Buchbesprechungen

Gewerkschaftsmacht und Autoritarismus

Ulrike Eifler: Gewerkschaftliche Machtressourcen zwischen Autoritarismus und Aufbruch. Globaler Protestzyklus und Globalisierung des Autoritarismus, Westfälisches Dampfboot, Münster 2023, S. 327, 30,- Euro

von Gerd Wiegel
März 2024

Autoritäre Tendenzen kennzeichnen die internationale Politik seit 2016 in einem deutlich sichtbaren Maße. Die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA, der Brexit oder der Sieg Jair Bolsonaros bei den Präsidentschaftswahlen in Brasilien waren Ausdruck dieses Aufwärtstrends des Autoritarismus. Jedoch lässt sich der Autoritarismus nicht auf den Aufstieg einer extremen Rechten eingrenzen, sondern ist politisch älter und weiter gefasst. Letztlich, so eine zentrale These der hier vorgestellten Studie von Ulrike Eifler, ist er Ausdruck der globalen Krise des Kapitalismus, wie sie sich mit der Erschöpfung des neoliberalen Pfades zeigt und immer verbunden ist mit Angriffen auf die Lohnabhängigenmacht, womit die Gewerkschaften ins Zentrum der Auseinandersetzung rücken.

In zwei einleitenden theoretischen Kapiteln und sieben Länderstudien untersucht die Autorin, selbst langjährige und erfahrene Gewerkschafterin, den Umgang von Gewerkschaften mit den autoritären Tendenzen. Diese leitet sie aus ökonomischen Krisentendenzen des Kapitalismus ab, die sie mit Rückgriff auf Poulantzas als autoritären Etatismus beschreibt, der sich vor allem durch eine Intensivierung des Klassenkonfliktes, eine Machtverschiebung zur Exekutive, eine Verschmelzung von Staatsgewalten, den Funktionsverlust der Parteien und eine Verlagerung politischer Prozesse in parallele Netzwerke und Institutionen auszeichnet (24). Schon die Beschreibung verdeutlich, dass diese Form des Autoritarismus auch formal demokratische Staaten kennzeichnet und sich mit Formen eines autoritären Populismus verbindet. Dessen Aufstieg hänge mit dem Überschreiten der expansiven Wachstumsphase der Globalisierung zusammen, lasse sich nicht innerhalb der ihr zugrundeliegenden widersprüchlichen Logik lösen und führe zu autoritären Reaktionen, wie sie sich im Ausbau des repressiven Staatsapparates und der Verschiebung des politischen Diskurses zeige (29).

Gleichzeitig mit diesen Krisentendenzen lasse sich ein globaler Protestzyklus beobachten, der ausgehend vom arabischen Frühling über Griechenland (Syriza), die Türkei bis zu Protesten in Hongkong, Indien, Chile oder den USA reiche. Die durch die krisenhafte Entwicklung des globalen Kapitalismus induzierte ökonomische Dimension dieser Proteste bringe immer auch die Gewerkschaften ins Spiel, die zwar selten bis nie Auslöser der Proteste waren, in der Folge aber häufig eine zentrale Rolle spielten. »Wie verändert sich Gewerkschaftsmacht oder -ohnmacht unter den Bedingungen eines wachsenden Autoritarismus?« (18), das ist die leitende Frage von Eifler, der sie in den Länderstudien nachgeht. Dabei definiert sie Gewerkschaftsmacht anhand des Machtressourcen-Modells, wie es in Jena von Klaus Dörre und Stefan Schmalz entwickelt wurde. Gewerkschaftliche Handlungsmacht wird hier nach vier Machtressourcen unterschieden: »Die strukturelle Macht als Fähigkeit, den Kapitalverwertungsprozess zu stören; die Organisationsmacht durch die Stärkung gewerkschaftlicher Organisierung; die gesellschaftliche Macht als Fähigkeit, mit Bündnissen und Bewegungen zu kooperieren und die institutionelle Macht, die auf eine Sicherung und Stabilisierung von Einfluss in institutionellen Arrangements abzielt.« (58 f.)

