Das Wachstumsparadigma und die ökologischen Krisen

Juni 2012

Es ist eine Binsenweisheit, dass wachsende industrielle Produktion, die Zunahme von Abfallprodukten und steigender Verkehr den Energieverbrauch beschleunigen sowie für Mensch, Tier und Pflanze eine dauerhafte Schädigung der Umwelt zur Folge haben. Unbestritten und allgemein anerkannt ist, dass seit Mitte des 20. Jahrhunderts geschätzte 60 Prozent der weltweiten Ökosysteme geschädigt oder übernutzt worden sind (D 34). Sensibilität für ökologische Probleme und Hinterfragen des ökonomischen Fortschrittsoptimismus sollte für Marxisten eine Selbstverständlichkeit sein. Friedrich Engels hatte angesichts des ursprünglich nicht erkannten Zusammenhangs zwischen der Verbreitung der Kartoffel und der Skrofelkrankheit gemeint, „dass wir keineswegs die Natur beherrschen, wie der Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht – sondern dass wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehen“ (MEW 20: 453). Das heißt, wenn wir mit der Natur wie Eroberer umgehen, zerstören wir uns selbst. Doch die Antwort auf die Frage, wie Wohlstand in einer endlichen Welt mit ihren begrenzten Ressourcen für deren inzwischen 7 Milliarden Menschen geschaffen werden kann, fiel in der Regel einem Pseudoargument zum Opfer: Wer gegen Wachstum ist, schlägt sich auf die Seite des Großkapitals. Implizit wurde dabei der Fortschrittsbegriff demoliert und auf das Wachstum des Bruttosozialprodukts verengt. Dabei verband und verbindet sich die Umweltproblematik zunehmend mit der Verteilungsfrage: „Wenn wir es mit der Gerechtigkeit wirklich ernst meinen, wenn wir wollen, dass neun Milliarden Menschen über Einkommen verfügen, die denen der EU-Bürger von heute vergleichbar sind, müsste die Wirtschaft zwischen heute und 2050 um das Sechs­fache wachsen, die Einkommen durchschnittlich um 3,6 Prozent pro Jahr. Wollte man in einer solchen Welt das Emissionsziel des Weltklimarates erreichen, müsste die Kohlenstoffintensität der Produktion in jedem der kommenden 40 Jahre um 9 Prozent sinken. Im Jahre 2050 müsste die Kohlenstoffintensität fünfundfünzigmal niedrigen sein als heute.“ (D 94)

Nach der Lehman-Pleite herrschte für kurze Zeit unter Sozialdemokraten und dem aufgeklärten Bürgertum Panikstimmung: „Erstmals in der Moderne (kommen) vier große Krisen zusammen. Nicht nur der Crash auf den Finanzmärkten, sondern auch der sich beschleunigende Klimawandel und die sich abzeichnende Rohstoffknappheit, die soziale Polarisierung zwischen Arm und Reich einschließlich Hungerrevolten, die 2008 in mehr als 40 Ländern stattgefunden haben, sowie die tiefe Legitimationskrise der Demokratie. … Insofern ist es eine Krise des Systems und nicht nur eine Krise im System.“ (A 13f.) Die Bestürzung führte naturgemäß nicht zu grundsätzlichen Veränderungen im System, machte aber den Zusammenhang von Wirtschaftskrise, ökologischen Problemen und dem Wachstumsparadigma zum Thema mehrerer Publikationen.[1]

Der dritte Weg ist grün

„Diese Forderung, das Bewusstsein zu verändern, läuft auf die Forderung hinaus, das Bestehende anders zu interpretieren, d.h. es vermittels einer anderen Interpretation anzuerkennen.“ (Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, MEW 3: 20)

Die Studie von Müller/Niebert fällt insbesondere durch ihren alarmistischen Ton auf. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise betonten die Autoren, dass es vor allem die ökologischen Probleme seien, die ein rasches Handeln erfordern, da „die nachholende Industrialisierung bevölkerungsreicher Schwellenländer … eine neue Qualität der Naturzerstörung“ (A 28) hervorbringt. Zwar hat „diese Welt alle Chancen“, aber „sie braucht Regeln, damit es zu mehr Rücksichtnahme, Kooperation und Partnerschaft kommt. Diese Gesetze der Globalisierung … muss die Politik rasch beschließen, denn andernfalls droht eine technokratische Diktatur“. (A 22) Insofern ist die Krise auch eine Chance, denn mit ihr „öffnet sich ein Gestaltungsfenster, das für mehr Demokratie und Partnerschaft genutzt werden muss“ (A 12) sowie „für die Idee der Nachhaltigkeit“ (A 47). Das Fenster war, wie wir inzwischen wissen, nie offen und der eigentliche Adressat des Plädoyers, der aufgeklärte, rationale und zukunftsbewusste Politiker, ist das, was er immer schon war: eine Schimäre.

