Die Corona-Krise hat sich als Crash-Test für das bundesdeutsche Gesundheitswesen erwiesen. Sie hat Schwachstellen, innere Widersprüche und dessen sozialpolitischen Klassencharakter offengelegt.
Die Autorinnen und Autoren des Schwerpunkts beginnen mit einer Bestandsaufnahme der aktuellen gesundheitspolitischen Konfliktfelder („Kampffeld Gesundheitswesen“). Ellen Ost berichtet über die Probleme der Personalverknappung im Pflegebereich und die Kampagne für einen Tarifvertrag Entlastung an der Uni-Klinik Jena. Dabei erkämpfte Erfolge müssen ständig verteidigt werden. Einen Überblick zu den „Dauerbaustellen der Gesundheitspolitik“ und den daraus folgenden Reformbedarf gibt Hartmut Reiners. Es geht um Versorgungsstrukturen, Krankenhausfinanzierung, „ärztliche Vergütungen“ und das System der Krankenversicherung. In der Corona-Krise zeigt sich, so Nadja Rakowitz, „was passiert, wenn man die stationäre Versorgung kapitalistisch durchökonomisiert“. Gerade die Corona-Krise und die drohende Neuauflage der Austeritätspolitik machen Alternativen notwendig, vor allem die demokratische Planung präventiver Strukturen öffentlicher Daseinsvorsorge. Hans-Jürgen Urban, Christoph Ehlscheid und Katharina Grabietz (IG Metall) sehen gesundheitspolitischen Handlungsbedarf sowohl im Betrieb wie gesamtgesellschaftlich: Vor allem ein Ende der „Ökonomisierungslogik“ und die Einführung einer Bürgerversicherung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Dass ein „Systemwechsel“ im Gesundheitswesen überfällig ist, betont gleichermaßen Achim Kessler und plädiert dafür, die Profitlogik des Fallpauschalensystems durch eine bedarfsgerechte Krankenhausfinanzierung und eine solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherung zu ersetzen. Erwähnenswert ist an dieser Stelle im Übrigen auch, was der DGB-Vorsitzende beim Kasseler Friedensforum im Dezember letzten Jahres feststellte (sh. Bericht, S. 203): dass der Bundeshaushalt 2021 selbst in Pandemie-Zeiten nur halb so viel Geld für das Gesundheitswesen vorsah wie für den Rüstungsetat.
Die folgenden Beiträge gehen der Frage nach den Funktionsmechanismen des Gesundheitssystems der BRD nach. Wolfram Burkhardt erläutert Grundzüge der Organisation, Finanzierung und Steuerung des deutschen Gesundheitssystems. Eine Reform müsse sowohl eine solidarische Finanzierung als auch die lokale und regionale Vernetzung der Gesundheitsversorgung sicherstellen, um dem kapitalistischen Privatisierungsdruck standhalten zu können. Als Haupttendenzen der Veränderung im Gesundheitswesen unter neoliberaler Hegemonie seit den 1990er Jahren benennt Thomas Gerlinger: Ökonomisierung (insbesondere Unterwerfung der gesetzlichen Krankenkassen unter Konkurrenzzwang) und Privatisierung, besonders im Bereich von Krankenhäusern und neuerdings Medizinischen Versorgungszentren. Zu konstatieren sei auch die Ausweitung staatlicher Interventionen durch vielfältige gesetzliche Regelungen bei Beibehaltung „korporatistischer“ Regulierung (Einbeziehung von Krankenkassen und Ärzteschaft). Jan Latza und Harald Weinberg zeigen, wie sich unter dem Druck der Ökonomisierung und des Personalabbaus im Gesundheitswesen in den letzten zehn Jahren eine gewerkschaftliche Gegenbewegung entwickelt hat, der es gelungen ist, durch Protestaktionen und Pflegestreiks Entlastungstarifverträge z.T. mit Personalvorgaben durchzusetzen und sozialpolitischen Druck auszuüben, der u.a. zu einer ersten Veränderung in der Finanzierung der Pflegepersonalkosten geführt hat. Diese Bewegung habe, so die Autoren, durchaus das Potenzial, „die Krankenhauspolitik weiter aufzumischen“. Die COVID-19-Pandemie unterstreicht, dass Gesundheit und Krankheit gesellschaftspolitische Dimensionen haben. Der vorherrschende Fokus auf Infektionsbekämpfung und Impfungen droht allerdings, die soziale Bedingtheit des Gesundheitsthemas in den Hintergrund zu drängen. In ihrem Beitrag zu „Global Health“ und „Global Health Governance“ beschreiben Kai Michelsen und Jens Holst, warum die globale Gesundheitsarchitektur von strukturellen Ungleichgewichten zugunsten eines medizinisch-technologischen Vorgehens geprägt ist.
Online-Heftpräsentation zum Schwerpunkt dieses Heftes am 11. März ab 19 Uhr. Weitere Informationen: Z-Homepage und unsere Social-Media-Auftritte. Zugang: https://us02web.zoom.us/j/85453839779?pwd=U250TndaSFE1dlhGUExKQTUrOGhGZz09.
