Mit 138 Konflikten war das erste Halbjahr 2018 das konfliktträchtigste seit Beginn des Streikmonitor-Projekts im Jahr 2016.[1] Neben den großen Tarifauseinandersetzungen in der Metall- und Elektroindustrie und im öffentlichen Dienst gab es mehrere kleinere Branchentarifauseinandersetzungen, u.a. in der Nährmittelindustrie, der Holz- und Kunststoffindustrie sowie der Edelmetallindustrie. Ein bedeutender Konfliktherd waren die über Juni hinaus noch stattfindenden Tarifauseinandersetzungen im Zeitungsgewerbe. Auch im Baugewerbe fanden anlässlich der Tarifverhandlungen Streiks und Aktionen statt.
Wie schon im ersten Halbjahr 2017 konzentrierte sich das Streikgeschehen vor allem auf den Maschinen- und Fahrzeugbau, das Gesundheitswesen sowie den Personentransport. Die in der Vergangenheit beobachteten Trends einer Zersplitterung und Dezentralisierung von Streiks behalten weiterhin ihre Gültigkeit. Besonders heftig wurden die Auseinandersetzungen bei Halberg-Guss (Leipzig/Saarbrücken), Perimeter (Salzkotten), Celenus (Bad Langensalza) und an der TU Berlin geführt. Hier kam es unter anderem zu Besetzungen, Blockaden und Polizeieinsätzen. Ausgeprägter als bisher war der aggressive Konfrontationskurs der Unternehmererseite. „Union Busting“ ist mittlerweile auch in Deutschland bekannt und nimmt zu (Behrens/Dribbusch 2016; Rügemer/Wigand 2014). Bei den von uns identifizierten Konflikten ließen sich 16 Fälle solch aggressiver Maßnahmen seitens der Unternehmer nachweisen.
Im Folgenden geben wir einen Überblick über die zentralen Streikdaten für das erste Halbjahr 2018. Im Anschluss werden mit der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie und den studentischen Protesten an den Berliner Hochschulen zwei größere Konflikte vorgestellt. Danach gehen wir auf Union Busting ein. Zwei besonders konfrontative Konflikte – die Fälle Celenus und Perimeter – zeigen, dass betriebliche Konflikte heute oftmals äußerst hart ausgefochten werden.
Streiks im ersten Halbjahr 2018:
Intensive Auseinandersetzungen und hohe Konfliktzahl
Streikzahl, -beteiligte und -dauer
Für das erste Halbjahr liegen zur Streikzahl und -dauer sowie zu Streikbeteiligten noch keine Angaben des WSI vor; sie werden im nächsten Bericht vorgestellt. Doch die großen Tarifrunden – gerade die Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie mit 1,5 Mio. Beteiligten – und die höhere Anzahl der Konflikte sprechen für eine deutliche Steigerung gegenüber dem Vorjahr. In die Datenbank des Streikmonitors wurden von Januar bis Juni 2018 138 Konflikte aufgenommen (s. Tab. 1).[2] Davon sind 21 Fälle Flächentarifauseinandersetzungen und 117 Fälle Einzelkonflikten zuzurechnen. Bei 43 Fällen wurden mehr als zwei Protestaktionen registriert, den übrigen 92 Fällen ließen sich maximal zwei Protestaktionen zuordnen. Folglich kam es im Erhebungszeitraum zu vielen besonders langen und intensiv geführten Konflikten. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2017 wurden mit 32 Konflikten mit mehr als zwei Protestaktionen deutlich weniger lange Konflikte aufgenommen. Diese Entwicklung liegt sicherlich auch an den vielen Flächentarifverhandlungen im ersten Halbjahr 2018.
Zugleich gab es auch intensiv geführte Einzelkonflikte. Hervorzuheben ist der nun schon seit fünf Jahren andauernde Konflikt bei Amazon. Hier kam es erstmalig zu international synchronisierten Streiks und Demonstrationen in Deutschland, Polen und Spanien u.a. in Reaktion auf die Verleihung des vom Springerkonzerns gestifteten Preises für „visionäres Unternehmertum“. Mit 12 Streiks und Aktionen ist der Konflikt bei Amazon auch 2018 einer der lebendigsten. Erste Erfolge konnten die italienischen Amazon-Beschäftigten erzielen. Laut ver.di kam es weltweit zum ersten Mal zu einer Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und einer Gewerkschaft. Die italienische Gewerkschaft Filcams Cgil Nazionale erstritt mehrere Verbesserungen für ihre Mitglieder. So sieht die Vereinbarung eine 25-prozentige Erhöhung des Entgeltes im Falle von Nachtarbeit vor, die ab jetzt nur noch auf freiwilliger Basis abzuleisten ist, sowie eine bessere Koordination bei der Schichtarbeit und die Garantie, alle acht Wochen vier aufeinander folgende Wochenenden frei zu haben (vgl. ver.di 24.05.2018). Im Oktober 2018 folgte eine Vereinbarung zwischen den beiden polnischen Gewerkschaften IP und Solidarnosc mit Amazon, die die zeitliche Aussetzung des Vorgabensystems beinhaltet. Auch die britischen und amerikanischen Gewerkschaften erreichten Lohnerhöhungen für ihre Mitglieder in den jeweiligen Ländern (vgl. labournet.de 08.10.2018). Es ist also durchaus möglich, Verbesserungen bei Amazon zu erringen.
