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Der Beitrag des Fußballs zur neoliberalen Hegemonie am Beispiel autobiografischer Texte

Juni 2009

Seit einiger Zeit findet in den Gesellschaftswissenschaften eine Debatte über die theoretische Fassung von Wandlungsprozessen im Kapitalismus der Gegenwart statt.[1]

Seit einiger Zeit findet in den Gesellschaftswissenschaften eine Debatte über die theoretische Fassung von Wandlungsprozessen im Kapitalismus der Gegenwart statt. Vielfach wird diese Debatte mit dem Vokabular der Regulationstheorie geführt: Diese geht davon aus, es gebe innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise zeitlich aufeinanderfolgende Gesellschaftsformationen, die sich durch einen spezifischen Zusammenhang zwischen der Art und Weise der Kapitalakkumulation und ihrer normativen und institutionellen Regulierung auszeichneten. Solche Formationen funktionieren nur, wenn sie von einem gesellschaftlichen Konsens getragen werden, die herrschenden Klassenkräfte ihre Interessen als Verkörperung des Gemeinwohls vermitteln können bzw. in der Terminologie der Regulationstheorie die Hegemonie erringen.

Hier schließt ein Teil der Regulationstheorie an Überlegungen Antonio Gramscis an, der schon in den 1930er Jahren herausarbeitete, dass mit ökonomischen Wandlungen die Herausbildung eines neuen Menschentyps verbunden ist: Einstellungen, Wertvorstellungen, Handlungsmuster etc. der Individuen, kurz: ihre Subjektivität, müssen so geformt werden, dass der Konsens der Beherrschten zur Herrschaft gesichert ist.

Diese Subjektivitätsmuster werden den Individuen laut Gramsci auch über die Alltagskultur vermittelt, was es nahe legt, Zusammenhänge zwischen dieser und ökonomischen Wandlungen zu untersuchen. Ein gewichtiger Teil der Alltagskultur ist zum einen der Sport, insbesondere der Fußball; ein weiterer ist die populäre Literatur. Ich habe daher beide Bereiche gemeinsam untersucht, indem ich Autobiografien von Fußballstars einer Inhaltsanalyse unterzogen und die Ergebnisse mit zeitgenössischen ökonomischen Leitbildern verglichen habe. In diesem Artikel will ich meine Interpretation der untersuchten Texte – nach einer theoretischen Herleitung des Analyserasters – kurz darstellen.

Subjektivitätsvorstellungen im Kapitalismus der Gegenwart

Um Leitbilder in Autobiografien von Fußballspielern mit zeitgenössischen ökonomischen Anforderungen an das Subjekt vergleichen zu können, sollen zunächst einige Untersuchungen zu diesen ökonomischen Subjektivitätsvorstellungen referiert werden, um ein Raster für die Inhaltsanalyse zu erhalten. Gegenwärtig wird eine Debatte um den Begriff „Prekarisierung“ geführt. Er stammt aus der globalisierungskritischen Bewegung und wurde sozialwissenschaftlich aufgegriffen (Brinkmann/Dörre/Röbenack 2006: 8), unter anderem von Pierre Bourdieu, der unter „Prekarität“ eine zum allgemeinen Dauerzustand gewordene Unsicherheit versteht, die das Ziel habe, Beschäftigte zur Hinnahme ihrer Ausbeutung zu zwingen. Betroffen seien vor allem befristet und in Teilzeit Beschäftigte, die hohe Arbeitslosigkeit verunsichere jedoch auch regulär Beschäftigte. Prekarisierung zerstöre die Planbarkeit der Zukunft und damit auch die Bereitschaft zu politischem Engagement (Bourdieu 1998: 97ff.). Für die Frage nach gegenwärtigen Anforderungen an das Subjekt ist eine empirische Studie zu prekären Beschäftigungsverhältnissen besonders relevant, die ein Forscherteam um Klaus Dörre durchgeführt hat. In dieser Studie gilt ein Beschäftigungsverhältnis als prekär, „wenn die Beschäftigten aufgrund ihrer Tätigkeit deutlich unter ein Einkommens-, Schutz- und soziales Integrationsniveau sinken, das in der Gegenwartsgesellschaft als Standard definiert und mehrheitlich anerkannt wird. Und prekär ist Erwerbsarbeit auch, sofern sie subjektiv mit Sinnverlusten, Anerkennungsdefiziten und Planungsunsicherheit in einem Ausmaß verbunden ist, das gesellschaftliche Standards deutlich zuungunsten der Beschäftigten korrigiert.“ (Brinkmann/Dörre/Röbenack 2006: 17). Prekarisierung enthält nach dieser Definition also eine subjektive Komponente. Die Studie hat dabei auf folgende Verarbeitungsformen prekärer Beschäftigung aufmerksam gemacht: Prekär Beschäftigte sowie Normalbeschäftigte mit der Befürchtung abzustürzen haben das Gefühl, zu geringe Möglichkeiten einer längerfristigen Lebensplanung zu haben, was eine Mischung aus Verunsicherung, Scham, Wut und Resignation erzeugt (ebd.: 58).

Die soziale Integration durch Erwerbsarbeit verliert an Bedeutung und wird zum Teil durch neue Integrationsformen ersetzt, wie die Hoffnung von Leiharbeitern, zu Stammbeschäftigten zu werden, oder die Sicherung des Lebensstandards von Frauen mit niedrigem Einkommen durch das Einkommen des Partners. Diese Integrationsformen beruhen jedoch zum Teil auf Illusionen, zum Teil auf Ressourcen, die schnell wegbrechen können (58f.).

Auch bei den Arbeitsverhältnissen vieler Hochqualifizierter gibt es Unsicherheit, die jedoch durch mehr Freiheit und eine hohe Identifikation mit der Tätigkeit kompensiert werden kann. Diese Möglichkeit haben prekär Beschäftigte nicht (60f.). Auf die Verunsicherung im Zuge der Prekarisierung wird vielfach mit einer Sehnsucht nach ausgrenzenden Kollektividentitäten reagiert, und zwar sowohl bei hoch- als auch bei niedrigqualifizierten Beschäftigten (82f.).

