An einem Mittwochabend vor zwei Jahren in Vechta – „Arbeit und Leben“ richtet eine Bildungsveranstaltung zum Thema „Prekäre Beschäftigung in der Region“ aus. Vechta ist eine kleine Stadt, die im ländlichen Nordwesten Niedersachsens gelegen ist. Gekommen sind ältere Beschäftigte, meist mit Erfahrungen mit Betriebsratspolitik und mit einem langen Erwerbsleben hinter sich. Viele von ihnen sind Facharbeiter. Zwar interessiert sie, was der Referent an tabellarisch detailliert aufbereiteten arbeitsmarktstatistischen Neuigkeiten zu berichten weiß; noch größer aber ist ihr Bedürfnis, selbst zu sprechen. Und sie sprechen. Über die Veränderungen in ihren Betrieben, in denen es irgendwie eisiger geworden ist, in denen das Miteinander zwischen Beschäftigten und das Verhältnis zur Betriebsleitung sich verschlechtert haben: In der Personal- und Lohnpolitik gilt eine härtere Gangart. Über die Zukunftschancen ihrer Kinder wird geredet – darüber, was sie erwarten wird. Eltern und Großeltern machen sich Sorgen, das ist auch an diesem Abend nicht anders. „Wenn man heute nicht mindestens einen Realschulabschluss hat, dann wird’s finster“, meint einer. Es geht vieles durcheinander im Gespräch und die Arbeitsmarktstatistik gerät dabei in Vergessenheit. Vieles wird teurer und 10 Euro für den Arztbesuch sind eine Unverschämtheit. Wut ist spürbar. Vor allem darüber, dass nicht mehr gilt, was im eigenen Leben ein wenig Sicherheit gab und was doch in der Vergangenheit gut funktioniert hat. Was das genau ist, bleibt eher unbestimmt – umso greifbarer ist aber der Unmut. „Das, was Du da prekär nennst, das machen die bei uns im Laden hier fast nur noch“ meint eine Kollegin aus dem Einzelhandel. Hier diskutiert sicherlich nicht die (interessen-)politisch bewusste Speerspitze der Lohnabhängigen: Vechta gehört im Nordwesten zu den Hochburgen der CDU, hier fahren die Christdemokraten satte Mehrheiten ein. Und dennoch: Es zeigen sich Risse im sozialpartnerschaftlichen Kitt. Zu Prekarisierung haben alle im Raum, wenn das Wort selbst auch eher Befremden auslöst, einen Bezug. Spurlos gehen die vielfältigen Veränderungen, die im Hin und Her angerissen wurden, nicht an ihnen vorüber.
Prekarisierung und (regionale) Arbeitsmarktentwicklung?
Dieses Schlaglicht mag verdeutlichen, was die Prekarisierungsforschung[1] (vgl. Castel/Dörre: 2009; Vogel: 2009) seit längerer Zeit behauptet: Die Verunsicherung von Lebens- und Erwerbsverhältnissen ist nichts, was sich auf eine eindeutig bestimmbare – vielleicht sogar abgehängte – Bevölkerungsgruppe beschränkt. Sie strahlt aus und kollidiert mit (Lebens-) Erfahrungen und Ansprüchen, die sich im kollektiven Gedächtnis niederschlagen. Und diese Entwicklungen sind allgegenwärtig. Marktgetriebene Disziplinierung und Deklassierungsängste finden wir nicht nur in den boomenden Städten mit creative industries und Laptop-Geistesarbeitern, sondern auch in den weniger aufregenden peripheren ländlichen Räumen der Republik. Im Folgenden werde ich dies anhand einer regionalen Arbeitsmarktstudie verdeutlichen, die im Auftrag des DGB Oldenburg/Wilhelmshaven entstanden ist (vgl. Goes: 2006)[2]. Sie bezieht sich auf Landkreise und kreisfreie Städte, die in dessen Organisationsbereich liegen[3]. Ich werde darstellen, dass die Prekarisierung auch in dieser „lokalen Arbeitsgesellschaft“ durchaus weit, aber in erheblichem Maße zugleich ungleich vorangeschritten ist. Prekarität muss empfunden werden – atypische sind deshalb nicht mit prekären Erwerbsverhältnissen gleichzusetzen. Generell ist sie daher statistisch kaum abbildbar. Ich werde im Weiteren zwischen „Erwerbsarbeitsverhältnissen mit prekärem Potenzial“ (EpP) und „prekären Erwerbslagen und Lebensverhältnissen“ unterscheiden. [4]