Streiks nach gewerkschaftlichen Organisationsbereichen
Erstmalig seit Erhebungsbeginn im Jahr 2016 ist eine Verschiebung der Konflikte nach Gewerkschaftszuständigkeit feststellbar. Bisher fiel der Großteil der Konflikte immer in den Organisationsbereich der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (vgl. Tab 1, III). So verzeichnete ver.di für das Jahr 2017 insgesamt 102 Konflikte. Dagegen beteiligte sich die IG Metall im gleichen Jahr an 68 Konflikten. Im ersten Halbjahr 2018 kam es zu deutlich mehr Konflikten im Organisationsbereich der IG Metall. Insgesamt 56 Konflikte fochten die Metaller*innen im ersten Halbjahr 2018 aus, wesentlich mehr als die 39 Konflikte im ersten Halbjahr des Vorjahres. Diese Steigerung resultiert aus den zunehmenden betrieblichen Auseinandersetzungen für einen Tarifvertrag. Hier könnte ein Zusammenhang mit jüngsten Bemühungen der IG-Metall bestehen, Haustarifkonflikte mit den Flächentarifverhandlungen zu synchronisieren.
Tab. 1: Übersicht zu den zentralen Streikdaten des 1. Halbjahres 2018
I. Erfasste Streiks/Aktionen insgesamt
Tabelle siehe PDF!
Die Zahl der Konflikte im Organisationsbereich der NGG stieg im ersten Halbjahr 2018 auf insgesamt 12 an. Auf die übrigen DGB-Gewerkschaften entfielen ebenfalls 12 Konflikte. Es fand damit auch eine sektorale Verschiebung statt: Der Dienstleistungssektor mit 73 Nennungen blieb zwar am konfliktreichsten, aber es lässt sich eine deutliche Konfliktintensivierung im verarbeitenden Gewerbe beobachten. 68 Konflikte im verarbeitenden Gewerbe bedeuten unter heutigen Bedingungen ein ungewöhnlich hohes Niveau.
Insgesamt fielen 132 Konflikte in den Organisationsbereich des DGB, neun Konflikte fanden ohne Beteiligung der DGB-Gewerkschaften statt und sechs ohne jegliche Beteiligung von Gewerkschaften. Die Anzahl der Streiks bzw. Aktionen ohne Beteiligung von Gewerkschaften lag bei sechs Konflikten. Zwei davon entfielen auf einen bisher kaum beachten „Wirtschaftssektor“, den Fußball.[3] Weitere Konflikt ohne Gewerkschaftsbeteiligung fanden im Baugewerbe (bei C. Dupré Bau in Wilferdingen wollten Bauarbeiter ihre ausstehenden Löhne erstreiten) und im Taxigewerbe in Kassel und Stuttgart statt. Außerhalb des Organisationsbereichs des DGB gab es neun Konflikte. Hier sind vor allem die bundesweiten Proteste gegen den online-Lieferdienst Deliveroo zu nennen, die das Bündnis „aktion ./. Arbeitsunrecht“[4] am 13. April mit der NGG, der Fahrer-Initiative „Liefern am Limit“ und der FAU veranstaltete. Ein weiterer größerer Konflikt, der neben ver.di auch vom Deutschen Journalistenverband getragen wurde, ergab sich im Rahmen der bundesweiten Tarifverhandlungen in der Zeitungsbranche. Die Hauptforderung umfasste 4,5 Prozent mehr Gehalt sowie mindestens 200 Euro mehr Gehalt für Berufseinsteiger*innen. Auch bei der Erfurter Bahn kam es unter Federführung der GDL zu vier Streiks. Hier forderten die Eisenbahner*innen die Übernahme des GDL-Flächentarifvertrags BuRa-ZugTV (Bundesrahmentarifvertrag für das Zugpersonal). Anlass waren die schlechten Konditionen, die sich deutlich unter dem für fast alle Eisenbahnverkehrsunternehmen gültigen Flächentarif bewegten (vgl. mdr.de 02.05.2018).
Streiks nach Regionen und Branchen
Aufgrund der zahlreichen Flächentarifverhandlungen verschob sich die geografische Verteilung der Konflikte im ersten Halbjahr 2018. Die Anzahl der Konflikte im Osten nahm leicht ab, was auch für den Westen der Republik im Vergleich zum Vorjahr gilt. Nur die länderübergreifenden Konflikte legten deutlich zu. So fanden insgesamt 28 Prozent (2017: 31 Prozent) der Konflikte in Ostdeutschland statt, im Westen 54 Prozent (2017: 56 Prozent), während die länderübergreifenden Konflikte von 13 (2017) auf 17 Prozent anstiegen. Bei den Bundesländern teilten sich Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern mit jeweils 12 Konflikten den ersten Platz, gefolgt von Niedersachsen mit 11 Konflikten. In Ostdeutschland fanden mit 11 Konflikten die meisten Konflikte in Brandenburg und Sachsen statt.
Die Branchen mit den meisten Arbeitskämpfen waren der Maschinen- und Fahrzeugbau (27 Konflikte), der Gesundheitssektor (21) und der Bereich Verkehr, Lagerei und Logistik (20). Diese drei Bereiche führen somit auch im dritten Erhebungsjahr die Liste der konfliktreichsten Wirtschaftszweige an.
Konfliktthemen
Entlohnung erwies sich als das zentrale Konfliktthema im ersten Halbjahr 2018 (60 Fälle, 28 Prozent). Der Abschluss eines Tarifvertrages lag mit 23 Prozent dahinter. Hierbei ging es entweder um den erstmaligen Abschluss eines Haustarifvertrages oder die Forderung nach Rückkehr in die Tarifbindung. Bei 43 Fällen ging es um den Abschluss eines Tarifvertrages. Nimmt man die Anbindung an einen Flächentarifvertrag (12 Nennungen) sowie die Angleichung von Lohn- und Arbeitsbedingungen an andere Beschäftigungsgruppen, Standorte und Tarife (10 Nennungen) hinzu, waren sogar 33 Prozent der Konflikte tarifvertragsbezogen. Weiter stark vertretene Konfliktfelder drehten sich mit jeweils 15 Nennungen um Arbeitszeit und Stellenabbau. Ebenfalls prominent vertreten sind Proteste gegen die Verdichtung von Arbeit, die in Forderungen nach mehr Personal vor allem im Gesundheitssektor mündeten. Ver.di streitet nach wie vor für einen Tarifvertrag Entlastung, der eine bessere Personalbemessung für Pflegekräfte sicherstellen soll. Wie schon in der vorletzten Ausgabe des Streikmonitors beobachtet (Schneidemesser u.a. 2017), spielt das Thema aufgrund von Rationalisierungsdruck und Arbeitsverdichtung eine immer größere Rolle. Neun Nennungen betreffen das Themenfeld Verlagerung/Schließung/Auslagerung. Keine Konflikte gab es im Erhebungszeitraum in den Themenfeldern Abweichungstarifvertrag und den Forderungen nach Renten- und Altersteilzeit.
