Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) am 5. Oktober 2008 vor die Kameras traten, um Einlagen und Sparverträge zu garantieren, war das Erschrecken groß. An eine Gefährdung des gesamten Kredit- und Zahlungsverkehr war noch gar nicht gedacht worden. Unter den Parteien herrschte Stille. Wer hätte der Erklärung widersprechen oder sie als halbherzig kritisieren wollen? Für die politische Rechte kam der Schritt einem Offenbarungseid gleich, denn sie hatte sich für die Liberalisierung der Märkte eingesetzt. Darin waren ihr die Medien gefolgt. Der Wirtschaftsjournalist Rainer Hank musste einräumen: „Ich habe mir so etwas nicht vorstellen können.“[1] Dagegen war von der politischen Linken gerade vor der Deregulierung der Finanzmärkte gewarnt worden, aber ein Kollaps der Banken war auch von ihr nicht für möglich gehalten worden.[2]
Eine Aufklärung über die eingetretene Gefährdung des Kreditwesens unterblieb. Die Bundesregierung gab sich pragmatisch, und der Schrecken legte sich trotz täglich einlaufender Krisenmeldungen wieder. Allerdings hat sich die Krisenpolitik der regierenden Koalition auch eine Reihe von Problemen eingehandelt, von denen die Vergütung des Managements die spektakulärste ist. Widerstreitend sind auch die Motive in der Konjunkturpolitik: Einerseits erklärt die schwarz-rote Koalition die immensen Ausgaben zur Stützung der Banken, die bisherige Bemühungen um eine fiskalpolitische Konsolidierung über den Haufen werfen, für alternativlos, andererseits macht sie sich für Steuerermäßigungen stark. Zwar stützt die Steuerpolitik die private Nachfrage zu diesem Zeitpunkt, dennoch stellt sie eine Beschränkung für die künftige Konsolidierungspolitik dar. Mehr noch: Die eingeschlagene Steuerpolitik verschont ihre konservative und liberale Klientel vor künftigen Belastungen. Macht, was für unsre Banken nötig ist – aber verschont uns vor den Kosten! Darauf hat die politische Linke erst spät reagiert. Zwar boten sich die überzogenen Gewinnerwartungen und die Selbstbereicherung des Managements an, die Krise im Sinne des Profitmotivs durchzubuchstabieren. Aber es fragt sich, ob man mit der Denunziation von Extraprofiten und Boni der vielseitigen Misere gerecht werden kann. „Wenn wir es nur mit einer Finanzkrise zu tun hätten!“ seufzt Elmar Altvater.[3] Lässt sich die Weltwirtschaftskrise, so ist weiter zu fragen, als eine Krise der materiellen Produktion, der Schlüsselindustrien, der Finanzmärkte, der imperialen Hegemonie, des Nord-Süd-Verhältnisses und der Umwelt verstehen?[4]
Krisen als Zusammenfassung von Widersprüchen
Probleme des Geldes, der Banken oder der Währung machen eine Krise schlimmer und verwickelter. Finanzkrisen treffen Banken und Unternehmen, aber auch die Bezieher von Arbeitseinkommen. Sie treffen Erwerbstätige in der Abstufung von Einkommens- und Vermögensklassen, sie treffen Subjekte in Familien und Milieus. Schließlich bringen Geldkrisen neben der Zerstörung von Lebensplänen auch zahllose Affären mit sich, die sie nicht zum idealen Ausgangspunkt einer rationellen Verarbeitung machen. Im Falle einer Bankenkrise sind Zentralbank und Finanzministerien gefragt, für Verbraucherzentralen und Gewerkschaften ist da wenig Platz.
