Dass Wert und abstrakt menschliche Arbeit Grundbegriffe der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie sind, ist unbestritten. Nicht jedoch, ob Wert und abstrakt menschliche Arbeit – seine Substanz – schon in der Produktion oder erst im Austausch vorhanden sind. Diese Frage mag vielen wortklauberisch erscheinen. Allerdings stellt die Annahme der exklusiven Bildung des Werts im Austauschakt innerhalb der Neuen Marx-Lektüre ein – auch von ihrem führenden Repräsentanten Michael Heinrich vertretenes – theoretisches „Axiom“ dar, das früher dominierenden Auffassungen der Marxschen Werttheorie und auch unserer widerspricht. Nicht nur um der Kritik jener Interpretation willen führen wir die Auseinandersetzung, sondern auch, weil „Unklarheit über den Wertbegriff“ (MEW 23, 329; Herv. d. A.) das Verständnis der Produktionsweise des Kapitals blockiert; denn dieses ist „sich selbst verwertender Wert“ (Marx). Es handelt sich hier daher zwar um „Spitzfindigkeiten“, aber um solche, die Marx im Vorwort zur 1. Auflage des Kapital selbst als notwendige bezeichnet hat.
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Unserer Kritik am Konzept der Existenz von Wert und abstrakt menschlicher Arbeit erst im Austausch hat Michael Heinrich in seiner Replik in Z 129 einseitige Sicht vorgeworfen, nämlich eine „Produktionstheorie“ (144)[1] des Werts, wo doch sowohl Wert als auch abstrakt menschliche Arbeit nur aus der Einheit von Produktion und Austausch zu erklären seien. Gerne nehmen wir das Angebot der Z-Redaktion wahr, unsere Kritik an Heinrichs Vorstellung von Wert und abstrakt menschlicher Arbeit bei Marx zu vertiefen – den beiden Begriffen, in denen die kontroversen Positionen am schärfsten hervortreten.
Auf die Wertgröße, den dritten werttheoretischen Grundbegriff, den wir in Z 126 (129-134) gegen Heinrich als unabhängig von Austausch und Nachfrage (soweit der erste Band des Kapital betroffen ist) bestimmt sehen, ist Heinrich mangels „Zeit und Platz“ (155/56, FN 15) nicht wirklich eingegangen. Das ist schade, weil wir gerne seine Meinung zu unserer Diskussion des „zweiten“ Begriffs der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit gehört hätten. Wir respektieren aber seine Entscheidung und sehen von einer Entgegnung im Fall der Wertgröße auch dort ab, wo Heinrich bekannte Positionen wiederholt.[2]
Worüber wir kaum zu streiten brauchen, sind die ersten beiden Abschnitte der Replik (140-143). Im ersten betont Heinrich zu Recht, dass die Neue Marx-Lektüre keine Schule mit gemeinsamem Theoriebestand ist, sondern heterogene Lektüren und Autoren umfasst. (Wir haben das Gegenteil nicht behauptet.) Dass für sie dennoch vier ökonomiekritische Themenbereiche charakteristisch seien, ist nachvollziehbar: erstens: Vorarbeiten zum Kapital seit 1857 sind eigenständige Entwürfe; zweitens: Historisierung der Kategorien wird abgelehnt; drittens: Geldform ist integraler Bestandteil der Werttheorie; viertens: Warenfetischismus ist Ausdruck unpersönlicher Herrschaft. Wir hatten (in Z 125, 112) als typisch nur zweitens und drittens benannt.
Wir streiten auch nicht über den zweiten Abschnitt der Replik, über den Begriff „Exegese“ und ihr Verhältnis zur Analyse wirklicher Verhältnisse. Heinrichs Beispiel: Textexegese ergibt bei Marx eine Geldware als notwendig, Realanalyse des kapitalistischen Geldsystems zeigt aber keinen Bezug mehr darauf. Wir gehen nicht auf dieses Beispiel ein, weil wir uns (in Z 125, 114) ausdrücklich für „Exegese“ entschieden haben: Wir prüfen nicht, ob Marx Recht hat, sondern ob Heinrich ihn angemessen interpretiert, dort, wo er dies beansprucht.
Eine letzte Vorbemerkung: Das Marxsche Manuskript „Ergänzungen und Veränderungen (1871/72)“ (E+V) wird sowohl von uns als auch von Heinrich als äußerst wichtiger Schritt von der 1. zur 2. Auflage des Kapital geschätzt. Wir sind mit Heinrich einer Meinung, dass sich Marx in einer darin enthaltenen „Abschweifung“ (MEGA II/6, 29-32) davon löst, die Wertgegenständlichkeit an der einzelnen Ware festzumachen, weil er erkennt, dass Waren nur in der Beziehung aufeinander Werte sind. (148/49) Unsere Meinungen gehen in der Frage auseinander (worauf wir in Z 125, 118/19 hingewiesen haben), was Marx mit dieser Beziehung meint. Wir haben Heinrich, der darunter den Austausch versteht, dafür kritisiert, dass er die Rolle der abstrakt menschlichen Arbeit für das wechselseitige Wertverhältnis der Waren außer Acht lässt. In seiner Replik bestreitet Heinrich die Rolle der abstrakt menschlichen Arbeit nicht (149); er betrachtet sie aber ihrerseits als Resultat des Austauschs. Da er das nicht aus der „Abschweifung“ belegen kann, zieht er einen Satz aus dem Entwurf des „Fetischkapitels“ (MEGA II/6, 41) heran, den er in seinem Sinne auslegt.
