Die Auseinandersetzung um die von der RWE AG geplante Rodung der letzten Überreste des rund 12.000 Jahre alten Hambacher Forsts in Nordrhein-Westfalen hat die zwei Kerndilemmata des ökologischen Klassenkampfs von unten in den westlich-imperialistischen Metropolen deutlich aufgezeigt.
Die Arbeiterklasse ist in der Sache gespalten. Die in der IG BCE organisierten Kollegen, insbesondere die Repräsentanten des arbeiteraristokratischen rechtssozialdemokratischen Funktionärskörpers, halten mehrheitlich an der sozialpartnerschaftlichen Position der IG BCE und dementsprechend auch am Braunkohleabbau mit allen seine Konsequenzen für Mensch, Tier und Natur fest. Ein kleiner Teil des Proletariats beteiligt sich an den Protesten, ein größerer aber greift nicht politisch oder organisatorisch erkennbar in den Konflikt ein.
Die aktiven Waldschützer wiederum kämpfen aufrichtig gegen den Energiekonzern RWE, um das besondere Ökosystem mit seinen bedrohten Tieren und Pflanzenarten. Sie führen die Auseinandersetzung aber trotz antikapitalistischer Bekenntnisse einzelner Organisationen und Zusammenschlüsse nur in absoluten Ausnahmefällen als Kampf gegen die herrschende Klasse.
Im Folgenden wird gezeigt, dass und warum Konflikte wie jener um den Hambacher Forst objektiv-theoretisch Klassenkämpfe sind, auch wenn sie politisch-ideell nicht als solche geführt werden. Dazu wird zunächst entwickelt, was die kapitalistische Produktionsweise ausmacht und welche Struktur sich für die bürgerliche Gesellschaft daraus ergibt. Anschließend werden die relationale Einbindung der Natur in die kapitalistische Klassengesellschaft und die Verhältnisse der Klassen zur Natur umrissen. Schließlich werden ökolibertäre und ökosozialistische Positionen zur Klassenfrage in sozial-ökologischen Konflikten untersucht und mit Rückbezug auf die Klassentheorie und den Konflikt im Rheinland gegeneinander abgewogen.
Werttheoretisch-relationales Verständnis des Kapitalismus
Die kapitalistische Produktionsweise ist ein politisch-ökonomisches System, das auf historisch spezifischen sozialen Beziehungen beruht, die Menschen in ihrer Praxis – nicht notwendigerweise bewusst – zueinander und zur Natur eingehen. Marx schreibt im ersten Band seines Hauptwerks, dass sich hinter dem Kapital „ein durch Sachen vermitteltes gesellschaftliches Verhältnis zwischen Personen“ (MEW 23: 793) verbirgt. Dies gilt trotz aller sozialen, historischen und geographischen Besonderheiten, die sich im Zuge der kapitalistischen Entwicklung herausgebildet haben. Das für den Kapitalismus zentrale gesellschaftliche Verhältnis lässt sich in zwei verschiedene, mit einander in Wechselwirkung befindliche Relationen zwischen den sozialen Akteuren dieser Gesellschaftsformation aufteilen. Eine Beziehung gehen diese in der Zirkulation zueinander ein, die andere in der Produktion.[1]
Auf dem Markt bzw. in der Zirkulation knüpfen die Akteure als scheinbar Gleichberechtigte ein gemeinschaftliches Band, indem sie, vermittelt über Geld, Waren kaufen bzw. verkaufen. Da es keinen politisch-demokratischen Prozess gibt, die gesellschaftliche Arbeit und ihre Produkte zu organisieren und zu verteilen, geschieht dies in kapitalistischen Formationen über den Markt. Die zur Produktion notwendigen Arbeitskräfte und Produktionsmittel werden dort ebenso ver- und gekauft wie die Waren zur individuellen Konsumtion. Diese Form der Organisation und Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit und ihres Produkts führt dazu, dass die Verwertung und Akkumulation von Kapital Zweck gesellschaftlichen Handelns ist und nicht die Befriedigung der Bedürfnisse und ein nachhaltiger Stoffwechsel mit der Natur.