Mit der kreditpolitischen Verwicklung einer Krise hat sich Antonio Gramsci 1934 in seinem 22. Gefängnisheft befasst, das dem ‚Amerikanismus und Fordismus’ gewidmet war.[5] Darin fragt Gramsci nach den Folgen des Börsenkrachs, der breiteste Bevölkerungsmassen um ihre Ersparnisse gebracht habe. Jedenfalls habe der Einbruch, notiert er, „die krankhaften Prozesse, die in der ersten Nachkriegszeit aufgrund der Inflation aufgetreten waren,“[6] abgerufen. Gramsci erwartete eine Änderung der Vermögensbildung, die sich mehr um Staatspapiere drehen würde. „(Der Sparer; F.F.) möchte an der Wirtschaftstätigkeit teilhaben, aber vermittelst des Staates...“[7] Der Staat werde, fährt er fort, zum Eingriff gezwungen. „Doch die Kontrolle genügt nicht. Es geht in der Tat nicht nur darum, den Produktionsapparat zu bewahren, wie er in einem gegebenen Moment beschaffen ist; es geht darum, ihn zu reorganisieren, um ihn parallel zum Wachstum der Bevölkerung und der Gemeinschaftsbedürfnisse zu entwickeln. Genau in diesen notwendigen Entwicklungen liegt das Hauptrisiko für die Privatinitiative und müsste der Staatseingriff vordringlich sein, der auch seinerseits nicht frei von Gefahren ist, ganz im Gegenteil. „[8] Entweder würde sich der Staat auf Risiken und korporative Versprechungen einlassen, glaubt Gramsci, oder er sollte sich zu einer Reform des Kreditwesens entscheiden, die zu einer Land- und Industriereform fortschreiten müsse.[9] Jedenfalls nimmt der Theoretiker des Fordismus Anfänge einer staatlich gestützten Ersparnisbildung, regulierter Banksysteme und von Kapitalmärkten wahr, die noch für Jahrzehnte durch den Handel mit Staatspapieren geprägt werden. Dabei bleibt die erwartete Staatsintervention für lange Zeit an das Trauma der Inflation gebunden.
Gramscis „§ (14). Aktien, Anleihen, Staatspapiere“ hält die Anfänge einer Epoche fest, in der Banken und Währungen einer weitreichenden Regulierung unterworfen waren. Es war die Zeit des politischen Geldes. Der vor 75 Jahren verfasste Paragraph macht dazu die politisch-ökonomische Bedeutung einer Kreditreform deutlich. Schließlich beinhaltet der Text auch noch eine doppelte Anforderung an die Krisenanalyse: Einerseits muss sie gegenüber den Konjunkturen an ihrem kapitaltheoretischen Hintergrund festhalten. Andererseits ist sie gut beraten, das Krisenpotential auch in anderen Bereichen zu analysieren. So gibt Wolfgang Fritz Haug angesichts vielfältiger Krisenerscheinungen zu bedenken: „Wäre es nicht besser, mit Marx das Zusammenspiel der einzelnen Sphären und Phänomene des Kapitalismus von der Produktionsweise her zu denken?“[10]
Die besondere Rolle von Geldkrisen hat auch Marx beschäftigt. Insofern ist der Vorwurf nicht zutreffend, er habe den Zusammenhang zwischen Krise und Politik zu eng gesehen. Nach langjähriger Beschäftigung mit Bankkrisen und Geldpolitik entwickelte Marx einen Kapitalbegriff, der es ihm erlaubt, die Möglichkeit von Krisen für jede Stufe der politischen Ökonomie durchzugehen.[11] Die ‚Stufenfolge der Krisenanalyse’[12] macht den Blick für unterschiedliche Krisen und Konflikte frei, sie reicht die Erklärung der Krise (Unterkonsumtion, Überproduktion) an die Sozialforschung weiter. Für eine erste Annäherung möchte ich die gegenwärtige Krise nach ihren kapitalistischen Sphären des Kredits (Hypotheken, Verbriefung), der Produktion und des Weltmarkts betrachten. „Die Weltmarktkrisen“, schreibt Marx, „müssen als die reale Zusammenfassung aller Widersprüche der bürgerlichen Ökonomie gefasst werden.“[13]
Die Legende vom billigen Geld als Krisenauslöser
Ausgelöst wurde die Weltwirtschaftskrise durch die amerikanische Hypothekenkrise. Das ist für die Entwicklung der USA durchaus nachzuvollziehen. Schließlich ergab sich die Hypothekenkrise zu einem Zeitpunkt, an dem sich Kreditverhältnisse in der größten Anspannung befanden. Erweisen sich in dieser Zeit immer mehr mit Hypotheken belastete Haushalte als überschuldet, kann das für Banken und Bauträger nicht ohne Konsequenzen bleiben. Dem ›bösen Erwachen‹ waren jahrelang steigende Immobilienpreise und erleichterte Finanzierungsbedingungen vorausgegangen. „Immer mehr Kapital floss in den Immobilienbereich, weil dort durch die Preisdynamik gute Gewinne lockten. Die Hypothekendarlehen waren einzig durch die Hoffnung auf weiterhin steigende Immobilienpreise ‚gesichert’.“[14] Dabei ist sich die Krisenforschung einig, dass für die Überziehung die Vergabe und Verbriefung von Krediten verantwortlich zu machen sind.
