Barbara Lietz und Winfried Schwarz haben in einem fundierten Artikel in der Zeitschrift Z. (Z 125, S. 112ff; Z 126, S. 129ff; Z 130, S. 81ff.) der schon zuvor begonnen Debatte zu werttheoretischen Fragen neue Impulse gegeben. Klaus Müller listet in seinem Beitrag die bisherigen Publikationen zu dieser Problematik auf.1 Inzwischen liegen weitere Wortmeldungen vor.2 In der Diskussion geht es vor allem darum, ob der Wert im Produktionsprozess entsteht oder im Austausch oder in der Produktion und im Austausch. Lietz/Schwarz begründen mit umfangreichen Fundstellen bei Marx, dass der Wert in der Produktion entsteht und kritisieren die Positionen der „Neuen Marx-Lektüre“ (NML), deren Vertreter die Wertentstehung in die Zirkulation verlagern. Michael Heinrich, der sich nicht der NML zugehörig fühlt, vertritt nunmehr sie Auffassung, dass sich Wert und Wertgröße in Produktion und Zirkulation konstituieren. Die Diskussion wird fortgesetzt und ist mit und nach dem Aufsatz von Dieter Wolf prinzipieller und auch problematischer geworden.3 In der bisherigen Diskussion steht die qualitative Seite des Werts in den ersten Kapiteln des „Kapitals“ im Mittelpunkt. Die quantitative Seite des Werts, seine Größe, wird nur am Rande behandelt. Sie steht daher im Vordergrund der folgenden Ausführungen.
Der Wert entsteht in der Produktion
In den ersten beiden Kapiteln des „Kapitals“ Band I gehe es darum, schreibt Wolf, den Wert zu erklären, „ wie er samt der Wertformen in den Austauschbeziehungen und dem Austauschprozess entsteht“ (Wolf, Z 131, S. 124). Es ist zwar richtig, dass sich Marx in den ersten Kapiteln des ersten Bandes bemüht, den Wert als neue ökonomische Kategorie zu erklären. Dennoch entsteht er nicht in den Austauschverhältnissen. Die Kritik an dieser Formulierung Wolfs (Müller, Z 132, S.178; Lietz/Schwarz, Z 132, S. 171) ist berechtigt, denn in den Austauschbeziehungen kann der Wert nur noch modifiziert, seine Größe nur gesellschaftlich gültig festgestellt werden. Als Marx die Wertformanalyse beginnt (MEW 23, 62ff), sind Rock und Leinwand bereits Wertträger, weil menschliche Arbeit in ihnen vergegenständlicht ist. Auch wenn der Wert nur im gesellschaftlichen Verhältnis von Ware zu Ware erscheinen kann, so muss er doch schon vorhanden sein.
Marx sagt zum Wert und seiner Entstehung in seinen umfangreichen Ausführungen nichts anderes. Er widmet dieser Frage im ersten Band des „Kapitals“ sogar das ganze fünfte Kapitel. Auf die Ware selbst bezogen, heißt es dort analog zur Einheit von Gebrauchswert und Wert, „ muss ihr Produktionsprozeß Einheit von Arbeitsprozeß und Wertbildungsprozeß sein“ (MEW 23, 201). Im Arbeitsprozess bewirkt die Tätigkeit des Menschen (oder heute eines Automaten) „eine von vornherein bezweckte Veränderung des Arbeitsgegenstandes. Der Prozess erlischt im Produkt.“ (MEW 23, 195) Im Wertbildungsprozess dagegen handelt es sich „nicht mehr um die Qualität, die Beschaffenheit und den Inhalt der Arbeit, sondern nur noch um ihre Quantität. Diese ist einfach zu zählen.“ (MEW 23, 203f). In den Resultaten des unmittelbaren Produktionsprozesses4 formuliert Marx anschaulich: Bei der Wertbildung ist es nicht der Arbeiter, der die Produktionsmittel anwendet, sondern es sind die Produktionsmittel, die den Arbeiter anwenden. „Die Produktionsmittel erscheinen nur noch als Einsauger eines möglichst großen Quantums lebender Arbeit. … Grade als wertbildend wird die lebendige Arbeit fortwährend in den Verwertungsprozeß der vergegenständlichten einverleibt.“ (a.a.O., S. 83). Eingeschlossen ist die Einsaugung von Mehrwert, der nur in der Produktion entsteht. Der Verwertungsprozess „ ist als solcher wesentlich