Kapital entsteht aber nicht in der Zirkulation. Dort wird es realisiert. In der Produktionssphäre wird es geschaffen. Anders als es auf dem Markt erscheint, sind die Akteure in der Produktion nicht gleichberechtigt. Denn obgleich die Mehrheit der Menschen anders als in präkapitalistischen Klassengesellschaften politisch formal frei ist, begegnen sich die Menschen in der Produktionssphäre nicht als sozioökonomisch Gleiche. Während die einen über die Mittel zur Produktion verfügen, haben die anderen nichts anderes zu verkaufen als ihre Arbeitskraft. Zwar zahlen die Kapitalisten den Arbeitskräften einen Lohn. Aber in der Produktion schaffen letztere dafür mehr Wert in Form von Waren, als die Kapitalisten für die Löhne in Form von Geld ausgeben mussten. Dieser Mehrwert, der nichts anderes ist als die Mehrarbeit der Arbeiter, verbleibt als Profit bei den Eigentümern der Produktionsmittel. Die Kapitalisten eignen sich also im Produktionsprozess fremde Arbeit in Form von Mehrwert an. Zwischen Arbeitern und Kapitalisten besteht eine Ausbeutungs- und Herrschaftsbeziehung.
Damit die Kapitalisten über den produzierten Mehrwert verfügen können, müssen sie die hergestellten Waren auf dem Markt verkaufen. Mit anderen Worten: Das Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnis zwischen Kapitalisten und Arbeitern in der Produktionssphäre wird, wie Marx es sagt, auf dem Markt über den Kauf und Verkauf von Sachen – Waren und Geld – vermittelt. Auf dem Markt sind die Akteure nur vordergründig gleich. Politisch-formal sind sie gleich, sozioökonomisch ungleich. Das Kapitalverhältnis, das auf der Ausbeutung der Arbeiter durch die Kapitalisten gründet, umfasst also Zirkulation und Produktion.
Der bürgerliche Gesellschaftsbau
Die grundlegende Klassenstruktur der bürgerlichen Gesellschaft ergibt sich aus der Differenzierung der verschiedenen Akteure bezüglich ihrer Stellung zur Produktion und Verteilung des Werts im kapitalistischen Produktionsprozess als Ganzem. Die Spaltung des Kapitalverhältnisses in Kapitalisten einerseits und Arbeiter andererseits bildet das Rückenmark jeder bürgerlichen Gesellschaftsformation.
Kapital und Arbeit sind jeweils gegliedert, je nachdem wie der Mehrwert produziert und angeeignet wird. Die Klasse der Kapitalisten teilt sich in produktives bzw. industrielles Kapital einerseits, das den Mehrwert produzieren lässt, und in kommerzielles und zinstragendes Kapital andererseits. Deren Profite stellen Abzüge vom produzierten Mehrwert der industriellen Kapitalisten dar. Die Arbeiterklasse wiederum ist in produktive und kommerzielle Lohnarbeiter differenziert. Erstere produzieren den Mehrwert des industriellen Kapitals. Letztere verschaffen durch ihre Arbeit dem kommerziellen und zinstragenden Kapital einen Anteil am Mehrwert, ohne dabei selbst Wert zu produzieren.
Neben Kapital und Arbeit existiert die Klasse der kapitalistischen Grundeigentümer, die sich von den Grundeigentümerklassen präkapitalistischer Gesellschaftsformationen unterscheidet. Bedingung ihrer Existenz sind die Trennung der Arbeiter von den Produktionsmitteln und die Anerkennung formaler Freiheit der Lohnarbeiter. Die Eigentümer bestimmter Teile der Natur, z.B. von Ackerböden, Wäldern, bestimmter zur Fleischproduktion gezüchteter Tierrassen, Bauterrain, Bodenschätzen usw., können, sofern sie nicht ihr Grundeigentum zur Produktion von Mehrwert selbständig nutzen, aufgrund ihrer Monopolstellung Renten von ihren Pächtern erhalten. Diese bilden einen Abzug vom Mehrwert des produktiven Kapitals. Nutzen die Grundeigentümer ihr Eigentum an der Natur zur Produktion, besteht bei natürlichen Vorteilen gegenüber Konkurrenten die Möglichkeit eines Extra- bzw. Surplusprofits.
