Die Kosten der Krise

Der Staat in der Krise

Auswirkungen der staatlichen „Rettungsprogramme" auf die Wirtschaft der Bundesrepublik

Dezember 2009

Studie im Auftrag der Heinz-Jung-Stiftung, Frankfurt/M.

Die schwarz-rote Bundesregierung wollte die „Lasten der Krise fair verteilen“. Die Schuld an der Krise gab sie der Jagd nach maximalen Gewinnen in kürzester Zeit und ohne Rücksicht auf Verluste - dieses Verhalten habe auf den internationalen Finanzmärkten entscheidend dazu beigetragen, dass die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise überhaupt entstehen und sich in dem bekannten Ausmaß verbreiten konnte. Die große Koalition in Berlin habe Verluste für Bürgerinnen und Bürger vermeiden und die Auswirkungen auf die Wirtschaft abfedern wollen.[1]

Dazu musste die Bundesregierung – in ihren eigenen Worten – „tief in die Tasche greifen“: Fast 500 Mrd. Euro an Bürgschaften und Kapitalhilfen für Banken, 100 Mrd. Euro für Kredite und Bürgschaften für Unternehmen, 80 Mrd. Euro für zwei Konjunkturpakete. „Eine enorme Summe“, merkte der damalige Finanzminister und stellvertretende SPD-Vorsitzende Peer Steinbrück an, und es ist eine in mancherlei Hinsicht unbestimmte Summe. Denn, wer erhält diese Milliardensummen eigentlich? Welche Bank, welche Firma, welche Institution und welche nicht? Die Suche nach möglichst konkreten Antworten auf diese Fragen wird im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen.

Die Antworten mögen im Detail ökonomisch oder politisch interessant sein. Uns interessiert allerdings vor allem, ob und wie eine strategische Konzeption in den Rettungspaketen zu erkennen ist. Ob beispielsweise die Automobilindustrie - wie es auf dem ersten Blick erscheint - gegenüber anderen Industrien von den Akteuren bevorzugt wurde oder ob sich gar ein neuer, möglicherweise post-neoliberaler Kapitalismustyp abzeichnet oder eine Abkehr von einer finanzmarktgetriebenen Wirtschaftsordnung.

Diese Fragestellung wurde von den Forschungsinstituten und Researchabteilungen der Banken nach meinem Wissen bislang fast nicht bearbeitet. Getrieben von der Dynamik der Krise haben sich Analysten vornehmlich mit der Frage befasst, ob durch die Konjunkturprogramme die Konjunktur erfolgreich gestützt wird. Die Antwort darauf lautet „ja“. Selbst der neoliberale Mainstream in der deutschen Wirtschaftswissenschaft akzeptierte die zumindest implizit von John Maynard Keynes inspirierten Programme angesichts der Tiefe der globalen Banken-, Finanz- und Wirtschaftskrise. Weniger einheitlich wird die Frage beantwortet, ob die Konjunkturpakete zu spät kamen. Ein großer Teil der Ökonomen ist dieser Meinung. Relativiert werden solche Ansichten allerdings durch die historische Einmaligkeit der Situation, welche die Politik entschuldigt. Ein weiterer Kritikpunkt ist der Umfang der Programme. Einige linke Ökonomen halten die Programme insgesamt für zu klein.

Lediglich DIW-Econ hat versucht, einen Teil der deutschen Konjunkturprogramme herunterzubrechen.[2] Aber auch dieser Ansatz unterscheidet sich letztlich deutlich von unserem. Zudem, wie teuer die Rechnung wirklich am Ende ausfallen wird und wer letztlich in welchem Umfange profitiert, weiß niemand ganz genau. Selbst die Bundesbank sieht ein großes schwarzes Loch: „Die Statistik steht hierbei vor der Schwierigkeit, dass die bislang entwickelten Stabilisierungsinstrumente sehr unterschiedlich ausfallen, teilweise sehr komplex sind und eine hohe Unsicherheit im Hinblick auf die tatsächlichen Werte der jeweiligen Finanzaktiva besteht. Zu den gebräuchlichsten Maßnahmen zählen insbesondere Kapitalzuführungen, Garantien, Kreditvergaben und der Ankauf problembehafteter Aktiva. Weitere Instrumente betreffen die Versorgung der Banken mit refinanzierungsfähigen Staatsanleihen. Besonders komplex sind mitunter Konstruktionen, bei denen speziell geschaffene Einheiten mit der Abwicklung von Stützungsmaßnahmen beauftragt werden. Neben staatlichen Sondervermögen können auch über öffentliche Unternehmen oder über privatrechtlich organisierte Zweckgesellschaften, die nicht in staatlichem Mehrheitseigentum, aber unter einem staatlichen Risikoschirm stehen, Stützungsmaßnahmen abgewickelt werden.“[3]

Drei Rettungsphasen

Der Preisverfall amerikanischer Immobilien löste im Sommer 2007 die aktuelle Krise aus. Daraus entwickelte sich eine Kredit- und Bankenkrise, die sich international ausbreitete. Die Wirkung war bald auch in Deutschland zu spüren. Ende Juli 2007 meldete die IKB Deutsche Industriebank AG, Düsseldorf, eine existenzbedrohende Schieflage. Und im August war die später erloschene, öffentlich-rechtliche Sachsen LB faktisch pleite.

Bereits in dieser ersten frühen Krisenphase gab es staatlich unterstützte Rettungsaktionen. Diese waren jedoch auf einzelne Kreditinstitute beschränkt.

Die Sachsen LB wurde durch eine Kreditlinie der Sparkassen-Organisation sowie die Übernahme durch die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) vor einer förmlichen Insolvenz bewahrt. Dazu trug auch eine Bürgschaft des Landes Sachsen über 2,75 Milliarden Euro bei.

Zur Rettung der IKB vereinbarten die drei deutschen Bankenverbände (BdB, BVR, DSGV) und der 38-prozentige Hauptaktionär KfW noch Ende Juli 2007 ein Rettungspaket in Höhe von 3,5 Mrd. Euro, von dem die KfW 70 Prozent und die anderen Banken 30 Prozent trugen. Die frühere Kreditanstalt für Wiederaufbau, heute KfW Bankengruppe, ist eine Anstalt öffentlichen Rechts und gehört dem Bund (80 %) und den Ländern (20 %).

Die Problemfälle IKB und Sachsen LB zeigen zugleich, dass neben der internationalen Finanzkrise auch hausgemachte Probleme eine Mitverantwortung für die Krise tragen. Infolge des Platzens der Dot-Com-Blase im März 2000 hatten viele Geldinstitute - jedoch längst nicht alle - zu viele schwache Kredite an Firmen, an deutsche Häuslebauer und osteuropäische Privatkunden in ihren Büchern. Diese internen Probleme kannten Experten und wohl auch die Bundesregierung lange vor Ausbruch der Weltfinanzkrise. Doch erst mit der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers ein Jahr später, am 15. September 2008, wurde die Krise von vielen Akteuren in den Finanzzentren der Welt als wirklich bedrohlich und das ganze Geldsystem gefährdend wahrgenommen.

Die Bundesregierung reagierte zunächst mit einer Patronatserklärung für die Spareinlagen. Am 5. Oktober 2008 gab die Bundesregierung „eine unbeschränkte Garantie für alle Spareinlagen in Deutschland“ ab.[4] Mit drei großen Gesetzespaketen reagierte die Bundesregierung zwischen September 2008 und Juli 2009 auf die zweite Krisenphase, um für Stabilität auf den Finanzmärkten zu sorgen.

Noch im Oktober 2008 wurde zudem ein sogenannter Bankenrettungsfonds gegründet. In kurzer Zeit hatte die Bundesregierung das „Finanzmarktstabilisierungsgesetz“ erarbeitet. Es wurde ebenso eilig von Bundestag und Bundesrat verabschiedet. Der mit Europa abgestimmte „Instrumentenkasten“ - so der Terminus technicus der Bundesregierung – beinhaltet im wesentlichen drei Werkzeuge, um den Banken unter die Arme zu greifen:

- Der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) gewährt Bürgschaften, sichert also Kredite ab und garantiert mit dem „guten Namen“ des Staates.

- Der SoFFin gibt Kapitalspritzen nach festgelegten Regeln.

- Es gibt die Möglichkeit, Problemaktiva zu übernehmen.

