Schon Wochen vor der Wahl zum Europäischen Parlament wurde in den Medien weniger über den möglichen Ausgang als vielmehr über die Beteiligung an ihr spekuliert. Man hoffte, dass es nicht schlimmer als 2004 komme werde. Damals waren es nur 45 Prozent gewesen, die den Weg zu den Urnen fanden. Doch es kam schlimmer. Diesmal machten in den 27 Mitgliedstaaten gar nur 42,9 Prozent der WählerInnen von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Seit 30 Jahren, seitdem das Parlament überhaupt direkt gewählt wird, geht die Beteiligung nun zurück. Zwar lag die Rate in Deutschland mit 43,3 Prozent leicht über der von 2004, doch hier fanden in einigen Bundesländern zugleich Kommunalwahlen statt.
Hinter dem europaweiten Durchschnitt von 42,9 Prozent verbirgt sich eine Reihe von extremen Ausschlägen, sowohl nach oben wie nach unten. So erreichte Belgien wie auch Luxemburg rekordverdächtige 90,4 bzw. 91,0 Prozent. Doch in beiden Ländern gibt es die Wahlpflicht. Ohne sie läge die Beteiligung dort wohl eher auf dem Niveau der Niederlande, und dort waren es nur 36,3 Prozent. Am unteren Ende rangierten Länder, die erst 2004 der EU beitraten: Slowenien, Tschechien, Rumänien, Polen, Litauen und die Slowakei. Hier lag die Beteiligung unter 30 Prozent, in Litauen bei 20,9, in der Slowakei bei gar nur 19,6 Prozent. [1]
Politische Richtungsentscheidungen lassen sich nur wenige aus den Wahlen herauslesen. Deutlich wurde eine weitere Schwächung der Sozialdemokratie. Ihre Parteien verloren in Frankreich, Großbritannien, Portugal, Dänemark, Polen, Spanien, den Niederlanden und in Österreich bzw. stagnierten in Deutschland auf niedrigem Niveau. Gestärkt wurden die Grünen. Rechtspopulisten bzw. Rechtsradikale konnten Erfolge vor allem in Großbritannien, Dänemark, Österreich, Ungarn, Finnland, den Niederlanden, der Slowakei und in Griechenland verbuchen.
Die Linke stagnierte. Zugewinne gab es für sie in Portugal, wo der Bloco Esquerda zwei Mandate hinzugewann und jetzt mit drei Abgeordneten im Parlament vertreten ist. Leichte Zugewinne erreichte auch die Linke Frankreichs. Hier war die Linksfront, gebildet aus der Kommunistischen Partei und der von den Sozialisten abgespaltenen Parti de Gauche mit 6,05 Prozent erfolgreich. Zusammen mit einem Abgeordneten aus den Überseegebieten wird die französische Delegation nun von fünf Abgeordneten gebildet. Leicht verbessern, von sieben auf acht Mandaten, konnte sich die deutsche Partei Die Linke. Diesen leichten Zugewinnen stehen Verluste in einigen anderen Mitgliedsländern gegenüber. So werden dem Europäischen Parlament zum ersten Mal in seiner Geschichte keine kommunistischen Abgeordneten aus Italien mehr angehören. Weder das kommunistische Bündnis, gebildet aus Rifondazione Comunista (RC) und dem Partito dei Comunisti Italiani (PdCI), noch der Zusammenschluss Sinistra e Liberta[2] konnten die 4 Prozent hohe Sperrklausel überwinden. Die vereinten Kommunisten erreichten 3,38 und Sinistra e Liberta nur 3,12 Prozent der Stimmen. Rückschläge gab es auch im Norden Europas. Die schwedische Linkspartei fiel von zwei auf einen Abgeordneten und das finnische Linksbündnis ist gar nicht mehr im Europaparlament vertreten.