Die Autoren konstatieren die Beschränktheit der liberalen Wachstumsideologie mit ihrem „trickle-down“-Mantra, da „die ökologischen Schäden heute schon größer (sind) als die Vorteile von Wachstum“ (A 23). Doch: „Die Alternative heißt nicht Nullwachstum, zumal die Demokratie nur funktioniert, wenn es Veränderungen gibt.“ (A 99) Diese dunkle Formulierung meint, dass „auf diesem dritten Weg zwischen Turbokapitalismus und Planwirtschaft … Wachstum und Umweltverbrauch … voneinander entkoppelt werden (müssen).“ (A 9) Das „Leitziel“ der „sozialökologischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung“ ist die „Nachhaltigkeit“. Die wurde, so Müller/Niebert, 1984-1987 von der Brundtland-Kommission entwickelt, 1990 von der UNO-Vollversammlung offiziell angenommen und stand 1992 auf der Tagesordnung des Erdgipfels in Rio. Ihr Pferdefuß: „Sie ist bis heute nicht eindeutig definiert und – auch deshalb – weitgehend folgenlos geblieben.“ (A 24) Anders ausgedrückt: Sie ist intellektuelles Spielmaterial für den Konferenztourismus und das Fund raising von Wissenschaftscommunity und NGOs. Auch Müller/Niebert liefern für diese „Alternative zum vorherrschenden Marktradikalismus“ (A 85) keine praktikable Definition: „In seiner Essenz bedeutet Nachhaltigkeit, nur so viel zu verbrauchen wie natürlich nachwächst; vor allem jedoch: so zu leben und zu wirtschaften, dass auch künftige Generationen ihre Bedürfnisse in angemessener Weise befriedigen können.“ (A 8) Da zahlreiche Rohstoffe bekanntlich nicht nachwachsen, umfasst der Nachhaltigkeitsbegriff „eine Effizienzrevolution“, sowie Suffizienz, „also Genügsamkeit und Selbstbeschränkung“ und „eine dauerhafte Konsistenz, durch zum Beispiel eine ökologische Kreislaufwirtschaft“. (A 93) Ihr Begriff von Nachhaltigkeit zielt aber noch in eine andere Richtung: „Sie ermöglicht eine gemeinsame Verantwortung von Ost und West, Nord und Süd für Eine Welt und legt damit die Grundlagen für eine Weltinnenpolitik.“ (A 86) Das erweckt den Verdacht, dass so die Privilegien und Positionen der hochindustrialisierten Staaten erhalten bleiben sollen. So richtig der Gedanke der gemeinsamen Verantwortung ist, so falsch ist es jedoch, die Menschen der Dritten Welt mit den gleichen Kosten zu belasten wie die Industrienationen. Haben die frühindustrialisierten Länder doch über Jahrhunderte von der Ausbeutung der Territorien und der Menschen der Trikontinentale profitiert und leben heute beim Naturverbrauch auf Kosten der übrigen Welt: Der ökologische Fußabdruck, der der globalen Kapazität entspricht, beträgt ca.1,8 ha; in Europa liegt er aber bei durchschnittlich 4,7 ha und in den USA bei 9,6 ha. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen sind zudem die Institutionen, die für eine „Weltinnenpolitik“ zur Verfügung stehen, nicht nur fest in der Hand des Westens, sondern auch durchdrungen vom Geist des Liberalismus. Sie sind Bastionen im Konkurrenzkampf mit den Schwellenländern bei dem sich abzeichnenden Bedeutungsverlust des kapitalistischen Nordens.

Das Konzept des Green New Deal, den Müller/Niebert propagieren, wurde 2007 von dem Publizisten Thomas L. Friedman entwickelt, der in grünen Technologien einen globalen Wachstumsmarkt sah, von dem die USA profitieren könnten; das Konzept wurde dann in der Weltwirtschaftskrise populär. Der Öko-Keynesianismus bot sich als Lösung für die sozialen und politischen Probleme mit einer durch öffentliche Investitionen geförderten „grünen“ Industrie als Wachstumsmotor der Zukunft an. Für das „grüne“ Wachstum notwendige Effizienzsteigerungen gelten inzwischen als ökologisch fragwürdig: „Zum einen gibt es den direkten Rebound-Effekt: Durch Effizienzsteigerungen sinken die Preise, was die Nachfrage stärkt … Daneben gibt es indirekte Rebound-Effekte: Wer dank der Effizienzsteigerung Energie und damit Geld spart, gibt es für anderes aus, das auch Energie verbraucht.“ (B 34f.) Und was die Beseitigung der Arbeitslosigkeit betrifft, lässt das historische Vorbild Zweifel aufkommen. Nach vier Jahren New Deal musste Roosevelt 1937 bei Antritt seiner zweiten Amtsperiode eingestehen, dass ein Drittel aller Amerikaner schlecht ernährt, schlecht gekleidet und schlecht behaust waren. Bis 1940 sank die Zahl der Erwerbslosen nie unter 7 Millionen. Erst im Vorfeld des Krieges ging die soziale Not spürbar zurück. Mit den Rüstungsaufträgen sank die Arbeitslosigkeit und steigende Nachfrage beseitigte die Absatzprobleme der Farmer. „Epochenwechsel“ hat aber noch einen anderen Paten: Ludwig Erhard, „dessen soziale Marktwirtschaft … vom Interessenausgleich zwischen Kapital und Arbeit geprägt (war)“ (A 34). Auch diese Traditionslinie lohnt einen genaueren Blick auf die historische Realität. Die „soziale Marktwirtschaft“ ist unzweifelhaft ein Grunddatum für die Entwicklung des politischen Selbstverständnisses der Westdeutschen, aber vor allem ist sie ein konservativer Kampfbegriff. Kernstück des Konzepts ist der Wettbewerb. Ihm traut man als Steuerungselement fast alles zu: die optimale Verteilung der Produktionsfaktoren und der erzeugten Güter ebenso wie die Verhinderung wirtschaftlicher Machtkonzentration. Sozial ist die soziale Marktwirtschaft wegen ihrer überlegenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, denn eine auf hohe Wachs­tumsraten ausgerichtete Politik gilt als die beste Sozialpolitik. „Sozial“ ist also nicht als Kurzformel für staatliche Umverteilungspolitik gemeint, wie im Konzept des Wohlfahrtsstaates. „Nichts“, so Ludwig Erhard, „ist unsozialer als der sogenannte Wohlfahrtsstaat, der die menschliche Verantwortung erschlaffen und die individuelle Leistung absinken lässt.“