Im Februar 2009 schuf die Bundesregierung die Möglichkeit der Verstaatlichung einer Bank als ultima ratio. Im „Finanzmarktstabilisierungsergänzungsgesetz“ setzt die Bundesregierung Änderungen im Gesellschafts- und Übernahmerecht um. Zudem ist eine im Gesetz beschriebene mögliche Lösung die vollständige Übernahme eines angeschlagenen Finanzinstitutes durch den Staat. Dieser Weg soll jedoch nur dann beschritten werden, wenn sich alle anderen Maßnahmen als wirkungslos oder nicht ausreichend erwiesen haben.

Spätestens seither wurde „Systemrelevanz“ zur politischen Allzweckwaffe, mit der jede Subvention an Banken und Unternehmen begründet werden kann.

Ein halbes Jahr später, im Juli 2009, beschließt das Kabinett einen Gesetzentwurf mit weiteren Rettungsmöglichkeiten. Vor allem werden sogenannte Bad-Banks möglich, in die Kreditinstitute marode Geschäftsteile ausgliedern können. Mit diesem „Finanzmarktstabilisierungsfortentwicklungsgesetz“ wird die Möglichkeit eröffnet, dass im Prinzip jede Bank eine eigene Bad-Bank einrichten kann. An diese kann sie die belastenden Papiere auslagern und gewinnt wieder Spielräume, um ihrer Aufgabe nachzukommen: Kredite an ihre Kunden zu vergeben. Die „Giftmüllentsorgung“ gibt es natürlich nicht kostenlos. Für Landesbanken wird mit dem sogenannten Konsolidierungsmodell eine ähnliche Hilfestellung gegeben.

Ergänzt wurden die staatlichen Bankenrettungsaktionen durch die Bereitstellung „billigen“ Geldes durch die Europäische Zentralbank und andere Notenbanken. Dadurch wurde der Rohstoff „Geld“ für die Banken deutlich preiswerter.

Erst in der dritten Krisenphase - zwei Monate nach der Lehman-Pleite - hat der Staat ein Krisenpaket für die sogenannte Realwirtschaft geschnürt: Im November 2008 beschloss die Bundesregierung unter dem Namen „Schutzschirm für Arbeitsplätze“ das erste Konjunkturpaket. Es umfasst 15 Maßnahmen, mit denen die Wirtschaft gestärkt, Arbeitsplätze gesichert und private Haushalte entlastet werden sollen. Bald darauf, im Januar 2009, folgte das „Konjunkturpaket 2“. Es ziele darauf ab, so die Bundesregierung, Deutschland aus der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise gestärkt und zukunftsfest hervorgehen zu lassen.

Im Rückblick lassen sich also drei Rettungsphasen erkennen. Zunächst reagierte der Staat im Sommer 2007 mit punktuell auf einzelne Kreditinstitute ausgerichteten Rettungspaketen. Nach der Lehman-Pleite wurden Rettungspakete für die ganze Finanzbranche bereitgestellt. In der dritten Phase kamen Rettungspakete für Industrie und Gewerbe hinzu.

In dieser dreiphasigen Abfolge zeigt sich, wie auch im folgenden internationalen Vergleich, eine klare Finanzmarktorientierung. Die drei Phasen dürften allerdings zunächst der historischen Abfolge der Krise geschuldet sein. Zugleich mag man daraus auch eine Finanzmarktorientierung wichtiger Akteure herauslesen, die ihren entsprechenden politischen Präferenzen folgten.

Internationale Rettungsprogramme

International reagierten die Staaten ähnlich wie in Deutschland. Ende September und Anfang Oktober 2008 kündigten die Regierungen „praktisch aller fortgeschrittenen Volkswirtschaften“ umfassende Maßnahmen zur Stabilisierung des Bankensektors an, schreibt die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Erst später folgten Konjunkturprogramme. Übersichten der BIZ zeigen zudem einen Gleichklang bei den konkreten Maßnahmen: Ausweitung der Einlagensicherung, Garantie für Verbindlichkeiten und Kapitaleinschüsse gehörten in nahezu allen führenden Industriestaaten zum Werkzeugkasten der Politik.[5]

Dieser Gleichklang ist insofern überraschend, als die politische Koordinierung und Kooperation zwischen London und Berlin, Tokio und Washington offenkundig schwächelte. Die mangelhafte Kooperation fiel erst recht im größeren Rahmen der G20 oder der Vereinten Nationen auf.

Die Rettung der Banken hat das Besondere an großen Banken wieder einmal verdeutlicht: Der Zusammenbruch eines Hauses kann, wie in einem Dominospiel, andere Banken und Finanzdienstleister und am Ende das ganze Finanzsystem in den Untergang reißen. Damit haben Regierungen in vielen Ländern den Aufwand begründet, mit dem sie „ihre“ großen Banken stabilisierten. Diese Renationalisierung der globalisierten Ökonomie und das Comeback des Politischen war den Regierungen nominal fünftausend Milliarden Euro wert.

Aber dieser Sachverhalt, der ebenfalls für eine Finanzmarktorientierung vieler Regierungen spricht, sollte nicht eindimensional als Reaktion der Akteure in Wirtschaft und Politik interpretiert werden. Konkret-historische Aspekte spielen ebenfalls eine Rolle, wie ein kurzer Rückblick nahe legt.

Die Internationale Banken- und Finanzkrise

Vor einem Jahr schaute die Finanzwelt in den Abgrund. Im September 2008 weigerten sich die Regierung Bush und die Notenbank Fed, die bedeutende Investmentbank Lehman Brothers zu retten. Die Akteure auf den Finanzmärkten sollen begreifen, so die offizielle Lesart in Washington, dass der Staat nicht für alle Fehlentscheidungen von Managern einsteht. Lehmann blieb bis heute weltweit die einzige große Bankpleite. Was auch daran liegt, dass man in Berlin und London den amerikanischen Weg nicht mitging, sondern scheinbar wahllos alle Banken mit Kapital, Krediten und Bürgschaften heraushaute.

Bei den US-Banken kam das Signal aus Washington jedoch an. Die Wall Street versuchte, eine (private) Rettung zu organisieren. Für Lehman gelang das nicht, weil die Investmentbank zu tief im Sumpf aus faulen Wertpapieren und wertlosen Immobilienkrediten steckte. Die Absage des Staates führte jedoch dazu, dass die private Bank of America Merrill Lynch kaufte und Goldman Sachs sowie Morgan Stanley sich zu gewöhnlichen, breit aufgestellten Geschäftsbanken wandelten. „Damit endet die Ära der großen amerikanischen Investmentbanken“, merkt ein Finanzblatt an. Freilich hatte der Wandel zur Universalbank nach deutschem Muster längst vor der Finanzkrise eingesetzt.

Nach dem Paukenschlag scheute sich die US-Regierung allerdings keineswegs, wie zuvor großzügig Hilfen an die Finanzakteure auszuschütten. Vor Lehman hatte der Staat die halb-öffentlichen großen Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac, bei denen fast jeder amerikanische Hausbesitzer einen Hypothekenkredit laufen hat, gerettet, und in die angeschlagene Versicherungsgruppe AIG wurde kurz nach dem Lehman-Tod ein dreistelliger Milliarden-Dollar-Betrag gepumpt.

Inzwischen geht es Amerikas Banken wieder glänzend - zumindest oberflächlich: Die vier Großen Citigroup, Bank of America, Goldman Sachs und JP Morgan haben im zweiten Quartal 2009 staatliche Darlehen zurückgezahlt und Milliardengewinne gemeldet.

Dieses Comeback fand auch in anderen Ländern statt und hat mehrere Gründe. Längst nicht alle Banken steckten 2008 im Sumpf fauler Immobilien-Spekulationen fest. Oft fehlte es „nur“ an Liquidität. Seit das Vertrauen zwischen den Banken wenigstens bei kurzfristigen Krediten wiedergekehrt ist, mangelt es auf den Finanzmärkten auch nicht mehr an Geld. Außerdem laufen mittlerweile die normalen Bankgeschäfte wieder rund(er): Aktienkurse steigen, die Provisionen aus dem Wertpapierhandel für Reiche und Investoren sprudeln und viele „toxische“ Wertpapiere, die schon abgeschrieben waren, sind im Kurs gestiegen. Die staatlichen US-Rettungsprogramme sorgen zudem dafür, dass die „Global Players“ relativ gestärkt aus der Krise hervorgehen könnten. In den USA – wie in anderen Ländern – trennt die Krise die Spreu vom Weizen.