Die ökonomische Gliederung der kapitalistischen Gesellschaft in Klassen lässt sich jedoch nicht auf die Dreiteilung in Lohnarbeiter, Kapitalisten und Grundeigentümer reduzieren. Das Projekt Klassenanalyse weist zu Recht auf die „kleinbürgerlichen Zwischenklassen“ (PKA 1973: 301) hin, „die nicht direkt in den Reproduktionsprozeß des Kapitals einbezogen sind“ (177). Damit sind alle Personen gemeint, „die zwar im Besitz von Produktionsmitteln sind, aber selbst noch arbeiten, also Kapitalist und Arbeiter zugleich sind“, und „Personengruppen, die ihr Einkommen vermittelt über die Einkommen von Arbeiter und Kapitalist beziehen“ (ebd.), also Dienst Leistende (nicht zu verwechseln mit denjenigen, die in Kategorien bürgerlicher Wissenschaft oder im Alltag als Dienstleister beschrieben werden). Diese Personengruppen bilden „die Mittel- und Zwischenklassen“ (180) der bürgerlichen Gesellschaft.
Die relationale Integration der Natur in die kapitalistische Klassengesellschaft
Die Tiere und die restliche belebte sowie die unbelebte Natur sind zwar eingebunden in den kapitalistischen Produktionsprozess als Ganzes. Sie gehören aber keiner der verschiedenen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft an. Sie fallen unter Marx‘ sozioökonomische Kategorie der Natur bzw. der Erde (vgl. z.B. MEW 23: 636 und MEW 25: 628). Ihre Integration in die kapitalistische Produktionsweise geschieht über einen eigentümlichen relationalen Modus.
Zunächst ist die spezifische Integration der Tiere und der Natur die Folge ihres Ausschlusses von den oben beschriebenen Relationen der kapitalistischen Produktionsweise. Sie verkaufen ihre Arbeitskraft nicht und sie erhalten auch keinen Lohn. Tiere und Natur sind auch keine im bürgerlichen Sinn politisch freien Individuen bzw. Entitäten.
Ihre Exklusion ist eine Folge der bisherigen ökonomischen und politisch-ideologischen Klassenkämpfe zwischen den menschlichen Klassen. Bis dato ist es den subalternen Klassen nicht geglückt, soziale Beziehungen zu erkämpfen, die human, ökologisch nachhaltig und tiergerecht zugleich sind. Vielmehr ist es der herrschenden Klasse im Kapitalismus gelungen, soziale Relationen zu etablieren, in denen sie das gesellschaftliche Naturverhältnis überwiegend allein bestimmen und eine für sie ökonomisch vorteilhafte, spezifisch kapitalistische Beziehung zur Natur unterhalten kann.
Das Verhältnis des Kapitals zur Natur ist eines ökonomischer Überausbeutung und despotischer Herrschaft. Die Kapitalisten können über die Natur als Produktionsmittel, was die diversen Funktionen der Natur als Produktionsbedingung, Produktivkraft, Arbeitsgegenstand und Arbeitsmittel einschließt, frei und „gratis“ (MEW 23: 630) privat verfügen. Die Arbeit von Tieren oder die Leistungen von Naturkräften schaffen zwar keinen Wert. Sie liefern dem Kapital aber kostenlos Gebrauchswerte, die es bei entsprechender Bearbeitung mit Profit verkaufen kann. Die Gratisaneignung ermöglicht individuellen Kapitalisten oder Kapitalfraktionen auch teils Extra- bzw. Surplusprofite.
Insgesamt bildet das Kapital nicht nur gegenüber der Arbeiterklasse, sondern auch gegenüber der Natur „einen wahren Freimaurerbund“ (MEW 25: 208). Für die Kapitalisten als Klasse besteht wie im Falle der Ausbeutung des Proletariats ein kollektives ökonomisches Interesse daran, dass ihre despotische Relation der Überausbeutung zur Natur aufrechterhalten wird. Denn durch den Ausgleich der Profitrate wirkten sich politische Eingriffe für einen echten Naturschutz nicht nur negativ auf bestimmte Fraktionen oder Einzelkapitalisten aus, sondern auch auf die allgemeine Profitrate. Mit der Beibehaltung des Kapital-Natur-Verhältnisses verhindert die Kapitalistenklass Abzüge vom Mehrwert und somit auch von der allgemeinen Profitrate.
