Der alte und der neue Kalte Krieg

Eingestellt, 21.2.2022

21.02.2022
von Frank Deppe

Nach dem Zweiten Weltkrieg (1947/48 – 1991) wurde die Systemkonkurrenz zwischen dem von den USA geführten kapitalistischen „Westen“ und dem von der Sowjetunion geführten sozialistischen „Osten“ (zunächst unter Einschluss der VR China) im sog. Kalten Krieg ausgetragen. Die Hochrüstung mit atomaren Waffensystemen sollte – durch wechselseitige Abschreckung (aber auch durch den Wettlauf um neue überlegene Waffensysteme) – den globalen Atomkrieg (und die Vernichtung der Menschheit) verhindern. Unter dieser Glocke vollzog sich ein ökonomischer, technologischer, vor allem aber auch ideologischer Krieg, der auch die Funktion hatte, die inneren Herrschaftsverhältnisse in den jeweiligen Systemen zu stabilisieren. Das Freund-Feind-Denken war (immer auch als Folge des zur Staatsdoktrin erhobenen Antikommunismus) im Bewusstsein breiter Bevölkerungsschichten verankert und wurde durch Repression gegenüber Kritik von innen – im Osten gegen sog. „Dissidenten“, im Westen vor allem gegen sozialistische und kommunistische Kräfte gerichtet – verstärkt. Im Westen galt der Satz: „Lieber tot als rot!“.

Die Politik der Konfrontation geriet immer wieder an die Schwelle zur militärischen Explosion (Suez 1956, Berlinkrise 1961, Kubakrise 1962). Der offene Krieg zwischen den Systemen mit unzähligen Toten und Opfern wurde freilich in dieser Periode im „Süden“ des Globus – in der sog. Dritten Welt – ausgetragen, wo der Systemkonflikt durch die Kämpfe gegen den Kolonialismus überdeterminiert war. Den antikolonialen Krieg verlor der Westen – aber im Kalten Krieg siegte er 1991. Die USA und ihre Verbündeten im Westen waren der Sowjetunion und ihren Verbündeten im Osten stets im Hinblick auf die ökonomische Entwicklung, den Stand der Produktivkraftentwicklung sowie die materiellen Lebensbedingungen auch der Arbeiterklassen überlegen.

Der neue Kalte Krieg folgt einer anderen Logik. Diese wird durch den Kampf um die Verteilung und Neuverteilung der wirtschaftlichen und politischen Macht im Weltmaßstab nach dem Ende der Systemkonkurrenz und durch die Folgen und Widersprüche des globalen Finanzmarktkapitalismus bestimmt, der seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts seinen Siegeszug angetreten hatte. In der ersten Phase bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts beanspruchten die USA die Rolle des „Weltgendarmen“ im globalen „American Empire“. Der rasante Aufstieg der VR China (aber auch anderer ostasiatischer Staaten) seit 1978 sollte durch die Integration des Landes in den kapitalistischen Weltmarkt, die Mitgliedschaft in den internationalen Organisationen (vor allem IWF und Weltbank) und durch die schließliche Aufweichung der Herrschaft der kommunistischen Partei in das American Empire eingefügt werden. Militärisch musste China vor der Jahrhundertwende noch als „Zwerg“ erscheinen. Russland blieb als Atommacht bedeutsam. Aufgrund der inneren sozialökonomischen Probleme und der Krisenfolgen der Auflösung der Sowjetunion (Kriege an den Rändern) und der Transformation der Wirtschaft zum Kapitalismus sollte Russland als Konkurrent auf der Bühne der globalen Machtpolitik geschwächt bleiben. Für die EU – unter deutscher Führung – war aufgrund ihrer militärischen Schwäche und der inneren Konflikte ein Platz als Vasall der US-Führung vorgesehen.

Diese Strategie des Westens ist gescheitert. Die USA mussten nicht nur in Afghanistan und im Nahen Osten Niederlagen hinnehmen. Der Hegemon wird auch durch innere Widersprüche geschwächt. Die Präsidentschaft von Trump stand im Zeichen des Niedergangs („Make America Great Again“) und war mit der Abwertung der Bündnisorganisationen des Westens verbunden. Sie reflektierte die tiefe Krise und Spaltung der amerikanischen Gesellschaft. Sie eröffnete einen Prozess der Zerstörung der Demokratie und des „American Dream“, der sich im Sturm auf das Capitol am 6. Januar 2021 – aber auch in einer massiven Tendenz zum Faschismus – manifestiert. Nach wie vor sind die USA allerdings die bei weitem stärkste militärische Macht in der Welt. Die US-amerikanischen Konzerne im Bereich des digitalen Kapitalismus sind weltweit führend und in den USA befindet sich nach wie das Zentrum des „Dollar-Wall-Street-Regimes“.

Zur gleichen Zeit setzte sich der Aufstieg Chinas fort. Die kommunistische Partei hat ihre Führungsposition gestärkt. Das Land hat militärisch aufgeholt und verfügt über finanziellen Reserven, um – vor allem im Süden – eine Entwicklungs- und Außenpolitik zu verfolgen, die dem Land Sympathisanten und Bündnispartner auf Regierungsebene zuträgt. In dem Maße freilich, wie sich der politische Druck aus dem Westen erhöht hat, haben sich Russland und China (auch der Iran) enger zusammengeschlossen und neue Bündnissysteme geschaffen. In der UNO und anderen Organisationen arbeiten sie eng zusammen. Russland ist gegenüber China wirtschaftlich stark zurückgefallen und muss sich mit der Herausforderung auseinandersetzen, dass – vor allem in den (ehemals zur Sowjetunion gehörenden) Randstaaten (im Westen wie im Osten) –instabile Verhältnisse und Diktaturen herrschen und im Westen die NATO immer näher an die Grenzen Russland herangerückt ist. NATO-Truppen mit deutscher Beteiligung führen Manöver an der russischen Grenze durch.1 Extrem rechte Regime in Osteuropa beschwören die Gefahren einer militärischer Intervention von Russland in der Ukraine, um auf diese Weise vor allem die USA militärisch stärker in Osteuropa zu binden. Gleichzeitig hat Russland im Nahen Osten und in Nordafrika Einfluss gewonnen.

