Die Fehldeutung der Marxschen Wert- und Preistheorie

Kritik an Heinrichs Neuer Marx-Lektüre anlässlich des Beitrags von Barbara Lietz und Winfried Schwarz in Z 125/126

von Fred Moseley
Dezember 2021

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Kritik an Heinrichs Neuer Marx-Lektüre anlässlich des Beitrags von Barbara Lietz und Winfried Schwarz in Z 125/126

Michael Heinrich ist heute einer der prominentesten marxistischen Ökonomen, sowohl in seinem Heimatland Deutschland als auch im Rest der Welt. Seine wichtigsten Bücher erscheinen in englischer Übersetzung. Heinrich ist ein Verfechter der Neuen Marx-Lektüre (im Folgenden NML), die in den 1960er-Jahren in Deutschland unter dem Einfluss der Schriften von Hans-Georg Backhaus und Helmut Reichelt entstanden ist. Unter englischsprachigen Marxisten hat sich aus der NML die einflussreiche value-form interpretation (Wertform-Interpretation, im Folgenden VFI) entwickelt (z.B. Arthur, Reuten, Milios).

Die fundamentale Frage in der Kontroverse um die NML und die VFI betrifft den Charakter der Wertsubstanz der Ware oder die abstrakte Arbeit. Nach Heinrichs NML-Interpretation entsteht die abstrakte Arbeit im Austausch. Vor dem Austausch, in der Produktion, gibt es keine abstrakte Arbeit. In der Produktion existiert nur konkrete Arbeit, die Gebrauchswerte produziert, wie in jeder anderen Produktionsweise auch. Erst im Austausch wird die konkrete Arbeit in abstrakte Arbeit umgewandelt. Mit dieser qualitativen Frage ist die quantitative Frage der Bestimmung der Wertgröße (der Menge der abstrakten Arbeit) und des Verhältnisses zwischen der Wertgröße und dem Preis der Waren verbunden.

Der vor kurzem erschienene zweiteilige Aufsatz von Lietz und Schwarz in dieser Zeitschrift enthält eine starke und überzeugende Kritik an Heinrichs NML und der NML im Allgemeinen.[2] Der erste Teil ihres Beitrags (Abschnitte I–XII) befasst sich mit der qualitativen, der zweite (Abschnitte XIII–XIX) mit der quantitativen Frage. Meine Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf die quantitative Frage, aber ich werde zunächst kurz auf die wichtigsten Schlussfolgerungen von Lietz und Schwarz zur qualitativen Frage, zum Charakter der Wertsubstanz und zu ihrem Verhältnis zu den Warenpreisen, eingehen.

1. Der qualitative Charakter der Wertsubstanz

Um seine Interpretation mit Textstellen von Marx zu belegen, bezieht sich Heinrich in all seinen Schriften sehr stark auf einige Passagen aus einem 54-seitigen Manuskript, das unter dem redaktionellen Titel „Ergänzungen und Veränderungen zum ersten Band des ‚Kapitals‘“ (im Folgenden E+V) erstmals 1987 im Band II/6 der MEGA2 veröffentlicht wurde, der die zweite Auflage des Kapital von 1872 enthält. Marx hatte diesen Text als Vorbereitung für die zweite Auflage im Zeitraum Dezember 1871 bis Januar 1872 geschrieben. Heinrich zufolge stellen die E+V klar, dass die Wertsubstanz eine gesellschaftliche Substanz sei und aufgrund dieses gesellschaftlichen Charakters der Wertsubstanz der Wert nur im Austausch mit einer anderen Ware existieren könne und nicht schon als Resultat der Produktion vor dem Austausch.

Lietz und Schwarz betonen, Marx habe in diesem Manuskript festgehalten, dass der Wert eine gesellschaftliche Substanz ist. Aber dies bedeute nicht, dass der Wert nur im Austausch mit anderer Ware existiert. Vielmehr sei die Arbeit, die irgendeine Ware produziert, bereits Teil eines allgemeinen gesellschaftlichen Systems von Warenproduktion und Austauschbeziehungen, in dem jede Ware mit allen anderen Waren in bestimmten Proportionen gegenseitig austauschbar (d.h. äquivalent) ist. Diese allgemeine Gleichheitsbeziehung impliziere, dass alle Waren eine gemeinsame gesellschaftliche Eigenschaft haben müssen, und diese gemeinsame Eigenschaft sei die abstrakt menschliche Arbeit.

In seinem Manuskript vermerkt Marx, dass er sich in der ersten Auflage über diesen gesellschaftlichen Charakter der Wertsubstanz nicht ganz im Klaren war und die Wertsubstanz einfach als „Arbeit“ bezeichnete, was auf jedes Wirtschaftssystem zutreffen könnte. Im Abschnitt VI ihres Aufsatzes weisen Lietz und Schwarz darauf hin, dass Marx in der zweiten Auflage den Begriff „die Arbeit“ durch den historisch spezifischen Begriff der „abstrakt menschlichen Arbeit“ ersetzte und außerdem die irreführende Formulierung in der ersten Auflage strich, der Wert eines Warendings könne „unabhängig von dem andern“ [3] bestehen.

