns bei mehreren Treffen, dass es zum Beispiel in der Literatur weitgehende Freiheiten zur Kritik gibt. Offene Verfolgung existiert nicht, wofür nicht zuletzt seine Erzählungen ein Beweis sind. Dass der Staat dissidente, das heißt gesellschaftspolitische Grundlagen Kubas infragestellende, Auffassungen in der Kultur nicht unterstützt, steht auf einem anderen Blatt. Auch Kubas Filmkunst, die sich nach den materiellen (und zeitweise auch zensurbedingten) Einschränkungen der vergangenen Jahre langsam erholt, sucht unter vielen Entwicklungsländern bis heute ihresgleichen. Und auch der offene Umgang mit ausländischen Filmen vor allem während des jährlichen Internationalen Filmfestivals in Havanna ist positiv zu werten.
Allerdings scheint die sozialistische Demokratie verbesserungswürdig. Die Liberalisierungen der ökonomischen Kleinst- und Kleinstrukturen sowie die Neuerungen im Wahlrecht müssten begleitet werden von Prozessen der Demokratisierung und Dezentralisierung auf politischer und ökonomischer Ebene. Ein weiter wachsender Einfluss der Produzenten auf ihre Produktion sowie auf die Verteilung der Erzeugnisse ist offenbar notwendig – die Erfolge der agricultura urbana sollten hier Ansporn sein. Jeglicher Ausverkauf des Landes, seiner Rohstoffe, Infrastruktur etc. ist dabei allerdings ebenso abzulehnen wie eine Privatisierung der ökonomischen Makrostrukturen, zumal die Dezentralisierung und Ansätze von Demokratisierung bereits erste ökonomische Erfolge vorzuweisen haben: Die Zahl der subventionierten, das heißt unrentablen Betriebe, ist von immerhin 71 Prozent (1993) bis heute drastisch auf unter 20 Prozent der Betriebe vermindert worden, die Subventionssumme fiel von 5,4 Milliarden Pesos auf unter eine Milliarde Pesos.
Die Forderung bestimmter kubafreundlicher Kreise nach der Zulassung bürgerlicher Parteien unterliegt einer Selbsttäuschung. Diese würden – eingedenk der Schaufensterfunktion der USA und der gewaltigen finanziellen und medienpolitischen Möglichkeiten der Exilkubaner – in kürzester Frist ein Ende der sozialistischen Staatsform herbeiführen. Das soziale System würde binnen kürzester Frist zerstört, der Ausverkauf des Landes würde auf die Tagesordnung gesetzt – und Kuba wäre wieder das „Bordell der USA“.
Weitere Beobachtungen zur Politischen Kultur
Beeindruckend war und ist der selbstkritische Umgang mit den Problemen und Fehlern in der staatlichen Politik Kubas. Nur selten hat man zum Beispiel in den „real-sozialistischen“ Ländern Mittel- und Osteuropas etwas von Prostitution, von Korruption, Leistungsverweigerung, Normen-Betrug oder auch von der Verarmung der Älteren gelesen – geschweige denn von selbstkritischen Fehleranalysen und Maßnahmen, um diesen Problemen zu begegnen. Die teilweise harsche Selbstkritik hat in keiner der großen Reden Fidel Castros gefehlt, und auch sein Nachfolger Raúl Castro legt höchsten Wert hierauf und rief im Jahr 2007 die Bevölkerung dazu auf, ihre Kritik mitzuteilen und Verbesserungsvorschläge zu machen.
Auffällig sind auch die allgegenwärtigen Spuren der einst engen Verflechtung mit dem RGW. Ob es um die teilweise schlampige oder (in minder schlimmen Fällen) unästhetische Baugestaltung und -ausführung geht, um leichtfertigen Umgang mit der Umwelt, ob es sich um die Arbeitsmoral in staatlichen Betrieben (Dienstleistungen wie Industrie) oder um den Umgang mit Widrigkeiten, kleinen Ursachen, die sichtbar große Wirkung zeitigen werden, oder auch um den Umgang mit Gemeineigentum handelt, überall ist die einstige Verbindung Kubas zum Sozialismus sowjetischer Prägung präsent. Weniger sichtbar aber nicht zu vernachlässigen ist auch, dass ein großer Teil der Intelligenz Kubas auf Universitäten und Parteihochschulen der RGW-Länder ausgebildet wurde. Dies hat tiefe Spuren in der politischen Kultur hinterlassen.
Unübersehbar sind schließlich nach wie vor die Spuren der Versuche einer Industrialisierung Kubas durch die UdSSR und den RGW: Die lange Autobahn über ein Großteil der Insel, Betonwerke, das Gros des existierenden Fuhrparks (Traktoren, Lokomotiven, PKW, LKW etc.). Die Probleme der von Russland nicht eingehaltenen Lieferverpflichtungen indes sind ebenso unübersehbar.