Produktion von Mehrwert.“ (a.a.O., S. 87). Bei Verlagerung der Wertbildung in die Zirkulation ist man schnell bei Autoren, für die Wert- und Mehrwerttheorie redundant sind.5 Gegen die Auffassung, dass die Warenkörper außerhalb des Austausches auf dem Markt bloße Produkte sind, und erst im Austausch Wertgegenständlichkeit erlangen6, sprechen auch ganz praktische Gründe. Die Unternehmen kaufen auf dem Markt Produktionsmittel und Arbeitskräfte, und diese haben auch Wert. Im Produktionsprozess sollen sie ihren Wert verlieren, um ihn dann als fertiges Produkt auf dem Markt wieder zu erlangen. Das widerspricht Grundansichten der Betriebswirtschaftslehre. In der Betriebswirtschaft werden wie bei Marx Arbeits- und Wertbildungsprozess unterschieden. Die Produktion wird als Faktorverbrauch in Stück, Kilogramm usw. für Werkstoffe und in Stunden für den Arbeits- und Betriebsmitteleinsatz geplant. Dieses erstellte Mengengerüst wird durch ein Wertgerüst ergänzt, und die Messung erfolgt in Geldeinheiten.7
Der Wert in der Zirkulation
Lietz/Schwarz zitieren sich selbst: „ Die Waren bringen in den Austausch ihre Wertgröße schon mit.“ (Z, 126, S.137; Z 130, S. 86). Andren Orts behaupten sie, Wert ist doch Arbeit (Z 125, S. 112), was Heinrich kritisiert (Z 129, S. 143). Beide meinen auch, dass nach vollzogenem Austausch mittels Geld die Realisierung des Werts, den das Produkt in der Produktion erhalten hat, folgt (Z 130, S. 86). Die Auffassung ist zwar in sich schlüssig, doch es gibt Bedenken, weil die Produktion bei der Wertbestimmung, insbesondere die Feststellung der Wertgröße überbetont wird.
Waren können in der Produktion zunächst nur das subjektive Empfinden der Produzenten zum Ausdruck bringen. Das a priori subjektive Empfinden der Produzenten, etwas Werthaltiges, zum Austausch in bestimmten, erwünschten Relationen Geeignetes hervorzubringen, muss a posteriori eben diese Eigenschaft des qualitativen und quantitativen Angemessen-Seins im konkreten Austausch gegen ein entsprechendes Äquivalent als klassische Ware oder Geld nachweisen. Die in Wertübertragung und Neuwertschöpfung geronnene abstrakte Arbeit muss ihre Qualität – und damit ihre latent angestrebte gesellschaftliche „Wertigkeit“ – in einem gelingenden Austauschprozess unter Beweis stellen. Erst der Austausch zeigt, wenn die Wertrelationen gesellschaftlich gültig feststehen, wie viel Wert in den einzelnen Waren tatsächlich vergegenständlicht ist, wenngleich die Warenproduzenten durchaus eine Vorstellung vom Wert ihrer Waren und der Notwendigkeit der äußeren Anerkennung der objektiven Austauschneigung durch externe Tauschpartner haben müssen, denn nur dieses inhärente Verwertungsmotiv liefert in vorkapitalistischer Zeit ja den notwendigen Antrieb, um an begehrte Austauschprodukte (in angemessener Relation) heranzukommen. Zu diesem Problem treffend Müller: „Die abstrakte Arbeit wird als Teil der Waren produzierenden Arbeit dort geleistet, wo auch konkrete Arbeit verausgabt wird, in der Produktion; sie wird aber erst im Austausch als gesellschaftlich notwendige anerkannt (oder nicht).“ (Z 130, S. 151). Auch Heinrich ist zuzustimmen, wenn er feststellt: Vor dem Austausch lässt sich die Wertgröße der Waren noch nicht bestimmen, weil sich die Privatarbeiten noch gar nicht als Glieder der gesellschaftlichen
Gesamtarbeit bestätigt haben (Z 129, S. 153). Marx´ Bemerkung, sobald der Austausch umfangreich und wichtig geworden ist, so dass nützliche Dinge für den Austausch produziert werden, „der Wertcharakter der Sachen also schon bei ihrer Produktion selbst in Betracht kommt“ (MEW 23, 87), kann so interpretiert werden, dass den Werten zwar vor dem Austausch noch die gesellschaftliche Anerkennung fehlt, obgleich die Waren bewusst für den Vertrieb hergestellt worden sind. Heinrich, dem Lietz/Schwarz vorwerfen, er verlagere die Wertbildung in die Zirkulation, betont mehrfach, er sei nicht der Auffassung, dass die Wertbildung erst im Austausch stattfinde. Er kritisiere lediglich, dass der Wert vor dem Austausch fertig bestimmt sei (Z 129, S.153).