Ein weiterer Versuch, zeitgenössische Subjektivitätsvorstellungen auf den Begriff zu bringen, liegt mit dem Konzept des Arbeitskraftunternehmers vor, das Hans J. Pongratz und Günther G. Voß entwickelt haben.[2] Ihr Ausgangspunkt ist das von Harry Braverman formulierte Transformationsproblem: Ein Unternehmen kauft mit der Einstellung von Arbeitskräften lediglich ihr Potenzial, arbeiten zu können; dieses muss aber erst in Arbeitsleistung transformiert werden. Braverman sah in den rigiden Kontrollen des Taylorismus noch die ideale Lösung dieses Problems, während Pongratz und Voß die These formulieren, diese Form habe seit den 1980er Jahren an Bedeutung verloren, weil weitere Kontrollverschärfungen zu hohe Kosten verursachen und die Flexibilität der Arbeitskräfte hemmen würden (Voß/Pongratz 1998: 137f.). Beim neuen Typus des Arbeitskraftunternehmers werde die Verantwortung für die Lösung des Transformationsproblems zunehmend auf die Beschäftigten selbst verlagert (138). Sie unterscheiden folgende Komponenten des Arbeitskraftunternehmers: Selbstkontrolle bedeutet, dass die Arbeitskräfte ihre Tätigkeit selbst steuern, wozu etwa die Eigenverantwortung für die kontinuierliche Anpassung fachlicher Qualifikationen gehört (140f.). Selbstökonomisierung heißt, dass die Beschäftigten ihre Arbeitskraft selbständig herstellen und für sie Käufer finden müssen. Dies beinhaltet sowohl eine individuelle Produktions- (eigenständige Herstellung des Arbeitsvermögens) als auch eine individuelle Marktökonomie (eigenständiger Verkauf der Arbeitskraft). Verkaufen mussten sich die Arbeitskräfte zwar schon immer, diese Anforderung erreicht jedoch jetzt durch die Existenz innerbetrieblicher Märkte für Arbeitskraft und dadurch, dass immer mehr Arbeitskräfte auf externe Märkte gedrängt werden (etwa Scheinselbständige), eine neue Stufe (142f.). Verbetrieblichung bedeutet, dass alle Lebensbereiche auf die Entwicklung und Vermarktung des Arbeitsvermögens systematisch ausgerichtet werden müssen. Damit wird das ganze Leben wie ein Betrieb geführt (143ff.).

Von einem Begriff Michel Foucaults gehen die Gouvernementalitätsstudien aus, aus deren Reihen Analysen der aktuellen Managementliteratur vorgelegt worden sind.[3] Mit dem Begriff der Gouvernementalität wird der Anspruch erhoben, mehrere Komponenten zu verbinden, nämlich Macht, Wissen und Subjektivierung. Macht, verstanden als Verhältnis zwischen Akteuren, die Handlungen beeinflussen, und solchen, deren Handlungen beeinflusst werden, wobei (im Unterschied zu Herrschaftsverhältnissen) beide Positionen permanent die Plätze tauschen können, ist nach Foucault nicht auf den Staat reduzierbar, sondern durchzieht die ganze Gesellschaft auf vielfältigste Weise in Form von Handlungen, die andere Handlungen verändern (Opitz 2007: 95f.). Bezogen auf Wissen lehnt Foucault die Vorstellung ab, wahres Wissen sei etwas Machtfreies, von den Machthabern lediglich Unterdrücktes; vielmehr sei Wahrheit ein Produkt von Macht und übe selbst Machtwirkungen aus (s. Foucault 1978: 53f.). Nach Foucault unterliegt das Wissen in einem bestimmten Zeitraum Regelmäßigkeiten, den sogenannten Epistemen, die selbst weder wahr noch falsch seien, sondern die Bedingungen setzten, was als wahr oder falsch gelten könne (Opitz 2007: 96). Eng mit Macht und Wissen ist nach Foucault auch die Subjektivierung verbunden: Subjekt sei man nicht von Geburt an, sondern werde es erst in sozialen Beziehungen; insbesondere lehnt er die Vorstellung von einem autonomen Subjekt ab und betont, das Subjekt entstehe auf der Basis einer Unterwerfung unter Regelsysteme, insbesondere unter eine gesellschaftlich anerkannte Identität (Opitz 2007: 97). Hier gibt es auch eine Verbindung zum Wissen: Die Produktion von Wissen produziert auch Normen und Abweichungen und entscheidet so mit darüber, wer ein anerkanntes Subjekt sein kann (ebd.).

Ziel der Gouvernementalitätsstudien ist es, Formen der Menschenführung im Unternehmen nach dem Ende des Fordismus zu analysieren; kennzeichnend sei die Ablösung der standardisierten Massenproduktion durch den Zwang, in immer kürzerer Zeit eine immer größere Vielfalt von Produkten in immer kleineren Mengen herzustellen, was flexiblere Formen der Arbeitsorganisation verlange (Opitz 2007: 98ff.), so dass die Subjektivität der Arbeitenden nicht mehr als Störfaktor gelte, sondern gezielt aktiviert und genutzt werden solle (Bröckling 2000: 142); daher werde das Individuum aufgerufen, sein gesamtes Leben marktförmig zu managen (ebd.: 154). In einer Studie von 2004 zeichnet Sven Opitz sieben Techniken zur Erreichung dieser Ziele nach, die in zentralen Texten der Managementliteratur propagiert werden (Opitz 2004: 116ff.): Flexible Netzwerke sollen innovativer sein als starre Hierarchien (Flexibilisierung); die selbstverantwortlichen Beschäftigten (Verantwortlichmachung durch Ziele) müssen gegeneinander konkurrieren (teile und herrsche), ständig die Kundenwünsche im Auge behalten (Total Quality Management) und dabei ihre Leistung lückenlos überwachen lassen (Panoptismus und Leistungskontrolle), unter anderem durch Teamkollegen (Teamwork). Außerdem sollen sie von der Norm abweichen, um in der Konkurrenz aufzufallen, wozu auch der Bruch mit starren Geschlechterrollen und die Förderung ethnischer Vielfalt gehören (Diversity Management).

Insgesamt haben wir hier eine Verbindung der drei Komponenten der Gouvernementalität: Angestrebt wird Machtausübung über die Beeinflussung von Handlungen, wobei der „Führer“, weil den gleichen Normen unterworfen, zugleich „Geführter“ ist; über die Unterwerfung unter diese Machtausübung werden die Individuen handlungsfähige Subjekte, nämlich Arbeitskraftunternehmer; wie gut sie den Marktbedingungen gerecht werden, wird minutiös dokumentiert, womit auch Wissen eine große Rolle spielt. Folgende gemeinsame Substanz sehe ich nun in den dargestellten Ansätzen:

Flexibilität: Alle Ansätze weisen auf die gestiegene Unsicherheit und die Notwendigkeit hin, flexibel auf wechselnde Anforderungen zu reagieren.