Heinrich sieht seine Interpretation durch eine weitere wichtige Feststellung von Marx in den E+V gestützt: „Erst innerhalb ihres Austauschs erhalten die Arbeitsprodukte […] eine […] gesellschaftlich gleiche Werthgegenständlichkeit.“[4] Lietz und Schwarz haben jedoch überzeugend gezeigt, dass diese Passage im Kontext einer Diskussion über den historischen Übergang zur Warenwirtschaft steht. Der „Austausch“, worin die Produkte erst zu Waren werden, meint nicht die alltägliche Phase der Warenzirkulation nach der Produktion, sondern den unmittelbaren Produktentausch an der historischen Schwelle zur Warenproduktion. In dem Maße, wie sich diese historisch zum vorherrschenden Wirtschaftssystem verallgemeinert, werden die „Dinge für den Austausch producirt“, so dass der „Werthcharakter der Gebrauchsgegenstände also schon bei ihrer Produktion selbst in Betracht kommt“. [5]

Lietz und Schwarz kommen zu dem Schluss, dass die E+V keine textlichen Belege für Heinrichs NML-Interpretation liefern, nach der für Marx die Wertsubstanz erst im Austausch existiere. Dieser Schlussfolgerung stimme ich zu. In einem Kapitel eines in Kürze erscheinenden Buchs werde ich diese qualitative Frage in den E+V ausführlicher diskutieren.[6]

2. Die quantitative Bestimmung der Wertgröße

a) Quantitative Inkongruenz von Wert und Preis

Ich komme zu meinem Hauptthema, der Bestimmung der Wertgröße und der Beziehung zwischen Wertgröße und Warenpreis, mit der sich Lietz und Schwarz im zweiten Teil ihres Aufsatzes beschäftigen. Ich konzentriere mich dabei auf die Abschnitte XIII bis XV ihres Aufsatzes. Der NML von Heinrich zufolge wird die Wertgröße nicht nur durch die Arbeitszeit in der Produktion sowie durch unterschiedliche Kompliziertheit der Arbeiten bestimmt, sondern hängt darüber hinaus für jede Ware von dem Verhältnis zwischen Angebot (A) und Nachfrage (N) im Austausch ab. (Heinrich spricht von drei „Reduktionen“ im Austausch). Erst die durch das Verhältnis von A und N bestimmte Wertgröße entscheide darüber, zu welchem Preis eine Ware tatsächlich verkauft wird, bestimme also ihren Marktpreis.

Im Abschnitt XIII ihrer Arbeit weisen Lietz und Schwarz auf den wichtigen Punkt hin, dass dann die Wertgröße und der Preis einer Ware nicht voneinander verschieden sein könnten: „Wird die Wertgröße der Ware aber durch den Austausch mit Geld erst gebildet, so folgt daraus, dass sie [die Wertgröße] ihrerseits vom Preis der Ware, ihrem Geldausdruck, nicht verschieden sein und nicht von ihm [dem Preis] abweichen kann.“[7]

Im Abschnitt XIV zeigen sie, dass diese Auffassung von Heinrich den folgenden wichtigen Aussagen von Marx zur „quantitativen Inkongruenz“ zwischen Wertgröße und Preis einer Ware im 3. Kapitel des ersten Bandes widerspricht. Marx: „In diesem Verhältnis [zwischen einer Ware und der Geldware] kann sich aber ebensowohl die Wertgröße der Ware ausdrücken, als das Mehr oder Minder, worin sie unter gegebnen Umständen veräußerlich ist. Die Möglichkeit quantitativer Inkongruenz zwischen Preis und Wertgröße, oder der Abweichung des Preises von der Wertgröße, liegt also in der Preisform selbst.“[8]

Lietz und Schwarz argumentieren, dass sich der Unterschied zwischen der Wertgröße einer Ware und dem „Mehr oder Minder, worin sie […] veräußerlich ist“, auf die Schwankungen der Marktpreise um die Werte der Waren bezieht. Diese Schwankungen ließen die Wertgröße unverändert, solange sich die Produktionsbedingungen nicht ändern. Im Gegensatz zu Heinrich stelle das Verhältnis von Angebot und Nachfrage keine neue Determinante der Wertgröße dar, sondern bestimme die Marktpreise, die um den Wert herum schwanken. Lietz und Schwarz räumen ein, dass sich die Wertgröße ändert, wenn Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage zu einer Änderung der Produktionsbedingungen führen, aber eben nur dadurch, dass sich die Produktionsbedingungen ändern. Somit könnten Angebot und Nachfrage die Wertgröße nur indirekt über ihre mögliche Wirkung auf die Produktionsbedingungen beeinflussen, nicht aber direkt und unabhängig von den Produktionsbedingungen. Die Differenz zwischen der Wertgröße und den Marktpreisen stellt ihrer Auffassung nach ein wesentliches Merkmal einer Warenwirtschaft dar, weil sie der Mechanismus ist, durch den die Verteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit in einer Warenwirtschaft geregelt wird. Sie beziehen sich auf den berühmten Brief an Kugelmann aus dem Jahr 1868, in dem Marx die wesentliche Rolle des Wertgesetzes bei der Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit in einer Warenwirtschaft als Grundlage seiner Arbeitswerttheorie diskutiert.

Ich stimme mit dem allgemeinen Tenor der Kritik von Lietz und Schwarz überein. Es gibt jedoch eine Unklarheit über die Bedeutung der „Wertgröße“ in den soeben zitierten Sätzen von Lietz/Schwarz und von Marx, die geklärt werden muss. Lietz und Schwarz meinen, Wertgröße und Preis könnten keine unterschiedlichen Größen mehr sein, wenn die Wertgröße selbst von Angebot und Nachfrage abhängt. Beide müssten dann immer dieselbe Größe sein.

Die Wertgröße ist jedoch eine Menge an Arbeitszeit, und der Preis ist eine Geldmenge. Wie können sie dann dieselbe Größe sein?