Vom Produktenaustausch zu Wertrelationen
Im frühen Produktenaustausch interessierte die Tauschenden nur die Frage, „wieviel fremde Produkte sie für das eigne Produkt erhalten, in welchen Proportionen sich also die Produkte austauschen. Sobald diese Proportionen zu einer gewissen gewohnheitsmäßigen Festigkeit herangereift sind, scheinen sie aus der Natur der Arbeitsprodukte zu entspringen, so daß z. B. eine Tonne Eisen und 2 Unzen Gold gleichwertig sind...“ (MEW 23 89). Der Produktentausch konnte allerdings nicht lange existieren, sondern musste sich zu wertbasiertem Austausch entwickeln.
Fritz Helmedag hat sogar gezeigt, dass Produktentausch nicht nur beschwerlich und langwierig ist, sondern sich gar keine gleichwertigen Tauschverhältnisse herausbilden können.8 Er zeigte das an einem bekannten Beispiel von Piero Sraffa9, das eine einfache Volkswirtschaft beschreibt, die nur aus drei Zweigen besteht. Es werden Weizen (W) in qr, Eisen (E) in Tonnen und Schweine (S) in Stück produziert und ausgetauscht.
240 W 12 E 18 S > 450 W
90 W 6 E 12 S > 21 E
120 W 3 E 30 S > 60 S
Die Pfeile deuten an, dass verschiedene Erzeugnisarten nicht addiert werden können.
In dem Schema tauschen sich 12 S gegen 3 E, so dass 1 S 3/12 E = 0,25 E entspricht. Andererseits tauschen sich 18 S gegen 120 W. Und da 90 W 12 E entsprechen, ist 1 W = 12/90 E , und damit 18 S = 120 mal 12/90 E, so dass schließlich 1 S ungefähr 0,9 E ergibt.
S erhält somit im direkten Tausch für 1 S 0,25 E, im indirekten Tausch dagegen für 1 S ca. 0,9 E.
Helmedag folgert aus diesem Widerspruch, dass sich durch Naturaltausch kein konsistentes Tauschsystem ableiten lasse. Er schreibt: Die „einzelnen Waren müssen so gewichtet werden - mit Preisen! -, dass sich ein widerspruchsfreies Tauschsystem ergibt.“ (a.a.O., S. 82). Helmedag übersieht, dass sich aus den Gebrauchswertrelationen zuerst Wertrelationen entwickeln müssen, bevor von Recheneinheiten, Preisen oder Geld (das eingeführt sein muss, wenn mit Preisen operiert werden soll.) gesprochen werden kann. Schon Marx stellte klar, „daß nicht der Austausch die
Wertgröße der Ware, sondern umgekehrt die Wertgröße der Ware ihre Austauschverhältnisse reguliert.“ (MEW 23, 78). Die Wertgröße muss allerdings erst ermittelt werden. Auch Sraffa geht direkt von seinem Schema auf derselben Seite ohne ein Wort der Erklärung zu Preisen über.
Wenn die Wertbildung, wie Lietz/Schwarz annehmen, im Produktionsprozess abschließend erfolgt, ergibt sich die Frage, was der Austausch dann noch bewirken kann. Wenn das Gemeinsame im Austauschverhältnis der Waren der Wert ist (MEW 23, 53), also alle Waren am Ende des Produktionsprozesses bereits eine gemeinsame Qualität – abstrakte Arbeit – besitzen, weil die Gleichheit der verschiedenen Arbeiten nur in der Abstraktion von ihrer wirklichen Ungleichheit bestehen kann, dann kann es in der Zirkulation nur noch um die gesellschaftlich gültige Feststellung der Wertgröße gehen. Denn schon im Verwertungsprozess geht es nach Marx´Meinung nicht mehr um die Qualität der Arbeit, sondern nur noch um ihre Quantität, die zählbar ist, wobei bloß quantitativer Unterschied der Arbeiten ihre qualitative Einheit oder Gleichheit voraussetzt (MEW 23, 94 FN 31).