Wissenschaftlich können lokale Studien der Arbeitsgesellschaft einen Beitrag zur Klärung der Frage leisten, wie groß das Ausmaß prekärer Beschäftigung tatsächlich ist bzw. wie weit Prekarisierungsprozesse reichen. Während einige AutorInnen eher davon ausgehen, dass Prekarität normaler wird (vgl. Hauer: 2007: 33f.), streuen Arbeitsmarktsoziologen, die unternehmerischen Beschäftigungspolitik untersuchen, eher Zweifel: Sie weisen empirisch stichhaltig darauf hin, dass „hire-and-fire“ Personalpolitiken in Deutschland nicht die Regel sind. Weitaus häufiger werden Strategien der ökonomischen Anpassung gewählt, die auf Arbeitszeitflexibilisierung o.ä. basieren. Zwar reduzieren derartige Diagnosen die Prekarisierungsproblematik[5] auf Beschäftigungsinstabilität; sie irritieren dennoch zumindest Zeitdiagnosen, die gleichsam so genannte amerikanische Arbeitsmarktzustände in Deutschland reifen sehen (vgl. Keller/Seifert: 2006; Köhler/Struck et al.: 2004). Arbeitsmarktforscher, die sich mit dem Wandel der Erwerbsstrukturen beschäftigen, heben hingegen für die Bundesebene zumindest die Atypisierung der Lohnarbeitsverhältnisse hervor (vgl. Oschmiansky/Oschmiansky: 2003: 26-28; Alda: 2005: 248-249). Der Anteil des sog. Normalarbeitsverhältnisses (NV) an der Gesamtbeschäftigung sinkt, die unbefristeten Vollzeiterwerbsverhältnisse gehen zurück, die Erwerbsstrukturen werden heterogener (vgl. Hoffmann/Walwei: 2000; Schreyer: 2000). Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung allgemein ist auf den ersten Blick relativ stabil, weil immer mehr Lohnabhängige sozialversicherungspflichtiger Teilzeitarbeit nachgehen. Eine herausragende Rolle spielen hierbei die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse. Gerade zurückgehende Erwerbslosenzahlen (wie zwischen 2006 und 2008) sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein großer Teil der aus der Statistik Verschwundenen nun geringfügig beschäftigt arbeiten – zumindest für die jüngere Vergangenheit gilt dieser Trend (vgl. Bellmann/Bielenski et al.: 2006: 17). Es gibt also sehr widersprüchliche Einschätzungen dazu, wie weit verbreitet prekäre Beschäftigung ist.
In diesem Artikel will ich nicht versuchen diese Widersprüche zu klären. Allerdings möchte ich am Beispiel der DGB Region Oldenburg/Wilhelmshaven illustrieren, wie groß der Anteil der Erwerbsverhältnisse mit prekärem Potenzial an der Gesamtbeschäftigung regional bereits sein kann und wie stark diese sich zum Teil, da Arbeitsmärkte sich aufgrund subnationaler Standortkonkurrenz und regionaler Arbeitsteilung ungleich entwickeln, räumlich verdichten. Das ist politisch wichtig, weil ich ungleiche Entwicklungen aufzeige, die sowohl Herausforderungen als auch Chancen sozialistischer und gewerkschaftlicher Kommunal-, Struktur- und Arbeitsmarktpolitik sind. Derartige Verdichtungen zu vernachlässigen ist insbesondere dann fahrlässig, wenn Interesse an dem möglichem Konfliktpotenzial von Prekarisierungsprozessen besteht. Schließlich ist es der lokale Sozialraum, in dem gehandelt, (kollektive) Geschichte gelebt und soziale Umbrüche vor dem Hintergrund regionaler Klassengeschichte gedeutet und verarbeitet wird (vgl. Beaud/Pialoux: 2004). Auf diese mögliche politische Bedeutung werde ich weiter unten eingehen.
Die Entwicklung der lokalen Arbeitsgesellschaft
Auch die untersuchte DGB-Region ist, um das von Castel und Dörre entworfenen Bild zu nutzen, in die Zonen der Integration, der Verwundbarkeit und der Entkopplung geteilt. Empirisch unterscheidet sich dies in den Landkreisen und kreisfreien Städte der Region dabei zum Teil erheblich. Zwar wachsen anteilig an der Gesamtbeschäftigung[6] überall die „Erwerbsverhältnisse mit prekärem Potenzial“. Dieser allgemeine Prekarisierungsprozess kann jedoch eingebettet sein in eine arbeitsmarktstatistisch belegbare expansive Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung (Vechta und Cloppenburg) oder sich als Prozess einer starken Atypisierung der Beschäftigung inklusive hoher Erwerbslosigkeit (Wilhelmshaven und Delmenhorst) darstellen. Daneben lassen sich auch relativ gleichmäßig-moderate (Wesermarsch) Beschäftigungsentwicklungen beobachten.