Auch in London ist der erste Schreck verflogen. Seit dem „Big Bang“ vor zwei Jahrzehnten, als der Staat den Banken freien Lauf ließ, stieg London zur führenden Finanzmetropole der jüngsten Globalisierung auf. Die Konservativen und „New Labour“ unter Tony Blair und Gordon Brown hatten (fast) alles auf die Karte „Finanzdienstleistungen“ gesetzt und das Land seiner Industrien beraubt. Das Finanzzentrum, die „City“, und die britischen Banken wurden daher von der Finanzkrise besonders hart getroffen.

Im Unterschied zum deutschen Rettungsmodell setzte die Regierung in London auf sofortige Beteiligung an den Krisenbanken. Die anfänglich drei Großbanken RBS, HBOS und die neu gebildete Lloyds Banking Group wurden teilweise verstaatlicht; Lloyds schluckte dann HBOS. Einfluss auf die Geschäftspolitik nimmt die Regierung von Premierminister Brown soweit erkennbar jedoch nicht. Zwar kritisiert auch Brown in der britischen Öffentlichkeit gerne die Banken scharf, er hintertreibt aber auf dem internationalen Parkett jeden weitgehenden politischen Versuch, den Spielraum der Spekulation durch staatliche Regulierungen und Kontrollen entscheidend einzuschränken.

Besonders hart traf die Finanzkrise Holland und die Schweiz. Einige Institute hatten ihren kleinen Heimatmarkt durch überdurchschnittliche Risikoneigung ausgleichen wollen, um eine branchenübliche Profitrate von 25 Prozent zu erzielen. Doch selbst in diesen Ländern sind es nur einige Wenige, wie die später verstaatlichte ABN Amro oder die schweizerische UBS, die sich grandios verzockt haben.

Dass die Krise keineswegs wie eine Naturkatastrophe über die Geldgiganten hereinbrach, sondern besonders den riskanten Geschäftsstrategien einiger Zockerbanken geschuldet ist, zeigt ebenfalls ein Blick nach Frankreich und Spanien. Dort blieben die Kreditinstitute weitgehend verschont von der Fast-Kernschmelze der Weltfinanzmärkte. Doch selbst die spanische Banco Santander hat trotz 4,5 Milliarden Euro Gewinn im ersten Halbjahr 2009 mit einer Spekulationsblase am heimatlichen Immobilienmarkt zu kämpfen. Schon dieses Beispiel zeigt: Diese Krise ist noch nicht endgültig ausgestanden, und die nächste wird bereits vorbereitet.

Die internationale tour d’horizon illustriert, wie unterschiedlich die verschiedenen Varianten des Kapitalismus von der Banken- und Finanzmarktkrise getroffen wurden. Dies hängt mit grundlegenden Orientierungen zusammen: Der Rheinische Kapitalismus der Bundesrepublik setzt weit mehr auf Technologie und Industrie als der deindustrialisierte Dienstleistungskapitalismus Großbritanniens, und der skandinavische Wohlfahrtskapitalismus unterscheidet sich nicht allein in der Sozialpolitik von osteuropäischen oder asiatischen Varianten. Diese „Varieties of Capitalism“, wie sie die Soziologen Peter Hall und David Soskice nennen, wurden entsprechend unterschiedlich hart von der Krise betroffen.

Aber auch innerhalb der „Varieties“ wurden Geldinstitute als Folge unterschiedlicher betriebswirtschaftlicher Geschäftsmodelle unterschiedlich getroffen. Neben einigen Landesbanken waren es vor allem die marode Hypo Real Estate (HRE) und die Commerzbank/Dresdner Bank, die auf staatliche Rettungspakete zurückgriffen. Doch die Commerzbank hat Anfang September ihre restlichen Garantien von 15 Milliarden Euro an den Staat zurückgegeben, während die HRE im Oktober 2009 als erste Bank in der Geschichte der Bundesrepublik voll verstaatlicht wurde.

Unterm Strich ist hierzulande, so scheint es, die Deutsche Bank als Sieger aus der Krise hervorgegangen. Gleiches gilt für die genossenschaftlichen Volks- und Raiffeisenbanken und die Sparkassenorganisation und damit für weit mehr als die Hälfte des deutschen Finanzmarktes.

Es gibt also wenigstens drei wichtige Faktoren, die die konkrete Ausgestaltung der Rettungspakete beeinflussen: Varieties of Capitalism, Geschäftsmodelle der Banken und politische Neigungen der Regierungen.

Dieser Ansatz erklärt zunächst hinreichend eine Überraschung: Unterm Strich haben die Vereinigten Staaten für ihre Rettungsprogramme zugunsten ihrer Finanzinstitute am wenigsten ausgegeben. Das Volumen erscheint zwar mit umgerechnet 2.491 Milliarden Euro gewaltig. Setzen wir es allerdings in Relation zur Wirtschaftskraft wandelt sich das Bild (siehe Tab.1).

„Nur“ 22,3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) der USA flossen danach in Rettungspakete. Schon Deutschland ließ sich die Bankenrettung deutlich mehr kosten, nämlich 28,1 Prozent des BIP und Großbritannien gar 54,0 Prozent. Dies zeigen Zahlen der in Basel ansässigen Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), einer Art Zentralbank der Zentralbanken.

Neben den Rettungspaketen für Banken reagierten nahezu alle von der Krise betroffenen Länder in Europa, Amerika und Asien darüber hinaus mit Maßnahmepaketen zur Stützung der Konjunktur. Auch in diesem Punkt lässt sich also ein Gleichschritt der führenden Industriestaaten feststellen.

Tab.1: Rettungspakete für Banken – Volumen staatlicher
Bankenrettungsprogramme* (in Prozent des Bruttoinlandsproduktes)

Großbritannien

54,0

Niederlande

44,6

Deutschland

28,1

USA

22,3

Frankreich

18,9

Australien

10,4

Schweiz

8,7

Spanien

2,8

Japan

2,7

Italien

0,6

* Kapitalhilfen, Käufe von Vermögenswerten sowie staatliche Garantien.

Quelle: BIZ, Bloomberg, FAZ vom 4. September 2009

Zudem wurden die Konjunkturpakete ähnlich ausgestaltet. Die Maßnahmen umfassen meist - wie in Deutschland - öffentliche Infrastrukturinvestitionen sowie Steuererleichterungen und/oder Direktzahlungen an die Verbraucher sowie Unterstützungsmaßnahmen für den sogenannten Arbeitsmarkt.

Eine Skizze der Deutschen Bank, die auf Daten der Europäischen Kommission basiert, zeigt vier Maßnahmegruppen mit folgenden Anteilen in der EU:

- 32 Prozent der über 500 Initiativen, die durch Konjunkturprogramme in der EU auf den Weg gebracht wurden, sind Maßnahmen für den Arbeitsmarkt,

- 21 Prozent sollen den privaten Konsum ankurbeln.

- Unterstützung für Industrie und Gewerbe bieten 31 Prozent aller Maßnahmen,

- Investitionsanreize setzen 16 Prozent.[6]

Die Skizze listet allerdings nur die Zahl der Maßnahmen auf. Unterschiedlich sind jedoch deren Tiefe und ihr Preis. Die entsprechende „Hitliste“ der Länder unterscheidet sich daher auch von jener der Bankenrettung. Spitzenreiter sind hierbei Japan und die Vereinigten Staaten: In den USA beträgt das Konjunkturrettungsvolumen über zwei Jahre 4,8 Prozent des BIP, in Japan sogar rund 5,0 Prozent.

So tief wie in Washington griffen die Regierungen in Berlin oder London nicht in die Privatwirtschaft ein, wie eine Übersicht des französischen Kreditversicherers Coface SA zeigt.[7] Dagegen hat auch China ein ähnlich großes Volumen von 4,4 Prozent des BIP vorgesehen, um sein Wachstum(!) bei beachtlichen acht Prozent zu stabilisieren. Der Umfang der Konjunkturpakete in den großen Volkswirtschaften insgesamt beläuft sich für die Jahre 2008 bis 2010 auf insgesamt mehr als 3 Prozent des BIP.