Die Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie
Mit über 1,5 Millionen Beschäftigten, verteilt auf hunderte Betriebe in ganz Deutschland, trug die IG Metall im Januar und Februar ihre Forderungen in der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie auf die Straße. Die Hauptforderungen der Gewerkschaft lauteten: Erhöhung der Entgelte und Ausbildungsvergütungen um sechs Prozent bei einer Laufzeit von 12 Monaten sowie ein kollektiv abgesicherter individueller Anspruch auf Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit auf bis zu 28 Stunden bei einer Laufzeit von zwei Jahren mit Rückkehrrecht auf Vollzeit und ein Teillohnausgleich für bestimmte Beschäftigte. Neben diesen Forderungen sollten während der Verhandlungen auch über Reglungen zum Personalausgleich, einen bezahlten freien Tag vor Prüfungen für Auszubildende und über einen Prozess der Angleichung der Arbeits- und Lohnbedingungen der ostdeutschen Beschäftigten verhandelt werden (vgl. IG Metall 26.10.2017). Zum ersten Mal kamen neue Streikformen zum Einsatz: Die Strategie der 24 Stunden-Streiks wurde nun in der Praxis angewendet. Damit wollte die IG Metall mehr Dynamik in die Tarifverhandlungen tragen, die Ernsthaftigkeit ihrer Forderungen unterstreichen und ihr Mobilisierungspotenzial testen.
Das Thema Arbeitszeit erwies sich als bemerkenswert mobilisierungsfähig. Der Arbeitskampf entwickelte sich zeitweilig in Richtung einer sozialen Bewegung: Über 1,5 Millionen Beschäftigte beteiligten sich an den Aktionen, die Umsatzausfälle lagen allein in Baden-Württemberg nach Schätzungen bei einer Viertelmilliarde Euro (Teweleit 2018). Allerdings stießen die Forderungen der Metaller*innen auf harten Widerstand der Unternehmerseite. Zudem zeigten sich deren Verbände und auch viele Betriebe vor Ort entrüstet über die neue Kampfform der 24-Stundenstreiks. So kam es zu zahlreichen Klagen, die diese Streiks unterbinden sollten. Besonders erfolgreich war das nicht, im Großteil der Fälle wurde wie geplant gestreikt.
Das Ergebnis für die 3,7 Mio. Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie lässt sich – was die Entgelte betrifft – so zusammenfassen: „Die Entgelte und Ausbildungsvergütungen sind zum 1. April 2018 um 4,3 Prozent gestiegen, im März gab es 100 Euro Einmalzahlung bzw. 70 Euro für Auszubildende. Im Juli 2019 erhalten alle Beschäftigten zudem einen Festbetrag von 400 Euro (Auszubildende 200 Euro) sowie das neue tarifliche Zusatzgeld (T-ZUG) von 27,5 Prozent eines Monatseinkommens. Beide Komponenten wirken dauerhaft. Ab 2020 fließen anstelle der 400 Euro dann 12,3 Prozent des Grundentgelts der EG 7 (Eckentgelt für Facharbeit) als dauerhafte, soziale, tarifdynamische Komponente.“ (Zitzelsberger 2018: 326) Insgesamt bedeutete dies „sowohl 2018 als auch 2019, je nach Entgeltgruppe, jährlich 3,5 bis 4 Prozent mehr Geld.“ (IG Metall 27.03.2018).
In Sachen Arbeitszeitverkürzung wurde ein Kompromiss erstritten. Er beinhaltet den generellen Anspruch auf eine zeitlich befristete „Verkürzung der Vollzeitarbeit bis zu einer Arbeitszeit von 28 Wochenstunden wie auch auf die jährliche Wahlmöglichkeit für bestimmte Beschäftigtengruppen, sich entweder für den neuen Entgeltbaustein T-ZUG (tarifliches Zusatzgeld) oder für acht zusätzliche freie Tage (tarifliche Freistellungszeit) zu entscheiden.“ (Zitzelsberger 2018: 326) Die verkürzte Vollzeit können alle Beschäftigten in Anspruch nehmen, die Vollzeit 35 Stunden pro Woche (Westdeutschland) bzw. 38 Stunden (Ostdeutschland) arbeiten. Hiervon sind Altersteilzeitler und Auszubildende ausgeschlossen (IG Metall 27.09.2018). Anspruch auf die tarifliche Freistellungszeit von acht zusätzlichen freien Tagen pro Jahr haben Beschäftigte, die im Dreischichtsystem arbeiten, die im Haushalt Kinder unter acht Jahren betreuen oder Angehörige pflegen. Verkürzte Vollzeit und tarifliche Freistellungszeit können in bestimmten Fällen auch miteinander kombiniert werden (ebd.).
Bei der Umsetzung dieser Ansprüche sieht Zitzelsberger (2018) durchaus Konfliktpotenzial. Besonders in kleinen Betrieben oder in kleineren Abteilungen, in denen es nur wenige vergleichbare Qualifikationsprofile gibt, kann es zu Engpässen kommen, sobald nur ein Kollege seine Arbeitszeit verkürzt. Aufgrund der in den Unternehmen heute üblichen Personalpolitik – nämlich permanent mit einer möglichst knapp bemessenen Personalausstattung zu fahren – müssen schon heute bei Krankheit eines Kollegen die anderen einspringen. Um auf nun mögliche individuelle Arbeitszeitverkürzungen angemessen reagieren zu können, muss also auch die Personalplanung vieler Betriebe neu justiert werden – und zwar unter Beteiligung des Betriebsrats. Es werden also betriebliche Umsetzungskonzepte benötigt, an denen derzeit noch gearbeitet wird.