Berücksichtigt man den Umstand, dass die Gesamtzahl der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aufgrund vertraglicher Bestimmungen der EU von bislang 785 auf nunmehr 736 gefallen ist, so ist die linke Fraktion GUE/NGL mit jetzt 35 statt bisher 41 Mandaten in etwa stabil geblieben. Für eine pessimistische Schlussfolgerung, wie solcher Art wonach „die aus der Arbeiterbewegung hervorgegangenen Formationen der europäischen Linken, die Sozialdemokraten, Sozialisten, und auch Linkspopulisten also, dramatisch verlieren“,[3] gibt es daher keinen Anlass. Genaue Analysen der jeweiligen Ergebnisse in den Mitgliedsländern zeigen vielmehr, dass es den Linken oft nicht gelang, das vorhandene Wählerpotenzial auszuschöpfen. In Frankreich etwa erreichte die trotzkistische Nouveau parti anticapitaliste (NPA) zwar beachtliche 4,88 Prozent der Stimmen, errang aber aufgrund der Eigenheiten des französischen Wahlsystems kein Mandat. Wäre die französische Linke hingegen in einem großen Wahlbündnis von Kommunisten, Linkssozialisten und Trotzkisten angetreten, so hätte es für gut 12 Mandate gereicht. Für Italien liegt es auf der Hand, dass die Zerstrittenheit der dortigen radikalen Linken für ihre Niederlage entscheidend war. Es war eben „eine Spaltung zuviel“, wie es ein scheidender italienischer Europaabgeordneter so treffend formulierte. Eine Gesamtmandatszahl von gut 45 Abgeordneten wäre also für die europäische Linke bei diesen Europawahlen durchaus erreichbar gewesen.
Kein Interesse an Europa?
Die geringe Wahlbeteiligung machte der radikalen Linken mehr zu schaffen als den bürgerlichen Parteien, etwa Grünen oder Liberalen. Dabei war doch so viel versucht worden, um insbesondere Jugendliche zur Stimmabgabe zu motivieren. Der deutsche Verein „Politikfabrik“ erhielt etwa 80.000 Euro von der EU, um unter dem bemerkenswerten Slogan „Brave Gangster gehen zur Europawahl“ die „größte Jungwählerkampagne zur Europawahl auf die Beine zu stellen – und dabei cool sein.“[4] Auch die Wirtschaft griff dafür ins Portemonnaie. Die Sponsorenliste der „Politikfabrik“ enthielt so bekannte Namen wie die Robert Bosch und die Heinz Schwarzkopf Stiftung. Selbst die Deutsche Bahn trug ihr Scherflein bei. Genutzt hat es am Ende alles nichts, der Anteil der Jungwähler blieb auch in Deutschland dramatisch niedrig.
Das Trommeln der Medien und der Politiker für eine hohe Wahlbeteiligung und das finanzielle Engagement des Kapitals zeigen die Furcht der herrschenden europäischen Eliten, dass ihnen die demokratische Legitimation für die EU abhanden kommt. Wie soll schließlich der Integrationsprozess weiter gerechtfertigt werden, wenn sich immer weniger Menschen für das Europäische Parlament interessieren, also für jene Institution, die doch gewährleisten soll, dass die Demokratie dabei nicht auf der Strecke bleibt? Das Parlament könnte so am Ende zur bloßen Garnierung einer als undemokratisch erkannten EU werden.
Die Motive der Bürgerinnen und Bürger bei ihrer Stimmabgabe waren so unterschiedlich, wie es die 27 Mitgliedstaaten nun einmal sind. In Großbritannien wurden die Wahlen von den nicht enden wollenden Skandalen der politischen Kaste bestimmt. In Frankreich gerieten sie zu einer Abrechnung über eine zerrissene Sozialistische Partei. In Deutschland, Bulgarien und Rumänien waren sie nur Vorspiel zu anstehenden Parlamentswahlen. In Zypern stand die Haltung zur Wiedervereinigung der Insel im Mittelpunkt. In Tschechien wurden sie schließlich vom Scheitern der Regierung Mirek Topolánek überschattet. Für jedes Mitgliedsland ließe sich so eine eigene politische Agenda aufstellen, die im Juni entscheidend war.