Tab. 2 : Konjunkturpakete in ausgewählten Ländern 2008 bis 2010

(in Prozent des Bruttoinlandsprodukts)

Japan

5,0

USA

4,8

China

4,4

Deutschland

3,4

Kanada

2,7

Großbritannien

1,5

Frankreich

1,3

Indien

0,5

Italien

0,3

Quelle: Coface

Wie bei der Bankenrettung müssen auch bei den Konjunkturprogrammen die zusammenfassenden Zahlen mit einer gewissen Skepsis betrachtet werden. Unterschiedliche Kaufkraftparitäten zwischen den Ländern, in ihren Kosten noch unabsehbare Kreditgarantien oder außerbudgetäre Ausgaben erschweren den internationalen Vergleich. Trotzdem bestätigt eine qualitative Einschätzung der Krise und der Krisenreaktionen in den einzelnen Ländern die Rangfolgen.

Unterm Strich steht Deutschland weder bei „Banken“ noch bei „Konjunktur“ an der Spitze der Retter. Die Bundesregierung unter Angela Merkel begnügt sich mit einem vorderen Mittelfeldplatz.

Bankenrettung in Deutschland

Richten wir nun unseren Fokus ganz auf die Bundesrepublik. Im Oktober 2008 hatte die Bundesregierung auf die Nothilfe für die Immobilienbank Hypo Real Estate (HRE) spontan mit einem ersten Gesetz reagiert. Die Bundesregierung schätzte, dass deutsche Geldgiganten 230 Milliarden Euro „strukturierte Wertpapiere“ halten, die sie nach angelsächsischen Regeln in der Bilanz zu niedrigsten Marktpreisen bewerten müssten, teilweise mit null. Am 20. Oktober 2008 trat die Verordnung zur Durchführung des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes in Kraft. Sie regelt die konkrete Umsetzung der Bankenrettung. Auf der Grundlage des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes hat die Bundesregierung ein Sondervermögen des Bundes errichtet, offiziell „Finanzmarktstabilisierungsfonds“ genannt. Zuständig für dessen Verwaltung ist die „Finanzmarktstabilisierungsanstalt“ mit Sitz in Frankfurt am Main. Hausintern, in den Medien und in der Öffentlichkeit werden Anstalt und Fonds üblicherweise als „Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung“ bezeichnet, kurz Soffin.

Der Soffin hat einen eigenen Vorstand, den Leitungsausschuss unter Hannes Rehm, der vom Finanzministerium „im Benehmen“ mit der Bundesbank ernannt wurde. Für Entscheidungen über Grundsatzfragen oder Angelegenheiten von besonderer Bedeutung wurde zudem ein Lenkungsausschuss eingerichtet, der aus je einem Vertreter des Bundeskanzleramtes, der Länder sowie der Bundesministerien der Finanzen, Justiz und Wirtschaft besteht. Dem Lenkungsausschuss gehört beratend ein Vertreter der Deutschen Bundesbank an. Kurzum, Soffin ist kein Werk allein der Bundesregierung, sondern in erheblichem Maße auch ein Ableger der formal unabhängigen Bundesbank. Dessen Vorstand dürfte sich im Zweifel weniger dem Politischen als dem Finanzkapitalismus verpflichtet fühlen. Welche Leistungen bietet der Staat im Schulterschluss mit der Bundesbank konkret an? Die Hilfen gliedern sich in drei „Pakete“, so der Sprachgebrauch im Bundesfinanzministerium, das auch für die folgenden Angaben die Quelle ist.[8]

1. Der Staat als Bürge (Garantien)

Die Übernahme von Garantien sollte den Kredit- und Liquiditätsverkehr zwischen den Banken aufrechterhalten und verloren gegangenes Vertrauen wieder herstellen. Die Garantiesäule beträgt maximal 400 Milliarden Euro. Der Staat tritt als Bürge ein. Wie viele verbürgte Kredite tatsächlich in Zukunft notleidend werden, ist ungewiss. Eine Bürgschaft können nur solvente deutsche Banken und Töchter ausländischer Kreditinstitute mit Sitz in Deutschland in Anspruch nehmen. Wer nicht über ausreichend Eigenkapital verfügt, muss gleichzeitig Hilfe zur so genannten Rekapitalisierung beantragen.

2. Der Staat gibt Finanzspritzen (Rekapitalisierung)

Der Fonds kann auch verwendet werden, um durch staatliche Beteiligungen das Eigenkapital der Banken aufzustocken. Hierfür wurden zunächst 70 Milliarden Euro vorgesehen. Diese Summe könnte noch um 10 Milliarden Euro erhöht werden, wenn der Haushaltsausschuss des Bundestages zustimmt. Die Obergrenze der Rekapitalisierung für ein einzelnes Unternehmen des Finanzsektors und seine Beteiligungen liegt im Regelfall bei zehn Milliarden Euro.

3. Der Staat übernimmt Risikopositionen

Bei Unternehmen, die eine angemessene Ausstattung mit Eigenmitteln vorweisen können, aber dennoch mehr Unterstützung benötigen als nur durch die Vergabe von Garantien, greift die dritte Handlungsmöglichkeit des Fonds: die Übernahme von Risikopositionen. Der Fonds kann Banken und Versicherungen Risiken abkaufen, das heißt beispielsweise Wertpapiere, deren Wert durch die Krise stark gesunken ist. Pro Unternehmen oder Konzernverbund ist diese Hilfsmaßnahme auf fünf Milliarden Euro begrenzt. Zur Stärkung der Eigenkapitalbasis und zum Ankauf von Risikooptionen steht insgesamt ein Sondervermögen des Bundes in Höhe von 80 Milliarden Euro zur Verfügung. Dieser dritte Topf speist sich laut Auskunft der Soffin aus den beiden obigen Töpfen.

Maximal würde der Staat also 400 plus 80 Milliarden Euro für die direkte und indirekte Bankenrettung ausgeben können. Im Gegenzug müssen die Banken, so das BMF, „Gegenleistungen“ erbringen, die von der Überprüfung der Geschäftspolitik bis zur Begrenzung von Gehältern reicht. Und die staatliche Hilfe gibt es nicht einfach geschenkt.

Garantien: Bei der Übernahme von Garantien erhält der Fonds einen individuellen Prozentsatz des Höchstbetrags der Garantie als Vergütung. Garantien des Fonds müssen spätestens am 31. Dezember 2012 auslaufen.

Rekapitalisierung: Hier „soll“ der Fonds eine Vergütung in Form eines Gewinnvorzugs oder einer Verzinsung anstreben.

Risikoübernahme: Risikopositionen werden zum aktuellen Buchwert oder zu einem noch niedrigeren Wert gegen Schuldtitel des Bundes getauscht. Die FMSA stellt eine angemessene Verzinsung sicher. Das begünstigte Unternehmen kann zudem an den übernommenen Risiken beteiligt und verpflichtet werden, eine Ausgleichszahlung zu leisten.

Die Risikoposition des Bundes von 480 Milliarden Euro wird durch die angestrebten Gegenleistungen der Banken grundsätzlich nicht geschmälert. Im schlimmsten Fall, nämlich der masselosen Insolvenz aller „geretteten“ Banken, blieb dem Staat ein Verlust von eben diesen 480 Milliarden Euro, was in etwa zwei Bundeshaushalten entspricht. Allerdings ist ein solches „worst-case“-Szenario unwahrscheinlich. Tatsächlich mindern die vereinbarten Gegenleistungen die Risiken erheblich, und sie werden zugleich die Kosten reduzieren. So dürfte am Ende der Preis, den der deutsche Staat für die Bankenrettung zahlen muss, auch dank Gebühren und Verzinsung erheblich niedriger ausfallen als 480 Milliarden.

Ob am Ende ungefähr ein Plusminusnull wie einst bei der Bankenrettung in Schweden herauskommt, ist allerdings ungewiss. Übrigens hatten in Schweden 1992 auch nur zuvor verstaatlichte Banken eine Bad-Bank an die Seite gestellt bekommen.