Es war der IG Metall also nach relativ langer Zeit wieder gelungen, das Thema Arbeitszeit zur Mobilisierung zu nutzen und zentrale Verhandlungsziele durchzusetzen. Diese Verhandlungsergebnisse tragen jedoch deutlichen Kompromisscharakter. Da die Inflationsrate im September 2018 auf 2,3 Prozent angestiegen ist, wird es zwar eine Reallohnerhöhung geben, jedoch eher bescheiden (s. makronom.de 13.02.2018). Auch beim Thema Arbeitszeit gibt es Kompromisse: Der individuelle Anspruch auf verkürzte Vollzeit gilt nur für zehn Prozent der Beschäftigten einer Belegschaft gleichzeitig. Während der Verkürzungsphase verdienen die betreffenden Beschäftigten entsprechend weniger. Einen Teillohnausgleich gibt es für diejenigen, die die tarifliche Freistellungszeit nutzen. Im Gegenzug für das Recht auf Arbeitszeitverkürzung wird den Unternehmen zugestanden, auch mehr Arbeitsverträge mit 40 Wochenstunden zu vereinbaren. Das ist für sie vorteilhaft. Solche tariflichen Quoten gibt es allerdings auch jetzt schon für bis zu 13 Prozent der Belegschaft (bundesweit), in Baden-Württemberg für 18 Prozent. Arbeitszeiten über 35, sogar über 40 Stunden gibt es also längst. Sie werden durch den Tarifvertrag 2018 nicht erst erzeugt. Die genannten Quoten werden in der Praxis sogar häufig überschritten. Die IG Metall hofft, dass die vereinbarte tarifliche Regelung, die in diesem Punkt faktisch den Status Quo abbildet, den Betriebsräten neue Mitbestimmungsrechte verschafft, um den Missständen in der Arbeitszeitpolitik besser als bisher zu begegnen (Zitzelsberger 2018: 327). Ob das gelingt, muss sich zeigen.
Bildungsstreiks an den Berliner Hochschulen
Seit 2001, also seit 17 Jahren, gab es für die derzeit etwa 8.000 studentischen Beschäftigten der Berliner Hochschulen keine Lohnerhöhungen mehr. Bislang verdienten sie nach Tarifvertrag 10,98 Euro; die Technische Universität Berlin zahlte freiwillig 12,50 Euro (deutschlandfunk.de 15.05.2018). Um dies zu ändern, traten die Studierenden vom 16.01.2018 bis 29.06.2018 immer wieder in Streik. Demonstrationen, Kundgebungen und eine Besetzung gehörten gleichfalls zu ihrem Aktionsrepertoire. Die Streikenden forderten mit Unterstützung der GEW und ver.di für die studentischen Beschäftigten einen neuen Tarifvertrag. Da das Lohnniveau seit der letzten Erhöhung 2001 durch Inflation und Streichung des Weihnachtsgeldes real um 25 Prozent eingebrochen war, sollten die Entgelte zukünftig an den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes gekoppelt und eine sofortige Lohnerhöhung auf 14 Euro pro Stunde durchgesetzt werden.
Die studentischen Beschäftigten wandten sich außerdem gegen die nicht eingehaltenen, gesetzlich fixierten Befristungen. Nach dem Berliner Hochschulgesetz laufen die Verträge für die studentisch Beschäftigten in der Regel zwei Jahre. Über die Hälfte der Verträge hatte aber kürzere Laufzeiten. Um dieser Praxis einen Riegel vorzuschieben, wollten die Studierenden tariflich abgesicherte Vertragslaufzeiten. Letztlich strebten sie eine Gleichbehandlung aller Hochschulbeschäftigten an. So hatten etwa die studentischen Beschäftigten eine Woche weniger Urlaubsanspruch als andere Beschäftigte der Hochschulen (tvstud.berlin. o.D.).
Da die Verhandlungen mit den Hochschulen schleppend verliefen, besetzten Studierende am 13. Juni für vier Tage – bis zur polizeilichen Räumung – das Audimax der TU Berlin. GEW und ver.di verurteilten die Räumung als unverhältnismäßig, da die Besetzung friedlich verlief und die Studierenden ein nahes Ende der Besetzung in Aussicht stellten, sobald die Universität auf die tariflichen Forderungen einginge. Tom Erdmann, Vorsitzender der GEW Berlin, nannte die Vorkommnisse besorgniserregend. Als Ursachen der Proteste sah Erdmann „sich verschlechternde Studienbedingungen, die soziale Schließung der Hochschulen und prekäre Arbeitsbedingungen“, die „sich nicht durch einen Polizeieinsatz in Luft auflösen“ würden (rbb24.de 18.06.2018).
Bei diesen Protesten handelte es sich angesichts einer Dauer von sechs Monaten um den seit Jahrzehnten längsten Tarifkonflikt an deutschen Hochschulen. Erst am 28. Juni nahmen die Gewerkschaftsmitglieder das Verhandlungsergebnis für einen neuen Tarifvertrag an. Die beharrlichen Proteste der Studierenden mündeten in ein akzeptables Ergebnis. Zwar liegen die Abschlüsse deutlich unter den Forderungen, jedoch kommt es ab Juli 2018 zu einer schrittweisen Anhebung der Entgelte. Im Jahr 2019 soll der Stundenlohn auf 12,50 steigen, 2021 auf 12,68 und ab Januar 2022 auf 12,96 Euro. Auch bei dem Thema Ankoppelung konnten beide Seiten eine Einigung erzielen. Ab 2023 erhöhen sich die Löhne der studentischen Beschäftigten im gleichen Maße wie die der übrigen Hochschulbeschäftigten. Allerdings erhalten die Hochschulen ein Widerspruchsrecht, falls die Hochschulverträge nicht finanziert werden können. Bei der Urlaubsregelung einigten sich die Konfliktparteien auf eine Erhöhung von 25 auf 30 Tage ab 2019. Für den Krankheitsfall konnte die Ausdehnung der Entgeltzahlung von sechs auf zehn Wochen erreicht werden (tvstud.berlin 06.07.2018).