Besteht also kein Interesse an Europa? Das ist zu bezweifeln, hat sich doch gezeigt, dass europäische Themen durchaus kontrovers unter Beteiligung einer breiten Öffentlichkeit diskutiert und entschieden werden können. Bedingung dafür ist aber, dass tatsächlich etwas zur Entscheidung ansteht. So beteiligten sich im Mai 2005 nicht weniger als 69,4 Prozent aller Franzosen am Referendum über den Verfassungsvertrag. Auch bei dem Nein der Niederländer wenig später lag die Beteiligung mit 63 Prozent deutlich höher als bei den Europawahlen ein Jahr zuvor. Der Zusammenhang zwischen einer hohen Beteiligung an den Referenden und der Ablehnung des Verfassungsvertrags ist offensichtlich. In beiden Ländern gelang es, Europa reserviert Gegenüberstehende, vor allem aus den unteren sozialen Schichten, zu mobilisieren. In Spanien, wo im Februar 2005 ebenfalls ein Referendum über den Verfassungsvertrag stattfand, beteiligten sich nur 42 Prozent daran. Und dort wurde er denn auch angenommen.[5]
Da in Deutschland die großen politischen Lager unter Einschluss der Grünen einen weitgehend identischen europäischen Grundkonsens teilen, lag es nahe, bei den Europawahlen auf nationale Streitfragen auszuweichen. „Es fehlt das europapolitische Differenzierungspotential in der deutschen Parteienlandschaft (sieht man einmal von der Partei Die Linke ab, welche die EU von stramm linker Warte aus kritisiert). Weil die großen Parteien und die etablierten kleineren Parteien die europäische Einigung, grosso modo, befürworten, in der Regel ‚Europa’ gegenüber loyal sind und Vertragsreformen immer gutgeheißen haben, nehmen die Wähler zwangsläufig andere Kriterien bei ihrer Wahlentscheidung zu Hilfe als genuin europäische. Was auch sonst?“[6] Europawahlen werden, zumal in einem Land, wo die europäische Einigung „zur deutschen Staatsräson“[7] erklärt worden ist, zu bloßen Bekenntnisritualen gegenüber Europa.
Zur Wahl gehen vor allem jene, die mit dem eingeschlagenen Weg der europäischen Integration weitgehend einverstanden sind. Sie sind es ja, die von diesem Europa profitieren, da es ihnen neue Chancen eröffnet. In einer Analyse der Frankfurter Allgemeinen Zeitung heißt es: „Die Europawahl ist eine Wahl der Bessergebildeten. (…) Weil Europapolitik vielen weniger Gebildeten undurchsichtig erscheine, profitierten das bürgerliche Lager und die Grünen. Viele Arbeiter gingen gar nicht zur Wahl.“[8] Diese Analyse ist aber nur halb richtig. Zu den Verlierern der kapitalistischen Wirtschaftsordnung gehören überdurchschnittlich viele Gutausgebildete. Entscheidend ist daher nicht der Gegensatz von gebildet bzw. ungebildet, sondern von oben und unten. Und die, die unten sind, zeigen gegenüber Europa wenig Interesse, haben sie von ihm doch nur weitere Deregulierungen, schärfere Konkurrenz und wachsende soziale Unsicherheit zu erwarten. Dies erklärt, warum es Der Linken am 7. Juni 2009 nicht annähernd gelang, ihr Wählerpotenzial auszuschöpfen. Sie verlor gegenüber der Bundestagswahl 2005 knapp 2 Millionen Stimmen, etwa 48,4 Prozent, allein an die Nichtwähler. Auch der SPD fehlten die Stimmen derer, die unter die Räder der europäischen Integration geraten sind. So ist die Haltung zu Europa auch eine Klassenfrage.[9]
Ein weitgehend machtloses Parlament
Es hat sich herumgesprochen, dass das Europäische Parlament kein richtiges Parlament ist. Es fehlen ihm die entscheidenden Machtmittel, die einem echten Parlament eigen sind. Als Legislative hat es keinen Zugriff auf die Kommission als die Quasiexekutive. So kann es den Kommissionspräsidenten nicht wählen. Der wird vielmehr vom Rat ernannt und anschließend vom Parlament bestätigt.[10] Daran wird sich auch mit dem Lissabonner Vertrag nichts ändern. Auch dann wird der Rat dem Parlament nur einen Kandidaten vorschlagen. Neu ist lediglich die unverbindliche Formulierung, dass der Rat „dabei das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament berücksichtigt“.[11] Auch darf das Parlament zukünftig den Ratspräsidenten „wählen“ statt „bestätigen“, doch eine Auswahl nur unter einem Bewerber ist eben keine Wahl. Das Parlament hat daher nicht die Möglichkeit, die Spitze der Kommission zu bestimmen und seinem politischen Willen dort Geltung zu verschaffen. Die Strukturen der Gewaltenteilung finden auf europäischer Ebene keine Anwendung.
