Eine neue Engels-Biographie
Tristram Hunt, Friedrich Engels. Der Mann, der den Marxismus erfand. Aus d. Engl. v. Klaus-Dieter Schmidt. Propyläen Verlag, Berlin 2012, 573 S. m. Ill. u. Abb., 24,99 Euro
Der Autor schreibt zum Glück nicht über den „Mann, der den Marxismus erfand“. Sein Thema ist vielmehr: Der gutbetuchte Kommunist – das revolutionäre Leben von Friedrich Engels.1 Da die Übersetzung des Textes selbst dem Original adäquat ist, werden wohl die Marketingstrategen des Verlages den auf Mainstream getrimmten Untertitel erfunden und damit zugleich den dem originalen eigenen revolutionär-widersprüchlichen Gusto eliminiert haben.
Hunt liefert das, was zunächst von jeder brauchbaren Biographie zu verlangen ist, eine über weite Strecken sehr lesbare Beschreibung der Lebensstationen und Lebensumstände eines Mannes, der politisch seit seiner Jugend stets Revolutionär war und sozial zunächst Junior in der väterlichen Firma, dann deren Prinzipal und schließlich Rentier. Es war eine ungeheure Gratwanderung, die Engels über viele Jahre zu absolvieren hatte, und gerade in den so genannten besten Mannesjahren (zwischen 30 und 50) war er „diesem hündischen Commerce“ ausgeliefert, „der mich mit seiner Zeitverschwendung vollständig demoralisiert.“2 Marx wird auch und vor allen andern Engels im Sinne gehabt haben, als er im Vorwort zum Kapital strikt zurückwies, „den einzelnen verantwortlich zu machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.“3
Und so beginnt auch Hunt das Einführungskapitel zu seiner Lebensbeschreibung mit Engels’ letztem Arbeitstag in der Firma, weist Engels’ Verantwortlichkeit zurück, allerdings nicht nur für die damaligen kapitalistischen, sondern ebenso für die zwischenzeitlich sozialistischen Verhältnisse (die gegenwärtigen in China eingeschlossen), eine Problematik, auf die er auch in seinem Epilog zurückkommt, und genauso fertigt er die Legende ab, dass Engels Marx verflacht habe und überhaupt dafür verantwortlich zu machen sei, was spätere Marxisten aus dem gemacht haben, was ihnen Marx hinterlassen hatte. Umgekehrt scheut er sich nicht, auch Schwächen und Fehlverhalten zu benennen, damals übliche Alltagsrassismen, auch in Veröffentlichungen, ebenso wie ein – zweifellos durch sein Doppelleben verstärktes – Alkoholproblem. Dagegen ist Hunts Bild vom „Frauenhelden“ Engels ziemlich schief, da es keine Belege dafür gibt, dass dieser nach 1850, nach einem bis dahin allerdings ziemlich bewegten Jugendleben, seinen irischen Lebensgefährtinnen „Seitensprünge“ zugemutet hätte; auch liegt er ganz falsch bei seiner Interpretation von Engels’ Beziehungen zu den Pariser Grisettes als Bordellbesuche, denn das waren junge, selbstbewußte, emanzipierte und sich der freien Liebe hingebende Frauen.
Die Beschreibung von Engels’ Lebensumständen gehört zweifellos zu den stärksten Seiten des Buches. Hier bewegt sich der linksliberale Sozialhistoriker Hunt auf eigenem Terrain, selbstverständlich bei denen in Manchester, aber auch bei denen im Wuppertal. Ebenso sicher ist sein Urteil über die sozialen Analysen des jungen Engels, nicht nur die in der berühmten Lage der arbeitenden Klassen in England, sondern auch schon die in den Briefen aus dem Wuppertal. Das soziale wie das mentale Umfeld des „Baumwoll-Lords“ wird kenntnisreich geschildert, dessen Anerkennung in den gesellschaftlichen Oberschichten von Manchester eingeschlossen. Dass er ein allseits respektierter Geschäftsmann gewesen sein muss, versteht sich von selbst, angesichts seines Aufstiegs vom einfachen Kommis zum Teilhaber und schließlich zum Prinzipal der Firma, aber was nach wie vor fehlt, ist eine wirkliche Analyse seines Verhaltens im eigentlichen Business, oder gegebenenfalls der Hinweis, dass die dazu notwendigen Quellen nicht mehr vorhanden sind.
Die Darstellung wird ausgesprochen schwach, sobald Hunt das ihm eigene Terrain der Sozial- und Mentalitätsgeschichte verlässt und sich in seinen Urteilen auf von ihm gelesene Sekundärliteratur stützt. Das beginnt schon mit seiner blassen Abschilderung der europäischen Revolutionen von 1848/49 und endet keineswegs mit seinen dürren Worten zur Pariser Kommune, beides Ereignisse, die für Engels Leben von einschneidender Bedeutung waren, an denen er und Marx lebhaften Anteil nahmen. Einen Tiefpunkt historischer Entstellung erreicht Hunt mit seiner Aussage: „Für Marx und Engels erwies sich diese Vielfalt der Ideen und Einflüsse als Vorteil, konnten sie doch, als die Kommune gescheitert war, anderen die Schuld geben.“ Dies verwundert nicht, wenn man ihn in den Kontext seiner Ausfälle gegen Lenin und die Oktoberrevolution stellt.
Ähnlich ergeht es den Überlegungen des „Generals“ zum Militärwesen. Man muss ja nicht unbedingt der etwas reißerischen Aussage von John Green zustimmen, Engels sei der Che Guevara des 19. Jahrhunderts gewesen,4 aber seine – sich auch auf diesem Feld durchaus wandelnden – Auffassungen darauf zu reduzieren, dass er in späteren Jahren Zweifel über den möglichen Erfolg von Guerillataktiken und Barrikadenkämpfen hatte, ist allzu einfach. Dass als Verfasser von Engels’ anonym erschienener Untersuchung des italienisch-französischen Krieges (Po und Rhein) ein Mitglied des preußischen Generalstabs vermutet wurde, sagt einiges über seine von Hunt nicht analysierten Qualitäten als Militäranalytiker aus.
Von Sachkenntnis ungetrübt sind die Ausführungen zu Engels’ naturwissenschaftlich-philosophischen Studien. Natürlich ist es sehr einfach, sich über jene Hagiographen lustig zu machen, die da meinten, Quantentheorie, Relativitätstheorie usw. seien „Konkretisierungen“ von Engels’ „Naturdialektik“, und niemand kann diese Fragmente heute ernsthaft als „der Weisheit letzter Schluss“ betrachten. Aber es ist einfach ungehörig, Albert Einsteins wohlabgewogenes Urteil dahingehend zu verfälschen, dass dieser die „Darlegungen – insbesondere die mathematischen und physikalischen – konfus fand“, denn Einstein schrieb: „Meine Ansicht ist folgende: Wenn dieses Manuskript von einem Autor herrührte, der als historische Persönlichkeit nicht interessierte, würde ich zu einer Drucklegung nicht raten; denn der Inhalt ist weder vom Standpunkt der heutigen Physik noch auch für die Geschichte der Physik von besonderem Interesse. Dagegen kann ich mir denken, daß diese Schrift für eine Publikation insofern in Betracht käme, als sie einen interessanten Beitrag für die Beleuchtung von Engels’ geistiger Persönlichkeit bildet.“5 Zwar wissen wir nicht, welche Manuskriptteile Einstein damals von Eduard Bernstein vorgelegt worden waren,6 aber sicher ist, dass in den überlieferten Zeilen weder von Mathematik noch von Konfusion die Rede ist. Vielleicht gibt es ja neunzig Jahre nach Einstein kompetente Fachleute, die diesen Aspekt von Engels’ Schaffen einer Analyse aus naturwissenschaftlich-philosophischer Sicht unterziehen können.
Auch wenn es kein Ruhmesblatt für Hunt ist, unter dem Gesichtspunkt relativer Inkompetenz ist es ein Glück, dass er keine nähere Analyse der Resultate von Engels’ jahrelanger Herausgeberarbeit am Torso gebliebenen Kapital vorgenommen hat.
Aller Kritik zum Trotz bleibt zu wünschen, dass das Buch im deutschsprachigen Raum, wo die letzte Engels-Biographie vor über vierzig Jahren erschienen ist,7 eine Wirkung hat und bislang nicht so an Engels’ Leben und Werk Interessierte veranlasst, sich intensiver damit zu beschäftigen. Die englische Ausgabe, in deren Index die für Engels und Marx relevanten Werke und Themen verzeichnet sind, bietet dafür einen zusätzlichen Anhaltspunkt; die deutsche dagegen enthält nur den wegwerfenden Hinweis, dass beider Namen nicht in das Register aufgenommen worden sind.
Thomas Kuczynski
Anthropologie statt Ökonomie
David Graeber, Schulden. Die ersten 5.000 Jahre, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2012, 536 S., 26,95 Euro
Während die Ökonomen im Angesicht der Finanz- und Wirtschaftskrise sprachlos in einer Art von Schreckstarre verharren, ergreifen Anthropologen, Ethnologen, Historiker, Soziologen, Kulturphilosophen und andere Nichtökonomen mutig das Wort und erklären der Welt, warum es dazu gekommen ist und worin die Lösung zu sehen ist. Der US-Amerikaner David Graeber ist einer von ihnen. Mit seinem Schulden-Buch legte er 2011 eine umfassende Untersuchung über die Schuldenproblematik in der bisherigen Geschichte der menschlichen Zivilisation vor. Der Zeitpunkt war denkbar günstig, das Thema en vogue wie kein zweites. Schon wenige Monate später erschien das Werk in deutscher Übersetzung und gilt seitdem laut Spiegel als „antikapitalistisches Standardwerk der neuen sozialen Bewegungen“ (Klappentext). Sein Autor kann sich vor prominenten Einladungen und Lobpreisungen kaum retten: Seine Schrift gilt als „Offenbarung“ (FAS), als ein „furioses und gelehrtes Buch“ (Die Zeit).
