Editorial

Juni 2009

Der Schwerpunkt dieses Hefts befasst sich mit der Frage, ob bzw. wieweit die aktuelle Krise einen erneuten historischen Einschnitt in der Entwicklung des Kapitalismus markiert. Jörg Goldberg zeigt in seinem Einleitungsbeitrag, dass die aktuelle Krise die ihr zugrunde liegenden Widersprüche kaum bereinigen wird. Er skizziert vier gesellschaftspolitische Felder, auf denen Veränderungen des Kapitalismus anstehen könnten. Derzeit sei es aber noch zu früh, um klare Tendenzen ausmachen zu können.

Im ersten Block von Beiträgen gibt Jürgen Leibiger einen Überblick über Ursachen und Verlauf der Weltwirtschaftskrise 2007/201X, welche durch die Verflechtung einer zyklischen Konjunkturkrise mit einer strukturellen Finanzmarktkrise gekennzeichnet ist. Jörg Huffschmid und Lucas Zeise diskutieren – mit unterschiedlichen Akzenten – ob bzw. unter welchen Bedingungen diese die neoliberale Entwicklungsphase des Kapitalismus zu einem Ende bringen könnte. Fritz Fiehler untersucht mögliche Veränderungen im Regulierungssystem vor dem Hintergrund der Ereignisse auf den Finanzmärkten. Horst Hensel und Harald Werner befassen sich mit den sozialpsychologischen Verwüstungen, welche die neoliberale Periode im Massenbewusstsein verursacht hat und die heute solidarische Lösungen erschweren.

Ein zweiter Block des Schwerpunkts befasst sich mit Veränderungen der internationalen Kräfteverhältnisse. Dabei macht Dieter Boris auf die bislang wenig beachtete Tatsache aufmerksam, dass die mit dem Aufstieg neuer Wirtschaftsmächte verbundenen internationalen Ungleichgewichte krisenverschärfend wirken. Manfred Lauermann geht der Frage nach, wieso China mit der Finanzmarktkrise bislang vergleichsweise gut fertig geworden ist. Seiner Ansicht nach ermöglicht es der innovative Mix von Markt und Plan am besten, die Krise produktiv zu überwinden. Peter Wahl schildert die internationalen Debatten um ein neues System globaler Regulierung. Dabei stellt er die im Umfeld des Londoner G20-Gipfels diskutierten neoliberalen Lösungen Positionen gegenüber, die im Rahmen des UN-Systems einen emanzipatorischen Weg vorschlagen.

In einem dritten Block werden Alternativen zu den aktuellen Krisenstrategien diskutiert, die grundlegende Veränderungen des Systems der privatisierten Finanzmärkte beinhalten. Joachim Bischoff betont die Bedeutung von demokratischer Kontrolle und internationaler Kooperation. Am Beispiel der deutschen Landesbanken zeigt er, dass die Insolvenz von Banken oft besser und billiger ist als eine Rekapitalisierung auf Staatskosten. Sahra Wagenknecht weist nach, dass eine Verstaatlichung der Banken die für den Steuerzahler billigste Lösung wäre, die zugleich Perspektiven für die Reorganisation einer auf ihre Kernfunktionen konzentrierten Finanzsphäre beinhaltet. Andreas Fiesahn setzt die Akzente etwas anders. Für ihn steht die Aufhebung der einzelwirtschaftlichen Logik im Mittelpunkt von demokratischen Alternativen, wozu eine Verstaatlichung allein nicht ausreichen würde.

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Zwei weitere Beiträge außerhalb des Heftschwerpunkts erörtern kritisch Tendenzen der Militarisierung am Beispiel der NATO und der Europäischen Union. Werner Ruf gibt einen kurzen Rückblick auf die jetzt 60-jährige Geschichte der NATO und zeigt, wie die NATO nach dem Ende der Bipolarität von einem Stützpfeiler des Kalten Krieges zu einem Instrument des globalen Interventionismus gemacht wurde und immer noch wird- eine Entwicklung, die angesichts der weltweiten Probleme und Krisen völlig anachronistisch wird. Gregor Schirmer beschreibt anhand des Vertrages von Lissabon, wie die Europäische Union systematisch auch zu einer Militärmacht ausgebaut wird und charakterisiert dies als einen verhängnisvollen Irrweg. Er plädiert stattdessen dafür, die EU zu einem zivilen Staatenverbund umzubauen.

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Unter den weiteren Beiträgen analysiert Heiko Bolldorf die Autobiografien von Fußballspielern unter arbeitssoziologischen Gesichtspunkten. Dabei stellt er heraus, dass diese einen Beitrag zur neoliberalen Hegemonie leisten, der anschlussfähig ist an die Diskurse um „Flexibilität“, „Eigenverantwortung“, „Entgrenzung“ und „Nonkonformismus“. Axel Gehring analysiert den Aufstieg der AKP in der Türkei und kommt dabei zu dem Schluss, dass diese Partei und ihre islamistische Ideologie ihre Basis in einer sich neu herausbildenden anatolischen Bourgeoisie haben, in deren Interesse auch der EU-Beitritt der Türkei liegt.

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Die nächste Ausgabe von Z (Nr. 79, September 2009) wird sich schwerpunktmäßig mit Fragen des Geschichtsrevisionismus und der Geschichtspolitik befassen.