Strittig ist allein, inwiefern die Geldpolitik zu dieser Vermögensblase beigetragen hat. Zur konjunkturellen Belebung sei eine ‚Politik des billigen Geldes’ betrieben worden, heißt es, was Finanzspekulationen ermuntert habe. Also sei dem vermeintlichen Marktversagen, schlussfolgern neoliberale Ideologen, in Wirklichkeit politische Einmischung vorausgegangen.[15] Tatsächlich hatte der phänomenale Anstieg der Preise für Häuser und Wohnungen bereits in den 1990er Jahren eingesetzt. Dabei hat sich der Immobilienboom weder von Zinserhöhungen noch -senkungen beeindrucken lassen. Allein für die späte Hausse kann, wie Robert Shiller zeigt, auf einen wechselseitigen Anstoß von Geldpolitik und Preisen geschlossen werden.[16] Im Unterschied zu diesen zeit- und raumlosen Korrelationen bietet der bei Shiller erwähnte zunehmende Anteil des Bodenpreises für die Immobilienwerte mehr Aufschluss.[17]
In „rasch fortschreitenden Städten“ hatte Marx festgestellt, dass „die Bodenrente, nicht das Haus den eigentlichen Gegenstand der Bauspekulation bildet“.[18] Wird die Entwicklung von Immobilienpreisen von ihren Wertbestandteilen her begriffen, lässt sich erklären, wie die industrialisierte Bauweise Kostenminderung erzielt, aber die Bodenpreise durch vermehrte Bautätigkeit und deregulierte Urbanisierung anstößt.[19] Insofern unterliegt dem widersprüchlichen Verhalten der Akteure eine regulatorische Überlagerung (Profitrate, Zinsen, Lagerente, Einkommen), die von einer monetären oder verteilungspolitischen Sichtweise nicht wahrgenommen werden kann.[20] Allerdings ist damit erst ein Stück amerikanischer Konjunkturgeschichte angerissen .
