Die deutsche Autoindustrie durchlebt schwierige Zeiten, zumindest, was Image und Schlagzeilen angeht. Kaum ein Tag, an dem nicht über neue Tricks oder Betrügereien berichtet wird. Noch dazu ist sie dafür selbst verantwortlich – sowohl für die Machenschaften, die „unsauber“ zu nennen ein Euphemismus wäre, wie auch für ihre Reaktion auf deren Aufdeckung. Wenn ein bayrischer Hersteller, dem nach monate- und jahrelangen Bekenntnissen zu Gesetzestreue und Makellosigkeit gezielte Manipulationen an der Abgasreinigung nachgewiesen werden, diese mit einem „Versehen“ erklärt; wenn sich der VW- Chef nach eingestandenem Betrug im großen Stil in die Brust wirft mit der Feststellung „Mir gefällt es nicht, wenn sich Politiker in mein Geschäft einmischen“ (Spiegel 23.03.18), dann ist das zwar an Chuzpe schwer zu überbieten, zeigt aber auch das immer noch unerschütterliche Vertrauen der Branche in die eigene Unantastbarkeit. Die Einlassungen der Autobauer zeigen, dass selbst „Dieselgate“ dieses Selbstbewusstsein nur oberflächlich angekratzt hat. Allzu eingespielt ist die enge Bande zwischen „Deutschlands wichtigster Industrie“ und der Politik.
Dennoch war der von VW – in den USA, nicht etwa in Deutschland – ausgelöste Dieselskandal ein Einschnitt, allerdings anders als zunächst zu erwarten. Das Grundvertrauen in die deutschen Autobauer als solches hat auch nach einer ganzen Serie zweifelsfrei nachgewiesener Betrügereien kaum gelitten, wie die weiter gestiegenen Absatzzahlen belegen. Beschädigt ist nur, zumindest vorläufig, der tiefsitzende Glaube an die „deutscheste“ aller Automobil- Technologien, der Glaube an „den Diesel“.
Manipulation im großen Stil, aber „gesetzeskonform“
Obwohl das Geschehen als eindeutig kriminell bewertet werden muss – der Hersteller selbst hat bewusste Täuschung und Betrug eingeräumt – wurde man Zeuge, wie die deutsche Politik ihrem liebsten Kind die Stange hielt – so gut es eben ging. Ministerium und nachgeordnete Behörden, insbesondere das Kraftfahrtbundesamt, trugen nur das zur „Aufklärung“ bei, was nicht zu vertuschen war, und leistete durch Hinhalten und Verzögerung bei der Veröffentlichung weiterer Messdaten dazu selbst aktive Beihilfe. So waren es auch nicht die zuständigen Behörden, die Aufklärung leisteten, sondern Umweltverbände, die mit Meldungen über immer neue Varianten bei der Manipulation der Abgaswerte die Hersteller vor sich hertrieben – was eigentlich Aufgabe von Politik und Behörden gewesen wäre. Die aber sahen ihre Aufgabe darin, das Image der Hersteller auch gegen jede Evidenz zu stützen und Schaden von ihnen abzuwenden. Wobei zwischen den Vorgängen in den USA, die eindeutig und zugegebenermaßen kriminell waren, und dem Geschehen in Europa unterschieden werden muss. Bis heute berufen sich die Hersteller darauf, in Einklang mit existierendem EU-Recht zu handeln. Und da ist die Palette der „legalen“ Möglichkeiten breit, auch bei nachgewiesen absichtsvoller Abschaltung der Abgasreinigung. Ein solches „defeat device“ ist – natürlich – verboten. Erlaubt ist aber alles, was eventuellen „Motorschäden“ vorbeugt, vom „Thermofenster“, das die Abgasreinigung unterhalb bestimmter Außentemperaturen – in Norddeutschland in neunzig Prozent der Wetterlagen – ausschaltet, oder nach einer bestimmten Zeit, die – rein zufällig – genauso lang ist wie der offizielle Test dauert, danach wird abgeschaltet. All das ist EU-gesetzeskonform, und man darf davon ausgehen, dass dieses „Recht“ unter aktiver Teilnahme der einschlägigen Industrie und ihrer Verbände, also etwa des VDA, zustande gekommen ist, nicht anders als bei der Festlegung der Genzwerte für CO2-Emissionen.
