Einer der großen wirtschaftspolitischen Aufreger zum Jahresbeginn war eine im Auftrag der Grünen im Europaparlament durchgeführte Studie zur Besteuerung Multinationaler Unternehmen (MNE)1: Sie zeigt, dass in fast allen Ländern der EU (aber nicht nur dort) die von MNE gezahlten effektiven Steuersätze weit unter den nominalen Sätzen liegen, ein Tatbestand, der angesichts massiver Steuervergünstigungen aller Art kaum überrascht.
Immerhin hat man es nun schwarz auf weiß. Der Unterschied zwischen effektiven und nominalen Sätzen war am deutlichsten in Luxemburg (2,2 Prozent gegenüber 29,1), was für die Effizienz des gegenwärtigen EU-Kommissionspräsidenten Juncker spricht: Der war nämlich im Untersuchungszeitraum 2011-2015 (bis Ende 2013) Regierungschef in Luxemburg und verantwortlich für die dort besonders verbreitete Praxis des „taxruling“ (Steuervereinbarung) zugunsten großer Konzerne. Er wurde Ende 2014 an die Spitze der EU-Kommission gewählt, getreu dem Motto: ‚Ein erfolgreicher Bankräuber ist der beste Sicherheitschef‘. Als die Ergebnisse von Junckers Wirken in Luxemburg nun schwarz auf weiß vorlagen, wollte aber niemand mehr (auch nicht die ihn unterstützenden Grünen) den Namen des Kommissionspräsidenten in diesem Zusammenhang erwähnen – obwohl die Studie, die ansonsten keine Ursachen angibt, hier eine Ausnahme macht: „Es ist offensichtlich, dass taxrulings eine große Bedeutung für Luxemburgs niedrigen effektiven Steuersatz gespielt haben“, wagt der Autor anzudeuten (14).
Das Junkers Name im besagten Kontext nicht genannt wurde, dürfte auch mit der ziemlich selektiven Wahrnehmung der Studie in der Öffentlichkeit zusammenhängen, die für die EU insgesamt – im internationalen Vergleich – recht blamabel ausfällt. Die Studie untersucht nämlich nicht nur die Situation in den 28 EU-Ländern, sondern listet Ergebnisse für insgesamt 63 Länder auf. Bezüglich der EU kommt sie zu klaren Aussagen:
• Die vorhandenen Daten zeigen, „dass Multinationale Unternehmen in der EU durchschnittlich niedrigere Steuern zahlen als anderswo“: Nämlich 15 Prozent im Durchschnitt der 28 EU-Länder gegenüber dem Gesamtdurchschnitt von 21 Prozent. Die ganze EU ist ein Steuerparadies für Multis.
• Von den zehn Ländern, in denen die Unterschiede zwischen effektiven und nominalen Steuersätzen am höchsten sind, liegen neun in der EU.
• In Deutschland ist der absolute Unterschied zwischen effektiven und nominalen Sätzen (19,6 gegen 29,5 Prozent) mit am höchsten.
• Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Höhe der nominalen und der effektiven Steuersätze, der aber in der EU am schwächsten ausgeprägt ist.
• Die effektiven Steuersätze sind umso niedriger, je größer die Unternehmen sind, die Unternehmensbesteuerung ist regressiv. Dies ist in vielen EU-Ländern besonders ausgeprägt (15/16).
Was die Studie nicht behandelt ist die Entwicklung der Unternehmensbesteuerung im Zeitablauf. Ihre Daten betreffen den Zeitraum 2011-2015, was aber bereits jetzt veraltet sein dürfte. Denn der Trend zu sinkenden (nominalen) Unternehmenssteuern hat sich in der letzten Zeit eher verstärkt; und dieser Trend ist in der EU besonders ausgeprägt. So sanken die nominalen Unternehmenssteuersätze in der EU zwischen 2003 und 2018 von 30 auf 21,3 Prozent. In den USA war der Rückgang – trotz Trumps jüngster Reform – weniger ausgeprägt: von 34 auf 27 Prozent. Weltweit sanken die Raten im gleichen Zeitraum von 29,4 auf 24 Prozent.2
Die EU ist einsamer Spitzenreiter was die Steuervermeidung durch MNE angeht, hier ist kaum noch Raum für den „Wettlauf nach unten“: „Einige EU-Länder scheinen Multinationale Unternehmen nicht groß zu besteuern, diese Länder können ihre (effektiven) Steuersätze kaum noch senken, weil diese bereits am Boden angekommen sind“, schlussfolgert die Studie (9). Ob das wirklich so ist könnte hinterfragt werden, die Studie hat (aus methodischen Gründen) negative Steuern nicht untersucht. Man darf jedenfalls gespannt sein, ob die EU nun mit den seit Jahren blockierten Reformen der Unternehmensbesteuerung – darunter die Durchsetzung eines effektiven Mindeststeuersatzes – vorankommt. Das traurige Schicksal von mit großem Tamtam angekündigten Vorhaben wie das der Finanztransaktionssteuer oder jüngst einer Digitalsteuer stimmt diesbezüglich nicht gerade optimistisch.
1 Petr Jansky, Credits. A Report Commissioned by the Greens/EFA Group in the European Parliament, 22.1.2019.
2 KPMG International, Corporate Tax rates table, 28.1.2019.