Große Krisen sind systemische Krisen: Ausdruck der Widersprüche und Grenzen von Akkumulationsregime und Regulationsweise. So auch die Krise des finanzmarktgetriebenen Entwicklungsmodells, die im Jahr 2007 begann und 2010 noch längst nicht überwunden ist. Für die politische Linke stellen diese Krisen eine besondere Herausforderung dar: nämlich mit der Sicherung der Arbeits- und Lebensbedingungen zugleich Wege der ökonomischen und gesellschaftlichen Transformation aufzuzeigen. Nicht nur in den Metropolen, sondern dem globalen Charakter der Krise entsprechend.
Diese Herausforderung zu bearbeiten, war Thema der Konferenz „Sozialistische Politik zur Überwindung des Finanzmarktkapitalismus“. Auf der Konferenz diskutierten mehr als 200 TeilnehmerInnen und ReferentInnen: linke Politiker, die in der EU, auf der Bundesebene und in den Ländern in politisch z.T. führenden Funktionen tätig sind, wie Gesine Lötzsch, Lothar Bisky, Klaus Lederer, Kerstin Kaiser; linke Wissenschaftler, die seit längerem in den praktischen und theoretischen Auseinandersetzungen um die Herausforderungen linker Politik und den Programmdebatten beteiligt sind, wie Elmar Altvater, Frank Deppe, Rudolf Hickel, Joachim Bischoff, Michael Krätke, Heinz J. Bontrup, Thomas Sablowski, Wolfgang Krumbein, Dieter Klein und Michael Brie; Gewerkschafter und Vertreter sozialer Bewegungen wie Horst Schmitthenner (IG Metall) und Peter Wahl (attac); ausländische Gäste wie Ernesto Kroch, Leiter des Brecht-Zentrums in Uruguay, Heinz Dieterich aus Mexiko und Dag Seierstad aus Norwegen.
Die TeilnehmerInnen hatten ein breites und inhaltlich anspruchsvolles Programm zu bewältigen. Es umfasste Fragen, die von der Systemkrise des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus über die damit auf die Tagesordnung gesetzte Umgestaltung von Eigentumsverhältnissen (Bankensektor, öffentliche Daseinsvorsorge) und die Wege einer neuen nationalen und transnationalen Regulierung, die Herausforderungen der Umwelt- und Klimakrise für eine ökosoziale Produktions- und Lebensweise bis hin zu strategischen Schlüsselprojekten und globalen Konfigurationen (Lateinamerika, China) für sozialistische Transformationsperspektiven reichten. All dies wurde erörtert in sechs Plenartagungen, sechs Arbeitsgruppen und einer abschließenden Podiumsdiskussion.
Der Erfolg der Konferenz besteht vor allem darin, dass es gelang, das ambitionierte Programm in einer Art zu bewältigen, die alle TeilnehmerInnen angeregt und für weiterführende Überlegungen stimuliert hat. Mit dieser Konferenz aus der Reihe der „Gesellschaftspolitischen Foren“ ist es gelungen, die Programmdebatte der LINKEN nicht nur zu „begleiten“, sondern sich in sie einzumischen, auf sie Einfluss zu nehmen und sie durch Vorschläge und Anregungen zu bereichern.
In einem Bericht über eine Konferenz mit einer solchen thematischen Vielfalt ist es nur möglich, einige ausgewählte Probleme zu behandeln.
Es gab unter den Teilnehmern eine weitgehende Übereinstimmung darin, dass die gegenwärtige, seit den 1930er Jahren tiefste Finanz- und Wirtschaftskrise für die Linke eine Reihe bisher noch nicht ausreichend beantworteter Fragen aufwirft: Worin besteht die neue Qualität dieser globalen Krise, was kennzeichnet sie als Systemkrise des Kapitalismus und weshalb gelingt es der Linken kaum, weitergehende Umgestaltungsforderungen zu verankern? Eine Antwort besteht sicherlich in dem Fakt, dass auch die Linke wenig auf die Herausforderungen der Krise vorbereitet war, um Bündnispartner mit überzeugenden Konzepten zu gewinnen. Hierüber sprachen Gesine Lötzsch und Joachim Bischoff. Die Krise hat unter Beweis gestellt, dass die Linke weiterhin Schwierigkeiten hat, eine Politik der Übergangsforderungen – mobilisierende Gegenwartsforderungen, die zugleich eine Veränderung der bestehenden Verhältnisse einleiten – in einer gesellschaftlichen Situation zu vertreten, in der Sicherungsbedürfnisse dominieren. Dabei erweist sich die Bearbeitung einer Reihe neuer Widersprüche als unumgänglich. Z.B.: Einerseits sind globale ökonomische Ungleichgewichte – die Exportweltmeister China und Deutschland auf der einen, die USA und das Gros der EU-Mitgliedstaaten auf der anderen Seite – ursächlich für die große Krise; auf der anderen Seite scheint eine neomerkantilistische Politik des „weiter so“ – die für Kernbelegschaften in den Exportindustrien neue „Sicherheit“ verspricht – zumindest kurzfristig der Pfad zu sein, auf dem die Bundesregierung ihre Politik anlegt. Ein anderer Komplex ist „deficit spending“: In den Monaten des wirtschaftlichen Absturzes ein probates Mittel insbesondere im Rahmen von „Bankenrettungsprogrammen“, steht nunmehr die Eindämmung der Staatsverschuldung im Fokus, ohne dass die Vorschläge der Linken für eine grundlegend neue Steuerpolitik mehrheitsfähig sind. Es wäre ein Anachronismus der Geschichte, wenn nach dem brutalen Scheitern des Neoliberalismus nunmehr unhinterfragt eine neue Austeritätspolitik obsiegen würde.