Das Verständnis des Dieselskandals ist wichtig, um zu verstehen, warum es immer noch so schwierig ist, die – obgleich offen zutage liegenden – Probleme der jüngsten Vergangenheit und deren Verursacher zu benennen, geschweige denn für Abhilfe zu sorgen. Und das ist auch dann nicht anders, wenn es um die Zukunft geht, um Strategien, die uns herausführen könnten aus dem Dilemma aus Stau, dreckiger Luft und der alltäglichen Aggression auf den Straßen. Da sind wir dann beim Thema zukünftige Mobilität. Es ist interessant zu sehen, wie auch hier die Autoindustrie versucht, „Hoffnungsträger“ aufzubauen mit dem Ziel, ihr eigenes Geschäftsmodell – den Verkauf möglichst profitabler, also möglichst großer, Autos – am Leben zu erhalten, auch gegen die offen zutage liegenden Widersprüche.
Die Scheindebatte um den „richtigen“ Antrieb
Wie täglich in den Medien zu sehen, ist das herausragende Thema der Automobilwirtschaft der Antrieb. Es gilt als ausgemacht, dass es der Elektroantrieb ist, der uns von allen Mobilitätsübeln befreit. Elektroautos befreien uns angeblich von der schlechten Luft, sie sind „CO2-neutral“, sie sind Voraussetzung für vernetztes Fahren und Digitalisierung der Mobilität. Jedenfalls ist das die Diktion der Protagonisten aus den Vorstands- und Marketingabteilungen der einschlägig interessierten Industrie. Sie hat dabei beachtlichen Erfolg, denn inzwischen hat sich dank der sehr eindimensionalen Mainstream-Berichterstattung „das Elektroauto“ auch in den Köpfen des Publikums als Synonym für „nachhaltig“ etabliert.
Das wäre – allerdings auch nur dann – richtig, wenn damit ein Auto gemeint wäre, das die spezifischen Probleme des E-Antriebs zu einer wirklich neuen Konzeption nutzt, anstatt die heutige Modellpalette nur mit einem neuen Antrieb zu versehen. Dann nämlich wird aus der Chance für einen Neustart ein Desaster. Die exorbitanten Kosten für die Batterie, ökonomisch wie ökologisch, die sich abzeichnende totale Abhängigkeit von Rohstoffmonopolen, die geringe Reichweite, die unendlich langen „Tank“-Zeiten – all das müsste zu der Konsequenz führen, elektrisch angetriebene Fahrzeuge klein und leicht zu konzipieren: denn mit der Verringerung von Gewicht und Leistung verringern sich sämtliche Probleme und Limitierungen des E-Antriebs proportional. So ist es aber beinahe tragisch zu sehen, wie die Chancen der E-Mobilität, die paradoxerweise gerade in ihren Begrenzungen liegen, in ihr Gegenteil verkehrt werden; dadurch, dass die Autoindustrie einfache physikalische Wahrheiten verdrängt, weil sie – das ist ihr Hauptziel – weiterhin große, schwere und wenn möglich luxuriöse – und dementsprechend profitable – Autos bauen will, egal mit welchem Antrieb; so ist das Gewicht aller in der EU zugelassenen PKW zwischen 2001 und 2015 um fast 10 Prozent gestiegen, die Leistung im selben Zeitraum um 26 Prozent.