In den Debatten um die Bestimmung der Wertgröße gelangen die meisten Autoren bei ihren Überlegungen zu schnell zum Geld. Eine klare Verbindung von Wert zu Geld ist dann nicht erkennbar, weshalb alle bürgerlichen Ökonomen, wenn sie sich überhaupt mit diesen grundsätzlichen Fragen befassen, Marx´ Werttheorie völlig außer Acht lassen. Wir sollten diesen Ökonomen nicht entgegenkommen. Heinrich schreibt z. B.: „Im Unterschied zum Produktentausch ist Warentausch nur möglich als geldvermittelter Tausch.“ (Z 129, S. 154). Müller bemerkt: Der Wert ist ein Produktionsverhältnis, seine Größe ist die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Doch als Zeitgröße kann der Wert nicht erscheinen. Er erscheint als Preis, als ein Geldbetrag.“ (Z 130, S. 151). Lietz/Schwarz meinen: „Indem sich alle Waren gesellschaftlich gültig auf das Geld beziehen, verhalten sie sich auch untereinander als Werte“ (Z 130, S. 86). Ist es nicht umgekehrt? Folgen nicht Geldrelationen aus Wertrelationen?
Wenn wir zur Bestimmung der Wertgröße immer das Geld heranziehen müssten, können, wie gezeigt, Geld und Preise ohne Wertgrundlage entwickelt werden, wie das Vorgehen von Sraffa und Helmedag beweist, weil von Erzeugnisstrukturen direkt zu Preisen übergegangen wird. Auch um bei Marx zu bleiben, muss deshalb ein Weg gefunden werden, um Wertgrößen zu bestimmen, ohne auf Geld zurückgreifen zu müssen und klar zustellen, dass Geld sich erst aus Wertrelationen entwickeln kann (Behauptungen allein reichen nicht) und nicht aus Gebrauchswertstrukturen. Dazu müssen alle Waren des betrachteten Wirtschaftssystems einbezogen werden, weil alle Produkte voneinander unabhängig betriebene Privatarbeiten sind und erst der Komplex dieser Privatarbeiten die gesellschaftliche Gesamtarbeit bildet. (MEW 23, 87).
Um die Wertgrößen als Wertrelationen zu ermitteln, wird ebenfalls Sraffas Beispiel herangezogen, aber umgearbeitet. Aus den Erzeugnismengen in Sraffas Schema werden Outputkoeffizienten gebildet, wie sie in den Input-Output-Analysen verwendet werden, z. B. 240 qr Weizen geteilt durch das Gesamtprodukt von 450 qr Weizen, was 8/15 ergibt. Insgesamt entstehen so 9 gleichartige Koeffizienten, die in eine quadratische Matrix, die mit A bezeichnet wird, eingeordnet werden und die Elemente der Matrix A darstellen. Die Koeffizienten sind dimensionslos, weil gleiche Erzeugnisse ins Verhältnis gesetzt und damit vergleichbar werden.
Die drei Produzenten können die Wertgrößen ihrer Produkte, wie oben beschrieben, zunächst frei wählen, weil es nur die Wertvorstellungen der Produzenten sind und keine gesellschaftlich anerkannte Wertgrößen darstellen. Die angenommenen individuellen Wertgrößen werden mit ü01, ü02 und ü03 bezeichnet und ergeben die Elemente eines Spaltenvektors ü0 .