Eigenverantwortung: Opitz weist auf die Empfehlung der Managementliteratur hin, Verantwortlichkeit zu konstruieren, Pongratz und Voß weisen mit den Begriffen der Selbstkontrolle und -ökonomisierung auf die hohe Selbstverantwortung des Arbeitskraftunternehmers hin.

Entgrenzung: Pongratz und Voß und die Gouvernementalitätsstudien betonen den Zwang, alle Bereiche des Lebens ökonomischen Kalkülen zu unterwerfen („Selbstrationalisierung“ bei Pongratz und Voß). Nonkonformismus: Die Förderung von Nonkonformismus wird bei Opitz durch den Verweis auf Diversity Management explizit erwähnt. Pongratz und Voß gehen auf den Zwang ein, die eigene Arbeitskraft selbst herzustellen; daraus folgt implizit auch die Notwendigkeit, originell zu sein, um auf dem Markt zu bestehen. Dörres Prekarisierungsstudie ziehe ich außerdem heran, weil sie auf die Ausbreitung von Ausgrenzungsformen als Folge der gestiegenen Unsicherheit hinweist.

Die Bedeutung des Fußballs

Nun ist darzustellen, warum es Verbindungen zwischen dem Fußball und den geschilderten ökonomischen Leitbildern geben könnte. Ich fasse hier meine Schlussfolgerungen aus der Sozialgeschichte des Fußballs[4] in einigen Punkten zusammen:

Nähe des Fußballs zur Arbeitswelt: Die Fußballbegeisterung von Arbeitern wird oft mit der Nähe dieses Sports zur Arbeitswelt erklärt. Dies ist eine erste Andeutung, dass im Fußball Leitbilder vermittelt werden, die den Erfordernissen der Ökonomie entsprechen. So schreibt Gerhard Vinnai 1970, in Wirtschaft wie Fußballsport dominierten quantitative Maßstäbe (Profit vs. Zahl der Tore); der Einzelne sei in beiden Bereichen auswechselbar, und auch im Fußball werde die tayloristische Arbeitsteilung eingeführt (Vinnai 2006: 16ff.). 2006 räumt Vinnai eine gewisse Einseitigkeit seiner damaligen Analyse ein und weist auf Momente des Fußballs hin, die nicht einfach ein Abbild der Arbeitswelt seien: „Sportliche Erfolge sind tendenziell planbar, aber dies nicht in dem Ausmaß wie zum Beispiel der Output von industriellen Produktionsprozessen [...] Die Beherrschung des runden Leders mit dem Fuß kann auch den vollkommensten Athleten nicht immer gelingen [...] Die Spieler sollen aber nicht nur möglichst den Ball unter Kontrolle halten, sie müssen sich zugleich auch auf die oft überraschenden Aktionen ihrer Teamkameraden und Gegner einstellen, was nicht immer gelingen kann. Deshalb kommt es während eines Fußballspiels immer wieder zu einem Hin und Her zwischen den gegnerischen Mannschaften, das mit einem Spannungsaufbau und dem Lösen von Spannungen durch geglückte oder missglückte Aktionen verbunden ist.“ (VII). Hier wird eine Nähe des Fußballs zu den oben dargestellten ökonomischen Leitbildern angedeutet, wo ebenfalls die Notwendigkeit des kreativen Umgangs mit Unsicherheit betont wird.

Fußball und die Krise des Fordismus: Gerald Hödl belegt mit vielen Zahlen das Ausmaß der Durchkommerzialisierung des Fußballs (Hödl 2002: 14f.) und führt dies auf die Krise des Fordismus zurück: Im industriellen Sektor sei ab 1973/74 die Profitrate gesunken; das Kapital habe neue Anlagemöglichkeiten im Dienstleistungssektor und so auch in der Fußballbranche gefunden (ebd.: 14). Dies legt die Frage nahe, ob über den Fußball auch zeitgenössische ökonomische Leitbilder vermittelt werden. Auch Vinnai deutet dies an: „Je mehr der Sport von den Gesetzen des kapitalistischen Marktes durchdrungen wird, desto mehr verwandelt sich Sport in Arbeit. Die Spitzenfußballer werden zu Verkäufern ihrer sportlichen Leistungsfähigkeit als einer Ware, die sie Fußballunternehmern zur Verwertung anbieten [...] Ein Spitzenspieler muss heute nicht mehr nur seine sportlichen Fähigkeiten verkaufen, er muss auch in der Lage sein, sich als Person [...] verwerten zu lassen.“ (Vinnai 2006: VI) Dies erinnert an den Arbeitskraftunternehmer.

Nation und Geschlecht im Fußball: Brändle und Koller analysieren zum einen mehrere Spiele der Fußballgeschichte, bei denen eine nationalistische Abgrenzung gegen den Gegner gefördert wurde (Brändle/Koller 2002: 131ff.); zum anderen stellen sie die Tradition der Männerdominanz im Fußball und der vorherrschenden Männlichkeitsideale dar (ebd.: 207ff.). Was Subjektivität im gegenwärtigen Kapitalismus angeht, so könnte es angesichts dieser Traditionen sein, dass über den Fußball auch die von Dörre herausgearbeiteten Ausgrenzungsformen vermittelt werden; andererseits könnte es (im Sinne von „Diversity Management“) auch zu einem Bruch mit diesen Traditionen kommen.

Fußball und Kampf um Hegemonie: Zeitweilig gab es eine Spaltung in bürgerlichen und Arbeiterfußball (Brändle/Koller 2002: 169ff.), die sich in ihren Wertvorstellungen deutlich unterschieden; so war im kollektivorientierten Arbeiterfußball der Starkult verpönt. Man könnte daher den Fußball als Feld des Kampfes um Hegemonie im Sinne Gramscis begreifen, was auch ein neues Menschenbild einschließt.