Das steht den vorgegeben Restriktionen der E-Mobiltät aber diametral entgegen. Elektroautos in Form des heutigen „Autos“, etwa eines Golfs und darüber, mit den heutigen Gewichten von 1.500 Kilo und weit darüber, mit Leistungen weit über 150 PS, führen nicht aus der Krise der Mobilität heraus, sondern zielsicher und geradewegs immer tiefer hinein. Die fatale Entwicklung wird noch beschleunigt durch den von der Autoindustrie erfolgreich durchgesetzten Trend zu überschweren, lastwagenähnlichen Quasi-Geländewagen, den „Geländelimousinen“ oder SUV (Sport Utility Vehicles), die sich in der Stadt mit 400 PS und einem Potential von 300 Stundenkilometern fortbewegen. Analog zur Verringerung sämtlicher Probleme des E-Antriebs bei geringerem Gewicht und geringeren Leistungsanforderungen werden durch diesen Trend sämtliche Probleme drastisch verschärft: Noch mehr und noch schwerere Batterien sind erforderlich um ein Minimum an Reichweite zu gewährleisten; die Kosten für den Konsumenten steigen ins Astronomische und sind nur noch für „sehr viel besser Verdienende“ erschwinglich. Das wiederum erhöht den Rang entsprechender Fahrzeuge als Statussymbol erst recht, aber um den Preis, dass „E-Mobilität“ dieses Zuschnitts als Basis für Massenmobilität in immer weitere Ferne rückt. Der Druck auf sehr knappe und kostbare Ressourcen wird aber noch weiter zunehmen, und die ungelöste – und derzeit unlösbare – Frage einer für Kunden und Strombereitstellung praktikablen Infrastruktur wird weiter verschärft. Es sei deshalb um der Klarheit willen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Kritik am „Elektroauto“ hier dem E-Fahrzeug gilt, wie es Autoindustrie und interessierte Branchen, Politik und der Mainstream der Berichterstattung heute „verkaufen“: dem herkömmlichen Auto mit anderem Antrieb.
E-Mobilität auf der Basis von elektrischen Autos ist als Massenphänomen nur möglich, wenn Größe (und damit Gewichte und Kosten) der Batterien, Strombedarf – und damit die Ladeinfrastruktur – so klein wie möglich sind, und damit die Reichweiten größer und die Länge der „Tank“-Stopps kurz. Das alles ist ausnahmslos nur durch kleine, leichte und leistungsschwächere Fahrzeuge möglich. Um eine massenhafte Elektrifizierung des (Auto-)Verkehrs zu ermöglichen, müssen die Parameter Gewicht und Leistung sinken, je weiter, desto besser. Diese relativ simplen physikalischen und ökonomischen Zusammenhänge sind – zumal in der Autoindustrie – natürlich bekannt. Die Autoindustrie hat aber an kleinen, schwach motorisierten, leichten Fahrzeugen kein Interesse. Sie versucht am profitablen Leitbild der leistungsstarken „Renn-Reise-Limousine“ festzuhalten, und das mit bemerkenswertem Erfolg: Elektromobilität als Fortsetzung des heutigen Autos mit anderem Antrieb. Um die banalen physikalischen Realitäten, so offensichtlich sie auch sind, weitestgehend zu verdrängen, wird ein konzertierter „Hype“ entfacht. Das nebulöse Heilsversprechen der E-Mobilität als Ablenkung von realen Problemen und als Lösung aller Zukunftsfragen soll möglichst lange am Leben erhalten werden. Kurz und bündig: ob elektrisch oder als Verbrenner, der Antrieb ist für die nächste Zukunft nahezu gleichgültig. Es geht um die Frage, wie schwer, wie groß, wie leistungsstark müssen Fahrzeuge (in der Stadt) sein. Dieser Debatte verweigern sich Hersteller und Politik und zetteln stattdessen eine Schein-Debatte um den Antrieb an, die wenig mit den eigentlichen Problemen zu tun hat.
Die Probleme sind bekannt, einfache Lösungen stünden bereit, wenn...
Dabei sind die Probleme heutiger Autos seit Jahren unverändert: es sind
a) Platzbedarf und innerstädtische Mobilität,
b) Ressourcen und Luftbelastung und
c) Gefährdung und Gewaltaspekte.
