Man könnte diese Bilanz sehr kurz machen: Die Enquête-Kommission (EK)[1] ist bei weitem nicht „auf der Höhe der Zeit“, sie wird kaum wegweisende Ergebnisse produzieren und die interessanten Erkenntnisse werden in den derzeitigen Politikbetrieb keinen Eingang finden. Zumindest die Regierungsmehrheit wird verhindern, dass mit dem Versuch „Wege zum nachhaltigen Wirtschaften“ zu beschreiben, der herrschenden ökonomischen Ordnung zu Leibe gerückt wird. Es ist zu befürchten, dass am Ende der Bericht von dem alten Geist geprägt ist, wonach Wohlstand und Lebensqualität am besten durch Wirtschaftswachstum gefördert werden können. Damit droht die Enquête-Kommission nicht nur weit hinter den Erwartungen der interessierten Öffentlichkeit zurückzubleiben, sondern auch hinter den ursprünglich bei ihrer Einsetzung formulierten Zielen. Jenseits dieser ernüchternden Gesamtbeurteilung sind allerdings durchaus Lern- und Diskussionsprozesse im Gange, die zumindest für die gesellschaftliche Linke nutzbar gemacht werden können – das betrifft auch einen Teil der Expertisen, die für die EK erstellt und dokumentiert werden.
I.
Die Tatsache, dass es diese EK überhaupt gibt, ist der internationalen Debatte geschuldet, die sich – ausgehend von den globalen Krisen – in den zuständigen Gremien entwickelt hat. Sowohl in der UNO als auch in der OECD wurden Alternativen zum BIP gefunden, die besser geeignet sind, die Entwicklung von Wohlstand und Lebensqualität der Bevölkerungen zu beschreiben. Mit dem Stiglitz-Sen-Fitoussi-Bericht[2] ist die Anforderung, das Dogma BIP-Wachstum in Frage zu stellen, mitten in Europa angekommen; eine Steilvorlage für eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, wie wir künftig leben und wirtschaften wollen – initiiert und propagiert vom Deutschen Bundestag. Doch diese Chance wird vertan.
Schon im Einsetzungsbeschluss, auf den sich SPD und Bündnis90/Die Grünen mit FDP und CDU/CSU geeinigt hatten, fehlten wichtige Dimensionen, die in dem ursprünglichen Antrag, den SPD und Grüne vorgelegt hatten, angelegt waren (weshalb die Fraktion DIE LINKE sich diesen zu eigen gemacht hatte): Die Bezüge zu Finanzmarktkrise, Klimakrise und wachsender sozialer Ungleichheit sind verschwunden. Statt – angesichts ökologischer und ökonomischer Grenzen – die Suche nach neuen Wirtschaftsstrategien in den Bereichen Arbeit, Finanzpolitik und Globalisierung aufzunehmen, wird jetzt auf technischen Fortschritt gezielt und darauf, dass Wettbewerb als Innovationstreiber und qualitatives Wachstum als Standortvorteil wirken. Und das, obwohl selbst ein konservativer Publizist wie Charles Moore die eigentliche Misere erfasst hat: „Es zeigt sich – wie die Linke immer behauptet hat –, dass ein System, das angetreten ist, das Vorankommen von vielen zu ermöglichen, sich zu einem System pervertiert hat, das die wenigen bereichert.“[3]
Dass von diesem aufgeklärten Geist wenig die Reihen der Regierungskoalition erreicht hat, zeigt ein Blick in die Protokolle der Plenardebatte im Bundestag zur Zwischenbilanz der EK, am 10. Mai 2012, die das EK-Mitglied Nüsslein (CDU) eröffnete mit Sätzen wie: „Ich möchte hier in aller Deutlichkeit formulieren: Aus unserer Sicht muss die soziale Marktwirtschaft weder umdefiniert noch umbenannt werden.“ Oder: „Der Staat hat in diesem Rahmen ordnungspolitische Aufgaben. Er hat dafür zu sorgen, dass sich freiheitliches Unternehmertum und private Initiativen entfalten können. Gleichzeitig beruht ein starker Sozialstaat – auch das muss man einmal deutlich sagen – auf dem Fundament einer starken und leistungsfähigen Wirtschaft. Genau darum geht es. Wir müssen unsere Wirtschaft stark und leistungsfähig halten und dürfen nicht Ideen anhängen, nach denen man Wachstum künstlich, zwanghaft beschränken und behindern muss.“
Die Unwilligkeit, sich auf eine gesellschaftliche Debatte einzulassen, zeigt sich auch darin, dass Gespräche mit NGOs, Wohlfahrtsverbänden, Hilfsorganisationen etc. explizit nicht vorgesehen sind, obwohl von deren Seite das Interesse groß ist und der Wunsch danach vorgetragen wurde.