Die positive Aufnahme und wohlwollende Rezeption vollzieht sich vor dem Hintergrund der ansonsten eher theoriearmen Occupy-Bewegung u.a. an der Wall Street und im Frankfurter Bankenviertel. Die globale Finanzkrise und die Staatsschuldenkrise im Euroraum verleihen dem Buch von David Graeber eine besondere Aktualität und Brisanz. Aber hält das Werk tatsächlich, was es verspricht? Kann es auch unabhängig von der aktuellen Wirtschaftslage und der aufgeheizten Diskussion um die Schuldenproblematik einen besonderen Platz im Bücherregal beanspruchen? Oder füllt es bloß eine temporäre Lücke im ökonomischen Erklärungsspektrum? Vielleicht erweist sich die Aufregung um das Buch schon bald als bloßes Medienspektakel. Eine aufmerksame Lektüre des Textes dürfte jedenfalls bei vielen Leserinnen und Lesern schnell für Ernüchterung sorgen, vielleicht sogar für Enttäuschung – auch wenn man dabei ganz sicher eine Menge lernen kann. Allein schon die 44 Seiten Literaturverzeichnis zeigen, dass es sich hier um ein Werk mit wissenschaftlichem Anspruch handelt, um ein „gelehrtes Buch“, keinesfalls also um ein politisches Pamphlet, auch wenn es gegenwärtig für politische Zwecke instrumentalisiert wird.
Graeber sieht in der Schuldenproblematik die zentrale Frage sozialer Auseinandersetzungen: Seit „mindestens 5000 Jahren“ wird „der Kampf zwischen Reichen und Armen überwiegend in Form von Konflikten zwischen Gläubigern und Schuldnern ausgetragen…“ (14). Volksaufstände beginnen in der Regel mit der „rituellen Zerstörung von Schuldverzeichnissen“ und die Streichung bestehender Schulden erscheint durchweg als Vorbedingung für einen Neuanfang. Damit wird bereits eine „Lösung“ für die aktuelle Problematik der Verschuldung extrem armer Länder angedeutet, aber auch für die Beendigung der Staatsschuldenkrise in Europa. Zuvor aber entwickelt der Autor auf über 400 Seiten, wie es überhaupt dazu kommt, dass Schulden entstehen und welche Formen diese im Zeitverlauf annehmen. Bei der Behandlung dieser Problematik lässt er sich stark von Gefühlen leiten, insbesondere von seiner Abscheu gegenüber der Praxis des Geldverleihens und Zinsnehmens: „In der gesamten Weltliteratur finden wir kaum eine freundliche Darstellung eines Geldverleihers … Ich bin nicht sicher, ob es eine andere Berufsgruppe (Henker vielleicht?) mit einem so konstant schlechten Image gibt.“ (16). Dieses Vorgehen, das stark an Nietzsches Diktum, wonach „die Gedanken die Schatten unserer Empfindungen“ sind, erinnert, dürfte für eine wirtschaftshistorische Analyse eher fehl am Platze sein. Ähnlich verhält es sich mit der Herleitung des Geldes: Der Autor unterscheidet zwei Formen von Geld, „virtuelles Geld“ und „materielles Geld“, und meint dann, die Geschichte pendele zwischen Phasen, in denen Edelmetalle dominieren und Phasen, in denen Geld etwas Abstraktes, etwas Virtuelles, sei. Die Entwicklung verlaufe jedoch „offenbar rückwärts“, das heißt am Anfang stand das virtuelle Geld (Kreditgeld), darauf folgte materielles Geld (Gold) und seit 1971 befinden wir uns wieder im „Zeitalter des Kreditgelds“ (24). Dieser merkwürdige Umgang mit dem Geldbegriff findet seine Fortsetzung in den Ausführungen zur Genesis des Geldes: Die „wahren Ursprünge des Geldes“ verortet Graeber bei „Verbrechen und Vergeltung“ (25), wobei Geld, Kredit und Schulden im Geschichtsverlauf immer gleichzeitig auftreten.
So richtig es ist, das „Tauschparadigma“ als Mythos der Politischen Ökonomie zu entlarven und die Entstehungsgeschichte des Geldes komplexer aufzufassen und früher anzusetzen, als dies die Ökonomen gewöhnlich tun, so problematisch erscheint es doch, die bisherige Reihenfolge einfach umzukehren und Kreditverhältnisse an den Anfang zu setzen. Geld wird dadurch seinem Wesen nach etwas Außerökonomisches. Es erfolgt keine Bereicherung der wirtschaftswissenschaftlichen Gelddefinition durch Hinzuziehung weiterer Aspekte, sondern eine Ersetzung derselben durch eine anthropologische Geldbestimmung. Dies kann bei Ökonomen nur Kopfschütteln hervorrufen und führt darüber hinaus zu Fehlern und Irrtümern im Detail, worauf noch einzugehen ist. Zunächst aber soll Graebers sachkundiger Versuch, zwei theoretische Zugänge zum Geld einander gegenüberzustellen, die staatliche oder chartalische Geldtheorie und die Kredittheorie des Geldes, gewürdigt werden (52). Anhand wichtiger Quellen werden zentrale Aussagen der Theorien überzeugend referiert und es wird gezeigt, welchen Erklärungswert die jeweilige Theorie für die Geschichte und für die Gegenwart besitzt. Das Problem dabei ist jedoch der überzogene Anspruch des Autors, die Reichweite der Theorien zu überdehnen und bestimmte Begriffe des 19. und 20. Jahrhunderts in die ferne Vergangenheit zu projizieren. Dabei verschwimmen die Unterschiede zum Beispiel zwischen Mesopotamien im 3. Jahrtausend oder Rom im 1. Jahrtausend v.u.Z. und England sowie den USA im 20. Jahrhundert u.Z. Es gehört vielleicht zu den Spezifika der anthropologischen Forschung, in großen Zeiträumen und historischen Kontanten zu denken. Die Geschichte der Menschheit jedoch ist durch Veränderungen und Entwicklungsprozesse gekennzeichnet, was sich unter anderem in der Historizität der wissenschaftlichen Kategorien reflektiert. Dies macht Zeitsprünge und historische Parallelen zwar interessant, zugleich aber höchst problematisch und führt mitunter dazu, dass Geld eben nicht gleich Geld ist und Kredit nicht gleich Kredit, sofern wir unterschiedliche Gesellschaftsordnungen und verschiedene Zeitperioden betrachten.
Schulden haben begrifflich etwas mit „Schuld“ zu tun. Letzterer Terminus gehört jedoch in die Moraltheorie. Graeber bietet dem Leser zur Verdeutlichung dieses Zusammenhangs eine „Abhandlung über die moralischen Grundlagen ökonomischer Beziehungen“. Bemerkenswert ist, dass Schulden hier als eine „Schöpfung der Reziprozität“ (128) behandelt werden, aber an keiner Stelle erklärt wird, worin das Pendant zu den Schulden besteht, die andere Seite des Schuldverhältnisses also. Da wird lang und breit referiert, wie viele Hundezähne für eine Braut zu bezahlen sind (138), was eine „Blutschuld“ bedeutet (144) und was „Fleischesschulden“ sind (152), aber man erfährt nichts über Guthaben und Forderungen. Geldschulden aber sind Verbindlichkeiten. Sie existieren nicht „für sich“, sondern immer nur in Verbindung mit entsprechenden Forderungen. Dieser kapitale Fehler, die Geldschulden losgelöst von ihrem Pendant, von den Guthaben, zu behandeln, wurzelt im etymologischen Herangehen des Autors. Er zieht sich durch das ganze Buch hindurch. Es gibt nur eine einzige Ausnahme: Auf Seite 372 ist von „Schulden und Kredit“ die Rede, was dem Kaufmännischen „Debit und Kredit“ entspricht und damit der Logik von Forderungen und Verbindlichkeiten nahe kommt. Was aber sind im Verständnis des Autors überhaupt „Schulden“? – „…nichts weiter als die Perversion eines Versprechens, das von der Mathematik und der Gewalt verfälscht wurde“ (410). Die Lösung des Problems sieht Graeber folglich im Schuldenerlass (410). Was das aber für die Forderungen bedeutet, für die akkumulierten Guthaben, lässt er offen. Hier hätte etwas mehr ökonomischer Sachverstand sicher gut getan.
Geld und Kredit sind zentrale Kategorien der kapitalistischen Produktionsweise. Ihre Genesis ist aber wesentlich älter; das vermag die anthropologische Forschung heute überzeugend zu demonstrieren. Die damit verbundenen Erscheinungen weisen jedoch Spezifika auf, die man, sofern man sich in Fachkreisen verständigen will, auch als Anthropologe beachten sollte. Hierzu gehört zum Beispiel die Definition der Münze als eines geprägten Metallstücks und ihre Abgrenzung vom Barren als gegossenem Metall. Graeber ignoriert diese Unterscheidung und erklärt alles Metall zur „Münze“ (224, 235, 444). Ein anderes Beispiel für einen wenig sorgfältigen Umgang mit monetären Kategorien betrifft die Unterscheidung von Banknoten und Papiergeld (285). Marx differenziert hier, sowohl was die Entstehung beider Geldformen anbetrifft als auch bezüglich ihrer funktionalen Bestimmung, sehr genau.1 Graeber hingegen vermischt beide Geldformen unentwegt, spricht davon, dass in China Wechsel „zu einer Art Papiergeld“ wurden (355) und dass die Bank of England 1694 „echtes Papiergeld“ in Gestalt von „Noten“ ausgegeben habe (357), dass in den USA die Zentralbank „Papiergeld“ emittiere, es sich dabei aber technisch um „Banknoten“ handele (472) usw. Dass moderne Banknoten in Gestalt von gesetzlichen Zahlungsmitteln faktisch eine Symbiose beider historischen Formen darstellen, der Banknote und des staatlichen Papiergeldes, steht auf einem anderen Blatt und wird von Graeber durchaus richtig gesehen (382f.). Seine Projektion dieser Verschmelzung aber in die Vergangenheit führt zu einem Begriffswirrwarr und ist aus geldwirtschaftlicher Sicht und unter aktuellem Aspekt nicht zu akzeptieren.