Wird nun der Spaltenvektor ü0 von rechts mit der Matrix A multipliziert, ergibt das den Spaltenvektor ü1, dessen Elemente sich der Größe nach von denen des Vektors ü0 schon unterscheiden. Wird der Vektor ü1 wieder mit der Matrix multipliziert, folgt daraus der Vektor ü2 usw. Die Multiplikation kann bis ins Unendliche fortgeführt werden und führt auf den Grenzwert
lim ün = w = Aw.
n > ∞
Die mathematische Bestimmung des Grenzwerts10 lässt Wertberechnungen zu, ist aber nichts anderes als Marx schon verbal ausgedrückt hat. „In der Tat befestigt sich der Wertcharakter der Arbeitsprodukte erst durch ihre Betätigung als Wertgrößen. Die letzteren wechseln beständig, unabhängig vom Willen, Vorwissen und Tun der Austauschenden. Ihre eigne gesellschaftliche Bewegung besitzt für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren.“ (MEW 23, 89). Marx konnte allerdings die Tendenz dieser sich ständig ändernden Wertgrößen zu gesellschaftlich anerkannten Wertgrößen nicht erkennen, weil ihm der mathematische Apparat nicht zur Verfügung stand.
Auch Helmedag hätte das Ergebnis der mathematischen Berechnung erzielen können, wenn er sich nicht darauf beschränkt hätte, die Widersprüche herauszustellen. In seinem Beispiel hätte S Eisen lieber auf indirektem Wege bezogen, weil günstiger für ihn. E hätte reagieren und mehr bieten müssen. W dagegen hätte mehr Interesse an seiner Ware gespürt und wäre geneigt, weniger W zu geben. Ein hin und her tauschen hätte schließlich zu dem Ergebnis geführt, dass im indirekten Tausch nicht mehr zu erhalten ist als im direkten. Die Wertrelationen hätten dann „gesellschaftliche Anerkennung“ erfahren. Die Mathematik liefert also nur genauere, schnellere und beweiskräftigere Ergebnisse, aber auch nur, was auch verbal ausgedrückt werden kann, falls komplizierte Zusammenhänge auch ohne Hilfe der Mathematik überschaubar sind.
In der Wirtschaftspraxis bilden sich, wie auch in der Ableitung gezeigt, die Wertrelationen nur näherungsweise heraus. Je länger die Tauschverhältnisse bestehen, je öfter getauscht wird, desto genauer und damit allgemeingültiger werden die Ergebnisse.
Die sich herausbildenden Wertgrößen erscheinen als Wertrelationen. Es sind dimensionslose Zahlenverhältnisse, zu deren Bestimmung kein Geld benötigt wird. Der Übergang zu Geld und Preisen führt – mathematisch ausgedrückt - über die Berechnung des Grenzwerts, wie oben erörtert, d. h. Lösung der Gleichung w = Aw, wozu eine Bezugsgröße, die zur Geldeinheit wird, benötigt wird, z. B. eine Ware des betrachteten Systems. Der Weg zur Geldeinheit war historisch langwierig und mühevoll. Ohne sie gibt es keine Preise als Geldausdruck des Werts. Für weitere Überlegungen können die Elemente der Matrix A und des Wertevektors w auch anders gestaltet werden.
Das vorgestellte Gleichungssystem ist z. B. auch geeignet, sich mit Bertram Schefold auseinander zu setzen, der auf das Kornmodell und Sraffas Gleichungen gestützt, die Marxsche Wert- und Mehrwerttheorie als überflüssig bzw. redundant kritisiert.11 Doch das ist nicht der Hauptgrund.
Es kommt vor allem auf die Erkenntnis an, dass der Weg von den Gebrauchswertstrukturen über Wertrelationen zu Geld und Preisen führt und deshalb die Wertrelationen, die den Waren ihre Wertgröße geben, nicht übergangen werden dürfen.
Wert und Wertsubstanz
Marx´große Leistung besteht darin, herausgefunden zu haben, dass der Wert eine neue ökonomische Kategorie ist, die auf nichts anderes zurückgeführt werden muss bzw. kann. Schon im ersten Kapitel des Kapitals schreibt er: Das Gemeinsame im Austauschverhältnis der Waren ist ihr Wert.
