Berichte

Novemberrevolution im Spiegel linker Historiker

Tagung von „Helle Panke“ und Rosa-Luxemburg-Stiftungen Berlin und Brandenburg, Berlin, 16. Oktober 2008

Dezember 2008

Der 90. Jahrestag der deutsche Novemberrevolution 1918/19 ist Anlass für linke Historiker, sich stärker als in vergangenen Jahren mit der Bewertung dieses für die deutsche Geschichte prägenden Ereignisses zu beschäftigen. Den Auftakt dazu bildete eine Veranstaltung der „Hellen Panke“, des Berliner Vereins zur Förderung von Politik, Bildung und Kultur, gemeinsam mit den Rosa-Luxemburg-Stiftungen Berlin und Brandenburg, am 16. Oktober 2008 unter dem Titel „Die Geschichtsschreibung der Novemberrevolution 1918/19 im Wandel der Jahrzehnte“. Weitere Tagungen verschiedener Landesstiftungen im bundesweiten Verbund der RLS folgen bis Jahresende, so in Berlin, Oranienburg, München, Köln und Hamburg. Ausdruck der Aufarbeitung von Kernfragen dieser Revolution ist ferner eine Reihe von Veröffentlichungen, so die von 1993 bis 2002 im Akademie Verlag, Berlin, erschienene dreibändige Edition „Groß-Berliner Arbeiter- und Soldatenräten in der Revolution 1918/19“, herausgegeben von Gerhard Engel, Bärbel Holtz, Gaby Huch und Ingo Materna, das Heft 2008/III des „Jahrbuchs für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung“ mit Beiträgen zur Novemberrevolution von Werner Bramke, Mario Keßler und Gerhard Engel oder die im Herbst 2008 bei Dietz Berlin bzw. Donat Bremen erschienenen biografischen Arbeiten von Ralf Hoffrogge: „Richard Müller. Der Mann hinter der Novemberrevolution“ bzw. von Karin Kuckuk: „Im Schatten der Revolution. Lotte Kornfeld (1896-1974). Biografie einer Vergessenen“.

Auf der besagten Konferenz der Hellen Panke referierten Ottokar Luban (Berlin), Prof. Dr. Gerhard Engel (Am Mellensee), Ralf Hoffrogge (Berlin) und Prof. Dr. Theodor Bergmann (Stuttgart) unter der Moderation von Prof. Dr. Klaus Kinner (Leipzig). Die vorgetragenen Thesen fanden ein engagiertes und teilweise kontroverses Echo bei den gut 30 TeilnehmerInnen. Inhaltlich ging es um folgende Schwerpunktfragen:

Zentrales Thema war das Scheitern oder Nichtscheitern der Novemberrevolution und damit implizit die Frage nach ihrem Charakter. So definierte Theodor Bergmann eindeutig, die erste sozialistische deutsche Revolution sei gescheitert. Mario Keßler (Potsdam) sprach ebenfalls vom Scheitern der Revolution, gemessen an ihren Zielen. Differenzierter formulierte es Ulla Plener (Berlin): Nach Vorstellung der Linken 1918/19 handelte es sich um eine sozialistische Revolution; aber die Novemberrevolution war keine sozialistische Revolution und ist folglich nicht gescheitert; sondern sie gab wichtige Impulse für die Entwicklung der Demokratie in Deutschland. Heinz Deutschland (Berlin) betonte, aus Sicht der Revolutionäre haben die Mehrheitssozialdemokraten die Ziele der Revolution verraten. Auf den Punkt brachte es Gerhard Engel, der in seinem Referat ausführte, dass „von einer realen sozialistischen Chance in der deutschen Revolution nicht gesprochen werden kann, so sehr auch anzuerkennen ist, dass ohne den Kampf ihrer Befürworter die Anfangserfolge der Revolution nicht zu behaupten und demokratische Entwicklungsmöglichkeiten nicht zu eröffnen gewesen wären.“ Und weiter: „Die Revolution war ein nicht zu unterschätzender Teilschritt zum historischen Fortschritt in Deutschland, aber seine entschiedensten Verfechter erlitten eine Niederlage, die sowohl den Bedingungen ihres Handelns als auch ihrem Handeln selbst geschuldet waren.“

Ausführlich wurde über die Bewertung der Akteure der Novemberrevolution diskutiert. Klaus Kinner sagte dazu in seiner Eröffnungsmoderation: Die erste bürgerliche deutsche Republik war das Ergebnis des Kampfes der Arbeiter- und Soldatenräte gegen das Kaiserreich und die bürgerlichen konservativen Parteien. Die SPD musste zum Jagen getragen werden und spielte 1918/19 eine unrühmliche Rolle. Die Verratsthese sei aber nicht zutreffend, denn ihre Handlungen entsprachen ihrer Position – sie wollte keine Revolution und keine Republik. Ottokar Luban führte dazu in seinem Referat aus: Die SPD beanspruche für sich, im November 1919 die Revolution gemacht, die Republik ausgerufen und die Macht übernommen zu haben. Diese Deutung der Ereignisse dominiere bis heute die Geschichtsschreibung der Bundesrepublik: Die Linken spielten danach in der Revolution keine wesentliche oder gar fördernde Rolle. Tatsächlich waren die Führer der Mehrheitssozialdemokraten fern von der Revolution. Sie nutzten alle Möglichkeiten, um die Arbeiter und Soldaten von der Revolution abzuhalten und setzten sich schließlich an die Spitze der Revolution, um diese unter Kontrolle zu bekommen. Gerhard Engel verwies darauf, dass der Vollzugsrat der Großberliner Arbeiter- und Soldatenräte die Spitze der Rätedemokratie hätte werden können. Statt dessen beschloss der Erste Reichsrätekongress Wahlen zur Nationalversammlung, womit sich die Räte an den Rand des Geschehens drängen ließen und schließlich verboten und aufgelöst wurden.

Nur angerissen wurden auf der Konferenz die Folgen der Novemberrevolution für die Entwicklung Deutschlands und Europas. So stellte Klaus Kinner fest, dass die Novemberrevolution Chancen für die Entwicklung Deutschlands von einer politischen zu einer sozialen Demokratie bot. Das hätte die Weimarer Republik resistenter gegen den Faschismus gemacht. Gerhard Engel verwies darauf, dass die bürgerlich demokratischen Errungenschaften von 1918/19 unzureichend zementiert waren und die Republik wegen ihrer Halbheiten 1933 scheiterte. Faschistische Demagogen vermochten es, der militaristischen und revanchistischen Reaktion den Weg zu bereiten, der es ihr ermöglichte, die Ergebnisse der Novemberrevolution und des Ersten Weltkrieges zu revidieren und ganz Europa in die Katastrophe zu führen.

Wichtige Beiträge zum inhaltlichen Spektrum der Konferenz waren ferner das Referat des 92-jährigen Theodor Bergmann zur „Versuchten Novemberrevolution in Stuttgart und Württemberg“ sowie der Vortrag von Ralf Hoffrogge über den biografisch bisher kaum bekannten Vorsitzenden des Groß-Berliner Arbeiter- und Soldatenrates Richard Müller.

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