Natürlich zielt Graebers Kritik letztlich auf den Kapitalismus als einem auf Schulden basierenden Wirtschaftssystem, einer „Schuldengesellschaft“ (172), wie er schreibt. Seine Kritik richtet sich insbesondere gegen die Banken, die in seinen Augen einfach „böse“ sind, weil sie „aus nichts etwas“ machen (362), was nur Gott zukommt, ferner die Schulden verwalten und damit das zerstörerische Wirtschaftswachstum finanzieren. Als Alternative stellt er dem kapitalistischen System „seinen Kommunismus“ gegenüber, einen Kommunismus ohne Tauschbeziehungen, ohne Geld und ohne Schulden, eine solidarische Gesellschaft, „in der die Menschen weniger arbeiten und mehr leben“ (409). Als „Vorreiter“ für diese neue Wirtschaftsordnung sieht er die „untüchtigen Armen“, als Voraussetzung für ihre Verwirklichung den Verzicht auf Wirtschaftswachstum und, wie kann es anders sein, die Streichung aller Schulden. – Das ist mutig gedacht und auch radikal, jedoch wenig realistisch. Aber der Autor ist ja auch nicht nur ein belesener Anthropologe, sondern zugleich bekennender Anarchist und Vordenker der Occupy-Bewegung. Da darf man schon einige unorthodoxe Überlegungen und originelle Lösungsvorschläge erwarten. Und die liefert das Buch in der Tat, überdies einiges Bedenkenswerte und viel anthropologischen Ballast, wozu auch der größte Teil des Anhangs gehören dürfte. Ökonomisch vorgebildete Leser können aus dem Buch von David Graeber einiges lernen, weniger kundige jedoch dürfte es eher verwirren. Ob es die Debatte über Schulden wirklich voranbringt, bleibt abzuwarten.
Ulrich Busch
Agenten des Finanzkapitals: die Rating-Agenturen
Christoph Prager, Ratingagenturen. Funktionsweisen eines neuen politischen Herrschaftsinstruments, Mandelbaum, Wien 2012, 188 S., 14,90 Euro
Werner Rügemer, Rating Agenturen. Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart, transcript, Bielefeld 2012, 196 S., 18,80 Euro
Beide Autoren konstatieren und belegen, dass die Rolle der Ratingagenturen mit der stürmischen Entwicklung der Finanzmärkte seit Mitte der 1970er Jahre des letzten Jahrhunderts ebenso stürmisch gewachsen ist. Es ist logisch, dass, je gewaltiger Volumen und Einfluss von Geld und Vermögen, von Kredit und Schulden sich aufblähen, umso größere Bedeutung den Agenturen zuwächst, die die Wahrscheinlichkeit von Kreditausfällen bei Unternehmen und Staaten bewerten und Gütesiegel für die Vielzahl neuer und immer komplizierterer Finanzprodukte ausstellen.
Vor allem Werner Rügemer zeichnet minutiös nach, wie die „Politik“ den privaten Agenturen zu ihrem Gewicht als quasi-hoheitliche Schiedsrichter und Bewerter der Finanzmärkte verhalf. Schon im Rooseveltschen New Deal der 1930er Jahre mit seiner offensiven Geldpolitik wurde an die Ratingagenturen die Lizenz vergeben, zu unterscheiden in Papiere mit „investment grade“ und „non investment grade“. Diese fundamentale Richtschnur für Investoren wurde 1975 in den USA für noch verbindlicher erklärt, da Börsenmakler nun ihre Kapitalrückstellungen danach zu richten haben, ob ihre Wertpapiere „investment grade“ oder nicht aufweisen. Anleihen und verbriefte Hypotheken-Kredite kommen im vereinfachten Verfahren auf den Markt, wenn zwei Ratingagenturen ihnen „investment grade“ zuerkennen. Pensionsfonds, ein schnell wachsender institutioneller Investor, dürfen nur Wertpapiere kaufen, die mindestens mit A bewertet werden. Investment- und andere Fonds dürfen nur begrenzt in spekulative Anleihen investieren. Unternehmen müssen höhere Zinsen zahlen, je schlechter ihr Rating ausfällt.
Diese gewaltige, staatlich abgesicherte und für alle Finanzmarktakteure existentielle Macht verlieh die US-Börsenaufsicht 1975 an zunächst sieben Ratingagenturen, die schnell zu den „Großen Drei“ fusionierten: Standard & Poor´s mit einem Marktanteil von 44 Prozent, Moody’s mit 38 und Fitch mit 15 Prozent (so die Angaben bei Rügemer; Prager hat leicht abweichende Daten, beide sind sich mit der allgemeinen Publizistik aber einig, dass die Drei auf gut 95 Prozent des Gesamtmarktes kommen). Prager zitiert Thomas Friedman von der New York Times, der schon 1996 feststellte, dass es „zwei Supermächte“ gibt: „Einerseits die USA, andrerseits ‘Moody´s Bond Rating Service’. Die USA können Dich zerstören, indem sie Bomben auf Dich abwerfen, Moody´s kann Dich zerstören, indem sie deine Staatsanleihen abwerten. Und glauben Sie mir, es ist nicht klar, wer von beiden mächtiger ist.“ (Prager, S. 15)
Die Deutungsmacht auf den Finanzmärkten liegt bei bloß drei global wirksamen Agenturen, deren „zutiefst korruptes System“ schon in ihrem Bezahlmodus steckt: Seit 1971 zahlen bei Moody´s, wie mittlerweile bei allen, nicht mehr die Anleger, sondern die Verkäufer der Wertpapiere für die Ratings. Was bedeutet, dass sich diese Verkäufer die Agenturen aussuchen, die ihnen die gewünschten Gütesiegel auch verleihen, wofür dann allerdings höhere Gebühren fällig werden. Hoch bezahlte Ratings werden freundlicher benotet als niedrig bezahlte, allerdings liegen sie dann auch öfter weit daneben. So erwies sich ein Drittel aller Ratings für strukturierte Wertpapiere innerhalb von fünf Jahren als zu positiv (Rügemer, S. 96). 93 Prozent aller auf Hypotheken bezogenen Sicherheiten in den USA, die 2006 ein AAA-Siegel, also die oberste Kategorie, erhalten hatten, zählen heute zu den Schrottpapieren (Prager, S. 12).
Beide Autoren machen deshalb die Ratingagenturen mitverantwortlich für die Finanzkrise. Doch ist ihre Erklärung für das Wirken der Agenturen grundverschieden. Prager kommt zwar auch der Verdacht, „dass sich hinter der Hervorhebung von Objektivität und Unabhängigkeit Interessen des Finanzmarktes verstecken.“ Doch er meint, „diese Frage ist mit dem vorgegebenen Material und theoretischem Rahmen nicht zu beantworten“. (Prager, S. 20) Deshalb formuliert er eine andere Frage, nämlich: „woher ergibt sich die Akzeptanz für die Beurteilungen dieser Institution“. Und fängt mit Pierre Bourdieus Frage an: Wie kommt soziales Handeln zustande, um dann zu dessen Theorie von Habitus und Feld, von symbolischer Macht überzugehen. Die Ratingagenturen sind ihm nach Bourdieu „symbolisches Kapital“ als Form, die Herrschaftsformen absichert, die die Abhängigkeit jener einschließt, „die es zu beherrschen erlaubt“, eine Machtform, die so ausschließlich in der reinen Anerkennung besteht. (Prager, S. 30)
Was Prager nicht sieht, ist, dass das reale Finanzkapital der Märkte sich das symbolische Kapital, das sein Finanzmarkt-Wirken absichert, selbst organisiert. Diesen Nachweis zu führen, ist der große Vorzug der Arbeit von Rügemer. Er geht der Frage nach, „wem gehören die drei großen Ratingagenturen“, und er belegt: „Es sind dieselben Eigentümer, die auch Miteigentümer der großen Banken und multinationalen Konzerne sind… Sie handeln nicht selbständig, wie die veröffentlichte Meinung unterstellt, sondern sie sind der verlängerte Arm ihrer Eigentümer.“
So gehört Standard & Poor´s seit 1966 dem Konzern McGraw Hill, der aber seinerseits überwiegend den Hedgefonds Capital World, Blackrock, State Street, T. Rowe Price, Washington Mutual, Fidelity, Oppenheimer Funds, Morgan Stanely und Allianz Global Investors gehört. Die Vorstände von Moody´s kommen von der Chase Manhattan Bank, von der Federal Reserve Bank of New York, von der Citiygroup, von Dow Jones & Company (erstellt den Börsenindex der Wall Street), von Bankers Trust, vom Wirtschaftsprüfer Ernst & Young, von American Express und von Lehman Brothers. Fitch gehört zwei Eigentümern: der französischen Finanzholdung Fimalac und dem US-Medienkonzern Hearst. Fimalac-Chef de Lacharriere war Mitglied des Beirats der französischen Nationalbank Banque de France und gehört dem Leitungsgremium der Nationalstiftung für die Politischen Wissenschaften an. Die Vizepräsidentin Morali wechselte von der staatlichen Finanzaufsicht Frankreichs zu Fimalac, zudem ist sie Mitglied der französischen Investmentbank Rothschild und von Coca Cola in Atlanta/USA.