Der Elektroantrieb in der vom Mainstream aus Autoindustrie, Politik und Medien kommunizierten Form löst kein einziges dieser Probleme, im Gegenteil:
Platzbedarf und Mobilität: Elektroautos sind nicht kleiner als Verbrenner. Jedenfalls dann nicht, wenn sie mit den gleichen Motorleistungen aufwarten. Es liegt auf der Hand, dass sie damit identische Probleme hinsichtlich Platzbedarf, Stau, Parkflächen und der Verödung des innerstädtischen Lebens verursachen. Schlimmer noch: die Dauer des Ladevorgangs von mehreren Stunden – statt wie heute einige Minuten – erfordert eine Infrastruktur durch Ladesäulen in der Größenordnung von hunderttausenden (!), und damit zusätzlichen Platzbedarf und Entzug riesiger Flächen aller übrigen Verkehrsteilnehmer. Die Frage, wo Millionen Autos über Stunden an einer Ladesäule verbringen, ist ungeklärt und – sollte die E- Motorisierung von Golf und Co. entsprechend den offiziellen Zieldefinitionen ein Massenphänomen werden – derzeit unlösbar. Hunderte, wenn nicht tausende von Ladesäulen an jeder größeren Autobahntankstelle, die etwa im Ferienreiseverkehr notwendig wären, sind eine abenteuerliche Vorstellung.
Nun ja, immerhin sind E-Autos leise, so die landläufige Einschätzung. Aber auch das ist nur sehr bedingt richtig Der Straßenlärm wird zum überwiegenden Teil nicht vom Motorengeräusch, sondern vom Rollgeräusch erzeugt, und das steigt durch Gewicht. Elektroautos sind aber wegen der enorm schweren Batterien (bei einem Tesla wiegen allein diese ca. 600 kg) und dem Drang nach dennoch extremer Leistung eher noch schwerer – und damit lauter. Sie sind gerade dann leise, wenn es nicht erwünscht ist: bei langsamer Fahrt und beim Starten, also genau dann, wenn sie eigentlich besonders gut zu hören sein sollten. Auch das Thema „Lärm“ entpuppt sich bei genauerem Hinsehen nicht als „benefit“, sondern als zusätzliches Problem.
Ein Propagandaschlager der Autolobby ist das Schwadronieren von vernetzter Mobilität oder gar dem selbstfahrenden Auto, assoziativ verknüpft mit elektrischem Antrieb. Dafür gibt es keinen Grund. Ob ein Auto selbst fährt, ob Fahrzeuge untereinander vernetzt sind, das hat mit dem Antrieb nichts zu tun, hört sich aber „zukunftsfähig“ an und wird ohne weitere Begründung gern mit dem E-Auto verbunden.
Fazit: E-Autos haben im Vergleich zu „normalen“ Autos ähnlicher Konzeption keinen Vorteil in Bezug auf die innerstädtische Mobilität. Infolge unabweisbaren zusätzlichen Platzbedarfs für die Ladeinfrastruktur bewirken sie im Gegenteil zusätzliche Platznot.
Luft und Ressourcen: Fast schon ein Treppenwitz ist die geläufigste der Reklameargumente pro E-Auto: Es sei „CO2-frei“, zumindest aber „CO2-neutral“. Immerhin wird dem in letzter Zeit zumindest der schamhafte Zusatz „lokal“ hinzugefügt. Damit ist dann immerhin gesagt, dass die CO2-Emissionen anderswo stattfinden, am Kraftwerk. Wenn ein neuer – und relativ kleiner – BMW I3 unter realen Bedingungen, also auch bei Regen oder Kälte, zwischen 15 und 18 kWh auf 100 Kilometer verbraucht, dann „emittiert“ er, bzw. der ideelle Gesamt-Stromerzeuger in Deutschland, an die 100 Gramm CO2 pro Kilometer. Das ist genauso gut oder schlecht wie ein VW-up!, der nur mit relativ simpler Technik ausgestattet ist, von einem mittleren SUV mit seinen zweieinhalb bis drei Tonnen Gewicht soll gar nicht erst die Rede sein. Ein Benziner in der Golf-/Polo-Kategorie mit neuester Technik (Leichtbau, gute Aerodynamik, Hochaufladung) käme heute auf unter 60 Gramm, das wären satte 30 Gramm unterhalb des geltenden europäischen Flotten-Grenzwertes von 95 Gramm. Ein „Drei-Liter-Auto“ von Greenpeace, daran sei erinnert, hat es schon vor 25 Jahren mit 80 Gramm geschafft – mit der Technik von vor 30 Jahren! Dies sieht auch der ADAC in seiner neuesten Studie, die zusätzlich auch die CO2-Emissionen durch Herstellung des Autos und der Batterien einbezieht, ganz ähnlich.