Das Europäische Parlament besitzt auch kein Initiativrecht. Es kann von sich aus keine Gesetzeswerke auf den Weg bringen, ja es kann nicht einmal die von ihm mit beschlossenen Richtlinien und Verordnungen überarbeiten oder aufheben, wenn es das für nötig hält. Das Parlament kann lediglich reagieren, indem es die ihm von der Kommission zugewiesenen Vorlagen unter genauer Beachtung von Fristen bearbeitet. Selbst die keineswegs EU-kritische Frankfurter Rundschau findet dies bemerkenswert: „Ende 2008 legten Parlamentarier eine Liste mit 57 Punkten vor. So oft hatte das Hohe Haus die EU-Kommission gebeten, Gesetze auf den Weg zu bringen. In knapp 90 Prozent der Fälle hatte die Brüsseler Behörde nichts unternommen. Da sich die meisten Vorschläge auf die Regulierung der Finanzmärkte bezogen, waren die Abgeordneten besonders frustriert.“[12] Nach der Staatsrechtlerin Ingeborg Maus befindet sich das Parlament „in der Rolle eines Bittstellers, wenn es darum geht, die Kommission zu einer Gesetzesinitiative zu veranlassen. Um eine Formulierung Montesquieus abzuwandeln: Es ist hier das Parlament, das gleichsam zu einem ‚Nichts’ wird.“[13]
Das Parlament beschränkt sich meist darauf, das Eine oder Andere an den Kommissionsvorlagen zu streichen bzw. zu ergänzen. Gelegentlich gelingt es ihm, etwas aufzuhalten, so geschehen bei der Abwendung der vollständigen Liberalisierung des Öffentlichen Nahverkehrs. Die Liste der vom Parlament zurückgewiesenen Gesetzesvorhaben der Kommission ist denn auch kurz: „Zweimal in fünf Jahren ließen die Abgeordneten ihre Muskeln spielen und verhinderten Gesetze, die ihnen nicht passten. Anfang 2006 schmetterten sie den Vorschlag ab, die Dienstleistungen in den europäischen Häfen zu liberalisieren. Ein halbes Jahr zuvor hatten sie Regeln für die Patentierung von Computersoftware abgelehnt.“[14] Hinzugefügt werden kann hier die kürzlich erfolgte Verweigerung des Parlaments, bei einer rückwärtsgewandten Reform der Arbeitszeitrichtlinie Hilfestellung zu geben.
Lässt sich das Europäische Parlament politisieren?