Doch nicht nur über die unmittelbaren Eigentümer der Agenturen üben die Finanzmarkt-Institutionen ihren Einfluss aus, sie sind auch selbständige Eigentümer der Ratingagenturen. Sechs Hedgefonds sind bei Moody´s mit 41,5 Prozent und bei Standard & Poor´s mit 27,9 Prozent beteiligt. Rügemers Fazit, dass die Rating-Agenturen keine selbständigen und „objektiven“ Bewerter sind, sondern ausführendes Organ ihrer Eigentümer, ist angesichts dieser Sachlage zwingend. Allerdings ist auch seine düstere Zukunftssicht einleuchtend. Von einem Wendepunkt im Umgang mit Ratingagenturen könne nicht die Rede sein. Sie, die an vorderster Stelle geholfen haben, die Kultur der Verantwortungs- und Haftungslosigkeit zum handlungsleitenden Prinzip in Wirtschaft und Politik werden zu lassen, seien heute mächtiger als vor der Finanzkrise.
Conrad Schuhler
Unsicherheit als Profitquelle
Hermannus Pfeiffer, Der profitable Irrsinn – Was auf den Finanzmärkten geschieht und wer dabei gewinnt, Ch.Links Verlag, Berlin 2012, 256 S., 16,90 Euro
Die Wiederherstellung des Vertrauens der Finanzmärkte und deren Stabilisierung ist zum zentralen Orientierungspunkt der Politik geworden. Die Demokratie soll marktkonform gemacht werden, wie es die Bundeskanzlerin treffend ausdrückte. Der ordnungsliebende Bürger ist nicht unbedingt dagegen, auch er wird durch täglich neue Hiobsbotschaften über Kurseinbrüche, Währungsschwankungen und Kreditausfälle beunruhigt. Hermannus Pfeiffer stellt die Frage anders: Was, wenn die Akteure der Finanzmärkte selbst überhaupt kein Interesse an Ruhe und Stetigkeit hätten, was, wenn sie an permanenter Instabilität, an hektischen Preis- und Kursschwankungen in Wirklichkeit bestens verdienten? Der Titel des Buches zielt auf diesen Tatbestand: Die von Politik und Medien viel kritisierten irrationalen Fehlentwicklungen sind oft jene Ereignisse, bei denen die ‚player’ der Märkte erst richtig profitieren. Diesen Grundgedanken verfolgt Pfeiffer über die drei Hauptabschnitte der Buches hinweg, die dem Leser einen gut strukturierten und flott geschriebenen Überblick über die nunmehr fünf Jahre anhaltende Krise verschaffen: Der erste, umfangreichste Abschnitt befasst sich mit den „Akteuren“ der Finanzmärkte, also den Banken, Versicherungen, Fondsgesellschaften und Ratingagenturen, die gleichzeitig die Profiteure der Krise sind. Im zweiten Abschnitt werden die „Werkzeuge“ vorgestellt, worunter Pfeiffer vor allem die diversen Finanzprodukte wie Derivate, Termingeschäfte usw. versteht. Im letzten Teil wird der Verlauf der „Grossen Krise“ seit 2007 skizziert und es werden einige Eckpunkte einer demokratischen Alternative genannt.
Es liegt in der Natur der Sache, dass ein solches, alle relevanten Aspekte der Krise behandelndes Buch nicht überall in die Tiefe gehen kann. Trotzdem taucht ein zentrales Thema, nämlich das Verhältnis zwischen der scheinbar verselbständigten Finanzsphäre und der so genannten Realwirtschaft, immer wieder auf. Schon im ersten Teil, in dem der Autor sich mit dem Verhältnis zwischen Banken und Industrie am Beispiel der deutschen Verhältnisse beschäftigt, spitzt er zu: Obwohl sich die klassischen Beteiligungs- und Beherrschungsverhältnisse zwischen Banken und Großkonzernen in Deutschland – begünstigt durch ein von der rot-grünen Regierung Schröder/Fischer durchgesetztes Steuersparmodell für die Banken – in den 1990er Jahren weitgehend aufgelöst haben, hat das nach Ansicht von Pfeiffer die Macht der Banken eher noch gestärkt: „Mittlerweile war für die Geldgiganten die ‚neue’ Macht der Banken wichtiger als die alte geworden. Die Modernisierung hat den alten, elitär verschlossenen Industriekapitalismus in einen neuen, offenen Finanzkapitalismus verwandelt.“ (S. 35/36) Das wirft allerdings die Frage nach dem neuen Verhältnis zwischen Bankkapital und Industriekapital auf – gibt es hier Interessenkonflikte oder sind diese inzwischen einem einheitlichen, finanzkapitalistischen Verwertungsinteresse gewichen? Im dritten, den Ursachen und dem Verlauf der Krise gewidmeten Teil taucht diese Fragestellung in anderer Form auf: „Wie können aber ‚verselbständigte’ Finanzmärkte auf die Realwirtschaft wirken und eine Krise verstärken oder hervorrufen?“ fragt der Autor mit Recht und verweist vor allem auf den Zusammenhang zwischen der Geldsphäre und den Realinvestitionen in Gestalt von Kreditklemmen. Ob dies aber wirklich der wichtigste Punkt des Krisen-Übertragungsmechanismus ist, kann bezweifelt werden: Angesichts des gestiegenen Anteils der Eigenfinanzierung in vielen Unternehmen wurde in den meisten Ländern selbst im Höhepunkt der Krise nur wenig über Kreditknappheit geklagt. Die anhaltende Investitionsschwäche in den alten Industrieländern wird nicht durch fehlendes oder gar zu teures Kapital verursacht. Der schwere realwirtschaftliche Einbruch von 2009 dürfte jedenfalls so nicht erklärbar sein. Heute spielt sicherlich der Zusammenhang von Bankenrettung, Staatsverschuldung und restriktiver Wirtschaftspolitik die Hauptrolle.
Das Buch diskutiert in knapper Form auch weitere Grundfragen, wie z.B. die Bedeutung von Inflation und Inflationsbekämpfung, die Rolle der Zentralbanken (für deren politische Unabhängigkeit der Autor plädiert, eine sicherlich diskussionswürdige Position), die Staatsverschuldung (dass diese kein Übel an sich ist). Die Manipulationsanfälligkeit wichtiger Finanzmarkt-Indikatoren wie Libor und Euribor durch die Banken stellt der Autor dar und folgert: „Zumindest in Krisenzeiten dürfte dabei schon mal geschummelt werden“ (54), ein schönes Understatement des Hamburgers, der beim Schreiben noch nicht wissen konnte, dass diese jahrelange ‚Schummelei’ einige Wochen später die Londoner City erschüttern und – neben Geldbußen in Höhe von fast einer halben Milliarde Dollar und weiteren Strafverfolgungen – dem Chef einer der größten Banken der Welt, Bob Diamond von Barclays, den Job kosten würde.
Auch wenn man dem Autor nicht in allen Details zustimmen muss: Hier bekommt man in gut lesbarer Form (die durch kurze Zusammenfassungen an den Kapitelenden und ein Glossar am Schluss des Buches noch erhöht wird) einen Überblick über alle relevanten Aspekte der Krise und ihrer Ursachen.
Jörg Goldberg
Katze und Krokodil
Wolfgang Pohrt, Kapitalismus Forever. Über Krise, Revolution, Evolution, Christentum und Islam. Edition Tiamat, Berlin 2012, 111 S., 13 Euro.
Vor drei Jahrzehnten machte Wolfgang Pohrt sich einen Namen als Kritiker von Denk-Bequemlichkeiten innerhalb der Linken, insbesondere in der Friedensbewegung, wo er Populismus aufspürte. Diesen Gestus behält er in seiner neuesten Schrift bei. Die Kritik gilt Occupy, den Protesten gegen Stuttgart 21, der neuen Marx-Lesebewegung und der Auffassung, der Kapitalismus befinde sich in einer Endkrise.
„Kapital“-Lektüre ist für den Autor Zeitverschwendung, denn es halte von gelebtem Leben ab. (S. 12) Er räumt ein, dass er früher anders darüber dachte. Das sei aber schon das Abfallprodukt einer gescheiterten Hoffnung gewesen: auf Revolution. Jene war für ihn „ein Lebensgefühl, das ich selbst nicht mehr in meinem Kopf, sondern nur noch in meinen Notizen wiederfinde.“ (15) Zeitgeschichtlich materialisiert sah er es in einer Art Künstler-Revolte, die ihren Höhe- und Endpunkt in der Westberliner Vietnam-Demonstration vom Februar 1968 gehabt habe. Danach verlief sich die Bewegung in die „Dominanz der Partikularinteressen“, (23) und die Unüberwindlichkeit des Kapitalismus trat hervor. So habe z.B. die „Frauenbewegung das Kapital vom Arbeitskräftemangel befreit“ (25). Die Revolution, die allenfalls möglich war, sei schon im 19. Jahrhundert versäumt worden. „Hat die Menschheit das Zeitfenster nicht genutzt? Wissen wird man das nie, aber man kann es sich wenigstens vorstellen.“ (69) Heute befinde sich die materielle Produktion in einer Verfassung, „von der ich mir beim besten Willen nicht mehr vorstellen kann, wer anders sie noch lenken und leiten kann als das Kapital selbst.“ (Ebd.)