Damit sind wir bei wirklichen Differenzen zwischen Heinrich und uns angelangt. Jener Satz spielt nämlich nicht nur hier, sondern für Heinrichs Austauschkonzept insgesamt eine so zentrale Rolle, dass wir uns mit ihm auseinandersetzen müssen. Dies geschieht im zweiten der nachfolgenden beiden Abschnitte unserer „Anti-Replik“. Im ersten Abschnitt geht es um die Wertbildung und darum, wo sie stattfindet.
I. Wertbildung in der Produktion und ideeller Wertausdruck
Heinrich zufolge vertreten wir eine „Produktionstheorie des Wertes“ (144), indem wir behaupten, der Wert sei bei Marx bereits vor dem Austausch, mit der Produktion, „fertig“ bestimmt. Er dagegen habe keine „Zirkulationstheorie“ (ebd.), die das gerade Gegenteil, nämlich „Wertbildung im Austausch“ vertrete. Vielmehr konstituiere sich der Wert als Ausdruck eines gesellschaftlichen Verhältnisses „in Produktion und Zirkulation“ (ebd., Herv. Heinrich), so dass die „Entweder-oder-Frage“ keinen Sinn mache.
I.1 Einheit von Produktion und Austausch bei der Wertbildung?
Einheit von Produktion und Austausch klingt interessant. Jedoch, wie ernst ist es Heinrich mit dieser Einheit wirklich? Wenn wir bei ihm nach dem effektiven Anteil der Produktion (als Prozess zeitlich vor dem Austauschakt) an der Wertbildung suchen, werden wir nirgendwo fündig. Immer nur Austausch[3]. Vor dem Austausch gibt es bei ihm nur Gebrauchswerte und konkrete Arbeit.[4] Erst die reale Tauschgleichsetzung bloßer Arbeitsprodukte miteinander bzw. mit Geld „reduziere“ diese auf Wert und abstrakt menschliche Arbeit. Diese Grundposition wird in der Replik nicht in Frage gestellt.[5]
Heinrich: Erst „die ausgetauschten (sic!) Arbeitsprodukte sind nicht nur Gebrauchswerte, sondern auch Wertgegenstände“ und werden so „zu Waren“. (144) Marx zufolge komme der „Wertcharakter“ zwar schon bei ihrer Produktion selbst „in Betracht“, aber das heiße ja im Umkehrschluss, dass er dort gerade noch nicht vorhanden sei; bloße Absicht, das Produkt zu verkaufen, gebe ihm nämlich noch keinen Wert. Wir stimmen zu: Die Absicht allein bildet nicht Wert. Allerdings ist er, wenn er „in Betracht“ kommt, auch nicht schon ausgeschlossen.
Heinrich versucht es mit Handwerkern. Die Entscheidung des Bäckers, sein Brot nicht selbst zu essen, sondern auf dem Markt zu verkaufen, müsse gemäß unserer Produktionstheorie das Brot zu einem „Produkt mit Wert als Form und in bestimmter Größe“ machen (ein Zitat aus unserem Artikel, das sich allerdings nicht auf die Absichten eines Bäckers bezog, sondern auf den Doppelcharakter der warenproduzierenden Arbeit; d. A.); dieser Wert könnte dann im Austausch realisiert werden oder – mangels Käufer – auch nicht.
Die – von ihm so präsentierte – „Produktionstheorie“ ist falsch, sagt Heinrich; Produktion für den Verkauf sei nicht schon Wertbildung, weil erst der Austausch, der gelungene, zeige, ob ich „tatsächlich Ware produziert und Wert gebildet habe“ (146; Herv. d. A.). Zur Begründung zieht er Marx heran: „Um Ware zu produzieren, muss er (der Produzent; d. A.) nicht nur Gebrauchswert produzieren, sondern Gebrauchswert für andre“ (MEW 23, 55). Wir stimmen zu: Ware ist in der Tat ein Produkt für andere; und nicht nur das: es muss an andere „durch den Austausch übertragen werden“, wie Engels erläutert.[6] Wenn das Brot, so glaubt sich Heinrich in Übereinstimmung mit Marx, von mir zwar produziert, aber nicht verkauft wurde, dann, so folgert er, habe ich trotz meiner Verkaufsabsichten gar nicht wirklich „Gebrauchswert für andere“ produziert und somit weder Wert gebildet noch abstrakte Arbeit vergegenständlicht.
Dazu: Marx bezieht den „in Betracht“ kommenden Wertcharakter ausdrücklich auf „nützliche Dinge“, die „für den Austausch produziert werden“. (MEW 23, 87; Herv. d. A.) Wenn ich für den Austausch, also nicht für mich, sondern für andere produziere, dann produziere ich für andere. Und wenn ich dann auf den Markt gehe, dann habe ich für andere produziert, welche Absichten ich auch damit verbunden habe. Wie kann der nachfolgende Austausch, egal ob er gelingt oder nicht, meine Produktion rückgängig machen?
Wir sind uns bewusst, dass wir Heinrich genauso wenig überzeugen wie er uns. Bevor aber jemand den Kopf über unseren Disput schüttelt, ob der Wert nicht realisiert wurde oder gar nicht erst existierte, wenden wir uns der Frage zu, ob und wie sich die Einheit von Produktion und Zirkulation bei „Wertbildung in der Produktion“ denken lässt. Hier geht es um das Verhältnis von Wert und Wertform, ihre Einheit und worin sie sich unterscheiden.