Die Aneignung der Natur durch das Kapital hat ihre Grenzen lediglich an der Natur. Sofern diese nicht erreicht werden, verleibt sich das Kapital die Natur zwecks Mehrwertproduktion in stetig steigendem Maße ein. Dabei abstrahiert es vierfach von der Natur: von ihren besonderen Qualitäten, ihrer relativen Eigenständigkeit und ihren Eigengesetzlichkeiten, den Folgen von Produktion, Zirkulation, individueller und produktiver Konsumtion für die Natur und schließlich von den zur Reproduktion der Natur nötigen natürlichen Prozessen (vgl. Stache 2017: 534). Die Aneignung geschieht daher bis hin zur vollständigen Zerstörung von Ökosystemen, Erschöpfung von Ressourcen, Ausrottung ganzer Arten und systematisch-industriellen Tötung leidensfähiger Tierindividuen.
Seinen adäquaten sozioökonomischen Ausdruck erhält die Relation von Überausbeutung und despotischer Herrschaft zwischen Kapital und Natur im Eigentumsverhältnis und dem Status des Privateigentums der Natur. Historisch hat sich das Eigentumsverhältnis und der damit verbundene Status der Natur als Produktionsmittel im Privateigentum im Zuge der sogenannten ursprünglichen Akkumulation herausgebildet. Ausgehend von ihrer historischen Etablierung ist das Eigentum an verschiedenen Teilen des Erdballs verallgemeinert und rechtlich kodifiziert worden, so dass prinzipiell nicht nur das Kapital, sondern im Grunde alle Subjekte der bürgerlichen Gesellschaft Teile der Natur zu ihrem Eigentum machen können.
Die Aneignung der Natur durch das Kapital geschieht in der Praxis in der Produktionssphäre. Dies festzustellen bedeutet nicht, die beträchtlichen Auswirkungen der Zirkulation und individuellen Konsumtion insbesondere in den imperialistischen Metropolen auf die Natur in Abrede zu stellen. Allerdings sind die Prozesse, in denen der Großteil der Naturaneignung und -zerstörung stattfindet, Teil des kapitalistischen Produktionsprozesses: die Extraktion von Edelmetallen und fossilen Energieträgern, die Nutzung von Bodenflächen zum monokulturellen Anbau von z.B. Ölpalmen, die industrielle Tötung von Tieren, die Auslöschung von Arten durch Habitatverluste, der Abbau von Urwald für Holz- oder Anbauflächengewinnung, der Energieverbrauch, der CO2-Ausstoß etc. Sogar ein nicht unerheblicher Teil des Verkehrs (Warenverschiffung, LKW-Transport) zählt zur Produktion.
Die Arbeiterklasse unterhält als Klasse kein direktes Verhältnis zur Natur. Eine zentrale historische Voraussetzung für die Herausbildung des Proletariats besteht gerade darin, dass die Lohnarbeiter von den technologischen, sozialen und organisatorischen wie den natürlichen Produktionsmitteln getrennt werden. Was sie dazu nötigt, ihre Arbeitskraft als Ware zu verkaufen, ist der Mangel einer direkten Beziehung zur Natur. Wie Marx bereits früh erkannt hat, sind die Lohnabhängigen daher nicht nur von ihren Produkten, ihrem Produktionsprozess, ihrem Gattungswesen und der Gesellschaft entfremdet, sondern auch von der Natur.
Mittelbar ist die Arbeiterklasse allerdings in das vom Kapital bestimmte gesellschaftliche Naturverhältnis ebenfalls eingebunden. Denn sie verrichtet im kapitalistischen Produktionsprozess die konkrete Aneignung der Natur. Allerdings geschieht dies nicht im eigenen Interesse und selbstorganisiert, sondern im Interesse und unter Leitung des Kapitals zum Zwecke der Mehrwertproduktion. Sie vermittelt also das despotische Verhältnis zwischen Kapital und Natur.
Die Überausbeutung der Natur und die Ausbeutung der Arbeiterklasse durch das Kapital finden beide im kapitalistischen Produktionsprozess statt. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Relationen zum Kapital fallen sie aber nicht zusammen. Sie sind einerseits qualitativ unterschiedlich, andererseits aber auf historisch spezifische Form in der sozioökonomischen Praxis miteinander verschränkt. Beide sind dem Kapital formell und reell in der Produktion untergeordnet. Die Überausbeutung der Natur ist für die Akkumulation und Reproduktion des Kapitals ebenso unerlässlich wie die Ausbeutung der Arbeiterklasse. Erstere liefert Gebrauchswerte, letztere formt sie um und schafft dabei Werte.
