Diese Krise wird schmerzhaft

Vorabveröffentlichung: Kommentar aus Z 140 (Dezemberheft)

24.11.2024
von Tanja Brodersen

Deutschland trägt die rote Laterne. Die Wirtschaft verzeichnet die geringsten Wachstumsraten innerhalb der G7. Nach einem Wirtschaftseinbruch von 0,3 Prozent in 2023 bahnt sich auch in diesem Jahr eine Rezession an. Deutschland wird voraussichtlich bis zum Jahresende 0,2 Prozent weniger Dienstleistungen und Waren produzieren als im Jahr zuvor. Soweit hat sich die Erkenntnis sogar bei Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mittlerweile durchgesetzt. Im Frühjahr war er noch von einem zarten Wachstum von 0,3 Prozent ausgegangen.

Doch eine konsistente wirtschaftspolitische Strategie gegen die Krise kann er nicht vorweisen. So viel sei Habeck schon verraten: Diese Rezession wird schmerzhaft. Denn erstens hat Deutschland über Jahrzehnte Probleme angehäuft. Für die Instandsetzung der Infrastruktur müssen in den nächsten Jahren Schätzungen zufolge 600 Milliarden Euro (Institut der deutschen Wirtschaft) mobilisiert werden. Doch mit der Schuldenbremse hat sich die Bundesregierung ein Zwangskorsett verpasst, das die dringende Restaurierung der Infrastruktur unmöglich macht. Der Einsturz der Carola-Brücke in Dresden zeigte zuletzt, wie marode Deutschland mittlerweile ist.

Über den Sparwahn der Deutschen schütteln nicht nur progressive Ökonomen den Kopf. Selbst beim Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington wird über Finanzminister Christian Lindner gespottet. Während einer Tagung über die Ursachen der globalen Wirtschaftskrise wählten die Ökonomen für ihren Vortrag ausgerechnet ein Bild der Berliner Friedrichstraße. Bundesfinanzminister Christian Lindner, der in der ersten Reihe saß, machte zwar gute Miene zum bösen Spiel. Innerlich soll er aber gekocht haben, berichtete Bloomberg aus Lindners Umfeld.

Der IWF warnt, dass die staatlichen Minderausgaben die Produktivität des Landes hemmen. Deutschland liege bei den öffentlichen Investitionen im unteren Bereich der Industrieländer. »Geld, das für Investitionen budgetiert ist, wird regelmäßig nicht ausreichend ausgegeben, oft aufgrund von Personalmangel in den Kommunen.«

Doch nicht nur zerbröselnde Brücken, verspätete Züge und einstürzende Schulgebäude werfen Deutschland zurück. Neben der langfristigen Malaise kam die Ampel-Regierung auch noch auf die glorreiche Idee, der deutschen Wirtschaft ihren wertvollsten Wettbewerbsvorteil zu rauben. Nach dem Einmarsch der russischen Trup- pen am 24. Februar 2022 in der Ukraine entschloss sich die Bundesregie- rung, kein russisches Pipeline-Gas und -Öl mehr zu beziehen. Stattdessen hat sich Deutschland verpflichtet, langfristig teures Flüssigerdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) aus den USA und den Golfmonarchien zu importieren. Quittung sind Energiepreise, die unter den G7 ihresgleichen suchen.

Der Krieg in der Ukraine hat auch das transatlantische Verhältnis verändert. Die USA sind zum weltgrößten Energieexporteur aufgestiegen. Die EU und Deutschland im Besonderen fallen zurück. Eine Entwicklung, die seit der Großen Finanzkrise von 2008 und der Eurokrise an Fahrt aufgenommen hat. Der Think Tank European Council on Foreign Relations (ECFR) verweist in einer Analyse darauf, dass die USA der EU in den letzten 15 Jahren ökonomisch regelrecht davongezogen sind. Im Jahr 2008 war die Wirtschaft der EU noch etwas größer als die der Vereinigten Staaten: 16,2 Billionen US-Dollar gegenüber 14,7 Billionen. Im Jahr 2022 war die amerikanische Wirtschaft um fast ein Drittel größer – rechnet man Großbritannien heraus, sogar mehr als 50 Prozent. Die Schere geht weiter auseinander.

Wegen der zunehmend schlechteren Produktionsbedingungen haben alteingesessene Unternehmen wie BASF angekündigt, Standorte ins Ausland zu verlagern. Der Chemiekonzern Covestro droht, aus Abu Dhabi übernommen zu werden, die Commerzbank wird wohl von der italienischen Unicredit geschluckt. Selbst VW, das Herz der deutschen Industrie, hat mitgeteilt, Werkschließungen in Deutschland in Betracht zu ziehen.

»Die harten Daten zur Industrieproduktion deuten darauf hin, dass die deutsche Industrie den stärksten Abschwung in der Geschichte der Bundesrepublik erlebt«, schreibt Robin Winkler, Chefvolkswirt der Konjunkturabteilung Deutsche Bank Research. Die jüngste Entwicklung der Industrieproduktion sei historisch präzedenzlos. Zwar sei der aktuelle Abschwung weniger stark als die Rezessionen nach der Finanzkrise 2008 und der Corona-Pandemie 2020. »Dennoch ist der aktuelle Einbruch tiefer und länger als die großen Strukturkrisen des 20. Jahrhunderts«, schreibt Winkler.

»Während der Abschwung Anfang der 1990er-Jahre eine Besonderheit darstellte, da die ostdeutsche Industrie nach der Wiedervereinigung dem Wettbewerbsdruck erlag, wies der Abschwung Anfang der 1980er-Jahre deutliche Parallelen zu heute auf: Ein starker Energieschock und der zunehmende globale Wettbewerb stellten die deutsche Schwerindustrie vor existenzielle Herausforderungen.« Doch droht die Krise dieses Mal schlimmer zu werden. In den 1980ern sei der Wirtschaftseinbruch milder ausgefallen: 1982 habe die Industrieproduktion nach drei Jahren nur noch zehn bis 15 Prozent unter dem Höchststand gelegen. Davon sei unter der Wirtschaftspolitik der Ampelregierung nicht auszugehen.

Unternehmensverbände versuchen, aus der Rezession Kapital zu schlagen. Längst ist jene Legende von Deutschland als dem kranken Mann Europas zurück, die Anfang der 2000er Jahre die Wirtschaftspresse dominierte. Zwei Rezessionsjahre in Folge gab es für die deutsche Wirtschaft zuletzt 2002 und 2003. Als Reaktion führte die damals regierende rot-grüne Regierung die Agenda 2010 ein. Die Arbeiterklasse hat sich davon bis heute nicht erholt.