I.2 Die produzierte Ware in relativer Wertform
Wir glauben, in Z 125/126 abstrakt menschliche Arbeit als gesellschaftliche Form der privaten Produktionstätigkeit begründet zu haben und den Wert als gesellschaftliche Form des privaten Arbeitsprodukts. Im Produkt vergegenständlicht stellt abstrakt menschliche Arbeit die Substanz des Werts dar. Marx: „Ein Gebrauchswert oder Gut hat also nur einen Wert, weil abstrakt menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht oder materialisiert ist.“ (MEW 23, 53)
Wertbildende abstrakt menschliche Arbeit ist Privatarbeit als Verausgabung von Arbeitskraft ohne Rücksicht auf die konkrete Form ihrer Verausgabung. Marx versteht individuelle Verausgabung von Arbeitskraft als anteilige Verausgabung der gesamten Arbeitskraft der Gesellschaft, die als ein und dieselbe Arbeitskraft gilt, so dass die individuelle Arbeitszeit im Maße ihrer Übereinstimmung mit der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeitszeit die Wertgröße bestimmt.
Spätestens seit den E+V ist klar: Einzelne Arbeitsprodukte, isoliert voneinander, sind nur Produkte, nicht Wertgegenständlichkeiten.[7] Sie sind dies nur in Beziehung aufeinander, und diese ist „von vornherein“ (MEGA II/6, 30/31) dadurch gegeben, dass sich alle Arbeitsprodukte auf dieselbe Einheit beziehen: abstrakt menschliche Arbeit. Diese ist ihre „gemeinschaftliche“ Substanz und qualitative Einheit.
Das bedeutet: Als Vergegenständlichungen abstrakt menschlicher Arbeit beziehen sich die Arbeitsprodukte per se aufeinander, und dadurch sind sie Wertgegenständlichkeiten. Heinrich mag soweit zwar zustimmen. Aber während bei ihm die abstrakte Arbeit erst das Ergebnis der Beziehung bloßer Arbeitsprodukte aufeinander im Austausch ist, sagt Marx nach unserer Interpretation das gerade Gegenteil: Dadurch, dass alle Arbeitsprodukte abstrakt menschliche Arbeit darstellen, sind sie bereits qualitativ gleichgesetzt und beziehen sie sich aufeinander als Werte.[8] Für unsere Fragestellung heißt das: Sobald die Arbeit in ihrer Eigenschaft als abstrakt menschliche Arbeit im Produkt vergegenständlicht ist, und das ist sie am Ende des Produktionsprozesses, ist das Arbeitsprodukt Ware, d.h. Einheit von Gebrauchswert und Wert bzw. Wertgröße.Denn schon jetzt steht sie im Wertverhältnis mit (allen) anderen Waren, die Werte bzw. vergegenständlichte abstrakt menschliche Arbeit wie sie selbst darstellen.
Sind Wertsubstanz und Wertgröße gegeben, ist die Wertbildung abgeschlossen.
Dennoch: Die Ware wurde nicht für das Lager, wo sie momentan liegen mag, produziert. Weil sie Privatprodukt ist, fand ihre Produktion von Anfang an für den Austausch statt, der noch bevorsteht. Die Ware ist jetzt zwar Gebrauchswert und Wertgegenständlichkeit, aber sie ist noch nicht in austauschbarer Form dargestellt.
Was bedeutet das?
Ihr Wert ist Substanz und Größe, hat aber noch keine Wertform. Wert ohne Wertform ist genauso unmöglich wie Wertform ohne Wert. Die Ware kann ihren bereits gebildeten Wert nicht an sich selbst ausdrücken, sondern nur relativ, im Gebrauchswert anderer Ware, die ihrem Wert als Äquivalent dient. Sie selbst befindet sich in relativer Wertform, und zwar schon, sobald sie als Gebrauchswert fertig vorliegt – das heißt: vor dem Austausch. Zugespitzt: Sobald eine Ware produziert ist, steht sie bereits in einem Austauschverhältnis mit einer Ware außerhalb der Produktion. Diese Ware ist die Äquivalentware, bei entwickelter Warenproduktion gibt es nur eine einzige: Geld. Indem sich alle Waren gesellschaftlich gültig auf das Geld beziehen, verhalten sie sich auch untereinander als Werte.
Wichtig: Der Geldausdruck der produzierten Ware ist zunächst nur ideell, d.h. vor dem wirklichen Austausch hat das fertige Arbeitsprodukt erst Preisform. Mit dieser Antizipation realen Geldes tritt die Ware in den Austausch.[9] Wenn dieser vollzogen wird, d.h. im Austausch selbst, wird aus ideellem Geld reales Geld. Das ist die „Realisierung“ des Werts, den das Produkt in der Produktion erhalten hat. Das gilt nicht nur für den „Wert überhaupt“, sondern auch für seine Größe, die sich zunächst ideell, dann real in einem Quantum der Äquivalentware Geld ausdrückt. Wir zitieren uns selbst: „Die Waren bringen in den Austausch ihre Wertgröße schon mit.“ (Z 126, 137)
Soweit zum Unterschied zwischen Wert und Wertform. Oder, um in unseren obigen Begriffen zu bleiben: zwischen Produktion und Austausch.