Diese lokalen Differenzen zunächst ungeachtet gehen auch Experten der hier untersuchten „lokalen Arbeitsgesellschaft“ davon aus, dass der Anteil der Erwerbsverhältnisse mit prekärem Potenzial in der Region gewachsen ist. Mehrheitlich nehmen interviewte Gewerkschaftssekretäre an – die IG BCE ist hier die große Ausnahme –, dass nicht-prekäre Vollzeitarbeitsplätze durch verschiedene Formen prekärer Erwerbsverhältnisse ersetzt werden. Hinzu kommt noch das Problem informeller Erwerbsarbeit, insbesondere im Organisationsbereich der IG BAU (Reinigungsdienstleistungen, Bauarbeit) und NGG (Schlachtindustrie). Über die Ursachen dieses Prekarisierungsprozesses lässt sich spekulieren. Während die für den Bereich Groß- und Einzelhandel zuständige Gewerkschaftssekretärin von einer systematischen prekarisierenden Personalpolitik ausgeht, scheinen „Erwerbsverhältnisse mit prekärem Potenzial“ im Organisationsbereich der IG BCE eher sporadisch im Rahmen von Projektarbeit eingesetzt zu werden. Während „prekäre“ Beschäftigung in Sektoren wie der Erwachsenenbildung eine lange Tradition hat und weitgehend normal ist, werden in den metallverarbeitenden Sektoren Leiharbeiter zwar mit großer Regelmäßigkeit beschäftigte, sie sind aber keineswegs in der Mehrheit. Diese widersprüchlichen Einschätzungen deuten an, dass in der Region der allgemeine Prekarisierungsprozess in den verschiedenen Wirtschaftsbranchen in ebenso unterschiedlichen Gewändern erscheint. In den Augen der interviewten Gewerkschaftssekretäre scheinen die regionalen Unternehmen bzw. öffentlichen Arbeitgeber zu versuchen, die Bindung der Lohnabhängigen an die Betriebe zu lockern. Angestrebt werden möglichst flexible Personalpolitiken. Wie eingangs angedeutet, hängt das regionale Ausmaß von Prekarisierungsprozessen erheblich davon ab, welche Wirtschaftsstruktur sich aufgrund der räumlichen Arbeitsteilung durchsetzt.
Zahlen, Zahlen, Zahlen…[7]
In der gesamten DGB-Region Oldenburg/Wilhelmshaven ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zwischen 2000 und 2007 um 0,47% gewachsen. Wie auf der Bundesebene geht dies allerdings einher mit der Zunahme atypischer Beschäftigungsformen – über den Anteil der befristeten Beschäftigungsverhältnisse lässt sich auf der Basis der vorliegenden Arbeitsmarktdaten wenig sagen. Laut Expertenmeinung dürften sich allerdings insbesondere für ArbeitsmarkteinsteigerInnen Befristungen und Praktika einheitlich normalisiert haben.[8]
Beschäftigungsverhältnisse im Vergleich in der Region Oldenburg/Wilhelmshaven - ohne Beamte und Richter (prozentual) (Tabelle siehe PDF-Dokument zum Download)
Die Erwerbslosenquoten haben sich in den verschiedenen Landreisen und kreisfreien Städten sehr unterschiedlich entwickelt. Der differenzierte Blick zeigt, dass der Arbeitsmarkt selbst in der lokalen Arbeitsgesellschaft sehr ungleich entwickelt ist. Während die Erwerbslosenquote in Wilhelmshaven auch 2008 bei noch bei rund 12% – zu Höchstzeiten (2005) waren es 20 – liegt, ist sie in Vechta auf knapp 4 gesunken. Über die Qualität – ich denke insbesondere an Gesundheitsschutz, Monotonie und auch rechtlich verbriefte, in der Realität aber immer wieder durchzusetzende Mitbestimmungsrechte – der Beschäftigung und das Lohnniveau in den Kreisen mit niedriger Erwerbslosenquote sagen solche Zahlen selbstredend wenig aus.
Ähnlich differenziert entwickeln sich auch die „Erwerbsverhältnisse mit prekärem Potenzial“.[9] Während die Zahl der geringfügig Beschäftigten in Delmenhorst beispielsweise nur um 16% anwuchs, nimmt sich die Entwicklung in Vechta prozentual fast dramatisch aus: Hier wuchs sie um 85, in Cloppenburg um 83%. Die Anteile der hier interessierenden Erwerbsverhältnisse an der Gesamtheit der Erwerbspersonen sind in den Kreisen und Städten entsprechend unterschiedlich. Im Folgenden werde ich dies anhand der Städte Wilhelmshaven und Delmenhorst sowie dem Landkreis Vechta veranschaulichen.
Während die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Delmenhorst von 2000 bis 2007 beispielsweise um 7,05% und die Teilzeitarbeit „nur“ um moderate 0,66% sank, wuchs die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse im Landkreis Vechta im selben Zeitraum um fast 12%, die Zahl der Teilzeiterwerbsverhältnisse sogar um 30,29%. In Wilhelmshaven gab es 2007 knapp 8,3% weniger Sozialversicherte, dafür stieg die Zahl der Teilzeitverhältnisse um verhaltene 10%, die Zahl der 400-Euro-Jobs „immerhin“ um 54%. Derartige Kontraste sind freilich nicht ungewöhnlich. In Vechta kletterte die Zahl der Leiharbeitsverhältnisse[10] zwischen 2000 und 2007 in absoluten Zahlen von 79 auf 1024, in Wilhelmshaven von 77 auf 680 und in Delmenhorst von 138 auf 354.