Die Grundeigentümer monopolisieren zwar Teile der Natur. Sie unterhalten aber in der Praxis kein direktes Verhältnis zur Natur. Vielmehr überlassen sie ihr Eigentum industriellen Kapitalisten, z.B. in der Landwirtschaft oder in den extraktiven Industrien, als Produktionsbedingung für ihre Mehrwertproduktion. Da die Höhe der Grundrente vornehmlich von der Entwicklung der Mehrwertproduktion und der Profitrate abhängt, teilen die Grundeigentümer das Interesse der Kapitalisten nach möglichst allumfassender Aneignung und Ausbeutung der Naturkräfte. Besonders verheißungsvoll ist dies, wenn die Ausbeutung der monopolisierten Naturkräfte Extra- bzw. Surplusprofite versprechen.
Die Zwischenklassen verhalten sich gemäß ihrer Stellung im Produktionsprozess des Kapitals als Ganzem ambivalent zur Natur. Einerseits verfügen Kleinbürger über Produktionsmittel. Sie sind somit in ihren Produktionsprozessen wie das Kapital darauf angewiesen, Natur als Produktionsmittel anzueignen und sie unter vierfacher Abstraktion auszubeuten. Andererseits besteht aufgrund der Einheit von Arbeit und Produktionsmitteln in kleinbürgerlichen Betrieben das Interesse, die Naturaneignung weniger destruktiv zu gestalten, um die eigenen Lebensgrundlagen zu erhalten. Gerade im Fall der kleinbürgerlichen Produktion ist daher der Grad der Naturausbeutung vom konkreten Produktionsprozess und der Konkurrenz abhängig. Denn neben dem vom Inhaber geführten Holzfäller-Betrieb, der Familienmetzgerei und dem selbständigen Taxifahrer zählen etwa auch ökologisch arbeitende Kleinbauern zu den dritten Personengruppen neben Kapital und Arbeit. Insgesamt spielt das Verhältnis, welches die Zwischenklassen zur Natur in ihren Produktionsprozessen eingehen, für das gesellschaftliche Naturverhältnis hinsichtlich Qualität und Quantität der Naturausbeutung und -zerstörung allerdings eine untergeordnete Rolle.
Solidarische Lebensweise oder Ökosozialismus?
In den heutigen umweltsoziologischen, politisch-ökologischen, sozial-ökologischen, ökosozialistischen und anderen verwandten Debatten über das gesellschaftliche Naturverhältnis wird die wechselseitige Beziehung zwischen den bürgerlichen Klassen und der Natur nur in Ausnahmefällen theoretisch ausdrücklich erörtert. Die Klassenfrage wird eher in der Analyse und Kritik sozial-ökologischer Widersprüche mit verhandelt, wenn es darum geht, einerseits Ursachen, Verursacher und Opfer ökologischer Probleme zu ermitteln und andererseits eine Lösungsstrategie und das dazugehörige Subjekt der Veränderung zu bestimmen.
Ulrich Brand und Markus Wissen, Vordenker der emanzipatorischen und sozial-ökologischen Bewegungslinken in der Bundesrepublik, argumentieren z.B., dass eine „imperiale Lebensweise“ (Brand/Wissen 2017: 43) einerseits für die Zerstörung der Natur und die Auslagerung der ökologischen Schäden in den Süden und andererseits für die Ausbeutung der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems verantwortlich sei. Diese Lebensweise basiere auf „einer Art Kompromiss“ (70) zwischen Arbeiterklasse und Proletariat in den Zentren. Sie vermittele zwischen „sozialen Herrschaftsverhältnissen“ (153) und den „Alltagspraxen“ (58) der Subjekte. Dies geschehe über weitgehend konsensuale Vorstellungen von einem anzustrebenden Verhalten und einer hegemonialen Form der „Subjektivierung“ (56), sinnbildlich verkörpert durch das Fahren von ressourcen- und emissionsintensiven Sport Utility Vehicles (SUV) und der entsprechenden „automobilen Subjektivität“ (129). Die Alternative zur imperialen bilde eine „solidarische Lebensweise“ (165). Sie müsse durch ein „hegemoniefähiges Projekt“ (182) erkämpft werden, das „andere politische Regeln“, „gesellschaftliche Selbstverständlichkeiten“, „Leitbilder“ und Subjektivitäten kultiviert und die Kräfteverhältnisse verschiebt. Mit diesen müsse die imperiale Lebensweise im Zuge einer „emanzipatorischen sozial-ökologischen Transformation“ (43) schrittweise eingehegt und zurückgedrängt werden. Ein solcher Übergang solle „tendenziell von Mitte-unten-Bündnissen“ (183) getragen werden. Brand und Wissen wünschen sich zudem, dass „dissidente progressive Eliten“ (ebd.) ebenso handelten.
