Gewerkschaften und Friedensfrage

Kommentar aus: Z 138 (Juniheft); Eingestellt am 05.06.2024

05.06.2024
von Norbert Heckl

Die Friedensfrage ist ein »hochemotionales, aber auch schwieriges Thema«, so die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi bei einer Videokonferenz im Februar des Jahres. Dabei verstehen sich die Gewerkschaften jedoch weiterhin als fester Teil der Friedensbewegung.

Die Kongresse von IG Metall und ver.di im vergangenen Herbst haben die gleiche Aussage getroffen. Nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs und der daraufhin ausgerufenen »Zeitenwende« war und ist das nicht selbstverständlich. Bei der medialen Überflutung mit Geschrei nach Waffen, Aufrüstung und Abschreckung, bei der öffentlichen Verächtlichmachung der Friedensbewegung sollten wir diese klare Positionierung nicht unterschätzen!

Gleichzeitig wollten sich die Gewerkschaften öffentlich und aktiv in die »sicherheitspolitische Diskussion« einschalten. Im Aufruf zum Anti-kriegstag 2023 wird »vor der einseitigen Fixierung der Debatte auf Waffenlieferungen« und einem »Denken in den Kategorien Sieg oder Niederlage« gewarnt und die Bundesregierung zu diplomatischen Anstrengungen aufgefordert. Ähnliches war zu lesen im DGB-Aufruf zu den Ostermärschen. Hans-Jürgen Urban vom Vorstand der IG Metall erklärte in der »Zeitung gegen den Krieg«: »Mit einem neuen konventionellen und atomaren Rüstungswettlauf, der für Kriegsgerät verschlingt, was für einen gerechten Frieden gebraucht wird, ist der Friede im 21. Jahrhundert nicht zu sichern.

Für diesen Frieden gilt es auch heute zu streiten.« Dabei wurden in den Aufrufen der Friedensbewegungen vor Ort zu den Kundgebungen Positionen vertreten, die nicht mit der Beschlusslage der Gewerkschaften übereinstimmen, beispielsweise eine eindeutige Ablehnung der Waffenlieferungen an die Ukraine. Gewerkschaftsvertreter/ innen sprachen auf verschiedenen Kundgebungen, in Stuttgart beispielsweise die stellvertretende ver.di-Landesleiterin.

Das ist aber leider auch die einzige Form, in der sich die Gewerkschaftsvorstände in die öffentliche Diskussion um »Kriegstüchtigkeit«, um eine neue Sicherheitsstruktur in Europa und der Welt einbringen. Es sei denn, wir werten das unsägliche gemeinsame Papier von SPD(!)-Wirtschaftsforum, dem »Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie« und der IG Metall als ein Einmischen in diese Diskussion – was es in gewisser Weise aber auch ist. Die Ironie ist dabei: dieses Vorgehen, offenbar maßgeblich betrieben vom 2. Vorsitzenden Kerner, regt die Diskussion in der IG Metall an, nach dem diese Diskussion auf dem Gewerkschaftstag nur recht kurz war (im Gegensatz zu einer etwa sechsstündigen Diskussion beim ver.di-Kongress).

Viele Gewerkschaftsmitglieder sind unzufrieden mit dem fehlenden öffentlichen Eingreifen in die Diskussion um »Sicherheitsfragen«, und so fordern z.B. einige Tausend Mitglieder von ihren Vorständen in einem Offenen Brief, sich »unüberhörbar für Friedensfähigkeit statt Kriegstüchtigkeit« einzusetzen: »Wir fordern unsere Gewerkschaften und ihre Vorstände auf, den Beschlüssen und ihrer Verantwortung gerecht zu werden! Die Gewerkschaften müssen sich laut und entschieden zu Wort melden und ihre Kraft wirksam machen: gegen Kriege und gegen Aufrüstung!« Verschiedene ver.di-Bezirksvorstände haben ähnlich Aufforderungen an ihren Bundesvorstand geschickt.

Auch in den Gewerkschaftspublikationen für ihre Mitglieder findet das Thema nicht statt, allenfalls in wenigen Leserbriefen. Stattdessen gibt es in der ver.di publik eine ständige Kolumne einer ukrainischen Journalistin (»update Ukraine«), die ihren Artikel in Heft 1/2024 mit „Ein Krieg für Jahrzehnte“ überschrieb, und immer wieder einen Sieg über Russland propagiert – Begriffe wie »Waffenstillstand«, »Friedensgespräche«, »Verhandlungen« kennt sie offenbar nicht.

Natürlich gibt es Gegenwind, wenn sich die Gewerkschaften öffentlich positionieren – nicht nur in der politischen und medialen Öffentlichkeit, sondern auch von Mitgliedern. Nicht alle lehnen das 100 Mrd.-Aufrüstungsprogramm oder die Festlegung von Rüstungsausgaben auf 2% des BIP ab, wie es die Gewerkschaftstage – auch des DGB – beschlossen haben. Und auch die Ansicht, dass es nicht um »Sieg« oder »Niederlage« der Ukraine gehen darf, sondern um einen möglichst schnellen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen, um mehr Diplomatie, löst bei manchen heftigen Widerspruch aus. Aber diese Diskussionen müssen geführt werden: Wie können die Gewerkschaften Verhandlungsmöglichkeiten unterstützen? Wie soll es weitergehen, wenn der Krieg irgendwann beendet sein wird? Eine bis an die Zähne bewaffnete NATO als Abschreckungsmacht »gegen Putin«? Oder eine Europäische Friedensordnung unter Einschluss von Russland, wie es in den 1980er Jahren von sozialdemokratischen Politikern wie Olof Palme und Bruno Kreisky propagiert wurde? »Frieden schaffen mit immer mehr Waffen« – kann das der Weg sein? Und müssen wir nicht nur über eine europäische, sondern auch über eine weltweite Friedensordnung sprechen – nicht zuletzt angesichts des verbrecherischen Kriegs von Israel gegen Gaza, aber auch angesichts anderer weltweiter Kriegs- und Krisenherde? Was haben bundesdeutsche Fregatten im Südchinesischen Meer zu suchen?

Wenn Clemens Fuest, der Präsident des ifo-Instituts, sagt, dass die Alternative Kanonen oder Butter heißt, dann dürfen die Gewerkschaften – im Interesse ihrer Mitglieder, der arbeitenden Bevölkerung – dazu nicht schweigen. Dass die Aufrüstungspolitik zu Sozialabbau führt, lässt sich nicht verdrängen durch den Hinweis, es könnte ja beides gehen, wenn die Schuldenbremse aufgehoben würde… Und auch im Hinblick auf die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst im kommenden Jahr muss diese Verbindung hergestellt werden.

Wenn die Gewerkschaften als gesellschaftlicher und politischer Faktor Ernst genommen werden wollen, müssen diese Themen angepackt werden. Und nicht nur auf unteren Ebenen wie bei der Gewerkschaftlichen Friedenskonferenz von Rosa-Luxemburg-Stiftung und ver.di-Bezirk Stuttgart am 14./15. Juni im Stuttgarter Willi-Bleicher-(Gewerkschafts-)haus!