Marx-Engels-Forschung: Die Partnerschaft von Marx und Engels steht im Mittelpunkt des Beitrags von Michael Krätke. Er betont dabei die eigenständige Rolle von Engels. An der neuen Studienausgabe des „Anti-Dühring“ lobt Thomas Kuczynski die historische Einordnung des Werkes sowie seiner Rezeption vor 1933, wendet sich aber gegen die Bezeichnung von Engels als „Architekt des Marxismus“. Mit Hilfe der Marxschen Kategorien der produktiven und unproduktiven Arbeit kann die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung umgruppiert werden, um das Verhältnis zwischen wertschöpfender Produktion, materiellen Produkten und Dienstleistungen widerspruchsfrei zu erfassen (Stephan Krüger). Das Marxsche Vorbereitungsmanuskript (1871/72) für die 2. Auflage des „Kapital“ erlaubt eine teilweise neue Sicht auf die Werttheorie, insbes. die Kategorie der abstrakt menschlichen Arbeit. Barbara Lietz/Winfried Schwarz halten im ersten Teil ihres Aufsatzes die Interpretation durch die Neue Marx-Lektüre bei Michael Heinrich für ungeeignet, Wert und abstrakte Arbeit ausschließlich aus dem Austausch zu begründen.
Geschichte der Arbeiterbewegung: Einhundert Jahre nach den Märzkämpfen 1921 resümiert Ronald Friedmann die Ereignisse. Er erinnert an Ziele, politischen Akteure und Entscheidungssituationen. Seine Bewertung: Der Versuch, eine Revolution ohne zugespitzte revolutionäre Situation, ohne Massenrückhalt und gegen große Teile des Proletariats und mögliche Bündnispartner in Gang zu setzen, war zum Scheitern verurteilt. Im II. Teil von Alfred Kosings Aufsatz zur Leninschen Sozialismusauffassung wird deutlich, dass Lenin von einer langen Periode des Übergangs zu einer neuen Gesellschaft ausging. Der Verfasser arbeitet Lenins Verständnis von Diktatur als Klassenherrschaft heraus; der Demokratie maß Lenin eine zentrale Rolle zu; in Gestalt der Sowjets schien sie ihm verwirklichbar (wird fortgesetzt). Am 5. März jährt sich der Geburtstag von Rosa Luxemburg zum 150. Mal. Holger Politt stellt einen bisher unbekannten Brief von Julian Marchlewski aus dem Jahr 1894 vor, in dem „Rosa L.“ erwähnt wird. Er wirft einen Blick auf die Arbeit von Marchlewski und Rosa Luxemburg in der frühen Arbeiterbewegung in Polen.
Weitere Beiträge: Peter Schadt skizziert die Digitalisierung als kapitalistischen und profitgetriebenen Prozess, der inzwischen die Dimension eines Programms der EU im globalen Konkurrenzkampf mit den USA und China angenommen hat. Christin Bernhold und Christian Stache analysieren Struktur, Entwicklungstrends und Ausbeutungsverhältnisse der deutschen Fleischindustrie. Sie plädieren für ihren radikalen Umbau im Interesse von Lohnabhängigen, Tieren und ökologischer Nachhaltigkeit gleichermaßen. Jörg Goldberg, André Leisewitz, Gerd Wiegel und Michael Zander setzen die redaktionelle Corona-Krisen-Analyse der letzten Hefte unter zwei Gesichtspunkten fort: neoliberale Prägung sowohl der Pandemie als auch der staatlichen Gegenmaßnahmen und der durch sie verschärften sozialen Ungleichheit; Entwicklung des „Lockdown light“ und der Krisenproteste.
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Aus der Redaktion: Neu in die Redaktion eingetreten sind Janis Ehling und
Maurice Laßhof. Unsere Präsenz in den sogenannten „sozialen Medien“ wurde erweitert: Hinweise auf neue Veröffentlichungen, Artikel und Veranstaltungen von Z. können sowohl über Facebook und Twitter als auch über einen Kanal beim Messengerdienst Telegram abgerufen werden: Unser Twitterprofil ist unter „@ErneuerungZ“ zu finden, unser Telegram-Kanal über den Link „telegram.me/z_zeitschrift“.
Z. konnte den Jahrgang 2020 in Fortsetzung des Trends der letzten Jahre mit erfreulichem Zuwachs bei Abos und Einzelheftverkauf abschließen. Wir erhoffen uns das auch für 2021 und möchten unsere LeserInnen ermuntern, Z. – soweit sie das noch nicht getan haben – zu abonnieren und damit weiterhin zur materiellen Absicherung der Zeitschrift beizutragen.
Vorschau: Z 126 (Juni 2021) wird im Schwerpunkt Beiträge zur Kritik des Intersektionalismus bringen. Weitere Themen: Georg Lukács anlässlich seines 50. Todestages; Beiträge zu Faschismusforschung, zu Liebknecht und Luxemburg, zu Marx und Presse-Freiheit, zur Debatte um Werttheorie u.a.m.
Veranstaltungsreihe im März und April
Formwandel des Kapitalismus und die Rolle von Krisen –
Grundlagen der historischen Kapitalismusanalyse
Unsere für 15. bis 19. März geplante Marxistische Studienwoche kann nicht als Präsenzveranstaltung geplant werden. Das Programm wird daher als Veranstaltungsreihe mit wöchentlichen Zoom-Vorträgen angeboten (jeweils Montag 19 Uhr). Eine Übersicht der Vorträge und Inputs findet sich auf unserer Homepage. Reader gegen Unkostenbeitrag nach Anmeldung bei der Redaktion erhältlich.