Zehn Jahre nach Ausbruch der Finanzmarktkrise 2008 wird die Möglichkeit bzw. Wahrscheinlichkeit einer neuen Krisebreit diskutiert. Diese Frage kann allerdings ohne Bezug zur Entwicklung der ‚realen‘ Produktion kaum beantwortet werden. Daher sei zunächst der Konjunkturzyklus der entwickelten Länder betrachtet, an ihrer Spitze der USA: Dort geht der 2009 eingesetzte Aufschwung in sein zehntes Jahr, eine lange, aber relativ flache Expansionsperiode. Das US-amerikanische „Business Cycle Dating Committee“ sieht in seinem jüngsten Risiko-Bericht Zeichen einer Wachstumsverlangsamung, rechnet aber nicht mit einer Rezession. Dies deckt sich mit Prognosen für die übrigen Länder des entwickelten Blocks.
Das könnte beruhigen, sind die USA doch immer noch die weltweit größte Volkswirtschaft. Allerdings ist in Rechnung zu stellen, dass die aktuelle US-Konjunktur von den expansiven Staatseingriffen der Trump-Administration beeinflusst wird, vor allem den massiven Steuersenkungen für Unternehmen. Dies kurbelt die Wirtschaft an, ohne dass die Arbeitseinkommen – und damit die Konsumnachfrage – entsprechend steigen. Die US-Konjunktur gilt als überhitzt, das Risiko plötzlicher Rückschläge ist hoch.
Dieser Blick auf die ‚Realwirtschaft‘ ist notwendig, bevor auf die Fragilität der Finanzmärkte eingegangen werden kann. Viele Beobachter vergessen, dass der Ausbruch der Finanzmarktkrise in den USA vor dem Hintergrund einer Rezession erfolgte, die bereits Ende 2007 eingesetzt hatte: Es folgte ein konjunktureller Abschwung, der erst in der zweiten Jahreshälfte 2009 zum Ende kam. Basis der wirtschaftlichen Entwicklung sind immer noch die ‚Realwirtschaft‘ und ihre Widersprüche, die „Hypertrophie der Finanzmärkte“ potenziert allerdings die Krisenwirkungen.
Schon eine milde Rezession könnte die im Finanzsektor angestauten Widersprüche zum Ausbruch bringen. Diese sind trotz einiger Reformen, die vor allem die Banken krisenfester gemacht haben, heute eher größer als 2008: Die globale Verschuldung ist 2018 nach Zahlen des Institute of International Finance (IIF) mit rund 320 Prozent der weltweiten Produktion höher als 2007, als sie ‚nur‘ bei 290 Prozent lag. Besonders groß sind die Probleme im Unternehmenssektor, dessen Verschuldung bedrohlicher ist als die Staatsverschuldung. Faktoren, die das Schuldengebäude ins Wanken bringen könnten gibt es viele:
- Hauptgefahrenherd ist der angestrebte und letztlich unvermeidbare Ausstieg der Notenbanken aus der Niedrigzinspolitik. Deutlich steigende Zinsen würden dazu führen, dass viele Unternehmens- und Staatsschulden nicht mehr bedient werden können.
- Sollte die aktuell zu beobachtende Wachstumsverlangsamung in eine Rezession übergehen, dann erschweren ein hoher Schuldenstand und niedrige Zinsen eine antizyklische Wirtschaftspolitik. Schon jetzt erscheint fraglich, ob der allmähliche Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik mit einer sich abschwächenden Konjunktur zusammenpasst.
- Steigende Hypothekenzinsen könnten den Immobilienboom beenden und dort bestehende Finanzblasen zum Platzen bringen.
- Die starke US-Konjunktur und Zinserhöhungen der US-Notenbank stützen den Dollar. Eine Aufwertung des Dollar könnte Finanzkrisen in schwachen Schwellenländern auslöst.
- Ein von Trump ausgelöster Handelskrieg ist bislang noch Drohkulisse. Derzeit wächst der Welthandel, und zwar schneller als die Produktion. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass handelspolitische Maßnahmen Panikreaktionen an den Finanzmärkten auslösen könnten.
Abschließend sei auf ein eher stabilisierendes Element verwiesen: der weitere Aufstieg einiger Schwellenländer, an der Spitze China und Indien. Der Umbau der weltweit zweitstärksten Ökonomie (China) in Richtung auf eine konsumorientierte Binnenwirtschaft kommt voran. Der chinesische Außenhandel ist fast ausgeglichen, der Staat nach wie vor ökonomisch steuerungsfähig. Zwar ist die Verschuldung insbesondere der chinesischen Unternehmen hoch, Staat und Notenbank scheinen aber in der Lage, die Folgen möglicher Kreditausfälle abzufedern.
Jörg Goldberg