Zusammengefasst: Der Austausch gibt der Ware nicht ihren Wert, sondern ihre Wertform.[10] Oder, wie Marx in einem früheren Manuskript sagte, dass „es doch nur die Form des Werths ist, oder die Form der Waare die die Producte durch den Austausch erhalten“.[11]
I.3 Wert ist keine abkürzende Redeweise für Gebrauchswert
Wenn also jemand die Wertbildung als Einheit von Produktion und Austausch auffasst, dann ist das nicht Heinrich. Denn von Einheit kann keine Rede sein, wenn sowohl abstrakt menschliche Arbeit als auch der Wert (als Formbestimmung) selbst nur im Austausch vorkommen und in der Produktion gar nicht. Dagegen ist festzuhalten: Die abstrakt menschliche Arbeit ist am Ende des Produktionsprozesses schon im Produkt als Wert vergegenständlicht („geronnen“), die Wertgegenständlichkeit, d.h. sowohl Wertsubstanz als auch Wertgröße, ist aber auf den Austausch bezogen, indem sie als relativer Wert ideell in Geld ausgedrückt ist; und sie wird im wirklichen Austausch realisiert. Ob ganz, teilweise oder gar nicht, tut für die Wertbildung selbst nichts zur Sache.
Mit dieser Auffassung des spezifischen Zusammenhangs zwischen Produktion und Austausch, Wert und Wertausdruck, können wir auch beantworten, wieso Marx bei der Analyse des unmittelbaren Produktionsprozesses im ersten Band des Kapital nicht nur die Begriffe Wert (und Mehrwert) verwendet, sondern sie generell bereits in x sh. oder y Pfd.St., also in Geld, ausdrückt, obwohl er den Verkauf erst im zweiten Band (über den Zirkulationsprozess) betrachtet. Die Geldform der Werte, die in der Produktion gebildet werden, ist gerechtfertigt, da sie nur ideell ist und den Verkauf vorwegnimmt, den Marx außerdem als qualitativ und quantitativ erfolgreich (Verkauf zu Wertgrößen) unterstellt. Auch die in den Prozess eingehenden Produktionsmittel sind in ihren Preisen „schon als allgemeine gesellschaftliche Arbeit dargestellt“ (MEW 23, 201).
Damit sind wir nicht mehr auf Heinrichs – die Formulierung sei erlaubt – abenteuerliche Erklärung angewiesen, dass „Wert“ für Marx eine „abkürzende Redeweise“ für Gebrauchswert sei. (Vgl. Heinrich, Wissenschaft vom Wert, 241, Fn 70). Strenggenommen werde, so Heinrich, nur „ein Produkt hergestellt, von dem erwartet wird, dass es sich in Ware verwandelt und zu einem bestimmten Preis verkauft werden kann“ (ebd.). Diese Deutung der Marxschen Begrifflichkeit ergibt sich zwangsläufig aus Heinrichs Ansatz, demzufolge Produkte im Produktionsprozess noch keine Waren sind, sondern solche erst im Austausch werden. Die oben von uns gegebene Erklärung dürfte dagegen die für den Marxschen Sprachgebrauch adäquate sein.
II. Abstrakt menschliche Arbeit als Reduktion
Für Heinrich ist die abstrakt menschliche Arbeit ein Resultat der im Austausch stattfindenden Reduktion der konkreten Arbeitsprodukte. Wir haben darauf bereits eingangs hingewiesen, und im vorigen Abschnitt wiederholten wir unseren in Z 125/26 vertretenen Standpunkt, dass abstrakt menschliche Arbeit bereits im Produktionsprozess existiert, wo sie Wert bildet und sich vergegenständlicht.
II.1 Ein Zwischensatz im Manuskript 1871/72 mit großer Tragweite
Dagegen führt Heinrich nun einen Marxschen Satz aus dem Manuskript E+V an, den er als unzweideutigen Beleg für seine Austauschkonzeption reklamiert. Diese Textstelle, die nicht in der 2. deutschen Auflage steht,wurde von der MEGA-Redaktion als Zusatz und Nachtrag für die französische Ausgabe bezeichnet, die Marx zeitgleich bearbeitete(II/7, 55). Marx notierte sie, mit Anordnungsverweis, auf einer freigebliebenen Stelle im Entwurf des UA über den „Fetischcharakter der Ware“.
Der Satz gehört inhaltlich zur Erörterung des „spezifisch gesellschaftlichen Charakters der Privatarbeiten“. Er fungiert dort als eine Art Zwischensatz. Er ist für Heinrich derart wichtig, dass er ihn in seiner Replik gleich vier Mal als Argument einsetzt (144, 149, 152, 156) und sich fragt, warum wir, wie auch Fred Moseley in Z 128, ihn in Z 125/26 nicht diskutieren.
Der Satz lautet: „Die Reduction der verschiednen konkreten Privatarbeiten auf dieses Abstractum gleicher menschlicher Arbeit vollzieht sich nur durch den Austausch, welcher Producte verschiedner Arbeiten thatsächlich einander gleichsetzt.“ (MEGA II/6, 41)[12]
Ob sich diese Textstelle wirklich im Sinne Heinrichs interpretieren lässt(was der Wortlaut für sich genommen zunächst nahelegt), ergibt sich nur aus dem Zusammenhang. Kontext ist die Marxsche Diskussion der spezifisch gesellschaftlichen Charaktere der warenproduzierenden Arbeit, die den Fetischcharakter der Waren bedingt. Um jenen „Zwischensatz“ zu verstehen, sind wir gezwungen, die Marxsche Erörterung in ihrer Gänze (es sind nur drei Absätze!) nachzuvollziehen. Wir kommen zu einem anderen Ergebnis als Heinrich.
Marx hatte zu Beginn des 4. UA das „Geheimnisvolle“ der Warenform dadurch gekennzeichnet, dass „sie den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eigenen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte … widerspiegelt“. (Alle Zitate, falls nicht anders gekennzeichnet, in MEW 23, 87/88; MEGA II/6, 103/104.) Die Verselbständigung der Arbeitsprodukte gegenüber der sie hervorbringenden Arbeit nannte er „Fetischismus“. Dieser gehe aus dem „eigentümlichen gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, welche Waren produziert“, hervor.