Die Rolle der Finanzinnovationen
Die ‚subprime mortgage crisis’ stellte sich bald schon als Bankenkrise heraus. Unter dem Eindruck der Immobilienpreise hatten sich Banken zur Erweiterung ihres Kreditgeschäftes und seiner Verbriefung entschieden. Mit dem Weiterverkauf der Hypotheken, ihrer Verpackung und Versicherung schien die jeweilige Bank ihr Risiko zu begrenzen, während es sich für die Branche erhöhte. Sobald sich Schwierigkeiten mit den schwächsten Schuldnern abzeichneten, war für die beteiligten Akteure nicht mehr klar, wie sich verminderte Rückflüsse für welches Paket auswirken würde. Lucas Zeise stellt zu Recht fest: „Dennoch hieße es, diese Finanzkrise zu unterschätzen, wenn man sie nur auf das Geschäft mit US-Hypotheken und die Technik der Kreditverpackung bezöge.“[21]
Dabei hatte der ehemalige Notenbankchef Paul Volcker zuvor irritiert bemerkt: Einerseits ließe sich für die Finanzindustrie ein enormer Konkurrenzdruck feststellen. Andererseits würden außerordentliche Gewinne erzielt.[22] Das ‚Volcker Paradox’ erklärt sich James Crotty durch die Expansion finanzieller Dienstleistungen, deren Märkte umkämpft sind. Dabei versprechen allein Finanzinnovationen Extraprofite, solange sich die Konkurrenz ihrer noch nicht angenommen hat.[23] Das debattierte Paradox ist insofern aufschlussreich, weil Banken bei einer tendenziell fallenden Zinsrate ihre verminderten Margen durch die Erweiterung des Kreditgeschäfts zu kompensieren haben. Das macht Dienstleistungen interessant, die sich aber letztlich durch eine Verminderung der Zirkulationskosten zu rechtfertigen haben.[24]
Wiederum verweisen die unterschiedlich zusammengesetzten Bankgewinne auf Regulierungsformen, die für das Verständnis von Strukturen und Verhalten entscheidend sind. Unterliegt die Rolle des Kredits (Vermittlung der Durchschnittsprofitrate, Ökonomisierung der kapitalistischen Zirkulation, Entwicklung des Aktienwesens[25]) einer Überakkumulation, dann partizipieren Banken von dieser Entwicklung. Allerdings nehmen sie dabei, wie Stephan Krüger treffend bemerkt, eine ‚Zunahme der Geschäftsrisiken’ in Kauf.[26]
Der Zusammenbruch der Ertragsmaßstäbe
Obgleich die Bankenkrise weitreichende Folgen für die Konjunktur erwarten ließ, ist der Abschwung mit unerwarteter Wucht eingetreten. Das ist zunächst aus einer Konjunktur zu erklären, die durch Außenhandel und Kredit noch über sich hinausgetrieben wurde. Allein die haussierenden Rohstoffpreise verlangten, dass eine binnenwirtschaftlich bereits erlahmende Nachfrage außenwirtschaftlich kompensiert wurde. Daher musste sich die Lähmung der Geld- und Devisenmärkte auf die Industrie erschreckend auswirken. Das traf insbesondere für die zentralen und peripheren Absatzmärkte der Automobilindustrie zu. Des Weiteren machte sich in der ruckartig einsetzenden Kontraktion ein ›Geschäftsmodell‹ geltend, das sich zwar auf die Entwicklung von Märkten eingestellt hatte, dennoch von dieser abrupten Wende überrascht wurde. Mit dem Zusammenbruch der Finanzmärkte verloren die Unternehmen nicht nur Möglichkeiten der Finanzierung, sondern auch die Maßstäbe für die Bilanzierung von Gewinnen und Verlusten. Der zusammengebrochene Handel mit Ansprüchen und Verpflichtungen erschwert die Beurteilung der eigenen Zahlungsfähigkeit. Noch schockierender war der ungebremste Einbruch in den Produktionsbetrieben. Mit der Verschlechterung werden Automobilarbeiter genötigt, ihre eigenen Lohnkosten für ihre Budgets und Zielvereinbarungen herunterzurechnen. Mit dem Druck auf die Lohnkosten bleibt ausgeblendet, inwieweit die für die Wertschöpfung bedeutend gewordenen sozialen, ökologischen und kognitiven ‚Agentien’ (Marx) ausreichend berücksichtigt werden. Jedenfalls hat der Abschwung für das Regime der Shareholder das bestätigt, was ihm zuvor als kurzfristige Orientierung, überzogene Ertragserwartung, vernachlässigte Investitionstätigkeit etc in der sozialwissenschaftlichen Kritik des Finanzmarktkapitalismus angekreidet worden war.[27]
Strukturwandel der Weltwirtschaft und die Rolle
außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte
Tatsächlich sind die strukturellen Folgen der Krise noch nicht absehbar, denn wir befinden uns noch im Abschwung. So erwartet die Welthandelsorganisation einen Rückgang der Exporte von neun Prozent. Eine derartige Schrumpfung des Außenhandels, die sich mit einer deflationären Entwicklung verbinden würde, wäre nur mit den 1930er Jahren zu vergleichen. Die Prognose ist nicht einfach zu treffen, denn sie lässt sich nicht aus der bisherigen Entwicklung ermitteln. Die analytische Schwierigkeit besteht in der Hebelwirkung von Handel und Kredit. Was den Aufschwung verstärkt, trägt auch Verstärkung des Abschwungs bei. Allerdings fällt die Wirkung nicht symmetrisch aus, denn im Abschwung kommt es mit der Zahlungsbilanz, den Wechselkursen und den Staatsfinanzen zu Verwicklungen. Und diese Unverhältnismäßigkeit ist es auch, die für den Schrecken sorgt.