Noch ist nicht abzusehen, ob der Berliner Arbeitskampf ein bundesweites Signal für Hochschulen anderer Bundesländer sein könnte. Denn dort ist die Lage oft viel prekärer als in Berlin. Tarifverträge gibt es bundesweit nur in der Hauptstadt. In anderen Bundesländern legen allein die Universitäten, ohne Einbeziehung der Gewerkschaft, die Lohnhöhe fest. Daher bewegen sich die Stundenlöhne, beispielsweise bei studentischen Beschäftigten ohne Abschluss, in einigen ostdeutschen Bundesländern teilweise nur knapp über Mindestlohnniveau. Auch bleibt abzuwarten, ob Proteste mit derselben Ausdauer und Intensität geführt werden und wie dabei die gewerkschaftliche Beteiligung aussieht. In Berlin war zu beobachten, dass im Laufe der Proteste viele Studierende in die Gewerkschaften eintraten, ein Erfolg für ver.di und GEW.
Aggressive Maßnahmen der Unternehmer und Union Busting
Lange war das Phänomen des „Union Busting“ ein spezifisch angelsächsisches Problem. Das deutsche System der industriellen Beziehungen galt im internationalen Vergleich als eher konfliktarm und sozialpartnerschaftlich ausgerichtet. So ist es etwa verboten, Betriebsratswahlen zu behindern. Eine aggressive, gewerkschaftsfeindliche Ausrichtung seitens der Unternehmensführung gab es lange Zeit – von zugespitzten Situationen abgesehen – i. d. R. nur bei einzelnen Familienunternehmen oder mittelständischen Betrieben.
In den vergangenen Jahren hat sich in dieser Hinsicht die Situation verändert. Unter „Union Busting“ ist die bewusste Herbeiführung eines gewerkschaftsfeindlichen Klimas zu verstehen, das von der Behinderung bis zur Zerschlagung von Gewerkschaften reichen kann.[5] Für Deutschland typische Formen von Union Busting fallen meist mit der Sabotage von Betriebsratsarbeit zusammen. Eine erste Stufe von Union Busting stellt die Verhinderung von betrieblichen (gewerkschaftlichen) Vertretungsstrukturen dar. Zwar ist der Betriebsrat keine gewerkschaftliche Struktur, aber ohne Betriebsrat bleibt die Entfaltung von gewerkschaftlichen Aktivitäten äußerst gering. Maßnahmen gegen Betriebsratsstrukturen bedeuten daher auch, gewerkschaftliche Vertretung im Betrieb zu verhindern (Behrens/Dribbusch 2014: 143f.). Auch hier existieren „weiche“ und „harte“ Maßnahmen: „Weiche“ Maßnahmen sind beispielsweise Einschüchterungen möglicher Kandidaten für den Betriebsrat[6], Versuche, eine Betriebsratswahl zu be- oder zu verhindern oder auch das „Herauskaufen“ von potentiellen Betriebsräten, indem mögliche Kandidaten mit Privilegien und Finanzmitteln bestochen werden. Zu den „härteren“ Maßnahmen gegen die Gründung einer Betriebsratsstruktur zählen die Kündigung von Kandidaten des Betriebsrates oder der Mitglieder des Wahlvorstands (ebd.:144).
Mehrheitlich werden weiche Formen eingesetzt, aber auf härtere Maßnahmen wird immer öfter zurückgegriffen, darunter Abmahnungen und Kündigungen; lt. Behrens wurde in knapp der Hälfte der ihm bekannten Fälle versucht, mit Unterstützung von professionellen Anwaltskanzleien oder Unternehmensberatungen die Betriebsratswahl zu verhindern.[7] Falls schon Betriebsratsstrukturen vorhanden sind, wird auf einer zweiten Ebene angesetzt: Die gewählten Betriebsratsgremien werden behindert und bekämpft (ebd.: 145ff.). Solche Fälle (am häufigsten: die Kündigung einzelner Betriebsratsmitglieder) sind allerdings offenbar seltener, wohl weil sie als zu beschwerlich oder zu kostenintensiv eingeschätzt werden.[8]
Insgesamt konnten wir für das erste Halbjahr 2018 16 Fälle von Union Busting und aggressiven Unternehmermaßnahmen in unterschiedlichen Branchen ermitteln. Auf den Gesundheitssektor entfielen fünf Fälle. Besonders aggressiv ging der Celenus-Konzern in Bad Langensalza gegen die eigenen Angestellten vor. Im Fall des städtischen Klinikums Brandenburg versuchte die Geschäftsleitung sogar, mit einer Ausschreibung von 100 Euro pro Streiktag einen Streik zu verhindern. In den Thüringen Kliniken weigerte sich der neue Geschäftsführer, Mitgliederversammlungen in den Räumen der Klinik zuzulassen. Auch im Klinikum des Saarlandes kam es zum Kündigungsversuch einer engagierten Gewerkschafterin (Vorwand: Sie sei ihrer Arbeitsverpflichtung nicht nachgekommen). Kurz vor Weihnachten 2017 erhielt sie die Kündigung, erst im Mai 2018 konnte sie endlich aufatmen. Der Arbeitgeber konnte seine Kündigung nicht durchsetzen, es kam zu einer außergerichtlichen Einigung (ver.di, o.D.). Der letzte Fall im Gesundheitssektor betraf die Kliniken der Helios-Gruppe. Dort versuchte der Konzern per Gerichtsbeschluss, die anstehenden Streiks zu unterbinden. Die Gerichte urteilten zugunsten des Konzerns, so dass die Streiks kurzfristig abgesagt werden mussten (ver.di, o.D.).