Die Überlebensfähigkeit des Kapitalismus erklärt der Verfasser sich mit dessen Primitivität. Hierin sei er dem Krokodil vergleichbar: „Welches ist das älteste noch lebende Wirbeltier auf dieser Erde? Es ist das Krokodil, seit 450 Millionen Jahren. Das Erfolgsgeheimnis dieses mächtigen, großen Tieres ist sein winziges Hirn. Es besitzt das Volumen eines Hühnereis. Bei so wenig Hirn kann man nichts falsch machen. Das Krokodil macht es immer richtig: Lauern, zuschnappen, und dann nicht mehr loslassen, komme was wolle. Ich fürchte, das Kapital hat die gleiche Lebenserwartung, wenn nicht von Seiten der Natur was dazwischen kommt.“ (70) Es stütze sich nicht auf den Egoismus der Menschen, sondern treibe ihnen diesen vielmehr aus. Sonst verhielten sie sich nämlich wie Katzen: „Der perfekte Egoist ist eine Katze, wie sie friedlich an einem warmen, weichen Plätzchen schläft, das rosige Näschen ins eigene Fell gekuschelt, wie sie sich dann ausgiebig räkelt, wie sie ihre Gliedmaßen bis zu den Pfoten und Krallen reckt und streckt, wie sie dann anfängt, sich zu putzen und ihr Fell abzuschlecken und damit unendlich viel Zeit verbringen kann. Da ist also jemand, dem es richtig gut geht, der mit sich selbst allein restlos zufrieden und glücklich ist. Faszinierend. Man muss einfach zuschauen, mit einer Mischung aus Hingerissensein und Neid. Kapitalisten sind das genaue Gegenteil. Sie sind keine Egoisten, eher könnte man von hyperaktiven Idealisten sprechen. Sie sind Getriebene. Sie häufen mehr Reichtum an, als sie je werden genießen können, weil die Genussfähigkeit des Menschen durch seine physische Natur sehr beschränkt ist. Die Kapitalisten stellen ihr Leben in den Dienst des Erwerbs von einem Reichtum, mit dem sie als natürliche Personen nichts anfangen können. Desgleichen die Lohnabhängigen, bei denen wiederum der Genuss umgekehrt proportional zum Einkommen ist.“ (71)
Wenn der Verfasser an einem Sommertag in Stuttgart „durch die teuren Viertel in Halbhöhelage spaziert – lauter Villen mit viel Grün ringsum“, findet er sie ausgestorben. „Kein Wunder, in solchen Hütten kann man nicht wohnen, wenn man sie besitzen will. Dann hat man Pflichten und Termine, um die Kohle ranzuschaffen. Kommt man auf seinem Spaziergang dann wieder runter in die Tallagen, wo die ärmeren Leute wohnen, sind trotz Autoabgasen und Autolärm alle Fenster offen, die Kinder sind unterwegs, etc.“ (71f.) In Konsequenz solcher Überlegungen hält Wolfgang Pohrt die Liquidierung aller Guthaben und ein bedingungsloses Grundeinkommen für sinnvoll (65).
Erstaunt stellt er fest, dass er schon seit Jahrzehnten – wohl nach jener Vietnam-Demonstration – eine Art Rentner sei. Diese Menschengruppe stelle auch ein großes Kontingent in der Bewegung gegen den Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Die Parole „Oben bleiben!“ als der „kategorische Imperativ aller Arrivierten“ erhalte dadurch einen zusätzlichen Sinn, zumal der Vorstandsvorsitzende der Bahn-AG ja Grube heiße. (29) Dies ist schönes Feuilleton, ebenso wie das Argument, der Nachteil der Alphabetisierung bestehe darin, dass sie erst Verblödung durch den „Stürmer“ und die „Bild“-Zeitung ermöglicht habe. (13)
Marx habe sich im „Kapital“ letztlich nur die Einsicht in die Unüberwindbarkeit des Kapitalismus erarbeitet. Krisen seien wie „Jungbrunnen“ (50). Diese Auffassung findet sich nicht nur bei Pohrt, sondern tatsächlich auch bei Marx, im Übrigen bei der Mehrheit derer, die sich gegenwärtig mit der ökonomischen Entwicklung befassen. Der Autor fokussiert seine Angriffe auf die Wenigen, die anderer Meinung sind, zum Beispiel Robert Kurz, den er offenbar für den Vertreter eines bekämpfenswerten Mainstreams hält. Zutreffend stellt Pohrt fest: „In Wahrheit ist jeder Kapitalist Spekulant“ (59) und wendet sich gegen eine zurzeit gängige Aufregung allein über „Gier“ in der Zirkulationssphäre. Allerdings steht er auch mit dieser Kritik nicht völlig allein.
Seine frühere kontrafaktische abstrakte Negation ließ sich nicht durchhalten und ist jetzt in eine Naturalisierung des Kapitalismus umgeschlagen: „Die Natur kennt also keine Katastrophen. Und die ‚zweite Natur’, das Kapital, auch nicht. Geradezu wunderbar, wie es mit Naturkräften ausgestattet ist. Etwa so, wie ein Vulkanausbruch oder ein riesiger Waldbrand dafür sorgen, dass auf der Asche das eben noch von Lava oder Feuer vernichtete Grünzeug nachher umso prächtiger wächst.“ (57) Auch in dieser zweiten Natur sind die Menschen Naturwesen: „Vielleicht ist der Mensch einfach so gebaut, dass er seine Erfüllung im Kapitalismus findet. Früher hätte ich einen solchen Verdacht empört zurückgewiesen. Heute, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, kann ich nur sagen: Ich weiß es wirklich nicht.“ (79) Der Unterschied zwischen Einst und Jetzt bestehe in einer „Digitalisierung der Steinzeit“ (95), ansonsten: „Überhaupt ist alles wie immer.“ (Ebd.)
Auffällig ist die Redewendung „Es ist doch so“ (43), auch dort, wo Pohrt sich „die Frage stellt, ob es nicht eben doch so ist, dass die Gattung Mensch im Kapitalverhältnis zu ihrer artgerechten Bestimmung gefunden hat. Könnte ja sein, wer weiß.“ (58) Auch sonst wird die Konjunktion „doch“ häufig im Sinne der Bekräftigung, nicht der Abweichung gebraucht (z.B. 92). Zweimal, S. 84 und 85f., stellt der Verfasser eine „spannende Frage“ und folgt damit einem seit einiger Zeit modischen Sprachgebrauch. Charakteristisch ist auch die Verwendung von „einfach“ in der Formulierung: „Man muss sich einfach mal die Geschichte angucken.“ (57) Die zutreffende Feststellung, dass Marx im „Kapital“ vor allem gezeigt habe, wie der Kapitalismus funktioniert (und nicht, wie er untergeht), verbindet Wolfgang Pohrt mit folgendem Verweis: „Das Kapitel über den Kommunismus am Ende vom dritten Band des Kapitals ist ganz kurz.“ (61) Dieses letzte Kapitel von MEW 25 – es hat tatsächlich nur eineinhalb Seiten – handelt nicht vom Kommunismus. Seine Überschrift lautet: „Die Klassen“.
Georg Fülberth
Kapitalismustransformation ohne Linke?
Paul Mattick, Business as Usual. Krise und Scheitern des Kapitalismus, Edition Nautilus, Hamburg 2012, 154 S., 12,90 Euro
Paul Mattick, geb. 1944, ist der Sohn des weitestgehend vergessenen Rätetheoretikers Paul Mattick und lehrt Philosophie in New York. Mit diesem auf Englisch bereits 2011 erschienen Buch ist ihm eine insgesamt lesenswerte, sprachlich leicht verständliche und kurzweilige Betrachtung der Krise seit dem Jahr 2007 gelungen, die sich auch an Leser wendet, die über keine großen Kenntnisse wirtschaftlicher Zusammenhänge verfügen.
Ausgangspunkt der Argumentation ist die Feststellung, dass nur die Analyse der „langfristige[n] Dynamik des Kapitalismus“ (10) die derzeitige Krisenlage erklären könne. Bei der Frage nach den Gründen für die kapitalistische Krise diskutiert Mattick zunächst die verschiedenen Versionen der Mainstreamerklärungen. Im Zentrum seiner Kritik stehen insbesondere keynesianische Erklärungs- und Lösungsmodelle. Zu diesen zählt Mattick auch den populären, linken Theoretiker David Harvey mit seinem Buch The Enigma of Capital (27).
Quellen seines Werkes sind zahlreiche Zeitungsartikel und wissenschaftliche Beiträge, insbesondere von führenden Ökonomen wie etwa Paul Krugman. Mattick untermauert zudem seine Argumentation durch Verweise auf verschiedenste Statistiken. Insgesamt findet sich ein starker Marx-Bezug, insbesondere bei der Frage nach der Rolle des Geldes in der kapitalistischen Gesellschaft. Mattick ist der Meinung, dass Marx’ Ausführungen für die heutige Zeit unbedingt von Nutzen sind.