Warenproduzierende Arbeit ist bekanntlich unabhängig voneinander betriebene Privatarbeit. Wie jede „Arbeit für andere“ hat sie daher zwar eine „gesellschaftliche Form“. Als „Privatarbeit für andere“ besitzt sie diese aber nicht unmittelbar, sondern sie muss die gesellschaftliche Gesamtarbeit auf indirektem Weg konstituieren, nämlich vermittelt über den Austausch der Arbeitsprodukte. Marx zufolge „erscheinen auch die spezifisch gesellschaftlichen Charaktere ihrer Privatarbeiten erst innerhalb ihres Austauschs“. Was ist mit spezifisch gesellschaftlichem Charakter der Privatarbeiten gemeint? Warum ist das „Gesellschaftliche“ in den privaten Arbeiten so wichtig?
Doch vorher noch eine Bemerkung über einen weiteren einzelnen Satz, dessen Erörterung sowohl bei uns als auch in Heinrichs Replik großen Raum einnimmt.[13]
II.2 Noch ein Satz: Wertgegenständlichkeit erst im Austausch?
Den Blick auf die Historizität des spezifisch gesellschaftlichen Charakters der Privatarbeiten leitet Marx in den E+V wie folgt ein: „Erst innerhalb ihres Austauschs erhalten die Arbeitsprodukte zunächst eine von ihrer sinnlich verschiednen Gebrauchsgegenständlichkeit getrennte gesellschaftlich gleiche Werthgegenständlichkeit.“ (MEGA II/6, 41; Herv. im Original)
Heinrich interpretiert diesen Satz gewöhnlich und auch in seiner Replik als „Aussage über den Austausch innerhalb der entwickelten Warenproduktion“ (152). Mit „Austausch“ meint er den zeitlich auf die Produktion folgenden Akt des Austauschens, d.h. die Zirkulationsphase nach der Produktionsphase; somit handele es sich um eine eindeutige Behauptung von Marx, dass die Arbeitsprodukte in der vorangehenden Produktion noch keine „Wertgegenständlichkeiten“ sind, sondern solche erst im Austausch werden. Der nächste Marxsche Satz, dass für die Werteigenschaft der Produkte der Austausch „hinreichende Ausdehnung und Wichtigkeit“ (Marx) gewonnen haben muss, sei, so Heinrich, zwar historisch gemeint, aber als „Einschränkung“ des ersten, nicht-historischen, Satzes, in dem Sinne, dass die Wertgegenständlichkeit noch nicht „für einen historisch ganz frühen und zufälligen Austausch“ (ebd.) gelte, aber eben doch für entwickelte Warenproduktion.
In unserer Kritik hatten wir nicht erst für den zweiten Satz, sondern schon für den ersten bei Marx eine historische Argumentation behauptet (und tun dies immer noch): Die Rede ist vom „unmittelbaren Produktenaustausch“, bei dem die Produkte vor ihrem Austausch noch keine Waren sind, sondern erst im Austausch welche werden. Sobald, so unser auf gleichlautende Textstellen im Kapitel über den Austauschprozess gestützter Umkehrschluss, absichtlich und regelmäßig für den Austausch produziert wird, sind die Produkte Werte nicht erst im, sondern schon vor dem Austausch. Und wir schließen: Mit der historischen Entstehung und weiteren „Ausdehnung“ des „Privataustauschs als gesellschaftlicher Form des Reproduktionsprozesses“ (Rubin) wird die Warenform der Arbeitsprodukte die Voraussetzung des Austauschs, ist nicht erst dessen Resultat.
Wir räumen ein, dass vom Wortlaut her, für sich betrachtet, die Interpretationen dieser Passage sich gegenseitig zwar ausschließen, aber beide möglich sind. Wer wie Heinrich das „Austauschtheorem“ vertritt, sieht sich darin ebenso bestätigt wie wir mit der Auffassung, dass in dem Satz vom „kontemporären“ Austauschakt gar keine Rede ist. Diese ungenügende Eindeutigkeit scheint auch Heinrich in seiner Replik zu realisieren. Er bringt nämlich einen weiteren Zeugen ins Spiel, eben jenen „Zwischensatz“ über die „Reduktion usw.“, den wir im vorigen Abschnitt (II.1) präsentiert haben. Heinrich meint, dass dieser Satz auch seine Position vom Austauschakt als Ort der Bildung des Werts als Formbestimmung bestätigt. Wir nehmen den „Handschuh“ auf und untersuchen den Zwischensatz jetzt genauer.
II.3 Gleichheit als „zweiter“ spezifisch gesellschaftlicher Charakter der Privatarbeiten[14]
Zunächst skizziert Marx die historische Entstehung und Ausdehnung des Austauschs: Die Arbeitsprodukte, die zusätzlich zu ihrer Gebrauchsform Wertgegenständlichkeit erhalten, werden schließlich „für den Austausch produziert“, so dass ihr „Wertcharakter“ schon bei ihrer Produktion selbst „in Betracht kommt“. Das hat Konsequenzen: „Von diesem Augenblick erhalten die Privatarbeiten der Produzenten einen doppelten gesellschaftlichen Charakter“. Wir erfahren nun nicht nur, worin der „erste“ gesellschaftliche Charakter der Privatarbeiten besteht, sondern auch, dass es einen „zweiten“ gibt, der ebenso wie der erste, wie wir bereits wissen, im Austausch der Produkte[15] erscheint.
