„Feministische Außenpolitik"

Eingestellt, 11.5.23

11.05.2023

2014 stellte die damalige schwedische Außenministerin Margot Wallström das erste Konzept für eine sogenannte „feminist“ foreign policy (FFP) vor. Mit der neuen Regierung verabschiedete sich der aktuelle Außenminister Tobias Billström im Jahr 2022 wieder davon. Doch in der Zwischenzeit übernahmen zahlreiche weitere Staaten eine „feministische“ Außenpolitik mit unterschiedlichen Konzepten oder kündigten eine solche Absicht an: Auf Schweden (2014) folgten Kanada (2017), Frankreich (2019), Mexiko (2020), Spanien (2021), Luxemburg (2021), Chile (2022), Kolumbien (2022) und Liberia (2022).1

Im März 2023 veröffentlichte das Auswärtige Amt (AA) seine Leitlinien für eine FFP. Diese übernehmen das Drei-„R“-Konzept von Wallström: Rechte, Repräsentanz und Ressourcen stehen dabei im Zentrum. Zu den Rechten heißt es: „Wir setzen uns dafür ein, dass die Rechte von Frauen und Mädchen weltweit geachtet und gefördert werden“.2 Bei Repräsentanz geht es um die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen in allen Gesellschaftsbereichen, u.a. durch mehr Frauen und marginalisierte Gruppen in der Außenpolitik. Und zu guter Letzt sollen Frauen und marginalisierte Gruppen den gleichen Zugang zu finanziellen, personellen und natürlichen Ressourcen und auch immateriellen Ressourcen haben. Was progressiv klingt, ist eine verschleiernde Legitimationsstrategie der imperialistischen Außenpolitik der BRD. Es ist zynisch, dass das AA in überheblicher und kolonialer Manier die Rechtsrahmen anderer Staaten hinsichtlich der Rechte von Frauen und marginalisierten Gruppen beeinflussen will. Gleichzeitig fördert es schließlich auch das tödliche EU-Grenzregime, durch das Frauen während ihrer kriminalisierten Migration in die EU sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind (u.a. in EU-finanzierten Folterlagern in Libyen), in die Zwangsprostitution getrieben werden und ihr Leben beispielsweise auf der Überfahrt übers Mittelmeer riskieren. Das AA besitzt die Dreistigkeit, zu behaupten, sich für einen gleichberechtigten Zugang zu Ressourcen einsetzen zu wollen, während es asymmetrische Handelsverträge abschließt und Extraktivismus im Globalen Süden vorantreibt.

Diese oberflächliche, liberale und imperiale Form von Feminismus versucht Frauen an die Spitze der Strukturen von Unterdrückung zu stellen, anstatt für die Abschaffung dieser Strukturen zu plädieren.

