Endlich erledigt?

Eingestellt 29.11.2020

29.11.2020
von Ulrich Brinkmann

„Abwählen!“ (SZ, 31.10.)
„Endlich erledigt“ (Die Zeit, 7.11.)
„Die Heilung Amerikas kann
beginnen“ (FAZ, 8.11.)

Wer sich in der deutschen Presselandschaft der US-Wahlwoche auf die Suche nach divergierenden Stimmen – etwa einem Äquivalent zum amerikanischen Fox-News-Sender – machte, suchte vergebens. Den Trump-Verteidiger wollte hierzulande –abgesehen von der AfD – niemand geben, was einerseits angesichts dessen düsterer Bilanz nachvollziehbar ist, andererseits aber auch ein Licht auf die fehlende Pluralität der Medienlandschaft wirft.

Die Botschaft der SZ, „Nun entscheiden die Amerikaner – und sie haben eigentlich keine Wahl“, suggeriert, dass der Demokrat Biden gegenüber Trump die vernünftige Option (gewesen) sei. Die Botschaft hat jedoch auch eine alternative Bedeutung, denn selten traf der alte Kalauer besser zu als jetzt: Dem Kapital ist es egal, wer unter ihm Präsident ist. Bei aller Verteufelung von Trump vergaß man, sich den Gegenkandidaten genauer anzuschauen. Am härtesten hat das der wortgewaltige Host der Jimmy-Dore-Show auf Youtube formuliert: Wahlsieger sind Goldman Sachs und die Wall Street, die Kreditkartenbranche, der Prison-Industrial-Komplex, die Fossil-Fuel-Industrie, die privaten Krankenversicherungsanbieter und last bust not least: der Militärisch-Industrielle-Komplex. Biden selbst steht – wie kaum jemand vor ihm – für eine aggressive US-amerikanische Außenpolitik: Als Vize von Obama zeichnete er für eine Ausweitung der Kriegsbeteiligungen von zwei auf sieben militärische Konflikte verantwortlich, er hat sich für die Bombardierung Serbiens, Afghanistans und des Irak stark gemacht (letzteres auch noch nach Bekanntwerden der Lügen zur Kriegserklärung). Im Wahlkampf sprach sich Biden für die Weiterführung des Fracking und gegen einen Green New Deal aus, wie er von der „progressiven“ Fraktion der Demokraten um „The Squad“ (Alexandria Ocasio-Cortez, Ilhan Omar, Rashida Tlaib, Ayanna Pressley) vertreten wird. Er steht in seiner langen Karriere für drastischen Sozialabbau und innenpolitisch für einen harten Law-and-Order-Kurs: Stolz verweist er auf seine Handschrift im „Violent Crime Control and Law Enforcement Act“ von 1994 mit seinem berüchtigten „Three strikes law“, der zu einem drastischen Anstieg Inhaftierter führte – betroffen waren insbesondere Schwarze und Latinos. Nebenbei: Vize Kamala Harris sorgte als Generalstaatsanwältin von Kalifornien dafür, dass (meist schwarze) Eltern von schulschwänzenden Kindern mit Gefängnis bestraft wurden. Heute führen die USA mit weit über 2 Mio. Inhaftierten die weltweiten Statistiken sowohl in absoluten Zahlen als auch relativ (Inhaftiertenrate) an. Wer sich die (unvollständige!) Bilanz des politischen Lebens von Joe Biden unvoreingenommen anschaut, blickt in eine ähnliche Düsternis wie beim Gegenkandidaten. Nicht einmal in der aktuellen Politik in Notzeiten finden sich signifikante Unterschiede: mitten in einer weltweiten Pandemie weigern sich beide, eine Krankenversicherung für Alle einzuführen oder ein auch nur entfernt hinreichendes finanzielles Hilfspaket für die große Masse an US-AmerikanerInnen anzubieten, die schon vor der Gesundheitskrise nur „from paycheck to paycheck“ lebten und nun – wie schon 5 Mio. Familien vor ihnen in der Krise 2008ff. – vor dem Rauswurf aus ihren Wohnungen stehen. Schon damals unterstützten Obama/ Biden die Banken und nicht die Arbeiterklasse. Und selbstverständlich bleibt es bei der Forderung nach höheren Ausgaben der NATO-Partner. Hierzulande werden die Militärausgaben weiter steigen, die Zusagen liegen schon vor.

