Christian Zeller, Revolution für das Klima. Warum wir eine ökosozialistische Alternative brauchen. Oekom Verlag München 2020, 242 S., 22 Euro
Christian Zeller präsentiert einen gelungenen Aufschlag für eine konkrete ökosozialistische Strategiedebatte, der in erste Linie als Intervention für die Klimajugendbewegung zu verstehen ist. Diese scheint an einem Scheideweg zwischen vollständiger Integration in den (links)grünliberalen Parlamentarismus und einer Radikalisierung zu stehen. Die Betonung der Zentralität der Ökonomie, von Arbeit und deren kapitalistische Organisationsprinzipien für das gestörte gesellschaftliche Naturverhältnis ist daher die richtige Nachricht zur richtigen Zeit. Der Klimabewegung bescheinigt er die Tragweite des 1,5°C-Ziels und die Größe des notwendigen gesellschaftlichen Umbaus, die dessen Einhaltung erzwingt, dramatisch zu unterschätzen (8ff.). Reduktionsszenarien, die auf einer deutlichen temporären Überschreitung des 1,5°C-Ziels und dem massiven Einsatz von Geoengineering beruhen, gleichen einer völlig fahrlässigen Wette auf die Zukunft der Menschheit als Zivilisation, zum Schutze des Status Quo. So bleibt als einzig verantwortungsvoller Weg das Szenario P1 des IPCC, welches rasche und radikale Eingriffe in die bestehenden Produktions-, Transport und Konsumstrukturen, also einem massiven industriellen Um- und Rückbau in den wichtigsten kapitalistischen Ländern vorsieht (15ff.).
Das bedeutet nichts weniger als einen Bruch mit der kapitalistischen Produktionsweise (10), unter deren Bedingungen die Transition zu erneuerbaren Energien nicht rasch und umfangreich genug erfolgen könne und unter deren Bedingung der industrielle Um- und Rückbau, selbst wenn er politisch durchgesetzt werden könnte, mit einer massiven Kapitalentwertung, mit Krise und Arbeitslosigkeit verbunden wäre. Um weniger und anders produzieren zu können muss die Macht des Kapitals über die gesellschaftliche Investitionsfunktion, über Produktion und Reproduktion, in einem Akt der Selbstermächtigung aller Ausgebeuteten und Unterdrückten gegenüber der bürgerlichen Klasse, gebrochen werden (12). Das erfordert einen massiven Wandel der Kräfteverhältnisse.
Auf Grundlage primär ökomarxistischer Theoriebildung wird überzeugend dargelegt, warum substanzielle Nachhaltigkeit im Kapitalismus nicht zu haben ist und warum die gesellschaftliche Organisation von Arbeit (auch nicht formalisierte Arbeit) und Klasse im Zentrum einer Nachhaltigkeitsrevolution stehen müssen (Kapitel 3). Kapitalistische Akkumulation beruht dabei nicht nur auf der Ausbeutung von Lohnarbeit im Wertbildungsprozess, sondern ebenso auf der Aneignung unbezahlter Reproduktionsarbeit und damit einhergehend Unterdrückung und Diskriminierung von Frauen (37ff.) sowie der systematischen Plünderung und Verschmutzung der Natur im Verwertungsprozess (28ff.). Arbeit ist von den Zwängen der Profitorientierung und damit vom naturzerstörerischen Zwang zur maßlosen Produktivitätssteigerung zu befreien und die gesellschaftliche notwendige Arbeitszeit (Lohnarbeit sowie Nichtlohn-Arbeit) muss im Sinne der Geschlechtergerechtigkeit und eines sozialverträglichen Wirtschaftsumbaus gerecht verteilt werden.