Auf über einhundert Seiten formulieren die Autoren ein Sofortprogramm, dessen zahlreiche Einzelvorschläge von einer veränderten Agrarförderung bis zum Kampf gegen den Wachstumsfetischismus reichen. Der Bürger wird in erster Linie als individueller Konsument gesehen und deshalb mit Tipps bedacht, wie er seinen persönlichen CO2-Ausstoß ermitteln kann oder worauf er beim Geräteeinkauf achten soll, um eine Nachhaltigkeitsdividende einstreichen zu können. Das große Ziel ist eine „ökologische Dienstleistungsgesellschaft, die die industrielle Basis nicht aufgibt, wohl aber ihre Produkte effizient nutzt, statt sie zu verbrauchen“ (A 264). Um das zu erreichen brauchen wir „Ingenieure, Techniker und Visionäre, die das scheinbar undenkbare denken und in die Tat umsetzen“ sowie „Politiker, die den Mut haben, ein überholtes System zu beenden und eine nachhaltige Gesellschaft zu verwirklichen“ (A 265). Das ist ein ehrenwertes Anliegen, doch die Verhältnisse sind nicht so. Was Müller/Niebert relativ konsequent ausblenden, sind die Interessen des Kapitals. Selbstverständlich bringen auch ökologisch nachhaltige Waren Profit; für den Unternehmer ist entscheidend wann. Und wie es um die Dimension der Zeit im Kapitalismus bestellt ist, hat Keynes mit seiner trefflichen Bemerkung verdeutlicht, langfristig sind wir alle tot. Ist also Nachhaltigkeit eine dem Kapitalismus wesensfremde Vorstellung, die ihm möglicherweise durch moralische Appelle aufgepfropft werden kann, so ist hingegen Risiko sein Lebenselixier. Eine Erkenntnis britischer Gewerkschafter, die von Marx im „Kapital“ zitiert wurde, zahlreiche Wirtschaftskrisen und ökologische Katastrophen später immer noch Bestand: „Kapital flieht Tumult und Streit und ist ängstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit, oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.“ (MEW 23: 788)

Postwachstum

„The whole world is filled with speculations” (Bob Dylan, Ain’t Talkin’)

Das Plädoyer für eine „Solidarische Postwachstumsökonomie“ versteht sich nicht als eine „umfassende Systemalternative“, sondern will „notwendige Fluchtlinien“ aufzeigen: „Der Begriff Postwachstumsökonomie oder -gesellschaft an sich ist allerdings sozialneutral. Es können sich sowohl sozial und ökologisch gerechte als auch neoliberale und/oder reaktionäre politische Projekte damit verbinden lassen“ (B 10f.), wie beispielsweise die Konzepte des „Denkwerk Zukunft“ von Meinhard Miegel (CDU). „Die Suchbewegung nach einer solidarischen Ökonomie jenseits des Wachstums“ (B 67) hingegen beinhaltet „eine Vielzahl an Politiken und Praxen, die innerhalb der derzeitigen ökonomischen Strukturen ansetzen, die aber alle eine Perspektive über den Kapitalismus hinaus beinhalten“ (B 50). Für Schmelzer/Passadakis basiert „der heutige Typus von Ökonomie und Gesellschaft … ganz wesentlich auf den Grundlagen, die in der Phase des so genannten Fordismus geschaffen wurden“ (B14). Sinkende Wachstumsraten, aber vor allem „eine Profitabilitätskrise“ schufen eine Situation, in der „sich als neues Akkumulationsmodell der finanzmarktgetriebene Kapitalismus durch(setzte)“ (B18). Diese gängige linke Analyse der Entwicklung nach 1945 greift zu kurz. Wachstum, d.h. Stimulierung der Nachfrage – die Schaffung und Ausdehnung von Märkten – ist das Leitmotiv des Monopolkapitalismus. Ihre rationale Grundlage leitet sich aus der simplen Tatsache her, dass ein „zuviel“ auf der Angebotsseite ein „zuwenig“ auf der Nachfrageseite bedeutet und dieser Widerspruch durch die Stimulierung der Nachfrage „aufgelöst“ wird. Denn es ist eine Tatsache, dass der Preisbildungsprozess durch die Monopole kontrolliert wird und die Nachfragestimulierung durch Preissenkung nur bei Strafe sinkender Profitraten möglich ist. Das Monopolkapital hat über die Jahrzehnte eine Fülle von Methoden entwickelt, die Nachfrage zu stimulieren, die für jeden Lebensbereich der Gesellschaft höchst weitreichende Folgen hatten und haben. Letztendlich hat daher die Gesellschaft als Ganzes alles Interesse, den Methoden zur Schaffung neuer und zur Ausdehnung alter Märkte Vorschub zu leisten. Dennoch ist die Behauptung „das Wachstumsparadigma lässt sich … als ein grundlegendes hegemoniales Projekt kapitalistischer Entwicklung verstehen“ (B20) problematisch, da sie historische Spezifika und Entwicklungslinien negiert.