Eine ähnliche Frage stellt sich in Bezug auf die zitierte Aussage von Marx: Wie kann es eine „quantitative Inkongruenz zwischen Preis und Wertgröße“ geben, wenn Preis und Wert keine gemeinsame Maßeinheit haben?

Aus dem ganzen Absatz, in dem sich diese Aussage von Marx findet, geht jedoch klar hervor, dass er mit „Wertgröße“ in den beiden zitierten Sätzen die Preisform der Wertgröße meinte, d.h. den Preis, der allein durch die Wertgröße bestimmt wird. Weiter oben in diesem Absatz sagt Marx, dass es zwei Arten von Preisen gibt: Preise, die genau die Wertgröße ausdrücken (d.h. allein durch die Wertgröße bestimmt werden und ihr entsprechen), und Preise, die die Größe des Werts nicht genau ausdrücken, weil sie noch durch andere Faktoren bestimmt werden und daher nicht der Wertgröße entsprechen. Wir sollten daher diesen strittigen Absatz als Ganzen genauer betrachten: „Der Preis ist der Geldname der in der Ware vergegenständlichten Arbeit. […] Wenn aber der Preis als Exponent der Wertgröße der Ware Exponent ihres Austauschverhältnisses mit Geld, so folgt nicht umgekehrt, daß der Exponent ihres Austauschverhältnisses mit Geld notwendig der Exponent ihrer Wertgröße ist. Gesellschaftlich notwendige Arbeit von gleicher Größe stelle sich in 1 Quarter Weizen und in 2 Pfd. St. (ungefähr ½ Unze Gold) dar. Die 2 Pfd. St. sind Geldausdruck der Wertgröße des Quarter Weizens, oder sein Preis. Erlauben nun die Umstände, ihn zu 3 Pfd. St., oder zwingen sie, ihn zu 1 Pfd. St. zu notieren, so sind 1 Pfd. St. und 3 Pfd. St. als Ausdrücke der Wertgröße des Weizens zu klein oder zu groß, aber sie sind dennoch Preise desselben, denn erstens sind sie seine Wertform, Geld, und zweitens Exponenten seines Austauschverhältnisses mit Geld. Bei gleichbleibenden Produktionsbedingungen oder gleichbleibender Produktivkraft der Arbeit muß nach wie vor zur Reproduktion des Quarter Weizen gleich viel gesellschaftliche Arbeitszeit verausgabt werden. […] Die Wertgröße der Ware drückt also ein notwendiges, ihrem Bildungsprozeß immanentes Verhältnis zur gesellschaftlichen Arbeitszeit aus. Mit der Verwandlung der Wertgröße in Preis erscheint dies notwendige Verhältnis als Austauschverhältnis einer Ware mit der außer ihr existierenden Geldware. In diesem Verhältnis kann sich aber ebensowohl die Wertgröße der Ware ausdrücken, als das Mehr oder Minder, worin sie unter gegebnen Umständen veräußerlich ist. Die Möglichkeit quantitativer Inkongruenz zwischen Preis und Wertgröße, oder der Abweichung des Preises von der Wertgröße, liegt also in der Preisform selbst. Es ist dies kein Mangel dieser Form, sondern macht sie umgekehrt zur adäquaten Form einer Produktionsweise, worin sich die Regel nur als blindwirkendes Durchschnittsgesetz der Regellosigkeit durchsetzen kann“.[9]

Aus dem ersten Satz dieses Absatzes geht hervor, dass der „Preis“ einer Ware, wie sie bisher im Kapital untersucht wurde, „der Geldname der in der Ware vergegenständlichten Arbeit“ ist (d.h. der Geldname der Wertgröße). So wie die Ware bisher betrachtet wurde, hängt ihr Preis ausschließlich von der in ihr vergegenständlichten Arbeitszeit ab und nicht von Angebot und Nachfrage. In den nächsten Sätzen dieses Absatzes stellt Marx jedoch fest, dass der tatsächliche Preis jeder Ware aufgrund nicht näher bezeichneter „Umstände“ von ihrem Preis, der „der Geldname der in der Ware vergegenständlichten Arbeit“ ist, abweichen kann. In der Marxschen Werttheorie gibt es also zwei Arten von Preisen für eine Ware:

1. einen Preis, der ein korrekter „Ausdruck der Wertgröße“ der Ware ist, d.h. allein durch die Wertgröße der Ware bestimmt wird (d.h. durch die in der Ware vergegenständlichte Arbeitszeit).

2. einen Preis, der kein korrekter „Ausdruck der Wertgröße“ der Ware ist, weil er zum Teil durch andere „Umstände“ bestimmt wird.

Marx stellt hier eindeutig fest, dass die Wertgröße gleich bleibt, solange sich die zur Produktion einer Ware erforderliche Arbeitszeit nicht verändert: „Die Wertgröße der Ware drückt also ein notwendiges, ihrem Bildungsprozeß immanentes Verhältnis zur gesellschaftlichen Arbeitszeit aus.“ Der erste Preis, der korrekte Ausdruck der Wertgröße, wird sich also nicht verändern, solange die Wertgröße gleich bleibt. Dieses „notwendige Verhältnis“ zwischen gesellschaftlicher Arbeitszeit und Wertgröße widerspricht eindeutig Heinrichs Interpretation, wonach die Wertgröße auch von Angebot und Nachfrage abhängt.