Die beiden US-amerikanischen Ökosozialisten John Bellamy Foster und Paul Burkett schätzen in ihren Analysen des kapitalistischen sozial-ökologischen Widerspruchs trotz ihrer leicht unterschiedlichen Ansätze die Rolle der Arbeiterklasse grundsätzlich anders ein als Brand/Wissen. Für Burkett und Foster gründet der „ökologische Bruch“ (Foster/Clark/York 2011: 50) im Stoffwechsel zwischen kapitalistischer Gesellschaft und Natur auf einem sozialen Bruch zwischen den Klassen. Die Trennung der unmittelbaren Produzenten von den Produktionsmitteln beinhaltet die Entfremdung der Arbeit und die Entfremdung von der Natur (vgl. Burkett 1999: 58, Foster 2000: 171-177). Sie setzt auch die „Tretmühle der Akkumulation“ (Foster/Clark/York 2011: 190) in Gang, welche den Riss im Metabolismus zwischen Natur und kapitalistischer Gesellschaft herbeiführt. Träger dieser Akkumulation sind die Kapitalisten (vgl. Burkett 1999: 177), die Leidtragenden sind die Marginalisierten und arbeitenden Klassen insbesondere in der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems, aber nicht nur dort. Die dem Kernproblem sozialer und ökologischer Widersprüche adäquate Antwort sehen die Autoren in einer ökosozialistischen Revolution. Ihr Schwerpunkt liegt auf „der Veränderung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse“ (Foster 2014: 15). Ihr Ziel ist „die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln“ (335), die „Ersetzung der blinden Kräfte des Marktes durch eine Planung durch die assoziierten Produzenten“ (ebd.) und eine Revolutionierung des Menschen. Träger eines solchen Übergangs wäre das „Umweltproletariat“ (Foster/Clark/York 2011: 418, vgl. auch Burkett 1999: 212). Die Arbeiterklasse bilde nach wie vor den Kern dieses revolutionären Subjekts. Sie schließt aber vor allem die Massen in der globalen Peripherie ein, die durch wiederkehrende Prozesse ursprünglicher Akkumulation proletarisiert werden oder bereits proletarisiert sind. Gegenstand des Klassenkampfs und der Revolution sind für dieses Proletariat sowohl das Kapital- als auch das gesellschaftliche Verhältnis zur Natur.
Der grundlegende Dissens zwischen diesen beiden charakteristischen Positionen der Debatte über ökologische Klassenpolitik, die weitaus länger zurückreicht als ihre jüngste Konjunktur, besteht in der Ursachenanalyse. Ist die Ausbeutung und Zerstörung der Natur und eines Teils der Menschen im Kern das Problem der kapitalistischen Produktionsweise und somit der sozioökonomischen Klassen- und Ausbeutungsverhältnisse, auf denen die politischen Herrschaftsverhältnisse gründen? Oder sind sie das Resultat politischer Herrschaftsverhältnisse, von denen das Kapitalverhältnis eines von vielen ist? Dieser Widerspruch setzt sich auf den anderen Feldern der Debatte fort, etwa bei der Einschätzung der Arbeiterklasse als Subjekt der Veränderung oder bei den Fragen, was das Subjekt der Veränderung tun sollte und was ihr Ziel ist.