Die soziale und ökologische Wachstumskritik wird, so die Theoretiker des Postwachstums, „integriert in Strömungen einer grundsätzlichen Kapitalismuskritik, welche die Ursachen für die Ausbeutung von Menschen, für die Produktion globaler Ungleichheit und für die Zerstörung der ökologischen Grundlagen menschlichen Lebens in kapitalistischen Wachstum verortet. … Die ökologische und globale Klimagerechtigkeitsdimension gehört ins Zentrum jeder Kapitalismuskritik; ebenso die Analyse patriarchaler Gesellschaftsstrukturen, denn vornehmlich weibliche Reproduktionsarbeit ist vielmehr noch als klassische Produktion in Erwerbsarbeiterverhältnissen die wichtige Springquelle menschlichen Lebens, die durch die kapitalistische Akkumulation untergraben wird.“ (B 59f.) Der wesentliche Anstoß zur Diskussion von Postwachstum kam von sozialen Bewegungen in Frankreich, Italien und Spanien, die sich „decrescita“ auf die Fahnen geschrieben haben. Was heißt „grundsätzliche Kapitalismuskritik“ konkret für sie? „Décroissance ist notwendigerweise gegen den Kapitalismus. Nicht so sehr, weil durch sie seine ökologischen und sozialen Widersprüche und Grenzen aufgezeigt werden, sondern vor allem, weil sie den Geist des Kapitalismus (im Sinne Max Webers) infrage stellt.“ (C 68) Und „aus einer kritisch-theoretischen Perspektive … im Degrowth-Diskurs“ verschwindet auch der Geist des Kapitalismus, denn da lautet die Frage schlicht: „Ist Wachstum moralisch zu rechtfertigen, also dürfen wir wachsen?“ (C 43) Moralische Probleme liegen in der Verantwortung des Individuums und deshalb ist es an ihm, für Veränderungen zu sorgen. Möglichkeiten dafür gibt es viele: Vorsorgendes Wirtschaften nach A. Biesecker, die Vier-in-Einem-Perspektive nach F. Haug oder traditionelles do-it-your-self, alternative Verkehrsmittel, Ökodörfer, Lokalwährungen, Tauschringe usw. usf. sowie selbstverständlich den „kritischen Konsum“ (C 75, 121, 166 u. passim). Aber der ist, soweit es biologisch nachhaltige und fair gehandelte Waren betrifft, ziemlich bedeutungslos und wird nach Einschätzung der NGO „Ger­manwatch“ auch in Zukunft „nicht viel über 10-15% gehen“. Auch fördert er, wie eine Stellungnahme der „Stiftung Wissenschaft und Politik“ deutlich macht, tendenziell die Entpolitisierung: „Es ist aus Sicht des politisch interessierten Verbrauchers eine Möglichkeit mit der eigenen Ohnmachtserfahrung im politischen Raum umzugehen. Wenn umweltpolitisch engagierte Parteien etwas nicht durchsetzen können, dann greift man auf das Argument zurück, der Konsument soll es richten. Auch Politiker, die keinesfalls umweltpolitisch regulieren wollen, sagen, der Verbraucher soll es richten, weil sie wissen, dass dies nicht viel verändert.“ (SZ 28.6.2011)

Um Veränderungen zu erreichen, bedarf es nicht nur einer „politischen Neuausrichtung von gesellschaftlichen Akteuren“, sondern auch „eine(r) neue(n) attraktive(n) Lebensweise, die die bisherige imperiale Lebensweise der globalen KonsumentenInnklasse ablöst“ (C 149): „Nicht mehr haben sollte daher das Ziel von Gesellschaften sein, sondern dass alle genug haben – die Indigenen Lateinamerikas fordern in diesem Sinne: No queremos vivir mejor, queremos vivier bien! (Wir wollen nicht besser leben, sondern gut).“ (B 27) Hier ist er also wieder, der westliche Traum der Fortschrittsflucht, der von den zivilisationsmüden Existenzen seit der Romantik geträumt wird und für die der edle Wilde die Inkarnation Utopias darstellt. Auf der vorletzten Seite von „Postwachstum“ finden sich eine Reihe von Fragen: „Wie wollen wir leben, warum arbeite ich, welche Bedürfnisse hast Du, und was wollen wir produzieren?“ (B 91) Sie machen deutlich, was den Autoren gemeinsam ist: der Bourgeoisie-Blues. Aber das ist nicht die Melodie, die steinerne Verhältnisse zum Tanzen bringt. Auch im 21. Jahrhundert gilt: „Die Theorie wird in einem Volke immer nur soweit verwirklicht, als sie die Verwirklichung seiner Bedürfnisse ist. … Es genügt nicht, dass der Gedanke zur Verwirklichung drängt, die Wirklichkeit muss sich selbst zum Gedanken drängen.“ (MEW 1: 386)

Wohlstand ohne Wachstum?

