Staatliche „Gefährder"

30.10.2019
von Markus Bernhardt

In nahezu allen deutschen Bundesländern wurden in den vergangenen Monaten die Polizeigesetze verschärft. Von der Öffentlichkeit viel zu wenig beachtet und von der politischen Linken mit viel zu wenig Widerstand bedacht, verabschiedet sich die Bundesrepublik immer weiter von Rechtsstaatlichkeit und ursprünglich verbrieften Grundrechten. So sind die mittlerweile beschlossenen, aber auch die etwa in Baden-Württemberg noch geplanten Gesetze, nichts weniger als ein aggressiver Akt, der sich gegen demokratische Grundrechte richtet und die Axt an demokratische Freiheitsrechte legt.

Dreh- und Angelpunkt aller Polizeigesetze ist die faktische Umkehr der Beweislast und die damit einhergehende Abschaffung der Unschuldsvermutung. So fußen alle Gesetze auf der Einführung des Begriffs einer „drohenden Gefahr“, der sich sinngemäß an den von den Behörden bei dschihadistischen Terroristen verwendeten Begriff des „Gefährders“ anlehnt.

Bei der „drohenden Gefahr“ handelt es sich um nicht mehr als bloße Mutmaßungen, die nicht einmal durch Beweise untermauert werden müssen. Es existiert dafür weder eine klare Definition, noch handelt es sich um eine juristische Begrifflichkeit. Die Behörden mutmaßen einzig, dass von einer Person oder einer Personengruppe möglicherweise eine Straftat verübt werden könnte. Bestenfalls droht also eine Situation, in der unter Umständen ein Schaden drohen könnte. Der Weg in eine Prognosejustiz ist also geebnet.

Die reale Folge dieser Phantastereien sind polizeistaatliche Horrorkataloge, die in der übergroßen Mehrheit der Bundesländer Alltag sind. So beinhalten die meisten Polizeigesetze der Länder nach ihren repressiven Verschärfungen den Ausbau der Videoüberwachung im öffentlichen Raum, die Ausweitung der Schleierfahndung, eine Verlängerung des Unterbindungsgewahrsams, das Aussprechen von Kontaktverboten und Aufenthaltsvorgaben, einen verstärkten Einsatz der elektronischen Fußfessel sowie eine Militarisierung der Polizeiarbeit. Sondereinsatzkommandos – etwa in Sachsen – dürfen nunmehr mit Handgranaten ausgestattet werden. Selbst der Fuhrpark der Polizei wird aufgerüstet. So sollen im Freistaat die Kriegsfahrzeuge namens „Survivor“ neben den bereits vorhandenen Abschussanlagen für Tränengas auch mit Maschinengewehren ausgestattet werden können. Dieses Kriegsfahrzeug findet sich in mehreren Bundesländern, darunter Hamburg, Sachsen, aber auch in den von der Linkspartei mitregierten Bundesländern Berlin und Brandenburg, in den Fuhrparks der Polizei und wurde bei den Demonstrationen rund um den G-20-Gipfel in Hamburg auch bereits eingesetzt.

Damit jedoch nicht genug: In mehreren Bundesländern sollen Streifenpolizisten mit so genannten Tasern, also Elektroschockpistolen, ausgestattet werden. Zur Erläuterung: Taser sind mit Metallpfeilen versehen, die über Drähte mit dem Abschussgerät verbunden sind. Darüber wird kurzzeitig ein Stromschlag von bis zu 50.000 Volt auf die Zielperson übertragen, die bewegungsunfähig zu Boden fällt. Schon bei diesem Sturz kann es zu schwersten Verletzungen kommen. Potenzielle Lebensgefahr besteht jedoch vor allem für Menschen, die unter Herz- und Kreislauferkrankungen leiden, chemische Drogen oder Alkohol konsumiert haben oder auf die Einnahme von Psychopharmaka angewiesen sind. Die US-amerikanische Sektion von Amnesty International zählte allein in den USA, in denen Taser bereits seit längerem im Einsatz sind, zwischen 2001 und 2017 über 700 einsatzbezogene Todesfälle. Obwohl es auch in der Bundesrepublik immer wieder zu Todesfällen kommt, die ganz offensichtlich im Zusammenhang mit dem Einsatz von Tasern – aber auch mit Pfefferspray – durch die Polizei stehen, weigert sich die Mehrheit der politisch Verantwortlichen jedoch, die Gefahr auch nur zur Kenntnis zu nehmen und Statistiken über die Todesfälle zu führen.

Hinzu kommt, dass im Rahmen der Verschärfungen der Polizeigesetze verstärkt auf die Überwachung der digitalen Kommunikation mittels so genannter Staatstrojaner gesetzt werden soll. Bei den Staatstrojanern handelt es sich um Schadsoftware, die über Sicherheitslücken in digitale Geräte eingeschleust wird, um diese auszuforschen. Die Polizei darf zukünftig nicht nur schneller zum Mittel der Telefonüberwachung greifen, auch die Kommunikation per E-Mail oder in Chatrooms darf ebenso engmaschig überwacht werden wie etwaige Internetprofile von potenziell Verdächtigen. Betroffen davon sind keineswegs nur Profile in so genannten sozialen Medien wie bei Facebook und Twitter, sondern etwa auch die bei Onlinehändlern.

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Polizeiarbeit mittlerweile weit ins Vorfeld einer möglichen Gefahr verlagert wurde und die Beamten zunehmend Aufgaben übernehmen sollen, für die zuvor einzig die Geheimdienste zuständig waren. Mit dieser Zuweisung geheimdienstlicher Befugnisse wird den Polizeibehörden nicht nur unverhältnismäßig viel Macht eingeräumt, auch das aufgrund der Lehren aus dem deutschen Faschismus eingeführte Trennungsverbot zwischen Geheimdiensten und Polizei ist noch weiter zur Makulatur verkommen.

Mit den beschlossenen Polizeigesetzen wurde binnen kürzester Zeit ein Feindstrafrecht geschaffen, das als „Feinde“ der Gesellschaft und ihrer Ordnung ausgemachten Personen, also potentiellen „Gefährdern“, die Wahrnehmung bisher zugestandener Bürgerrechte verweigert. Bisher richteten sich die Gesetzesverschärfungen in der Praxis allesamt gegen Linke, Antifaschisten, Migranten und andere gesellschaftlich missliebige Gruppen. Jedoch wurde der Ausbau der Polizeigesetze von deren Gegnern bisher viel zu selten als strategische Maßnahme von Staat, Behörden und etablierter Politik wahrgenommen, die sich gegen eben diese Gruppen richtet. Die nunmehr gültigen Polizeigesetze müssen im Zusammenhang mit den kürzlich verabschiedeten repressiven Anti-Asyl-Gesetzen gesehen werden, die sich gegen Flüchtlinge und ihre Unterstützer richten, aber auch im Kontext einer zunehmenden Kriminalisierungswut, die sich immer aggressiver gegen sozial Schwache, sogenannte Kleinkriminelle und Drogenkonsumenten richtet.

Die gesetzlichen Grundlagen für einen Polizeistaat und eine damit einhergehende faktische Rechtlosigkeit unliebsamer Kreise sind jedenfalls bereits gelegt. Was einmal in Gesetzesform gegossen ist, lässt sich nur schwer zurückholen.