Und selbst bei den beiden Igitt-Faktoren steht der Demokrat dem scheidenden Präsidenten nicht nach:

Korruption: Die lange kolportierten und vor der Wahl bekräftigten Korruptionsvorwürfe gegen die Biden-Familie dürften auch nach dem Januar 2021 eine schwere Hypothek für den neuen Präsidenten werden. Muss man hier analog zur vergangenen Legislaturperiode ein dieses Mal von der republikanischen Partei initiiertes Impeachmentverfahren und ein vierjähriges „China-Gating“ (analog zum „Russiagating“ der Demokraten) befürchten, das nötige Policy-Debatten verdrängt?

Lügen: Seine Lügen und „schlechten Manieren“ sind dem amtierenden Präsidenten gewiss ein Sargnagel gewesen – zumindest im liberalen Bürgertum. Wendet man aber den Blick auf Biden, so erkennt man eine jahrzehntelange Spur von politischem Plagiatorentum bis hin zu erfundener Biografie. Wer sich die offenliegenden Dokumente der Unredlichkeit im Netz anschaut, kommt nicht umhin zu fragen, wozu jemand fähig ist, der seiner Frau die Bildungsgeschichte der Gattin von Neil Kinnock, sich selbst den Spitzenplatz unter den Politologie-Studierenden seines Jahrgang andichtet (wenn er doch nur der 76. von insgesamt 85 Studis war), und – schlimmer geht‘s immer – der sich im Wahlkampf als Anti-Apartheid-Kämpfer rühmt, bei dem sich Nelson Mandela selbst bedankt habe. Wofür? Dafür, dass er, Biden, beim Versuch, Mandela im Gefängnis zu besuchen, verhaftet wurde. Weder das eine – Verhaftung – noch das andere – Mandelas Dank – hat es jemals gegeben.

Dass dem Kapital, bzw. einigen seiner einflussreichen Fraktionen, Biden aber doch lieber als Trump ist, hängt mit dessen Ausflügen in einen (Fake-) Populismus zusammen. Berüchtigt sind seine Ausfälle gegen die Big Tech-Monopole des Silicon Valley, deren Zensur-Rache er im Wahlkampf verspüren musste. Und ebenso erstaunlich waren seine (zwei) Interview-Statements in Eisenhower-Manier mit einer mittelschweren Anklage des „military industrial complex“, der das Land von einem Krieg in den nächsten treibe. Solche Worte mögen Lockheed Martin, Raytheon, Boeing und Co. natürlich nicht und Biden wird sie auch nicht aussprechen, hat er doch schon auf seinen Großsponsorenbanketten erklärt: „Nothing will fundamentally change“. Das ist der Punkt: Das Aufatmen der Börse signalisiert, dass die (wahrscheinliche) republikanische Mehrheit im Senat Biden und die Demokraten daran hindern wird, unangenehme Entscheidungen zu treffen.

Mit dem Kampf gegen die Kriegspolitik des MIK und die Zensurpolitik der Big-Tech-Monopole sind zwei Komplexe angesprochen, die eine thematische Nähe zwischen Rechts- und Linkspopulismus in den USA andeuten. Dass es hier bislang zu keiner tragfähigen politischen Koalition gekommen ist, hängt einerseits mit dem Unwillen des Oligarchen Trump zusammen, einzelnen Kapitalfraktionen tatsächlich die Zähne zu zeigen, andererseits mit dem fehlenden machtpolitischen Mut der Sanders-Fraktion, ihre Massenbewegung als „leverage“ zu einer Kräfteverschiebung in der demokratischen Partei zu nutzen.