Ja, richtig: Verbrenner haben ein Problem mit Stickoxiden und Staubemissionen. Da sind selbst Saurier-Elektroautos klar im Vorteil. Allerdings wäre da Abhilfe sehr schnell möglich: durch Reduzierung von Fahrzeugmasse und Leistung, verbunden mit einer allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung, einem Tempolimit. Die atemberaubenden Klimmzüge von Politik und Autoindustrie rund um die „Blaue Plakette“ und die drohenden Fahrverbote sind die verzweifelten Versuche, dem wirksamsten und preiswertesten Mittel aus dem Weg zu gehen. Dass aber ausgerechnet E-Autos die gesundheitsgefährdende Luftbelastung senken könnten, wie zu hören ist, ist allein schon wegen des Zeithorizontes nicht realistisch. Aber das sollen sie ja auch gar nicht, Hauptsache, eine „Vision“ hilft publizistisch über die augenblickliche Misere und den erstarrten Stellungskrieg der Argumente hinweg.
Natürlich braucht ein E-Auto kein Öl. Ein klarer Vorteil. So offensichtlich das ist, so wenig ist das automatisch eine Strategie „Weg vom Öl“. Auch hier führen, wie so oft bei genauerem Hinsehen, die Marketing-Argumente der Lobby in die Irre, denn das Gegenteil ist richtig. Der Elektro-„Hype“, angefeuert auch mit dem Slogan „Weg vom Öl“, verlängert die Abhängigkeit vom Öl, anstatt sie zu verkürzen: Auch das hat damit zu tun, dass die Autoindustrie unter „Elektroauto“ nichts anderes verstehen will als einen „Boliden“ von zwei Tonnen und 200 PS und mehr. Denn diese Autos sind wegen ihrer Kosten weit oberhalb von vierzig- oder fünfzig Tausend Euro für die normalen Verbraucher-innen unerschwinglich und nicht als Massenfahrzeuge vorstellbar, jedenfalls nicht für die nähere Zukunft. Bei Kosten um 300 Euro pro kWh kostet allein die Batterie mehr als ein Golf. Das unerfüllbare Heilsversprechen hilft aber, den Verbrauch beim herkömmlichen Verbrenner nicht in dem Maße senken zu müssen, wie das ohne weiteres möglich wäre. Und allein das ist die Ratio hinter diesem Argument: die aktuelle Modellpolitik muss nicht angetastet werden.
Denn ein herkömmlicher Verbrenner, ob Diesel oder Benziner, ist mit einem Verbrauch unter zweieinhalb Litern nicht nur vorstellbar, sondern Stand der Technik und wäre – entsprechendes Marketing vorausgesetzt – jetzt sofort verfügbar und würde Verbrauch und Emissionen nicht in einigen Jahren, sondern jetzt halbieren. Und das ohne Mehrkosten.
Die Fixierung der Autoindustrie auf ihr etabliertes Geschäftsmodell untergräbt die Chance der Elektrifizierung zur Entwicklung angepasster und Stadt-tauglicher Fahrzeug. Und der Weg „weg vom Öl“, der am schnellsten mit kleinen modernen Verbrennern möglich wäre, mit Einschränkungen aber auch mit kleinen E-Fahrzeugen, gerät zu einem von der Autoindustrie gewollten Marathon.