Soweit die Möglichkeiten, wie sieht nun aber die Realität aus? Das Volumen der gestellten Anträge aus allen Töpfen betrug Ende September 232,9 Milliarden Euro, teilte der Soffin auf Anfrage mit. Der Umfang der zu diesem Zeitpunkt bereitgestellten Garantien beträgt 132,7 Milliarden Euro, das Volumen der bereitgestellten Rekapitalisierungsmaßnahmen 21,9 Milliarden. In den Zahlen sind ausgelaufene und zurückgegebene Garantierahmen berücksichtigt. Das Instrument der Risikoübernahme, also Paket „3“, ist bisher nicht zum Einsatz gekommen.[9]

Unterstellt, allen bislang gestellten Anträgen wird stattgegeben, würden also lediglich 48,5 Prozent des Gesamtvolumens zur Bankenrettung von 480 Milliarden Euro vom Soffin ausgeschüttet.

Dazu passen Pressemeldungen, hier im „Deutschlandfunk“, die drei Tage vor der Bundestagswahl erschienen: „Bund nimmt 17 Milliarden Euro weniger am Kapitalmarkt auf“. Die Regierung will danach zum Jahresende deutlich weniger Geld am Finanzmarkt aufnehmen als ursprünglich geplant. Insgesamt würden die Emissionen von Bundesanleihen gegenüber den Planungen vom März um 17 Milliarden Euro auf etwa 59 Milliarden Euro gekürzt, teilte die zuständige Finanzagentur des Bundes in Frankfurt am Main turnusgemäß mit. Damit, so die Bundesagentur, reagiere man unter anderem auf den verminderten Kapitalbedarf des Finanzmarkt-Stabilisierungsfonds.[10]

Ob diese optimistische Schätzung unter der neuen Bundesregierung überlebt, bleibt abzuwarten. Angesichts der, gemessen an früheren Erwartungen, geringen Inanspruchnahme des Soffin scheinen sie realistisch. Vorausgesetzt ist, dass die Mehrheit der Wirtschaftsforschungsinstitute und Researchabteilungen der Banken Recht behält und die Talsohle der Finanz- und wohl auch Wirtschaftskrise im Herbst 2009 erreicht war.

Über einzelne Unternehmen gibt der Staatsfonds Soffin keine Auskünfte. Lediglich die ohnehin im Fokus der Berichterstattung stehenden Hypo Real Estate (HRE), Commerzbank und Aareal Bank werden bestätigt. Andere größere insolvenzgefährdete Kreditinstitute, die vom Soffin, laut Medienberichten oder Presseerklärungen der Institute unterstützt werden, sind: Bayerische Landesbank, HSH Nordbank, IKB Deutsche Industriebank, Landesbank Baden-Württemberg und Volkswagen Bank. Weitere Anträge sind gestellt worden. Dem Vernehmen nach geht es dabei um kleinere Summen, beispielsweise für die Quelle-Hausbank Valovis. Die Zahl der Antragsteller beziffert der Soffin auf 23, bei 1.967 privaten und genossenschaftlichen Kreditinstituten und Sparkassen in Deutschland eine eher kleine Zahl.

Soweit der quantitativ ausgerichtete Überblick; qualitativ festzuhalten bleiben noch drei Aktionen. Mit der teuren und unter Experten umstrittenen Rettung der Pfandbrief- und Immobilienbank HRE wurde für die deutschen Banken eine preiswerte Refinanzierung auf den internationalen Finanzmärkten sichergestellt. Eine HRE-Pleite hätte diese verteuert.

Mit der Teilverstaatlichung der Commerzbank, die diese bereits weitgehend zurückgezahlt hat, wurde faktisch die Übernahme der Dresdner Bank von der Allianz ermöglicht und damit dank staatlicher Hilfe ein zweiter nationaler Global-Player zusammengefügt.

Mit der Beteiligung der Deutschen Bank an der teilstaatlichen Postbank wurde zudem der nationale Leuchtturm vom Staat unauffällig gestützt, und zwar außerhalb der Soffin-Rettungspakete. Auch aufgrund solcher politisch geheimnisumwobenen Aktionen bleibt das Bild der staatlichen Aktivitäten an den Rändern stückweise unscharf.

Fehlstart für „Bad-Banks“

Um die Abwärtsspirale aus sinkenden Wertpapierpreisen und Abschreibungen auf Kosten des Eigenkapitals zu durchbrechen, besserte die Bundesregierung das Finanzmarktstabilisierungsgesetz noch einmal nach: Banken können seit 23. Juli 2009 ‚giftige’ Wertpapiere zur Abwicklung auf externe Zweckgesellschaften übertragen und mit diesen „Bad-Banks“ ihre Bilanzen entlasten. Zudem ermöglicht das Gesetz, ganze Geschäftsbereiche auszulagern.

Solche Zweckgesellschaften können staatliche Garantien aus dem 480-Milliarden-Topf erhalten. Die übertragende Bank zahlt im Gegenzug dann dem Soffin bis zu zwanzig Jahre lang aus seinem Jahresgewinn eine Anzahlung auf die zu erwartenden Verluste. Die Eigner der Bad-Bank haften also weiterhin für deren Verluste, jedoch nur mittelbar und begrenzt auf die Höhe ihrer Dividenden.

Doch bislang hat kein Kreditinstitut seine toxische Wertpapiere und maroden Institutsteile in eine Band-Bank ausgelagert. „Damit ist ein Kernstück der staatlichen Rettung für die angeschlagenen Banken in Gefahr“, warnt das „Handelsblatt“.[11] Bis September hatte nur die Düsseldorfer Landesbank WestLB einen Antrag beim Soffin gestellt, eine „Abwicklungsbank“, also eine Bad-Bank, zu gründen. Die Immobilienbank Hypo Real Estate kündigte ebenfalls an, dass sie dabei sein will; die HSH Nordbank überlegt es sich. Von den übrigen angeschlagenen Finanzhäusern hört man nichts.

Den Schwarzen Peter schieben die Banken den Ratingagenturen zu, die sich bislang bei der Bewertung der geplanten Schrottinstitute zurückhalten. „Mit den Abwicklungsbanken wollen wir weiteres Vertrauen an den Märkten zurückgewinnen und die Banken stabilisieren. Die Ratingagenturen haben das Modell bislang sehr zögerlich aufgenommen. Das darf nicht zu einem Hemmnis werden oder gar den Erfolg gefährden“, sagte Soffin-Chef Hannes Rehm.[12] Der staatliche Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (Soffin) drängt deshalb darauf, dass sich die Ratingagenturen stärker bewegen.

Strittig ist auch, ob und in welcher Höhe die Kernbanken für ihre maroden Tochterinstitute Eigenkapital bereitstellen müssen. Außerdem stößt die Gründung einer Bad-Bank auf eine unübersichtliche Gesetzeslage, die in der Praxis jede Ausgründung um Monate verzögern kann.

Zudem sind die Bad-Banks mittlerweile bankintern umstritten. Die anziehenden Kurse an den Weltbörsen und der sich wieder belebende Markt für toxische Papiere lässt einige Vorstandmitglieder von Kreditinstituten hoffen, mit einem blauen Auge und ohne Bad-Bank auszukommen. Ebenso dämpft die scheinbare Stabilisierung der Finanzmärkte die Nachfrage nach staatlichen Rettungspaketen.

Fazit: Das vom Staat am gefühlten Höhepunkt der Krise bereitgestellte Instrumentarium wird von den Finanzmarktakteuren nur teilweise genutzt.

Wer sind die Gewinner im Kapital?

Zunächst einmal profitierten hauptsächlich die Banken von den Rettungspakten des Bundes. Nutznießer sind auch Versicherungen und andere institutionelle Anleger, die in erheblichem Umfang Kapital bei den Banken angelegt haben.

Gewinner sind jedoch nicht alle Banken. Wie bei anderen Subventionen auch, verschieben sich im Regelfall die Kräfteverhältnisse in einer Branche, da eine Subvention fast immer zu „hoch“ oder zu „niedrig“ ausfällt. Meiner Einschätzung nach hat vor allem die Commerzbank/Dresdner Bank gewonnen. Verlierer sind die Sparkassen und die genossenschaftlichen Volks- und Raiffeisenbanken, deren erfolgreichen, risikoarmen Geschäftsmodelle durch die staatliche Rettung der privaten Konkurrenz nicht in dem Umfange belohnt werden, wie es bei einer ausgelebten Krise (mit Bankpleiten) der Fall gewesen wäre.