Ein Fazit
Natürlich können wir verstehen, warum die USA Kuba am liebsten von der Landkarte verschwinden lassen würden – die Regierung Bush hat unlängst die Exil-Vertreter wieder mit hunderten von Millionen US-Dollar ausgerüstet. Eine Modellwirkung Kubas könnte und würde, trotz der geschilderten aktuellen sozialpolitischen Probleme des Landes sowie der Verschuldungsproblematik, einschneidende Folgen haben für die US-amerikanische Hegemonie in Lateinamerika insgesamt. Die Entwicklungen in Venezuela und Bolivien und weiteren Staaten dieses Kontinentes beunruhigen die US-Administration bereits heute, wenngleich es sich hier bislang vor allem zunächst um nationalemanzipatorische Entwicklungen handeln dürfte.
Um das sozialistische und unabhängige Kuba für direkte und indirekte US-Interventionen unangreifbarer zu machen, sollte aus unserer Sicht die Demokratisierung, die sozialistische Demokratisierung, des Landes, sowohl im Bereich der Ökonomie als auch der Politik wie der Kultur noch ernster genommen werden. Die Fehler der osteuropäischen Länder mit unbeweglichen ökonomischen Zentralstrukturen und mit der autoritären Bevormundung der Bevölkerung sind unbedingt zu vermeiden. Ferner kann es nicht allein darum gehen, allein quantitativ die Produktionszahlen der Jahre 1989/90 zu erreichen; die Ökonomie muss qualitativ verändert werden. Insbesondere für den derzeit mit großen Anstrengungen aufgebauten Tourismussektor kommt es darauf an, eigene Ressourcen in Ökonomie und Kultur stärker zu nutzen. Eine Politik des materiellen Anreizes müsste bei Betonung der Dezentralität verstärkt werden und die unter Rául Castro begonnenen Reformen scheinen genau in diese Richtung zu gehen. Bei joint ventures wäre eine deutliche und offengelegte Grenzziehung gegen den Ausverkauf des Landes vonnöten. Zudem böte eine modellhafte Ökologisierung des Landes viele Chancen (durch Müllverwertung, Windkraft, Sonnenenergie, Fahrradpolitik etc.). Trotzdem bleibt der Agrarbereich ein Schlüsselsektor, der weiter ausgebaut und modernisiert werden sollte, auch wenn dieser Sektor jüngst hohe Zuwachsraten zu verzeichnen hatte und auch die 4. Agrarreform seit 1959 nun begonnen wird. Insgesamt muss die einheimische Produktion quantitativ steigen und qualitativ besser werden, um von der kostspieligen Importabhängigkeit loszukommen; die gesteigerte Freigabe brachliegenden Bodens für eine private Bewirtschaftung durch die Regierung Raúl Castros in 2008 wird hier ihre Wirkung nicht verfehlen. Nur dann kann irgendwann auch die demütigende Präsenz der Parallelwährung CUC überwunden werden. All dies wird jedoch ohne Dezentralisierung und Demokratisierung kaum funktionieren.
Was kann von außen getan werden? Anknüpfend an die beispielhafte Initiative des Trägers des Alternativen Nobelpreises Hermann Scheer (MdB, SPD), zur Förderung der Solarenergie sind insbesondere Windkraftprojekte aufgrund der naturräumlichen Ausstattung der Insel für Kuba von großer Bedeutung; die Cuba-Si!-Projekte zur – autarken – Rekonstruktion der Milcherzeugung sind es ebenso. Alles, was auf der Nutzung eigener, kubanischer, Ressourcen (auch für den Tourismus) beruht (Primärenergie, Naturressourcen, Arbeitskräfte, deren überdurchschnittlich hohes Qualifikationsniveau, die gute Volksgesundheit etc.), sollte gefördert werden.
[1] Aus dem breiten Angebot an Literatur über Kuba möchten wir zwei Bücher aus durchaus unterschiedlichen (kritisch-) solidarischen Perspektiven auf das Land hervorheben: Hoffmann, Bert: Kuba. München 2002, und Schäfer, Horst: Im Fadenkreuz Kuba. Der lange Krieg gegen die Perle der Antillen. Berlin 2004.
[2] Vgl. Ina Bratherig: Die Lage der Frau im sozialrevolutionären Prozess Kubas, Magisterarbeit an der Universität Marburg 2001.
[3] Die aktuellen Informationen stammen von einem Gespräch, das die Autoren (und eine Marburger Reisegruppe) am 11. April 2006 in Havanna mit dem langjährigen ehemaligen kubanischen Botschafter in Deutschland, Oscar Martínez Cordovéz, führte. Zur Rolle der VR China sh. bspw. junge Welt vom 16./17.8.2008.