Erstens müssen die Privatarbeiten ein bestimmtes gesellschaftliches Bedürfnis befriedigen und sich als Glieder der Gesamtarbeit bewähren. Dieses Erfordernis haben Privatarbeiten mit anderen Arbeitsformen arbeitsteiliger Produktionsweisen gemein. Der zweite gesellschaftliche Charakter der Privatarbeiten trifft nur auf die Warenproduktion zu: Da jeder Privatarbeiter nur eine besondere Teilarbeit verrichtet, kann er seine eigenen Bedürfnisse nur befriedigen (durch fremde Produkte), wenn seine nützliche Privatarbeit mit jeder anderen nützlichen Privatarbeit „austauschbar ist, also ihr gleichgilt“. Der zweite spezifisch gesellschaftliche Charakter der Privatarbeiten besteht daher in der Gleichgeltung sämtlicher warenproduzierenden Arbeiten, welche Naturalform sie auch haben mögen. Marx spricht sogar von ihrer „Gleichheit“.
Worin besteht diese? Die Gleichheit völlig verschiedener Arbeiten, so betont Marx, kann nur „in einer Abstraktion von ihrer wirklichen Ungleichheit bestehn“, in der Reduktion auf den „gemeinsamen Charakter, den sie als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft, abstrakt menschliche Arbeit, besitzen“. Der spezifisch gesellschaftliche Charakter der Privatarbeiten ist, so schließen wir, gleiche menschliche oder abstrakt menschliche Arbeit.[16]
Gleich sind die verschiedenen konkreten Privatarbeiten, wie Marx betont, in ihrer „Reduktion“ auf Verausgabung von menschlicher Arbeitskraft. Die Gleichheit der Privatarbeiten „besteht“ in ihrer „Abstraktion“ von allen Eigenschaften bis auf diese allgemeine Eigenschaft. Es ist entscheidend wichtig zu beachten, dass „Reduktion“ und „Abstraktion“ hier nicht als gedankliche Tätigkeiten des Wissenschaftlers Marx gemeint sind. Abstraktion und Reduktion meinen im vorliegenden Zusammenhang überhaupt keine Vorgänge, sondern Eigenschaften. Mit Gleichheit, die in einer Abstraktion „besteht“, oder mit „Reduktion“ auf menschliche Arbeit schlechthin, ist die objektive Qualität der Privatarbeiten gemeint, welche sie bei entwickelter Warenproduktion „besitzen“. Daher ist „Reduktion der verschiedenen konkreten Privatarbeiten auf abstrakt menschliche Arbeit“ dasselbe wie „Gleichgeltung“ oder „Gleichheit“ der verschiedenen konkreten Privatarbeiten.[17]
II.4 Vollzug der Gleichheit durch Austausch von Produkten
In der 2. Auflage des Kapital (1872) geht Marx unmittelbar nach seinen Ausführungen über die „Abstraktion“ oder die „Reduktion“ auf gleiche menschliche Arbeit zu der Erklärung über, wie im „Produktenaustausch“ das „Gehirn der Privatproduzenten“ den „gesellschaftlichen Charakter der Gleichheit der verschiedenartigen Arbeiten“ widerspiegelt, nämlich „in der Form des gemeinsamen Wertcharakters dieser materiell verschiednen Dinge, der Arbeitsprodukte.“ Im nächsten Abschnitt wiederholt er diesen Gedanken synonym mit den Worten, dass in der Warenproduktion „der spezifisch gesellschaftliche Charakter der voneinander unabhängigen Privatarbeiten in ihrer Gleichheit als menschliche Arbeit besteht und die Form des Wertcharakters der Arbeitsprodukte annimmt“.
Wir haben also erstens den spezifisch gesellschaftlichen Charakter der Privatarbeiten, der in der Reduktion auf ihre Gleichheit als menschliche Arbeit besteht. Wir haben zweitens den Wertcharakter der Arbeitsprodukte im „Produktenaustausch“. Im Manuskript E+V fügt Marx zwischen erstens und zweitens den Zwischensatz ein, über den wir mit Heinrich streiten. Warum tut Marx das? Was bliebe sonst ungesagt?
Wir sehen ihn als eine Art Überleitung von dem in der Warenproduktion gegebenen spezifisch gesellschaftlichen Charakter der Gleichheit der Arbeiten zum Wertcharakter der Arbeitsprodukte im Austausch. Der Zwischensatz betont, was wir im Grunde schon wissen, dass nämlich die Gleichheit der menschlichen Arbeiten als abstrakte nur im bzw. durch den Austausch der Arbeitsprodukte sich vollzieht, oder – französisch – vom Austausch der Arbeitsprodukte vollzogen wird.[18] Direkte Beziehungen der individuellen Privatarbeiten untereinander sind trotz ihrer sozialen Gleichheit ausgeschlossen. Die Gleichsetzung der Produkte im Austausch ist die einzige Möglichkeit für die Privatproduzenten, ihre Arbeiten als gleichgeltende bzw. gleiche aufeinander zu beziehen und eine proportionale Verteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit zu gewährleisten.
„Sich vollziehen“ oder „vollzogen werden“ kann nur, was schon da ist. Die Gleichheit der Privatarbeiten als abstrakt menschliche Arbeit erscheint im Austausch, sie entsteht nicht erst dort und ist keineswegs die abhängige Variable des Austauschs, wie Heinrich den Zwischensatz deutet. Umgekehrt. Der Austausch der Arbeitsprodukte vermag die konkret verschiedenen Privatarbeiten, die Produktionstätigkeiten sind, nur deshalb aufeinander zu beziehen, sofern und weil diese bereits auf gleiche menschliche, abstrakt menschliche Arbeit reduziert sind (mehr ökonomisch gesprochen: qualitativ gleichgesetzt sind). In dieser Reduktion besteht Marx zufolge gerade der spezifisch gesellschaftliche Charakter der Arbeiten in der Warenproduktion.