Immerhin fand ein sehr gut besuchtes öffentliches Symposium zum Thema der Enquête-Kommission statt; die Internetseite der EK ist die meistfrequentierte von allen Ausschüssen des Deutschen Bundestages. Und in Folge des Attac-Kongresses „Jenseits des Wachstums“ (Mai 2011) hat sich eine „Enquête-Watch“-Gruppe gebildet, mit eigener Homepage (www.enquetewatch.de).
II.
Die EK ist in fünf Projektgruppen (PG) gegliedert, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagen und die Aufgabe haben, den Abschlussbericht zu erarbeiten. Darüber hinaus tagt etwa monatlich das EK-Plenum, das im Parlamentsfernsehen übertragen und in der Regel mit wissenschaftlichen Inputs bereichert wird.
Die Projektgruppe 1 „Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft“ hatte den Auftrag, grundlegende Tendenzen und Herausforderungen zu formulieren; u.a. sollte sie sich mit den Folgen sinkender Wachstumsraten auf Sozialversicherungssysteme beschäftigen. De facto scheitert diese Projektgruppe an den „Hardlinern“, denen es gelungen ist, kritische Positionen an den Rand zu drängen. In der Debatte spielen drei verschiedene Positionen eine Rolle: FDP und wesentliche Teile der CDU sind ungebrochen wachstumsoptimistisch, setzen „Wachstum“ mit Wohlstand und Entwicklung gleich (wobei unklar bleibt, was konkret damit gemeint ist) und verstehen es im Wesentlichen als Folge des technischen Fortschritts.
Die wachstumsskeptische Position der Konservativen, wie sie prominent von Meinhard Miegel verkörpert wird, geht von klaren Grenzen des Wachstums aus und davon, dass „wir“ uns vieles – insbesondere sozialstaatliche Aktivitäten – nicht mehr werden leisten können.
Bei den Grünen und auch bei der SPD wird eine gewisse Wachstumsskepsis deutlich, aber sie treten in erster Linie für anderes, qualitatives Wachstum („green growth“) ein. Weitergehende gesellschaftliche Perspektiven werden nicht geöffnet. Es ist eine fest verankerte und wenig hinterfragte Annahme, dass Wachstum Handlungsspielräume, Steuereinnahmen, Arbeitsplätze schaffe. Und wenn es „grün“ genug sei, würde auch noch die ökologische Krise gelöst. Es wird jedoch nicht thematisiert, dass Wachstum auch bedeutet, immer mehr gesellschaftliche Verhältnisse der Waren- und Wertform zu unterwerfen.
Es ist die in der EK einsame Position der LINKEN, dass es gar nicht um Wachstum geht, auch nicht um ‚besseres‘ Wachstum sondern darum, gesellschaftliche Ziele zu beschreiben und konkrete Schritte bzw. Umbauprozesse, die dahin führen. Mit dem Konzept-Papier „Plan-B, das rote Projekt für einen sozial-ökologischen Umbau“, hat die Bundestagsfraktion für die Bereiche Energie, Mobilität, Industrie und Agrarwirtschaft solche Konkretisierungen erarbeitet und stellt sie zur Diskussion[4].
Mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung haben wir außerdem ein 40-seitiges Hintergrundpapier zu feministischer Wachstumskritik erarbeiten lassen.[5] Die Autorinnen (Adelheid Biesecker, Christa Wichterich und Uta von Winterfeld) stellen in ihrem Fazit die Kritik an Externalisierungen und Exklusionen, Entwertungen und Privatisierungen ins Zentrum. Aus feministischer Perspektive (die in der real existierenden Enquête-Kommission ebenfalls weitgehend ausgeblendet wird), geht es beim Nachdenken über „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ nicht um die Entwicklung „passenderer“ Indikatoren, sondern darum, „einen Entwicklungsweg einzuschlagen, der weg führt vom markt- und geldgetriebenen Wachstumszwang – hin zu einer Gesellschaft, deren Lebensweisen und Wirtschaftsprozesse nachhaltig ausgerichtet sind und an der alle teilhaben und teilnehmen können.“
Die Projektgruppe 2 Entwicklung eines ganzheitlichen Wohlstands-/Fortschrittsindikators“, hat die Aufgabe „geeignete Indikatoren“ zu finden, die das BIP zumindest ergänzen und Ausdruck von nachhaltigem Wohlstand und Lebensqualität sind. Allerdings ist dabei das Ziel, die Dominanz herkömmlicher Maßstäbe wirtschaftlicher Entwicklung zu brechen, längst in der Versenkung verschwunden. Die Projektgruppe steuert auf ein Indikatorenset mit vier Säulen zu, die die Überschriften „Materieller Wohlstand“, „Soziales, „Ökologie“ und „Qualität der Demokratie“ tragen. Jede Säule soll einen oder mehrere „Leitindikatoren“ beinhalten, zusätzlich Ergänzungsindikatoren und außerdem „Warnlampen“ und „Hinweislampen“.
Bisher ist lediglich die Arbeit zur ersten Säule beendet, die nun folgendermaßen aussieht: Leitindikator eins ist „Veränderungsrate BIP pro Kopf“, Ergänzungsindikator ist „Rang des Gesamt-BIP im internationalen Vergleich“, Leitindikator zwei ist „Schuldenstandsquote“, Ergänzungsindikator ist „Fiskalpolitische Nachhaltigkeitslücke/Tragfähigkeitslücke“. Als Warnlampen dienen „Nettoinvestitionen“ und „Reale Immobilienpreislücke/Reale Aktienkurslücke/Kredit-zu-BIP-Lücke“ und als Hinweislampe „Nicht-marktvermittelte Produktion“.
In der PG 2 ist das Bemühen von Union und FDP zu beobachten, die Anzahl der Indikatoren massiv zu inflationieren und durch die Menge und Beliebigkeit der Indikatoren das Ergebnis der PG zur Unkenntlichkeit zu verwässern. Grüne und SPD haben dem bisher kaum etwas entgegen gesetzt.
Sowohl die Koalition als auch SPD und Grüne sind dabei bestrebt, austeritätspolitische Vorstellungen in dem Indikatorenset zu verankern. Dass ausgerechnet die mit Schuldenbremsen, Kürzungsprogrammen und Kapitalpflege verbundene Austeritätspolitik den „materiellen Wohlstand“ garantieren soll, wirkt vor dem Hintergrund der europäischen Krise geradezu abstrus.
Das Set der LINKEN besteht dagegen aus drei Indikatoren: „Materieller Wohlstand“, ausgedrückt im Medianeinkommen in absoluter Höhe, weil dies die Lebenswirklichkeit breiter Bevölkerungsgruppen unmittelbar und verständlich zum Ausdruck bringt (derzeit ca. 1.300 €); „Soziale Ungleichheit“, berechnet als Faktor aus dem Vergleich des durchschnittlichen Vermögens des obersten 1 Prozent mit den durchschnittlichen Vermögen der unteren 50 Prozent (derzeit liegt das Verhältnis bei 300:1) und „Ökologie“, ausgedrückt als ökologischer Fußabdruck im Verhältnis zur Biokapazität (2007 betrug der Faktor 2,9).