Sodann stellt Mattick ein alternatives Erklärungsmodell vor: Seiner Ansicht nach sind die Gründe für die gegenwärtige Krise des Kapitalismus im Mangel an ausreichendem Profit zu suchen, denn die Frage der Profitabilität stehe im Zentrum des Kapitalismus und sei Ausgangspunkt für wirtschaftliches Wachstum und Entwicklung. Dies würde allerdings von den heutigen Wirtschaftstheoretikern nicht ausreichend beachtet werden, da der Profit nur als ein Faktor unter vielen angesehen würde (44f.). Die Erhöhung von Staatsausgaben biete keine Lösung für die Krise, da Mattick zufolge auf diese Weise kein Profit erzeugt wird. Mattick argumentiert, dass der Staat über kein eigenes Geld verfüge, sondern seine Ausgaben über Steuereinnahmen bestreite oder qua Aufnahme von Schulden, die wiederum mit Steuergeldern beglichen würden. Dieses Geld stamme somit in beiden Fällen aus der Privatwirtschaft und würde dort entsprechend abgezogen und gewissermaßen einfach nur staatlich umverteilt (100f.). Diese Argumentation ist indes wenig überzeugend, lässt sie bspw. keinen Raum für politische Entscheidungen, etwa Banken und andere Unternehmen zu verstaatlichen oder gar zu vergemeinschaften. Laut Mattick könne nur die Depression selbst eine Lösung herbeiführen, indem sie die Erhöhung der Profite durch Senkung der Kosten für die Arbeitskraft, Steigerung der Produktivität durch Erneuerungen der Technologien und anderes herbeiführt (102).
Mattick stellt in einem zweiten Strang seiner Überlegungen den gesellschaftlichen Bedeutungsverlust der ehemals sehr einflussreichen Linken fest, worunter er die organisierte Arbeiterbewegung in all ihren Facetten versteht (120). Er bedauert diesen Zustand nicht und trauert den in seinen Augen längst vergangenen Zeiten nicht nach. Er bemerkt lediglich, dass deren Überreste, bspw. in Form der bundesrepublikanischen Linkspartei, nirgends mehr der Vision einer neuen anzustrebenden Form der Gesellschaft Ausdruck verleihen würden (124).
Der Autor sieht in dem absehbaren Ende des Öl-Zeitalters sowie dem zunehmenden Klimawandel die Ankündigung einer kommenden gesamtgesellschaftlichen Krise, die über rein ökonomische Zusammenhänge hinausgehe und auf – inhaltlich nicht weiter bestimmte – chemischen wie physikalischen Gesetzen beruhe. Nur diese beiden Vorgängen – das Ende des Öl-Zeitalters und die Klimakrise – könnten die radikale Transformation der Gesellschaft auslösen (131). Diese Krise würde der Menschheit neue Handlungsmöglichkeiten geben, um auf Grundlage gegenseitiger Hilfe ganz konkrete Lebensumstände zu verändern (133). In diesem Zusammenhang sei das bereits erwähnte Verschwinden einer organisierten Linken auch nicht als Hindernis anzusehen, denn diese würde der freien, ideenreichen Entfaltung der Menschen nur hinderlich sein und sich selbst im Zentrum der Veränderungen und ihrer erfolgreichen Durchführung verorten (136). Einer von linken Organisationen aller Art, inklusive der Gewerkschaften, vorangetriebenen Bewegung erteilt Mattick also eine klare Absage.
Er geht davon aus, dass neue Wege der Entscheidungsfindungen jenseits des monetären Marktaustausches gefunden werden, die aber dennoch im globalen Maßstab stattfänden. Ausgangspunkt hierfür sei aber die notwendige Aufhebung der Trennung von Produktionskontrolle und Produktionsdurchführung. Wie diese praktisch durchzuführen sein könnte, bleibt ungeklärt. Die Umweltprobleme würden erst einmal bestehen bleiben. Mattick erwartet jedoch deren Überwindung durch die „Anwendung jener kreativen Energien [...], die eine radikale gesellschaftliche Transformation freisetzen würde“ (137). Jenseits dieser nebulösen Formulierung vertieft Mattick seine Überlegungen zur zukünftigen Organisation einer nichtkapitalistischen Gesellschaft nicht.
Der Verfasser übergeht andere grundlegende gesellschaftliche Konflikte wie etwa die Geschlechterfrage, die Existenz patriarchaler Herrschaftsverhältnisse, Rassismus und Nationalismus, die der Freiheit des Menschen entgegenstehen. Er fragt nicht nach deren Verhältnis zu einer kapitalistisch verfassten Gesellschaftsformation. Mattick geht auch nicht der Frage nach, inwiefern diese nicht nach dem Ende des Kapitalismus weiter bestehen würden. Die Frage nach gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen wird ebenso wenig gestellt.
Der letzte Teil des Buches zur Frage des Endes des Kapitalismus sowie der Zukunft der Menschheit bleibt somit hinter den anderen Teilen des Textes zurück. Während er Gründe für die Krise des Kapitalismus nennt, kann er dessen tatsächliches Scheitern sowie seinen eigenen Entwurf einer neuen, anderen Welt und den Übergang zu dieser nicht überzeugend begründen.
Sebastian Klauke
Feindbild Islam
Werner Ruf, Der Islam – Schrecken des Abendlands. Wie sich der Westen sein Feindbild konstruiert. PapyRossa-Verlag, Köln 2012, 129 S., 9,90 Euro
Der ausgewiesene Politikwissenschaftler und Kenner der islamischen Welt, Werner Ruf, wendet sich mit dieser Publikation einem Thema zu, das für westliche Gesellschaften struktureller Natur ist und wesentlich mit über deren künftige Verfasstheit als Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit achtende Demokratien entscheidet. Sowohl nach innen als auch nach außen. Er stellt sich der Aufgabe, den Ursachen auf den Grund zu gehen, warum hier bis in deren Mitte hinein islamfeindliche Einstellungen und anti-islamische Stereotype in Besorgnis erregender Weise verfestigt sind. So stoßen nicht nur den Islam dämonisierende Pamphlete notorischer Islamkritiker unterschiedlichster Provenienz auf breite Resonanz. Auch innerhalb der politischen Klasse scheinen offenkundig Negativkonnotationen in Bezug auf den Islam mehrheitlich verbreitet. Ansonsten würden verschiedene in Regierungsverantwortung stehende Politiker wohl kaum so vehement gebetsmühlenartig zu postulieren suchen, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, sondern lediglich die hier lebenden Muslime – gerade so, als ob es die einen ohne den anderen überhaupt geben könnte. Würden sie nicht so lautstark und öffentlich sogar gegen eigene Parteigänger zu Felde ziehen, wenn diese, wie Christian Wulff noch als Bundespräsident in einer Rede 2010, absolut gerechtfertigt den Islam als eine Realität in Deutschland bezeichnen.
Das in 12 Abschnitte untergliederte Büchlein rankt im Wesentlichen um zwei inhaltliche Fragestellungen: Zum einen, wie sich philosophisch-soziologisch das Beziehungsgefüge zwischen dem Eigenen, dem „Wir“, und den „Anderen“, dem Fremden, sowie dessen Wirkungsmechanismen, speziell auch unter den Bedingungen der Globalisierung, gestaltet. Zum anderen, inwieweit der Westen versucht, den Islam als neues kollektives Feindbild zu instrumentalisieren, nachdem ihm sein früheres mit dem Ende der bipolaren, west-östlichen intersystemaren Auseinandersetzung abhanden gekommen ist.
Den Ausgangspunkt – und seine Abhandlungen wie ein „roter Faden“ durchziehend – bildet eine kritische Analyse der Elemente bzw. Grundbausteine der Konstruktion kollektiver Identitäten (Nation, Rasse, Religion etc.) und darin sui generis implizierter Abgrenzung des „Wir“ von den „Anderen“. Gerade dieser gewählte Ansatz ist das Bestechende an dem Buch; eröffnet er doch die Möglichkeit einer intellektuell anspruchsvollen Durchdringung des Wesens und der Hintergründe westlicher Islamfeindlichkeit, sowohl in deren historischer als auch aktueller Ausformung. Offen oder unausgesprochen transportiere, so der Autor, die Debatte über das „Wir und die Anderen“ immer auch die Legitimation von Herrschaft. Oder anders gesagt, die moralische Rechtfertigung von Überlegenheitsansprüchen. So sei gerade der Imperialismus nicht im Gewande dessen einher gekommen, was er war, nämlich Herrschaft und Ausbeutung, sondern er hätte sich vielmehr als moralische Pflicht und zivilisatorische Mission zu präsentieren gesucht. Interessant in dieser Hinsicht ist die Überlegung von Ruf, dass vielleicht gerade deshalb der Diskurs über den Islam so vehement geführt werde, weil hier das „Wir“ von einem „Anderen“ abgegrenzt werden müsse, dessen zivilisatorische Leistungen in vergangener historischer Zeit dem Westen überlegen waren, ja weil gerade dieser „Andere“ unserem „Wir“ historisch, religiös und kulturell besonders nahe stehe.
Ein weiterer Gewinn des Buches ist die fundierte kritische Auseinandersetzung mit dem von Samuel P. Huntington 1993 verfassten Aufsatz The Clash of Civilization. Dessen Sinngehalt der Verfasser völlig zu Recht als kulturalistisch verbrämten Rassismus klassifiziert. Es sei nicht nur grotesk, dass der sich im Zeitalter der Globalisierung vollziehenden Internationalisierung des Kapitals – als eine Art Konterstrategie – die Ethnisierung und damit letztlich Fragmentierung der Gesellschaft entgegengesetzt werde. Mehr noch werde mit diesem abstrusen theoretischen Konstrukt des Clash of Civilization der Islam in die Feindbildrolle für den Westen katapultiert. Folgerichtig kämpften „‚Wir“ gegen „das Böse“, gegen „das Reich des Bösen“, gegen „Terroristen“, gegen „Schurkenstaaten“, in denen ja Schurken leben, oder hätten „Wir“ zumindest über Demokratieunfähige zu herrschen. Demnach ist also der „Krieg gegen den Terror“ als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 in jeder Hinsicht als gerechtfertigt anzusehen; ebenso sind per se auch „gezielte Tötungen“ aus westlicher Sicht legitimiert. Und es haben also die zweifellos großartigen Errungenschaften des Westens – Menschenrechte, Demokratie, Rechtstaatlichkeit – für diesen betreffenden Rest nicht zu gelten.