Die folgenden Grafiken zeigen, wie sich die Anteile der verschiedenen Erwerbsverhältnisse an der Gesamtbeschäftigung verändert haben.[11] In Wilhelmshaven und Delmenhorst arbeitet nur noch knapp die Hälfte der Beschäftigten in Vollzeiterwerbsverhältnissen – bei je rund einem Drittel geringfügiger Erwerbsverhältnisse. Wilhelmshaven gilt als ein Schwerpunktort des niedersächsischen Sozial- und Gesundheitswesens (vgl. Jung/Skubowius: 2004: 56) – eine mögliche Erklärung der in Abbildung 1 dargestellten Beschäftigungsstruktur, da in dieser Branche atypische Beschäftigung häufig ist. Im Landkreis Vechta dominiert dagegen noch die Vollzeiterwerbsarbeit. Aber auch hier wächst in erheblichem Maße die atypische Erwerbsarbeit. Darüber kann auch die „günstige Erwerbslosenquote“ nicht hinwegtäuschen, auf die oben hingewiesen wurde. Eines springt aber ins Auge: Während diese Anteilsverschiebung in Vechta von relativ günstigen arbeitsmarktstatistischen Daten gerahmt wird, machen Wilhelmshaven und Delmenhorst eher den Eindruck „arbeitsmarktpolitisch leidender Städte“. In Delmenhorst verdichtet sich die gesamte Entwicklung mit hoher Erwerbslosigkeit, sinkender sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und selbst nur moderat anwachsender geringfügiger Beschäftigung (plus 16% von 2000 bis 2007). „Immerhin“: Die Zahl der 1-Euo-Jobs wuchs von 2006 = 405 auf 2007 = 515. Das ist in Delmenhorst, so traurig es ist, das prozentual am stärksten gewachsene Beschäftigungsverhältnis.[12]
Abbildung 1
Abbildung 2
Abbildung 3
Die tabellarisch dargestellten Erwerbslosenquoten und die Daten für den Landkreis Vechta zeigen deutlich, dass der Anstieg der „Erwerbsverhältnisse mit prekärem Potenzial“ nicht auf einem absoluten Rückgang der Vollzeiterwerbsverhältnisse basieren muss. In den meisten Landkreisen der untersuchten Region geht ihr Wachstum stärker auf den dynamischen Anstieg atypischer Beschäftigung, als auf den turbulenten Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurück (vgl. auch Oschmiansky/Oschmiansky: 2003: 29). Ganz offenbar gehen – zumindest arbeitsmarktstatistisch nachweisbar – die Anteilsverschiebung und die niedrige Erwerbslosenzahlen mit einer starken Zunahme 400- und 800-Euro-Jobs einher. Entscheidend für die relativ günstigen Arbeitsmarktdaten des Landreises Vechta (und ganz ähnlich: Cloppenburg) dürfte sein, dass sie relativ begünstigt sind durch die regionale Arbeitsteilung. In Vechta und Cloppenburg sind mit mehr als 4% relativ viele Beschäftigte in Maschinenbauunternehmen tätig (vgl. Jung/Nee/Skubowius: 2005: 38), 16% der Sozialversicherten in Cloppenburg und rund 11% in Vechta verdienen ihr Geld im Ernährungsgewerbe. Das ist ein Hinweis auf den großen Stellenwert der Schlachtindustrie vor Ort, einer Branche, in der laut Expertenmeinung stark informell beschäftigt wird. Auch in diesen Fällen gibt es also keinen Grund zur Entwarnung.
Städte wie Delmenhorst oder Wilhelmshaven, in denen sich die Soziale Frage kristallisiert, drohen abgehängt zu werden. Die Lokalstudie – die, um soziologischen Tiefgang zu erhalten, durch qualitative Untersuchungen der lokalen Klassengeschichte und des Kollektiven Gedächtnisses ergänzt werden müssten[13] – dürfte zumindest den Handlungsbedarf für sozialistische und gewerkschaftliche Politik plausibel machen. Sie zeigt, wie unterschiedlich die objektiven Lebensbedingungen auch innerhalb von (ländlichen) Regionen sein können. Die einleitend erzählte Geschichte macht aber auch deutlich, dass derartige objektive Lagen nicht unbedingt mit entsprechenden subjektiven Wahrnehmungsweisen korrelieren müssen – auch im Landkreis Vechta, dessen Arbeitsmarkt robust erscheint, wirkt die Verunsicherung.
Exkurs: Arbeitsmarkt und gut?