Die Projektgruppe 3 „Wachstum, Ressourcenverbrauch und technischer Fortschritt – Möglichkeiten und Grenzen der Entkopplung“ ist die einzige, aus der es bislang Positives zu berichten gibt. Die Zusammenarbeit über Fraktionen und Fachdisziplinen hinweg war von einem echten Erkenntnisinteresse geprägt. Die LINKE hat dabei um drei Aspekte gerungen: Erstens von Beginn an darauf zu achten, dass eine Auseinandersetzung mit der aktuellen Rohstoffpolitik der Bundesregierung und der EU stattfindet, die vorrangig auf den freien Marktzugang gerichtet ist. Zweitens die katastrophalen Arbeits- und Umweltbedingungen beim Abbau dieser Rohstoffe in den Ländern des globalen Südens einzubeziehen. Und drittens eine Umbauperspektive zu öffnen, die kurzfristige Profitorientierung der Unternehmen zurückdrängt und ökologische Grenzwerte setzt. Am Ende war das Problembewusstsein immerhin so groß, dass es zu vernünftigen Ergebnissen in der Analyse gekommen ist. Die wichtigste Erkenntnis, die in einem Gutachten von Reinhard Madlener und Blake Alcott zum Ausdruck kommt: absolute Entkoppelung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftwachstum gibt es nicht. Effizienzgewinne werden tendenziell durch mehr Verbrauch/Konsum an anderer Stelle wieder aufgefressen (rebound-Effekt). Im Fazit des Gutachtens heißt es: „… Im Hinblick auf die zu Tage tretende Tatsache jedoch, dass Effizienzsteigerung allein keine absolute Verbrauchsreduktion bewirkt – vielleicht nur zur Hälfte, vielleicht noch weniger – gilt es unserer Meinung nach vermehrt, die oben genannten Themen betreffend effektiver, aber relativ unpopulärer Umweltmaßnahmen zu untersuchen. Aber wie genau wirken sich diese Maßnahmen auf die Größe und Gestaltung des BIPs aus? Sind Effizienzsteigerungen und erneuerbare Quellen in hinreichendem Ausmaß verfügbar, um den Wohlstand auch langfristig halten zu können? Wie viel Genügsamkeit (Suffizienz) würde von der Bevölkerung verlangt, und wäre dies überhaupt zumutbar? Gäbe es vielleicht sogar positive individuelle und soziale Auswirkungen? ...“ Es gibt bei den Konservativen durchaus Stimmen, die die ökologischen Grenzen unseres Wirtschaftsmodells anerkennen und sehen, dass Wachstum weder mit mehr Lebensqualität, noch mit mehr Wohlstand gleichzusetzen ist. Eine starke Position ist jene der ökologischen Modernisierung, die davon ausgeht, dass mit dem bestehenden politischen Institutionensystem und entsprechenden technologischen und sozialen Innovationen grundlegende Veränderungen erreicht werden können. Die Produktions- und Lebensweise wird aber grundsätzlich nicht infrage gestellt. Damit wird die Position tendenziell unaufrichtig: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.
Aber auch in der PG3 finden Ausblendungen auf bestimmten Ebenen der Beschreibung ökologischer Probleme statt. Die globale Perspektive spielt in der Diskussionen der EK insgesamt kaum ein Rolle („Wir sind hier schließlich in einem Deutschen Bundestag“ – mehrmals aufgeschnappter O-Ton). Die intensiv diskutierte Frage der Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch in der PG 3 hatte jedoch eine stark globale Perspektive – allerdings von zweifelhaftem Charakter. Es heißt bspw., wenn wir unter den und den Bedingungen weiter machen, „dann fliegt uns der ganze Planet um die Ohren.“. Bei genauerer Betrachtung bezieht sich die globale Perspektive dann auf die Verfügbarkeit von Ressourcen auf dem Weltmarkt und v.a. die sog. ‚Senkenproblematik‘ (die Überlastung ökologischer Kreisläufe durch CO2 und andere Abfälle, mit globaler Wirkung bzw. Ausmaßen). Problematisch erscheinen nur jene ‚globalen‘ Umweltprobleme, die letztlich auch die Wirtschaftsmächte im Norden tangieren könnten. Geflissentlich ignoriert werden dabei Ressourcenkonflikte und Zerstörung durch Klimawandel und Rohstoffabbau auf lokaler Ebene. Hier geht es aber um die täglichen Lebensbedingungen und Überlebenschancen konkreter Menschen.