Dabei war noch vor mehr als einem Jahre eine weltwirtschaftliche Expansion zu debattieren, die namentlich dem chinesischen Wachstum zu verdanken war.[28] Einerseits boten sich der nur mäßigen Entwicklung in den USA und Europas prosperierende Absatzmärkte in Asien, andererseits machten sich in der Rohstoffversorgung ‚Flaschenhälse’ bemerkbar. Zwar entging der geführten Debatte nicht das ‚globale Ungleichgewicht’, als ‚Achillesferse der Weltkonjunktur’ (Goldberg), dennoch blieb unerörtert, inwieweit das der Wall Street zugeflossene und überlassene Geld sowohl die amerikanische Ökonomie stützte, als auch weltwirtschaftliche Funktionen erfüllte. Man wog sich in der Illusion, dass im Zuge von Globalisierung die monetären Quellen nicht versiegen könnten. Im Gegenteil: Niedrige Zinsen, steigende Vermögenspreise und Inflationserwartungen ließen einen geldlichen Überfluss (‚savings glut’) befürchten. Während die überdurchschnittliche Rentabilität des Investmentbanking vorgab, die Doppelfunktion der Wall Street sei durch entsprechende Rückflüsse gesichert, muss sie sich tatsächlich in der Phase konjunktureller Überproduktion in eine hochspekulative (Ponzi)Finanzierung verwandelt haben. Das wurde durch das System der Schattenbanken überdeckt.
Erst mit den durch die Krise möglich gewordenen Rückschlüssen ergeben sich für anstehende Regulierungsdebatten Fragen, die in der einen oder anderen Art auch schon bislang eine Rolle gespielt haben: Erstens wird die herkömmliche Weltmarktorientierung (‚Neomerkantilismus’) nochmals auf ihre Krisenhaftigkeit hin zu prüfen sein. Dabei ist zu erwägen, ob die auf diesen Wegen erzielten Überschüsse nicht im Sinne eines ‚Bretton Woods II’ der Finanzierung von Defiziten zuzuführen sind. Zweitens ist mit der Krise fraglich geworden, ob das angelsächsischem Muster noch als Orientierungspunkt für die Entwicklung der Finanzsysteme tauglich ist, da sich das Original doch selbst im Wandel befindet. Drittens werden die Konzepte exportorientierter Entwicklungspolitik auf eine mögliche Vernachlässigung der inneren Märkte zu befragen sein.