Marx’ Aussage über die „quantitative Inkongruenz zwischen Preis und Wertgröße“ bedeutet also eine quantitative Inkongruenz zwischen zwei verschiedenen Arten von Preisen: Preise, die die Wertgröße korrekt ausdrücken (d.h. Preise, die allein durch die Wertgröße bestimmt sind), und Preise, die die Wertgröße nicht richtig ausdrücken (tatsächliche Marktpreise, die auch von Angebot und Nachfrage abhängen). Diese beiden Preise haben natürlich die gleiche Maßeinheit – die Geldware.[10]

Der letzte Satz dieses Absatzes enthält schließlich den wichtigen Punkt, dass die inhärente quantitative Inkongruenz zwischen diesen beiden Preisen einer Ware für die Warenwirtschaft angemessen ist, weil deren Gesetze sich „nur als blindwirkendes Durchschnittsgesetz der Regellosigkeit durchsetzen“ können. „Durchschnitt“ bezieht sich hier auf die durchschnittlichen Gleichgewichtspreise und „Regellosigkeit“ auf die Marktpreise, die ständig von den Gleichgewichtspreisen abweichen. Und das „Gesetz“, das Marx hier im Sinn hat, ist die in jeder Gesellschaft bestehende Notwendigkeit, ihre gesamte Arbeitskraft auf verschiedene Produktionszweige entsprechend den Bedürfnissen der Gesellschaft zu verteilen. Dies ist das wesentliche Merkmal einer Warenwirtschaft, das Lietz und Schwarz erwähnten, und das Marx, wie oben erwähnt, Kugelmann erklärte. In einer Warenwirtschaft gibt es keinen direkten bewussten Mechanismus, mit dem die Verteilung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit entsprechend den Bedürfnissen der Gesellschaft reguliert wird. Diese notwendige Verteilung wird stattdessen durch einen indirekten und unbewussten Mechanismus erreicht, der aus folgenden Elementen besteht:

1. Gleichgewichtspreise, die durch die Wertgröße der Waren bestimmt werden, wenn sich Angebot und Nachfrage decken. Es gilt A = N, und somit ist die gesellschaftliche Arbeit korrekt verteilt.

2. Marktpreise, die aufgrund von A ≠ N und einer Fehlallokation der gesellschaftlichen Arbeit von den Gleichgewichtspreisen abweichen.

3. Reaktionen der Warenproduzenten auf diese inhärente quantitative Inkongruenz zwischen Marktpreisen und Gleichgewichtspreisen aufgrund von A ≠ N. Diese Reaktionen der Produzenten tendieren dazu, die Fehlallokationen der gesellschaftlichen Arbeit zu korrigieren.

Die Kritik von Lietz und Schwarz an der NML-Interpretation von Heinrich lässt sich daher wie folgt präzisieren: Nach Heinrich ist der Preis, der durch die Wertgröße bestimmt wird, der tatsächliche Marktpreis, weil die Wertgröße von Angebot und Nachfrage abhängt. Dann kann aber der durch die Wertgröße bestimmte Preis nicht vom tatsächlichen Marktpreis abweichen. In der NML-Interpretation von Heinrich gibt es keine Gleichgewichtspreise, die durch die Wertgröße bestimmt werden, und daher kann es keine „quantitative Inkongruenz“ geben zwischen Gleichgewichtspreisen und tatsächlichen Marktpreisen. Wenn Marktpreise immer mit den Werten übereinstimmen, können Werte nicht als Gravitationszentren fungieren, um die herum die Marktpreise schwanken. In der Marxschen Theorie gibt es jedoch Gleichgewichtspreise, die im ersten und zweiten Band des Kapital durch die Wertgröße der Waren bestimmt werden, und diese Gleichgewichtspreise fungieren als Gravitationszentren, um die herum die Marktpreise schwanken. Daher gibt es in der Marxschen Theorie eine quantitative Inkongruenz zwischen Gleichgewichtspreisen und Marktpreisen, und diese spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulierung der Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit in einer Warenwirtschaft.

In seinem kürzlich in englischer Übersetzung erschienen Buch Wie das Marxsche Kapital lesen? räumt Heinrich ein, dass Marx von zwei Arten von Preisen spricht und in seiner Theorie eine „quantitative Inkongruenz“ zwischen diesen beiden Arten von Preisen kennt: „einen Preis, der den Wert adäquat ausdrückt [d.h. die Wertgröße], und einen Preis, der das Mehr oder Minder ausdrückt, zu dem die Ware im Moment verkäuflich ist.“[11]

Diese Aussage scheint richtig zu sein. Sie ist es aber nicht, weil Heinrich die Wertgröße in folgender Weise falsch definiert: „Die Wertgröße der Ware drückt aus, inwieweit die bei der Bildung der Ware verausgabte individuelle, konkrete Arbeit als gesellschaftliche Arbeitszeit zählt.“[12]

Das Schlüsselwort ist hier „zählt“. Heinrich bestimmt an dieser Stelle nicht näher, was „zählt“ bedeutet, hatte aber zuvor gesagt, dass das, was als gesellschaftliche Arbeitszeit „zählt“, wesentlich vom Verhältnis zwischen A und N abhängt.[13]

Im Gegensatz zur Theorie von Marx ist Heinrichs erster Preis also kein Gleichgewichtspreis mit A = N, sondern ein tatsächlicher Marktpreis mit A ≠ N. Und es ist nicht klar, was Heinrichs zweiter Preis ist, da A ≠ N bereits im ersten Preis berücksichtigt ist.