„Mit der Masse der Gegenstände wächst daher das Reich der fremden Wesen, denen der Mensch unterjocht ist, und jedes neue Produkt ist eine neue Potenz des wechselseitigen Betrugs und der wechselseitigen Ausplünderung.“
(K. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844, MEW 40: 547)

Tim Jackson ist Professor für Nachhaltige Entwicklung im Zentrum für Umweltstrategien der Universität Surrey und hatte mit seinem Vortrag „Prosperty without Growth“ auf dem Klimagipfel in Kopenhagen (2009) großes Aufsehen erregt Die herkömmliche Gleichsetzung von steigendem Wohlstand mit Wirtschaftswachstum hält er nicht allein angesichts der ökologischen Grenzen, sondern vor allem wegen der „unfairen Verteilung“ innerhalb „selbst der hochentwickelten Volkswirtschaften“ (D 27) für problematisch. Was er dem entgegenzusetzen hat ist die Feststellung, dass Wohlstand „letzten Endes mehr (ist) als die Befriedigung materieller Bedürfnisse“ und „er tief in der Lebensqualität, der Gesundheit und dem Glück unserer Familien verankert“ (D 37) ist. Das ist so zutreffend wie jeder Allgemeinplatz und deshalb als Konzept kaum brauchbar. Gleiches gilt auch für die Feststellung: „Echter Wohlstand besteht in einem guten Gleichgewicht zwischen kurzfristigem Lustgewinn und langfristiger Sicherheit.“ (D 61) Sowenig damit Wohlstand messbar oder angemessen abgebildet werden kann, geschieht das bezüglich des Wachstums einer Volkswirtschaft oder gar einer Gesellschaft durch das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Denn dieses zählt nur den Geldwert der in der Wirtschaft gehandelten Dinge, wobei es ohne Belang ist, ob es sich um Ölförderung oder die Beseitigung von Ölteppichen handelt – beides schlägt positiv zu Buche, ist Wachstum. Die Kritik am BIP-Fetischismus reicht zwar inzwischen von grünen Landtagsfraktionen („Nationaler Wohlfahrtsindex Schleswig-Holstein“) und umtriebigen Ökonomen wie Stiglitz oder Sen bis zu den konservativen Politikern Cameron und Sarkozy, ohne dass dies die ideologische und propagandistische Bedeutung dieser Kennziffer für das Publikum geschmälert hätte.

Auch wenn steigender Wohlstand nicht mit Wirtschaftswachstum gleichzusetzen ist, bleibt die Frage, ob Wohlstand ohne Wachstum überhaupt möglich ist. Drei gängige Thesen bestreiten das: „Die erste besagt, dass Fülle – wiewohl nicht gleichbedeutend mit Wohlstand – eine unerlässliche Bedingung für das gute Leben sei. Die zweite lautet, dass Wirtschaftswachstum in enger Beziehung steht zu gewissen grundlegenden Zugangsrechten – etwa Gesundheit oder Bildung –, die Voraussetzung für Wohlstand seien. Die dritte hält Wachstum für notwendig, um wirtschaftliche und soziale Stabilität aufrechtzuerhalten.“ (D 66) Das Ergebnis von Jacksons empirischer Analyse dieser Argumente lässt ihn ein „Wachstumsdilemma“ formulieren: „Wachstum ist nicht nachhaltig – zumindest nicht in seiner jetzigen Form. Ausufernder Ressourcenverbrauch und steigende Umweltkosten verschärfen fundamentale Ungleichheiten beim sozialen Wohlergehen. ‚Wirtschaftsschrumpfung‘ ist instabil – zumindest unter den derzeitigen Bedingungen. Verringerte Verbrauchernachfrage führt zu steigender Arbeitslosigkeit, nachlassender Wettbewerbsfähigkeit und damit in eine Rezessionsspirale.“ (D 80)

Der Ausweg, den Mainstream-Ökonomen für das Problem einer notwendigerweise permanent wachsenden Wirtschaft in einem endlichen Ökosystem sehen, besteht darin, das in Geld gemessene Wachstum von Materialverbrauch und Umweltfolgen abzukoppeln. Dabei zielt die relative Entkoppelung aber nur auf weniger Umweltschäden bei vermehrter wirtschaftlicher Aktivität. Jackson untersucht die Trends beim Verbrauch einiger endlicher Ressourcen sowie beim Ausstoß von Treibhausgasen seit 1975. Sein Ergebnis: „Die naive Annahme, die Tendenz des Kapitalismus zur Effizienz werde uns erlauben, das Klima zu stabilisieren oder uns vor Ressourcenknappheit zu schützen, (ist) schlichtweg eine Wahnvorstellung.“ (D 98) Die effiziente Nutzung von Ressourcen, erneuerbaren Energien und die Reduzierung des Materialverbrauchs spielen zwar eine wichtige Rolle für die Nachhaltigkeit des Wirtschaftslebens, aber gleichzeitig treibt die Effizienz das Wachstum voran. „Indem sie den Einsatz von Arbeit (und Rohstoffen) reduziert, senkt die Effizienz im Lauf der Zeit die Kosten der Güter. Das regt die Nachfrage an und fördert das Wachs­tum.“ (D 107) Auch das Konzept des Green New Deal kann, wie Jackson betont, das „Wachstumsdilemma“ nicht lösen, da „selbst das ‚grünste‘ Konjunkturpaket davon aus(geht), dass die Wirtschaft zu einem anhaltenden Wachs­tum des Konsums zurückkehren muss. Da ein solcher Zustand nicht nachhaltig ist, lässt sich dem Schluss schlecht aus dem Wege gehen, dass wir auf lange Sicht etwas anderes brauchen.“ (D 116)