Der Zusammenhang von Finanzwirtschaft und Produktion
Sobald sich die bürgerliche Gesellschaft entwickelt habe, schreibt Marx, würde jeder Waren- und Geldbesitzer seinen Adam Smith kennen. Mit seinem Smith unter dem Arm würde er auf den Aberglauben herabblicken, dass letztlich Gold und Silber Geld seien. Und er würde spöttisch fragen, prophezeit Marx, wieviel Zinsen von einer Unze Gold zu erwarten wären. Dabei sind die Zirkulationsagenten den lieben langen Tag mit Gegenständen beschäftigt, durch die sie ihre Tätigkeiten aufeinander beziehen. Nur in einer Krise, wie sie Argentinien zu Beginn des Milleniums erlebt hat, ist die Zerbrechlichkeit gegenständlicher Vermittlung zu erfahren. „Es ist dies das besondere Moment der Weltmarktskrisen, das Geldkrise heißt.“[29] In einer derartigen Krise sehen sich Banken und Unternehmen durch Zahlungsschwierigkeiten veranlasst, ihre Liquidität zu verbessern. Warum dies Veränderungen in der Kassenhaltung auf den Geldmärkten (Interbankenmarkt, Devisenmarkt) mit sich bringt, ist diesen Formen nicht entnehmbar. „Dies plötzliche Umschlagen des Kreditsystems in das Monetarsystem fügt den theoretischen Schrecken zum praktischen panic, und die Zirkulationsagenten schaudern vor dem undurchdringlichen Geheimnis ihrer eigenen Verhältnisse.“[30]
Was für die Finanzierung von Immobilien, das Bereitstellen von Risikokapital oder den Handel mit Wertpapieren nur gesagt werden kann, ist, dass ihre Geschäftsgrundlage langfristig durch die begrenzte Summe industriell freigesetzten Geldkapitals, aufgeschatzter Profite und aus Einkommen gebildeter Ersparnisse bestimmt ist. An dieser durch das Kapital gesetzten Grenze, die durch die ‚Geldschöpfung’ des zweistufigen Bankwesens überspielt wird, hat sich das Kreditwesen sozusagen abzuarbeiten. Dabei kommt den spektakulären ‚Finanzinnovationen’ (Handel mit Krediten, Versicherung von Kreditpaketen etc) insofern eine besondere Bedeutung zu, als sich die Dienstleistung einer Bank, ihre gesamte Tätigkeit, als Ökonomisierung von Zirkulationskosten zu bewähren hat.
Besteht die Vermittlung zwischen Kreditwesen und Industrie in den Rückflüssen, dann haben wir es bei dieser Krise mit einer paradoxen Situation zu tun: Einerseits hat das Regime der Shareholder den jeweiligen Finanzstatus des Unternehmens in den Mittelpunkt gerückt. Andererseits ist mit dieser Konzentration auf die ‚cash flows’ den Beteiligten in Unternehmen und Banken dennoch entgangen, was zu ihrer Veränderung geführt hat. Nimmt der Umschlag eines Kapitals ab, bleibt dieses länger in den Formen des produktiven und Warenkapitals gebannt, dann nimmt auch der Umfang des in der Geldform befindlichen Kapitals ab. Mit der finanziellen Verschlechterung wird dann auch die eingegangene Verschuldung zum Problem. Was den an der Börse notierten Unternehmen durch die Art ihrer Finanzierung und Rechnungsführung entgangen ist, besitzt aber seine eigentliche Grundlage in der Wertschöpfung. Das Problem der Wertschöpfung besteht wiederum in der Unfähigkeit, die verschiedenen Elemente einer neuen Stufe der Produktivkräfte über ein bloßes ‚cost cutting’ hinaus zusammen zu bringen. Das bringt die Lohnabhängigen in eine schwierige Situation. Dabei werden sie einerseits zu einer Verantwortlichkeit gegenüber den Kosten herangezogen. Das erweitert ihre Entscheidungskompetenz. Andererseits werden ihre Arbeits- und Lebensbedingungen unsicher.[31] Das schließt auch die Schwierigkeiten für die Entwicklung einer ökologisch verträglicheren Ökonomie der vergegenständlichten Arbeit ein.
Offenbar hat diese Entwicklung deshalb eine weltwirtschaftliche Zuspitzung erfahren, weil die Exportorientierung vieler Länder für große und dauerhafte Zahlungsbilanzungleichgewichte gesorgt hat. Damit hat sich die befristete Geschäftsbasis des internationalen Investmentbanking zunächst einmal erweitert. Andererseits haben die kurz- oder mittelfristig zur Verfügung gestellten Dollar nicht hingereicht, um das ‚globale Ungleichgewicht’ und die amerikanische Akkumulation langfristig zu stützen. Daran ist das Investmentbanking der Wall Street zerbrochen. Daher setzt die Krise die Weltgeldfunktion des Dollar auf die Tagesordnung.
[1] R. Hank (2009): Der amerikanische Virus. München, S. 8.