Entsprechend militaristisch sind die Leitlinien des AA: Gleich auf den ersten Seiten heißt es, eine „feministische Außenpolitik“ sei nicht gleichbedeutend mit Pazifismus, denn Russlands Krieg in der Ukraine zeige, dass Menschenleben auch mit militärischen Mitteln geschützt werden müssten. Zwar heißt es in den Leitlinien, „Wir kämpfen gegen sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt in bewaffneten Konflikten.“ Damit lehnen aber die Leitlinien nicht Krieg ab, sondern wollen ihn ‚gender friendly’ machen. In der Debatte um bewaffnete Drohnen und autonome Waffen, schreibt die antimilitaristische Aktivistin und Autorin Ray Acheson, wird das Argument verwendet, Roboter würden nicht vergewaltigen. Doch „autonome Waffensysteme können die Schwelle für die Anwendung von Gewalt herabsetzen, was dazu führt, dass immer mehr Gemeinschaften in Situationen geraten, in denen sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt in der gesamten Gesellschaft zunehmen dürfte“.3 Weiter wird in den Leitlinien behauptet: „Wir stärken die humanitäre Rüstungskontrolle und treten für eine sichere Welt ohne Atomwaffen ein.“ Doch faktisch ist die Bundesregierung bislang nicht dem UN-Atomwaffenverbotsvertrag beigetreten, akzeptiert weiterhin die Stationierung und bevorstehende Modernisierung von US-amerikanischen Atomwaffen in Büchel und beschafft nun F35-Kampfjets für die Bundeswehr, die auch Atomsprengköpfe transportieren und abwerfen können. Zudem liefert die BRD Waffen an Kriegsparteien, wie z.B. die Ukraine oder Saudi-Arabien4, und sorgt damit für eine Verlängerung der Kriegshandlungen. Im Jahr 2022 brach die Bundesregierung militaristische Rekorde: Mit dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr schuf die Bundesregierung das größte Aufrüstungspaket und erzielte den zweithöchsten Wert an Rüstungsexporten in der Geschichte der BRD.5 Militarismus fördert die Idee der Dominanz durch Gewalt und kann somit nicht feministisch sein, denn Feminismus lehnt Gewalt zur Durchsetzung sozialer Kontrolle ab. Zudem verschlimmert die Aufrüstungswelle die größten Probleme unserer Zeit: die Klimakrise, das Massenartensterben und die Gefahr eines Atomkrieges. Immer wieder versuchen Unternehmen und Politiker*innen, die Brutalität des Kapitalismus und der Kriege durch die Verwendung progressiver Sprache zu verschleiern, um deren emanzipatorisches Potenzial zu untergraben und für sich zu nutzen. So setzte sich die Kolonialmacht Frankreich mit „Entschleierungskampagnen“ in Algerien für die „Emanzipation“ der algerischen Frauen ein oder die britische Kolonialmacht kritisierte die Witwenverbrennung in Indien. Gayatri Chakravorty Spivak hebt das zugrunde liegende koloniale Denkmuster mit der pointierten Beschreibung „weiße Männer retten braune Frauen vor braunen Männern“6 hervor. Auch der Krieg in Afghanistan „diente“ der „Befreiung“ der afghanischen Frauen. Bis heute instrumentalisiert die Bundesregierung die Rechte der Frauen in Afghanistan und gefährdet sie. Nachdem die Taliban Ende 2022 verkündeten, Frauen nur noch sehr eingeschränkt für NGOs arbeiten zu lassen, plante Außenministerin Baerbock, die Hilfen im Bereich der Ernährungssicherheit für Afghanistan zu kürzen. Treffend fasst die Sozialwissenschaftlerin Jasamin Ulfat-Seddiqzai in einem Kommentar zur FFP zusammen: „Frauen und Kinder hungern zu lassen, um den Taliban Feminismus beizubringen, ist aber nicht feministisch, sondern schlicht und ergreifend unmenschlich.“7 Wichtig bleibt für die sozialen, emanzipatorischen Bewegungen, nicht auf die progressive Sprache des Auswärtigen Amtes reinzufallen, sondern an den grundlegenden Ideen des Feminismus und damit zusammenhängend des Antimilitarismus festzuhalten und die Instrumentalisierung von Frauenrechten und marginalisierter Gruppen anzuklagen. Feminismus heißt Antimilitarismus.

1 Feminist foreign policies: An introduction, unwomen.org, September 2022.

2 Auswärtiges Amt: Feministische Außenpolitik gestalten. Leitlinien des Auswärtigen Amts, auswaertiges-amt.de, Februar 2023.

3 Ray Acheson: Autonomous Weapons and Gender Based Violence, Women’s International League for Peace and Freedom with support from the Campaign to Stop Killer Robots, automatedresearch.org, 2020. Eigene Übersetzung.

4 Deutschland genehmigt deutlich mehr Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien, zeit.de, 19.3.2023.

5 Rüstungsexporte 2022 bei 8,35 Milliarden Euro, zdf.de, 27.12.2022.

6 Gayatri Chakravorty Spivak: “Can the Subaltern Speak?” in: Cary Nelson und Lawrence Grossberg (Hrsg.): Marxism and the Interpretation of Culture, Basingstoke: Macmillan, S. 271–313. 1988.

7 Jasamin Ulfat-Seddiqzai: Kommentar zur Feministischen Außenpolitik, Leitlinien ohne notwendigen Kurswechsel, Online: deutschlandfunkkultur.de, 6.3.2023.