Für Jackson ist es der Prozess der Innovation, der das Wachstum antreibt. Er folgt Schumpeters Theorie, dass sich der Kapitalismus in einem Prozess der „schöpferischen Zerstörung“ entwickelt, und kommt so eigentlich zu einem circulus vitiosus: „Der Zwang, immer mehr Güter zu verkaufen, alles ständig zu erneuern, ein immer höheres Niveau der Verbrauchernachfrage zu stimulieren, entsteht aus dem Streben nach Wachstum. Inzwischen ist der Zwang so stark, dass er offensichtlich den Interessen derer schadet, denen er eigentlich dienen soll. Die Kreisläufe der schöpferischen Zerstörung werden immer schneller.“ (D 109) Der Wachstumszwang hat vor allem mit der Entwicklung der Profitrate zu tun und natürlich auch mit der Tatsache, dass im Monopolkapitalismus die Preiskonkurrenz grundsätzlich an Wert verloren und anderen Formen der Innovation genannten Absatzförderung Platz gemacht hat: Werbung, Logo, Design und Verpackung, Kundenkarten, geplante Obsoleszenz etc. etc. Von einem relativ unbedeutenden Merkmal des kapitalistischen Systems hat sich die Verkaufsförderung in den letzten 50 Jahren zu einem der entscheidenden Nervenzentren des Monopolkapitalismus entwickelt, der alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringt. Der einzige Ort, an dem nach Jackson dieser circulus vitiosus unterbrochen werden kann, sind die Haushalte, sobald sie keinen Markt für neue Produkte darstellen. Aber das erscheint unwahrscheinlich, da materielle Güter nicht nur die elementaren Lebensbedürfnisse befriedigen, sondern auch eine symbolische Rolle spielen. „Geltungskonsum“ braucht den Reiz des Neuen, weckt die Lust auf weitere Güter, kann aber das „leere Selbst“ nicht auffüllen: „Die Konsumkultur erhält sich also eben dadurch am Leben, dass sie so erfolgreich versagt!“ (D 112) In seiner differenzierten und stimmigen Analyse kommt Jackson zu dem durchaus nicht neuen, aber grosso modo zutreffenden Ergebnis: „Eine ungleiche Gesellschaft ist eine Gesellschaft voller Angst, eine, die sich allzu leicht dem ‚Statuskonsum‘ hingibt. Dieser erhöht die allgemeine Zufriedenheit kaum, trägt aber erheblich zum nichtnachhaltigen Verbrauch von Ressourcen bei.“ (D 128) Die Ungleichheit ist auch eine der Wurzeln der Schuldenkrise, denn „über mehr als zehn Jahre wurden Verbraucherschulden gezielt als Mittel eingesetzt, das persönliche Konsumverhalten vom Einkommen abzukoppeln und so durch den privaten Konsum das Wachstum anzutreiben.“ (D 42)

Aus dem „Wachstumsdilemma“ gibt es laut Jackson nur zwei Auswege: Entweder, man macht das Wachstum nachhaltig, oder man hält die Wachstumsrücknahme stabil. Der zweite Vorschlag bedeutet einen radikalen Bruch mit den gegenwärtigen ökonomischen Theorien und der Hinwendung zu der großen Doktrin der Wirtschaftswissenschaft in der Vergangenheit, der Lehre vom ökonomischen Gleichgewicht. Jackson verweist in diesem Zusammenhang auf John Stuart Mill, der einen „stationären Zustand bei Kapital und Reichtum“ für ebenso notwendig wie wünschenswert hielt und betonte, dies bedeute „keinen Stillstand bei der menschlichen Entwicklung“ (D 131).

Um „eine neue ökologische Makroökonomie“ zu erreichen, müssen eine Reihe von Variablen verändert werden: „Die Balance zwischen Konsum und Investitionen, zwischen öffentlichen und privatem Sektor, die Rolle der verschiedenen Sektoren, die Art der Produktivitätsverbesserung, die Bedingungen der Wirtschaftlichkeit – all dies muss wohl neu ausgehandelt werden. … Vor allem muss die neue Makroökonomie ökologisch und sozial ausgerichtet sein. Und sie muss Schluss machen mit dem Unsinn, Wirtschaft von Gesellschaft und Umwelt trennen zu wollen.“ (D 148f.) Um den „Motor des Wachstums“, die steigende Arbeitsproduktivität, zu verändern, schlägt Jackson vor, den Bereich der persönlich-sozialen Dienstleistungen auszudehnen, die „Aschenbrödelwirtschaft“ (örtliche und gemeinschaftliche soziale Unternehmen) zu fördern und die Gesamtarbeitszeit der erwerbstätigen Bevölkerung zu senken. Gleichzeitig gilt es, die gesellschaftliche Logik des Konsumismus zu verändern. Hierbei weist Jackson dem Staat eine zentrale Rolle zu. Das versteht sich für ihn von selbst, da der durch die Struktur des Bildungswesens, Bau- und Planungsrichtlinien, Regulierung von Werbung und Medien etc. etc. laufend Signale aussendet und die gesellschaftliche Wirklichkeit mitformt – heute jedoch im Dienste des Konsumismus. Das Ergebnis der vor allem durch Politikberatung erzielten Reformen wird ein Kapitalismus sein, „aber nicht so, wie wir ihn kennen“. (D 201) Ein hehres Ziel, doch illusorisch. Schließlich wissen wir schon seit Jahrzehnten, dass der Monopolkapitalismus bei aller Produktivität und dem Reichtum, den er geschaffen hat, überhaupt nicht in der Lage ist, die Grundlagen für eine Gesellschaft zu schaffen, die für die gesunde und glückliche Entwicklung ihrer Mitglieder sorgt. Sein politisches und wirtschaftliches Führungspersonal hat sich in dieser Zeit aus wohlverstandenem Eigeninteresse als beratungsresistent erwiesen. Auch und vor allem ist jedoch eine Veränderung des Bewusstseins der Menschen notwendig. Das bedeutet, dass eine „Revolution nicht nur nötig ist, weil die herrschende Klasse auf keine andre Weise gestürzt werden kann, sondern auch weil die stürzende Klasse nur in einer Revolution dahin kommen kann, sich den ganzen alten Dreck vom Halse zu schaffen und zu einer neuen Begründung der Gesellschaft befähigt zu werden“. (MEW 3: 70)