Das tatsächliche Ausmaß prekärer Soziallagen kann durch die hier referierten arbeitsmarktstatistischen Daten oder durch „nur-arbeitsmarktsoziologische“ Untersuchungen nicht erfasst werden. Isoliert verfehlen sie schlicht den Problemgegenstand. Denn eine quantitative Arbeitsmarktforschung, die auf amtlichen Statistiken oder Betriebspanels basiert, untersuchen Beschäftigerverhalten, Arbeitsplätze bzw. die Zahl der Erwerbslosen. Prekarisierungsforschung sollte m.E. allerdings von den Reproduktionsinteressen der Lohnabhängigen ausgehen. Implizit legen das auch die in der bisherigen Debatte dominanten ausgrenzungs-, teilhabe- und biografietheoretischen Grundlagen nahe. So ist beispielsweise der Hinweis, dass ein objektiv prekär erscheinendes Erwerbsverhältnis von Beschäftigten nicht so empfunden werden muss, nur dann plausibel, wenn die Reproduktionslagen der Lohnabhängigen zum Ausgangspunkt der Forschung gemacht werden. In diesem Sinne ist schließlich nicht ein Arbeitsverhältnis prekär, es wird es nur aufgrund der Problemlage des Beschäftigten. Prekarisierung ist dann „als prinzipielle Verunsicherung proletarischer Existenz“ (vgl. Hauer: 2007: 33) zu begreifen, durch die die „soziale Verwundbarkeit“ wächst, ggf. erreichter „Wohlstand“ unsicher wird (vgl. Vogel: 2009: 14f.) und einmal durchgesetzte soziale (kulturelle etc.) Teilhabechancen (vgl. Candeias: 2007: 44) verschlechtert werden.
Die individuellen und familialen Reproduktionschancen werden allerdings nicht nur durch Betrieb und Arbeitsmarkt beeinflusst; zwingend ist zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß innerhalb des sich durchsetzenden Kapitalismus (vgl. Husson: 2009) die Konsum- und Teilhabechancen der verschiedenen Schichten der Lohnabhängigenklasse verschlechtert werden.[14] Die wichtigsten „äußeren“ Prekarisierungsfaktoren sind m.E. die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und der damit verursachte Arbeitsmarktdruck (vgl. Dörre/Fuchs: 2005) (ggf. regionalspezifisch), der Grad der Kommodifizierung/Privatisierung einst öffentlicher oder staatlich organisierter Güter (regionalspezifisch), der Grad der Abfederung des Warencharakters der Arbeitskraft durch sozialstaatliche Institutionen (nicht-regionalspezifisch) und die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums[15] (ggf. regionalspezifisch). Schließlich hängt beispielsweise die Chance, am kulturellen Leben einer Gemeinschaft teilzunehmen, nicht nur vom Beschäftigungsverhältnis ab, sondern auch von den Kosten, die das verursacht. Wie teuer ist ein Konzertbesuch? Wie viel kostet ein Familienbesuch im Hallenbad? Wie lange muss ein Haushalt sparen, um den eigenen Kindern eine adäquate Ausbildung zu gewähren?
Sofern die Arbeitsmarktforschung als integraler Bestandteil einer derart begriffenen Prekarisierungsforschung betrieben wird, kann sie erheblich zum Verständnis von Prekarisierungsdynamiken beitragen – umso mehr, wenn es sich um segmentationstheoretische Ansätze handelt, die Arbeitsmarktspaltungen als mögliche Quelle verschärfter Arbeitskräftekonkurrenz hervorheben.[16]
Zur politischen Bedeutung räumlich ungleich entwickelter Armut/Prekarität
Derartige räumliche Verdichtungen von Ungleichheiten/Unsicherheiten können m.E. eine enorme politische Bedeutung entfalten. Diese Einschätzung findet sich auch bei Marxisten. In einer Lesart sind räumliche Ungleichentwicklungen potenzielle Spaltungslinien, die die Linke im Zuge ihrer Hegemoniepolitik überwinden muss (Gramsci), in der anderen entwickeln sich ArbeiterInnenbewegungen auf der Basis einer räumlichen Konzentration sozialer Probleme (Engels). Die erste Sichtweise begegnet uns in Gramscis Aufsatz „Einige Gesichtspunkte zu der Frage des Südens“ (vgl. Gramsci: 1991), in dem er einen Analyserahmen für räumliche Polarisierungsprozesse entwickelt. Vor dem Hintergrund der ökonomischen Ungleichheit zwischen dem industrialisierten Norden und dem bäuerlichen Süden diskutiert Gramsci die Herausforderungen für eine linke Bündnispolitik (Block der Arbeiter des Nordens mit den Bauern des Südens). Der springende Punkt: Die verarmte südliche Subalterne wird – unter Mitwirkung süditalienischer organischer Intellektueller – in einen Block gegen die Arbeiter des Nordens eingebunden.
Ganz anders nähert sich Engels dem Problem. In seiner frühen Regionalstudie zu der prekären „Lage der arbeitenden Klassen in England“ (vgl. Engels: 1990) schildert er die drückende Situation der einheimischen und eingewanderten Arbeiter in den englischen Industriedistrikten. Neben der unterstellten Reformunfähigkeit der englischen Bourgeoisie scheint für Engels „die räumliche Verteilung der sozialen Frage“ eine eigene Ausgangsbedingung für Klassenformierungsprozesse zu sein. Die Arbeiter werden räumlich zusammengefügt – zunächst als eine Masse gegenüber dem Kapital, die sich, so Engels hoffnungsvoller Blick, durch Kämpfe und politische Lernprozesse zu einer mobilisierten Klasse konstituieren würde.