In seiner weiteren Kommentierung zum Schluss des Absatzes, in dem Marx von der „quantitativen Inkongruenz“ spricht, scheint Heinrich anzuerkennen, dass der erste Preis (der die Wertgröße adäquat ausdrückt) ein Durchschnittspreis ist, um den die tatsächlichen Marktpreise schwanken.[14] Durchschnittspreise sind jedoch Gleichgewichtspreise, bei denen sich Angebot und Nachfrage decken
(A = N);
und diese Gleichgewichtseigenschaft von Durchschnittspreisen widerspricht eindeutig Heinrichs Definition der Wertgröße, die von A ≠ N abhängt.

b) Wirkung von Überangebot (A > N) auf die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit (gnA)

In der zweiten Hälfte von Abschnitt XIV ihres Aufsatzes erörtern Lietz und Schwarz einen weiteren Absatz aus dem 3. Kapitel des ersten Bands des Kapital, diesmal aus dem 2. Unterabschnitt. Es handelt sich um eine der wichtigsten Passagen, mit der Heinrich in seinen Veröffentlichungen die Auffassung untermauern will, dass Wertgröße und die ihr zugrunde liegende gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit (gnA) auch von Angebot und Nachfrage abhängen:

„Gesetzt endlich, jedes auf dem Markt vorhandne Stück Leinwand enthalte nur gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Trotzdem kann die Gesamtsumme dieser Stücke überflüssig verausgabte Arbeitszeit enthalten. Vermag der Marktmagen das Gesamtquantum Leinwand, zum Normalpreis von 2 sh. per Elle, nicht zu absorbieren, so beweist das, daß ein zu großer Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit in der Form der Leinweberei verausgabt wurde. Die Wirkung ist dieselbe, als hätte jeder einzelne Leinweber mehr als die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit auf sein individuelles Produkt verwandt.“[15]

Heinrich und die NML im Allgemeinen interpretieren diese Passage dahingehend, dass das Überangebot an Leinwand dazu führe, dass die gnA in einer Einheit Leinwand sinke. Lietz und Schwarz halten dem entgegen, dass diese Passage gerade nicht besagt, dass sich die gnA verringert. Vielmehr schreibe Marx, die Wirkung wäre dieselbe, „als hätte“ der einzelne Produzent mehr Arbeitszeit als die gnA auf sein Produkt verwandt. In beiden Fällen sinke der Preis der Leinwand, aber im Fall eines Überangebots bleibe die Wertgröße wegen unveränderter gnA gleich. Ich stimme mit der Kritik von Lietz und Schwarz überein und möchte sie im Folgenden noch ergänzen.

Erstens ist an dieser Passage hervorzuheben, dass sie mit dem „Normalpreis“ der Leinwand beginnt. Dieser entspricht dem oben diskutierten Durchschnittspreis, bei dem A = N ist, und er ist somit der Gleichgewichtspreis der Leinwand, das Gravitationszentrum, um das die Marktpreise schwanken. Und der Normalpreis wird durch die im Durchschnitt notwendige Arbeitszeit (gnA) in der Produktion bestimmt.

Im Fall von A = N wird die gnA selbst bei Heinrichs NML-Interpretation nicht von A und N auf dem Markt beeinflusst, und der Normalpreis wäre allein durch die gnA als durchschnittliche Arbeitszeit in der Produktion bestimmt. Meiner Auffassung nach geht es in der Werttheorie von Marx im ersten Band genau darum – um normale durchschnittliche Gleichgewichtspreise, die nur von der durchschnittlichen Arbeitszeit in der Produktion abhängen.

Im Fall von A > N wird der Marktpreis unter den Normalpreis fallen (d.h. „quantitative Inkongruenz“). Der Normalpreis bleibt jedoch derselbe (2 sh.) und wird weiterhin allein durch die gnA in der Produktion bestimmt und nicht durch Abweichungen zwischen Angebot und Nachfrage A > N (oder A < N) beeinflusst. Was durch A > N (und A < N) beeinflusst wird, sind Marktpreise, die um den von der gnA bestimmten Normalpreis schwanken. In seinen Erörterungen zu dieser Passage geht Heinrich nicht auf die Bedeutung und den Stellenwert des Normalpreises in der Marxschen Theorie ein, was eine gravierende Schwäche seiner Interpretation darstellt. Stattdessen deutet er die Marxsche Werttheorie wie die NML-Interpretation im Allgemeinen so, dass es in ihr um Marktpreise bei Ungleichgewicht gehe, die von A und N abhängen, und dass die gnA ebenfalls von A und N abhinge.

In beiden Fällen, die Marx in der von Heinrich angeführten Passage erwähnt, ist zu viel Arbeitszeit für die Leinwand aufgewendet worden. Im Falle eines wenig produktiven Produzenten in einem Industriezweig wird zu viel individuelle Arbeitszeit aufgewendet, um eine Elle Leinwand zu produzieren, im Vergleich zu der durchschnittlichen Arbeitszeit, die in diesem Industriezweig als Ganzem dafür erforderlich ist. Und diese Arbeitszeit wird in der Produktion bestimmt. Wer mit geringer Produktivität produziert, erhält also im Austausch einen geringeren Gegenwert als den Durchschnittswert seiner Ware. Im Falle von A > N wurde im gesamten Industriezweig zu viel Arbeitszeit für die Produktion von Leinwand aufgewendet, verglichen mit der Gesamtarbeitszeit, die zur Befriedigung der normalen Gleichgewichtsnachfrage erforderlich wäre. Alle Produzenten in der Branche erhalten also im Austausch einen geringeren Gegenwert als den durchschnittlichen Wert ihrer Waren.