Die Bedeutung der populären Literatur

An Gramsci kann ich auch bei der Begründung meiner Beschäftigung mit der populären Literatur anschließen. Seine in faschistischer Haft entstandenen „Gefängnishefte“ enthalten eine Vielzahl an Überlegungen zu Kultur, Kunst und Literatur. Im Kern fordert Gramsci eine Kunst, die mit dem Denken und Fühlen der Volksmassen verbunden ist und ihm Ausdruck verleiht und kritisiert Künstler, die zum Elitismus neigen: „Was muß einen Künstler mehr interessieren, die Zustimmung der ‚Nation‘ zu seinem Werk oder die der ‚geistigen Elite‘? [...] Die Tatsache, daß die Frage gestellt worden ist und weiter in dieser Form gestellt wird, weist als solche auf eine historisch bestimmte Situation der Trennung zwischen Intellektuellen und Nation hin [...] weil die Fühlung zur Nation, zum Volk fehlt, infolge der Tatsache, daß der ‚Gehalt‘ an Gefühlen in der Kunst, in der kulturellen Welt von den in der Tiefe verlaufenden Strömungen des volkstümlich-nationalen Lebens gelöst ist“ (Gramsci 1987: 136f.). Nur eine massenverbundene Kunst könne die Rolle erfüllen, die er ihr zuschreibt, nämlich Feld des Kampfes um Hegemonie, um die Durchsetzung einer neuen Lebensweise und eines neuen Menschentypus zu sein: „daß die Kunst immer an eine bestimmte Kultur oder Zivilisation gebunden ist und dass man im Kampf um die Reform der Kultur dahin gelangt, den ‚Inhalt‘ der Kunst zu verändern, daran arbeitet, eine neue Kunst zu schaffen, nicht von außen [...], sondern von innen, weil sich der ganze Mensch ändert, insofern sich seine Gefühle, seine Auffassungen und die Verhältnisse ändern, deren notwendiger Ausdruck der Mensch ist.“ (Gramsci 1991ff.: 2037). Angesichts dieses Kunstverständnisses ist es folgerichtig, dass sich Gramsci intensiv mit populärer Literatur auseinandersetzt. Er schreibt, Literatur müsse sowohl ästhetischen Kriterien genügen als auch an die Sorgen der Massen anknüpfen; sonst werde der Kunstliteratur die Trivialliteratur vorgezogen (ebd.). Die Untersuchung der kommerziell erfolgreichen Literatur hält er für bedeutsam, weil sie Auskunft darüber gebe, welche Gefühle und Weltanschauungen in der Bevölkerungsmehrheit vorherrschten (Gramsci 1987: 134).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Gramsci die populäre Literatur als Feld des Kampfes um Hegemonie betrachtet, was die Wichtigkeit ihrer Analyse zum Verständnis gesellschaftlichen Wandels (etwa die Entstehung neuer Menschenbilder im Rahmen des nachfordistischen Kapitalismus) unterstreicht. Der Kampf um Hegemonie erfordert, bei ihrer Bewertung nach progressiven Anknüpfungspunkten zu suchen. Bei der Analyse der Autobiographien von Fußballspielern ist also nicht nur nach Übereinstimmungen mit ökonomischen Leitbildern zu fragen, sondern ebenso nach Brüchen und Widersprüchen, nach Anschlüssen an Massenbedürfnisse, die eventuell gegen die bestehenden Verhältnisse gewendet werden könnten.

Auswahl des empirischen Materials

Nun muss noch begründet werden, welche Bücher einer Inhaltsanalyse zu unterziehen sind. Aus Platzgründen habe ich mich in meiner Arbeit auf drei Autobiografien beschränkt; um möglichst aktuelle Daten zur Verfügung zu haben, sollten sie 2000 oder später auf Deutsch erschienen sein. Um festzustellen, ob die eventuell zu findenden Leitbilder internationale Verbreitung haben, also den gegenwärtigen Kapitalismus über den nationalen Rahmen hinaus prägen, sollte es sich um Spieler aus verschiedenen Staaten handeln, wobei ich nur aus den fünf bei Umsatz und Image führenden Ligen (England, Italien, Spanien, Deutschland und Frankreich) auswähle[5] (s. Hödl 2002: 16f.), da hier der Fußball am deutlichsten ein kapitalistischer Geschäftszweig ist; außerdem beschränke ich mich auf den Männerfußball, da der Frauenfußball durch seine untergeordnete Stellung ein gesondert zu behandelndes Feld ist. Zudem sollten Unterschiede bei sozialer Herkunft und Image der Spieler erkennbar sein. Sollten trotz all dieser Unterschiede in allen Büchern ähnliche Leitbilder mit deutlichem Bezug zu ökonomischen Mustern vertreten werden, würde dies die These erhärten, dass die ökonomischen Verhältnisse andere Sphären in letzter Instanz prägen; fände ich solche Gemeinsamkeiten nicht, würde dies darauf hinweisen, dass nicht-ökonomische Faktoren mindestens das gleiche Gewicht haben. Eine gewisse Variation in den genannten Merkmalen der Spieler verspricht also in jedem Fall eine Erhöhung der Aussagekraft. Unter diesem Gesichtspunkt erscheinen folgende Bücher lohnend:

Deutschland: Stefan Effenberg, „Ich hab’s allen gezeigt“ (2003). Zu Effenbergs Herkunft ist lediglich im Buch selbst ein Hinweis zu finden: „Mein Vater war Maurer und mußte jeden Morgen um fünf Uhr aufstehen. Meine Mutter Margrit arbeitete halbtags als kaufmännische Angestellte in dem Büro einer Gerüstbaufirma.“ (Effenberg/Mendelin 2003: 14). Nach dem Dahrendorfschen Modell aus den 1960er Jahren[6]gehört die Familie zur Arbeiterschicht (Geißler 2002: 117f.); heute gehören Maurer zu den Berufen mit dem größten Anteil an den „working poor“ (Strengmann-Kuhn 2003). Zu Effenbergs Image heißt es in einer arbeitssoziologischen Studie, Effenberg verkörpere „eine extreme Form eines zynischen Egoismus.“ (Boes/Trinks 2006: 319).

England: David Beckham, Mein Leben (2003). Über Beckhams Herkunft heißt es: „Der kleine David fing nämlich ganz unten an. Als Sohn des Kücheninstallateurs Ted und der Friseurin Sandra kickte er zunächst in den eher weniger feinen Stadtteilen von London vor sich hin“.[7] Dies deutet auf ein ähnliches materielles Lebensniveau hin wie bei Effenberg. Zu Beckhams Image heißt es im Klappentext des Buches: „Er gilt als das Vorbild einer ganzen Generation: Romantik, Zärtlichkeit und Körperbewusstsein stehen seit Beckham nicht mehr im Widerspruch zu starker Männlichkeit.“ (Beckham/Watts 2003) Dies ist ein Kontrast zu Effenbergs „skrupellosem Egoismus“: Beckham wird als gefühlvoller, moderner, mit traditionellen Geschlechterrollen brechender Mann präsentiert.