Unter dem demokratischen Präsidenten Joe Biden hat ein Strategiewechsel stattgefunden. Das Ziel ist gleich geblieben: die „Aufrechterhaltung einer dem Liberalismus (ökonomisch und politisch, F.D.) zuträglichen Weltordnung“, die nur von den USA als der „einzigen Macht gewährleistet werden“ kann.2 Neu ist die Erkenntnis, dass die USA ihre Führungsposition nur dann festigen bzw. wieder herstellen können, wenn sie die Bündnisbeziehungen vor allem mit den europäischen Bündnispartnern in der NATO (aber auch im pazifischen Raum – von Japan bis Australien) erneuern und wenn es ihnen gelingt, den Prozess der Machtexpansion von China (in geringerem Maße auch von Russland) im internationalen System zu stoppen und zurückzudrängen. Das wiederum erfordert die Bereitschaft, auf das Drohpotenzial von Sanktionen und militärischer Abschreckung zu setzen. Diese muss sich gerade dort beweisen, wo Russland und China in Konflikten an ihren Rändern (Taiwan / Ukraine) involviert sind. Die liberalen Bündnispartner der USA in Europa wie im pazifischen Raum fürchten sich vor dem Niedergang der USA und des Westens und sie wissen um den Zerfall der inneren sozialen Kohäsion in den entwickelten kapitalistischen Staaten des Westens im Gefolge der nicht enden wollenden Krisen seit dem Big Crash von 2008 ff.

Die Corona-Krise seit 2020 hat solche Befürchtungen noch einmal bestärkt. Nunmehr wird die Konfrontation mehr und mehr als Systemkonfrontation zwischen westlicher Demokratie und östlichem Autoritarismus inszeniert. Vor allem, die Leitmedien sind seit einiger Zeit dazu übergegangen, die Gefahren der Expansion und der militärischen Bedrohung aus dem Osten, und den repressiven und totalitären Charakter der Regime im Osten in den Mittelpunkt einer stets anschwellenden Propaganda zu rücken, die natürlich – wie in den Zeiten des alten Kalten Krieges – das Ziel verfolgt, die ideologische Hegemonie des westlichen Liberalismus (kapitalistische Marktwirtschaft plus repräsentative parlamentarische Demokratie im Namen der Menschenrechte) zu verteidigen und dabei die Herrschaft der sich zum Liberalismus bekennenden Machteliten im Inneren zu festigen.

Die Zeiten haben sich allerdings geändert. Die Ausstrahlung des neoliberalen Kapitalismusmodells, aber auch des politischen Systems, das sich am Vorbild USA orientiert, hat sich deutlich vermindert. Die Krise der Menschenrechte, des Parlamentarismus und des Wohlstandsmodells der USA ist offenkundig. Ein Sprecher der KP Chinas hat jüngst bei einem Schlagaustausch zwischen hochrangigen Politkern beider Länder auf diesen Tatbestand hingewiesen. Dazu kommt, dass im Westen – aufgrund der wirtschaftlichen und finanziellen Verflechtungen mit China und Russland – starke Gruppen aus Wirtschaft und Politik vor einer Zuspitzung der Konflikte ebenso wie vor einem ideologischen Anheizen eines neuen Systemkonfliktes warnen. Diese Differenz macht allerdings die Politik des niedergehenden American Empire umso gefährlicher!

Für die Linke sollte angesichts dieser Konflikte und Konstellationen klar sein, welche Bedeutung die Stärkung der Friedensbewegung im eigenen Lande hat. Es geht dabei nicht allein um die Unterstützung von politischen Kräften, die um die friedliche Lösung der internationalen Konflikte sowie um Entspannung und Abrüstung bemüht sind. Gleichzeitig muss sie in die ideologische Auseinandersetzung mit denjenigen Kräften eintreten, die im Namen der Demokratie und der Menschenrechte insbesondere das Regime in China als Feind definieren wollen. Auch für die Linke entstehen dabei neue und schwierige Fragen. Es wäre überaus naiv, die globalen Machtkonflikte nach dem Muster des alten Kalten Krieges (Kapitalismus gegen Sozialismus) zu denken. Dabei müssen auch Fragen nach dem Charakter der gesellschaftlichen und politischen Systeme in Russland und in China (die natürlich sehr unterschiedlich sind) geklärt oder zumindest angesprochen werden.

1 Man stelle sich vor: russische / chinesische und kubanische Truppen üben zusammen mit Truppen aus Mexiko an der texanischen Grenze der USA. In der Kuba-Krise blockierten US-Kriegsschiffe sowjetische Schiffe, die Waffen nach Kuba transportierten. Der amerikanische Präsident hatte vorher erklärt, dass ein Durchbrechen der Blockade die Eröffnung eines Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion bedeuten würde.

2 Robert Kagan: Zur Supermacht verdammt. Warum die Führungsrolle der USA unerlässlich ist, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 4/2021, S. 63 – 75, hier S. 75. Robert Kagan hatte 2003 für die Rolle der USA als Weltgendarm (in Afghanistan, Irak) geworben und sich über die Pazifisten in Europa lustig gemacht (Paradise and Power. America and Europe in the New World Order, London 2003).