Gleichfalls hervorhebenswert ist die Herstellung des Zusammenhangs zwischen der imperialistischen Expansion in die islamische Welt und der dortigen Ausprägung und Radikalisierung des politischen Islam bzw. Islamismus – und zwar nicht nur durch die Muslime selbst, sondern ganz wesentlich auch durch die Praxis des Imperialismus und die mit ihm verbundene Diskriminierung der Muslime. Zwar sei die Religion beiderseits schon in den Kreuzzügen und während der Reconquista auf der iberischen Halbinsel politisch instrumentalisiert worden; jedoch handele es sich beim Islamismus um eine Erscheinung der Moderne. Wie auch der islamistische Salafismus, der nach Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung wie zu Zeiten des Propheten Mohammed trachtet. Hier allerdings hätte der Autor durchaus noch präziser sein können; sowohl hinsichtlich der Definition der Moderne als auch in Bezug auf die betreffenden Vertreter. Auf jeden Fall jedoch sollte die Entstehung des Salafismus wohl doch schon auf das 18. Jahrhundert beziffert werden und mithin ein Jahrhundert früher. Und zwar mit dem Erscheinen und Wirken des 1703 geborenen Mohammed Ibn Abdel-Wahhab, dem Begründer der puritanischen wahhabitischen Lehre im Islam, die in Saudi-Arabien bis heute Staatsdoktrin ist und auch anderswo Salafisten als Orientierungsrahmen dient. Dementsprechend können auch die von Werner Ruf genannten Jamal ed-Din al-Afghani und Mohammed Abduh schwerlich weder als Begründer noch als Hauptvertreter des Salafismus angesehen werden. Gilt insbesondere Mohammed Abduh doch gemeinhin als Vertreter jener Reformströmung im Islam, die zu ihrer Zeit Islam und Moderne nicht als Gegensatz begriff, sondern als ein sich gegenseitig bedingendes und ergänzendes Beziehungsgefüge, und die dementsprechend dafür warb, es zu harmonisieren.
Ein unbestreitbarer Vorzug der Rufschen Abhandlung sind seine Darlegungen zum Zusammenhang zwischen dem Drang des Westens nach Kontrolle über die reichen Ressourcen innerhalb der islamischen Welt und der Konstruktion des Islam als Feindbild. Konzentriert ausgedrückt im US-amerikanischen „Project of the Greater Middle East“. Schon unmittelbar nach dem Ende des Ost-West-Konflikts sei es dem Westen gelungen, das neue Feindbild Islam als kollektive Bedrohung zu etablieren. Dafür gäbe es vor allem zwei Gründe: „1. Die Latenz eines lange vorhandenen Feindbildes, das seine Wurzeln in alten antisemitischen Klischees und in den Legitimationsmustern imperialistischer Dominanz hat ... 2. Die mit der Globalisierung einhergehenden Prozesse, in deren Folge nicht nur staatliche Handlungsspielräume schrumpfen, sondern auch durch die Transnationalisierung der Ökonomie und durch Prozesse der Migration und multikulturelle Lebensformen neue gesellschaftliche Herausforderungen entstehen.“ Wobei der Autor auch die Ambivalenz des Umgangs damit keinesfalls ausspart. So sei der Islam während des Ost-West-Konflikts als wichtige ideologische Gegenkraft gegen den gottlosen Kommunismus instrumentalisiert worden. Sei es nun in Gestalt der Unterstützung für Gruppierungen des politischen Islam gegen arabisch-nationalistische und sich am Ostblock orientierende Richtungen; oder der militärischen Aufrüstung der afghanischen Mujahidin gegen die sowjetische Militärpräsenz in Afghanistan. Was im Prinzip auch aktuell zu beobachten ist, wo im Dienste der eigenen Interessenwahrung sehr schnell mit Vertretern des politischen Islam, die im Zuge des „Arabischen Frühling“ sichtlich an Einfluss gewonnen haben, politische Kooperationen angestrebt werden. Zuvor noch als missliebig betrachtet, scheint nunmehr durchaus normal zu sein – wie übrigens von Außenminister Guido Westerwelle verlautet –, wenn sich in der islamischen Welt Parteien mit einem islamischen Wertekompass profilierten.
Als intellektuell besonders anregend – und gleichermaßen verdienstvoll – erweist sich, dass Werner Ruf den Bogen von der internationalen Politik zu den inneren gesellschaftlichen Verhältnissen spannt; also die Brücke schlägt vom international kolportierten Feindbild hin zu damit einhergehenden Bedrohungen für westliche Gesellschaften und Lebensweisen selbst. In diesem Kontext wendet er sich höchst aktuellen Streitpunkten und extremsten antiislamischen Auswüchsen zu.
So nimmt er kritisch Stellung zu dem seit neuestem von der politischen Klasse in Deutschland strapazierten Slogan, wonach die abendländische Kultur jüdisch-christlich geprägt sei und der Islam keinesfalls zu deren Erbe zähle. Beginnend mit einer Hinterfragung dieser Sprachschöpfung auf deren historische Tragfähigkeit; vor allem auch in Anbetracht des Tatbestandes, dass keine Gesellschaft in der Geschichte so sehr vom Judenhass erfüllt war wie speziell die abendländische. Unbedingt beizupflichten ist ihm gleichfalls in seiner Feststellung, dass der Terminus „jüdisch-christliche Kultur“ eine Wir-Identität konstruiere, der nun als neue (und gemeinsame!) Bedrohung „der Islam“ gegenübergestellt werde. Damit jedoch entledigte man sich zugleich auch der Notwendigkeit, die geschichtlichen Kontinuitäten zu ergründen und die Verbindungen zwischen Judenhass und Hass auf Muslime in ihren realen Zusammenhang zu stellen. Interessant wäre vielleicht noch der Hinweis darauf gewesen, dass der als genuin bezeichnete jüdisch-christliche Charakter der abendländischen Kultur genauso orientalischen Ursprungs ist wie der Islam. Ergo allen drei Komponenten analoge kulturhistorische Wurzeln immanent sind, was zu Zeiten der Aufklärung und in nachfolgenden Jahrzehnten offenkundig als selbstverständlich angesehen worden war. Nicht zuletzt in dem damaligen Bewusstsein, dass islamisches Denken im 11./12. Jahrhundert den geistigen Weg bereitet hat für die Epoche des Humanismus und der Renaissance in Europa. Versinnbildlicht in Lessings „Nathan der Weise“, bei dem den drei abrahamitischen Religionen – Judentum, Christentum, Islam – nicht nur vorurteilslos begegnet, sondern das gleiche Recht zugestanden wird. Oder auch in dem Goethe-Vers aus dem West-Östlichen Diwan: „Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen, Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“
Des Weiteren entlarvt er die wie eine Reinkarnation des Geistes mittelalterlicher Kreuzzugstimmung anmutende, in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern betriebene Islamhetze sowie deren Akteure. Im Fokus dabei stehen sowohl die kruden Positionen eines Thilo Sarrazin, Henryk M. Broder und Ralph Giordano als auch die der „Antideutschen“ und antiislamischer Websites beziehungsweise der „Islamkritischen Postkarten“. Sie alle, so Ruf, nutzten und schürten zugleich das Gespenst der Angst vor dem und des Hasses auf „den Islam“, welches sich in die Poren der Gesellschaft eingenistet habe und das gesamte Spektrum auch der alten antisemitischen Vorurteile abdecke, die da reichten von „kultureller Fremdheit“ oder der „Nicht-Integrierbarkeit“ bis hin zum „Sozialschmarotzertum“. Welche verheerenden Wirkungen derartige Denkweisen haben können, zeigt die abscheuliche Tat des Osloer Amokschützen Anders Behring Breivik, die von ihm gleichfalls entsprechend eingeordnet und geächtet wird.
Nicht zuletzt dokumentiert der Autor am Beispiel des Bestrebens der extremen europäischen Rechten, demonstrative Freundschaft und Solidarität mit Israel zu zeigen, in welchen eigenartigen Erscheinungsformen sich islamfeindliche Auswüchse inzwischen präsentieren. Für die europäischen Rechten ginge es in erster Linie um zweierlei: sich einerseits gegen den Vorwurf des Faschismus zu verwahren und andererseits umso vehementer den Hass auf den Islam predigen zu können. Was auf den ersten Blick paradox erscheinen möge, dass nämlich Betreffende, die jahrzehntelang den Antisemitismus propagierten, sich nun mit israelischen Politikern träfen, habe auf den zweiten Blick durchaus eine gewisse Logik. Auch Israel sei insofern ein ganz „normaler Staat“, als es auch dort – neben linken und gemäßigten bürgerlichen – rechtsextreme Strömungen gäbe. Der gemeinsame Gegner, „der Islam“ werde so zum einigenden Band, und für die europäischen Rechten ließe sich die Freundschaft zu Israel sogar noch zur Aufwertung ihrer eigenen Respektabilität nutzen.
Im Schlusskapitel konfrontiert Ruf westliche Gesellschaften noch einmal explizit mit den für sie selbst aus diesem bislang gültigen Topos des (guten) „Wir“ gegen die (bösen) „Anderen“ resultierenden nachhaltig negativen Konsequenzen. Indem Angehörige anderer Kulturen oder Religionsgemeinschaften ausgegrenzt und deren Rechte und Freiheiten eingeschränkt würden, nähmen die demokratischen Grundrechte auch der Mehrheitsgesellschaft Schaden. Genau das jedoch sei das Projekt der Rechten, für die die Hetze gegen den Islam und die Muslime kein Selbstzweck sei, sondern Mittel zum Zwecke für die Schaffung einer anderen Gesellschaft. Rassismus sei und bleibe Rassismus, ganz gleich, ob ihm Juden, Afrikaner, Türken oder Griechen zum Opfer fielen. Auf internationaler Ebene drohe mit der in vielerlei Fällen zu beobachtenden Relativierung oder gar Außerkraftsetzung des Rechts als einer zentralen Errungenschaft der modernen Zivilisation der Rückfall in Anarchie vor-hobbesianischer Zeiten.