Frankreich: Zinédine Zidane, Der mit dem Ball tanzt (2005). Zu Zidanes Herkunft heißt es: „Es geschah in den 60er Jahren, als eine Familie namens Zidane aus ihrem Heimatland Algerien auszog, um im französischen Marseille ihr neues Glück zu suchen. Einige Jahre darauf [...] gebar Mutter Zidane einen Sohn, der den Namen Zinédine bekam. Der kleine ‚Zizou‘ wuchs im Problemviertel La Castellane auf und fand dort schon im Kindesalter seine große Liebe: den Fußball.“[8] Durch den migrantischen Hintergrund kontrastiert Zidanes Herkunft mit den anderen beiden Spielern. Zu seinem Image heißt es: „Der teuerste und beste Spieler der Welt steht für Ballkunst und Bescheidenheit.“.[9] Zidanes Image kontrastiert zum „zynischen Egoismus“ Effenbergs und zur Selbstinszenierung Beckhams.

Ich wähle diese Bücher außerdem aus, weil es sich um sehr erfolgreiche Spieler handelt und daher eine große Publikumswirksamkeit der Bücher angenommen werden kann.

Die Fallstudien im Lichte der Fragestellung

Interpretation der Autobiografie Stefan Effenbergs

Flexibilität: Die Anforderung an das Individuum, mit häufig wechselnden Bedingungen umzugehen, wird in Effenbergs Buch sehr scharf vertreten. So muss das Individuum durch Vereinswechsel seinen Erfolg maximieren: „Ich spürte, daß ich in München alles erreicht hatte, mehr ging nicht, eine Steigerung war nicht mehr drin. Meinen Vertrag wollte ich deshalb auch nicht verlängern.“ (Effenberg/Mendelin 2003: 177) und sich auf Risiken einlassen: „Richtig große Manager wissen, daß sie nur weiterkommen, wenn sie auch einmal aufs Ganze gehen.“ (104). Insgesamt wird ein Individuum gefordert, das sich in ständiger Bewegung befindet und grenzenlos dynamisch ist, weil jeder Stillstand dazu führen kann, Optimierungschancen zu verpassen.

Eigenverantwortung: Effenberg vertritt ebenfalls deutlich die Anforderung an das Individuum, selbstständig mit wechselnden Bedingungen umzugehen. Dies zeigen schon die unter Flexibilität angeführten Zitate: Hier sind das Einschätzen von Chancen und das Eingehen von Risiken Aufgaben des Individuums selbst. Außerdem zeichnet Effenberg das Bild von einer feindlichen Welt, in der man sich nur auf die eigenen Kräfte verlassen könne. Dies schließt den Verweis auf widrige Bedingungen ein – beginnend mit materiellem Mangel in der Familie: „Wir waren nicht arm, aber daß wir Kinder mit einem goldenen Löffel im Mund groß wurden, konnte man nicht gerade behaupten.“ (14).

Entgrenzung: Effenberg vertritt den Zwang, alle Lebensbereiche ökonomischen Kalkülen zu unterwerfen. So wird das Privatleben als Ressource für das berufliche Fortkommen betrachtet: „Im nachhinein betrachtet war diese Heirat der beste Schritt, den ich damals machen konnte. Wenn ich mit Jörg in unserer WG geblieben wäre, hätte ich wahrscheinlich einen passablen Bundesligaspieler abgegeben, mehr aber nicht. Die große Karriere, den Sprung zum FC Bayern München, hätte ich wahrscheinlich nicht geschafft.“ (56). Auf der anderen Seite wird bei privaten Beziehungen selbst der Maßstab der Leistungsoptimierung angesetzt – auf S. 53 gibt er beispielsweise einer Frau eine Note.

Nonkonformismus: Effenberg inszeniert sich als Rebellen, dem gesellschaftliche Regeln nichts bedeuten („Irgendwann ging mir der Grundwehrdienst so auf den Keks, daß ich die Brocken hinwarf“, 17) und der keinen Respekt vor Autoritäten hat („Ich war auch der einzige, der es wagte, gegen Franz Beckenbauer aufzumucken“, 75). Auf der anderen Seite passt er sich regelmäßig doch wieder an Regeln an, um die Karriere nicht zu gefährden („Okay, sagte ich mir, ich akzeptiere die Strafe und ziehe das Ding durch, auch wenn es schwerfällt. Ich hatte mich wieder eingekriegt, und auf noch mehr Streß hatte ich keinen Bock.“, 59). Dies zeigt, dass es sich um einen marktkonformen Nonkonformismus handelt, wie die Managementliteratur ihn empfiehlt.

Ausgrenzung: Effenberg betreibt Ausgrenzung in verschiedener Form. Mehrfach wertet er ganze Personengruppen ab. So äußert er sich sexistisch, wenn er Sex als „Zureiten“ von Frauen bezeichnet (88) und fordert Leistungskürzungen für angeblich faule Arbeitslose (182). Dies spricht für Dörres These, die um sich greifende ökonomische Verunsicherung löse als Kehrseite eine Sehnsucht nach stabilen Kollektividentitäten aus, die nur durch Ausgrenzung nicht dazugehöriger Gruppen aufrechtzuerhalten seien.

Interpretation der Autobiografie David Beckhams

Flexibilität: Hier gibt es Übereinstimmung mit Effenberg. Laut Beckham müssen Chancen nicht nur genutzt, sondern sogar antizipiert werden: „Große Stürmer stehen nicht still. Sie bewegen sich bereits, antizipieren ihre Chance, bevor irgendein anderer sieht, dass überhaupt etwas los ist.“ (Beckham/Watt 2003: 322) Dabei ist ein gewisses Maß an Unsicherheit sogar ein Ansporn: „Im Nachhinein war diese Unsicherheit das Beste, was mir [...] passieren konnte. Ich wusste, dass man mich wollte, aber mir war auch klar, dass ich mich im Laufe der nächsten vier Jahre beweisen musste.“ (ebd.: 55)

Eigenverantwortung: Auch bei Beckham wird dem Individuum ein hohes Maß an Eigenverantwortung zugeschrieben. Dies zeigt sich schon in den unter Flexibilität zitierten Passagen: Die Nutzung von Chancen und der Umgang mit Unsicherheit müssen vom Individuum selbst geleistet werden. Außerdem muss es aktiv an seiner Persönlichkeit arbeiten, um Erfolg zu haben, also beispielsweise dafür sorgen, dass es Selbstvertrauen gewinnt: „Du schaust deinen Kumpel an, und er scheint der Sache gewachsen zu sein [...] Und wenn sie dann irgendwann dich anschauen, strahlst du ebenfalls Selbstvertrauen aus. Es ist eine Energie, die sich Minuten vor dem Anpfiff in der Kabine bündelt.“ (318)

Entgrenzung: Wie im letzten Punkt angedeutet ist bei Beckham das Bestreben erkennbar, nicht-ökonomische Lebensbereiche mit beruflichen Anforderungen in Einklang zu bringen. Beispielsweise gibt ihm die Familie Kraft für das Berufsleben („jedes Mal, wenn ich die beiden Menschen, die mir am meisten bedeuten, sehen konnte, gab mir das riesigen Auftrieb und lud meine Batterien auf. Dann kam ich nach Old Trafford[10] zurück und hätte Bäume ausreißen können.“, 180f.) und ist an der Herstellung seines Selbstvertrauens beteiligt („obwohl Victoria mein Selbstvertrauen in jeder Hinsicht gestärkt hat.“, 26).