Schlussfolgerung: Abstrakt menschliche Arbeit resultiert nicht aus dem Austausch der Arbeitsprodukte, sondern wird durch den Austausch der Arbeitsprodukte verwirklicht oder, wie Marx u.E. nicht zufällig formuliert: „vollzogen“. Das gilt für die deutsche Version des Zwischensatzes genauso wie für die französische. Heinrich vertut sich, wenn er sich auf jenen Marxschen Satz allenthalben als ultimativen Beleg für sein Austauschtheorem verlässt.
Fazit
Von der von ihm behaupteten Einheit von Produktion und Austausch ist bei Heinrich, was die gesellschaftlichen Formbestimmungen Wert und abstrakt menschliche Arbeit betrifft, nichts zu sehen. Unser Ansatz der Wertbildung durch Vergegenständlichung abstrakt menschlicher Arbeit nimmt dagegen ernst, dass die Produktion von Anfang an für den Austausch stattfindet und sich auf ihn bezieht. Einheit von Produktion und Austausch gibt es nur in dem von uns vorgestellten Argumentationszusammenhang, und zwar als Einheit von Wert und Wertform.
Dass abstrakt menschliche Arbeit erst im Produktenaustausch vorkommt und vorher nur konkret nützliche ist, dafür stützt sich Heinrich immer wieder und in letzter Instanz auf eine Textstelle im Manuskript „Ergänzungen und Veränderungen von 1871/72“, worin Marx scheinbar eben dies wörtlich behauptet. Wir zeigen dagegen, dass dieser „Zwischensatz“ die Gleichheit der menschlichen Arbeiten als spezifisch gesellschaftlichen Charakter der Privatarbeiten dem Austausch voraussetzt: sie wird von ihm nicht erst bewirkt, sondern vollzogen.
Wertbildung in der Produktion und abstrakt menschliche Arbeit als Voraussetzung des Austauschs – diese unsere Auffassungen halten Heinrichs Replik stand. Sie hat unser Nachdenken zwar herausgefordert, aber unsere Kritik am „Austauschkonzept“ nicht relativiert, sondern bestätigt.
[1] Seitenzahlen ohne weitere Angaben beziehen sich auf Heinrichs Replik „Wertgegenständlichkeit, abstrakt menschliche Arbeit und Austausch“ in Z 129 März 2022, 140-156.
[2] Nur einer Bemerkung können wir uns nicht enthalten: Wieso unterstellt uns Heinrich die Auffassung, man könne von den Waren „vor dem Austausch nicht nur angeben, wie viele Stunden individuell verausgabter konkreter Arbeit, sondern auch wie viele Stunden abstrakt menschlicher, wertbildender Arbeit in ihnen vergegenständlicht sind“? (155/56) Über die Messung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, gar über unmittelbare Zeiterfassung, haben wir uns nicht geäußert. „Messbar“ ist in der Warenproduktion die Wertgröße nur relativ, als Quantum der Äquivalentware. Wir sprechen hier nicht von Planwirtschaften mit hochleistungsfähiger Datenverarbeitung, worüber zurzeit – als Zukunftsperspektive – diskutiert wird. (Vgl. auch den Beitrag von Paula Rauhala in diesem Heft. Anm. d. Red.)
[3] Qualitative Formstimmungen wie Wert oder abstrakt menschliche Arbeit haben bei Heinrich mit der Produktion nichts zu tun. Diese wird allenfalls bei der quantitativen Bestimmung des Werts durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit berücksichtigt. Aber auch hier: Die Lösung auf die entscheidende Frage, warum überhaupt in der Warenproduktion das „Maß der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft durch ihre Zeitdauer … die Form der Wertgröße der Arbeitsprodukte (erhält)“ (MEW 23, 86; Herv. d. A.), weist Heinrich wiederum dem Austausch zu.
[4] „Wenn es aber allein der Austausch ist, der die Reduktion von konkreter auf abstrakte Arbeit vollzieht, dann ist abstrakte Arbeit im Produktionsprozess noch gar nicht anwesend.“ (147/48; Herv. Heinrich).
[5] Heinrich bekräftigt sie in einem späteren Abschnitt seiner Replik, wo er die Marxsche Einführung des Begriffs der abstrakt menschlichen Arbeit im 1. Unterabschnitt (UA) des ersten Kapitels des Kapital als Wiedergabe eines objektiven Vorgangs bestimmt, nämlich der „im Tausch stattfindenden Abstraktion von den Gebrauchswerten der ausgetauschten Waren“ (147). Dafür steht bei ihm der Begriff „Realabstraktion“. Dagegen halten wir daran fest (Z 125, 115), dass es sich im 1. UA um die gedankliche „Reduktion“ des Arbeitsprodukts durch Marx handelt, zumal er das in den Ergänzungen und Veränderungen (E+V) (MEGA II/6, 31) selbst erklärt. Dieter Wolf hätte sich von Marx mehr Klarheit gewünscht: „Es rächt sich … , dass Marx in keinem seiner Werke ausdrücklich den Zusammenhang zwischen realer objektiver Gleichsetzung und subjektiver im Kopf des Wissenschaftlers vor sich gehender Abstraktionen geklärt hat“. Ders., Zur Rede vom Wert als einem „Gedankending“ in der Urfassung, https://dieterwolf.net/wordpress/wp-content/uploads/2019/06/Dialektik-Hegel-Marx-Adorno-Trier-Hamburg.pdf, S. 68.