Zu den Gewinnern zählen anderseits gerade Institute, die keine Staatsrettung benötigten. Sie gewinnen an Image und bessern relativ ihre Wettbewerbsposition auf, etwa, weil sie sich vergleichsweise günstiger refinanzieren können. Das Kapital ist eben ein „scheues Reh“ und hoch preissensibel. Dieser Faktor schlägt sich zugunsten der Sparkassen sowie der genossenschaftlichen Volks- und Raiffeisenbanken aus. Zu den Siegern, trotz der leichten Staatshilfe bei der Postbank, gehört daher auch die Deutsche Bank, die scheinbar unbehelligt durch die Krise kam.

Konjunkturpaket 1: „Schutzschirm für Arbeitsplätze“

Die Bundesregierung reagierte auf die Krise der sogenannten Realwirtschaft erst zwei Monate nachdem sie das erste Bankenrettungspaket geschnürt hatte. Im November 2008 beschloss die in Berlin regierende Große Koalition ihr erstes „Konjunkturpaket“: 15 Maßnahmen, mit denen die Wirtschaft gestärkt, Arbeitsplätze gesichert und private Haushalte entlastet werden sollten. Unter dem Slogan „Schutzschirm für Arbeitsplätze“ sollten Investitionen und Aufträge in der Größenordnung von rund 50 Milliarden Euro gefördert werden. Die Kosten wurden jedoch nur mit rund 30 Milliarden Euro veranschlagt.

Im Januar 2009 ließ die Bundesregierung mit dem „Pakt für Beschäftigung und Stabilität“ ein zweites Konjunkturpaket folgen. Das Maßnahmenpaket in Höhe von 50 Milliarden Euro, so das Finanzministerium, ziele in 2009 und 2010 darauf ab, Deutschland aus der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise gestärkt und zukunftsfest hervorgehen zu lassen.

Betrachten wir die beiden Pakete im Einzelnen, finden wir einen bunten Strauß an Maßnahmen.

1. „Keine Kfz-Steuer für Neuwagen“

Pkw-Käufer, deren Neuwagen zwischen November und Juni erstmals zugelassen wurde, werden ein Jahr von der Kfz-Steuer befreit. Damit solle „die Kaufzurückhaltung“ der Bürger aufgelöst werden.

2. „Handwerkerleistungen sind besser absetzbar“

Wer Haus oder Wohnung von Handwerkern renovieren lässt, kann bis zu 1.200 Euro von der Steuer absetzen.

3. „Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm wird aufgestockt“

Investitionen in die CO2-Gebäudesanierung werden stärker gefördert. Drei Milliarden Euro zusätzlich fließen in den nächsten zwei Jahren in Programme wie den altersgerechten Umbau von Wohnraum durch die KfW-Bank und die Sanierung von Schulen oder Kindergärten.

4. „Berufsbegleitende Weiterbildung verhindert Entlassungen“

Über die Bundesagentur für Arbeit wird ein Sonderprogramm zur Beschäftigungssicherung und Weiterqualifizierung von älteren und geringqualifizierten Beschäftigten flächendeckend ausgebaut.

5. „Job-to-Job-Vermittlung wird verbessert“

In den Arbeitsagenturen sollen tausend zusätzliche Vermittlerstellen geschaffen werden

6. „Kurzarbeitergeld wird verlängert“

Das Kurzarbeitergeld wird von 12 auf 18 Monate ausgedehnt.

7. „Bessere Infrastruktur in strukturschwachen Kommunen“

Strukturschwache Kommunen bekommen über Programme der KfW-Bank drei Milliarden Euro mehr für Investitionen in die Infrastruktur geliehen, zu günstigen Zinskonditionen.

8. „Verkehrsinvestitionen werden beschleunigt“

Insgesamt zwei Milliarden Euro mehr gibt es für Investitionen in die Schiene, in besseren Lärmschutz, in Instandhaltung und Ausbau der Bundesfernstraßen und Wasserwege. Beschleunigt werden Projekte, bei denen eine öffentlich-private Partnerschaft – etwa beim Straßenbau – wirtschaftlich ist.

9. „Mehr Geld für regionale Wirtschaftsstruktur“

Der Bund stellt den Ländern einmalig 200 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung.

10. „Finanzierung der Wirtschaft wird gesichert“

Die KfW-Bank soll ihr Kreditangebot ausbauen. Das Volumen dieses neuen Instrumentes der KfW beträgt 15 Milliarden Euro. Das Haftungsrisiko der Hausbank, die den Kredit gewährt, kann bis zu 80 Prozent übernommen werden.

11. „Belastungen für Autoindustrie werden begrenzt“

Die Bundesregierung wird auf europäischer Ebene darauf drängen, dass die angestrebte Regelung der CO2-Emissionen von Pkw ab 2012 so ausgestaltet wird, dass die Belastungen für die Automobilindustrie „verkraftbar“ sind.

12. „Entwicklung moderner Fahrzeugtechnologie vorantreiben“

Die Finanzierungsziele der Europäischen Investitionsbank (EIB) sollen auf zehn Milliarden Euro aufgestockt werden. Dadurch soll von der Automobilindustrie schneller moderne Fahrzeugtechnologie entwickelt werden. Selbst Großunternehmen sollen nach Willen der Bundesregierung während der Finanzkrise die Kreditvergabe der EIB stärker in Anspruch nehmen dürfen.

13. „Innovative Unternehmen werden gestärkt“

Die KfW-Bank wird Innovationen, Energieeffizienz und erneuerbare Energien stärker fördern. Für junge Unternehmen wird die KfW ihr Angebot an Beteiligungskapital aufstocken.

14. „Degressive Abschreibungen“

Investitionen werden steuerlich gefördert. Dazu wird für bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens eine degressive Abschreibung ermöglicht.

15. „Neue Sonderabschreibungen“

Kleinere und mittlere Unternehmen können zusätzlich zur degressiven Abschreibung auch Sonderabschreibungen nutzen.

In der Analyse lassen sich drei Bereiche herausarbeiten: Steuersenkungen, Bürgschaften und Investitionen.

Das „Investitionsprogramm für mehr und schnelle Investitionen“ beläuft sich nach Angaben des Bundesfinanzministeriums auf 2,50 Milliarden Euro.[13] Gemessen am nominalen Gesamtvolumen von maximal 50 Milliarden - tatsächlich weisen die Angaben des Ministeriums nur 31,11 Milliarden Euro als Gesamtkosten aus - gibt die Bundesregierung wenig für Investitionen aus.

Insofern ist das „Konjunkturpaket 1“ kein Konjunkturpaket. Ein solches besteht klassisch aus staatlichen Ausgaben.

Noch kleiner fiel der zweite Bereich „Kredit- und Bürgschaftsprogramm für die Unternehmen und Maßnahmen für den Erhalt von Arbeitsplätzen“ aus. Lediglich 0,12 Milliarden Euro sind hierfür vorgesehen. Allerdings wurde dieser Bereich später durch weitere Einzelmaßnahmen erheblich ausgedehnt. Man kann heute noch nicht absehen, in welchem Umfang die Bürgschaftsprogramme von Unternehmen genutzt werden. Das Volumen des Gesamtpakets könnte sich dadurch auf die besagten 50 Milliarden Euro erhöhen, die Kosten würden im günstigen Fall dann aber kaum über die projektierten 31,11 Milliarden Euro hinausgehen.

Den mit Abstand größten Bereich bilden „Steuer- und Abgabensenkungen für Bürger, Entlastungen“. Sie summieren sich auf 28,49 Milliarden Euro. Damit wurde der Binnennachfrage ein erheblicher Push verliehen.

Die 15 Punkte, die von der Politik sicherlich im Nebel des Unwissens verfasst wurden und nicht Ausdruck eines originären strategischen Konzeptes sein können, bedienen viele Interessenten. Aber in diesem Gemischtwarenladen wird nicht jeder gleich gut bedient.

Dort, wo die gesellschaftliche Nachfrage angekurbelt wird, zielt die Förderung auf mittlere und höhere Einkommensgruppen. So wird der Kauf von Neuwagen gesponsert oder die Wohnungsrenovierung durch kommerzielle Handwerker.

Dort, wo die Angebotsseite direkt oder indirekt gefördert wird, konzentriert sich dies auf nur drei Branchen. Zunächst profitieren die (privaten) Banken. Das mag zum Teil der normalen, moderierenden Rolle der Kreditwirtschaft in einer Volkswirtschaft geschuldet sein. Aber es fällt auf, dass alle Bankgeschäfte letztlich von den (privaten) Banken vor Ort abgewickelt werden sollen. Sie werden daran gut verdienen.. Denkbar wäre stattdessen eine direkte Kreditvergabe über die KfW gewesen, oder die regulierte Durchleitung der Kredite über die Banken vor Ort an die Wirtschaft.