Um es in einer Formel auszudrücken: L* = (gnA) N*: Die Gesamtarbeitszeit (L*), die die normale Nachfrage zum Gleichgewichtspreis (N*) befriedigen würde, wird durch das Produkt aus einer Einheit gnA pro Elle Leinwand (gnA) (die wie oben ausgeführt in der Produktion bestimmt wird) multipliziert mit der normalen Nachfrage zum Gleichgewichtspreis (N*) bestimmt. In beiden Fällen wird die Einheit gnA, die erforderlich ist, um eine Elle Leinwand zu produzieren, in der Produktion bestimmt, und sie wiederum bestimmt den normalen Gleichgewichtspreis, um den herum die Marktpreise für Leinwand schwanken.

Diese Passage stützt auch die Interpretation von Lietz und Schwarz (und meine) der „Umstände“, die Marx fünf Seiten zuvor in dem oben diskutierten Absatz über die „quantitative Inkongruenz“ im Sinn hatte – nämlich dass sich diese Umstände auf Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage beziehen, die zu Abweichungen der Marktpreise von den normalen Gleichgewichtspreisen führen.

Marx schließt auf der nächsten Seite nach der von Heinrich zitierten Passage diese Diskussion über A und N wie folgt ab: „Hier ist jedoch das Phänomen rein zu betrachten, sein normaler Vorgang [d.h., dass die Waren zu ihrem normalen Preis verkauft werden] also vorauszusetzen.“[16]

Im ganzen weiteren Verlauf seiner Untersuchung geht Marx in allen drei Bänden des Kapitals daher im Allgemeinen davon aus, dass A = N ist. Zu dieser Deckung von Angebot und Nachfrage kommt es in der Realität nur selten, aber sie existiert für Marx als eine Tendenz. Seine Werttheorie handelt von normalen Gleichgewichtspreisen, um die herum die Marktpreise als ihrem Gravitationszentrum schwanken. Auf dem hohen Abstraktionsniveau des ersten und zweiten Bands unterstellt Marx, dass diese normalen Gleichgewichtspreise allein durch die gnA in der Produktion bestimmt werden.[17]

Am Ende des zweiten Unterabschnitts im nächsten Kapitel (4.2: „Widersprüche der allgemeinen Formel“), der zur Theorie des Mehrwerts überleitet, hält Marx in einer längeren und sehr wichtigen Fußnote fest, dass seine Theorie des Mehrwerts auf der Annahme beruht, dass die Preise Durchschnittspreise (also Normalpreise) sind, was wiederum voraussetzt, dass A = N ist. Diese Annahme ermögliche, „das Phänomen der Kapitalbildung auf Grundlage des Warenaustauschs rein vor sich zu haben und in seiner Beobachtung nicht durch störende und dem eigentlichen Verlauf fremde Nebenumstände verwirrt zu werden.“[18], was zum Beispiel bei A ≠ N der Fall wäre.

Im Abschnitt XV ihres Aufsatzes diskutieren Lietz und Schwarz vier weitere Stellen aus den Manuskripten von Marx, an denen er kursorisch auf den Fall eines Überangebots einer Ware eingeht.[19] Sie fassen diese vier Textstellen, die scheinbar die einzigen sind, an denen Marx auf diesen Fall eingeht, wie folgt zusammen:

1. Wenn für eine Ware A > N ist, wurde zu viel Arbeit in diesem Industriezweig verausgabt.

2. Als Folge von A > N fallen die Marktpreise unter die normalen Preise.

3. Daher erhält jeder einzelne Produzent weniger Arbeitszeit erstattet als in der Ware enthalten ist.

4. An zwei Stellen schreibt Marx, es ließe sich sagen, aufgrund von A > N habe sich die gnA für jede Ware verringert, weist aber explizit darauf hin, dass damit der Begriff der notwendigen Arbeitszeit einen anderen Sinn erhalte.[20]

Lietz und Schwarz kommen zu dem Schluss, dass die beiden beiläufigen Hinweise von Marx auf diese zweite Bedeutung nicht heißt, dass diese eine Determinante des Warenwerts ist. Die Wertgröße der Waren sei eine der „Grundkategorien der kapitalistischen Produktionsverhältnisse“ und werde ausschließlich durch die durchschnittliche Arbeitszeit in der Produktion bestimmt. Ich stimme dieser Schlussfolgerung zu und möchte nur hinzufügen, dass „Wert“ in diesen Passagen (wie auch in den oben besprochenen Textstellen) die Preisform des Wertes meint, d.h. den Preis, der durch die durchschnittliche Arbeitszeit in der Produktion bestimmt wird und das Gravitationszentrum ist, um das die Marktpreise schwanken.

Zu dieser Frage habe ich kürzlich einen kleinen Aufsatz veröffentlicht, in dem ich dieselben vier Textstellen diskutiere und vorschlage, die beiden Begriffe der gnA wie folgt zu definieren:[21]

- gnA(G): ein Gleichgewichtsbegriff der gnA, bei dem die durchschnittliche Arbeitszeit in der Produktion die Gleichgewichtspreise bestimmt; und

- gnA(U): ein Ungleichgewichtsbegriff der gnA, bei dem die Arbeitszeit durch den Austausch bestimmt wird, der auch von der Nachfrage abhängt.

In den wenigen Passagen, in denen Marx den Fall A ≠ N diskutiert, ändert er nicht die Bestimmung der gnA von einer allein auf der Produktion basierenden zu einer, die auch die Wirkung der Nachfrage einbezieht. Stattdessen fügt er für diesen Fall einen zweiten Begriff der gnA hinzu. Der grundlegende Begriff der gnA bleibt die durchschnittliche Arbeitszeit in der Produktion, die unter der im ersten und zweiten Band üblicherweise gemachten Annahme von A = N den Gleichgewichtspreis bestimmt.