Für die LINKE geht es darum, die ‚Astronauten-Perspektive’ aufzubrechen und konkrete soziale Verhältnisse ins Blickfeld zu rücken. Es ist nicht ‚die Menschheit’, die den Globus zu Grunde richtet, sondern es sind konkrete Akteure (Personen und Unternehmen), die unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen handeln. Die Liberalisierung führt dazu, dass Investmentbanker – in gegenseitiger Konkurrenz um die Kapitalanleger – immer größere Risiken eingehen, um kurzfristig möglichst hohe Profite zu realisieren. Um dem zu begegnen, müssen die Banken und Finanzmärkte durch Gesetze reguliert und begrenzt werden; moralische Appelle helfen nicht. Genauso wenig, wie sie dazu taugen, den Massenkonsum auf umweltfreundliche, langlebige, „fair“ produzierte und gehandelte Produkte zu lenken, so lange die Wirtschaftsweise und die dazugehörige Werbemaschinerie darauf ausgerichtet sind, das Gegenteil zu bewirken.
Auch die Aneignung von Natur ist durch gegensätzliche gesellschaftliche Kräfte- und Klassenverhältnisse geprägt. Transnationale Konzerne verwüsten ganze Landstriche, um Rohstoffe auszubeuten, während landlos gemachte Bauern ums Überleben kämpfen. Die Automobilindustrie rüstet für die Verdoppelung des weltweiten PKW-Bestandes, während vielerorts die Entwicklung öffentlicher, zukunftsfähiger Mobilitätsangebote ebenso auf der Strecke bleibt wie die Einwohner, deren Beweglichkeit oder Zahlungsfähigkeit eingeschränkt sind.
Dem Vorschlag der LINKEN, für die einschlägigen Felder „Mobilität“ und/oder „Ernährung“ eine detaillierte Untersuchung des notwendigen Umbaus vorzunehmen, wird wohl nicht gefolgt.
In der Projektgruppe 4 „Nachhaltig gestaltende Ordnungspolitik“ sollen theoretisch die Empfehlungen aus anderen Projektgruppen in einen konkreten „politischen Werkzeugkasten“ überführt werden. Allerdings beschränkt sich der Themenblock im Einsetzungsbeschluss sehr auf reaktive, krisenbewältigende Maßnahmen (im Anschluss an Markt- und Staatsversagen) und vernachlässigt präventive und steuernde Maßnahmen. Es wird nicht die Frage gestellt, ob Marktprozesse und Preissignale als Politikinstrumente ausreichen, um z. B. die notwendigen technischen Innovationen in nachhaltigen Produktionsprozessen durchzusetzen. Ebenso wenig gibt es eine Auseinandersetzung mit dem Problem, dass z. B. die Inwertsetzung von Rohstoffen und Energieträgern auf Börsenmärkten per se krisenverschärfend wirkt.
Die PG 4 beschränkt sich selbst auf die exemplarischen Felder Finanzmärkte und Chemieindustrie und will für diese ordnungspolitische Maßnahmen vorschlagen. Damit werden weiter Steuerungsoptionen faktisch ausgeschlossen. Konjunkturpolitik, Investitionspolitik, Strukturpolitik und vor allem die Verteilungspolitik werden voraussichtlich (kraft Mehrheitsverhältnissen) außen vor bleiben.
Die LINKE. schlägt vor, auch Politikinstrumente zu berücksichtigen, die demokratische Beteiligungsrechte von Bürgerinnen und Beschäftigten stärken.