Außerdem ist die Automobillastigkeit des Programms augenfällig. Damit wird, obwohl durch die „Abwrackprämie“ die Binnennachfrage angekurbelt wurde, zugleich die bisher typische Exportorientierung der Regierung deutlich: Von den mehr als fünf Millionen Pkw, die jährlich in Deutschland produziert werden, werden über vier Millionen ausgeführt.

In Richtung Exportorientierung weist auch die dritte Branche, die außerordentlich gefördert wird: Verkehr und Logistik. So soll beispielsweise die Y-Trasse Hannover-Bremen/Hamburg der Bahn schneller fertig gestellt werden als bislang vorgesehen. Damit würde die Hinterlandanbindung der Großhäfen in den beiden Hansestädten wesentlich verbessert.

Meine Kernthese: Insgesamt schreibt das Konjunkturpaket 1 die bisherige Struktur des deutschen Kapitalismus fort: eine exportorientierte, finanzmarktgestützte und automobillastige Ökonomie.In die selbe Richtung wies, wie dargestellt, die Bankenrettung: Auch hier wird der Status ex ante fortgeschrieben und nicht etwa eine neue kapitalistische Variante befördert.

Konjunkturpaket 2

Als sich die Wirtschaftskrise weltweit vertiefte, reagierte die schwarz-rote Bundesregierung mit einem weiteren Programm und beschloss im Januar 2009 mit dem „Pakt für Beschäftigung und Stabilität“ das zweite Konjunkturpaket. Auch das Konjunkturpaket 2 setzte vornehmlich auf kurz- und mittelfristige Wirkung in 2009 und 2010, weist aber in seiner Wirkung zeitlich teilweise deutlich darüber hinaus. Darin ähnelt es dem Konjunkturpaket 1. Formal identisch ist ebenfalls die Größe des Pakets mit 50 Milliarden Euro.

Neu sind vor allem die Empfänger der staatlichen Subventionen und neu ist auch eine strategische Zielvorgabe. Das Maßnahmenpaket zielt darauf ab, dass Deutschland aus der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise „gestärkt“ und „zukunftsfest“ hervorgeht.[14]

Das Konjunkturpaket 2 ist in drei „Fächer“ unterteilt, in Maßnahmen mit kurz- und mittelfristiger Wirkung, in solche mit langfristiger Wirkung und in Maßnahmen der Finanzpolitik.

Maßnahmen mit kurz- und mittelfristiger Wirkung

1. Ein Großteil der privaten Haushalte wird entlastet: durch

- die Senkung der Einkommensteuer und die Erhöhung des Grundfreibetrags

- Senkung der Krankenkassenbeiträge;

- einen einmaligen Bonus in Höhe von 100 Euro pro Kind und

- eine Erhöhung der Regelsätze für Kinder von Hartz-IV-Empfängern.

2. Mit einem Kredit- und Bürgschaftsprogramm wird die Wirtschaft unterstützt:

Das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) wird auf Unternehmen mit bis zu 1.000 Beschäftigten ausgeweitet.

Für die Kreditversorgung größerer Unternehmen wird ein KfW-Sonderprogramm aufgelegt.

Die bundesgedeckte Exportfinanzierung wird erweitert.

Zur Ankurbelung des Neuwagenverkaufs erhält jeder, der einen mindestens neun Jahre alten Pkw verschrottet und einen Neuwagen oder einen Jahreswagen kauft, eine so genannte Umweltprämie. Populär wurde diese Maßnahme als „Abwrackprämie“.

Die Kfz-Steuer wird auf einen schadstofforientierten Tarif umgestellt und die Entwicklung von umweltfreundlichen Motoren stärker gefördert.

Breitbandnetze sollen in ländlichen Regionen aufgebaut werden.

3. Für Beschäftigte wird eine „Qualifikationsoffensive“ geplant:

Die Bundesagentur für Arbeit übernimmt mindestens die Hälfte der auf Kurzarbeit entfallenden Sozialbeiträge.

Zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen gibt es für ältere und gering qualifizierte Arbeitnehmer, für Arbeitsuchende, junge Menschen ohne Berufsausbildung und Jugendliche ohne Lehrstelle.

Der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung bleibt bis Ende 2010 bei 2,8 Prozent.

Unternehmen, die in Leiharbeit beschäftigte Arbeitnehmer fest einstellen, erhalten Zuschüsse. Ein Mindestlohn für Leiharbeiter ist geplant.

Die Arbeitsagenturen erhalten 5.000 zusätzliche Vermittlerstellen.

Maßnahmen mit langfristiger Wirkung

1. Als „nachhaltige Zukunftsinvestitionen“ werden vier Milliarden Euro zusätzlich in die Infrastruktur investiert und weitere zehn Milliarden fließen vom Bund für kommunale Investitionsprogramme in Städte und Gemeinden.

2. Mit der „Zukunftsinvestition Bildung“ werden Kindergärten, Schulen und Hochschulen saniert und die Forschung gefördert.

3. Als „Zukunftsinvestition Infrastruktur“ fließen weitere Mittel in den Städtebau, Lärmschutz, Krankenhäuser und andere öffentlicher Gebäude. Darüber hinaus wird vermehrt in den Ausbau und die Erneuerung von Straßen, Schienen und Wasserstraßen investiert.

4. Die „Zukunftsinvestition Klimaschutz“ soll Bildung und Infrastruktur fördern, die Klimaschutz und Energieeffizienz voranbringt.

5. Um eine schnellere Vergabe der den Kommunen zur Verfügung gestellten Finanzmitteln zu ermöglichen, wurde das Vergaberecht für Aufträge vereinfacht.

Maßnahmen in der Finanzpolitik

6. Eine „vorübergehende Neuverschuldung“ wird zur Bekämpfung der Wirtschafts- und Finanzkrise akzeptiert.

7. Die neuen Schulden sollen schnellstmöglich wieder abgebaut werden. In das Gesetz, das den Sonderfonds zur Finanzierung vieler Maßnahmen errichtet, werden deshalb klare Tilgungsregeln aufgenommen.

8. Im Juni 2009 stimmte der Bundesrat einer „Schuldenbremse“ im Grundgesetz zu.

Insgesamt hat das Paket 2 eine andere Füllung als Paket 1, das im strengen Sinne kein Konjunkturprogramm ist. Die Kosten für den Bereich „Kredit- und Bürgschaftsprogramm für die Unternehmen und Maßnahmen für den Erhalt von Arbeitsplätzen“ waren im ersten Paket minimal veranschlagt. Absolut wie relativ wächst die Bedeutung des Bürgschaftsprogramm, das über Garantien die Banken zur Kreditvergabe an Unternehmen animieren will. 8,87 Milliarden Euro sollen in diesen Bereich fließen. Das entspricht einem Anteil von rund 17,8 Prozent, gegenüber 0,4 Prozent im ersten Programm.

Immer noch stattlich, trotzdem aber vergleichsweise kleiner fällt im Paket 2 der Bereich „Steuer- und Abgabensenkungen für Bürger, Entlastungen“ aus. 20,79 Milliarden Euro will sich die Bundesregierung diese Erleichterungen für Bürger kosten lassen. Dies entspricht einem Anteil von 41,6 Prozent, gegenüber 91,6 Prozent der Kosten noch im ersten Programm.

Markant fällt ebenfalls der Unterschied im Bereich „Investitionsprogramm für mehr und schnelle Investitionen“ aus. 20,73 Milliarden Euro gibt der Staat dafür aus, 40,5 Prozent des Pakets 2. Die spätere Aufstockung der „Abwrackprämie“ ist hier unberücksichtigt. Im Paket 1 betrug der investive Anteil nur 8,0 Prozent.[15]

Mein Fazit fällt ähnlich wie zu Paket 1 aus: Es werden viele Interessenten bedient. Insgesamt schreibt auch das Konjunkturpaket 2 die bisherige Struktur des deutschen Kapitalismus fort: eine exportorientierte, finanzmarktgestützte und automobillastige Ökonomie.