[6] Vgl. seinen Einschub in der 4. Auflage des Kapital (MEW 23, 55). „Für andere“ gilt in jeder arbeitsteiligen Ökonomie; spezifisch für die Warenproduktion ist „für andere durch Austausch“.
[7] Sie können dies nur im Kopf des Wissenschaftlers sein, als „Wertabstraktion“ (MEW 23, 65). Marx sieht im Kapital in den ersten zwei UA des ersten Kapitels von den Beziehungen zwischen den Waren einstweilen abt.
[8] Marx: „Das Verhältniß der Arbeitsproducte zueinander als Ausdrücke dieser selben Einheit ist ihr Werthsein“ (MEGA II/6, 31; Herv. Marx).
[9] Antizipation des Geldes ist verschieden von Heinrichs Antizipation des Werts. Antizipation des Geldes setzt den Wert bereits voraus, Antizipation des Werts nur den Gebrauchswert.
[10] Unsere Formulierung erinnert bewusst an den Satz: „Der Austauschprozess gibt der Ware, die er in Geld verwandelt, nicht ihren Wert, sondern ihre spezifische Wertform.“ (MEW 23, 105; II/6, 119) Marx bezieht sich hier allerdings nicht auf das Verhältnis zwischen Wert und Wertform, sondern zwischen Ware und Geld.
[11] „Aber Ganilh bildet sich mit den Mercantilisten ein, daß die Werthgrösse selbst das Product des Austauschs ist, während es doch nur die Form des Werths ist, oder die Form der Waare die die Producte durch den Austausch erhalten.“ (MEGA II/3.2, 523; MEW 26.1, 125).
[12] Die Marxsche Argumentation in dem Abschnitt über den spezifisch gesellschaftlichen Charakter der Privatarbeiten (MEW 23, 87/88) ist in der 2. deutschen Auflage (und allen folgenden) in sich offenbar so schlüssig, dass über hundert Jahre lang niemand den Zwischensatz über die „Reduction der verschiednen konkreten Privatarbeiten …“ vermisst hat. Dem handschriftlichen Befund nach wurde er als Nachtrag für die französische Ausgabe identifiziert (MEGA II/6, App. 750, 743). Er lautet (in unserer Übersetzung): „… und es ist nur der Austausch, der diese Reduktion vollzieht, indem er die verschiedensten Arbeitsprodukte einander gleichsetzt.“ (MEGA II/7, 55) Dieser Satz fehlt in der von Marx selbst noch weitgehend kontrollierten 3. deutschen Auflage (1883). Ob er absichtlich weggelassen oder lediglich vergessen wurde, lässt sich nicht feststellen. Aber beide Möglichkeiten sprechen nicht für eine besondere theoretische Bedeutung des Satzes für Marx. Auch wenn er für Marx nicht die große Bedeutung gehabt haben mag, die ihm Heinrich zuschreibt, so ist er doch aus Marx’s Feder und soll nicht einfach übergangen werden. Anzumerken ist noch, dass I.I. Rubin jahrzehntelang der einzige war, dem der Satz in der französischen Ausgabe überhaupt aufgefallen war, und der ihn sogar zu interpretieren versuchte. (I.I. Rubin, Studien zur Marxschen Werttheorie, Frankfurt 1973 [Moskau und Leningrad 1924], 112). Das Manuskript E+V wurde 1987 erstmals veröffentlicht. Weitere Details in Z 125, 118 ff.
[13] Einsicht im Nachhinein: Beide Seiten, auch wir, hätten für die Argumente nicht drei ganze Druckseiten belegen müssen: (Z 125, 122-125) bzw. Z 129, 150-152.
[14] Für die Herausarbeitung unserer Position in diesem und dem nächsten Abschnitt standen wir in fruchtbarer Korrespondenz mit Fred Moseley, dem wir dafür danken.
[15] Marx spricht von Arbeiten, also Tätigkeiten, nicht von Arbeitsprodukten.
[16] Der Begriff der abstrakt menschlichen Arbeit, den Marx im 1. UA einführt, wird hier, im 4. UA, erstmals begründet. In der französischen Ausgabe wird übrigens an dieser Stelle der Begriff abstrakt menschliche Arbeit nicht wörtlich verwendet. Es heißt dort nur „menschliche Arbeit schlechthin“ (travail humain en général). MEGA II/7, 55.
[17] Dieser Reduktionsbegriff findet sich im Kapital. Beispiel: Von der im Warenwert vergegenständlichten Arbeit sagt Marx: „Sie ist die Reduction aller wirklichen Arbeiten auf den ihnen gemeinsamen Charakter menschlicher Arbeit, der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft.“ (MEGA II/6, 98, MEW 23, 81; Herv. d. A.).
[18] Obwohl Privatarbeiten unabhängig voneinander verrichtet werden, sind sie als abstrakt menschliche Arbeit bereits qualitativ gleichgesetzt. Dieser ihr gesellschaftlicher Zusammenhang wird durch den Austausch der Arbeitsprodukte realisiert. Daran gemessen ist Heinrichs Konzept der „nachträglichen Vergesellschaftung“ zu einseitig, wenn er erklärt: „In gesellschaftlichen Zusammenhang treten diese Privatarbeiten erst nachträglich über den Tausch ihrer Produkte.“ (144) Der spezifisch gesellschaftliche Charakter der Gleichheit der Privatarbeiten wird noch nicht als gesellschaftlicher Zusammenhang aufgefasst.