Auch bei der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie gingen die Unternehmer nicht mit Glacé-Handschuhen vor. Innerhalb einiger Betriebe kam es, wie bei der Firma Weiss, zu Drohungen gegenüber der Belegschaft. So forderten Meister die Beschäftigten ultimativ auf, nicht zu streiken, da sie noch Aufträge abzuarbeiten hätten. Unternehmerverbände wie Hessenmetall und Niedersachsenmetall klagten gegen die neuen 24-Stundenstreiks.
In der Verkehrs -und Logistikbranche wurden drei Fälle bekannt, einer bei der DHL, einer bei Hellmann und einer bei der Erfurter Bahn. Weiterhin konnten Fälle von aggressiven Maßnahmen und Union Busting bei Ecoclean, bei Halberg-Guss, beim Konflikt an den Berliner Hochschulen und – besonders ausgeprägt mit 150 Abmahnungen – beim Produzenten von Sicherheitstechnik-Gütern Perimeter verzeichnet werden. Auch Amazon und Deliveroo behielten ihren beschäftigtenfeindlichen Kurs bei.
Zwei Fälle, die im ersten Halbjahr 2018 besonders auffielen, werden im Folgenden ausführlicher dargestellt.
Celenus Kliniken GmbH
In Deutschland betreibt die Celenus Kliniken GmbH 17 Häuser und hält seit letztem Jahr die Mehrheit an der inoges Holding GmbH, die ihrerseits mit 30 Standorten im Bereich der ambulanten Rehabilitation vertreten ist. Die Celenus Kliniken GmbH gehört zur französischen Orpea-Gruppe, die weltweit vertreten ist (allein in Europa 790 Standorte mit 82.900 Betten).
Die Beschäftigten der Thüringer Rehaklinik in Bad Langensalza erhalten bis zu 42 Prozent Lohn weniger als ihre Kolleg*innen in anderen Kliniken der Deutschen Rentenversicherung. Viele Beschäftigte, gerade in den unteren Gehaltsgruppen, bekommen lediglich den gesetzlichen Mindestlohn (ver.di, o.D.). Das Geschäftsmodell der Orpea-Gruppe ist höchst profitabel (die operative Umsatzrendite soll bei 27 Prozent liegen) und beruht auf Niedriglöhnen, Tarifflucht und schlechten Arbeitsbedingungen. Im Jahr 2016 hatte ver.di mit Celenus eine Abmachung getroffen, spätestens bis Juli 2017 ein Tarifvertrag abzuschließen. Als das Unternehmen dem nicht nachkam, folgten im vergangenen Jahr mehrere Streiks. Dabei versuchte das Unternehmen, die Streiks per Gerichtsbeschluss zu unterbinden. Beschäftigte, die sich weigerten, während des Streikes zu arbeiten, wurden abgemahnt (jungewelt.de 10.04.2018).
Im Laufe des Konflikts drehte das Unternehmen immer weiter an der Eskalationsschraube. Erst versuchte die Geschäftsleitung, die Streiks per einstweiliger Verfügung zu verhindern; weil das nichts fruchtete, ging sie gezielt gegen einzelne Beschäftigte vor. Als im April 2018 in Bad Langensalza wieder Streiks auf der Tagesordnung standen, erfolgte wenige Tage später die Kündigung einer Masseurin und einer Physiotherapeutin, beide Mitglied der ver.di-Tarifkommission. Nicht nur die fehlende Anerkennung seitens der Klinikleitung, auch Sorgen um die Altersabsicherung spielen für das Engagement bei beiden Fachkräften eine große Rolle.
Als die Versuche scheiterten, die Arbeitsniederlegungen vor Gericht verbieten zu lassen, begann das Management, einzelne Beschäftigte gezielt zu attackieren. Nach den Entlassungen und vielen Solidaritätsaktionen sperrte die Klinikleitung am 7. Mai 2018 fünf Angestellte der Physiotherapie auf unbestimmte Zeit aus. Einen Monat später meldete das Unternehmen zwei der Ausgeschlossenen von der Krankenversicherung ab, da sie laut Unternehmen an einem rechtswidrigen Streik teilgenommen hätten. Obwohl die Gerichte noch am 5. April die Rechtmäßigkeit der Streiks bestätigt hatten, beharrte das Management auf seiner Entscheidung. Es gab auch ein Moderationsangebot von Thüringens Arbeitsministerin Heike Werner und dem Bürgermeister von Bad Langensalza, Matthias Reinz, auf das der Konzern ebenfalls nicht einging.
Weitere Spaltungsversuche wurden von der Belegschaft erfolgreich abgewehrt, so eine „Mitarbeiterbefragung“, die von der Verwaltung lanciert und von einer Unternehmensberatung unterstützt wurde. Nur etwa ein Drittel der Beschäftigten nahm daran teil; davon sprach sich weniger als die Hälfte für die Beendigung des Konflikts aus. Da die Befragung nicht im Sinne des Konzerns verlief, berief man am 21. Juni eine Personalversammlung ein, bei der die Geschäftsführung von der Belegschaft kein klares Votum für ihr Vorgehen erhielt. Ein am 2. Juli 2018 begonnener unbefristeter Streik wurde Mitte Oktober mit dem Angebot erneuter Gespräche ausgesetzt, was aber nur die Aussperrung einzelner Beschäftigter seitens des Konzernleitung nach sich zog. Der Konflikt ist weiter anhängig.[9] Bisher haben sich die Beschäftigten von den Attacken der Geschäftsleitung nicht einschüchtern lassen. Ihr Zusammenhalt ist gewachsen, die Solidarität ist außergewöhnlich groß. Aufwind erhielten sie durch die Zurückweisung der Kündigung der zwei Aktiven durch das Arbeitsgerichts Nordhausen.