In ihrer Grundtendenz gelten beide Problematisierungen auch heute noch – allerdings nicht alternativ. Auch heute gibt es Autoren, die in der räumlichen Verdichtung prekärer Beschäftigung ein politisches Ausgangs-Potenzial sehen. Karl Heinz Roth beispielsweise plädiert für eine kommunal orientierte Strategie der Linken, die bei der Politisierung der sozialen Konflikte dort anzusetzen hätte, wo sich die „neue soziale Frage“ verdichtet. Für ihn sind das die wachsenden Metropolen inklusive Subzentren, in denen sich die in seinen Augen besonders prekären Wissensindustrien und Logistikstrukturen ballen, und deren soziale Infrastruktur „[…] der Profitlogik der post-fordistischen cluster economy ausgeliefert werden.“ (Roth: 2006: 199). Wie wir gesehen haben gilt dies auch für den ländlichen Raum.
Ebenso einleuchtend ließe sich allerdings vor möglichen räumlichen Spaltungslinien warnen, die mit ungleichen wirtschaftlichen Wettbewerbsbedingungen und verdichteter sozialer Unsicherheit und Armut entstehen könnten. Gerade im Kontext neoliberaler Stadt- und Regionalpolitik (vgl. Heeg/Rosol: 2007: 492f.) drohen nicht nur Teilhabechancen der Bevölkerung eher zu Restgrößen standortwirtschaftlichen Kalküls der dominanten stadt- und regionalpolitischer Akteure zu werden, sondern auch Regionen, kollektiven Unternehmen gleich, miteinander zu konkurrieren. Deswegen ist die Region eine wichtige Arena linker Politik (vgl. Dörre/Röttger: 2005). Sie ist der konkrete Raum der Klassenauseinandersetzung und -formierung, auf den sich linke und gewerkschaftliche Politik in passender Weise beziehen muss. Die kapitalistische Akkumulation, die immer räumlich eingebettet ist (vgl. Harvey: 2005: 81), bringt die räumlich divergierenden Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Klassenstrukturen hervor – und wirkt sich so schließlich auch auf das Netz des Lebens oder die Lebensweise vor Ort aus. Ohne an diese anzuknüpfen – und hier schließt sich der Zirkel von Engels zu Gramsci – ist eine Gegenhegemonie der Linken kaum zu haben. Eine Chance hierfür könnte die räumliche Verdichtung von Prekarisierung insofern sein, als die historische Sozialprotestforschung darauf hingewiesen hat, dass die räumliche Konzentration späterer Trägergruppen eine der wichtigsten strukturellen Möglichkeitsbedingungen sozialer Bewegungen sind (vgl. Piven/Cloward: 220f.) – auch, weil sich erst so sozialkommunikative Netze etc. herausbilden konnten.
Was dies nun konkret für die Politik der gesamten Linken bedeutet, ist nicht hier, sondern in politischen Lern- und Verständigungsprozessen zu klären. Angesichts „prekaritätspolitischer Brennpunkte“ wie Delmenhorst und Wilhelmshaven, aber auch in Anbetracht der Tendenzen in einem arbeitsmarktpolitisch robust erscheinenden Landkreis wie Vechta, dürfte der politische Handlungsbedarf und die Chance zumindest klar geworden sein. Denn selbst dort, wo – wie in Vechta oder auch in Cloppenburg - die Statistiken zur Entwarnung verführen könnten, besteht Grund zur Skepsis. Das nicht nur, weil in der dort angesiedelten Schlachtindustrie in hohem Maße informell beschäftigt wird; die eingangs geschilderte Gruppendiskussion aus Vechta gibt zudem einen Eindruck davon, wie weit Deklassierungsängste auch in einem arbeitsmarktstatistisch rosig erscheinenden Kreis verbreitet sind. Auch in christdemokratischen Hochburgen bröckelt der sozialpartnerschaftliche Kitt. Die Aufgaben für die Linke werden zugleich konkreter und umfangreicher, wenn Prekarisierung ausgehend von den Reproduktionsinteressen der Lohnabhängigen verstanden und untersucht wird. Dann rückt – neben der Struktur- und Regionalpolitik – die Kommunalpolitik in einem allgemein verstandenen Sinne in den Blick. Wie hoch sind die Mieten bzw. wie weit verbreitet ist der kommunale oder städtische Wohnungsbau? In welchem Ausmaß können kommunale Beschäftigungsmöglichkeiten organisiert werden, die eben nicht sozial ausgrenzend wirken?
Literatur
Alda, Holger (2005): Beschäftigungsverhältnisse. In: Soziologisches Forschungsinstitut (SOFI)/ Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) et al. (Hg.): Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland. S. 245 -269. Wiesbaden.