Zum Thema Umwelt und Ressourcen gehört natürlich die Frage, woher all die kostbaren und seltenen Materialien kommen sollen, die in der Batterieproduktion nicht in therapeutischen Dosen, sondern en gros und massenhaft benötigt werden. Dass im Kongo, dem beinahe-Monopolisten für Kobalt, Sklaven- und Kinderarbeit an der Tagesordnung sind, wird gern verdrängt, dient es doch der „Nachhaltigkeit“ unserer Elektro-Panameras und Cayennes. Und dass China, als zukünftiger Quasi-Monopolist bei bestimmten Elementen aus der Gruppe der „Seltenen Erden“ und Lithium, nun gigantische Spezialschiffe baut, um in der Chinesischen See Tiefseebergbau zu betreiben, schein wenig Aufregung zu verursachen, geht es doch auch hier um das grüne Gewissen derer, die hierzulande einen Elektro-Porsche, -BMW oder Tesla fahren.
Gewaltphantasien: Wer die Dimensionen und das Design neuerer Autos, und besonders der schwereren unter ihnen, betrachtet, sieht sich einer Aura von Dominanz, Angriffslust und Aggression gegenüber. Sehr bewusst werden aus einfachen Lampen und Fahrtrichtungsanzeigern enge Sehschlitze und aggressiv wirkende Tierphysiognomien, aus Kühlerhauben wurden Bullterrierschnauzen. Es kann kein Zweifel sein: Hier werden keine zur Fortbewegung und Transport nützlichen Fahrzeuge vermarktet, sondern das Bedürfnis nach demonstrativer Überlegenheit auf der Strasse. Es überrascht nicht, dass die Möglichkeit, drei Tonnen Fahrzeugmasse in Sekunden zu beschleunigen, dann auch ausgenutzt wird. Die von der Autoindustrie bewusst vorangetriebene „Philosophie“ der demonstrativen Dominanz trägt das ihre dazu bei, dass Konzepte für tatsächlich nachhaltigere, kleinere und angepasste Fahrzeuge „out“ sind und so gut wie nicht zur Diskussion stehen. Es mutet pervers an, dass „Monster“-Fahrzeuge ausgerechnet mit dem Argument von „mehr Sicherheit“ vermarktet werden. „Mehr Sicherheit“ wohlgemerkt allein für den Besitzer des SUV, nicht für die anderen Verkehrsteilnehmer. Dass die Insassen eines Corsa beim Crash gegen einen Touareg schlecht aussehen, schwer verletzt oder tot sind, während die Fahrer des SUV vom gleichen Unfall kaum Notiz nehmen, wie in München geschehen, mag die Käufer kleiner Autos verunsichern, die Besitzer von SUVs fühlen sich in ihrer egoistischen Haltung hingegen bestätigt: Sicherheit bekommt nur der, der das Geld hat, alle anderen haben das Nachsehen. Und die Autoindustrie kommentiert lakonisch: sollen sich doch alle einen SUV kaufen...
Die Debatte um den Antrieb ist im Kern ideologisch
Wenn also alle rationalen Argumente gegen die stumpfsinnige Elektrifizierung genau des Autotyps sprechen, der uns in den letzten Jahrzehnten die Luft verpestet, die Städte verödet und die Klimabilanz ruiniert hat, warum hält dann die Autolobby unvermindert genau daran fest? Die Antwort ist einfach: weil sie gut daran verdient. Und ebenso, wie sie selbst – und nicht etwa der europäische Gesetzgeber – de facto die angeblich „strengen“ Grenzwerte für CO2 etabliert und via direkter telefonischer Intervention der Bundeskanzlerin in Brüssel erreicht hat, dass eine Verschärfung zurückgenommen wurde; ebenso wie sie selbst via Dachverband VDA und seiner französischen und europäischen Pendants selbst die Normen festgesetzt hat, die die „überraschenden“ Schlupflöcher im Messverfahren der Abgase offen lässt; ebenso nutzt sie nun die Elektrifizierung zur Senkung ihrer eigenen CO2-Bilanzen – auf dem Papier: denn jedes Elektroauto, und sei es drei Tonnen schwer, zählt in der europäischen Statistik als ein Auto mit „null“ Emissionen, je nach Variante sogar als „Doppel Null“. Jedes verkaufte Elektroauto erhöht also unmittelbar den Spielraum zur Erhöhung der CO2-Emissionen der „normalen“ Flotte, die damit weiter an Gewicht und Motorleistung zulegen kann. Das gilt in abgeschwächter Form auch für teil-elektrifizierte Autos: Hybride und Plug-ins schlagen nur mit 50 Gramm CO2 zu Buche, weil die CO2-Emissionen der elektrischen Fahranteile praktischerweise als „Null- Emission“ berechnet werden. So hat für die Autoindustrie alles seine praktische Seite.