[2] Vgl. S. Krüger (2008): Finanzmarktkrise: Der Umschlag des Kredit- in das Monetarsystem, in Supplement der Zeitschrift Sozialismus 12/2008, S. 19.
[3] E. Altvater (2008): Die Finanzkrise – mehr als ein Weltmarktsungewitter, in: Das Argument, 50. Jg. (2008) Heft 5, S. 490.
[4] Vgl. W. Wolf (2009): Sechs Krisen – eine Weltwirtschaftskrise, in: lunapark21, Heft 5, S. 9
[5] Vgl. A. Gramsci (1999): Gefängnishefte 9, Hamburg, S. 2095ff. „...doch auch andere Elemente führen zum Staatseingriff oder rechtfertigen ihn theoretisch: die Verschärfung der Zollregime und der Autarkiebestrebungen, die Prämien, das Dumping, die Rettungsaktionen für die von Konkurs bedrohten oder angeschlagenen Großunternehmen; das heißt, wie gesagt worden ist, die Nationalisierung der Verluste und der Defizite der Industrie usw.“ ebenda, S. 2096
[6] Ebenda.
[7] Ebenda, S. 2096.
[8] Ebenda.
[9] „Darauf folgt, dass der Staat theoretisch seine gesellschafts-politische Basis bei den ›kleinen Leuten‹ und bei den Intellektuellen zu haben scheint, in Wirklichkeit aber bleibt seine Struktur plutokratisch, und es gelingt unmöglich, die Verbindung mit dem großen Finanzkapital abzubrechen: im übrigen wird der Staat selbst zum größten plutokratischen Organismus, zur Holding der großen Ersparnismassen der Kleinkapitalisten.“ ebenda, S. 2097.
[10] Vgl. W. F. Haug (2008): Krise des Kapitalismus – Krise seiner Naturverhältnisse, in: Das Argument 50. Jg (2008) Heft 6, S. 787.
[11] „Die einzelnen Momente, die sich also in diesen Krisen zusammenfassen, müssen also in jeder Sphäre der bürgerlichen Ökonomie hervortreten und entwickelt werden, und je weiter wir in ihr vordringen, müssen einerseits neue Bestimmungen des Widerspruchs entwickelt werden, andererseits die abstrakteren Formen derselben als wiederkehrend und enthalten in den konkreteren nachgewiesen werden.“ K. Marx (1972): Theorien über den Mehrwert II, MEW 26.2, Berlin, S. 510
[12] Vgl. Sozialistische Studiengruppen (1983): Einführung Marxsche Krisentheorie, Hamburg, S. 48ff.
[13] K. Marx (1972): Theorien über den Mehrwert II, MEW 26.2, Berlin, S. 510.
[14] J. Bischoff (2008): Globale Finanzkrise, Hamburg, S. 14.
[15] Die Deutung der Krise, die Geldpolitik der amerikanischen Bundesbank habe zur Blasenbildung beigetragen, orientiert sich an der Untersuchung der ›Great Depression‹ durch Milton Friedman und Anna J. Schwartz. In dieser Untersuchung waren geldpolitische Fehler festgestellt worden, die sich als krisenverschärfend ausgewirkt hätten. Die Untersuchung von Friedman/Schwartz spielte eine zentrale Rolle im politisch-ökonomischen Paradigmenwechsel in den 1970er Jahren. Vgl. F. Fiehler (2000): Die Gesellschaft der Vermögensbesitzer, Hamburg
[16] Vgl. R. J. Shiller (2008): Die Subprime Lösung, Kulmbach, S. 62.
[17] Für die gegenwärtige Entwicklung konstatiert Shiller eine Vermischung von Grundstücks- und Hauswerten. „Früher belief sich der Anteil des Grundstücks am Wert eines Hauses in einer typischen Stadt nur auf rund 15 Prozent. Daher betrachteten die Menschen ihre Häuser als Ware, die mit der Zeit an Wert verliert – wie ein Auto oder ein Boot -, die viel Wartungsarbeiten erfordert und die irgendwann aus der Mode kommt. Aber da heute der Grundstückswert (definiert als Preis eines Hauses abzüglich der geschätzten Baukosten) häufig mehr als 50 Prozent des Wertes eines Hauses stellt, fangen wir an, uns Häuser so zu denken als wären sie Grundstücke.“ ebenda, S. 75.