Die Projektgruppe 5 trägt den Titel „Arbeitswelt, Konsumverhalten und Lebensstile“. Wie die PG 4 ist sie erst vor drei Monaten gestartet und immerhin ist es gelungen, Einigkeit darüber herzustellen, dass die genannten Bereiche unter dem Vorzeichen bzw. mit dem Ziel der Nachhaltigkeit (ökologische, sozial und ökonomisch) betrachtet werden sollen.
Eine erste Debatte geht um die Frage, wie Konsumentenentscheidungen beeinflusst werden. Inwieweit sind die Menschen eigentlich frei zu entscheiden? Der Sachverständige der CDU setzt auf Information und „social corporate responsibility“. Sein Leitbild: Der „mündige Verbraucher“ scannt die aufgedruckten Barcodes im Supermarktregal und bekommt die hinterlegten Infos auf sein Smartphone, wo er dann nachlesen kann, wie viel CO2 beim Transport seines Lieblingsweines ausgestoßen wurde, ob der T-Shirt-Produzent Bio-Baumwolle verwendet oder die Keksfabrik tarifgebunden ist. Die Unternehmen wiederum begeben sich in den wünschenswerten Wettbewerb um die besten Umwelt- und Sozialstandards. Fragen der Kontrolle, der Wirksamkeit und vor allem die Frage, wodurch Kaufentscheidungen eigentlich tatsächlich geprägt werden, werden überhaupt nicht gestellt. Die SPD setzt in der PG vor allem auf Bildung, Erziehung und Ordnungspolitik (Verbote von Unverträglichem). Die LINKE fragt nach der Marktmacht. Unternehmen versuchen Präferenzen in ihrem Sinne zu beeinflussen – die Werbe-Etats sind gigantisch, die Werbestrategien raffiniert. Konsumentscheidungen haben etwas mit ganz woanders getroffenen und von ihnen kaum beeinflussbaren Vorentscheidungen zu tun, mit Warenproduktion und -angebot und mit der Einkommensverteilung. Klar ist: der Markt löst die Probleme hinsichtlich von Arbeit und Konsum nicht. Individuelle Kaufentscheidungen sind sicherlich wichtig. Staatliche Maßnahmen müssen flankieren. Aber eine emanzipatorische Perspektive fragt nach kollektiven, demokratischen Prozessen, nach gesamtgesellschaftlichen Veränderungen.
Der zweite Themenkreis, der zur Debatte steht, dreht sich um Arbeit, Arbeitsbedingungen, Zeitwohlstand. Während die Opposition ein Gutachten über die Finanzierbarkeit von kurzer Vollzeit angeregt hat, bestehen Liberale und Konservative auf einem Gutachten zum bestmöglichen Handling der Übertragung von „Unternehmerverantwortung“ auf Arbeitnehmer (welche als „organisatorische Revolution“ zur Entgrenzung von Arbeit führte).
Vorläufiges Fazit
Für die gesellschaftliche Debatte ist von dieser Enquête-Kommission nichts Wegweisendes zu erwarten. Dennoch ist die konzentrierte Mitarbeit der LINKEN darin nicht nutzlos: zum Einen genießen die Mitglieder nach außen eine gewisse Reputation, werden im universitären oder kirchlichen Spektrum eingeladen und erhalten Publikationsmöglichkeiten (Uli Brand konnte als Gegenpart zu Meinhard Miegel u.a. einen Beitrag bei der Bundeszentrale für politische Bildung veröffentlichen). Zum anderen können wir unsere „Krallen schärfen“, die diskursive Schwäche der Gegenseite entdecken, unsere Argumente gegen die mainstreamigen „green growth“-Vorstellungen schärfen und an unseren eigenen theoretischen und konzeptionellen Defiziten arbeiten. Dazu gehört die kritische Auseinandersetzung mit Begriffen wie „Nachhaltigkeit“ und „Entwicklung“, die einem systemimmanenten Diskurs entstammen und so unscharf sind, dass sie auch für Wirtschaftsliberale anschlussfähig sind. Oder die selbstkritische Auseinandersetzung mit der Vorstellung, man müsse „aus der Krise herauswachsen“. Auch die Bilder von Sackgassen, von zwangsläufigen Endstationen (peak oil, Endlichkeit der Rohstoffe…) sind problematisch, weil sie die Verwüstungen verbergen, die ihre Extraktion schon heute anrichtet. Und bezogen auf den Klimawandel ist klar, dass es nicht zu wenig, sondern zu viel fossile Rohstoffe gibt.