Nonkonformismus: Bei Beckham handelt es sich um inszenierte Abweichungen von der Norm, bei denen er bemüht ist, sie in einem marktkonformen Rahmen zu halten. Seine Maxime lautet hier: „Ich vertrete dabei jedoch den Standpunkt, dass alle großen Spieler ihre Ecken und Kanten haben. Und genau die sind es, wodurch sich ihre Persönlichkeit vom Durchschnitt unterscheidet.“ (93) Bei Beckham wird die Abweichung vom Durchschnitt vor allem durch Verstöße gegen männliche Geschlechterstereotypen erreicht, etwa indem er seine gefühlvolle Seite betont: „So mancher, der diese Zeilen liest, hält mich daraufhin vielleicht für einen Softie. Aber so bin ich nun einmal.“ (124) Auf der anderen Seite verteidigt er jedoch disziplinierende Regeln im Fußballbetrieb und betont, dass ihre Einhaltung für seine Karriere wichtig ist: „Es gibt eine Sache, die United und die Spieler im Verein besonders antreibt. Du weißt, dass du dich nicht gehen lassen darfst, denn es gibt immer jemanden, der nur darauf wartet, deinen Platz einzunehmen.“ (76) Daraus schließe ich, dass es sich bei Beckhams Nonkonformismus um eine Marketingstrategie im Sinne des Diversity Management (s.o.) handelt.

Ausgrenzung: Ausgrenzungsformen wie bei Effenberg sind bei Beckham nicht festzustellen. Einerseits drückt er seinen Respekt vor der Leistung anderer Spieler und Trainer aus, statt sie abzuwerten: „Der Boss versteht so viel von Fußball wie nur wenige andere.“ (261) Andererseits betont er seine Distanz gegenüber einer Selbstanpreisung, wie Effenberg sie betreibt: „Heutzutage meinen junge Spieler manchmal, sobald sie bei einem Klub unterschrieben haben, sitzen sie im gemachten Nest. In unserer Generation gab es so was nicht. Und falls es doch jemandem eingefallen wäre, hätte uns Eric diese Flausen schnellstens ausgetrieben.“ (66)

Hier liegt ein anderer Typus des nachfordistischen Subjekts vor als bei Effenberg. Es wird auf das eigene Können gesetzt und nicht auf Selbstanpreisung, verbunden mit der Abwertung anderer.

Interpretation der Autobiografie Zinédine Zidanes

Flexibilität: Dieses Thema spielt bei Zidane in zwei Zusammenhängen eine Rolle: Zum einen betont er die Notwendigkeit, als Kapitän der Nationalmannschaft besonderen Einsatz zu zeigen (Zidane/Franck 2005: 55); dies deutet auf den Zwang hin, flexibel auf wechselnde Spielbedingungen zu reagieren. Zum anderen formuliert er die Maxime, alles zu geben, um die eigenen Ziele zu erreichen: „Ich bin sehr stolz, in meinem Viertel geboren und aufgewachsen zu sein. Ich habe verinnerlicht, was man dort sagt: Man muß immer alles daransetzen, seine Ziele zu erreichen.“ (ebd.: 83) Dies kann als Aufforderung gelesen werden, ständig höhere Ziele anzustreben, nie beim Erreichten stehenzubleiben, also flexibel und dynamisch zu sein.

Eigenverantwortung: Zidane betont die Bedeutung eigener Anstrengungen für den persönlichen Erfolg. Mehrmals unterstreicht er, dass er sich durch seinen Migrationshintergrund besonders anstrengen musste, z.B. auf S.83: „Ja, ich mußte doppelt so hart arbeiten, weil ich ein Immigranten-Kind war.“ Er glaubt außerdem daran, dass es in ihm selbst die Kraft gibt, die ihn zum Erfolg führt: „Unsere Kraft ist da: sie steckt in uns selbst.“ (52). So entsteht auch hier das Bild von einem Subjekt, das keine wirklichen Grenzen kennt, weil es über einen unzerstörbaren Kern verfügt, an den es nur glauben muss.

Entgrenzung: Das Privatleben wird als berufliche Ressource betrachtet, denn die Familie hat nach Zidanes Einschätzung wichtige Beiträge für seine Karriere geleistet: „Er verehrt seinen Vater sehr [...] .Das, was ich bin, ist sein Verdienst.“ (80) Dies scheint ihm jedoch zuzufallen und wird nicht als eigenverantwortliche Leistung des Individuums dargestellt, dessen Aufgabe vielmehr darin besteht, dem Privatleben noch kleine Spielräume neben dem Beruf zu verschaffen. Prinzipiell wird das Private dem Beruflichen aber untergeordnet, was Zidane als unausweichlich betrachtet (68f). Auch andere Bereiche müssen berufskonform gemanagt werden, etwa Emotionen: „Schüchtert ein Spieler dich ein [...] solltest du besser in der Umkleidekabine bleiben, denn du hast keine Chance, zu gewinnen.“ (164)

Nonkonformismus: Diesen gibt es bei Zidane vor allem in Form von Kreativität. Er ist stolz auf den Erfindungsreichtum des Straßenfußballs seines Herkunftsviertels (102). Auf der anderen Seite hat er jedoch Verständnis dafür, dass im Profifußball kein Platz für die Kreativität des Straßenfußballs ist (159); gegen Autoritäten wie Vater oder Cheftrainer begehrt er gewöhnlich nicht auf, sondern lobt sie an vielen Stellen ausdrücklich (s.o. unter Entgrenzung, 80). All das legt den Schluss nahe, dass es sich auch bei Zidanes Nonkonformismus um eine Marketingstrategie im Sinne des Diversity Management handelt. Anders als Effenberg und Beckham wählt er seine migrantische Herkunft, um aufzufallen.

Ausgrenzung: Auch bei Zidane gibt es keine Ausgrenzungsformen wie bei Effenberg. Weder wertet er ganze Menschengruppen ab noch die Leistung oder Persönlichkeit von Individuen. Vielmehr betont er mehrmals seine Bescheidenheit („Dieser Lärm, diese Unruhe um mich herum... Das liegt mir nicht. Man behandelt mich wie einen Star, obwohl ich doch so unauffällig wie möglich leben wollte...“, 68) und lobt die Leistung anderer ausdrücklich („Áimé Jacquet, das ist ein ganz großartiger Mann.“, 32).