[18] Vgl. K. Marx (1968): Das Kapital III, MEW 25, Berlin, S. 782.
[19] In seiner Erforschung des wohnungspolitisches Feldes hat Pierre Bourdieu die industrielle Entwicklung des Reihen- oder Fertighauses für die Masse der Haushalte als fragil beschrieben. „Mussten (die großen Bauträgergesellschaften; F.F.) von jeher gegen den Trend der landläufigen Nachfrage nach Häusern als Heimen angehen, so sind sie jetzt gewissermaßen Gefangene der organisatorischen Bedingungen, die zeitweilig für ihren technologischen Vorsprung gesorgt hatten. Da sie am wenigsten darauf eingestellt sind, der durch Krise und Marktschrumpfung entstandenen neuen Situation zu begegnen, geraten sie oft in schwierige Situationen.“ P. Bourdieu u.a. (2002): Der Einzige und sein Eigenheim, Hamburg, S. 68. Vgl. K. Marx (1969): Das Kapital II, MEW 24, Berlin, S. 236f.
[20] „Wenn der Erwerb eines Hauses als ökonomische Strategie im engen Wortsinn gefasst und nicht das System der Reproduktionsstrategien beachtet wird, dem sie als ein Aspekt angehört, dann ist es unmöglich, seine volle Bedeutung und Funktion zu begreifen.“ P. Bourdieu... a.a.O., S. 51.
[21] L. Zeise (2009): Ende der Party, Köln, S. 14.
[22] „It strikes me that when one looks at the banking system, never before in our lifetime has the industry been under so much competitive pressure with declining market share in many areas and a feeling of intense strain, yet at the same time, the industry has never been so profitable with so much apparent strength. How do I reconcile those two observations?“ zitiert nach: J. Crotty (2008): If Financial Market Competition is Intense, Why are Financial Firm Profits so High? In: Competition & Change, Jg. 12 (2008) Heft 2, S. 169.
[23] Vgl. ebenda, S. 167 – 183.
[24] „The returns from most of these strategies appear as ›non-interest income‹ on commercial bank income statements. Less than 10 per cent of interest income in the early 1980s, non-interest income exceeded 50 per cent by 2005. The larger the bank, the larger the non-interest income share.“ ebenda, S. 174.
[25] Vgl. K. Marx (1967): Das Kapital III, MEW 25, Berlin, S. 451 f.
[26] Vgl. S. Krüger (1986): Allgemeine Theorie der Kapitalakkumulation, Hamburg, S. 723.
[27] Vgl. M. Aglietta / A. Rebérioux (2005): Corporate Governance Adrift. Cheltenham / Northampton.
[28] Vgl. S. Schmalz (2006): Die Bedeutung der Zahl: Gedankenexperimente zur Rolle der BRIC-Staaten in der Weltwirtschaft, in Z, 17. Jg. (2006) Heft 67, S. 21-36, vgl. J. Goldberg (2007): Aufschwung und Restrukturierung der Weltwirtschaft, in: Z, 18. Jg. (2007) Heft 71, S. 7-23.
[29] K. Marx (1971): Zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW 13, Berlin, S. 122.
[30] Ebenda, S. 123.
[31] „Daß nichts umkommt oder verschleudert wird, daß die Produktionsmittel nur in der durch die Produktion selbst erheischten Weise verbraucht werden, hängt teils von der Dressur und Bildung der Arbeiter ab, teils von der Disziplin, die der Kapitalist über die kombinierten Arbeiter ausübt und die überflüssig wird in einem Gesellschaftszustand, wo die Arbeiter für ihre eigne Rechnung arbeiten, wie sie jetzt schon beim Stücklohn fast ganz überflüssig wird.“ K. Marx (1967): Das Kapital III, .a.a.O., S. 93.