Gleichgewichtstheorie, marxistisch

„Die Konservativen haben gesiegt …besonders im Hinblick auf Kinder. 1970 war es noch angesagt, sich um die Zukunft des Planeten zu sorgen und keine Kinder zu bekommen. Heute stimmt alles darin überein, rechts wie links, dass es schön ist, viele Kinder zu haben. … Die Debatte über die Idiotie von Geländewagen verstummt jäh, wenn es heißt, man kaufe sie, um die kostbaren eigenen Kinder zu schützen.“ (Jonathan Franzen, Freiheit)

Helmut Knolles Anspruch ist umfassend: „Auf der deskriptiven Ebene verfolgen wir die Entstehung und Ausbreitung der westlichen Wachstumsideologie und ihres politischen und ökonomischen Unterbaus von den Anfängen im Alten Orient bis zur Gegenwart. Auf der analytischen Ebene suchen wir nach ökonomischen Theorien, die dazu ermutigen könnten, eine Wirtschaft ohne Wachstum anzustreben. Der Gang durch die Geschichte der Nationalökonomie zeigt, dass brauchbare Ideen und Begriffe noch am ehesten zu finden sind bei Adam Smith und bei dem italienisch-britischen Ökonomen Piero Sraffa, der seit den 1960er Jahren in Fachkreisen als radikaler Kritiker der sogenannten neoklassischen Nationalökonomie bekannt ist.“ (E 7)[2]

In seiner historischen tour d’horizon richtet der Autor das Augenmerk besonders auf „das beschleunigte Wachstum der Bevölkerung“ (E 51), das durch die christlichen Kirchen aktiv gefördert wurde, während „die Empfängnisverhütung in allen Hochkulturen der Alten Welt verbreitet war und moralisch gebilligt wurde“ (E 15). Einerseits war es die Voraussetzung für wirtschaftliche und militärische Machtpositionen, andererseits beförderte es die wirtschaftliche Wachstumsdynamik. Vor allem aber ist deshalb der Fortschrittsbegriff, wie Knolle folgert, schon seit Jahrhunderten auf die Vorstellung von Wachs­tum, sei’s der Menschen, sei’s der Güter verengt.

„In der Perspektive des Fernziels, auf nicht erneuerbare Ressourcen ganz zu verzichten“ (E 74), ist eine Theorie, die Wirtschaft als Kreislauf betrachtet (Ricardo, Marx, Sraffa), dem gängigen Produktionsfaktorenmodell überlegen. Die für die praktische Realisierbarkeit dieses Modells entscheidende Frage ist die altbekannte Frage nach Herkunft und Berechtigung von Zins und Profit: „Das unbekümmerte Festhalten der neoklassischen Ökonomen an einer Theorie, die das Einkommen aus Kapitalbesitz legitimiert, hat eine Entsprechung im beharrlichen Streben der politischen Instanzen nach Wirtschaftswachstum. … Das Nullwachstum würde … die Geldströme, die heute aus Kapitalbesitz so reichlich fließen, versiegen lassen, und dies ist der eigentliche Grund für das hartnäckige Festhalten am Fetisch Wachstum.“ (E 72)

Die Profitrate hat wesentlichen Einfluss auf die Bewirtschaftung von erneuerbaren natürlichen Ressourcen: „Ein Kapitaleigner, der seinen Profit maximieren will, wird nicht in die Nutzung einer Tier- oder Pflanzenpopulation investieren, deren Regenerationsrate unter der allgemeinen Profitrate liegt. Deshalb agiert die kapitalistische Hochseefischerei anders als traditionelle Fischer, die an der Erhaltung der Fischbestände interessiert sind. Liegt die Regenerationsrate tiefer und kann das Kapital nicht kurzfristig aus der Branche zurückgezogen werden, weil es zum Beispiel für ein Walfangschiff keine andere Verwendung gibt, dann ist die Ausrottung der Population profitabler als ihre Erhaltung.“ (E 72) Neben den Gesetzen der Massenproduktion sind es soziale und psychologische Faktoren, die das Wachstum antreiben. Knolle verweist dabei auf den soziologischen Klassiker Thorstein Veblen, der schon Ende des 19. Jahrhunderts festgestellt hatte, dass es für Menschen in einer am Privateigentum orientierten Gesellschaft „außerordentlich wohltuend (ist), etwas mehr zu haben als die anderen“. Bei fast jedem der Konsumbereiche tritt zudem ein Schneeballeffekt auf, wie er in der Vergangenheit am Auto mit seinen enormen Veränderungen für Infrastruktur und Lebensweise gut zu beobachten war und heute sich z.B. an den Fernreisen und ihren negativen ökologischen Folgen zeigt.