Auch dies kann jedoch als Marketingstrategie interpretiert werden. Da er seine migrantische Herkunft einsetzt, um auf dem Markt aufzufallen, ist gerade das Setzen auf Toleranz sein Erfolgsrezept.

Fazit: Das Verhältnis von Sozial- und Künstlerkritik

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass in allen drei Büchern Momente nachfordistischer Subjektanforderungen zu finden sind. Dies spricht für die These, dass ökonomische Veränderungen auch für kulturelle Sphären wie den Sport und die populäre Literatur ein wichtiger Rahmen sind. Sie drücken sich im Denken aller behandelten Fußballspieler aus, trotz der Unterschiede in deren Nationalität und Image. Zur Vermittlung zwischen Ökonomie und Fußball dürfte beitragen, dass der Fußball selbst längst als kapitalistischer Geschäftszweig organisiert ist.

Auf der anderen Seite bestätigen die Ergebnisse dieser Untersuchung Gramscis These, dass auf kulturellem Gebiet Deutungsmuster vermittelt werden, die zur Hegemonie der herrschenden Kräfte beitragen. Populäre Figuren wie Fußballstars können ökonomische Anforderungen glaubwürdiger vertreten als etwa Manager, die in Teilen der Bevölkerung als geldgierig gelten und denen leichter unterstellt werden kann, aus Eigeninteresse so zu argumentieren. Im Fall von Autobiographien kommt hinzu, dass die Stars als offen und ehrlich auftreten (sie berichten ja freimütig über ihr Privatleben) und herrschende Leitbilder als Produkt authentischen Erlebens erscheinen.

Sind die behandelten Bücher nun auf ihren Beitrag zur Reproduktion des Bestehenden zu reduzieren, oder sind auch Anknüpfungspunkte für eine Überwindung der herrschenden Verhältnisse sichtbar? Um diese Frage zu beantworten, müssen die in der Auswertung des empirischen Materials auftretenden Brüche und Widersprüche weiter untersucht werden. Insbesondere wird bei allen drei behandelten Spielern ein scharfer Widerspruch zwischen Individualismus und Kollektivismus deutlich. Einerseits wird das Bild eines freien, selbstverantwortlichen Individuums ohne Grenzen der Handlungsfähigkeit entworfen; andererseits wird von diesem freien Individuum ständig Anpassung gefordert – so dürfen Regelbrüche auf keinen Fall so weit gehen, dass sie den beruflichen Erfolg gefährden. Bei keinem der Spieler geht es also wirklich um individuelle Selbstbestimmung, sondern um die Unterwerfung unter einen identischen Maßstab, nämlich den Erfolg auf dem Markt und um die Fähigkeit, sich dort gut zu verkaufen. Dieser Rahmen darf nicht in Frage gestellt werden, was echter individueller Selbstbestimmung widerspricht, zu der die Möglichkeit gehören würde, gesellschaftliche Verhältnisse zu verändern: „Dies bedeutet, daß man von subjektiver Freiheit nur soweit reden kann, wie das Individuum nicht nur unter jeweils bestehenden gesellschaftlichen Lebensbedingungen handlungsfähig ist, sondern auch über die Handlungsfähigkeitsbedingungen selbst verfügt, also diese zur Überwindung darin gegebener Handlungseinschränkungen erweitern kann: Nur auf diese Weise ist ja die Handlungsfähigkeit ‚unter‘ Bedingungen nicht durch die Unverfügbarkeit der Bedingungen selbst wieder eingeschränkt, letztlich zurückgenommen.“ (Holzkamp 1985: 354) Schon Leo Kofler weist darauf hin, dass gerade der bürgerliche Individualismus individuelle Freiheit und individuelle Differenzen zerstört, weil das Individuum seine Entfaltung der konkurrenzförmigen Sicherung des materiellen Überlebens unterordnen muss (Kofler 1967: 190). Das bürgerliche Individuum ist zwar frei von persönlichen Herrschaftsverhältnissen, muss jedoch auf sich allein gestellt in der Konkurrenz bestehen und verfügt nicht über die gesellschaftlichen Verhältnisse – was jedoch gerade Bedingung seiner Freiheit wäre. Individuelle Freiheit schlägt immer wieder in Unfreiheit um, so lange die Produktion nicht bewusst von allen geplant wird, sondern den Einzelnen mit der Gewalt von Quasi-Naturgesetzen trifft. Kulturelle Produkte wie die analysierten Autobiografien greifen den unerfüllten Wunsch nach mehr Autonomie auf, machen ihn durch Unterwerfung unter eine kapitalistische Marktlogik jedoch unwirksam. Daher leisten sie einen Beitrag zur Stabilisierung der herrschenden Verhältnisse: sie vermitteln die Illusion, individuelle Freiheit sei von jedem Einzelnen qua subjektivem Entschluss zu realisieren, ohne sich um eine gesellschaftliche Veränderung bemühen zu müssen.

Die französischen Soziologen Luc Boltanski und Ève Chiapello haben sich mit der Vereinnahmung von Freiheitsforderungen durch den zeitgenössischen Kapitalismus auseinandergesetzt (Boltanski/Chiapello 2006). Sie gehen von der Unterscheidung zweier Arten von Kapitalismuskritik aus: Die Sozialkritik richte sich gegen Ausbeutung und Ungleichheit, die Künstlerkritik gegen die Unterdrückung individueller Freiheit (ebd.: 82). Die von der 68er-Bewegung vertretene Künstlerkritik habe der Kapitalismus vereinnahmt, indem er in den Unternehmen selbst hierarchische Kontrollformen abbaue und stärker auf die Autonomie der Beschäftigten setze (541f.). Die Autoren betonen, die Erwartungen an mehr Selbstbestimmung durch diese neuen Arbeitsformen hätten sich nicht erfüllt, sondern neue Zwänge hätten die alten ersetzt (462ff.): So würden bei Gruppenarbeit die Kollegen zur Kontrollinstanz; Angestellte seien direkt den Kundenwünschen ausgesetzt etc. Der Preis für mehr Autonomie sei steigende Unsicherheit; die einzige Belohnung für erhöhte Anstrengungen sei häufig die Tatsache, nicht entlassen zu werden. Boltanski und Chiapello plädieren daher für eine neue Annäherung von Sozial- und Künstlerkritik: Flexibilität müsse reguliert werden, um nicht letzten Endes in Widerspruch zur persönlichen Freiheit zu geraten. Beispielsweise fordern sie das Recht, zwischen verschiedenen Projekten mehr Zeit verstreichen zu lassen (508f.). Hier ist eine Entsprechung zwischen den behandelten Autobiografhien und gegenwärtigen ökonomischen Entwicklungen zu sehen: In beiden Fällen wird die Forderung nach mehr Autonomie marktförmig gewendet und unwirksam gemacht. Daraus folgt, dass der gegenwärtige Kapitalismus Bedürfnisse ansprechen muss, die er letztlich nicht erfüllen kann. Sie müssten daher aufgegriffen und gegen ihn gewendet werden – und zwar, wie bei Boltanski und Chiapello angedeutet, durch eine stärkere Verbindung von Freiheits- mit Gleichheitsforderungen; es müsste verstärkt auf die Notwendigkeit einer bewussten gesellschaftlichen Beherrschung der Ökonomie für die Realisierung von mehr Freiheit hingewiesen werden.