Perimeter Protection Germany GmbH
Das weltweit operierende Unternehmen Perimeter Protection Germany GmbH ist im Objektschutz tätig. Am Standort Salzkotten (Kreis Paderborn, NRW) mit rund 140 Beschäftigten werden Schranken, verschiedene Arten von Toren, Zäune und Drehkreuze hergestellt. Im Jahr 2012 schloss das Unternehmen mit der IG Metall einen Tarifvertrag ab. Trotz der darin festgeschriebenen Klausel, nach dem Ende der Laufzeit 2016 erneut über einen Tarifvertrag zu verhandeln, verweigert sich die Geschäftsleitung seit zwei Jahren den Verhandlungen (IG Metall 29.06.2018). Stattdessen will sie lieber individuell mit einzelnen Beschäftigten und dem Betriebsrat verhandeln und schließt Verhandlungen mit der IG Metall aus. Zwar sind die Beschäftigten, die auch schon vor Ende 2016 bei dem Unternehmen angestellt waren, durch die „Nachbindung“ des alten Tarifvertrages geschützt, jedoch profitieren sie nicht von neu ausgehandelten und tariflich festgelegten Verbesserungen. Für alle, die seit dem 1. Januar 2017 angestellt wurden, gilt die Nachbindung nicht. Bewusst streute das Unternehmen Falschinformationen. So behauptete es sogar, „auf Basis des Betriebsverfassungsgesetzes“ verhandeln zu wollen, obwohl danach bekanntlich nicht der Betriebsrat, sondern die Gewerkschaft der Tarifpartner ist.
Das Unternehmen hatte seit Jahresanfang annähernd 150 Abmahnungen verschickt, eine Einschüchterungstaktik, die bei den Angestellten für Angst und Unmut sorgt, da mit einer zweiten Abmahnung aus dem gleichen Grund der Verlust des Arbeitsplatzes verbunden sein kann. Das Unternehmen wirft in den Abmahnungen den Betroffenen „Verfehlungen, Nichterfüllung von Verpflichtungen, definitiv nicht aus kleinlichem Anlass“ vor, die aber aus Sicht der Gewerkschaft juristisch nicht haltbar sind. Die IG Metall nannte Beispiele: So sei mit den Vorgesetzen zu laut gesprochen worden (nw.de 15.06.2018). Neben dem Vorwurf der Respektlosigkeit beschuldigte man Beschäftigte des Diebstahls oder kreidete ihnen an, zu spät gekommen zu sein. Auch die IG Metall selbst wurde unter Beschuss genommen. Als der Gewerkschaftsvertreter vor Streikbeginn den Betriebsrat besuchen wollte, verklagte ihn das Unternehmen wegen Hausfriedensbruchs und verlangte Schadenersatz. Das Gericht wies die Klage zurück.
Ein Großteil der Beschäftigten legte Mitte Juni 2018 am Standort Salzkotten die Arbeit nieder und forderte, die Tarifbindung zu erneuern. Die in der jüngsten Metallrunde erstrittene Gehaltserhöhung um 4,3 Prozent ging an dem Betrieb in Salzkotten spurlos vorbei. Da nach zwei Jahren immer noch keine Bewegung in die Verhandlungen gekommen war, sprachen sich am 13. Juni 90 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für einen unbefristeten Streik aus.[10]
Schlussfolgerung: Verschärfung von Konflikten
Das Streikgeschehen im ersten Halbjahr 2018 wurde in erster Linie durch den Arbeitskampf der IG Metall im Januar/Februar mit ca. 1,5 Mio. Beteiligten geprägt. Durch ihn wurde nicht nur eine neue Streikstrategie mit 24 Stunden-Streiks erprobt, sondern auch das Ziel der Arbeitszeitverkürzung erneut auf die Agenda gesetzt. Zugleich zeigt die Übersicht, dass die Zahl der Konflikte insgesamt zugenommen hat; darunter waren viele Einzelkonflikte, die härter ausgefochten wurden und sich immer länger hinzogen. Das zeigt sich auch an der Zunahme von unbefristeten Streiks. Dabei war insbesondere eine Zunahme der Konflikte im verarbeitenden Gewerbe zu verzeichnen. Das ist deshalb bemerkenswert, weil bisher die Zahl der Konflikte im Dienstleistungssektor immer überproportional hoch war; hier scheint ein Zusammenhang zur Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie zu bestehen, verschiedene Einzelkonflikte wurden anscheinend nun stärker mit den Flächentarifauseinandersetzungen synchronisiert.
Im ersten Halbjahr 2018 gab es zudem auch nicht-normierte Aktionen, u.a. die Besetzung des Audimax an der Technischen Universität Berlin. Außerdem kam es im Vergleich zu den Vorjahren zum deutlichen Anstieg von aggressiven Unternehmermaßnahmen und Union Busting, um gegen streikende Beschäftigte vorzugehen. Dieser Trend stellt eine große Herausforderung für die Gewerkschaften dar und sollte weiter beobachtet werden.
Quellen
Behrens, Martin/Dribbusch, Heiner (2014), Arbeitgebermaßnahmen gegen Betriebsräte: Angriffe auf die betriebliche Mitbestimmung, in: WSI-Mitteilungen, Jg. 67, H. 2, S. 140-148.
Behrens, Martin/Dribbusch, Heiner (2016), Aggressive Arbeitgeber, Böckler Impulse. Ausgabe 17/2016, https://www.boeckler.de/67961_67981.htm.