Sein Schlussplädoyer lautet: „Eine Abschottung des ‚Westens’ vom ‚Rest’, verbunden mit der Negation der Gültigkeit der zivilisatorischen Werte für ‚die Anderen’, ist objektiv obsolet geworden. Das Beschwören ewig-gestriger Kategorien, sei es ‚Nation’ oder ‚Kultur’ im Zeitalter der Globalisierung ist und bleibt nicht nur reaktionär, es ist kontraproduktiv für eine Welt, die trotz aller Anstrengungen der Verfechter einer ‚Leitkultur’ zusammenwächst. Die Frage dabei bleibt, ob dieses Zusammenwachsen friedlich und auf der Grundlage geltender zivilisatorischer Standards erfolgt oder zum Rückfall in globale Anarchie führt.“ Wie die Hoffnung des Autors, so sollte es die aller sein, dass bei westlichen Politikern wie Gesellschaften ein Umsteuern erfolgt und für alle Menschen die Gleichheit und Anerkennung ihrer Würde als unumstößliche Kategorie gelten und nicht „eben jene Barbarei, die den ‚Anderen’ zugeschrieben wird und dabei uns selbst entmenschlicht“.
Karin Kulow
Militarisierung und zukünftige Rohstoffkonflikte
Ralph-M. Luedke/Peter Strutynski (Hrsg.), Kriege um Wasser, Energie & Rohstoffe. Die Plünderung der Welt stoppen – Die Politik entmilitarisieren, Kasseler Schriften zur Friedenspolitik, Band 18, Verlag Winfried Jenior, Kassel 2011, 172 S., 12,00 Euro
Der Sammelband vereint Beiträge von Vorträgen und Referaten, die auf dem Friedenspolitischen Ratschlag und während der Friedensvorlesungsreihe 2011 an der Uni Kassel gehalten wurden. Schwerpunkte sind Militarisierung der Außenpolitik, Reform der Bundeswehr, die Ereignisse rund um den „arabischen Frühling“, Hegemoniekonflikte im Nahen Osten, derzeitige und absehbare Kriege um Rohstoffe, Rechtstendenzen in Europa. Der einleitende Beitrag von Peter Strutynski reflektiert eine aktuelle Krise der Friedenforschung bzw. deren Anpassungstendenzen gegenüber hegemonialen Politikkonzepten. Maybritt Brehm und Christian Koch zeichnen die Militarisierung deutscher Außenpolitik anhand der Entwicklung der Bundeswehr in den letzten 20 Jahren nach. Sie machen 3 Phasen aus, in denen die Bundeswehr an immer mehr Auslandseinsätzen beteiligt und schrittweise zu einer weltweit einsatzfähigen Interventionsarmee umgebaut wurde. Werner Ruf entlarvt in seinem Beitrag die Doppelmoral westlicher Regierungen und Medien in ihrer Haltung bzw. Berichterstattung gegenüber den Geschehnissen während des „arabischen Frühlings“ und hält eine Entwicklung für wahrscheinlich, die er als „regime change light“ (35) bezeichnet: „Eine Lösung der Krise und der ihr zugrunde liegenden sozialen, politischen und kulturellen Blockaden könnte in der klassischen Kombination von politischem und ökonomischem Liberalismus, sprich der Durchsetzung marktwirtschaftlicher Prinzipien in einem bürgerlichen System liegen.“ (34-35) Arne C. Seifert behandelt die islamischen Bewegungen in Zentralasien und diskutiert den Ansatz, die islamischen politischen Kräfte ernst zu nehmen und als politischen Partner zu respektieren. Über die neue Rolle der Türkei als Ordnungsfaktor im Nahen Osten berichtet Murat Cakir. Er konstatiert, dass sich die Türkei trotz aller Widersprüche in die imperiale Strategie des Westens einfüge. Eine Interpretation der lateinamerikanischen Entwicklung liefert Achim Wahl. „Sowohl politisch wie auch wirtschaftlich nimmt der Kontinent Kurs auf eine Integration ohne USA, aber unter Einbeziehung Kubas. Der zentrale Gedanke: Eine lateinamerikanische Integration hat Vorrang, da erst so Voraussetzungen für eine positive Entwicklung jeder Nation geschaffen werden können. Bei allen Problemen, die die Entwicklung Brasiliens aufweist, verfolgt die von der PT geführte Regierung das Ziel, eine breite Allianz Gesellschaft – Regierung – Militär zu schaffen.“ (67) Zivadin Jovanovics kurzer Beitrag behandelt den Balkan. Im Fokus seiner Betrachtung stehen Bosnien-Herzegowina und das Kosovo. Die Spaltung des Balkans führt dazu, dass man gegenwärtig „eine Vermehrung von Marionetten-Staaten mit nicht-nachhaltigen Ökonomien, nationalen Minderheiten mit ungleichen Rechten, politischen Partei basierend auf ethnischen und religiösen Kritierien, und Flüchtlinge und Vertriebene“ habe, „ohne den politischen Willen, Bedingungen für eine freie und sichere Rückkehr in ihre Heimat herzustellen.“ (71). Ein thematisch ganz anders gelagerter Beitrag kommt von Jürgen Nieth über die zukünftig zu erwartende intensive Ausbeutung der Arktis. Jürgen Wagner analysiert den vor nicht allzu langer Zeit gegründeten Europäischen Auswärtigen Dienst, mit dem sich die EU eine Superbehörde schafft, die diplomatische, entwicklungspolitische und militärische Strategien der Außenpolitik unter einem Dach vereint und somit militarisierte Machtprojektion forciert. Michael Schulze von Glaßer beschreibt die gegenwärtigen Strategien der Bundeswehr bei Nachwuchswerbung und Kooperation mit Schulen. Kritisch bilanziert Rolf Wekeck die sogenannten Milleniums-Entwicklungsziele der UN von 2000. Er stellt fest, dass keines der Ziele – trotz kleiner Verbesserungen – wirklich erreicht worden ist. Uli Mäder diskutiert den Zusammenhang zwischen sozialer Ungleichheit und globalen Konflikten, während Bernhard Nolz unter Bezugnahme auf einen Artikel aus der jungen Welt zeigten will, was nötig ist, um gegen ungerechte Sozialpolitik gewaltfreien Widerstand zu organisieren. Des Weiteren fasst Ulrich Schneider die in vielen europäischen Ländern auszumachende Tendenz zusammen, dass rechtspopulistische Parteien zunehmend Wahlerfolge oder gar Regierungsbeteiligungen verbuchen können. Er sieht in deren Aufschwung keinen Widerspruch zur neoliberalen Entwicklungsrichtung der EU, sondern die Funktion dieser Parteien und Bewegungen, Kritik zu kanalisieren sowie linken Alternativentwürfen zuvorzukommen. Etwas aus dem Rahmen der Thematik fallen, obwohl ein klassisches Thema der Friedensbewegung, die Beiträge von Hans Mausbach und Heinrich Hannover. Als eine Art Lehrstück gedacht, berichtet Hannover, wie er 1964 als Rechtsanwalt den Publizisten Lorenz Knorr vor Gericht mit Erfolg verteidigte. Knorr hatte bei einer öffentlichen Rede ehemalige Nazi-Generale, die bei der Bundeswehr diente, als Massenmörder bezeichnet. Helge von Horn widmet sich den zahlreichen Versuchen deutscher und europäische Neonazis, sich in die Friedensbewegung respektive die Antikriegs-Aktivitäten der letzten Jahre einzuklinken und klärt auf über deren nicht überraschend ganz anders gelagerten Motive. Zu guter letzt fasst Detlev Bimboes wesentlichen Bedingungen zusammen, wie eine vollständige Transformation der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise aussehen könnte und welche Schritte nötig und gangbar wären.
Florian Flörsheimer
1 Vgl. Tristram Hunt, The Frock-Coated Communist. The Revolutionary Life of Friedrich Engels. London 2009. – Zwar ist klar, daß in der Marx’schen Formel „20 Ellen Leinwand = 1 Rock“ kein Frauenrock gemeint ist, sondern der Ausgehrock des Mannes, aber außerhalb dieses Kontexts ist der Terminus zu antiquiert, um – auch noch für einen Buchtitel! – verwendet werden zu können.
2 Engels an Marx am 27. April 1867. Vgl. MEW, Bd. 31, S. 293.
3 Vgl. MEW, Bd. 23, S. 16.
4 Vgl. John Green, Engels – A Revolutionary Life. A Biography of Friedrich Engels. London 2008.
5 Nach einer (im damaligen Zentralen Parteiarchiv beim ZK der KPdSU vorhandenen) Abschrift, zitiert im Apparat von Band I/26 der Marx-Engels-Gesamtausgabe, S. 597. Wie mir Barbara Wolf (Einstein Archives Jerusalem) dankenswerterweise mitteilte, konnte das Original des auf den 30. Juni 1924 datierten Schreibens bislang nicht aufgefunden werden.
6 So schon David Rjazanov in der Einleitung zur Erstausgabe in: Marx-Engels-Archiv, Bd. II, Frankfurt a. M. 1927, S. 141.
7 Friedrich Engels. Eine Biographie. Berlin 1970 (Autorenkollektiv unter Leitung von Heinrich Gemkow).
1 Karl Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie, MEW Bd. 13, S. 89, 93ff., 98, 119f.