Doch auch im zweiten Gemischtwarenladen wird nicht jeder gleich gut bedient. Dort, wo die gesellschaftliche Nachfrage angekurbelt wird, zielt die Förderung oft auf mittlere und höhere Einkommensgruppen. Dort, wo die Angebotsseite direkt oder indirekt gefördert wird, konzentriert sich dies auf nur drei Branchen. So profitieren erneut die (privaten) Banken, und die Automobillastigkeit des Programms 2 ist noch größer als bei 1. Doch kommt hier die überwiegend mittelständische Bauwirtschaft ins Spiel, die besonders gefördert wird. Als Querschnittsindustrie fächert diese Förderung weit auf.

Der Kreis der Gewinner ist daher weit größer. Die Förderung der Bauwirtschaft löst einen Multiplikatoreffekt aus, etwa bei Zulieferbetrieben in der Holzverarbeitung bis „runter“ zu den kommunalen und privaten Waldbesitzern. Auch die zusätzlich ausgelösten Löhne der Beschäftigten stützen die Konjunktur.

Nach gängiger Auffassung der Wirtschaftswissenschaft ist der Multiplikatoreffekt der Automobilindustrie noch stärker. Der Grund ist vor allem die geringe Fertigungstiefe der hochtechnisierten Branche. Daher profitieren von der „Abwrackprämie“ mittelbar auch Maschinenbau, Elektrotechnik oder die Lacke produzierende Chemieindustrie.

Die Zahl der Branchen und Segmente der Volkswirtschaft, die mehr oder weniger stark von den Konjunkturprogrammen nutznießt, ist also weit größer als es auf den ersten Blick erscheint. Und es dürfte der größere Teil der deutschen Volkswirtschaft sein.

Gewiss gibt es auch Verlierer. Beispielsweise kostete die „Abwrackprämie“ Umsätze im Kfz-Handwerk oder im Handel mit gebrauchten Pkw. Langlebige Konsumgüter waren weniger gefragt und auch die Tourismusindustrie dürfte leiden. „Wer ein Auto kauft, verzichtet halt auf neue Möbel“, heißt es am Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) lakonisch.

Strukturkonservatismus

Schneller, größer und eine andere Verteilung (mehr für den privaten Konsum) mögen für die Linke ökonomisch berechtigte Forderungen an die Regierung und ihre Konjunkturprogramme sein. Politisch durchsetzbar waren sie 2008/09 jedenfalls nicht.

Das kommerzielle Institut DIW-Econ hat den Teil der Konjunkturprogramme untersucht, der für öffentliche Investitionen vorgesehen ist.[16] Hier haben wir es mit dem Kern der Pakete zu tun. Das sind über 23 Milliarden Euro, die teilweise über die Länder und Kommunen erst noch in konkrete Aufträge münden sollen. Für 20,6 Milliarden Euro konnte DIW-Econ im September 2009 konkrete Verwendungsaufgaben finden. Dieser Forschungsansatz unterscheidet sich allerdings deutlich von unserem. So wurden sieben „Aktionsfelder“ für öffentliche Investitionen abgebildet, die das langfristige Wachstumspotential erhöhen können, von der Bildung bis zum Energiesparen.

Gemessen am von den Autoren im europäischen Vergleich festgelegten gesellschaftlichen Bedarf ergibt sich eine Fehlausrichtung: Zu wenig wird in Informationsgesellschaft, IKT-Infrastruktur und Gesundheit investiert, zu viel in Energieeffizienz, Klimaschutz und Basis-Infrastruktur. Trotz des gänzlich anderen Ansatzes gelangt das Tochterunternehmen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zu einem auch für uns interessantem Ergebnis: Nur ein geringer Teil des Geldes fließt danach tatsächlich in „Zukunftsinvestitionen“.

„Insgesamt ergibt diese Analyse ein ernüchterndes Bild“, schreiben die Autoren. Ein Aktionsfeld, in dem dieses negative Ergebnis besonders deutlich ausfällt, sei die Bildung. Lediglich 8 Prozent der Mittel werden in Bildungsinhalte investiert, während 92 Prozent für Erhaltung und Sanierung der Bausubstanz von Bildungseinrichtungen vorgesehen sind. „Damit bleibt einerseits die Möglichkeit ungenutzt, die Qualität des deutschen Bildungssystems durch gezielte Investitionen nachhaltig zu verbessern. Andererseits kann so zumindest zeitweise verschleiert werden, dass es offensichtlich erhebliche strukturelle Finanzierungsprobleme in der Instandhaltung von Bildungseinrichtungen gibt.“ Während die schlimmsten Folgen nun im Rahmen der Konjunkturpakete ausgebessert werden könnten, blieben die dahinter liegenden Probleme ungelöst und würden nicht weiter thematisiert.[17]

Nun scheint diese These sehr zugespitzt. Schließlich kann auch die Renovierung eines Schulgebäudes für bessere Lernergebnisse sorgen. Für uns ist hier wichtiger, dass die Studie die hier konstatierte konservative Ausrichtung der Konjunkturpakete bestätigt.

Ziehen wir unsere Schlüsse aus dem Beschriebenen. Die Bankenrettungs- und Konjunkturprogramme schaffen keinen „neuen“ Kapitalismus, sondern schreiben den „alten“ fort. Für diesen Strukturkonservatismus gibt es, wie beschrieben, eine Reihe von Gründen.

Die Zeit, die zur Verfügung stand, war für eine Neuorientierung, die über Ansätze hinausgeht, zu kurz. Das gilt sowohl für die politischen, wie auch für die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteure. Insofern wurden alte (Lobby-) Strukturen fortgeschrieben.

Die Neuartigkeit der Situation und auch das gewissermaßen historische Überraschungsmoment sorgten für einen unübersehbaren Wildwuchs in Berlin. Eigentlich möchte man an mancher Stelle von Chaos schreiben. Rettungsaktionen erfolgten in kurzem Stakkato.

Auch der vorhandene gesetzliche Rahmen begrenzte den Handlungsspielraum der Politik. Dies gilt beispielsweise für die Mittel, die den Kommunen zur Verfügung gestellt wurden.

Mögen die fiskalischen Impulse auch zu spät und in zu geringem Umfange erfolgt sein, um der Krise ausreichend antizyklisch zu begegnen. Mögen zudem stärkere Impulse für die Nachfrage wünschenswert gewesen sei: Trotzdem addieren sich die Maßnahmen insgesamt zu - nicht allein für deutsche Verhältnisse – ungewöhnlich starken antizyklischen Impulsen in den Jahren 2009 und 2010. Dadurch wird sich jedoch nicht der Branchenmix grundlegend ändern oder die Struktur der bundesdeutschen Volkswirtschaft einen wesentlich anderen Charakter annehmen. Die Bankenrettungs- und Konjunkturprogramme schaffen keinen „neuen“ Kapitalismus, sondern schreiben den „alten“ fort.

[1] Pressemitteilung des Bundesministeriums der Finanzen vom 11.09.2009.

[2] DIW-Econ, Richtig investieren II, Nachfolgestudie zur Verwendung der Mittel aus den Konjunkturpaketen, Berlin, September 2009.

[3] Monatsbericht, August 2009, S. 79.

[4] Pressemitteilung des Bundesministeriums der Finanzen vom 10. Oktober 2008.

[5] BIZ-Quartalsbericht, Dezember 2008, S. 22-29.

[6] DB Research, Europäische Konjunkturprogramme: Strukturwandel und Investitionen im Visier, 1. April 2009, Internet.

[7] Coface Deutschland AG, Handbuch Länderrisiken 2009, Mainz 2009, S. 23-28.

[8] Bundesministerium der Finanzen, Themenschwerpunkt Finanzmarktkrise, September 2009, www.bundesfinanzministerium.de

[9] Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (Soffin), Mail vom 23. September 2009.

[10] Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH, Pressemitteilung 21/09 vom 24. September 2009.

[11] Handelsblatt vom 16. September 2009.

[12] Ebenda.

[13] Mail des Bundesfinanzministeriums vom 28. September 2009.

[14] Siehe Anm. 8.

[15] Siehe Anm. 13. Eigenberechnungen.

[16] DIW-Econ, Richtig investieren II, Nachfolgestudie zur Verwendung der Mittel aus den Konjunkturpaketen, Berlin September 2009.

[17] Ebenda, S. 50/51.

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