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[1] Das Projekt „Streikmonitor: Standardisierte Erhebung zur langfristigen Erfassung von Streikaktivitäten in Deutschland“ wird von der Heinz Jung-Stiftung (Frankfurt am Main) gefördert und von Stefan Schmalz (Friedrich-Schiller-Universität Jena) geleitet. Die Berichte erscheinen halbjährlich in Z; letzter Bericht: Schneidemesser/Kilroy 2018. In diesem Artikel verwendete Daten beziehen sich, falls nicht anders gekennzeichnet, auf die Daten aus dem Projekt Streikmonitor.
[2] Unter Konflikt ist dabei eine Auseinandersetzung zu verstehen, die aus mehreren Streiks oder Aktionen bestehen kann und sich ggf. über einen längeren Zeitraum erstreckt. So werden alle Streiks um einen Tarifvertrag bei Amazon, der bereits seit 2013 geführt wird, dem gleichen Konflikt zugeordnet. Aber auch ein einmaliger Warnstreik in einem einzelnen Betrieb ist ein eigener Konflikt.
[3] So streikten die Jugend-Fußball-Schiedsrichter im Kreis Frankfurt an einem Wochenende. Anlass waren sich häufende Pöbeleien und Gewalttaten von Spielern, Trainern und Zuschauern gegenüber den Unparteiischen. Durch den Protest fielen 150 Spiele aus (vgl. faz.net 20.04.2018). Beim zweiten Konflikt im Fußball streikten die Spieler des Landesligisten TSV Moosbach gegen einen unsauber kommunizierten Trainerwechsel (vgl. sueddeutsche.de 06.05.2018).
[4] In diesem Bündnis vernetzen sich Menschen verschiedenster Professionen, von Gewerkschafter*innen, über Journalist*innen, bis hin zu Rechtsanwälten. Hervorgegangen ist das Bündnis „aktion./.Arbeitsunrecht“ 2014 aus Recherchearbeiten zum Thema „Union Busting in Deutschland“ (vgl. arbeitsunrecht.de).
[5] Der aus dem Englischen kommende Begriff bedeutet so viel wie: Gewerkschaften bekämpfen, sprengen, kaputtmachen. Dabei handelt es sich um das „…systematische und professionell geplante Vorgehen gegen gewerkschaftliche Interessenvertretungen.“ (DGB 10.07.2018) Manche Unternehmensleitungen wenden auch unterschwellige Methoden an, die vom Streuen von Gerüchten bis zur Drohung reichen, den Standort zu verlagern oder zu schließen (s. Dörre u. a. 2016: 131).
[6] Nach einer Studie von Behrens ist dies die am häufigsten auftretende Methode, da der Kontakt zwischen Beschäftigten und Geschäftsleitung vor allem in kleinen bis mittelständischen Unternehmen direkt ist und damit leichter Druck auszuüben ist.
[7] Die Zusammenarbeit mit auf Union Busting spezialisierten externen Unternehmen ist in den angelsächsischen Ländern ein ausuferndes Geschäftsfeld, das für Deutschland bislang nicht so verbreitet war. Das scheint sich zu ändern. So bieten einige Anwaltskanzleien wie die Kanzlei Helmut Naujoks offen ihre Dienste in diesem Feld an, jedoch ist das Betätigungsfeld der spezialisierten Anwaltskanzleien noch eingeschränkt, da die Unternehmen meist auf örtliche Hausanwälte zurückgreifen.
[8] Dabei war zu beobachten, dass die Geschäftsleitung in einigen Fällen erfolgreich die Belegschaft in zwei Lager spaltete. Wie Dörre u.a. (2016: 131f.) beschrieben haben, stehen in einem solchen Konflikt meist leitende Angestellte, Meister oder Vorarbeiter und einige Beschäftigte mit engen Verbindungen zur Geschäftsleitung den Gewerkschaftsmitgliedern und der Belegschaft entgegen. Dabei werden Ängste und Unwissenheit, aber auch Spannungen innerhalb der Belegschaft ausgenutzt, um so eine erfolgreiche Organisierung zu verhindern. Die Palette der Unternehmermaßnahmen ist variabel; beispielsweise werden prekär Beschäftigte als Streikbrecher eingesetzt oder durch die Drohung der Standortverlagerung unter Druck gesetzt.
[9] Als weiteren Coup kündigte das Unternehmen Ende Juli an, die Hauswirtschaft einzustellen und die Reinigungskräfte zu entlassen. Das Vorhaben sollte ohne Einbeziehung des Betriebsrates realisiert werden. Das wurde vom Landesarbeitsgericht gestoppt. Der Betriebsrat klagte vor Gericht und erreichte in zweiter Instanz, dass das Unternehmen mit ihm über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan verhandeln muss (jungewelt, 31.07. und 24.10.2018).
[10] Dass die Unternehmensleitung ihren konfrontativen Kurs beibehält, zeigte sich auch während des Streiks. So fuhren die Mitglieder der Geschäftsführung die Sonnenschirme der IG Metall mit ihren Autos um. Weiterhin drohten sie in einem Schreiben, falls die Angestellten ihren Streik nicht beenden würden, nahe das Ende des Standortes. Von zwei Betriebsräten forderte das Unternehmen nun auch noch Geld, weil Leiharbeitsbeschäftigte ausgefallen seien. Außerdem überzog das Unternehmen die Gewerkschaftsmitglieder mit Klagen, beispielsweise wegen Nötigung (nw.de 22.06.2018). Um den Konflikt doch noch beizulegen, bot sich der Bürgermeister der Stadt Salzkotten als Mediator an. Nach einigem Hin und Her akzeptierte die Firmenleitung die IG Metall als Verhandlungspartner. Schließlich bot die neue Landesschlichterin von NRW an, im Konflikt zu vermitteln (nw.de 25.06.2018). Was dabei herauskam, war bei Redaktionsschluss dieses Hefts noch nicht absehbar.