Schlussfolgerung

Ich hoffe, dass die folgenden Schlussfolgerungen aus den bisherigen Ausführungen deutlich geworden sind:

1. Es gibt zwei Typen von Preisen in der Marxschen Werttheorie: durchschnittliche, normale Gleichgewichtspreise unter der Voraussetzung, dass A = N ist, und ungleichgewichtige Marktpreise für den Fall, dass A ≠ N ist. Die Gleichgewichtspreise sind das Gravitationszentrum, um das die Marktpreise schwanken.

2. Die gleichgewichtigen Normalpreise werden in der Marxschen Theorie durch die gnA in der Produktion bestimmt.

3. Ungleichgewichtige Marktpreise hängen von Angebot und Nachfrage ab. Wenn für eine Ware A > N ist, dann wird ihr Marktpreis unter ihren Gleichgewichtspreis fallen, aber der Gleichgewichtspreis wird derselbe bleiben und weiterhin durch die gnA in der Produktion bestimmt. Die Divergenz zwischen den Gleichgewichtspreisen und den Marktpreisen spielt eine wesentliche Rolle bei der Regulierung der Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit in einer Warenwirtschaft.

4. Im Gegensatz dazu existieren in der NML-Interpretation von Heinrich keine Gleichgewichtspreise; daher ist seine Interpretation eine falsche und verarmte Version der Marxschen Werttheorie.

Ich möchte noch hinzufügen, dass diese quantitativen Schlussfolgerungen eine wichtige Auswirkung auf die qualitative Frage haben, die zu Beginn dieses Aufsatzes kurz und im Aufsatz von Lietz und Schwarz ausführlich diskutiert wurde: Wenn die Menge abstrakter Arbeit in der Produktion bestimmt wird, vor dem Austausch, dann muss auch die Wertsubstanz, die abstrakt menschliche Arbeit ist, bereits in der Produktion existieren, vor dem Austausch.

Nachbemerkung

In der letzten Ausgabe der Z., Nr. 127, findet sich ein Artikel von Stephan Krüger mit dem Titel „Wert, Wertgröße und Wertgesetz“, der sich ebenfalls kritisch mit Heinrichs NML-Interpretation der Marxschen Werttheorie auseinandersetzt, und den ich mit Freude gelesen habe. Auch Krüger hält fest, dass der Wert in der Produktion geschaffen und im Austausch realisiert wird und dass die einzige direkte Determinante der Wertgröße einer Ware die durchschnittliche Arbeitszeit ist, die zu ihrer Produktion erforderlich ist, so dass sich die Größe des Werts daher nur dann ändert, wenn sich diese Arbeitszeit verändert. Dass wir in diesen Punkten übereinstimmen, unterstreicht die Kritik an der Interpretation von Heinrich, der Wert könne nur im Tausch existieren.

Andererseits kritisiert Krüger auch Lietz und Schwarz, weil sie seiner Ansicht nach im umgekehrten Sinne „einseitig“ seien. Sie würden ignorieren, dass eine Änderung der Nachfrage im Austausch auf indirekte Weise die durchschnittliche Arbeitszeit in der Produktion und damit die Wertgröße einer Ware beeinflussen könnte – nämlich durch eine Veränderung der produzierten Menge, was wiederum die Zusammensetzung der Warenmenge ändern könnte, die von Kapitalen mit ungleicher Produktivität produziert wird, wie Marx es im 10. Kapitel des dritten Bandes erörtert.

Ich stimme diesem Punkt zu und denke, dass auch Lietz und Schwarz dem zustimmen würden. Denn ihr Aufsatz war nicht völlig „einseitig“. Sie diskutierten eine andere Möglichkeit, wie die Nachfrage die durchschnittliche Arbeitszeit in der Produktion und damit die Größe des Werts einer Ware beeinflussen könnte: Ein anhaltendes Überangebot einer Ware könnte den technologischen Wandel in dem jeweiligen Industriezweig beschleunigen und damit die gnA für diese Ware verringern (ich bin oben auf diese Möglichkeit eingegangen).

Es gibt jedoch einen wichtigen Punkt, in dem Krüger und ich vielleicht nicht übereinstimmen. Im vorletzten Satz seines Aufsatzes wendet er sich gegen „gleichgewichtstheoretische Korsettstangen“.[22] Wie oben erörtert, vertrete ich die Auffassung, dass es in der Marxschen Werttheorie in erster Linie um Gleichgewichtspreise geht, weil sie das indirekte und unbewusste „Regulativ“ für die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit in einer anarchischen Warenwirtschaft sind. Marx betrachtete diese Gleichgewichtspreise als die „inneren Gesetze des Kapitals“. Wenn also die Warnung vor „gleichgewichtstheoretischen Korsettstangen“ bedeuten soll, dass es in der Marxschen Werttheorie nicht in erster Linie um Gleichgewichtspreise geht, dann hätten wir eine erhebliche Meinungsverschiedenheit, die zu klären wäre.

Übersetzung: Christian Frings

[1] Emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften, Mount Holyoke College, Massachusetts. Ich möchte Paula Rauhala dafür danken, dass sie mich auf das Papier von Lietz und Schwarz aufmerksam gemacht hat. Und ich habe sehr von der umfangreichen E-Mail-Korrespondenz mit Winfried Schwarz profitiert. Anm. d. Ü.: Paula Maria Rauhala hat sich intensiv mit der Debatte um die „monetäre Werttheorie“ beschäftigt; siehe ihren Aufsatz: The Neue Marx-Lektüre and the ‘Monetary Theory of Value’ in the East German Labour-Value Measurement Debate, in: Historical Materialism, Vol. 29 (2021), Nr. 2, S. 29–60.