Beaud, Stéphane/Pialoux, Michel (2004): Die verlorene Zukunft der Arbeiter. Die Peugeot-Werke von Sochaux-Montbéliard. Konstanz.
Bellmann, Lutz/Bielenski, Harald et al. (2006): Personalbewegung und Fachkräfterekrutierung. Nürnberg.
Candeias, Mario (2007): Handlungsfähigkeit und Widerspruchsorientierung. In: Klautke, Roland/Oehrlein, Brigitte (Hg.): Prekarität-Neoliberalismus-Deregulierung. S.43-62. Hamburg.
Candeias, Mario (2006): Handlungsfähigkeit durch Widerspruchsorientierung. Kritik der Analysen von und Politiken gegen Prekarisierung. In: Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung. Hft. 68. Frankfurt/ Main. Linksnet. http://www.linksnet.de/artikel.php?id=2790. Zugriff am 21.12.2006.
Castel, Robert/ Dörre, Klaus (Hg.) (2009): Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts. Frankfurt/Main.
Dörre, Klaus (2009): Prekarität im Finanzmarktkapitalismus. In: Castel, Robert/ Dörre, Klaus (Hg.): Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts. S. 35-65. Frankfurt/Main.
Dörre, Klaus/Fuchs, Tatjana (2005): Prekarität und soziale (Des-) Integration. In: Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung. Frankfurt/Main. Linksnet. http://www.linksnet.de/artikel.php?id=1940. Zugriff am 10.10.2006
Dörre, Klaus/Röttger, Bernd (2005): Globalisierung, Netzwerke, Gewerkschaften: Die Region als arbeitspolitische Arena – eine Einführung anhand empirischer Studien. In: Dörre/Röttger (Hg.): Die erschöpfte Region. S. 10-52. Münster.
Engels, Friedrich (1990): Die Lage der arbeitenden Klasse in England. In: MEW Bd. 2. S.225-507. Zuerst 1945. Berlin.
Goes, Thomas (2006): Prekäre Beschäftigung in der DGB-Region Oldenburg/Wilhelmshaven.
http://www.kooperationsstelle.uni-oldenburg.de/download/PrekaereAV_Goes.pdf
Gramsci, Antonio (1991): Einige Gesichtspunkte der Frage des Südens. In: Gramsci, Antonio: Antonio Gramsci – vergessener Humanist? S. 41-69. Berlin.
Harvey, David (2005): Räume der Neoliberalisierung. Hamburg.
Hauer, Dirk (2007): Umkämpfte Normalität. In: Klautke, Roland/Oehrlein, Brigitte (Hg.): Prekarität-Neoliberalismus-Deregulierung. S.30-43. Hamburg.
Heeg, Susanne/Rosol, Marit (2007): Neoliberale Stadtpolitik im globalen Kontext. In: PROKLA, Hft. 4. S. 491-511. Münster.
Hoffmann, Edeltraud/Walwei, Ulrich (2000): Strukturwandel der Erwerbsarbeit. IAB – Kurzbericht. Nürnberg.
Husson, Michel (2009): Kapitalismus pur. Deregulierung, Finanzkrise und weltweite Rezession. Eine marxistische Analyse. Karlsruhe.
Jung, Hans-Ulrich/Skubowius, Alexander (2004): Regionalmonitoring Niedersachsen. Regionalreport 2004. Hannover.
Jung, Hans-Ulrich/Nee, Hendrik/Skubowius, Alexander (2005): Regionalmonitoring Niedersachsen. Hannover.
Kaiser, Lutz (2003): Entstandardisierte Erwerbsmuster im europäischen Vergleich. www-brs.ub.ruhr-uni-bochum.de/netahtml/HSS/Diss/KaiserLutzC/diss.pdf. Zugriff am 05. 10. 2006.
Keller, Berndt/Seifert, Hartmut (2006): Atypische Beschäftigungsverhältnisse: Flexibilität, soziale Sicherheit und Prekarität. In: WSI- Mitteilungen. Hft 5. S. 235 – 241. Frankfurt/ Main.
Köhler, Christoph/Struck, Olaf et al. (Hg.) (2004): Beschäftigungsstabilität und betriebliche Beschäftigungssysteme in West- und Ostdeutschland. Jena.
Kock, Klaus (1994): Zur Soziologie des betriebsinternen Arbeitsmarkts. München.
Oschmiansky, Heidi/ Oschmiansky, Frank (2003): Erwerbsformen im Wandel: Integration oder Ausgrenzung durch atypische Beschäftigung? Berlin.
Pelizzari, Allessandro (2009): Dynamiken der Prekarisierung. Konstanz.
Piven, Frances Fox/Cloward, Richard (1986): Aufstand der Armen. Frankfurt/Main.
Roth, Karl Heinz (2006): Wiederkehr der Proletarität und soziale Befreiung. In: Widerspruch, Hft. 50. S. 197- 205. Zürich.
