Es ist kaum zu glauben: Teile der deutschen Historikerinnung wagen den Schulterschluss gegen rechte Stimmungsmacher, die den Faschismus als „Vogelschiss“ in der deutschen Geschichte bagatellisieren und sich für den „wahren Volkswillen“ stark machen, was als Anleihe an die rechten Angriffe auf das Weimarer „System“ verstanden werden kann.
Der 52. Deutsche Historikertag in Münster ermutigte unter der passenden Überschrift „Gespaltene Gesellschaften“ politisch Klartext zu reden. Eine Mehrheit der anwesenden Mitglieder der Verbandes Deutscher Historiker verabschiedete eine Resolution „zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie“1.
Sie konstatieren, dass „in Deutschland wie in zahlreichen anderen Ländern … derzeit maßlose Angriffe auf die demokratischen Institutionen die Grundlagen der politischen Ordnung“ (bedrohen). Deshalb halten sie es für ihre „Pflicht, vor diesen Gefährdungen zu warnen. Streit ist essentiell in einer pluralistischen Gesellschaft, aber er muss bestimmten Regeln folgen, wenn er nicht die Demokratie selbst untergraben soll.“ Der Subtext wendet sich gegen die rechtskonservativen Vorstöße der Gauland und Höcke, ohne aber diese, ihre Geistesverwandten oder die AfD beim Namen zu nennen. Dagegen wollen die Historiker Grundregeln eines pluralistischen Diskurses setzen, mit dem sie sich von der „antidemokratischen Sprache der Zwischenkriegszeit“, der nun wiederkehre, abgrenzen wollen. Ihre Eckpunkte: „eine historisch sensible Sprache, gegen diskriminierende Begriffe“; das Bekenntnis zu „parlamentarische(r) Demokratie und pluralistische Streitkultur, gegen Populismus“; „ein gemeinsam handelndes Europa, gegen nationalistische Alleingänge“; „Humanität und Recht, gegen die Diskriminierung von Migranten“; „eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, gegen den politischen Missbrauch von Geschichte“.2
Auch wenn die eigentlichen Adressaten namenlos bleiben, es finden sich nicht wenige eher konservativ orientierte Kollegen, die in dieser Bekenntnisresolution einen Angriff auf die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit wittern. Nun mag gerade für links verortete Wissenschaftler die Erfahrung mit von Politbüros verordneten Geschichtsinterpretationen warnend wirken. Aber so weit gehen die Münsteraner wahrlich nicht. Sie fordern eine überschaubare Parteilichkeit für demokratische, antirassistische Politik und Wissenschaft ein, die allerdings für konservative Kritiker als die Verteidigung der vehement abgelehnten Regierungspolitik mit ihrer Grenzöffnung und als Manifestation eines für sie fatalen Demokratieverständnisses erscheint. Einige dieser Auseinandersetzungen3 haben sich auf den Seiten der FAZ niedergeschlagen (könnten aber auch mit ähnlicher Stoßrichtung aus „Cicero“, dem Deutschlandfunk oder der „Welt“ belegt werden). Der für „Geisteswissenschaften“ zuständige FAZ-Redakteur Patrick Bahners4 attackiert das „Kollektiv der Aufgeklärten“ und denunziert sie, da sie ihr „Expertenwissen“ ideologisch einsetzten. Sein Entsetzen ist zu erahnen, wenn er schreibt, dass „im Historikermilieu ... die Hegemonie des sogenannten linksliberalen Common Sense ungebrochen (scheint). Warum begnügen sich die tonangebenden Leute im Fach nicht damit, die soziale Macht, die ein solcher Konsens bedeutet, in den Formen wissenschaftlicher Kommunikation auszuspielen ... und vielleicht auch Unterschriftslisten?“ Die Resolution aber ist für ihn Ausdruck dafür, dass „ein Fachverband Parteitag“ spiele und sich politisch einmische. Die konservativen Historiker Dominik Geppert und Peter Hoeres wenden sich gegen jene Fachkollegen, die lieber in ihrer „linksliberalen 'Komfortzone'„ verbleiben wollen. In den kritischen Bemerkungen der Resolution zur Kolonialschuld und ihrem positiven Bezug zur Migration meinen sie die „intellektuelle Sackgasse“ auszumachen, „in die man gerät, wenn man Fachkompetenz für politische Zwecke“ funktionalisiert. Messerscharf schließen sie, dass „die Spaltung, die das Leitthema des Historikertages war“ nun „durch die wohlfeile Resolution in den Verband hineingetragen“ werde.5
In einer Erwiderung auf derartige Vorstöße bekennen sich Frank Bösch, Direktor des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschungen, und Johannes Paulmann zur Verantwortung der Historiker gegen den „aktuellen Rechtspopulismus und -extremismus“. Gerade weil diese regelmäßig mit „geschichtspolitischen Vorstößen, insbesondere mit der Relativierung der Verbrechen während des Nationalsozialismus und der Idealisierung der deutschen Nationalgeschichte“ ihr politisches Geschäft betreiben und in ihrer Rhetorik an Weimarer Verhältnisse erinnern. Gleichzeitig warnen die beiden vor jenen Entwicklungen in anderen europäischen Staaten, wo „rechtspopulistische Regierungen geschichtspolitische Vorgaben durchsetzen“. Eine vermeintliche „Autonomie der Wissenschaft“, ein Schweigen reicht nicht mehr.6
Anzumerken bleibt die fehlende Konsequenz der Resolution. Gab es im Historikerstreit der 1980er Jahre noch ein mehrheitlich klares Votum zur Singularität der faschistischen Verbrechen, so war dies wenige Jahre später aufgeweicht. Nun feierte der Totalitarismustheorie fröhliche Urständ, sprachen auch Fachhistoriker von den „zwei Diktaturen“ und relativierten damit wesentliche Einsichten über das Funktionieren von Faschismus und Neofaschismus so lange, bis nicht nur dem Antikommunismus, sondern auch der Demokratiefeindlichkeit Tür und Tor geöffnet wurden. Der böse gemeinte Vorwurf, dass diese Resolution die Spaltung der Gesellschaft auch in die Historikerschaft hineinträgt ist allerdings stimmig. Gerade deshalb ist das Bekenntnis zu Demokratie und gegen rechte Polemik wie Politik so wichtig.
Stefan Bollinger
1 Resolution des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands zu gegenwärtigen Gefährdungen der Demokratie. Verabschiedet von der Mitgliederversammlung am 27. Sept. 2018 in Münster
2 Ebd.
3 Eine aktuelle Übersicht zu den wichtigsten Wortmeldungen findet sich auf der Homepage des Potsdamer ZZF, von dem einige Wissenschaftler sich ausdrücklich für die VDH-Resolution engagierten.
4 Patrick Bahners: Die Lehrer Deutschlands. In: FAZ vom 29.09.2018.
5 Dominik Geppert/Peter Hoeres: Gegen Gruppendruck und Bekenntniszwang. In: FAZ vom 12.10.2018.
6 Frank Bösch/Johannes Paulmann: Es geht um unsere Sache. In: FAZ vom 17.10.2018.