[2] Barbara Lietz/Winfried Schwarz: Wert, Austausch und Neue Marx-Lektüre. Zugleich Anmerkungen zu Marx’ Werttheorie 1867–1872, Teil 1 und 2, in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Jg. 32, Heft 125 (März 2021), S. 112–125, und Heft 126 (Juni 2021), S. 129–141.

[3] Vgl. MEGA2, Bd. II/5, S. 19.

[4] MEGA2, Bd. II/6, S. 41. Hervorh. von Marx.

[5] Ebd.

[6] Fred Moseley: Marx’s Abstract Theory of Value in Chapter 1 of Capital. A Critique of Heinrich’s Value-Form Interpretation, London: Palgrave (i.E.).

[7] Lietz/Schwarz: Wert, Austausch und Neue Marx-Lektüre, Teil 2, S. 130; Hervorh. und Einfügungen F.M.

[8] Karl Marx: Das Kapital, Bd. 1, MEW, Bd. 23, S. 117. Hervorh. und Einfügungen F.M.

[9] Marx: Kapital, Bd. 1, MEW, Bd. 23, S. 116f. Hervorh. F.M.

[10] Wenn Marx ab dem 3. Kapitel den Begriff „Wert“ im Kapital ohne nähere Bestimmung verwendet, meint er in der Regel die Preisform des Werts, gemessen in Pfund Sterling und Schilling. Ein wichtiges Beispiel ist Marx’ grundlegende Theorie des Mehrwerts im 5. Kapitel. Er schreibt dort, dass „der Tageswert der Arbeitskraft“ 3 Shilling beträgt, während sich der „Wert“ von 20 Pfund Garn auf 30 Shilling beläuft (MEW, Bd. 23, S. 207f.). Ein anderes Beispiel ist die Erörterung der Mehrwertrate im 7. Kapitel, in dem er schreibt, dass der „Wert“ des verwerteten Kapitals 590 Pfund Sterling beträgt (ebd., S. 226).

[11] Michael Heinrich: Wie das Marxsche „Kapital“ lesen? Leseanleitung und Kommentar zum Anfang des „Kapital“, Teil 2, Stuttgart 2013, S. 28. Ders.: How to Read Marx’s Capital. Commentary and Explanations on the Beginning Chapters, translated by Alexander Locascio, New York 2021, S. 223. Hervorh. und Einfügung F.M.

[12] Ebd., S. 27 (engl. S. 222f.) Hervorh. F.M.

[13] Siehe insbesondere Michael Heinrich: Wie das Marxsche Kapital lesen? Leseanleitung und Kommentar zum Anfang des „Kapital“ (Teil 1), Stuttgart 2008, S. 84f. (engl. S. 75f.); vgl. auch S. 76–79 (engl. S. 69–71).

[14] Heinrich: Wie das Marxsche „Kapital“ lesen?, Teil 2, S. 28f. (engl. S. 224).

[15] Marx: Kapital, Bd. 1, MEW, Bd. 23, S. 121f. Hervorh. F.M.

[16] Marx: Kapital, Bd. 1, MEW, Bd. 23, S. 122. Hervorh. und Einfügung F.M.

[17] Natürlich befindet sich diese Theorie der Gleichgewichtspreise auf einer sehr hohen Abstraktionsebene. Marx entwickelte die Theorie der Gleichgewichtspreise ausführlicher im dritten Band in seiner Theorie der Produktionspreise, die zusätzlich zur Bestimmung durch die gnA innerhalb jeder Branche auch von der Ausgleichung der Profitraten zwischen den Branchen abhängen. (Zu meiner Interpretation der Marxschen Theorie der Produktionspreise siehe Fred Moseley: Money and Totality. A Macro-Monetary Interpretation of Marx’s Logic in Capital and the End of the ‘Transformation Problem’, Leiden 2016.) Aber auf beiden Abstraktionsebenen ist die Marxsche Preistheorie eine Theorie der Gleichgewichtspreise, die davon ausgeht, dass A = N. Bei der Neuen Marx-Lektüre geht es im Allgemeinen um die Abstraktionsebene des ersten Bandes.

[18] Marx: Kapital, Bd. 1, MEW, Bd. 23, S. 180, Fn. 37. Hervorh. F.M.

[19] MEGA2, Bd. II/3.2, S. 554f. (MEW, Bd. 26.1, S. 203f.); MEGA2, Bd. II/3.3, S. 1142f. (MEW, Bd. 26.2, S. 521f.); MEGA2, Bd. II/4.2, S. 261f. (MEW, Bd. 25, S. 196f.); MEGA2, Bd. II/4.2, S. 686f. (MEW, Bd. 25, S. 648f.).

[20] MEGA2, Bd. II/4.2, S. 687 (MEW, Bd. 25, S. 649); MEGA2, Bd. II/3.2, S. 554 (MEW, Bd. 26.1, S. 203).

[21] Fred Moseley: Socially Necessary Labor-Time: A Critique of the Value Form Interpretation of Marx’s Theory and a Suggestion for Possible Consensus, Academia Letters, Article 172, 2021.

[22] Stephan Krüger: Wert, Wertgröße und Wertgesetz, in: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Jg. 32, Heft 127 (September 2021), S. 122–130, hier S. 129, Hervorh. F.M.

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