Darüber hinaus sind für die gesellschaftliche und vor allem für die marxistische Linke Fragen aufgeworfen, die (auch mit Hilfe der erworbenen Exepertise) jenseits der EK und der engen Wachstumsdebatte bearbeitet werden sollten: die Frage nach den Trägern sozial-ökologischer Umbauprozesse und den Kämpfen, die darum in den hoch industrialisierten Ländern zu führen wären, ist offen. Wie lassen sich die Widersprüche produktiv machen, die in unserer „imperialen Lebensweise“ stecken und welche Rolle können Gewerkschaften spielen, deren Blütezeit eng mit einem (fordistischen) Wachstumspfad verbunden ist, der die globale Biokrise verursacht. Wie ließe sich, im Gegensatz zu Prekarisierung, nicht nur „gute Arbeit“ realisieren, sondern auch das Korsett der „entfremdeten Arbeit“ aufbrechen? Kann sich in Degrowth-Kommunities, Post-Oil-Cities und Bioenergie-Dörfer neues emanzipatorisches Potential entfalten? Und können gemeinnützige Unternehmen und Genossenschaften zu revolutionären Projekten werden?
Schließlich fehlt eine Theorie des „Grünen Sozialismus“. Im Diskurs über sozial-ökologische Transformation sucht man den Begriff Sozialismus vergeblich (das gilt auch für den o.g. „Plan-B“), obwohl wir ein Konzept des „Greening“ des Kapitalismus als theoretisch und politisch unmöglich ablehnen. Die Vision Sozialismus spielt keine Rolle, wenn von Umwelt die Rede ist; und umgekehrt: Wer vom Sozialismus redet, denkt nicht an das Naturverhältnis.
[1] Der volle Titel lautet: „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zum nachhaltigen Wirtschaften in der sozialen Marktwirtschaft“. Die Enquête-Kommission wurde vom Deutschen Bundestag im Januar 2011 eingesetzt und muss ihren Bericht im Mai/Juni 2013 vorlegen. Mitglieder sind 17 Bundestagsabgeordnete und 17 externe Sachverständige, die jeweils nach dem Parteienproporz von den Fraktionen benannt wurde. Die LINKE ist mit zwei MdBs (Ulla Lötzer und Sabine Leidig) und zwei Sachverständigen (Dr. Norbert Reuter, ver.di und Prof. Uli Brand, Uni Wien, Attac-Beirat) vertreten. Unterstützt und organisiert wird die Arbeit der EK von einem eigens eingerichteten Sekretariat des Bundestages. Dokumente und Einblicke finden sich im Internet unter: http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/gremien/enquete/wachstum/index.jsp
[2] Die “Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress” wurde 2008 von der französischen Regierung mit dem Auftrag eingesetzt, die Maßstäbe für ökonomische Wohlfahrt und sozialen Fortschritt zu überprüfen. Vgl. Joseph Stiglitz, Amartya Sen und Jean Paul Fitoussi, Mismeasuring Our Lives, New York 2010.
[3] Zit. in: FAZ v. 15.08.2011: F. Schirrmacher, „Ich beginne zu glauben, dass die Linke recht hat“.
[4] Vgl www.plan-b-mitmachen.de
[5] http://www.nachhaltig-links.de/images/stories/Wachstum/FeministischePerspektiven_WachstumWohlstandLebensqualitaet.pdf