Wahlen zum Europäischen Parlament bieten immer wieder Anlass, die unterschiedlichsten Vorschläge für seine Aufwertung zu unterbreiten. Verlangt wird meist eine personelle Politisierung des Europawahlkampfes. Die europäischen Parteien sollten dafür mit eigenen Spitzenkandidaten in die Auseinandersetzung gehen, um den politischen Richtungen Gesichter zu geben. Wolfgang Schäuble schlägt sogar vor, dass „die Europäer einen EU-Präsidenten nach dem Vorbild des amerikanischen Staatschefs direkt wählen.“[15] Andere fordern, zunächst mit kleineren Schritten zu beginnen. Nach Ansicht des britischen Politologen Simon Hix sollte die jeweils stärkste Fraktion im Parlament dadurch aufgewertet werden, dass sie etwa bei Ausschussbesetzungen bevorzugt wird. Auch sollte das Amt des Parlamentspräsidenten zukünftig mit Mehrheit für fünf Jahre gewählt und nicht, wie gegenwärtig, in Absprache zwischen Konservativen und Sozialdemokraten für jeweils zweieinhalb Jahre untereinander vergeben werden.[16]
All diese Vorschläge zielen auf eine Politisierung des Parlaments, indem dort die ewige große Koalition zwischen Konservativen und Sozialdemokraten beendet oder zumindest eingeschränkt wird. Sie alle berücksichtigen aber nicht, dass das Parlament zur Ausschöpfung seiner gewachsenen Mitentscheidungsrechte gerade auf die Mitwirkung möglichst vieler Mitglieder und Fraktionen angewiesen ist. Will es einmal wirklich Kommission oder Rat widersprechen, so reicht dazu ein Lager nicht aus. Die dafür erforderlichen Mehrheiten sind nur erreichbar, wenn es eine Verständigung unter Konservativen und Sozialdemokraten und möglichst auch mit den Liberalen und den Grünen gibt. Der Zwang zur großen Koalition ist demnach den Mechanismen des Mitentscheidungsverfahrens geschuldet, und die sind in den europäischen Verträgen verankert.
Ändern lässt sich auch nicht, dass das Europäische Parlament eher eine direkt gewählte, kontingentierte Staatenkammer als ein wirkliches Parlament ist. Um die sehr großen Unterschiede bei den Bevölkerungszahlen der Mitgliedsländer auch nur halbwegs auszutarieren, sind die großen Staaten unter- und die kleinen überrepräsentiert. So verfügt ein Däne, Finne oder Slowake über das Doppelte des Stimmengewichts eines Deutschen, eine lettische oder slowenische Stimme wiegt sogar das Dreifache. Und eine in Malta oder in Luxemburg abgegebene Stimme hat gar zehnmal so wie Gewicht wie eine aus Frankreich, Großbritannien oder Deutschland. Dem Europäischen Parlament fehlt es demnach an einer entscheidenden Voraussetzung: Die Gleichheit der Stimmen.
Diese, dem Europäischen Parlament gesetzten Grenzen, hat jetzt das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Lissabon-Vertrag vom 30. Juni 2009 zum Anlass genommen, seine Haltung zum Parlament zu korrigieren. In seinem Maastricht-Urteil von 1993 hatte es noch die Hoffnung geäußert, dass das Europäische Parlament einen wesentlichen Beitrag zur Demokratisierung der EU leisten könne. Für „entscheidend“ hielt das Gericht damals, „dass die demokratischen Grundlagen der Union Schritt haltend mit der Integration ausgebaut werden (…)“[17] Heute, nach Jahren weiterer zügiger europäischer Integration, stellt das Gericht nüchtern fest: „Die Europäische Union erreicht beim gegenwärtigen Integrationsstand auch bei Inkrafttreten des Vertrags (von Lissabon, A.W.) noch keine Ausgestaltung, die dem Legitimationsniveau einer staatlich verfassten Demokratie entspricht.“[18]
Im Europäischen Parlament sehen die Bundesverfassungsrichter nunmehr „kein Repräsentationsorgan eines souveränen europäischen Volkes.“[19] Es „bleibt vor diesem Hintergrund in der Sache wegen der mitgliedstaatlichen Kontingentierung der Sitze eine Vertretung der Völker der Mitgliedstaaten.“[20]
Dreißig Jahre nach den ersten Direktwahlen steht das Europäische Parlament an einem Wendepunkt seiner Geschichte. Bisher gehegte Hoffnungen, dass es allmählich zu dem demokratischen Legitimationsorgan für die europäische Integration wird, sind wohl endgültig aufzugeben.