Den strategischen Kern seiner in trotzkistisch-rätekommunistischer Tradition stehenden Perspektive, bildet die Methode, Strategie und Praxis der demokratischen gesellschaftlichen Aneignung (Kapitel 4). Das explizit positiv hervorzuhebende Anliegen des formulierten Übergangsprogramms, das sich zwischen einem ökologisch völlig unzureichendem realpolitischen Minimalismus und einem abstrakten ohnmächtigen Revolutions-Maximalis-mus bewegt, ist es, an den konkreten sozialen Erfahrungen und Interessen der Menschen als Klassenangehörige anzusetzen, um die Kluft zwischen objektiv notwendigem und dem derzeitigen Organisation- und Bewusstseinsstand der Mehrheit der Lohnabhängigen zu überbrücken. Im sozialen Kampf kommt die politisch und kulturell stark fragmentierte Klasse der Lohnabhängigen zu Klassenbewusstsein, Organisationsstrukturen und formiert sich als politischer Akteur selbst. Ziel dieser Perspektive wäre es, eine auf einer enormen Mobilisierung der Lohnabhängigen in Gewerkschaft und sozialen Bewegungen gestützte und kontrollierte Reformregierung zu wählen, die sozial-ökologische Strukturreformen anschieben würde, um in den anschließenden heftigen Klassenkämpfen vor der Entscheidung eines fundamentalen Bruchs oder einer Kapitulation vor dem Druck des internationalen Kapitals zu stehen. Das entscheidende sind in dieser Revolutionsperspektive die Strukturen gesellschaftlicher Selbstverwaltung, die in einer zeitlich begrenzten Situation der Doppelmacht, eine größere Legitimität genießen als der Staatsapparat (201) und die gesellschaftliche Aneignung letztlich durchsetzen. Die Übergangsforderungen versuchen den sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft ganz konkret zu denken, vom Umbau der Produktion (Kapitel 5), dem Umbau der Städte und der gesellschaftlichen Infrastruktur (Kapitel 6), dem Umbau der Finanzierung (Kapitel 7) und der Frage nach transnationalen politischen Verflechtungen und globaler Solidarität (Kapital 8). Kapitel 9 widmet sich Überlegungen einer demokratischen, ökologischen und effizienten Planwirtschaft.
Im Kontrast zum sehr differenzierten, strategischen und doch radikalen Realismus, wirkt das stetige Insistieren darauf, dass alle emanzipatorischen Schritte nur funktionieren können, wenn sie global, oder mindestens transnational forciert werden, etwas befremdlich. Selbstverständlich kann eine vollständig emanzipatorische Perspektive nur in einer globalen ökosozialistischen Demokratie bestehen und transnationale Kämpfe sind zu forcieren. Die Transnationalität allerdings zur Bedingung zu erheben, bleibt bei den fundamentalen Schwierigkeiten transnationaler Klassenorganisierung, der anzunehmenden Ungleichzeitigkeit weltweiter politischer Entwicklung und der Persistenz nationalstaatlicher Steuerungskompetenzen, kapitalistischer Weltmarktzwänge und Imperialismus etwas utopisch. Vage bleibt auch die Frage, wie die politische Einheit der Klasse, die verschiedenen sozialen Bewegungen und Stränge der gesellschaftlichen Aneignung organisiert (und nicht nur mobilisiert) und zusammengeführt werden, um ein gesamtgesellschaftliches Machtzentrum bilden zu können. Wer sind ihre Träger? Welche verschiedenen Machtressourcen haben welche Akteure? Sowohl die Diskussion der Organisationsfrage als auch das analytische und politisch-strategische Verhältnis der verschiedenen Widersprüche und Emanzipationsbereiche zueinander bleiben unterbelichtet. Zellers Argumentation durchzieht die These, die allerdings kaum explizit gemacht wird, dass Klasse aus theoretischen politisch-strategischen Gründen im Zentrum einer ökosozialistischen Strategie stehen müsse (Ableitung patriarchaler Arbeitsteilung und des fossilistischen Arbeitsproduktivitätssteigerungszwangs aus dem Kapital-Arbeit Widerspruch; Zentralität des industriellen Umbaus durch die Beschäftigten selbst und Streikmacht als Schlüsselmachtressource). Aufgrund der unzureichenden ökonomischen Binnendifferenzierung der Arbeiter*innenklasse (36) geraten außerdem mögliche Interessensdifferenzen innerhalb dieser und damit auch zwischen verschiedenen Selbstverwaltungsstrukturen aus dem Blick.
Für die aktuelle Debatte ist das Buch äußerst hilfreich, da es mit der Kategorie des durch Arbeit vermittelten Stoffwechsels Perspektiven aufzeigt, Klimapolitik als Klassenpolitik konkret erfahrbar machen zu können, um so eine weitergehende Politisierung voranzutreiben und für die Klimabewegung neue Allianzen, Mitstreiter*innen und Machtressourcen zu finden. Das Buch ist allen ökologisch orientierten Gewerkschafter*innen und Klimaktivist*innen zu empfehlen, die nach Wegen suchen die Parole der Klimabewegung System Change not Climate Change mit Leben zu füllen und in konkrete Forderungen und strategische Überlegungen zu gießen.