Schreyer, Franziska (2000): Unsichere Beschäftigung trifft vor allem die Niedrigqualifizierten. IAB –Kurzbericht. Nürnberg.
Vogel, Berthold (2009): Wohlstandskonflikte. Hamburg.
[1] Ich beziehe mich im Weiteren positiv auf die begrifflichen und theoretischen Bestimmungen, wie sie durch den Arbeitszusammenhang formuliert wurden, der sich um Klaus Dörre in Jena gebildet hat (vgl. Dörre: 2009; Dörre/Fuchs: 2005; Candeias: 2006).
[2] Die Studie basiert auf Experteninterviews mit Sekretären der lokalen Einzelgewerkschaften sowie auf Sekundär- und Sonderauswertungen amtlicher Statistiken.
[3] Die „lokale Arbeitsgesellschaft“ umfasst hier die Landkreise Cloppenburg, Wesermasch, Vechta, Oldenburg, Friesland und Ammerland sowie die Städte Delmenhorst, Wilhelmshaven und Oldenburg. In dieser Region arbeiten noch rund 2,8% der Sozialversicherten in der Landwirtschaft, etwas mehr als auf Landes- und Bundesebene. Knapp 32% sind im sekundären (verarbeitenden) und etwa 40% im tertiären (Dienstleistungs-) Sektor tätig. In den Branchen Handel, Gastgewerbe und Verkehr, Branchen mit besonders weit verbreiteter atypischer Beschäftigung, arbeiten zudem 23,54% der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.
[4] Zu ersteren zähle ich Leiharbeit, 400- und 800-Eurojobs und befristete Beschäftigung – und obwohl es juristisch keine reguläres Beschäftigungsverhältnis ist auch die 1-Euro-Jobs. Auch dort, wo im Folgenden verbunden mit statistischen Angaben von prekären Erwerbsverhältnissen geschrieben wird, ist dies im Sinne von „Erwerbsverhältnissen mit prekärem Potenzial“ gemeint. Der subjektive Kern von Prekarität wird hier ausgeblendet, nicht vergessen.
[5] Prekarität lässt sich nicht auf unfreiwillige Arbeitsmarktflexibilität und zu niedrige Löhne reduzieren, wenngleich das wichtige Aspekte sind. Der Begriff bezieht sich auf ein einmal gesichertes Maß an „sozialen Rechten“ (idealtypisch mit dem Normalarbeitsverhältnis assoziiert), von dem abgewichen wird. Einführend und kritisch siehe Mario Candeias (vgl. Candeias: 2007).
[6] Ohne Soldaten und Zivildienstleistende.
[7] Die Zahlen gelten maximal für den Zeitraum bis 2008.
[8] Auch über das Ausmaß der befristeten Beschäftigung oder der Niedriglohnarbeit – um nur zwei weitere Erwerbsverhältnisse mit Prekaritätspotenzial zu nennen – sagen derartige Daten kaum etwas aus. Laut Ulrich Walwei und Edeltraud Hoffmann waren 1998 in den westlichen Bundesländern 5% der Beschäftigungsverhältnisse befristet (3,8% Vollzeit, 1,2% Teilzeit) (vgl. Hoffmann/Walwei: 2000: 3). Erheblich höhere Zahlen nennt Lutz Kaiser auf der Basis des Europäischen Haushaltspanels. Für das Jahr 2000 weist er eine Befristungsquote von rund 11% an der Gesamtbeschäftigung aus (vgl. Kaiser: 2003: 186; 224).
[9] Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die weiteren Daten auf den Zeitraum von 2000 bis 2007.
[10] Die Zahlen beziehen sich nicht auf den Ort, an dem Leiharbeiter beschäftigt werden, sondern in dem die Leiharbeitsfirma behördlich gemeldet ist.
[11] Die Anteile basieren auf Zahlen aus dem Gesamtjahr 2006. Als die Daten erhoben wurden, lagen für die Jahre 2007 und 2008 auf Kreisebene noch nicht alle Zahlen vor, so dass ein Vergleich nicht möglich war. Die Entwicklungstendenz wird dennoch deutlich.
[12] Offiziell sind 1-Euro-Jobs keine Beschäftigungsverhältnisse.
[13] Viele Anregungen könnte eine derartige Studie durch die Arbeiterstudie von Beaud und Pialoux (vgl. Beaud/Pialoux: 2004) gewinnen.
[14] Die Prekarisierungsforschung wäre demnach stärker polit-ökonomisch zu fundieren. Innerhalb der an Universitätsforschung entspricht dem wohl nur der Jenenser Ansatz (vgl. Dörre: 2009).
[15] Wichtige Daten sind die Entwicklung der Lohnquoten, die Preisentwicklung, die Entwicklung der Haushaltseinkommen und die pro Kopf- Verschuldung. Sie alle betreffen die Konsumchancen.
[16] Diesen Aspekt kann ich hier leider nicht vertiefen. Interessante Hinweise liefern Pelizzari (vgl. Pelizzari: 2009) und Kock (vgl. Kock: 1994).