[1] Vgl. Swing low, swing right in: The Economist, June 13th – 19th 2009, p. 29 .
[2] Hierbei handelte es sich um ein Bündnis, bestehend aus einer Abspaltung von Rifondazione Comunista, dem Rifondazione per la Sinistra um Fausto Bertinnotti und Nichi Vendola, den Grünen, einer linken Abspaltung der Demokratischen Partei sowie einer Gruppe aus der PdCI. Nach der Niederlage bei den Europawahlen zerfiel dieses Bündnis rasch. Vor allem die Grünen zeigten kein Interesse an seiner Fortsetzung.
[3] Thomas Falkner, Gesellschaftliche Umbrüche, DIE LINKE und Zukunftsfragen der Linken in Deutschland, in: Berliner Republik 4/2009. Falkner wirft dabei Sozialdemokraten und links von ihnen stehende Sozialisten in einen Topf. Dabei verschwindet die Tatsache, dass sowohl in Frankreich als auch in Deutschland die Verluste der jeweiligen sozialdemokratischen Parteien wenigstens zu einem Teil den links von ihnen stehenden Parteien zugute kamen.
[4] Vgl.: Brave Gangster gehen zur Europawahl, in: FAZ vom 03.06.09 und Kick-off der Langeweile, Wahlgangstern und Weltherrschaft: Wie die EU mal wieder eine erschreckend gezwungene Kampagne unterstützt, um junge Menschen für die Europawahl zu begeistern, in Süddeutsche Zeitung vom 28.04.09.
[5] In Luxemburg wurde im Juni 2005 zwar der Verfassungsvertrag bei einer hohen Wahlbeteiligung angenommen. Doch dort herrscht Wahlpflicht. Bemerkenswert war, dass auch hier mehr als 40 Prozent gegen den Vertrag stimmten, obwohl ihn keine einzige Partei im Nationalparlament abgelehnt hatte.
Vgl. dazu Andreas Wehr, Das Publikum verlässt den Saal, Nach dem Verfassungsvertrag: Die EU in der Krise, Köln 2006, S. 115 ff.
[6] Europäische Paradoxien, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28. Mai 2009.
[7] Europa Räson, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. Mai 2005.
[8] Wahl der Bessergebildeten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4. Juni 2009.
[9] Vgl. zur klassenmäßigen Bedeutung der Wahlen zum Europäischen Parlament: Andreas Wehr, Die Linke profitiert nicht, in: junge Welt vom 9. Juni 2009.
[10] Artikel 214 Abs. 2 des EG-Vertrags regelt: Der Rat, der in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs tagt, benennt mit qualifizierter Mehrheit die Persönlichkeit, die er zum Präsidenten der Kommission zu ernennen beabsichtigt; diese Benennung bedarf der Zustimmung des Europäischen Parlaments.
[11] Vgl. Art. 17 Abs. 7 des Vertrags über die Europäische Union (EUV).
[12] Eintausendfünfhundert Gesetze, vieles beschlossen, manches versäumt - die Bilanz einer Legislaturperiode, in: Frankfurter Rundschau vom 3. Juni 2009.
[13] Ingeborg Maus, Demokratie und Justiz in nationalstaatlicher und europäischer Perspektive - Zur Verteidigung der Verfassungsprinzipien des ‚alten’ Europa (III), in: Blätter für deutsche und internationale Politik 8/2005, S. 977.
[14] Eintausendfünfhundert Gesetze, a. a. O., .
[15] Einparteiensystem, in: Financial Times Deutschland vom 3. Juni 2009
[16] Interview mit Simon Hix in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. Juni 2009
[17] BVerfGE 89, S.155.
[18] BVerfG, 2 BvE 2/08, Rdnr.:276.
[19] BVerfG, 2 BvE 2/08, Rdnr.:280.
[20] BVerfG, 2 BvE 2/08, Rdnr.:284.