Diejenigen, die schon seit Jahrzehnten in der Friedensbewegung aktiv sind, haben persönliche Angriffe, Beschimpfungen und Drohungen für ihr Friedensengagement erleben müssen. Von den „Drückebergern“ gegen die Remilitarisierung, den Anfeindungen in den 50er und 60er Jahren bei den Ostermärschen gegen die atomare Bewaffnung und dem ständigen „Geht doch rüber!“ bis Ende der 80er Jahre könnten wir berichten. Aber seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 wird der Pazifismus so massiv diffamiert wie niemals in den Jahren zuvor.
Eine grenzenlose Militarisierung nach innen und außen setzte ein. Graf von Lambsdorff hat uns zu Ostern als „fünfte Kolonne Wladimir Putins“ bezeichnet. Er – wie viele andere aus CDU, Grünen, FDP und auch der SPD – wollte uns Ostermarschierer zu einem militärischen Siegfrieden gegenüber Russland verpflichten. Von „Lumpenpazifisten“ und „wohlstandsverwöhnten Angsthasen“ war die Rede. Zur mentalen Überwindung der Niederlage des deutschen Faschismus sollten Militär und Krieg wieder zur alten Größe zurückfinden. Das trommeln die Leitmedien – mit wenigen Ausnahmen – seither jeden Tag. Auch die finanzpolitische Anpassung an diesen Politikauftrag mit immer neuen Waffenlieferungen, der Aufstockung des Militärhaushaltes und einem 100-Milliarden Sonderfonds erfolgte im Tagesrhythmus.
Die erfolgreiche Politik von Entspannung, friedlicher Koexistenz und gemeinsamer Sicherheit soll endlich überwunden werden. Die Erinnerung an eine sozial und ökonomisch erfolgreiche Politik soll endgültig entsorgt werden. Der diplomatische und kulturelle Austausch soll durch Boykott und Wirtschaftskrieg beendet werden. Eine Renaissance der deutschen Führungsrolle in der globalen Politik wird wieder angestrebt.
Auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen soll Pazifismus überwunden werden. In kirchlichen Kreisen wird wieder der „Gerechte Krieg“ in die Debatte eingeführt. Die Angriffe auf nachdenklichere und besonders auf Friedens-Positionen nehmen an Aggressivität zu.
Auch im unmittelbaren Umfeld bisheriger Friedensaktivisten ist eine große Verunsicherung festzustellen. Dies ist besonders – trotz programmatischer Bekenntnisse – in der LINKEN deutlich zu erkennen. Deshalb müssen wir unbeschadet heftiger Angriffe die Diskussionen unter uns, unter den Linken, verstärken, um die historisch gewonnene pazifistische Überzeugung nicht weiter erodieren zu lassen.
Schließlich bleibt es nicht nur moralisch, sondern auch politisch richtig, Rüstungsexporte grundsätzlich abzulehnen. Jetzt wird erklärt, unsere Freiheit werde – diesmal nicht am Hindukusch – in der Ukraine verteidigt. Eine „wertebasierte Außenpolitik“ soll mit brutalen Mitteln durchgesetzt werden. Wer die Lieferung schwerer Waffen ablehnt, sei „schuld am Tod vieler Menschen“ – und nicht etwa derjenige, der dafür sorgt, dass diese Waffen bereitgestellt und eingesetzt werden und der Krieg eskaliert. Manche Beiträge (besonders in Leserbriefen) erinnern an Prüfungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer der 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts.
Die Frage, ob der Krieg in der Ukraine eine „Zeitenwende“ darstellt, sollte angesichts der „Normalität“ von Kriegen (für das Jahr 2021 werden 20 Kriege und weitere 20 begrenzte Kriege gezählt; dazu kommen die unerklärten Kriege, 204 bewaffnete Konflikte, die teilweise als hochgewaltsam eingestuft werden) doch sehr in Frage gestellt werden. Das Völkerrecht wird immer wieder gebrochen. Dagegen stehen wir auf und fordern globale Abrüstung als einzige Möglichkeit, das Kriegsgeschehen einzudämmen.
Wir sind damit konfrontiert, dass die Atomkriegsgefahr noch nie so hoch war wie jetzt. Die „doomsday clock“ (Atomuhr) steht auf 90 Sekunden vor 12 und das ist nur der zugespitzte Ausdruck des täglichen atomaren Wahnsinns. 100 Sekunden waren es vor dem Ukraine-Krieg!
Gegen den möglichen Einsatz von Atomwaffen, die umfassende Modernisierung aller Atomwaffen und die technologische Entwicklung der Atomwaffen zu Gefechtsfeldwaffen (mini nukes) gilt es den generellen UN-Atomwaffenverbotsvertrag durchzusetzen.
Mit den geostrategischen weltweiten Konfrontationen werden wir uns auseinandersetzen müssen. Die Frage der nächsten Monate wird sein, ob es realistisch ist, angesichts von Militär- und Wirtschaftskriegen (und beides geht weit über den Ukrainekonflikt hinaus) über Rüstungskontrolle, atomwaffenfreie Zonen und Abrüstung ernsthaft zu verhandeln.
Die Akteure besonders aus dem globalen Süden, die in Richtung Verhandlungen, Rüstungskontrolle und Abrüstung drängen, sind leider politisch noch zu schwach und zu wenig koordiniert. Erste positive Ansätze wie: keine Beteiligung am Wirtschaftskrieg, keine Waffenlieferungen in die Krisengebiete und Entwicklung humanitärer Kooperationen sind noch nicht vergleichbar mit der Rolle der nichtpaktgebundenen Staaten in den 60er/70er Jahren.
All dies zeigt aber Chancen für eine weltpolitische Weichenstellung in Richtung Frieden. Nur bei Überwindung der politischen Konfrontation zwischen NATO und Russland bzw. USA und China sind auch wieder Schritte zur internationalen Kooperation möglich. Deshalb sind Dialog und Vertrauensbildung zentral für unseren Politikansatz.
Der Krieg absorbiert politische, emotionale, intellektuelle und materielle Ressourcen, die für den Kampf gegen Klimawandel, Umweltzerstörung und Armut dringend benötigt werden. Die faktische Kriegsbeteiligung Deutschlands spaltet die Gesellschaft und insbesondere all jene, die sich für sozialen Fortschritt und den sozial-ökologischen Umbau einsetzen.
Bei den anstehenden Ostermärschen wird die Bundesregierung aufgefordert, ihren Kriegskurs sofort zu beenden. Von hier müssen diplomatische Initiativen ausgehen. Das will auch die Mehrheit der Bevölkerung. Am Ende muss ein Kompromissfrieden stehen, der den Weg in eine europäische Friedensarchitektur ebnet, die den Sicherheitsinteressen der Ukraine, Russlands und aller am Konflikt Beteiligten Rechnung trägt und eine friedliche Zukunft für unseren Kontinent ermöglicht. Wir brauchen einen Waffenstillstand und Verhandlungen zur Beendigung des Krieges, eingebettet in einen multilateralen Rahmen unter Beteiligung der UNO.