Klassenkampf im Rheinland
Der Konflikt um den Hambacher Forst scheint zunächst die Interpretation der emanzipatorischen Position gegenüber der ökosozialistischen grosso modo zu bestätigen. Gewerkschaftlich organisierte RWE-Arbeiter demonstrieren in Berlin im Vorfeld einer Sitzung der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ „gegen Gewalt“ (IG BCE 2018) – der Rodungsgegner (sic!). Gleichzeitig säubert die Polizei den Wald von Baumhäusern und ein „Mitte-unten-Bündnis“ kämpft für den Schutz des Waldes, der Arten und des Lebensraums. Für den Erhalt ihrer vergleichsweise gut dotierten Arbeitsplätze nehmen die Kollegen offenbar in Kauf, dass nicht nur der Wald, das Ökosystem und die darin lebenden Tiere dem Braunkohleabbau geopfert werden. Sie billigen auch die Verdrängung von Anwohnern, die Verbrennung der fossilen Energieträger und damit die weitere Verschärfung des Klimawandels inklusive seiner lebensbedrohlichen Folgen vor allem für Menschen in der Peripherie. Ob die RWE-Kollegen SUVs fahren, Fleisch essen, übermäßig Energie verbrauchen und auch sonst in ihrem Alltag auf ökologisch großem Fuß leben, ist nicht dokumentiert, aber keinesfalls ausgeschlossen.
Doch bei einer solchen Lesart des Konflikts fiele nicht nur die reale (und vom Konzern politisch instrumentalisierte) Gefahr von Arbeitslosigkeit, verschärfter Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und relativer Armut unter den Tisch. Auch die Tatsache, dass das Gros der Kollegen – trotz materieller Zugeständnisse und ihrer in der Sache politisch falschen Haltung – weiterhin ausgebeutete und unterdrückte Proleten sind, würde nicht berücksichtigt. Ökosozialistischer Theorie entginge dies nicht. Und in der Tat: Die soziale Komponente des Klassenkampfs um den Hambacher Forst ist trotz Gesprächsangeboten an die IG BCE und antikapitalistischer Positionen organisierter Rodungsgegner sowohl politisch-inhaltlich als auch praktisch nur schwach ausgebildet. Dieses Problem ändert nichts daran, dass Protest und Widerstand gerechtfertigt sind. Es deutet aber auf eine zentrale Schwäche der Politik neuer sozialer Bewegungen hin, ohne mit ihrer Kritik die reale Bindungskraft der bürgerlichen Hegemonie in den Metropolen zu leugnen.
Ferner würde in einer Interpretation der Auseinandersetzung im Rheinland durch die Brille des Ansatzes von Brand/Wissen das objektive Interesse des Proletariats mit dem subjektiven Handeln eines Teils der kooptierten Arbeiteraristokratie in den imperialistischen Metropolen gleichgesetzt und letztlich die sozialdemokratische Engführung des Klassenkampfs auf Löhne, Co-Management und bessere Arbeitsverhältnisse implizit akzeptiert. Dabei müsste es der Linken doch zum einen gerade darum gehen, den schlafenden Riesen in und außerhalb der Betriebe politisch zu wecken, anstatt ihn der Sozialdemokratie zu überlassen. Zum anderen wäre es die Aufgabe der Linken, den Unterschied zwischen integrativer und klassenkämpferischer Gewerkschaftspolitik aufzuzeigen. Beides gelingt aber nur, wenn man die Interessen der Lohnabhängigen ernst nimmt, anstatt sie wegen ihrer möglicherweise ökologisch, feministisch usw. unkorrekten Lebens- und Ausdrucksweise der Kollaboration mit dem Klassenfeind zu bezichtigen.
Ein mit der Nivellierung des Klassenantagonismus verwandtes Problem ist die mangelnde Theoretisierung und – daraus resultierend – fehlende Kritik der Mittelklassen im Konzept der imperialen Lebensweise. Es ist erfreulich, dass im Wald zwischen Köln und Aachen ein Teil der Mittelklassen demonstrieren, auch wenn es nur ein kleiner ist. Das Problem ist aber, dass der weitaus größte Teil – Hambach-Demonstranten eingeschlossen – zwar liberale Freiheitsrechte gutheißt und Maßnahmen für mehr Natur- und Klimaschutz befürwortet. Er steht aber gleichzeitig, wie etwa im Falle ihrer parlamentarischen Repräsentanten von Bündnis 90/Die Grünen, hinter der ökologischen Modernisierung des Kapitalismus. Die Systemfrage stellen auch die großen Öko-NGOs nicht (mehr) – weder politisch noch ökonomisch. Es gibt mittlerweile nicht nur einen sozialdemokratischen Gewerkschafts-, sondern auch einen grün-sozialdemokratischen Bewegungskorporatismus. Die Herausforderung für eine ökologische Klassenpolitik wäre, für diese Form des Korporatismus Bewusstsein zu schaffen und eine am Widerspruch zum Kapital orientierte Strategie zu entwickeln, wie man die ökoliberalen Mittelklassen für den ökologischen Klassenkampf gewinnt, bevor man einem Klassenbündnis mit ihnen das Wort redet.