Die Autoindustrie hat allen Grund, auf ihre Leistungen stolz zu sein. Dazu gehören nicht nur die anerkannt „guten“ Autos. Dazu gehört die beachtliche Leistung, alle kritischen Diskussionen überstanden zu haben, ohne wirklich Federn zu lassen oder allzu weit von den eigenen Strategien abweichen zu müssen. Die Debatte der achtziger Jahre über den Katalysator zur Eindämmung der giftigen Kohlenwasserstoff- und Kohlenmonoxidabgase, von der Autoindustrie damals jahrelang hinausgezögert, hat sie dann genutzt, um sich nach nicht mehr hinauszuzögernder Einführung aller Welt als sauberer Vorreiter „Made in Germany“ zu präsentieren. Image und Verkäufe gingen wieder nach oben. Die Diskussion über ein Tempolimit wurde bis heute erfolgreich abgeblockt, trotz des Fehlens auch nur eines einzigen rationalen Gegenarguments – hier war und ist die bayrische Spitze des Verkehrsministeriums seit Jahr und Tag eng an ihrer Seite. Und die europäischen Regeln zum Messverfahren der Stickoxide sind entlarvt als ein unmittelbar an die Bedürfnisse der Autoindustrie zur „kreativen“ Interpretation angepasstes Machwerk – zwar hunderte Seiten dick, schwer zu lesen und kaum zu verstehen, aber mit eigentlich nur einer einzigen klaren Aussage: Die Hersteller können machen was sie wollen, wenn sie denn „Motorschäden“ befürchten. Die mussten sie nicht befürchten, denn die realen Emissionen durften ja die Normwerte „gesetzeskonform“ um das fünf- bis zehnfache oder mehr überschreiten. Nun gibt es eine neue Messvorschrift: sie heißt RDE temp. Dabei steht RDE für „Real Drive Emissions“, soll heißen, sie soll die realen Fahrvorgänge widerspiegeln. Aber dafür bekommen sie auch gleich einen Extrabonus: Sie dürfen die immer noch gültigen Normwerte nun ganz offiziell um das 2,1-fache übersteigen. Das ist doch ein echter Fortschritt: von Faktor 10 nun nur noch das Doppelte des gesetzlich Zulässigen. Da kann man nur sagen: Glückwunsch!
Dass die Autoindustrie so erfolgreich nicht nur selbstverschuldete Krisen fast ohne Schaden übersteht; dass es ihr so leicht fällt, von den wirklichen Problemen abzulenken und – für sie selbst womöglich unangenehme – Lösungsansätze zu ignorieren; dass die Forderung nach einer restriktiveren Geschwindigkeitsbeschränkung ebenso ins Leere läuft wie die nach weniger übermotorisierten und übergewichtigen Fahrzeugen; das alles liegt im Kern aber an etwas anderem: Sie hat es geschafft, das Produkt „Auto“ ideologisch so aufzuladen, dass es fast unangreifbar wurde. Sie hat eine Ideologie geschaffen, die ihr nützlich und bis heute sehr profitabel ist, und die inzwischen so tief verankert ist, dass sie, wie ein Schutzmantel, das Produkt „Auto“ vor rationalen Diskussionen und Forderungen abschirmt.