Abschließend diskutiert Knolle Einwände gegen eine nicht mehr wachsende Wirtschaft, wie das Argument, dass es ohne Wachstum nicht genügend Arbeitsplätze gäbe: „Immer, wenn die Produktivität zunimmt, hat man die Wahl zwischen Wachstum und Verbesserung der Lebensqualität. … In der Theorie von Sraffa wird deshalb unterschieden zwischen Basiswaren und Nichtbasiswaren. Als Basiswaren bezeichnet er solche, die direkt oder indirekt in die Produktion aller anderen Waren eingehen. Dazu gehören heute außer den Grundnahrungsmitteln Wohnhäuser, Energie, Lastfahrzeuge, Personenfahrzeuge bis zu einem gewissen Grad, Metalle, Computer. Alle anderen sind Nichtbasiswaren. Dazu zählen nicht nur Luxusgüter im weitesten Sinne, sondern auch militärische Ausrüstungen. Die Theorie von Sraffa erlaubt … die Aussage …: bei hoher Produktivität in der Herstellung der Basiswaren kann man Nullwachstum und Vollbeschäftigung dadurch erreichen, dass ein hoher Anteil der Arbeitskraft Nichtbasiswaren herstellt.“ (E 98f.) Zudem ist „die Einführung der 4-Tage-Woche möglich und sinnvoll“(E 103).

Eine für seine Argumentation wesentliche Unterscheidung ist die schon bei A. Smith zu findende von produktiver und unproduktiver Arbeit: „Der Gegensatz produktiv-unproduktiv bezieht sich auf die Funktion, die eine Arbeit im Ganzen der Volkswirtschaft hat, und ist insofern nicht kongruent mit dem Gegensatz nützlich-unnütz, der sich auf die Bedürfnisse eines Individuums bezieht. Er hat auch nichts zu tun mit Ethik oder Moral. Nach Adam Smith war die Tätigkeit des Pfarrers unproduktiv, aber sicher nicht unmoralisch, sondern ‚äußerst wichtig und würdevoll‘.“ (E 102) Heute hat sich der Kreis der unproduktiven Tätigkeiten wesentlich erweitert und viele sind zwar hochbezahlt, aber gesellschaftlich schädlich wie die von Anwaltskanzleien und Lobbyisten im Dienste der Erdöl-, Chemie- und Autoindustrie oder von Medizinern und Naturwissenschaftlern für Gefälligkeitsgutachten. Andererseits erfordert heute die allgemein längere Lebensdauer mehr Arbeit in Pflege und Fürsorge als früher und wenn der Anteil der sozialen und kulturellen Dienstleistungen, die ebenfalls unproduktive Arbeit darstellen, erhöht wird, dann ist Nullwachstum ohne ungewollte und diskriminierende Arbeitslosigkeit möglich. Die Ausdehnung des Kulturbereichs ist auch aus ökologischen Gründen sinnvoll, da kulturelle Tätigkeiten die Umwelt kaum oder gar nicht belasten.

Knolles Fazit entspricht den in Cambridge geschätzten Anforderungen von „Ockhams Rasiermesser“, d.h. es ist unkompliziert und logisch: „Die Hoffnung durch tiefe Steuern auf Vermögen und Kapitalgewinne einerseits und tiefere Löhne andererseits Wachstum und Vollbeschäftigung wie in den 1960er Jahren zu erzielen, ist also Illusion. Aber es ist möglich, eine ökologische Wirtschaft mit Nullwachstum und Vollbeschäftigung zu erreichen, wenn der Staat wieder mehr Steuern einnimmt und wenn unproduktive, aber gesellschaftlich wertvolle Dienstleistungen Vorrang haben vor der Produktion von Konsumgütern, die eine Belastung für die Umwelt sind.“ (E 108f.)

[1] Michael Müller/Kai Niebert, Epochenwechsel – Plädoyer für einen grünen New Deal, oekom, München 2009 (Zit. A); Matthias Schmelzer/Alexis Passadakis, Postwachstum, VSA, Hamburg 2011 (Zit. B); Werner Rätz/Tanja von Egan-Krieger u.a. (Hrsg.), Ausgewachsen!, VSA, Hamburg 2011 (Zit. C); Tim Jackson, Wohlstand ohne Wachstum – Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt, oekom, München 2011 (Zit. D); Helmut Knolle, Und erlöse uns vom Wachstum – Eine historische und ökonomische Kritik der Wachstumsideologie, Pahl-Rugenstein, 2. erw. Aufl. Bonn 2011 (Zit. E).

[2] Dass Sraffa hierzulande selbst in Fachkreisen nur wenig bekannt ist, hat mehrere Gründe. Seine Studie „Warenproduktion mittels Waren“ (1960) ist im Wesentlichen und ausdrücklich mathematischer Art, d.h. abstrakt und knapp gehalten. Obwohl sie auf Deutsch 1968 in der DDR und 1976 in der BRD erschienen ist, hat sie in der damaligen marxistischen Diskussion kaum eine Rolle gespielt. Das ist auf den ersten Blick nicht verwunderlich, thematisiert sie doch nicht ein damals aktuelles Problem, sondern ein Gleichgewichtsmodell, und fragt, wie sich Löhne, Preise und Profit zu verhalten haben, um Reproduktion zu ermöglichen. Auf den zweiten Blick wird jedoch auch die Ignoranz deutscher marxistischer Ökonomen gegenüber den theoretischen Diskussionen in Cambridge im Gefolge der „General Theory“ und ihren marxistischen Protagonisten wie M. Dobb, M. Kalecki, O. Lange und P. Sraffa deutlich. Einige Hinweise zur Biografie Sraffas und seiner Verbindung zu A. Gramsci und der PCI finden sich in E. Hobsbawms Autobiografie „Gefährliche Zeiten“ (S. 219 u. passim). Sraffas Thesen werden dargestellt und diskutiert u. a. bei M. Dobb, Wert- und Verteilungstheorien seit Adam Smith (Frankfurt 1977) und C. Napoleoni, Grundzüge der modernen ökonomischen Theorien (Frankfurt 1968).