Eine weitere Unzulänglichkeit des Lebensweise-Zugangs besteht, anders als in ökosozialistischen Ansätzen wie Burketts und Fosters, darin, dass der Streit um den Hambacher Forst ganz offensichtlich einer um die Naturaneignung und -ausbeutung in der kapitalistischen Energieproduktion ist. So sinnvoll und empfehlenswert ein Wechsel zum Ökostromanbieter ist: Nicht der überbordende individuelle Konsum von RWE-Braunkohlestrom hat den Tagebau und damit die Rodung des Hambacher Forsts hervorgebracht, sondern die Produktion, der individueller Konsum in den Haushalten aller Klassen und vor allem produktiver Konsum durch die herrschende Klasse folgten.
Schließlich kann man den Kampf um den Hambacher Forst nicht auf eine politische Machtfrage verkürzen, wie es das Konzept der imperialen Lebensweise nahelegt. Er ist vielmehr in letzter Instanz, wie die Ökosozialisten Foster und Burkett es theoretisch entwickeln, ein Klassenkampf um die sozioökonomischen Produktions- und Verteilungsverhältnisse und dementsprechend auch um die Machtverhältnisse zwischen den Klassen der bürgerlichen Gesellschaft. RWE, in diesem Fall Grundeigentümer und industrieller Einzelkapitalist, führt ihn auch als solchen – nur von oben. Das Unternehmen kann die Räumungen und Rodung durchführen, juristisch absegnen und von den repressiven Staatsapparaten durchsetzen lassen, weil der Wald ökonomisches Eigentum des Konzerns ist. Seine Macht kommt aus den Kreisläufen des Kapitals.
Aufgabe einer klassenbewussten Ökologiebewegung wäre es nicht nur, die vergifteten Versprechen des Kapitals – seien sie monetärer, politischer, kultureller oder ideologischer Natur – als solche durch Ideologiekritik zu entlarven. Sie müsste auch im metropolitanen Proletariat den Widerspruch zwischen dem Kapital einerseits und der Arbeit und Natur andererseits nähren. Denn nur wenn die Kollegen die Arbeit niederlegen, sobald Natur und Tiere auf dem Spiel stehen, haben letztere eine reale Chance.
Literatur
Brand, Ulrich; Wissen, Markus 2018: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München.
Burkett, Paul 1999: Marx and Nature: A Red and Green Perspective. New York.
Foster, John Bellamy 2000: Marx’s Ecology. Materialism and Nature. New York.
Foster, John Bellamy 2014: Die ökologische Revolution. Frieden zwischen Mensch und Natur. New York.
Foster, John Bellamy; Clark, Brett; York, Richard 2011: Der ökologische Bruch. Der Krieg des Kapitals gegen den Planeten. Hamburg.
ICB CE 2018: Beschäftigte demonstrieren gegen Gewalt am Hambacher Forst (https://www.igbce.de/ig-bce-beschaeftigte-demonstrieren-gegen-gewalt-im-hambacher-forst/172026, 10.10.2018)
Marx, Karl und Engels, Friedrich (1956-1990): Marx Engels Werke (MEW). Bände 1-40. Berlin.
Projekt Klassenanalyse 1973: Materialien zur Klassenstruktur der BRD. Erster Teil. Theoretische Grundlagen und Kritiken. VSA Reihe Studien zur Klassenanalyse 3. Westberlin.
Stache, Christian 2017: Kapitalismus und Naturzerstörung. Zur kritischen Theorie des gesellschaftlichen Naturverhältnisses. Opladen/Berlin/Toronto.
Wolf, Dieter 2013: Zur Architektonik der drei Bände des Marxschen Kapitals, in: Beiträge zur Marx-Engels-Forschung. Neue Folge 2013. Hamburg. 95-128.
[1] Die Architektonik der drei Bände des Kapital spiegelt diesen Aufbau des Kapitalismus wider. Im ersten Band legt Marx den Schwerpunkt auf die Produktionsverhältnisse, im zweiten auf das Marktverhältnis, im dritten auf deren wechselseitiges Zusammenspiel. Vgl. Wolf 2013.