Mit dem Doppelcharakter der Arbeit, konkrete und abstrakte Arbeit, hat er klar und anschaulich zum Ausdruck gebracht, dass der Wert neben dem Gebrauchswert eine selbständige Gestalt besitzt. Im Begriff abstrakte Arbeit ist das Attribut abstrakt enthalten, woraus hervorgeht, dass es sich beim Wert um eine ideelle Größe handelt. Marx wusste, dass er mit dem Wert eine neue ökonomische
Kategorie entdeckt hatte, sah aber auch die Schwierigkeit, dem Leserkreis verständlich zu machen, was er herausgefunden hatte. Mit abstrakter Arbeit wollte er möglicher Weise die Bedeutung der menschlichen Arbeit – als Schöpfer bedeutender Werke und Mehrwertschöpfer – besonders zum Ausdruck bringen. Wert ohne eine schwer fassbare Substanz (obwohl Marx manchmal selbst von Wertsubstanz spricht) aufzufassen, bringt Marx´ wissenschaftliche Leistung am besten zum Ausdruck und kann heute keine besonderen Schwierigkeiten mehr machen. Wir schaffen keine Klarheit, wenn wir sagen, die Wertgröße ist die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, die aber als Zeitgröße nicht erscheinen kann, sondern in Geld ausgedrückt werden muss, was vielfach so gesehen wird. Da kann man auch den Wert gleich weglassen und von den Gebrauchswerten zu Preisen übergehen, wie das häufig gemacht wird. Siehe Sraffa und Helmedag.
Die seit Marx präferierte Abstraktionsebene der Wirtschaftsanalyse mit all ihren Ableitungen, die theoretischen, insbesondere ökonometrischen Verästelungen und dem nicht verstummenden Meinungsstreit um die Bedeutung und die „korrekte“ Ausdeutung bestimmter klassischer Gedankengänge bis hin zu Vermutungen verliert ihren zuweilen versponnen anmutenden, außerhalb der Fachwelt unverstandenen Gehalt, sobald gegenwärtige, erst recht schleierhafte „Phänomene“ wie die Inflation ins Spiel kommen. Auf einer gänzlich anderen, jedoch mit tausend Fäden mit den Wesensprozessen aufs Engste verwobene Oberfläche des Wirtschaftsgeschehens bricht dann mit elementarer Wucht die notwendige Proportionalität der Produktion durch. Stimmen die statistisch erfassten subjektiv verklärten Proportionen nicht länger, weicht folglich die Wertschöpfung von den gängigen monetären Größen der Finanzwelt ab, ist der Weg zu rasanter Geldentwertung vorgezeichnet. Die „Neue Geldtheorie“ mit ihrer subjektivistischen Grundcodierung steht dann vor einem großen Rätsel und verliert sich in windigen Interpretationen. Die tiefgründige Beschäftigung mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem liefert dagegen notwendige erhellende Einsichten, wenn die geistige Disziplin ausreicht, sich eine anspruchsvolle Abstraktionsebene „anzutun“.
Fußnoten
1 Klaus Müller, Wert, Preis und Arbeitszeit - einige Ergänzungen, in: Z 130, S. 149ff.
2 Weitere Wortmeldungen: Michael Heinrich, Wertgegenständlichkeit, abstrakt menschliche Arbeit und Austausch, in: Z 129, S. 140ff; Herbert Rünzi, Zu Lietz/Schwarz (Z 125/126) und Heinrich (Z 129); Barbara Lietz/Winfried Schwarz, Wert und abstrakte Arbeit in Produktion und Austausch, in: Z 130, S. 81ff.
3 Dieter Wolf, Lietz´ und Schwarz´ massiver Eingriff in Marx´ Werttheorie, Z 131, S.112 ff und weitere Beiträge in Z 132 von Michael Heinrich, Barbara Lietz/Winfried Schwarz, Klaus Müller, Herbert Rünzi.
4 Karl Marx, Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, Berlin 1988, S.83, S.87.
5 Eberhard Feess-Dörr, Die Redundanz der Mehrwerttheorie, Marburg 1989.
6 Michael Heinrich, Die Wissenschaft vom Wert, 2. Auflage, Münster 1999, S. 216.
7 Günter Wöhe, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 24. Auflage, München 2010, S. 293.
8 Fritz Helmedag, Warenproduktion mittels Arbeit, Marburg 1992, S. 82f.
9 Piero Sraffa, Warenproduktion mittels Waren, Frankfurt a. M., 1976, S. 22.
10 Zur mathematischen Beweisführung vgl. Manfred Hieke, Weltmacht Warenproduktion, Passage Verlag Leipzig 2021, Abschnitt I.
11 B. Schefold, Einführung. Der dritte Band : Herkunft und Wirkung, in: Karl Marx und Friedrich Engels, Gesamtausgabe (MEGA), zweite Abteilung: „Das Kapital“ und Vorarbeiten, Band 15, Berlin 2004, S. 872ff.