Die sieben ausführlichen Länderstudien, an denen Eifler diese Machtressourcen unter den Bedingungen autoritärer Entwicklung untersucht, beziehen sich auf Griechenland, Ungarn, die USA, Chile, Tunesien, China und Südkorea, mithin auf sehr unterschiedliche politisch und ökonomisch verfasste Staaten, in denen sich in Teilen völlig unterschiedliche Varianten des Autoritarismus herausgebildet oder zumindest zeitweise etabliert haben. Eifler nimmt dabei längere Entwicklungsetappen der einzelnen Länder in den Blick und beschränkt sich nicht auf Momentaufnahmen.

So spielt für Griechenland natürlich die gesamte Entwicklung seit der Finanzmarktkrise bis zum Diktat der sogenannten Troika eine wichtige Rolle. Die systematische Eingrenzung gewerkschaftlicher Gegenmacht war für die Durchsetzung dieses Diktats von entscheidender Bedeutung. Im griechischen Fall wurde dabei der nationale Handlungsrahmen der Gewerkschaften durch eine weitgehende Ausschaltung der nationalen Arena zugunsten der europäischen Institutionen gestört (90). So konnten traditionelle Stärken gewerkschaftlicher Politik, wie z. B. die hohe Tarifbindung, gezielt von den Gläubigerinstitutionen ins Visier genommen werden.

Mit dem Machtressourcen-Ansatz hat Eifler die Möglichkeit, einen differenzierten Blick auf die Handlungsmacht von Gewerkschaften zu werfen, und hier zeigt sich, dass diese auch unter autoritären Bedingungen vorhanden ist. Deutlich wird das bei der Schilderung der Entwicklung in Tunesien, wo dem Aufbruch während des arabischen Frühlings eine autoritäre Phase vorausging und folgte, in denen die Gewerkschaften jedoch weiterhin als handlungsfähiger Akteur in Erscheinung traten. Im Fall der tunesischen UGTT führt Eifler das auf die politische Verankerung der Gewerkschaft zurück, mit der sie sich nicht nur als betrieblicher, sondern auch als gesellschaftlicher Akteur etabliert habe und die ihr eine hohe gesellschaftliche Machtressource verleiht. Diese hohe gesellschaftliche Macht schlägt sich auch in institutionellen Festschreibungen nieder, die in autoritären Phasen nicht ohne größere gesellschaftliche Konflikte beseitigt werden können.

Ulrike Eiflers Analyse gewerkschaftlicher Handlungsmacht im Rahmen eines globalisierten Autoritarismus gewährt tiefe Einblicke in ganz unterschiedliche Ausformungen dieses Autoritarismus und verdeutlicht, dass gewerkschaftliche Gegenmacht niemals gänzlich zum Stillstand gebracht werden kann, jedoch stark von den spezifischen Bedingungen und der gesellschaftlichen Verankerung abhängt.

Ein bilanzierendes Fazit wäre sicherlich hilfreich gewesen, um die heterogenen Beispiele und den Blick auf die vier genannten Machtressourcen für die Leserinnen und Leser zu systematisieren. Auch merkt man der Arbeit ihre Entstehungszeit während der Corona-Pandemie an, liegt ihr doch implizit die These zugrunde, dass die im Zuge der Pandemie ergriffenen Maßnahmen einen weiteren Autoritarisierungsschub mit sich gebracht hätten. Das müsste jedoch im Einzelnen belegt werden. Eiflers Behauptung, der Zusammenhang von Neoliberalismus und Autoritarismus ließe sich auch am Umgang mit der Pandemie verdeutlichen, denn die strengsten Regeln wären in den Ländern erlassen worden, in denen »die neoliberale Austeritätspolitik in den letzten Jahren am stärksten umgesetzt worden war« (43), lässt mit Blick etwa auf Großbritannien und die USA Zweifel aufkommen.

Das ändert jedoch nichts am positiven Gesamteindruck einer aufschlussreichen und für die Möglichkeiten gewerkschaftlicher Gegenmacht in Zeiten eines zunehmenden Autoritarismus wegweisenden Studie.