Die Eigentumsproblematik und darunter Fragen der Verstaatlichung nahmen naturgemäß einen herausragenden Platz auf der Konferenz ein. Im Plenum sprachen dazu Ralf Krämer, Heinz Dieterich und Klaus Steinitz. Es wurde deutlich, dass sich die Linke weit intensiver und differenzierter hiermit beschäftigen muss, wozu sowohl die Auswertung der Erfahrungen des Realsozialismus als auch der verstaatlichten Unternehmen in der Bundesrepublik und anderen kapitalistischen Ländern gehört. Es wurde zudem deutlich, dass die Verstaatlichung oder öffentliches Eigentum in verschiedenen Bereichen, wie Daseinsvorsorge, Banken, Infrastruktur (Übertragungsnetze, Verkehrssysteme, Kommunikations- und Informationsnetze) Voraussetzungen für eine stärkere Einflussnahme der Gesellschaft und der BürgerInnen schaffen können, dass es aber letztlich auf die reale Vergesellschaftung durch umfassende demokratische Einflussnahme, Regulierung und Kontrolle ankommt. Es wurde hervorgehoben, dass es auch in einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft unter der Bedingung einer Dominanz des öffentlichen, eine Pluralität von Eigentumsformen, einschließlich privaten Eigentums an den Produktionsmitteln, geben sollte. In der weiteren Diskussion der Eigentumsprobleme sollten die unterschiedlichen Bedingungen und vielfältigen konkreten Formen des Gemeineigentums stärker beachtet werden, darunter auch verschiedene Mischformen zwischen privatem, öffentlichem und Belegschaftseigentum.
Dieser Diskussionsstrang wurde vertieft in einem Panel über die Aktualität wirtschaftsdemokratischer Konzeptionen, die – entgegen einem linksradikalen „Missverständnis“ – einer Transformationsperspektive zuzuordnen sind. Dass die Traditionslinien nicht nur von Hilferding – Naphtali – Agartz, sondern auch die der 1970er Jahre in der Neuen Linken über Investitionslenkung einer Aktualisierung bedürfen, machte Wolfgang Krumbein, damals einer der führenden Theoretiker der Jusos in der SPD, klar. Heinz Bontrup von der Memo-Gruppe skizzierte die Ebenen, auf denen die wirtschaftsdemokratische Debatte nicht nur gleichzeitig, sondern zusammenhängend stattzufinden hat: Betrieb – Region – Nation – Transnational. Ralf Krämer erläuterte dies u.a. am Beispiel der Vergesellschaftung des Bankensektors.
Im Zusammenhang mit den Erfordernissen eines neuen transnationalen Regulierungskonzepts standen naturgemäß die für die weitere Perspektive der Weltwirtschaft entscheidenden Probleme der Regulierung der Finanzmärkte und des Systembruchs des kapitalistischen Reproduktions- und Akkumulationsregimes in Richtung einer sozial-ökologisch nachhaltigen Produktions- und Lebensweise im Vordergrund. Rudolf Hickel und Peter Wahl begründeten die – notwendige und auch mögliche – Unterordnung der Finanzmärkte unter die Erfordernisse einer auf der Tagesordnung stehenden sozial-ökologischen Umsteuerung der Wirtschaft. Da das Umsteuern auf einen neuen Entwicklungspfad in den nächsten 10-15 Jahren eine Existenzfrage für die Menschheit ist, in diesem Zeitraum eine sozialistische Transformation aber unwahrscheinlich ist, ergibt sich die Frage: Kann es einen „grünen Kapitalismus“ geben und was würde dieser für die Arbeit und das Leben der Menschen bedeuten. Darüber diskutierten Sabine Leidig und Wolfgang Methling. Natürlich ging es auch auf dieser Konferenz um die alte linke Kontroverse zum Wachstum, speziell um die Frage, ob es ein Herauswachsen der Wirtschaft aus den Schulden geben müsse oder dürfe. Es gab einen sachlichen Meinungsaustausch dazu, ob die Forderung nach einer anderen Qualität des Wachstums oder nach selektivem Wachstum ausreichend für die Lösung der Probleme sei.
In einem letzten Block sprachen Frank Deppe und Dieter Klein darüber, ob Sozialismus im 21. Jahrhundert mehr als eine abstrakte Utopie sein könne. Es bestand weitgehend Übereinstimmung darin, dass es falsch wäre, heute zu versuchen, ein Modell für einen zukünftigen Sozialismus zu entwerfen. Das wäre schon deshalb verfehlt, weil sich eine sozialistische Transformation nicht in ein vorgegebenes Schema pressen lässt und die Bedingungen und Realisierungswege sozialistischer Transformationsprozesse in den verschiedenen Weltregionen und Ländern sowie auch in verschiedenen zeitlichen Etappen äußerst vielgestaltig sein werden. Es ist aber notwendig, sich über wichtige Leitideen einer sozialistischen Transformation zu verständigen. Das sollten insbesondere Bedingungen für ein selbstbestimmtes Leben in einer auf Freiheit, sozialer Gleichheit und Solidarität beruhenden Gesellschaft sein: eine umfassende Demokratisierung aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durch reale Vergesellschaftung der Verfügung über das Eigentum, eine sozial-ökologisch nachhaltige Entwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft in Verbindung mit einem neuen, alternativen Wohlfahrtskonzept, eine neue Art und Qualität der Regulation der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung durch Zusammenbringen eines demokratischen Staats, von Märkten und der Zivilgesellschaft, kulturelle Umwälzung und neue demokratische Kommunikationsformen.
Klaus Steinitz/Richard Detje