Literatur

Beckham, David/Watt, Tom, 2003: Mein Leben. München: Random House Entertainment.

Boes, Andreas/Trinks, Katrin, 2006: „Theoretisch bin ich frei!“ Interessenhandeln und Mitbestimmung in der IT-Industrie. Berlin: edition sigma.

Boltanski, Luc/Chiapello, Ève, 2006: Der neue Geist des Kapitalismus. Konstanz: UVK.

Bourdieu, Pierre, 1998: Prekarität ist überall. In: Ders.: Gegenfeuer: Wortmeldungen im Dienste des Widerstands gegen die neoliberale Invasion, S.115-123. Konstanz: UVK.

Brändle, Fabian/Koller, Christian, 2002: Goal! Kultur- und Sozialgeschichte des modernen Fussballs. Zürich: Orell Füssli.

Brinkmann, Ulrich/Dörre, Klaus/Röbenack, Silke, 2006: Prekäre Arbeit. Ursachen, Ausmaß, soziale Folgen und subjektive Verarbeitungsformen unsicherer Beschäftigungsverhältnisse. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung. URL: http://library.fes.de/pdf-files/asfo/03514.pdf. Zugriff: 14.7.2008.

Bröckling, Ulrich, 2000: Totale Mobilmachung. Menschenführung im Qualitäts- und Selbstmanagement. In: Ders./Krasmann, Susanne/Lemke, Thomas (Hg.): Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Selbstökonomisierung des Sozialen. Frankfurt/Main: Suhrkamp.

Effenberg, Stefan/Mendelin, Jan, 2003: Ich hab’s allen gezeigt. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe Taschenbuch.

Foucault, Michel, 1978: Wahrheit und Macht. Interview von A. Fontana und P. Pasquino. In: Ders.: Dispositive der Macht. Michel Foucault über Sexualität, Wissen und Wahrheit, S.21-54. Berlin: Merve.

Geißler, Rainer, 2002: Die Sozialstruktur Deutschlands. Die gesellschaftliche Entwicklung vor und nach der Vereinigung. 3., grundlegend überarbeitete Auflage. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.

Gramsci, Antonio, 1987: Gedanken zur Kultur. Frankfurt/Main: Röderberg.

Ders., 1991ff.: Gefängnishefte in 10 Bänden, herausgegeben von Wolfgang Fritz Haug u.a. Berlin: Argument-Verlag.

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Holzkamp, Klaus, 1985: Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/New York: Campus.

Kofler, Leo, 1967: Der asketische Eros. Industriekultur und Ideologie. Wien: Europa.

Opitz, Sven, 2004: Gouvernementalität im Postfordismus. Macht, Wissen und Techniken des Selbst im Feld unternehmerischer Rationalität. Hamburg: Argument-Verlag.

Ders., 2007: Gouvernementalität im Postfordismus. Zur Erkundung unternehmerischer Steuerungsregime der Gegenwart. In: Kaindl, Christina (Hg.): Subjekte im Neoliberalismus, S.93-109. Marburg: BdWi-Verlag.

Pfister, Gertrud, 2002: Wem gehört der Fußball? Wie ein englisches Spiel die Welt eroberte. In: Fanizadeh, Michael/Hödl, Gerald/Manzenreiter, Wolfram (Hrsg.): Global Players – Kultur, Ökonomie und Politik des Fußballs, S.37-57. Wien: Brandes&Apsel/Südwind.

Pongratz, Hans J./Voß, G. Günter, 2003: Arbeitskraftunternehmer. Erwerbsorientierungen in entgrenzten Arbeitsformen. Berlin: edition sigma.

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Rehmann, Jan, 2007: Herrschaft und Subjektion im Neoliberalismus. Die uneingelösten Versprechen des späten Foucault und der Gouvernementalitäts-Studien. In: Kaindl, Christina (Hg.): Subjekte im Neoliberalismus, S.75-93. Marburg: BdWi-Verlag.

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Vinnai, Gerhard, 2006: Fußballsport als Ideologie. Durchgesehene digitale Wiederveröffentlichung mit aktuellem Vorwort 2006. URL: http://psydok.sulb.uni-saarland.de/volltexte/2006/809/pdf/Fussballsport_als_Ideologie.pdf. Zugriff: 14.7.2008.

Voß, G. Günter/Pongratz, Hans J., 1998: Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft? In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 50, Heft 1, 1998, S.131-158.

Zidane, Zinédine/Franck, Dan, 2005: Der mit dem Ball tanzt. München: bombus-verlag.

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[1] Bei diesem Artikel handelt es sich um die Kurzfassung einer Diplomarbeit im Fach Soziologie an der Philipps-Universität Marburg.

[2] Zur empirischen Prüfung dieses Konzepts s. Pongratz/Voß 2003; zur Kritik und der Antwort der Autoren s. dies. 2004.

[3] Zur Kritik des Ansatzes s. Rehmann 2007.

[4] Dazu ausführlich: Brändle/Koller 2002; Pfister 2002.

[5] Ich beschränke ich mich hier auf Deutschland, England und Frankreich.

[6] Effenberg wurde 1968 geboren, s. Effenberg/Mendelin 2003: 11f.

[7] www.intouch.magazin.de/stars/David_Beckham.html. Zugriff: 12.8.2008.

[8] www.fussballportal.de/index.php?kat=59_52. Zugriff: 12.8.2008.

[9] www.amazon.de/mit-dem-Ball-tanzt/dp/3936261334/ref=sr_1_1/303-0611381-1802640?ie=UTF8&s=books&qid=1218547314&sr=1-1. Zugriff: 12.8.2008.

[10] Das Stadion von Manchester United, H.B.